{ Leseprobe 128 }

Literatur von Martin Ganter

Aus dem Werk "Vor den Toren der Nacht"

Schneeweißchen: Je höher wir streben, Bruder, um so schmerzlicher wird uns bewußt, wie wenig Talente wir haben. Du suchtest das Wort, doch du fandest es nicht. Du stelltest ihm Fallen, versuchtest, es zu überlisten. Kein Preis schien dir zu groß.

Froschmann: Nun zahl ich den Preis mit ewiger Krankheit.

Schneeweißchen: Bruder, du gehst zu streng mit dir ins Gericht. Dass du keinen Erfolg gehabt hast, darfst du nicht als Scheitern ansehen. Um uns als Mensch zu begreifen, müssen wir uns damit abfinden, an unsere Grenzen zu stoßen. Weil man unfähig ist zu verstehen, urteilt man ab. (zu den Bütteln) Nehmt ihn vom Streckbett herunter und bringt ihn zu mir!

2. Büttel: Das ist uns nicht erlaubt.

Schneeweißchen: Wer hat es euch verboten? – Wenn es niemand verboten hat, dann ist es erlaubt.

2. Büttel: Das mag für Sie gelten, gnädige Frau. Für uns aber gilt, dass uns verboten ist, was uns nicht eigens erlaubt worden ist.

Schneeweißchen: Dann erlaube ich es euch! Komm zu mir, Benjamin. Komm zu deiner Schwester. Leg deinen Kopf in meinem Schoß.

(Die Büttel bringen ihr den Leichnam)