{ Der Erbschleicher }

Literatur von Martin Ganter

Personen

Herr Siegfried

Die Stimme und die Hand des verstorbenen Vaters von Herrn Siegfried

Pfarrer Pilat

Richter Pilat (beide von derselben Person zu spielen)

Frau Zunselmeier

weitere Kirchgängerinnen

zwei Polizisten

Skatspieler

Herrn Siegfrieds Geschwister

Inhalt

1. Kapitel: Kurz vor der Morgendämmerung.

1. Abschnitt

2. Abschnitt

3. Abschnitt

4. Abschnitt

5. Abschnitt

2. Kapitel: Am Stadttor.

1. Abschnitt

3. Kapitel: Tiefe Nacht. Friedhof.

1. Abschnitt

2. Abschnitt

4. Kapitel: Nacht

1. Kapitel: Kurz vor der Morgendämmerung.

1. Abschnitt

(Siegfried, ein 68 jähriger Mann, ein Rosenbäumchen in der einen Hand, in der anderen eine Laterne, betritt den Friedhof und geht eilends zum Grab seiner Eltern. Dort zündet er ein ewiges Licht an.)

Siegfried: Gott sei Dank. Das wär geschafft. Die Messe ist noch nicht zu Ende. Es hat noch nicht geläutet. Dann können wir ja mal schön langsam machen und uns ausschnaufen! Oder nicht, meine Damen und Herren? Hier hab ich ein Rosenbäumchen mit dabei. Jawohl, das ist ein Rosenbäumchen. Trotz des Herbstes steht es in voller Blüte. Ich habe es in der Gärtnerei erworben, das heißt gekauft. Und zwar nicht in einer x-beliebigen Gärtnerei, sondern in der hiesigen Schloß-Gärtnerei; das ist die teuerste und beste Gärtnerei weit und breit. Dieses Bäumchen hat mich glatte 300 Euro gekostet. Hier hab ich noch den Beleg. Dabei bin ich mir im Klaren darüber, dass das Bäumchen ob der unzeitgemäßen jetzigen Blüte mit Einbruch des Winters verendet. Aber das ist mir meine liebe Mutter wert und das wär sie mir auch wert, selbst wenn der heilige Apostel Paulus nicht von den Früchten der Pietas gesprochen hätte. Übrigens heb ich alle meine Belege gut auf. Nicht um sie steuerlich abzusetzen, sondern als ewiges Dokument meiner Liebe. Vielleicht, dass ich darauf noch zu sprechen komme. Doch das ist ein so subtiles und weitläufiges Thema, dass man sich, selbst wenn man die Zunge eines Engels hätte, kaum recht auszudrücken vermöchte. Drum schweig ich einstweilen lieber. Immerhin aber kann ich die Zeit noch nutzen und nachschauen, ob noch alle Blumen da sind, die ich das letzte Mal ins Grab meiner lieben Mutter eingepflanzt habe. Es wäre unerhört, würde mich aber keineswegs wundern, sollte sich jemand erdreistet haben, dieselben wegzustehlen. Aber in dieser gottlosen kalten Welt ist alles möglich.

Doch still! Ist da nicht wer? Meine Schwester Hildegard etwa? Bist du es, du elendes Schindluder? Sei froh, dass ich keinen Degen bei mir habe. - Ah nein. Zum Glück wars nur eine streunende Katze. Doch ich habe Zeugen, ich habe Zeugen dafür, dass ich 3 Vergißmeinnicht und 5 Herbstastern eingepflanzt habe. (holt zwei Belege heraus) Da ist der Rechnungszettel und da steht es, schwarz auf weiß, mit Angabe des Ortes und der Zeit: dass ich mit Frau Zunselmeier aus der Schäfergasse gesprochen habe. Mit der hab ich gesprochen, jawohl, das wird man ja noch dürfen; der hab ich die Blumen gezeigt und die könnte mir auch, wenn es denn sein müßte, als Zeugin vor Gericht aussagen. - (er ist beim Grab) Schauen wir also, was sich wiederfinden läßt! Eins, zwei drei Vergißmeinnicht. Die Vergißmeinnicht stehen immerhin noch alle da. Aber das sind ja auch die billigsten Blumen. An denen vergreift man sich nicht. Zählen wir die Herbstastern nach. Diese feinen Chrysanthemen waren schon etwas teuerer. Eins, zwei, drei, vier... Vier? Das sind nur 4. Dabei hab ich doch 5 eingepflanzt. Hier steht es. Wo ist die fünfte geblieben? Ohne Zweifel hat die meine Schwester Hildegard gestohlen. Aus bodenloser Gemeinheit, weil sie mich und meine liebe Mutter hasst! Oder es war mein Bruder Gerhard, der mich nicht minder hasst. Vielleicht, dass sie sich zu infernalisch kleinen Nadelstichen entschlossen haben, in der Hoffnung, dass das Gericht die Sache beiseite schiebt? Doch da werden Sie Pech haben. Mag nämlich auch das weltliche Gericht etwas beiseite schieben, das Gericht Gottes schiebt nichts beiseite.

2. Abschnitt

(Die Kirchenglocken beginnen für kurz zu läuten)

Jetzt läuten die Kirchenglocken. Die Kirchgänger werden gleich kommen. Wenn es auch nur eine Handvoll ist, lassen wir sie erst mal vorüber! Oder haben es diese frommen Leutchen nicht verdient, dass ich sie respektvoll begrüße? Die kleine Herde Gottes! Wer, in der heutigen Zeit, nimmt es noch auf sich, so früh aufzustehen und in die Frühmesse zu gehen?

(die Kirchgänger der Frühmesse verlassen die Kirche und kommen über den Friedhof)

Leute: Guten Morgen, Herr Siegfried!

Siegfried: Guten Morgen, ihr lieben Leute. Leider hab ichs heute nicht in die Frühmesse geschafft. Meine Tochter, verstehen Sie, konnte die ganze Nacht über keinen Schlaf finden. Und von Breisach ists halt doch eine Stunde Fahrt bis hierher.

eine Frau: Sie müssen sich nicht entschuldigen, Herr Siegfried. Das nimmt Ihnen niemand übel. Wenn jemand sein Haupt stolz erheben darf, so sind Sie es!

Siegfried: O vielen Dank, liebe Frau. Wie gut es einem doch tut, wenn man einmal so unbefangen die Wahrheit hört!

ein andere Frau: Überhaupt, wie Sie sich um Ihre Mutter bekümmern! Das geht einem ans Herz.

Siegfried: Dank, liebe Frauen, Dank euch allen.

eine dritte Frau: Jawohl, das tut einem richtig gut, wenn man Sie sieht!

Siegfried: Nochmals vielen Dank. Und von meinen Geschwistern ist niemand in der Messe gewesen?

eine Frau: Von denen ist nie jemand da. Ihre Frau Mutter, früher, war die einzige...

Siegfried: Schade, dass ich in Breisach wohne. Ich und meine Frau und meine liebe, fromme Tochter.. O, wir würden in diesem Dorf eine ganz neue Epoche der Frömmigkeit zur Blüte bringen. Leider ist meine Tochter schwer krank; sonst würden wir es ja vielleicht noch auf uns nehmen, selbst auch von ausserhalb, hierher zur Frühmesse zu kommen.

Die Frauen: Wir wissen. - Das arme Kind. - Es trifft halt immer die Falschen. Das ist schon seit Hiobs Zeiten so.

Siegfried: Wie gern würden wir hier zur Messe. Aber so ist es eben. Die, die könnten, die wollen nicht. Und die die wollten, die können nicht. (holt ein Stück Zeitung) Da sehen Sie her, was für eine Todesanzeige meine ehrenwerten Geschwister auf den Tod meiner Mutter in die Zeitung eingerückt haben. Wenn ich der Herausgeber der Zeitung wäre, hätte ich glattweg die Veröffentlichung untersagt.

Eine der Frauen: Sie haben sie uns schon einmal gezeigt. Wir wissen Bescheid.

Siegfried: Ist es nicht gotteslästerlich?

Eine Frau: Und ob! Zumal da sie das arme kranke Kind vergessen haben.

Siegfried: Das ist nicht vergessen worden. Das ist gemeine Absicht gewesen.

eine Frau: Der Herr wirds Ihnen vergelten.

Siegfried (während er sieht, wie sich der Eingang in die Kirche öffnet und wie der alte Pfarrer Pilat erscheint): Jetzt aber herzliebste Mutter, jetzt wo sich die Pforte des Himmels weit auftut, jetzt erscheine auch mir mit all deiner Kraft und mit dem Glanz der Himmelssonne! Du Gute, die du mir so herrlich verklärt erstrahlst.

eine Frau: Was hat er?

Siegfried: Ja jetzt wärs schön, wenn aus der Kirche heraus mit göttlichem Gesang Geister und Genien kämen und sie trügen in Händen die Krone des herrlich unvergänglichen Lebens. Und wenn sie mich dann fragten: o du Gebenedeiter, wenn du diese Krone haben willst, so sage jetzt nur Ja, denn sie ist ja dein....

eine zweite Frau: Herr Siegfried, können Sie uns noch hören? Erkennen Sie uns noch?

Siegfried: O ihr Lieben, der Glaube muß nur sehr fest sein. Dann kann uns keiner etwas anhaben, auch nicht in dieser so gottlos gewordenen Welt. Doch geht jetzt heim, ihr lieben Leute, und seid getrost! Denn Wunderbares wird geschehen, so wahr der Herr lebt!

eine andere: Er redet wie verzückt.

Siegfried: Und möge euch das Werk eurer Hände gedeihen!

Frau Zunselmeier (auch sie kam aus der Kirche; während alle weggehen, versteckt sie sich in Hörweite): Möchte aber doch gern noch mitbekommen, worauf das alles hinausläuft!

3. Abschnitt

Siegfried: Mutter! Kannst du mich hören? Jetzt kommt nämlich der Herr Pfarrer zu uns. Und dort, über dem Hinterwaldkopf erhebt sich die Morgensonne. Sei gepriesen, du Morgensonne, du Wonne meines gläubigen Herzens. Keinen, der auf dich wartet, enttäuschst du! Morgenglanz der Ewigkeit, Licht vom unauslöschlichen Lichte.

Pfarrer: O, Herr Siegfried, guten Morgen. Schon wieder so früh auf den Beinen?

Siegfried: Guten Morgen, Herr Pfarrer. Was sein muß, muß sein.

Pfarrer: Und wie ich höre, sind Sie ja ein Dichter!

Siegfried: Wem der Himmel seine Gunst und Gnade verleiht, der kann auch im Chor der Engel mitsingen, und wenn er zuvor auch taub und stumm gewesen wäre. Oder meinen Sie nicht auch, Herr Pfarrer?

Pfarrer (will weiter): Dem werd ich nicht widersprechen. Nur müssen wir auch um diese Gnade bitten und, wenn es sein muß, auch Opfer dafür bringen.

Siegfried: Darf ich Ihnen noch rasch etwas zeigen, Herr Pfarrer? Hier die Totenanzeige meiner Geschwister. Sie wissen ja doch, ich habs Ihnen ja gesagt, wie gemein meine Geschwister zu meiner lieben Mutter waren. Hier (holt den Zeitungsartikel heraus)! Diese ruchlose Todesanzeige! Das ist einfach eine Schande.

Pfarrer: Ich hab schon davon gehört. Und doch, Herr Siegfried..

Siegfried: Nein, nein. Darum geht es mir ja gar nicht. Sehen Sie sich doch nur das dagegen an! (reicht ihm ein Votivbildchen) Diese Anzeige haben wir zuhause, meine Tochter, meine Frau und ich ausgearbeitet! Sehen Sie! Auf so kleinem Format. Man kann das Bildchen unbedenklich in jedes fromme Gebetbuch legen. Zum Andenken an unsere liebe Mutter und Oma. Hier ein Gedicht von Bonhöfer, kein so abscheulich unchristliches wie das von den Geschwistern in der Zeitung! Und hier die Muttergottes vom Lindenberg. Ich wollte Ihnen das Bildchen nur zeigen, damit Sie nicht meinen, ich sei nichts weiter als ein notorischer Nörgler und könnte nichts, als mich beschweren. So haben wir uns eine würdige Todesanzeige vorgestellt.

Pfarrer: Nun, nun....

Siegfried: Judica me deus et discerne causam meam, de gente non sancta, ab homine iniquo et doldoso erue me!

Pfarrer: Wie ich höre, waren Sie einmal Messdiener.

Siegfried: 5 Jahre lang sogar Oberministrant.

Pfarrer: Gleichwohl müssen wir uns bescheiden, Herr Siegfried. Vor allem aber müssen wir einander vergeben.

Siegfried: Meine Frau und ich: wir wollten ihnen ja vergeben, aber sie wollten nicht!

Pfarrer: Jeder, der ins Himmelreich eingehen will, muß vergeben. Sieben mal siebzig mal. Das gehört zu den schwersten Aufgaben!

Siegfried: Nicht einmal darüber will ich mich mehr beschweren, dass man in jener Zeitungsannonce kaltweg nur von der Mutter und nicht auch von der Oma gesprochen hat. Nein, das soll jetzt überhaupt nicht mehr zählen. Doch sagen Sie selbst, Hochwürden, was Sie von diesem Votivblättchen halten! Ist es nicht sehr gelungen? Ist es nicht wunderschön. Das Gedicht von Bonhöfer ist auch in schwerer Stunde geschrieben worden. Und hier die Mutter Gottes vom Lindenberg.

Pfarrer: Ich weiß, ich war schon oft droben.

Siegfried: Die Gnadenmadonna. Das müssen Sie doch zugeben: da ist nichts geschwindelt oder gelogen. Das entspricht alles der Wahrheit. Ja, ich möchte sagen, das ist Wort vom Wort des ewig gültigen Christentums. Und das will etwas heißen heute, wo unser Land von allen Religionen und vom Atheismus der Welt überschwemmt wird. Über viele Jahrzehnte hinweg war meine Mutter hier im Dorf die Vorbeterin beim abendlichen Rosenkranz.

Pfarrer: Ich weiß...

Siegfried: Aber das wissen Hochwürden wahrscheinlich noch nicht, und ich schätze, darauf würden Sie auch gar nicht kommen: dass dieses Andenken an meine liebe Mutter - entschuldigen Sie, da kommen mir einfach die Tränen - ja dass dieses Andenken an meine liebe Mutter vor allem von meiner kranken Tochter ausgearbeitet wurde.

Pfarrer: Das alles ist wirklich sehr schön, aber ich darf mich jetzt verabschieden. Meine Haushälterin wartet nämlich schon auf mich. Und auch ein altgewordener Pfarrer muß sich schließlich an die Hausordnung halten. Hier ist Ihr Blättchen!

Siegfried: Gefällt es Ihnen?

Pfarrer: Gewiß, aber...

Siegfried: Nein, nein. Behalten Sie es ruhig! Sie dürfen es behalten. Wirklich, es ist mir eine Freude, es Ihnen schenken zu dürfen. Ein Geschenk in so eine Hand, wie in die Ihre legen zu dürfen, in sanctas et venerabiles manus, das ist mir ein Trost und eine unaussprechliche Freude.

Pfarrer: Nun denn, vergelts Gott!

Siegfried: Der materielle Wert des Blättchens ist ja nicht groß. Dafür aber der spirituelle. Das vermag ja keiner recht zu bedenken, was das bedeutet, wenn ein himmelsfrommes, krankes Kind sich aufrafft und zur heiligen Feder greift. Andere wären da schon lang vom Glauben abgefallen...

Pfarrer: Ich werde Sie einmal besuchen...

Siegfried: O ja, Hochwürden. Ihre Ankunft in unserem Haus ist uns jederzeit willkommen.

Pfarrer: Jetzt freilich noch nicht.

Siegfried: Und wenn Sie hier am Grab meiner Mutter vorbeikommen..

Pfarrer: welches freilich auch das Grab Ihres Vaters und mithin das Grab Ihrer Eltern ist...

Siegfried: Gewiß doch. Wenn Sie also am Grab meiner Eltern vorbeikommen, denken Sie daran, wann immer sie dieses wundervolle Rosenbäumchen sehen, dass es der Rosenbaum der Rosenkranzkönigin ist. Ich will es jetzt gleich noch einpflanzen.

Pfarrer: Jetzt freilich werde ich Sie noch nicht besuchen. Aber wenn Sie Ihren Prozeß herum haben. Dann werde ich kommen und Ihrer kranken Tochter den Segen spenden.

Siegfried: Woher wissen Sie etwas von meinem Prozeß?

Pfarrer: Ihre Geschwister sprachen davon!

Siegfried: Ist das nicht typisch?

Pfarrer: Wie meinen Sie das?

Siegfried: Das ist ihr schlechtes Gewissen.

Pfarrer: Das verstehe ich nicht.

Siegfried: Das zwingt sie, von Dingen zu erzählen, die niemanden etwas angehen.

Pfarrer: Vielleicht, dass wir dann auch ein paar Worte für Ihre älteste Tochter finden. Sie haben doch noch eine weitere Tochter?

Siegfried: Wie immer man die Sache ansehen mag...

Pfarrer: Und wenn ich Ihnen noch einen guten Rat geben darf! Lassen Sie nie zu, dass man diese Ihre weitere Tochter als Gänsemagd oder Aschenputtel ans Bett ihrer kranken Tochter zwingt.

Siegfried: Wer redet von Aschenputtel, wer von Zwingen? Gewiß haben Sie das auch von meinen werten Geschwistern.

Pfarrer: Heilige brauchen keine Aschenputtel und sie brauchen auch kein Geld. Ihnen genügt die Gnade Gottes. (er geht)

4. Abschnitt

Siegfried (indem er noch rasch das Rosenbäumchen einpflanzt): Wenn der nur nicht zu uns kommt! Das gäbe ja die allerschlimmste Heimsuchung, wenn der uns auch noch von unserer anderen Tochter zu reden begänne und uns mit seinen guten Ratschlägen die Luft verpestete. Als obs nicht schon genug wäre, dass sich Hinz und Kunz in unsere Angelegenheiten einmischen. Muß es jetzt auch noch der Pfarrer? Aber es wird Zeit. Ich muß nach Haus. Ich versprach meiner Frau gegen 9 Uhr zu Haus zu sein. Und nun ist schon 8 Uhr vorüber. Und die Fahrt beim Morgenverkehr, die ist mit dem besten Willen nicht in einer Stunde zu schaffen. Schnell mit dem Bäumchen jetzt in die Erde!

5. Abschnitt

Frau Zunselmeier (taucht auf): Herr Siegfried!

Siegfried: Lassen Sie mich in Ruhe! Ich bitte Sie. Ich bin in großer Eile. Sie müssen wissen, meine Frau und meine kranke Tochter warten auf mich.

Zunselmeier: Vergessen Sie nicht, dass ich Ihr Zeuge bin, falls von den 3 Vergißmeinnicht und den 4 Herbstastern etwas abhanden kommt.

Siegfried: 5 Herbstastern, Frau Zunselmeier! 5!

Zunselmeier: Dann eben 5.

Siegfried: Auch auf die Kleinheiten kommt es an, Frau Zunselmeier. Wer im Kleinen nicht für zuverlässig und treu erfunden wurde, wie soll ders im Großen? Aber hier ist der Rechnungszettel und da steht es drauf, schwarz auf weiß.

Zunselmeier: Ich hab übrigens alles mitangehört, was Sie mit dem Pfarrer gesprochen haben, Herr Siegfried. Aber von einem Prozeß gegen ihre Geschwister hab ich bislang noch nichts gehört. Das ist mir neu.

Siegfried: Geht Sie es etwas an?

Zunselmeier: Aber Herr Siegfried, wie sprechen Sie mit mir! Wo es niemanden gibt, der mehr zu Ihnen hält als ich! Meinen Sie, das wär nichts? O da hab ich schon ganz andere Sachen gedreht. Einmal, da war einer, der im Diesseits unglaublich knausrig war, der wär nach dem Tod in Wasser zu liegen gekommen. Wissen Sie, denen steigt dann das Grundwasser bis zum Hals empor und darüber hinaus bis über die Nasen, und dann versaufen die, in einem ganz elenden und jämmerlichen Todeskampf; das weiß ich ganz genau..

Siegfried: Lassen Sie mich gehen.

Zunselmeier: Herr Siegfried, ich lass Sie nicht aus, ehe Sie mir nicht gesagt haben, was es mit Ihrem Prozeß auf sich hat!

Siegfried: Vor Gottes Angesicht! Wem soll das Erbe meiner Eltern gehören, wenn meine Geschwister einmal tot sind? Wie Sie wissen, sind meine Geschwister sämtlich unverheiratet und ohne Kinder. Soll das Erbe also in fremde Hände fallen? Haben meine Eltern sich dafür geplagt und abgerackert? Genau das aber, und nicht mehr und nicht weniger, ist es, was mein Vater, wenn er drum gewußt hätte, selber als Klausel ins Testament eingefügt hätte und was ich nun an meines Vaters Statt noch gern vom Gericht eingefügt und bestätigt hätte.

Zunselmeier: Und wenn ich Sie noch fragen darf? Wann haben Sie Ihren Prozeß?

Siegfried: Heute Abend. Deshalb muß ich mich ja auch so beeilen. Oder meinen Sie, selbst wenn man ganz sicher sein darf, es ist gut, unvorbereitet bei Gericht zu erscheinen?

Zunselmeier: Seien Sie zuversichtlich, Herr Siegfried! Dem Frommen kann nichts Böses widerfahren. Seine Sache liegt in Gottes Hand.

Siegfried: Ach, reden Sie doch nicht.

Zunselmeier: Kein Bischof kann Ihnen etwas anderes sagen! Und wenn ich mir vorstelle, dass Sie heute Abend dem Richter sagen, dass Sie eine kranke Tochter haben und dass Sie den Erlös für wohltätige Zwecke gebrauchen, dann kann er überhaupt nicht umhin, Sie zu bevorzugen.

Siegfried: Ich will keine Bevorzugung, ich will nur mein Recht.

Zunselmeier: Das ist ja Ihr gutes Recht! Da wett ich mit Ihnen. Was gilt es?

Siegfried: Was wollen Sie denn? Lassen Sie mich!

Zunselmeier: Ein Prozent Ihres hinzugewonnenen Erbanteils für mich für den Fall, dass Sie vor Gericht siegen? Ist das nicht fair?

Siegfried: Das wären bei 100.000 Euro eintausend Euro. Das ist viel zu viel Geld.

Zunselmeier: Nein, sagen Sie nichts. Heute Abend, wenn Ihr Fall ansteht, komm ich und bete am Grab Ihrer Eltern. Und wenn dann der Prozeß herum ist, kommen Sie hierher! Kommen Sie auf jeden Fall! Versprechen Sie es mir! Ich erwarte Sie! (ab)

2. Kapitel: Am Stadttor.

(Eine Leiter lehnt an der Torwand. Über der Durchfahrt hängt ein Gerichtsbeil, das aussieht wie ein Schinken. Darüber ein Fenster. Vor dem Tor drei Fahnenträger, die zu einer Trommel ihre Fahnen in die Höhe werfen und kunstvoll wieder auffangen. Sie ziehen ab, sobald Siegfried erscheint. Drei Skatspieler am Boden. Zwei Polizisten.)

1. Abschnitt

Siegfried kommt im Auto angefahren. Er trägt einen schwarzen Anzug. Ein Polizist winkt ihn beiseite.

Polizist: Steigen Sie aus mein Herr!

Siegfried: Wir haben es eilig, wir haben einen Termin. Lassen Sie uns durch!

Polizist: Jeder muß hier anhalten. Ausnahmen gibt es keine.

Siegfried: Reinhilde! Hast du das gehört? Lässt du dir das gefallen? - Reinhilde, wo bist du? - Mein Gott, meine Frau ist nicht da. Dabei war ich ganz sicher, dass sie mit mir losgefahren ist. Meine Damen und Herren, kann jemand von Ihnen meine Frau sehen? Wenn Sie sie nicht kennen, man kann sie eigentlich nirgends übersehen. Sie müssen ihr nur eine Frage stellen, die kein Mensch zu lösen vermag. Dann ist es meine Frau, die mit der Lösung bei der Hand ist.

(Es kommt ein Bauer mit einem Wagen voller Rüben.)

Polizist: (zum Bauer) Mein Herr! Was bringen Sie?

Bauer: Rüben!

Polizist: Pechrüben vermutlich.

ein Skatspieler: Einen Moment. Gleich sag ich euch, was wir spielen!

Polizist: Rübenköpfe sollen das sein?! (während er die Rüben begutachtet, rollen sie auf die Strasse)

Bauer: Was tun Sie da?

1. Polizist: Sehen Sie nicht, wie es im Tor Pech regnet?

2. Polizist (mit einem Delinquenten an der Hand): Viele Köpfe, viele Meinungen.

Bauer: Mein Herr?!

Polizist: Auflesen! Und weg damit. Durchfahrt verboten.

ein zweiter: Herz? Das ist ein Scherz. Da biet ich Paroli. Kontra.

Siegfried: Ich hab keinen Alkohol getrunken und bin nicht zu schnell gefahren. Schnell gewiß, aber nicht zu schnell. Und wenn Sie meine Papiere sehen wollen, hier sind Sie..

erster: Du elender Maurer. Aber ich zeig dirs: Re!

der Zweite: Na, das kann ja was werden.

Dritter: Lass gut sein!

Polizist (der einen Blick in den Personalausweis geworfen hat): Ist alles umsonst. Sie steigen aus. Es ist ein Befehl.

Siegfried: Muß hier jeder aussteigen?

Polizist: Sie sehen es doch. Hier kommt keiner durch.

Siegfried: Auch nicht, wenn er einen wichtigen Termin hat?

Polizist: Es gibt keinen wichtigeren Termin, als hier auszusteigen.

Siegfried: Dann aber haften Sie mir dafür, wenn mir wegen meiner Nichtanwesenheit Kosten entstehen.

Polizist: Reden Sie nicht so viel. Steigen Sie endlich aus.

Siegfried: Ich habe einen Termin bei Gericht.

Polizist: Um so wichtiger ist es, dass Sie aussteigen.

Siegfried: Dann bin ich in zwei Minuten wieder im Auto?

Polizist: Hier ist das Gericht.

Siegfried: Das wäre mir doch das neueste. Hier soll das Amtsgericht sein? Was ich hier sehe, das ist das alte Martinstor.

Polizist: Und warum soll das Amtsgericht nicht auch Verhandlungssäle im Stadtor haben? Früher gab es hier im Keller auch ein Gefängnis, das wir ab heute wiedereröffnet haben..

Siegfried: Wenn es hier einen Verhandlungssaal für Erbschaftsangelegenheiten gibt, dann..

Polizist: Was dann?

Siegfried: Auch für Erbschaftsangelegenheiten unter Geschwistern?

Polizist: Meist sind es Geschwister, die ein Erbe erhalten und die dann zu streiten beginnen. Das Testament Ihres Vaters liegt doch bereits über 20 Jahre zurück.

Siegfried: Woher wisen Sie das?

Polizist: Was sehen Sie dort droben? Über dem Tor?

Siegfried: Wo denn?

Polizist: Unterhalb des Fensters. Unterhalb des Renaissancefensters. Sehen Sie nicht eine Keule?

Siegfried: Was soll mir eine Keule, die über dem Stadttor hängt?

Polizist: Sie wissen nicht, was eine Keule bedeutet? Sind Sie nicht Lehrer für Sachunterricht?

Siegfried: Gewesen, bin längst pensioniert.

Polizist: Dann will ich es Ihnen sagen, auch wenn Sie das als gewesener Lehrer für den Sachunterricht an Grundschulen wissen sollten. Die Keule ist ein sichtbares Zeichen für die Gerichtsbarkeit.

Siegfried: Sie machen Witze.

Polizist: Ich mach keine Witze!

Siegfried: Wie heißen Sie und wie heißt Ihr Vorgesetzter? Damit ich mich dort über Sie beschweren kann.

Polizist: Ich bin die Wache beim Martinstor. Und mein Vorgesetzter ist der Oberbürgermeister Dr. Salomon. Eine Beschwerde wird Ihnen aber wenig einbringen. Allenfalls dass ich mich über Sie beschwere. Und dann wird man Ihnen Ihre Pensionsdiäten kürzen, weil Sie es einer öffentlichen Dienstperson gegenüber an Respekt haben fehlen lassen, zumal da Sie als gewesener Grund- und Sachunterrichtslehrer so elementare Dinge nicht wissen. Oder meinen Sie, das fällt der Landesregierung in Stuttgart schwer?

Siegfried: Das wäre ja noch schöner, wenn ich als Pensionär verpflichtet wäre, auch nur das kleine Einmaleins noch zu können.

Einer der Skatspieler: Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Trumph!

Ein anderer: Du hast klein Karo?

der vorige: Trumph hab ich gesagt.

2. Polizist (kommt herbei): Der wär eingelocht. Hat sich aber noch tüchtig gewehrt.

1. Polizist: Sieht denen ähnlich. Klauen noch das Gold aus den Gräbern und wähnen sich unschuldig.

Siegfried: Ein Grabräuber wurde hier eingelocht?

2. Polizist: Für die nächsten 10 Jahre!

Siegfried: Immerhin etwas!

2. Polizist: Im Standrechtverfahren, das wir Polizisten handhaben.

Siegfried: Man sollte alle Grabräuber einlochen. Schon beim geringsten Vergehen. Dann wüßte jeder, was ihn erwartet!

1. Polizist: Nur nicht überheblich werden!

Siegfried: Was das Prozessieren angeht, weiß ich Bescheid. Und hab zum Glück auch einen Rechtsschutz. Hier. Gültig bis 2010!

2. Polizist: Dann kann er ja prozessieren, bis ihm der Hals zu den Ohren herauswächst!

Siegfried: Wollen doch hoffen, dass sich die Investition lohnt.

2. Polizist: (bläst die Luft aus) O über diese Narren! Als ob man mit dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienstleben den Freischein hätte, die wichtigsten Kenntnisse zu vergessen!

Siegfried: Ich habe nichts vergessen.

1. Polizist: Auch nicht Ihre Mündigkeit?

Siegfried: Ich spreche nicht über meine Mündigkeit, sondern über das mir vorenthaltene Erbe.

2. Polizist: Wie kann er darüber Aussagen machen, wenn er nicht mehr weiß, wie man nachdenkt?

1. Polizist: Damit Sie aber den Ernst ihrer Lage erkennen, so wollen wir Ihnen auch sagen, dass man die Keule als Zeichen für die Gerichtsbarkeit auch an vielen anderen Orten findet, wie etwa in Wien, in Müncheberg, in Stargard, Sorau, in Treuenbrietzen und in Krossen.

Siegfried: In Treuenbrietzen gewiß nicht.

1. Polizist: Was soll denn das schon wieder heißen?

Siegfried: Es gibt ja gar kein Treuenbrietzen.

1. Polizist: Und warum nicht, mein Herr?

Siegfried: Weil es einen Ort solchen Namens nur im Volkslied gibt.

1. Polizist: O sancta simplicitas! Sie meinen, wenn ein Name im Volkslied gebraucht wird, dann ist er verbraucht und steht keinem weiteren echten Ort mehr zur Verfügung?

2. Polizist: Doch wir wollen Ihnen sagen, was zu wissen für Sie von Bedeutung sein dürfte, auch wenn Sie, wie Ihre Zwischenbemerkungen zeigen, keine Hilfeleistung verdienen. Was das Beil angeht, so ist es das Symbol des Gerichts. Es steht in der Tradition der römischen Liktoren, die im alten Rom für Recht und Ordnung sorgten. Doch leider verkümmerte über die Jahrhunderte hinweg dieses Wissen, so dass es so weit kam, dass man die ehemals so geläufigen Symbole an den Türmen und Toren der Stadt nicht mehr zu lesen verstand. Statt eines Beiles nahm der unwissende Pöbel nur noch einen Schinken wahr, einen Pachen. Das aber ist wiederum höchst bemerkenswert. Denken Sie doch nur selber nach! Wie aus einem Beil ein Schinken werden kann? Nun, die Antwort ist ganz einfach. Kinderleicht. Schon ein Grundschüler könnte sie erraten. Aus einem Beil wird ein Schinken, sobald das Gericht käuflich wird. Wenn man das Recht zu beugen und den Ausgang der Gerichtshandlung zu erkaufen vermag, wird das Beil fast notwendig zum Schinken.

Siegfried: Was muß man tun, um das Gericht zu erkaufen?

1. Polizist: Aber er hört uns ja gar nicht zu!

Siegfried: Für meinen Prozeß tu ich alles. Doch was ist denn das da?

(man sieht, wie die Geschwister Siegfrieds, Gerhard, Elisabeth und Hildegard die Leiter hinaufsteigen und durchs Fenster in den Gerichtssaal treten und dort verschwinden. Dann kommen Rechtsanwälte. Dabei hört man die Skatspieler).

3. Skatspieler: Auf ein Neues!

2. Skatspieler: Wer gibt?

1.: Wer? Der Gschwender Bär

2. : Ich frag ja nur!

1.: Semper saudumm quaerens.

3.: Also, meine Herrschaften: reizen wir. 18, 20, 2, 0, 4

Siegfried: Zum Teufel auch. Meine Geschwister! Alle, ohne eine Ausnahme!

Richter: (Zum Schluß kommt der Richter. Ehe er die Leiter hochsteigt, bemerkt er Siegfried.) Mein Herr?

Siegfried: Mit wem hab ich die Ehre?

Richter: Sind Sie nicht Herr Siegfried, der Kläger?

Siegfried: Der bin ich. Und Sie?

Richter: Ich bin der Richter Pilat, der in ihrem Fall zu entscheiden hat.

Siegfried: Pilat? So heißt doch der Pfarrer von hier.

1. Polizist: Haben wir Ihnen nicht vorhin gesagt, dass ein Name auch zwei verschiedenen Individuen zukommen kann? Oder heißt Ihr Bruder nicht auch Herr Siegfried?

Siegfried: (für sich) Ich gäb was drum, er hieße anders. (laut zum Richter) Und Sie steigen meinen Geschwistern nach?

Richter: Eigentlich sind Sie es, der den Geschwistern nachsteigt. Und nur, weil Sie Ihnen nachsteigen, bin nun auch ich gezwungen, Ihnen nachzusteigen.

Siegfried: (für sich) Hanswurst und Pantalon in einer Figur.

Richter: Und wenn Sie es noch detaillierter hören wollen, so sag ich Ihnen, dass es seit alters Sitte ist, dass die Großen sich um die großen Ämter bemühen, die Kleinen aber um die kleinen. Die Großen sitzen zu Gericht, die Kleinen aber rennen zum Gericht, um sich die Schädel einzuschlagen. Die Großen begnügen sich mit Abfindungssummen, die Kleinen bekämpfen sich mit den Beißzangen der Anwälte.

Siegfried: (für sich) Der Richter, im runden Bauche mit Kapaunen gestopft, mit strengem Blick und regelrechtem Bart, voll abgedroschener Beispiele weiser Sprüche...

1. Polizist: Was feixt er da?

Siegfried: Ich wollte nur sagen: wenn es nach mir ginge, wär ich auch ein Großer. Aber leider hab ich zu Haus meine richtige Krawatte vergessen.

2. Polizist: Er feixt und grunzt noch immer?

Siegfried: Ich wollte nur sagen, dass mir meine Geschwister leider keine Abfindungssumme angeboten haben. Dabei hat meine Frau tausendmal versucht, sie auf diesen Weg zu bringen! - Könnten Sie immerhin so freundlich sein und mir einen ordentlichen Weg ins Gericht zeigen?

Richter: O mein Herr, ins Gericht gibt es keinen ordentlicheren Weg. Wenn alles seinen ordentlichen Gang nähme, dann bedürfte es überhaupt keines Gerichts. Meine Herren, haben Sie ihm das nicht schon gesagt?

1. Polizist (eine Geste, Bestechungsgelder zu kassieren, andeutend): Von nichts anderem reden wir die ganze Zeit. Nur leider ist der Herr sehr schwer von Kape.

Siegfried: Aber es gibt doch Türen?

Richter: Ihre Klage betrifft das Testament Ihres Vaters. Da selbiger als Angeklagter nicht zur Türe herein kann, er ist nämlich tot, müssen Sie sich bequemen, den Weg durchs Fenster zu nehmen.

Siegfried: Sie machen wohl Witze?

Richter (zornig): Ja meinen Sie, mir macht das Spaß, mich hierherauf zu schleppen?

1. Skatspieler: 40, 60... 80!

2. Skatspieler: Da muß ich passen

1. Skatspieler: Und du?

3. Skatspieler: Ich auch

2. Skatspieler: Der hat sicher eine ganz dicke Oma. Nicht wie unsereins aus jeden Dorf einen alten Hund. Ein Grand vermutlich? Drei gespielt vier mal 20 sind 80.

1. Skatspieler: Grand!

2. Skatspieler: Was hab ich nicht gesagt?

1. Skatspieler: Und ich komm auch heraus. Herz Bub! - Meine Herren, Buben sind Trumph! Sie haben zu bekennen!

2. Skatspieler: Ist uns immerhin ein Stich sicher.

2. Polizist: Er scheint noch immer nicht zu begreifen, was hier gespielt wird.

Siegfried: O doch! Ich begreife längst!

Richter (von oben): Hat er Ihnen schon Geld angeboten?

Siegfried: Ich? Denen Geld angeboten? Wo denken Sie hin? Ich bin gekommen, Geld abzuholen, nicht anzubieten!

Richter: (indem er durchs Fenster steigt) Dann sagt ihm, dass ich jetzt das Verfahren eröffne.

1. Polizist: Hat er gehört?

2. Polizist: Wenn er in seinem Prozeß noch etwas ausrichten will, tut Eile not.

1. Skatspieler: So, das wärs gleich. Mal sehn, ob auf den letzten Drücker noch was kommt?

2. Polizist: Und wenn er beim Schinken vorbeikommt, kann er ihn mitnehmen.

2. Polizist: Als Kläger hat er dazu das Recht. So will es die Gerichtsordnung seit alters.

Siegfried (für sich) Wenn das nicht eine Falle ist? Da steigt man dann hoch, nimmt den Schinken mit und wird drinnen als Dieb verurteilt.

1. Polizist: Was hat er denn noch immer?

Siegfried: Wenn wenigstens meine Frau da wäre!

1. Polizist: Haben Sie noch nie allein eine Entscheidung getroffen?

Siegfried: Ja sehen Sie, das ist bei uns eben so guter Brauch. Und etwas Gutes kann ja wohl nichts Schlechtes sein!

1. Polizist: Wenn Ihnen Ihre Frau immer sagen muß, was Sie tun sollen...

Siegfried: Warum soll das nichts Gutes sein? Oder hat sie mir jemals einen schlechten Rat gegeben?

2. Polizist: Selbst ist der Mann.

Siegfried: Das mag früher einmal gegolten haben.

1. Polizist: Ihre Geschwister sind da anderer Meinung.,.

Siegfried: Deshalb herrscht ja auch alles das Elend auf der Welt. Wenn niemand auf der Erde herrschen würde als meine Frau... Doch was heißt schon herrschen? Wenn alle Welt auf meine Frau hören würde, dann wärs um die liebe weite Welt um einiges besser bestellt. Da bin ich mir ganz sicher...

2. Polizist: Der Herr Pilat, Ihr Richter, ist kein Paragraphenreiter oder Paragraphenhengst. Aber wenn Sie es nicht schaffen, ihm noch schnell nachzusteigen, sehen wir für Ihren Fall ziemlich trüb.

Siegfried: Dass mich einer von der Leiter stößt? Hier wimmelt es von trüben Gesellen.

2. Polizist: Soll das auch ein Witz sein?

Siegfried: Das ist mir bitterer Ernst.

1. Polizist: Wir beide werden zusehen, dass ihn keiner von der Leiter stößt.

Siegfried: Ausserdem bin ich sorgfältig gekleidet. Das würde meine Frau nie erlauben, dass ich meinen schwarzen Gerichtsanzug beschmutze...

2. Polizist: Dann hat er seinen Prozeß schon verloren.

Siegfried: Geht das so schnell?

2. Polizist: Es gibt nichts, was schneller ginge, als einen Prozeß zu verlieren. Du bist noch nicht auf der Welt, da hast du ihn schon verloren.

Siegfried: Nun dann eben, in Gottes Namen.. (er steigt ein paar Sprossen hinauf; es wird jetzt sehr schnell stockdunkel) Aber passen Sie auch auf?

1. Polizist: Verlassen Sie sich darauf.

2. Polizist: Und was liest er da unter dem Schinken? Was steht da auf der Tafel?

Siegfried: Wie meinen Sie?

2. Polizist: Was will die Inschrift über Ihnen besagen?

Siegfried: Ich weiß nicht.

2. Polizist: Lesen Sie!

Siegfried: Ich hab meine Lesebrille nicht auf.

2. Polizist: Dann lesen Sie eben ohne Brille. Sie haben doch Augen im Kopf.

Siegfried: Ich glaube, mir wird schwindelig.

1. Polizist: Halten Sie durch!

Siegfried: Ich kann nicht mehr.

1. Polizist: Denken Sie an Ihren Prozeß.

Siegfried: Ich kann nicht mehr. Mein Gott! (Man hört ein Aufplumsen im Dunklen.)

1. und 2. Polizist: Ein aussichtsloser Fall!

3. Kapitel: Tiefe Nacht. Friedhof.

1. Abschnitt

Siegfried (kommt im Auto angefahren): Was war das? Hab ich wirklich meinen Prozeß verloren? Wiewohl mir höchst kurios zumut ist, so will mir fast scheinen, ich hätte ihn verloren. Jedenfalls hab ich den Prozeß allein und ohne meine Frau ausstehen müssen. Das war sicher ein ganz gemeiner Schachzug meiner Geschwister, mich erst waffenlos zum schlappen Schelm zu erniedern und dann zuzuschlagen! Selbst aber, wenn ich den Prozeß verloren haben sollte und wenn ich tausend Beweise hätte, dass ich ihn verloren habe, so kann es doch nicht sein, dass mich der Himmel im Stich läßt. Solange meine liebe Mutter noch im Himmel lebt, sag ich frank und frei, dass mir alles zum Guten ausschlägt. Oder hat man das schon erlebt, dass eine Mutter ihr liebstes Kind aufgegeben hätte? Und wenn es das auch gegeben hat, meine Mutter tut das nicht.

(während er zum Grab geht): Doch still. Da hat es geraschelt. Was war das? Schon wieder des Küsters Katze? Oder ists die Zunselmeier? Oder meine Schwester Hildegard? Gebs Gott, dass mir jetzt kein Weib zwischen die Füße kommt! Es muss einem ja nicht jedes Unglück blühen. Ich komm ja nur, der Mutter adieu zu sagen. Und dann noch wegen des Rosenbäumchens. Es ist einfach unerträglich, von dem Gedanken geplagt zu werden, die Geschwister könnten sich nun, nach ihrem gewonnenen Prozeß, erfrechen und mir auch noch das Bäumchen streitig machen. Dass eine Geschwisterbande sich zu einem solchen Sakrileg entschließen kann!

2. Abschnitt

Zunselmeier: (geht plötzlich neben ihm) Herr Siegfried!

Siegfried: Mein Gott!

Zunselmeier: Was haben Sie?

Siegfried: Wie Sie mich erschreckt haben.

Zunselmeier: Ich hab doch gesagt, dass ich da bin. - Haben Sie den Prozess gewonnen?

Siegfried: Hätten Sie mich nicht so erschreckt, dann hätt ich ihn vielleicht gewonnen.

Zunselmeier: Dann haben Sie den Prozess also nicht gewonnen? Kann das sein, dass Sie ihn wirklich nicht gewonnen haben? Dabei hab ich hier ohne Unterlass für Sie gebetet.

Siegfried: Vermutlich wärs besser gewesen, Sie hätten nicht für mich gebetet.

Zunselmeier: Mein Gott, Herr Siegfried. Das ist doch Blasphemie.

Siegfried: Was verstehen Sie von Blasphemie. Wenn einer Religionslehrer war, so wars ich. Deshalb sag ich Ihnen, dass, wenn eine verdammte Seele zum Himmel emporschreit, dass dann alles gerade anders in Erfüllung geht, als man will.

Zunselmeier: Dabei hatte ich mich schon so auf die 1000 Euro gefreut!

Siegfried: Ich auch!

Zunselmeier: Dann werd ich das nächste Mal eben um Ihre Niederlage bitten.

Siegfried: Aber das war doch zu erwarten.

Zunselmeier: Wie meinen Sie das?

Siegfried: Hätt ich sonst den Prozeß angestrengt, als um endlich den Beweis zu führen, dass es auf der Welt nichts gibt als Gemeinheit und Schlechtigkeit und Undank und Unrecht?

Zunselmeier: So haben Sie aber zuerst nicht gesprochen. Da waren Sie totsicher, den Prozeß zu gewinnen. Einmal sagten Sie sogar, die Geschwister seien selber schuld. Wenn sie kooperativer gewesen wären, wäre es überhaupt nie zu dem Prozeß gekommen.

Siegfried: Mögen sich die Reichen und Gottlosen die Taschen aufschneiden und sich die Millionen klauen! Aber dass einem die eigenen Brüder und Schwestern, ja dass einem auch noch die letzten Freunde das Leben schwer machen, dass sie sich von einem abwenden in der Stunde der Entscheidung und Bewährung, das ist es, was einem so weh tut.

Zunselmeier: Niemals habe ich so auf den Ausgang eines Prozesses gehofft.

Siegfried: Im Himmel gibt es noch Gerechtigkeit, das weiß ich ganz gewiß, Frau Zunselmeier. Und auch Sie werden einmal Zeuge sein, dass es dort noch eine Gerechtigkeit gibt. Eine Sünde, eine Gerechtigkeit und ein Gericht, gibt es dort, Frau Zunselmeier. Ich als Religionslehrer für katholische Religion weiß das.

Zunselmeier: Nur dass mir das für jetzt nichts nützt. Die 1000 Euro, die ich schon so sicher als die meinigen ansah, kann ich jetzt nicht anders erachten, als hätte sie mir jemand geklaut.

Siegfried: Das sind meine Geschwister. Die haben sie Ihnen geklaut. Hinten, am Ende der Steinhalde wohnen sie. Im elterlichen Haus. Aber ich geh dort nicht mehr hin, nie mehr, Frau Zunselmeier.

Zunselmeier: Und jetzt?

Siegfried: Jetzt hol ich noch rasch das Rosenbäumchen aus der Erde. Damit sie es mir nicht auch noch klauen. (er beginnt zu graben)

Zunselmeier: Warten Sie, Herr Siegfried!

Siegfried: Was gibt es noch zu warten?

Zunselmeier: O Herr Siegfried, jetzt soll es Sie nämlich nicht gereuen, mich als Freundin zu haben. Denn eben jetzt, wo Ihnen alles daneben gegangen zu sein scheint, ja wo selbst der Himmel mit seiner Macht am Ende ist, weiß ich noch ein Zaubermittel, das noch nie versagt hat. Genauer gesagt handelt es sich um einen Zauberspruch, mit dem ich selbst den Mächtigsten unter dem Himmel um Beistand zu zwingen vermag. Eigentlich darf ichs nicht weitersagen. Aber bei Ihnen, Herr Siegfried, da Sie mir so lieb sind, will ich eine Ausnahme machen. Ich muß nämlich nur "Perlicka" sagen und dabei von den Kreuzen weg und zu Boden schauen: dann ist er da. Und wenn ich ihm dann meinen Wunsch genannt habe und "Perlacka" sage, geht er weg und führt ihn aus.

Siegfried: Sagen Sie, was Sie wollen. Doch hindern Sie mich nicht daran, meine Sache zu Ende zu führen!

Zunselmeier: Ich hätte nicht gedacht, dass ich Perlen vor die Säue werfe.

Siegfried: Das geht ja gar nicht heraus! Hat sich das so rasch und fest ins Erdreich gefressen?

Zunselmeier: (indem sie das ewige Licht anzündet) Herr Siegfried. Warten Sie. Wir zünden das Totenflämmchen an. Damit wir wenigstens ein bißchen was sehen. Aber was ist denn das?

Siegfried: Was denn?

Zunselmeier: Ja sehen Sie es denn nicht, wie groß der Rosenbaum geworden ist?

Siegfried: Ich glaub auch, dass er riesig geworden ist.

Zunselmeier: Herr Siegfried? Es schneit Blüten von ihrem Rosenbaum herab!

Siegfried: Blüten?

Zunselmeier: Ja gewiß. Perlickablüten! Sehen Sie doch hin! Geldbeutel in Form von kleinen herzigen Lederhöschen!

Siegfried: Geldbeutelblüten? (hebt einen auf und schaut hinein) Tatsächlich. Das heißt, das sind keine Geldbeutelblüten. Das sind die Früchte meiner Frömmigkeit.

Zunselmeier: Darf ich mal nachsehen, was drin ist?

Siegfried: Müssen wir das wissen?

Zunselmeier: Aber Herr Siegfried. Welcher halbwegs mit Vernunft begabte Mensch wird sich nicht für den Inhalt interessieren, wenn er Geldbeutel geschenkt bekommt?

Siegfried: Es ist sehr dunkel hier. Man kann sich leicht irren.

Zunselmeier: Geben Sie mir den Beutel. Ich irr mich nicht.

Siegfried: Hände weg! Bestenfalls muß ich das wissen, aber nicht Sie!

Zunselmeier: Aber Herr Siegfried! Bin ich nicht Ihre Freundin? Oder hört beim Geld wirklich jede Freundschaft auf? Und das hört noch immer nicht auf. Das schneit und schneit. Als wärs der ärgste Winter. Ich weiß gar nicht, woher alle die Geldbeutel kommen.

Siegfried: Woher wollen Sie wissen, dass in jedem Geldbeutel Geld ist?

Zunselmeier: Jedes Kind kann das leicht in Erfahrung bringen. Lassen Sie nur mal mich machen!

Siegfried: Hände weg, hab ich gesagt!

Zunselmeier: Wissen Sie, wie viel Blüten das Bäumchen gehabt hat? Dann könnte man den Ertrag schon mal überschlagen! Das schneit und schneit...

Siegfried: Das schneit nicht, und das ist auch kein Schnee, Frau Zunselmeier.

Zunselmeier: Man könnte auch an einen Maikäferschwarm denken. Nur dass man durch diesen Geldbeutelschwarm nicht belästigt wird. Wundervolle Tatsache aber ist und bleibt, dass Sie wie das Aschenputtel beschenkt werden. Nicht wahr?

Siegfried: Denken Sie, was Sie wollen.

Zunselmeier: Aschenputtel ist zwar nur ein Märchen. Was aber hier geschieht, das ist heilige Wirklichkeit. Ein Wunder, um die gottlosen Geschwister ewig ins Unrecht zu setzen. Hab ich nicht Recht?

Siegfried: Was wissen wir vom Recht? Das irdische Recht schreibt auf geraden Zeilen krumm und das göttliche Recht mitunter auf krummen Zeilen gerade.

Zunselmeier: Aber Sie sind doch auch nicht mißvergnügt darüber, auch wenn Sie vielleicht lieber von den Früchten Ihrer Frömmigkeit sprechen. Ansonsten erbiet ich mich gerne, Ihnen das gesamte Gelände so zu säubern, dass man auch keinen einzigen Geldbeutel mehr sehen und auffinden soll.

Siegfried: Hände weg, hab ich gesagt.

Zunselmeier: Ich hab ja noch keinen einzigen Geldbeutel angerührt.

Siegfried: Wenn Sie alles haarklein und ganz genau wissen wollen, so sag ich Ihnen, dass das alles mit mir und meiner Mutter zusammenhängt. Stets, solange sie noch am Leben war, hat sie mir, wenn ich sie besuchte, das war am Donnerstag, wenn mein Bruder nicht zu Haus war, einen Hunderteuroschein in die Hand gedrückt.

Zunselmeier: Das war ihr eine liebe Gewohnheit, nicht wahr, von der sie auch jetzt noch immer nicht ablassen kann.

Siegfried: (einen Schein betrachtend) Ich war der liebste Sohn meiner Mutter.

Zunselmeier: Aber das da, das ist ein Regenbogenschein, ein Tausender. Das ist bemerkenswert.

Siegfried: Ich habe meine Mutter so sehr geliebt, dass sie jetzt ihr einsam gewordenes Kind beschenkt.

Zunselmeier: Wie seinerzeit das Aschenputtel? Ah, Herr Siegfried, das machen Sie mir nicht weis. Geben Sie nur zu, dass Sie einen Diensdaumen bei sich tragen.

Siegfried: (indem er wieder in einen Geldbeutel schaut, leise für sich) Wie es scheint, schlummert in jedem ein Tausender.

Zunselmeier: Und was ist da drin? Auch 1000 Euro?

Siegfried: Das ist der Lohn der Sohnesliebe.

Zunselmeier: Also auch 1000 Euro.

Siegfried: Müssen Sie denn alles wissen?

Zunselmeier: Da krieg ich doch auch einen.

Siegfried: Warten wirs ab. Zuerst müssen wir das Gericht und die horrenten Kosten für die Anwälte bezahlen. Wahrscheinlich ist das der eigentliche Grund für den Eurosegen.

Zunselmeier: Das hier ist viel mehr als was jedes Gericht mitsamt den raffigsten Anwaltsgebühren betragen mag.

Siegfried: Woher wollen Sie das wissen?

Zunselmeier: Gesetzt, dass da inzwischen tausend Beutel herabgegangen sind. So viele sind es mindestens schon. Denn sehen Sie: ein Beutel etwa auf 100 qcm, das macht bei 100.000 qcm, und das sind 10 qm exakt, 1000 Beutel. Und in jedem wären 1000 Euro. Das macht dann, sage und schreibe, eine Million Euro. Wenn es aber so weiterschneit, kann man durchaus mit einigem mehr rechnen. Herr Siegfried! Nehmen wir nun das eine Prozent, das Sie mir verspochen haben..

Siegfried: Wann hätte ich was versprochen?

Zunselmeier: Als Sie heute morgen von hier weggingen.

Siegfried: Da hätt ich Ihnen ein Prozent von dem Geld hier versprochen?

Zunselmeier: Beim Sakrament des Altars, jawohl.

Siegfried: Sie scherzen.

Zunselmeier: Ich scherze nicht.

Siegfried: Und ob Sie scherzen. Da wußte ich ja noch überhaupt nichts von dem Geld.

Zunselmeier: Da versprach ich Ihnen, einen Schluckzettel zu verschlucken, worauf Sie mir im Gegenzug ein Prozent des Gewinns versprachen. Nun hat sich der Gewinn zwar nicht vor Gericht eingestellt, wohl aber hier...

Siegfried: Erstens hab ich nichts versprochen, nie und nirgendwo, und zweitens hab ich eine kranke Tochter zu Hause.

Zunselmeier: O ich hab auch eine kranke Tochter zuhaus. Und einen kranken Ziehsohn dazu. Und noch eine alte Verwandte, die mir schon seit drei Jahren zur Last fällt.

Siegfried: Gemach, gemach

Zunselmeier: Und dann haben Sie zwei schöne Häuser, während ich mit den Meinen nur in elender Miete wohne.

Siegfried: Gemach hab ich gesagt. Hände weg.

Zunselmeier: Herr Siegfried! 1000 Euro in jedem Geldbeutel. Das macht bei 1000 Geldbeuteln eine Million Euro!

Siegfried: Mischen Sie sich nicht ein in meine Angelegenheiten.

Zunselmeier: Ich bin wirklich nicht die Person, alles immer an die große Glocke zu hängen. Indes, wie ich mich zu verhalten habe, das hängt in diesem Fall allein von Ihnen ab, Herr Siegfried!

Siegfried: Dann sag ich Ihnen: gehen Sie jetzt nach Haus und zwar auf dem kürzesten und schnellsten Weg!

Zunselmeier: Immerhin ist heute Nacht ein Wunder geschehen.

Siegfried: Das ist bestenfalls mein Wunder.

Zunselmeier: O nein, Herr Siegfried. Ein Wunder war noch nie für einen allein bestimmt. Und schon gar nicht war es geheim zu halten. Ein Wunder hatte immer eine Bedeutung für eine Gemeinschaft, meist aber für die ganze Welt.

Siegfried: Hören Sie auf, mir die Ohren vollzupredigen.

Zunselmeier: Mindestens zwei oder drei müssen an einem Wunder beteiligt sein. Sie z.B. und ich. Sie verstehen mich immer noch nicht?

Siegfried: Hören Sie auf!

Zunselmeier: Wo zwei oder drei in meinem Namen..

Siegfried: Hören Sie endlich auf.

Zunselmeier: Das sind die Worte unseres guten Heilands!

Siegfried: Man kann die Sätze nimmer ausstehen, wenn sie aus einem scheinheiligen Maul kommen.

Zunselmeier: Aber selbst, wenn wir uns die Sache ausschließlich vom öffentlich rechtlichen Gesichtspunkt aus ansehen, ist eine Geheimhaltung nicht zu dulden. Denken Sie doch. Das Geld, wenn es vom Himmel gedruckt und in Umlauf gebracht worden wäre! Das wäre Flaschgeld, Falschmünzerei, mit Gefängnis zu bestrafen.

Siegfried: Der Himmel läßt sich nicht bestrafen. Und er tut auch nichts Falsches.

Zunselmeier: Dann aber dürfen Sie es auch nicht an sich nehmen. Denn dann ist es Fremdgeld oder Geld für wohltätige Zwecke. Für arme, hungernde Kinder oder für Flüchtlinge.

Siegfried: Alles das ist bei mir der Fall. Das Geld liegt hier auf meinem Grab, d.h. auf dem Grab meiner lieben Mutter. Und es kommt vom Rosenbaum, den ich ihr geschenkt habe. Der Baum könnte auch Pech regnen, doch das tut er nicht. Woraus folgt, dass das Geld ausschließlich mir gehört.

Zunselmeier: Wenn das Geld nicht neu gemünzt worden und damit unlauteres Geld ist, so muß es sich zuvor anderswo befunden haben. Zum Beispiel im Tresor der deutschen Bank. Aber selbst wenn das Geld als Teufelsgeld in Liechtenstein deponiert gewesen wäre, dürften Sie das Geld nicht anlangen.

Siegfried: Wenn nur Sie nie Teufelsgeld angefasst haben!

Zunselmeier: Am besten wird sein, Sie gehen zum Pfarrhaus und sagen es dem Pfarrer. Der mag dann kommen und unser Wunder zu Protokoll nehmen.

Siegfried: Unser Wunder? - Und Sie?

Zunselmeier: Ich bewach solang das Gelände, damit niemand...

Siegfried: Das ist keine gute Lösung.

Zunselmeier: Wenn ich nicht hier gewesen wäre, wär das überhaupt nie passiert.

Siegfried: Gehen doch Sie zum Pfarrer! Dann werden Sie sehen, der Geldregen hört nicht auf, auch nicht, wenn Sie weg sind. Ja gehen Sie endlich. Ich verlange danach. Ich brauche den Beweis.

Zunselmeier: Das würde Ihnen so passen.

Siegfried: Ja das passt mir.

Zunselmeier: Und Sie meinen, wenn ich weg bin, sehe ich, was hier geschieht?

Siegfried: Ich werde Ihnen alles sagen, bis in die kleinste Einzelheit.

Zunselmeier: Mir scheint besser, wenn Sie gehen. Ich garantiere Ihnen, der Geldsegen wird nicht aufhören, weil nämlich das Geld niemals Ihnen gehört, wiewohl ich unter gewissen Umständen willens wäre..

Siegfried: Was soll denn das nun schon wieder heißen? Sind Sie es gewesen, die das Bäumchen gepflanzt hat oder ich?

Zunselmeier: Ich war die erste, die aus der Kirche kam. Das können mir alle die anderen Frauen bezeugen wie auch unser guter Pfarrer Pilat. Und dann hab ich Perlicka gesagt.

Siegfried: Das will alles überhaupt nichts bedeuten.

Zunselmeier: Ja dann gehen Sie doch und fragen Sie den Herrn Pfarrer!

Siegfried: Der wird bestätigen, dass ich das Bäumchen als Geldbeutelbäumchen gepflanzt habe und zwar ohne alle menschliche Mithilfe.

Zunselmeier: O ein fauler Trick, Herr Siegfried. Damit können Sie ihre Schulkinder leimen, aber nicht mich.

Siegfried: Das ist ein Wunder. Holen Sie den Herrn Pfarrer!

Zunselmeier: Es ist Ihr Wunder. Drum holen Sie ihn!

Siegfried: Gehen Sie!

Zunselmeier: Und was krieg ich, wenn ich gehe?

Siegfried: Vielleicht einen der Geldbeutel.

Zunselmeier: Nur einen, wo sie hier herumfahren wie Vogelmist?

Siegfried: Meinetwegen zwei.

Zunselmeier: Mindestens drei.

Siegfried: Also dann drei.

Zunselmeier: Drei, wobei in jedem mindestens 1000 Euro sind. (will sie sich nehmen)

Siegfried: Halt, halt. Erst wenn Sie mir versprochen haben, kein Wort über die Sache weiterzusagen, auch nicht dem Herrn Pfarrer. Und dann muß gewiß sein, dass in jedem Beutel 1000 Euro sind. Es könnte ja manch ein Beutel leer sein.

Zunselmeier: Das hieße doch, Gott treibt mit dem Menschen Spott.

Siegfried: Was wissen wir über die Wege Gottes.

Zunselmeier: Dann möcht ich aber das Doppelte, also sechs Beutel.

Siegfried: Ist das nicht Erpressung?

Zunselmeier: Sie müssen ja nicht drauf eingehen. Sie können auch nach Haus gehen oder zum Fundbüro oder weiß der Teufel wohin..

Siegfried: Ich kann aber auch hier bleiben, ich kann hier bleiben, bis Sie der Schlag trifft. Haben Sie mich gehört, liebe Frau Zunselmeier, bis Sie der Schlag trifft. Und der trifft Sie. Geben Sie nur acht. Gleich ist Mitternacht. Dann kommt der Teufel mit der Keule vom Keulentor. Ein Hieb genügt ihm und Sie sind erledigt für immer.

Zunselmeier: Weiche Satanas. Perlacka!

Siegfried: Perlacka!

4. Kapitel: Nacht

Siegfried: Perlacka hab ich gesagt und die Zunselmeier war weg. Oder ist sie etwa noch nicht weg? Frau Zunselmeier? Frau Zunselmeier, hören Sie mich noch? Können Sie mich noch hören? Sie scheint weg zu sein. Ich hoffe, dass sie der Leibhaftige abgeholt hat! Jedenfalls ist sie weg. Niemand, so scheints, ist mehr hier, weit und breit. Also, auf jetzt! Sammeln wir die Geldbeutel ein! 1000 mal 1000 macht eine Million. Und wenn ich bis zum Morgen vom Grab zum Auto und wieder zurück gehe. Doch wie kann ich von hier weggehen und die Geldbeutel solange allein lassen? Das geht nicht. Selbst wenn die Zunselmeier weggegangen sein sollte, kann sie noch irgendwo im Gebüsch stecken und darauf warten, dass ich gehe. Ich bleibe also am besten noch hier bei meinem Geld. (er sammelt die Beutel zusammen). Der Sachverhalt liegt klar auf der Hand. Nämlich dass alle die Geldbeutel mir und nur mir gehören, d.h. unter anderem, dass keiner der Geschwister ein Anrecht darauf hat. Sie, meine Damen und Herren, die Sie ganz genau zugeschaut und acht geben haben, Sie werde ich zusammen mit Frau Zunselmeier in den Zeugenstand bitten, wenn ich morgen Klage erhebe gegen meine Geschwister. Und wenn ich in Revision gehen muß, weil es in unserem Land noch immer bornierte und betonierte Richterschädel gibt, ja wenn selbst die ganze Welt darüber in Flammen aufgehen müßte mitsamt dem Himmel und dem lieben Gott und allem ewigen Leben, ich werde nicht ablassen, mir mein Recht zu verschaffen und sei es auch, dass ichs erzwinge!

Immerhin ist es bemerkenswert, dass seit dem Weggang der Frau Zunselmeier kein Geldbeutel mehr vom Rosenbaum herabgeschneit ist. Doch das wird ein Zufall sein. Eine Koinzidenz von Tatsachen, die absolut nichts miteinander zu tun haben. Wie aber solls nun weitergehen? Was soll ich, was darf ich und was kann ich tun? Wenn ich nur nicht so unverschämt müd wäre!

Pfarrer (Man sieht ihn bereits mit Weggang der Zunselmeier, wie er mit einer Laterne aus der Kirche kommt und auf Herrn Siegfried zugeht): Was machen denn Sie noch hier, Herr Siegfried, so mutterseelenallein, mitten in der Nacht?

Siegfried: Ich bin nicht allein, Herr Pfarrer. Meine liebe Mutter ist da und wacht über mir.

Pfarrer: Und ihr lieber Vater?

Siegfried: Der schläft. Das war schon immer so. Wenn er nach Haus kam, war er stets hundemüde. Er mußte sich nur ins Bett legen und weg war er. - Herr Pfarrer!

Pfarrer: Was ist? Was haben Sie?

Siegfried: Da lag doch eben noch Geld, als Sie kamen. Ich hatte es hier um mich versammelt. Prozeßgeld. Sie wissen doch, ein Prozeß ist teuer. Kann es sein, dass die Erde vom Eigentum der Lebenden etwas verschluckt?

Pfarrer: Wie meinen Sie?

Siegfried: Kann es sein, dass der Himmel einem gibt und dann wieder nimmt, was er einem gegeben hat?

Pfarrer: Selbstverständlich. Denken Sie doch nur an Ihre Eltern.

Siegfried: Nein, das meine ich nicht.

Pfarrer: Auch die Rotte um Abiram und Datan war in einem Augenblick von der Erde verschluckt.

Siegfried: Wenn man etwas vom Himmel geschenkt bekommt und dann, fast im selben Augenblick, ist es schon wieder weg?

Pfarrer: Der Himmel vermag alles. Er kann einen auch prüfen.

Siegfried: Auch wenn man einen Tausendeuroschein in der Hand gehalten hat?

Pfarrer: Am besten ist Geld immer aufgehoben, wenn man es der Kirche spendet.

Siegfried: (für sich) Ich bin sicher, hätt ich ihn nur in der Hand behalten, dann hätt ich jetzt wenigstens den noch. Aber es hat keinen Sinn, dass ich mich mit Hochwürden weiter über Geld unterhalte. Wer weiß, am Schluß find ich meine Geldbeutelchen in der Kirche, in einem der Riesenopferstöcke? Oder bei Hochwürden zuhause? Selbstverständlich werde ich das Umfeld des Herrn Pfarrer Pilat observieren lassen. Wenn es sein muß, schreck ich auch nicht vor einem gerichtlichen Fahndungs- und Hausdurchsuchungsbefehl zurück. - (laut) Doch da! Sehen Sie nur! Eine behaarte Hand kommt aus der Erde herauf. Sieht aus wie ein Pfote!

Zunselmeier: (aus der Ferne rufend) Wenn nur nicht der Daumen fehlt!

Pfarrer: Das ist die Hand Ihres Vaters.

Siegfried: Kann ich mir nicht vorstellen.

Pfarrer: Er sucht nach etwas.

Siegfried: Was soll er suchen?

Pfarrer: Es wird sich zeigen.

Siegfried: Vielleicht nach dem ewigen Licht. Das darf er doch wohl nicht ausdrücken? Oder?

Pfarrer: Wenn das Licht ein ewiges Licht ist, drückt er es nicht aus.

Siegfried: Auf jeden Fall hat man seinen Sarg nicht ordentlich vernagelt. Sonst käme keine Pfote durch den Boden.

Pfarrer: Es wird Zeit, dass Sie nach Haus gehen und sich zu Bett begeben, Herr Siegfried, damit Ihnen nicht noch die Toten nachschleichen!

Siegfried: Wenn mir schon das Geld flöten gegangen ist, so möcht ich wenigstens noch sehen, ob er es schafft, das Licht auszudrücken?

Pfarrer: Bitterböse Neugierde!

Siegfried: Ich hab nichts mehr zu verlieren.

Pfarrer: Das Prozessieren gegen Ihre Geschwister hat Ihnen nicht gut getan, Herr Siegfried. Und wie Sie sehen, hat es auch Ihren Herrn Vater um seinen himmlischen Schlaf gebracht. Die Toten haben es nämlich nicht gern, wenn man das Testament korrigiert.

Siegfried: Und wenn er wegen des so schrecklich fehlerhaften Testaments verdammt ist?

Stimme des toten Vaters: Schweig endlich, du Erbschleicher! (dann drückt er das ewige Licht aus, so dass es stockdunkel ist)