{ Der Preisverweigerer }

Literatur von Martin Ganter

Personen

Narricki

Thomas Bernhard

Gottschalk

Merkel

Inhalt

1. Kapitel: Narricki in seinem Arbeitszimmer betrachtet den ihm verliehenen Fernsehpreis.

2. Kapitel: Wie Thomas Bernhard erscheint.

3. Kapitel: Wie Narricki zu lesen beginnt und die Merkel kommt, verändert sich der Raum zum Festsaal.

4. Kapitel: Wie Narricki den Festakt platzen läßt.

5. Kapitel: Wie Narricki von Gottschalk eingelullt den Babypreis des deutschen Volkes erhält und dann in die Wiege gelegt wird.

1. Kapitel: Narricki in seinem Arbeitszimmer betrachtet den ihm verliehenen Fernsehpreis.

Narricki: Schon wieder ein Preis! Vom deutschen Fernsehen. Nun also auch noch vom deutschen Fernsehen. Du guter Gott! Hört das denn niemals auf? Wie oft soll ich eigentlich noch auf dem Präsenierteller herumgereicht werden? Gewiß ich bin ein Arrivierter, einer, den jeder kennt, meinetwegen auch ein Geistestitan und in der Nachgoethezeit durchaus nicht der Kleinste, aber mein Gott, was soll ich mit all dem Preisgerümpel? Bin ich denn ein Papiersammler oder ein Altwarenhändler? - Gewiß, ich hab einen großen Bestseller geschrieben, ein Buch, das Maßstäbe gesetzt hat und das sich jedermanns Buch getrost an die Seite stellen läßt, mag es auch stammen, von wem es will. Aber selbst wenn man mir dafür den Nobelpreis, ja den Literaturpreis des 3. Jahrtausends überreicht hätte, ich weiß, wie groß ich bin. Ich brauch keine Preise mehr. Ja, ich bitte mir aus, mich von nun an mit keinem einzigen Preislein mehr zu belästigen. Ich weiß, dass man nur sich selber damit zu ehren trachtet. Sie geben vor, Verdienst zu bekränzen, dabei meinen sie nur sich. Sollen sie doch eine öffentliche Rumpelkammer errichten, in die sie von nun an die verweigerten Staats- und Nobelpreise tragen. Dann könnte sich der gelangweite Zeitgenosse des Sonntags dort drinnen amüsieren, bis es Abend würde.

Doch das ist ja längst noch nicht alles. Oder spüre ich nicht, je weiter die Zeit fortschreitet, dass ich mich getäuscht habe? Kitzelt es mich nicht in beiden Nasenlöchern, dass der große Wurf, das große Werk, der ganz große Geniestreich noch immer auf sich warten läßt? Doch nicht, weil ihn die Welt nicht längst durch mich erhalten hätte! Meine Damen und Herren! Ob Sie es zugeben oder nicht: Tatsache ist, dass mein Werk, so überaus geistreich und genial wie es ist, nichts anderes ist als eben dieser ewig ersehnte ganz große Geniestreich. Doch was kann ich dafür, ich Klaus Narricki, dass die Welt weltweit noch viel zu dumm ist, dumm und unerzogen und unkritisch, von barbarischem Geschmack, mit einem Wort, unfähig, eben dieses mein Genie zu erschmecken? Von eben dieser so gottlos dummen Welt aber soll ich mich prämieren lassen? Bin ich denn ein Mastochse auf dem bayrischen Fleischermarkt? Ja geht doch zum Christkind zu Oberammergau, setzt euch dort an die Krippe und sucht euch einen anderen Ochs oder Esel! So riefe ich ihnen am liebsten zu!

Wär ich nur so ein kleiner 0-8-15 Literat, so wollt ichs ja noch ertragen. Vielleicht, dass es mir Mut machte und mich in meiner Arbeit beflügelte. Für mich aber als bedeutender Literat des 3. Jahrtausends, ganz zu schweigen von meinem Format als Kritiker, ist so ein Preis nichts als ein Bleigewicht, angetan, mich im Ozean der Beliebigkeit versinken zu lassen. Oder wer bin ich denn? Bin ich nicht Narricki, der große Kritiker? Und muß es ein Kritiker von meinem Format nicht als Spott und Hohn empfinden, unentwegt bepriesen und überpriesen zu werden? Salz will unsereiner sein und wird mit Zucker und Milch überschüttet. Das heißt doch, dass man es darauf anlegt, mit uns seinen Spott zu treiben, wenn nicht gar, uns unschädlich zu machen. Wer immer es auch sein mag, ob bewußt oder auch aus reiner Dummheit, das gilt mir gleich. Tatsache ist und bleibt, dass es vornehmlich für mich als Kritiker immer unerträglicher und immer demütigender wird, diese ihre Preise entgegenzunehmen und wegzutragen. Oder sagen Sie selbt, meine Damen und Herren, sehen Sie mich nur ganz genau und gründlich an! Bin ich denn ein Callgirl mit einem silbernen Röckchen, dass ich den goldenen Bären oder Affen verdient habe? Sagen Sie nur selber: selbst wenn es keinen Menschen gäbe, der fähig wäre, auch nur ein Sätzchen zu schreiben und nur Analphabethen hierzuland lebten: so würden die Fernsehdirektoren und die Bundeskanzlerinnen dennoch so ähnlich wie zu Wagners Festspielhaus herbeipromenieren, um den Preis jemandem zu übergeben. Kann es da Kriterien geben für die Verleihung eines Preises? Und wenn nicht: muß sich dann ein Kritiker meines Zuschnitts nicht maßlos darüber erregen? Bedenk ich das alles und fass es zusammen: was folgt dann daraus? Was anderes, als dass ich mich nicht in der Lage sehe, den Preis entgegenzunehmen? Frägt sich jetzt nur noch, auf welches Weise wir dies die Öffentlichkeit wissen lassen. - Doch lasst uns zuerst noch sehen, was bei diesem Preis dabei steht! "Von den öffentlich rechtlichen Fernsehanstalten unter der Schirmfrauenschaft der Frau Bundeskanzlerin. Zur Verleihung am soundsovielten des Monats Soundso in der St. Sodelekirche zu Sodelehausen!" Das würde ihnen so passen, dass man sich auch noch als prämierten Ochsen für die Öffentlichkeit ausstellt! Doch halt! Da ist noch ein Postskript: Preisrede erwünscht! - Preisrede erwünscht? Ist das nicht der gesuchte Wink? Das ist es!

2. Kapitel: Wie Thomas Bernhard erscheint.

(Er kommt durch die Wand oder sonst auf eine spektakuläre Weise ins Zimmer.)

Stimme von Thomas Bernhard (während er sich ins Zimmer durcharbeitet): Das ist es!

Narricki: Was war das? Mein Echo oder eine eigenständige Stimme? - Hallo ist da jemand? - Mein Herr, was ist das?

Bernhard: Ist das das Zimmer von Herrn Rannicki?

Narricki: Narricki, wenn ich bitten darf!

Bernhard: Seit wann heißen Sie Narricki? Ich dachte, Sie heißen Rannicki.

Narricki: Was Sie denken oder gedacht haben ist mir egal. Wahrscheinlich sind Sie Martin Walser!

Bernhard: Fehlgeraten.

Narricki: Dann sonst einer der Aspiranten auf den Nobelpreis, die es mir übel nehmen, dass ich ihnen nicht die Baumleiter gehalten habe zur großen Preiseroberung. Doch da sollen Sie heute mal was anderes sehen.

Bernhard: Nun ja, Herr Rannicki, ich meine Herr Narriki. Narriki ist immerhin, abgesehen von kleineren semantischen Nuancen, ein Anagramm zu Ranicki. Steckt also in Rannicki mit drin, gleichsam seit der Geburt.

Narricki: Mein Herr. Ich erbitte mir Sorgfalt, zumal bei Namen. Wenn ich ein Buch zugeschickt bekomme, so lese ich den Namen des Autors sehr genau und lieber zwei- oder dreimal, ehe ich es zerreiße. Mit wem hab ich nun eigentlich die Ehre? Ich denke, man klopft erst an, ehe man eintritt.

Bernhard: Entschuldigen Sie, das war nur wegen diesem Buch da. Das klemmte in der Wand und wollte nicht durch.

Narricki: Sollten sie ein Mephist sein, und sei es auch nur ein aus dem nächsten Theater entsprungener Mephist, so muß ich Sie enttäuschen. Ich bin nicht der Dr. Faust. Und ich bin jetzt auch nicht in der Laune, einen Faust zu lesen.

Bernhard: Nur keine Angst. Ich bin nicht die Kraft von jener Kraft, die stets nur Jämmerlinge und nie was Rechtes schafft. Überhaupt, kennst du mich denn nicht mehr?

Narricki: Muß ich denn jeden kennen, der mir zufällig über den Weg läuft?

Bernhard: Ich bin der berühmte Thomas Bernhard aus Österreich.

Narricki: Und weiter?

Bernhard: Das genügt. Ich bin gekommen, dir zu helfen. Dazu aber habe ich dieses Buch da...

Narricki: Ich brauch keine Hilfe. Schon gar nicht von einem Toten. Oder ist der Thomas Bernhard nicht schon tot?

Bernhard: Der große Pan ist vielleicht tot. Aber der große Bernhard lebt.

Narricki: (für sich) Der große St. Bernhard lebt vielleicht weiter, weil man ihn untertunnelt hat.

Bernhard: In den Musestunden da drunten hab ich gedacht, lass dein Talent nicht vermodern.

Narricki: Ein großer Literat lässt sich niemals vermodern. Wo immer er ist: ob auf Erden, über der Erde oder unter der Erde: er ist nur dadurch, dass er ist! Kommter nicht aus Österreich? Gar noch aus Braunau?

Bernhard: Momentan komm ich aus Schwarzau, d.h. aus der Unterwelt.

Narricki: Aber er ist gebürtig aus dem Land, das der Welt neben dem großen Führer auch den Dichter von "Stille Nacht, heilige Nacht" geschenkt hat?

Bernhard: Schon mein Vater war neben seinem Nazitum ein großer Freund der Literatur. Hast du noch nie was von ihm gelesen?

Narricki: Ich habe schon viel gelesen, viel zu viel. Da unterscheid ich mich freilich von den anderen Literaten, die für gewöhnlich nur sich selber lesen.

Bernhard: Ich habe dein Seufzen gehört und bin gekommen, dir beizustehen.

Narricki: Mein Seufzen? Ich wüßte nicht, wann ich je geseufzt hätte. Ich sage dir, ich brauch deinen Beistand nicht.

Bernhard: Jeder Mensch braucht einen Beistand.

Narricki: Von dir?

Bernhard: Auch von mir.

Narricki: Du weißt ja noch nicht einmal, was ich vorhabe!

Bernhard: Willst du mir nicht höflicher begegen?

Narricki: Nimm Platz. Ein Glas Wein ist hier, falls du noch trinken darfst. Was mich indessen angeht, so bitt ich mir aus, wie brilliant deine Vorschläge auch sein mögen, zu tun, was mir beliebt.

Bernhard: Ich habe hier ein Buch, ein Manuskript.

Narricki: Das verfluchte Lesen macht einen ganz konfus. Jeder Idiot zwingt dich zum Lesen. Mein Bruder muß keine Zeile von mir lesen, weil er dazu keine Lust hat; ich aber bin verdammt dazu, von jedem Pennäler seinen Erstlingsfurz zu beschnuppern. Davon aber, dass einen schlechte Lektüre auf die Dauer infiziert, will ich gar nicht reden. Oder hast du jemals einen Deutschlehrer gesehen, der, wenn er nicht zufällig von Goethe was abschreibt, auch nur eine einzige Seite halbwegs ordentlich mit deutscher Sprache auszufüllen vermag? Das kommt vom Lesen der Pennäleraufsätze.

Bernhard: Mein Buch ist das Manuskript eines wundervollen Schauspiels.

Narricki: Was soll das?

Bernhard: Du weißt, dass ich zeit Lebens darauf gefasst war, den Nobelpreis entgegenzunehmen. Über ein Dutzend mal war ich bereits vorgeschlagen...

Narricki: Hab ichs doch gesagt, dass es darauf hinausläuft!

Bernhard: Auf überhaupt nichts läuft es hinaus. Das weiß jedes Kind, seit Herr Beckett seine Nichtmehrhinauslaufspiele schreibt.

Narricki: Jetzt nur kein Imponiergehabe mit dem modern gewordenen Winterschlußverkaufsgesabber! Das nimmt sich nicht gut aus neben mir. Sonst fällt mir noch mein Bruder ein, der bereits 80 Romane geschrieben haben will.

Bernhard: Es ist das Buch, in dem du dich abkonterfeit findest!

Narricki: Ich mich?

Bernhard: Jawohl. Du dich! Zusammen mit dem Unwort des Jahres.

Narricki: Aber du bist doch wohl nicht der heilige Geist.

Bernhard: Ein klein wenig bin ich schon auch der heiliger Geist.

Narricki: Nun, nun. Ein Totengeist bist du vielleicht. Oder wo sind wir denn?

Bernhard: Immerhin hast du dich mit meinem Gedankengut bekannt gemacht.

Narricki: Und was ist das für ein Gedankengut?

Bernhard: Das wirst du sehen, wenn du mein Buch aufschlägst. In meinen Gedanken spielte ich nämlich deinen Fall durch.

Narricki: Meinen Fall?

Bernhard: Hör zu! Wenn ich müde wurde vom Schreiben, und man wird schnell müde heutzutage, wo man für niemanden mehr schreiben kann: dann laborierte ich an diesem Projekt. Da stellte ich mir vor, wie die große weite Welt zusammenkäme und wie ich dann als auserkorener Nobelpreisträger der Sirene Öffentlichkeit eine schallende Ohrfeige verpasste. O, ein Theater wär das geworden, wie die Welt bis dahin noch keines gesehen hat. Eine Vollkomödie oder Halb- oder Viertelskomödie...

Narricki: Oder Narrenkomödie!

Bernhard: Stell dir nur vor, da sitzen sie alle in ihren Fracks und schauen dich an wie die marinierten Heringe, weil sie an nichts anderes denken, als dass du ihnen am liebsten um den Hals fielest, weil sie dir den begehrten Preis zugeschustert haben. Und dann kommst du zum Rednerpult, begrüßest alle Majestäten und Spektabilitäten, um dann mit den Worten fortzufahren: Und nun zu Ihnen, meine Herren Richter! Darf ich, eh ich zu meiner Apologie komme, Sie zuerst einmal daraufhin überprüfen, ob sie auch die geistige Reife besitzen? Dann müssten sie ein Gedicht von mir aufsagen. Da würden sie dann nicht schlecht aus der Wäsche schauen. Vermutlich müßte ich meine Bitte wiederholen. Aber das wär mir egal.

Narricki: Überhaupt habe ich noch nie ein Gedicht gemacht.

Bernhard: Dann machst du eben schnell noch eines.

Narrikci: Geht das so schnell?

Bernhard: Das geht schneller als wenn ein Hund an einen Baum pinkelt.

Narricki: Aber doch bei keinem Nobelpreis

Bernhard: O, ich kenne Nobelpreisträger...

Narricki: Ich meine, ich bekomme doch keinen Nobelpreis.

Bernhard: Ein Gedicht von mir aufzusagen, darauf würd ich bestehen, wozu sie natürlich nie und nimmer in der Lage wären.

Narricki: Hast du denn jemals ein Gedicht gemacht?

Bernhard: Ja meine Damen und Herren, gibt es das denn das?

Narricki: Redet er mit mir?

Bernhard: Sehen Sie sich nur diese Würstchenverkäufer an. Nichts als befrackte Nichtse! Und dann würde ich noch einmal auftreten und mein großes "je regrette" in den Saal hinausrufen.

Narricki: (beiseite) Und dann würde er abtreten, glorreich wie Napoleon und Karl der Große, als sie zusammen nach England schwammen zum König Artus.

Bernhard: Jawohl, dann würde ich abtreten. Aber statt des Shakespeareschen Gebrauses über einem Gepriesenen würde man nun ein Gebraus vernehmen, das der Preisverweigerer über den Preisevergebern anfacht. Dass Gott ihnen vergebe, wenn sie Preise vergeben!

Narricki: Nur schade, dass du nie den Nobelpreis bekommen hast. Vielleicht hätt ich dich doch fördern sollen.

Bernhard: Hätten die Hunde nicht in letzter Sekunde Lunte gerochen, die Bombe wäre geplatzt.

Narricki: Das glaubst du doch selber nicht.

Bernhard: Ja, hätte sonst die Jelinek, meine Schülerin und Ziehtochter, den Nobelpreis bekommen?

Narricki: Jelinek, der Männerschreck?

Bernhard: Sag, was du willst. Aber so kunstlos lachen wie die, das ist ausgewiesenermaßen eine ganz exquisite Kunst.

Narricki: Und dafür hat sie den Nobelpreis bekommen?

Bernhard: Vergiß auch nicht ihre geheime Vorliebe für den Terrorismus.

Narricki: Wie bei dir?

Bernhard: Vermutlich waren die gar nicht traurig, dass sie sich den Preis nicht abgeholt hat.

Narricki: Die wär sicher zusammen mit dem Andreas Bader und der Gudrun Enslin bis an die Zähne bewaffnet aufmarschiert?

Bernhard: Frag sie doch selber.

Narricki: Vielleicht wär der große Peynmann auch noch mitmarschiert.

Bernhard: Über die Jelinek lass ich nichts kommen, auch wenn ich ansonsten kein Liebhaber des weiblichen Geschlechtes bin.

Narricki: Und doch hat die den Nobelpreis bekommen, weil eben die Frauen an der Reihe waren. Wär Lili Marleen noch am Leben gewesen, hätte die den Preis bekommen.

Bernhard: Warum stellst du dich eigentlich so quer, du sturer Bock?

Narricki: Ich hab dir gesagt, dass ich keinen Nobelpreis erwarte. Bei mir handelt es sich nur um ein Preislein des deutschen Fernsehens.

Bernhard: Warts doch ab! Zuerst kommt der kleine deutsche Fernsehpreis, dann der schon etwas bessere Büchnerpreis, dann der große europäische Narrhallapreis und dann kommt der alles überwältigende Nobelpreis!

Narricki: Ich will aber keinen Nobelpreis!

Bernhard: Jeder fängt mal klein an. Aber wenn du nicht willst, dann schlag ich dich vor für den Babypreis des deutschen Volkes, du Kindskopf!

Narricki: Dann darf ich Sie bitten, mich jetzt in meiner Klause alleine zu lassen? ich habe noch zu tun.

Bernhard: Wenn du nicht willst, so lässt du es eben bleiben! Jeder ist seiner Narrheit Schmied, lieber Narricki! Doch vergiss nur nie, dass die poetische Erfindung einer Preisverweigerung mein Patent ist. Ich bins, der diese geniale Idee zur Welt gebracht hat. In diesem meinem Buch hab ich sie deponiert. Pfüdi! (er verschwindet im Fußboden)

3. Kapitel: Wie Narricki zu lesen beginnt und die Merkel kommt, verändert sich der Raum zum Festsaal.

Narricki: Weg ist er, spurlos weg, wie ein Gespenst oder des Teufels Pudel, eingeschnappt und verschwunden. Jedenfalls seh ich nichts mehr von ihm. Die Platte ist geputzt. Nicht einmal eine Spur seines Abtritts ist mehr zu sehen. Nur sein Buch hat er dagelassen. Doch was soll mir das Buch da? Ich hab was gegen Leute, die kommen, um mir ihre unsterblichen Werke zu hinterlassen. Zumal dieser Thomas Bernhard. Wie kann man nur Thomas Bernhard heißen? Da würd ich mich lieber Roland Lothar nennen oder Ilse Erika oder meinetwegen auch Kain und Abel. Behauptet doch glattweg, wenn ich eine poetische Erfindung gemacht habe, er hätte sie gemacht. Wenn ich eine poetische Erfindung gemacht habe, habe ich eine poetische Erfindung gemacht. Das ist ebenso logisch korrekt, wie es wahr ist bis ans Weltenende. Selbst mein Landsmann Tarski, der große Logiker weiß das. - Doch wart, dich krieg ich noch. O du elender Hochstapler und Lügner! Oder sagte er nicht, in seinem Buch hätte er meinen Fall durchgespielt? Meinen Fall! Bei mir gibt es überhaupt keinen Fall. Doch lassen wir das. Er behauptet also, in seinem Buch stünde meine Rolle? Aber wie, um Gottes Willen, wie will er wissen, was ich im nächsten Augenblick sage? Oder wissen Sie es, meine Damen und Herren? Sehen Sie, ich selber weiß das ja nicht. Und selbst der gescheite Kleist hat uns darüber belehrt, dass wir noch nicht einmal wissen, wie ein Satz endet, wenn wir ihn beginnen. Aber den großen Thomas Bernhard geht das alles nichts an. Der weiß alles!

Wollen doch mal sehen! Ein kurzer Blick schon wird genügen, ihn zu überführen! (er liest)

"Narricki: Schon wieder ein Preis! Vom deutschen Fernsehen. Ja, nun also auch noch vom deutschen Fernsehen. Du guter Gott! Hört das denn niemals auf? Was soll ich nur mit den vielen Preisen? Gewiß ich bin ein Arrivierter, einer, den jeder kennt, meinetwegen auch ein Geistestitan und in der Nachgoethezeit durchaus nicht der Kleinste in Israel, aber mein Gott, was soll ich mit all dem Gerümpel? Bin ich denn ein Papiersammler oder ein Altwarenhändler?" - Mag sein, dass ich das einmal gesagt habe, wiewohl ich mich an Israel nicht mehr erinnern kann. Doch was sagt man nicht alles, wenn der Tag lang ist? Und dann (Gemurmel des Lesens) Unerträglich der ewig lange Sermon, falls er auf dem Mist des Thomas Bernhard gewachsen sein sollte. Sähe ihm jedenfalls ähnlich. Kein Mensch macht ihm diese Erfindung streitig. Aber wir müssen ja nicht immer von vorn lesen! Das ist langweilig. Überschlagen wir die Gegenwart. Träumen wir ein wenig von der Zukunft, wie die Politiker. Buch der Zukunft lass uns sehen! Steht da wirklich etwas von mir? Immerhin steht da mein Name! Narricki. Orthografisch korrekt geschrieben. Und dazu noch ein Stück Text! Hier! "Du bist nicht mein Papi!" Das soll ich einmal sagen? Ja ist das nicht nett? Den Satz werd ich mir merken, auf dass er mir nie über meine Lippen kommt. Lass sehen! Wie heißt er mochmals? "Du bist nicht mein Papi!" Na klar. Das hätt ich eigentlich wissen müssen. Das ist ja so ein lächerlich einfacher Sätzchen, wie es nur ein Kinderschüler sagen kann. "Du bist nicht mein Papi!" - "So drücken wir uns halt ab und zu aus, wenn wir die Leute zu beschwichtigen suchen." Das sage jetzt nicht ich, d.h. ich sags zwar, aber nur, indem ich es hier ablese. Es handelt sich also wieder nur um einen Satz aus dem Text. Den hätte nun freilich nicht ich zu sagen, sondern ein gewisser Gottschalk. - Gottschalk? - Ich will nicht länger Narricki heißen, wenn sich in diesem Namen nicht das Wort Schalk verbirgt! Und mit diesem Gottschalk wär nun also ich im Dialog? Und zu dem sage ich... Was nur schon wieder? Ach ja:"Du bist nicht mein Papi!" Doch was hat das alles mit der Preisverleihung zu tun? (er liest weiter) "...Aber aber. Wer will sich auch wie zuhause fühlen. Mein kleiner Pickelhering!" - Pickelhering. Ich weiß ja gar nicht, was das ist? - "Ich bin nicht dein kleiner Pickelhering!" Genug. Das ist ausgemacht dummes Zeug, Senf, wie auf der Kanzlei des Pilatus geschrieben! Bestenfalls geeignet für eine Fernsehshow mit dem Herrn.. wie heißt er schon wieder? Mit dem Herrn... Gottschalk! Ja da erinnere ich mich allerdings wieder an einen Frisör von früher, als ich mir noch nicht selber die Haare geschnitten habe. Wenn da ein Kunde in den Salon eintrat, dann sagte der Friseur stets zur Begrüßung: Grüß Gott, Herr... Das Herr dehnte er so in die Länge, dass es des Nachnamens, den er freilich nicht kannte, überhaupt nicht mehr bedurfte.

Merkel: Mein Herr!

Narricki: Mein Gott.

Merkel: Wie?

Narricki: Jetzt dacht ich schon, der Frisör sei wieder da.

Merkel: Ich bin kein Frisör.

Narricki: Gewiß, gnädige Frau. Heute, wo uns die Frauen als Frisöre erscheinen, nennen wir einen weiblichen Frisör taktvoll eine Frisöse. Hab ich nicht recht?

Merkel: Ich bin die Bundeskanzlerin von Deutschland.

Narricki: (für sich) Ob mein toller Satz von den Frisösen wohl auch im Text steht? - Mein lieber Bernhard, das wäre die Nagelprobe, ob du wirklich der geniale Kopf bist, für den du dich ausgibst!

Merkel: Was haben Sie?

Narricki: Ich würde wirklich gern mal nachsehen

Merkel: Müssen Sie austreten?

Narricki: Nachsehen hab ich gesagt.

Merkel: Was gibt es nachzusehen? Wenn ich gesagt habe, er kriegt den Preis, dann kriegt er den Preis.

Narricki: Gewiß doch, und dennoch.. Wissen Sie von einem höheren Standpunkt aus betrachet...

Merkel: Es gibt keinen höheren Standpunkt...

Narricki: Gewiß, jeder meint, den höchsten Standpunkt einzunehmen. Selbst die Auslandsjournalisten wie ein Herr Scholl Latour, die sich gern für die Allergescheitesten und Informiertesten halten...

Merkel: Was interessiert mich ein Auslandsjournalist!

Narricki: Hier geht es freilich um einen gewissen Bernhard vom Schwarzwald

Merkel: Bernhard vom Schwarzwald?

Narricki: Ich meine von Schwarzau...

Merkel: Ich kenne keinen Bernhard vom Schwarzwald.

Narricki: (er schaut und liest) Mir vor allem verdankst du...

Merkel: Jawohl, mein Herr! Mir vor allem verdankst du diesen Preis des deutschen Fernsehens.

Narricki: (beiseite) Viele haben sich danach das Fäustchen geleckt?

Merkel: Viele haben sich danach das Fäustchen geleckt.

Narricki: (liest) Und Sie sind nun gespannt, gnädige Frau, was ich sagen werde bei der Preisverleihung und ob ich vielleicht ein Gedicht auf Sie gemacht habe?"

(ohne Text) Das ist doch allerhand. Infam. Wo er weiß, dass ich noch nie ein Gedicht gemacht habe, nicht einmal ein Gedichtchen, da soll ich jetzt eines auf die gnädige Frau gemacht habe? Nein, da weigere ich mich, weiter in den Text zu schauen. Da steht nichts drin als Verführung und Lüge. Da muß man ja aus der Rolle fallen, wenn man seine Rolle spielt!

Merkel: Mit einem Gedicht liegen Sie gar nicht ganz so fehl. Es handelt sich aber noch um etwas anderes.

Narricki: (liest) Auch das steht da.

Merkel: Was haben Sie denn?

Narricki: Sie sagen "Mit einem Gedicht liegen Sie gar nicht ganz so fehl. Es handelt sich aber noch um etwas anderes", worauf ich zu antworten hätte: "Als ob dieser Bernhard gewußt hätte, dass ich eben an dieser Stelle in seinen Text schaue." - Aber das ist doch verrückt, gnädige Frau. Oder etwa nicht? Wenn der Mensch sich frei wähnt und dann gibt er nichts als vorgefertigte Sätze von sich. Was Sätze! Phrasen und Sätzchen.

Merkel: Ich glaube...

Narricki: Ja, auch das steht wieder hier. Das war allerdings an der Stelle auch nicht so schwer zu erraten. Dieses "Ich glaube", das Sie immer so schön und zur rechten Zeit zum Ausdruck bringen, passt eigentlich überall. Doch eines soll er wissen, dieser Teufelsbernhard, dass ich weiß, dass er kein Gott ist und wenn er es sich auch tausendmal einbildet.

Merkel: Quod est in actis est in mundo.

Narricki: Da zweifel ich kein halbes Jota, dass das auch im Buch steht. Doch womit kann ich Ihnen dienen?

Merkel: Mein Freund Sarkozy... (für sich) Ah, wie ich mich geniere. Und doch muß es raus!

Narricki: Ihr Freund Sarkozy? Was ist mit dem?

Merkel: Sie kennen ihn doch, diesen wunderbaren Mann aus Paris.

Narricki: Wer kennt ihn nicht, gnädige Frau?

Merkel: Sarkozy, der Franzose, sagt: Angela, du Große. Klingt das nicht schon fast wie "Katharina, die Große"

Narricki: Nur dass gnädige Frau noch nicht so viele Männer aufgefressen hat.

Merkel: Nur keine gemeinen Anspielungen. Männerwitze dulde ich hier nicht.

Narricki: Ich auch nicht. (für sich) Dabei hab ich ja noch nicht einmal zu einem Männerwitzchen ausgeholt.

Merkel: Ich glaube...

Narricki: Selbstverständlich. Auch ich glaube, dass Monsieur le Sarkozy ein Gedicht auf Sie gemacht hat. Hab ichs erraten?

Merkel: Sie haben es erraten.

Narricki: Und doch?

Merkel: Sie haben erraten, dass noch etwas fehlt? (für sich) Jetzt wird er mich fragen, ob er es in seiner laudatio vorlesen darf!

Narricki: Wie lange hat er wohl an dem Gedicht gearbeitet?

Merkel: Wer?

Narricki: Der Sarkozy natürlich!

Merkel: In Diplomatenkreisen pflegen wir uns nach so etwas nicht zu erkundigen. Da zählen nur Takt und feiner Anstand.

Narricki: Doch halt. Infame Idee! Das Gedicht hat ja der Franzose gar nicht gemacht. Wenn es hier im Buch steht, dann wars doch der Berhard. Nur die liebe kleine Merkel meint, das sei Monsieur Sarkozy gewesen, weil er ihr so taktvoll ins Häubchen lacht. C est la verite. Man sollte wirklich kein Kritiker werden. Jedenfalls dabei nicht, wie ich, zur Vollendung gelangen. Man sieht plötzlich nichts mehr um sich als überall die nackte Wahrheit.

Merkel: Wollen Sie nun das Gedicht dem auserlesenen Publikum hier vorlesen? (für sich) Entschuldigen Sie. Von Diplomatie hat der keine Spur. Anders konnt ichs ihm offenbar nicht sagen.

Narricki: Lassen Sie es mich hören. Lesen Sie es mir vor. Am liebsten hör ich mir ein Gedicht an.

Merkel: Lesen lieber Sie!

Narricki: Nun gut. Wenn auch meine Stimme für schöne Poesie nicht recht taugt. Wissen Sie, ich habe immer den Eindruck, dass, seit ich Kritiker geworden bin, zu allem, was ich sage, immer noch ein Rabe seinen Kommentar hinzukrächzt.

Merkel: Lesen Sie!

Narricki: Geliebte süsse Madame Merkel,

wenn ich Sie seh, mein kleines Zerkel

hm... hm..

Merkel: Was hören Sie auf? Lesen Sie weiter!

Narricki: Ich soll alles lesen?

Merkel: Selbstverständlich alles! Oder der Preis ist futsch. Narricki: Nun gut! Wie Sie wünchen!

Geliebte süsse Madame Merkel,

mein Nüsschen süss, mein kleines Zwerkel,

mein Zauberkerlchen, meine Fee,

je vous salue von Kopf bis Zeh

Merkel: Und nun? Was sagen Sie dazu?

Narricki: Soll ich als Kritiker dazu Stellung nehmen?

Merkel: Als weltweit anerkannter Kritiker, wenn ich bitten darf.

Narricki: Das ist großartig, unglaublich großartig sogar. Meinen Respekt! Meinen Glückwunsch. Jawohl, meinen herzlichen Glückwunsch! (Beiseite) Auch dir großer St. Bernhard!

Merkel: Wozu?

Narricki: Zum Gedicht natürlich.

Merkel: Es hat Ihnen also gefallen?

Narricki: Und ob! - Nur weiß ich nicht, was ein Zwerkel ist?

Merkel: Muß man das wissen?

Narricki: Als Franzose vielleicht nicht. Aber wenn es ein deutsches Wort sein soll..

Merkel: Soll es das sein?

Narricki: Es gibt da gewisse Assoziationen.

Merkel: Überhaupt, müssen wir Deutschen denn immer deutscher sein als die Franzosen?

Narricki: Natürlich nicht.

Merkel: Sehen Sie! Deshalb ist hier die einzig entscheidende Frage, ob das Gedicht so gut ist, dass es einmal, wenn ich, sagen wir, schon 100 Jahre tot bin, was freilich augenblicklich zumindest nicht der Fall ist, noch von jemand gelesen wird.

Narricki: (für sich) Lebendige Leichen gibts an jeder Strassenecke. Und nicht nur dort. Auch in den höchsten Ministerienstuben.

Merkel: Sagen Sie nur ganz ruhig Ihre Meinung, wenn Sie meinen, dass sie auch mich erfreuen könnte.

Narricki: O unbedingt

Merkel: Weiter nichts? War das schon Ihre Meinung?

Narricki: Ich habe sie gesagt.

Merkel: Haben Sie selber noch nie ein Gedicht geschrieben?

Narricki: Wie kommen Sie denn auf die Idee? (beiseite) Infamer Bernhard!

Merkel: Ich habe einmal gehört, Dichter seien abscheuliche Neidhämmel. Für einen Dichter sei ein Gedicht erst dann ganz vollkommen und unsterblich, wenn für ihn feststehe, dass er es selber gemacht habe. Deshalb hätt ich auch nichts darauf gegeben, wenn Sie gesagt hätten, das Gedicht sei schlecht und würde schon morgen niemanden mehr interesieren.

Narricki: Ich schwöre Ihnen, gnädige Frau. Das Gedicht habe ich nicht gemacht!

Merkel: Solange mein unsterblicher Name in einem Gedicht vorkommt, ist das Gedicht unsterblich. Oder nicht?

Narricki: O unbedingt.

Merkel: Übrigens pflegt auch mein Freund Sarkozy die großen Geister zu ehren. Und wenn ich ein gutes Wort für Sie einlege, kann es durchaus sein, dass er Sie in die Akademie francaise aufnimmt, wenn Sie wissen, was das bedeutet. Von dort aus ist es nur noch ein kleiner Schritt, dass Sie die französische Nation für den großen europäischen Narrhallapreis vorschlägt.

Narricki: Ich will aber kein großer Geist sein. Und den Narrhallapreis will ich schon gleich überhaupt nicht.

Merkel: Das glaube ich nicht. Da täuschen Sie sich ganz bestimmt. Auch Altkanzler Kohl täuschte sich, als er glaubte, ich hätte nicht das Zeug zu einem großen Bundeskanzler. Wenn ich in den USA lebte, wäre ich jetzt Missis Präsident. Das kann ich beweisen. Zumal, da ich selbst vor den schwierigsten Finanzkrisen, die je die Erde erschüttert haben, nicht weich geworden bin. Mein Herr! Wer groß ist, muß auch groß sein wollen! Das gebietet die Pflicht zur Wahrheit.

Narricki: Und Sarkozy hat das alles auf den Punkt, d.h. zu Papier gebracht?

Merkel: Sehr sublim. Oder haben Sie es nicht gehört?

Narricki: Gewiß. Kein Shakespeare hätte das besser gekonnt.

4. Kapitel: Wie Narricki den Festakt platzen läßt.

Gottschalk (mit einer Almglocke um Ruhe läutend): Frau Bundeskanzler, wir sollten jetzt allmählich daran denken, den Festakt zu beginnen. Es wird höchste Zeit. Sehen Sie doch. Der Festsaal ist bereits gefüllt. Alle Leute haben Platz genommen. Keiner ist mehr zu sehen, der nicht wüßte, wo er seine Hände unterbringen soll. Selbst der Herr Altbundespräsident..

Merkel: Allons enfants de la patrie! - (zu Profalla, der nicht da ist) War das nicht gut?

Gottschalk (mit einer Almglocke um Ruhe läutend): Nun Herr Narricki, hätten Sie die Güte, uns sowie der ganzen Festgemeinde ihre Rede aufzusagen?

Narricki: Ich?

Gottschalk: Jawohl Sie. Der hohe Rat des deutschen Fernsehens und die Creme de la creme der deutschen Politik und des deutschen Geisteslebens ist versammelt. Doch ich sehe, Ihre Bescheidenheit ist unergründlich tief.

Narricki: O ich bin nicht so bescheiden, dass mir entgangen wäre, dass ich ja noch gar kein Preischen bekommen habe.

Gottschalk: Wenn er nicht bescheiden ist, ist er eben unbescheiden. (für sich) Meinetwegen auch unverschämt, solange er nur darauf verzichtet, uns den Beweis zu erbringen.

Narricki: Täuscht euch nicht. Doch halt. Fast hätt ich jetzt den falschen Zettel hervorgeholt.

Gottschalk: Was haben Sie?

Narricki: Doch nein. Es gibt ja gar keinen falschen Zettel. Es sei denn, dieser Teufelsbernhard aus Österreich...

Gottschalk: Reden Sie nur frisch drauf los! Österreich wird so lange im Osten unseres Vaterlandes still liegen. Dafür lassen Sie mich nur sorgen.

Narricki: Meine Damen und Herren, wenn ich recht sehe, d.h. auch ohne dass ich den Preis sehe, sind Sie offenbar dabei, mir den Preis des deutschen Fernsehens zu verleihen. Ich denke, nicht für das beste Reckturnen, denn ich kann noch nicht einmal einen Handstand, auch nicht für das beste Elfmeterschießen, noch für die beste Sonntagspredigt. Wofür nun aber auch? Für das Werk meiner Kritik? O, das ist sehr lieb von Ihnen und da haben Sie gut daran getan. Denn in der Tat ist keiner der jetzt Lebenden so begabt, einen mit seiner Kritik zu erbauen wie ich. Doch bevor ich meine eigentliche Preisrede beginne, lassen Sie mich eine Frage vorwegschicken, auch wenn ich sie an dieser Stelle nicht ausführlich auszudiskutieren vermag: die Frage nämlich, wie Sie dazu kommen, Preise zu verleihen. Damit meine ich, sofern der Preis, den Sie mir zu überreichen gedenken, etwas Bedeutsames ist: wer gibt Ihnen das Recht, so etwas zu tun? Wie dürfen es Leute, die nichts anderes mehr sind als Plebejer, Leute also, die verlernt haben, ihren Stammbaum bis zu der Gottheit hinauf zu führen, wie dürfen es solche Leute wagen, einen bedeutsamen Preis zu verleihen? Vollends wenn man bedenkt, dass es sich hier um Leute des deutschen Fernsehens handelt.

Gottschalk: Nur weiter! Wir hören alle zu.

Narricki: Um herauszubekommen, was es mit dem deutschen Fernsehen auf sich hat, habe ich mich entschlossen ad fontes, das heißt zu den Quellen herunter zu steigen. Gemäß dem Sprichwort "Kinder und Narren sagen die Wahrheit" bin ich also in die Schule gegangen, und zwar zu den Zweitklässlern, die das Schreiben schon so ziemlich beherrschen und habe Ihnen die Frage vorgelegt, was das deutsche Fernsehen für eine Anstalt ist und was man da tut und treibt. Natürlich werden Sie mir jetzt erwidern, dass man in der Schule schon lange keine Wahrheit mehr findet. Schließlich muß man in der Schule stets darauf achten, den Lehrern zu gefallen, damit es keine schlechte Zensur absetzt. Doch getrost, meine Damen und Herren. Alles das hab ich zuvor selbstverständlich gründlich bedacht. Und nachdem ich das bedacht hatte, arrangierte ichs, dass keine Lehrerin weit und breit zu sehen war. Zusätzlich sagte ich dann zu den Kleinen noch: Schreibt, wie euch der Schabal gewaschen ist. Was ein Schabal sei, wollten sie wissen. Ein Schabal, hab ich ihnen da gesagt, das ist der Schnabel, wenn er so recht mit kritischer Wichse eingeschmiert ist. Und dann habe ich noch den großen Schwur hinzugefügt, dass keines von den von beschriebenen Blättern jemals ihrer Lehrerin oder sonst eine der deutschen Sprache mächtigen Schulfee zu Gesicht käme. O und dann hätten Sie sehen sollen, wie die Funken des Geistes sprühten! Eines dieser Geistesprodukte ist hier. Hören Sie!

"Das deutsche Fernsehen unterhält Leute, man nennt sie Reporter, die zu nichts anderem gut zu sein scheinen, als dass sie auf jeden Furz lauern, der in der Welt passiert. Je mehr passiert, um so besser die Gage. Dabei kommt es überhaupt nicht darauf an, was für einen Farbe der Furz hat oder was für einen Geruch er um sich verbreitet. Hauptsache, alles an ihm hat einen unvorhersehbaren kernig-extensiven Charakter. So sind Massaker und Hungersnöte durchaus erschwünscht, ebenso wie Überschwemmungen durch heftige Regenfälle oder durch Zunamis, sodann Kriege aller Art, Stammeskriege, Blutfehden, feinere Ermordungen a la Cuba etc.

Manchmal aber, wenn man schon weiß, dass was kommt, schickt man die Leute aus, die dann viele Stunden zuvor sich bereits am Tatort versammeln und den Zuschauern zuhause die zu erwartende Sache breittreten und so schmackhaft machen. Wenn aber mal wirklich nichts los ist, dann kaut und wiederkäuert man eben die Dinge, die einem zuletzt über den Weg gelaufen sind. So ist es jedermann bekannt, wie lange der Herr Öttinger bei uns hat nach Canossa gehen müssen oder jetzt, wie üble Genossinnen und Genossen das arme Frl. Ypsilanti vernascht haben. Im übrigen aber hat man für die elend langen Wochenende noch immer unseren lieben Sport. Eine gute Komödie, wie sie über 3 Jahrtausende im Abendland von Meander, Plautus, Terenz, Moliere, Gogol, Raimund oder Nestroy gepflegt wurde, wäre ja zu anstrengend für unsere moderne Spaßgesellschaft. Da lässt man als Fernsehanstalt hübsch die Hände davon, vor allem am Wochenende. Dafür haben wir den wundervollen Fußball, der selbst den Gesetztesten unserer ehrenwerten und zum Vorbild dienenden Christdemokraten die Gelegenheit bietet, wegen einem Nichts aus der Haut zu fahren... Nur schade, dass das Fernsehen nicht auch die Möglichkeit bietet, die Jugend zu besseren Dingen zu animieren: sei es durch Wettbewerbe, sei es, wie im alten Athen durch jährlich wiederkehrende Feste. Oder wäre es nicht ein himmlisches Vergnügen, wenn wieder Leute vom Schlag eines Aristophanes der Öffentlichkeit unterbreiteten, was im Jahr geschehen ist?" - Nun, was sagen Sie dazu, Frau Bundeskanzlerin? Nichts, versteht sich. Denn Sie denken nur an die unsterblichen Verse von Sarkozy, die ich jetzt doch bitte endlich bald noch zum besten gebe? Hab ich nicht recht?

Gottschalk: Mein Herr! Ich habe Sie als Preisträger begrüßt und dem Publikum vorgestellt. Erinnern Sie sich nicht mehr? Ich heiße Gottschalk.

Narricki: Gottschalk? Nun ja, wenn Sie auf den Schalk in Ihrem Namen anspielen, so erwidere ich, dass freilich längst noch nicht alles gesagt ist. Vielleicht, dass in der nächsten oder in der übernächsten Generation auch schon die Kinder wissen, dass es selbst auch um die Strapteasetänzerinnen des deutschen Fernsehens schlecht bestellt ist. Die ziehen sich selbst nach Mitternacht noch ihre Höschen aus, dass man kalte Füße bekommt.

Gottschalk: O es ist nie schlecht, sich auf jeden Fall vorzubereiten.

Narricki: So regt sich auch in Ihnen das unbändige Bedürfnis, uns alle einmal der Lächerlichkeit preiszugeben? Wenn man früher sagte: der Mensch sei das Wesen, das lachen darf, so sagen wir heute besser, der Mensch ist das Wesen, über das noch ein wenig gelacht werden kann. Wie? Oder gibt es noch einen, der, wenn er tot ist, nicht furztot ist? Gibt es noch einen, der glaubt, es krähe dann noch immer irgendwas oder irgendwer nach ihm? Selbst der große Gothe muß nach 200 Jahren Totz-sein erkennen, dass er zum Vergessen veruteilt gewesen. Oder kann etwa jemand von ihnen, meine Damen und Herren, auch nur drei vier Gedichtchen aus dem Divan? Sollten aber Sie, Frau Bundeskanzler, oder Sie, werter Herr Bundespräsident, oder Sie, wetrter Herr Fährmaster oder Showmaster des deutschen Fernsehens, sollten Sie der Meinung sein, man könne bis zum jüngsten Tag die Inschrift auf Ihrem Grabinschrift lesen, dann täuschen Sie sich!

Gottschalk: Fassen Sie sich nur kurz.

Narricki: Ich bin Kritiker!

Gottschalk: Auch Kritik hat seine Grenzen!

Narricki: Zum Teufel auch! Gibt es keinen mehr, der den Anstand besitzt, zuzugeben, dass er für den Nobelpreis der Literatur nicht taugt? Soll sich die Menschheit doch aufhängen, wenn es ihr nicht gelingt, den größten Narren zu finden!

Gottschalk: Haben wir den nicht längst gefunden?

Narricki: Meine Damen und Herren. Sie schauen mich so seltsam an? Haben Sie mich nicht verstanden? Nun, so will ich mich Ihnen ein wenig paraphrasieren. Vernehmen Sie denn, dass jedermann längst weiß, dass ich auf dem Parnass angekommen bin. Selbst der Chinese ist inzwischen stolz darauf, meine Bücher auswendig zu lernen. Und doch ist das leider nur eine Ausnahme. Tatsache ist, dass sich längst niemand mehr für den anderen interessiert. Die schweigende Mehrheit ist nichts als eine Bagage von Hans-guck-in-die-Lüftler. Schweigende Kujonen, viele von ihnen im Sessel mit der Bierflasche, verdorben durch das Glotzen in die Röhre. Abseits, abgeschoben, vereinsamt, verwahrlost, verdonnert dem untersten Kreis der Hölle angehörend, wenn es nicht noch einen weiteren darunter gibt. Und Sie, meine Damen und Herren von den Fernsehanstalten mit ihrem Heer von Berichterstattern sind auch nicht viel mehr als eine widerlich arrogante Bande. Jeder von Ihnen sitzt da auf seinem Haufen. Und wiewohl er genau weiß, dass es darunter dampft und stinkt, erzählt er jeden Tag und immer wieder dieselben Märchen mit derselben Wichtigtuerei. Und wehe, da passiert mal längere Zeit nichts. Zum Glück haben wir zur Zeit eine waschechte Finanzkrise, über die ganze Welt verbreitet, ein Feuer, das jetzt mit Tausenden von Finanzspritzen, aus denen die Milliarden nur so sprudeln, gelöscht wird. Herr Ackermann wirds zu spüren bekommen. Wird jetzt bald nur noch 2 Millionen pro Jahr verdienen, statt deren 5 bis 10 Millionen wie bisher, es sei denn, dass er sich weigert, die staatlichen Subventionen in Anspruch zu nehmen. Dann gibt es noch Experten für den Klimaschutz, dann über das Klonen, dann über den Dax, dann über die Päderasterie, speziell der kath. Bischöfe und ihres Klerus, dann einen über die Treffen der EU-minister, überhaupt über die großartige Politik, über den Kabeljau und den Dabbelju und wie all der Blödsinn heißen mag. Endlich gibt es noch die Moderatoren und Animateure, die Showmaster, wie dieser Herr da, und eine Menge weiterer Spassmacher und Shomaster mit den Heeren ihrer Tempeltänzer und Tempeltänzerinnen. Hurra. Es lebe der kulturelle Siedepunkt. Es lebe Deutschland. Deutschland, Deutschland über alles. - Übrigens hab ich da nicht noch ein paar Verse, die ich anlässlich der heutigen Nichtehrenverleihung vorzulesen mich bereit erklärt habe. Frau Bundeskanzlerin?

Merkel: (für sich) Ob da meine Verse passen? Ich glaube, da wäre es besser, wenn ich...

Gottschalk: Frau Bundeskanzlerin? Sie wünschen?

Merkel: Am besten nichts mehr. (beiseite) Zwar hätt ich Lust, in Ohnmacht zu fallen. Doch die Sache hat einen kleinen Haken. Man könnte es nämlich mißverstehen. Wenn ich auch vor dem Roland Koch keine Angst mehr zu haben brauche. Immerhin gibt es noch so manchen Erdensohn, der glaubt, es gäbe ein schwaches Geschlecht. Wollte doch schon immer mal bei der Katharina der Großen nachlesen...

5. Kapitel: Wie Narricki von Gottschalk eingelullt den Babypreis des deutschen Volkes erhält und dann in die Wiege gelegt wird.

Gottschalk: Meine Damen und Herren, ich fürchte, es ist heute zu einer kleinen Verpannung gekommen. Doch das ist weiter nicht schlimm. Auch auf einen solchen Fall sind wir vorbereitet. Komm du kleiner Schelm! Komm zu Papi!

Narricki: Du bist nicht mein Papi

Gottschalk: Gewiß, gewiß. So drücken wir uns halt aus, wenn wir die Leute zu beschwichtigen suchen. Weißt du, dann fühlen sie sich gleich wieder wie zuhause.

Narricki: (Beiseite) Was war das?

Gottschalk: Aber aber. Wer will sich auch nicht wie zuhause fühlen. Mein kleiner Pickelhering

Narricki: Ich bin nicht dein kleiner Pinkelhering.

Gottschalk: Pickelhering hab ich gesagt.

Narricki: Ich will auch nicht dein Pickelhering sein. (für sich) Doch zum Teufel, hab ich so was nicht schon mal gehört? (sich an den Kopf fassend) Es wir mir doch niemand einen Chip ins Gehirn eingebaut haben. Oder soll ich am Schluß noch erkennen, dass ich nur ein Automat bin?

Gottschalk: Natürlich nicht.

Narricki: Was natürlich nicht?

Gottschalk: Nur der Hans Wurst ist ein Pickelhering und samstags dann auch noch jener Jean Potage.

Narricki: Ich kenn auch keinen Jean Potage.

Gottschalk: Sag doch selbst: Das wäre doch langeweilig, wenn man als Kuh nie etwas anderes zu fressen bekäme als Gras. Sollen wir Milch und Butter liefern für die andern und selber nichts als Gras fressen? Wenn ich eine schlaue Kuh wäre oder meinetwegen auch ein Stier oder ein Ochse: dann würde ich einfach mal was anders unternehmen. Willst du es hören?

Narricki: Du sollst mich nicht einlullen, hab ich gesagt!

Gottschalk: Also hör zu! Wenn ich dann auf der Wiese stünde, würd ich mir sagen: das Herbstgras ist fad; es schmeckt nicht und ernährt nicht. Der Tod ist mir gewiß, wenn ich es weiterfresse. Also will ich es mal mit was anderem versuchen. Und dann stellte ich mich vor ein Mauseloch.

Gottschalk: (während er sich eine Schürze umlegt, ist Narricki bereits zu einem Kind zusammengeschrumpft) Nun, bin ich nicht eine hübsche Kindertante? O ja, so ein Showmaster und Entertainer, der muß alles können. Zumal für so große Buben wie für unseren großen Narricki. Hat sich ein bißchen übernommen. Aber das macht nichts. Jetzt aber sind wir gleich so weit. Oder gefällt Ihnen nicht unser großer Bub, Frau Bundeskanzler? Vielleicht, dass wir ihm, noch ein neckisches Käppi aufsetzen? Ich meine den Dreisspitz, wie ihn der große Napoleon zu tragen pflegte, wenn er in die Schlacht von Austerlitz zog.

Narricki: Zum Teufel, was tust du? Hat dir das der Bernhard eingeflüstert?

Gottschalk: Närrchen, du, auf eigene Faust.

Narricki: Auf eigene Faust handelst du?

Gottschalk: Du bist ein Narr auf eigen Faust.

Narricki: Das will ich aber nicht. Und schon gar nicht, wenn mich diese Damen und Herren sehen. Überhaupt, wer hat das Stück geschrieben?

Gottschalk: O, das haben wir gleich. Komm, mein Kritikermäuschen, mein Leberkäschen, mein kleiner Hosenscheißer. Hier, schau, ist dein Bettchen! Da leg ich dich jetzt hinein. Und wenn du da drin liegst und wenn ich dir noch das Bettdeckchen bis hinauf zum Näschen gezogen habe, dann ruhste du dich aus, bis du so klein geworden bist, dass du auf mein neuestes Präsentiertellerchen passt.

Narricki: Wer das Stück geschrieben hat, möchte ich wissen.

Gottschalk: (er bringt ihn ins Bettchen) - Sei ganz ruhig! Ganz ruhig!

Narricki: Ich will aber nicht!

Gottschalk: Über allen Gipfelchen ist Ruh.

Narricki: Du sollst mich nicht einlullen. Gib zu, dass du das Stück geschrieben hast!

Gottschalk: Bin ich denn der liebe Gott? Wenn es aber den lieben Gott nicht mehr gibt, er ist ja gestorben, und das Stück gibt es, dann kann es der liebe Gott immerhin noch zu seinen Lebzeiten geschrieben haben.

Narricki: Hast du das bei Hegel gelernt? Oder bei Dr. Freud? Gibs zu! Das kenn ich doch.

Gottschalk: Damit hab ich jeden Abend bei meinen Sendungen zu tun.

Narricki: Nein, der Gottschalk hat das Stücklein nicht geschrieben. Aber der Thomas Bernhard auch nicht. Weder haben wir es hier mit einem Wetten-dass-Volksspektakel zu tun gehabt noch mit einem ewigen Monolog oder einem Wiener Salonstück. Zu verwandlungskräftig war das Stück im Fortgang, zu abwechslungsreich in der Kompostion der Szenen, zu erfindersich in der Handlung und überhaupt in dieser sprachlichen Frische einfach ein Novum. Bleibt die Frage, woher Bernhard das Buch hat.

Gottschalk: Sei jetzt schön lieb. Dann kriegst du jetzt noch etwas ganz Schönes, einmal weil du so lieb bist und dann auch weil du so lieb sein willst. (reicht ihm einen großen Teddybär)

Narricki: Ich verstehe die Welt nicht mehr.

Gottschalk: Das macht nichts. Die findet auch ohne uns ihren Lauf.

Narricki: Ich will aber nicht, dass sie ohne uns ihren Lauf findet; jedenfalls nicht ohne mich.

Gottschalk: Hab ich nicht gesagt, du sollst schön lieb sein?

Narricki: Ich will aber nicht schön lieb sein!

Gottschalk: Immerhin ist das der Babypreis des deutschen Volkes. Etwas besseres hat das deutsche Volk nicht zu vergeben. - Und wie wärs noch mit einem kleinen Küßchen von deinem lieben Freund Gottschalk?

Narricki: Ich will aber nicht lieb sein!

Gottschalk: Selbstverständlich, mein Junge. - Meine Damen und Herren, damit wäre unser Spiel jetzt zu Ende. Klatschen Sie ruhig Beifall, aber bitte nicht zu laut, damit unser Kleiner ruhig weiterschlafen kann. Die Feier war für ihn doch sehr anstrengend.