{ Politik aus Deutschland }

Literatur von Martin Ganter

Statt eines Vorworts

Nichts, was unbeständiger wäre, als es der Mensch ist,

nährt die Erde von allem, was Atem schöpft und dahinkriecht.

Homer, Odyssee, XVIII. 130f.

Wäre ich Herr B. Russell, der zu jedem seiner Schauspiele eine schier unbändig mehrbändige Vorrede vorausschicken zu müssen glaubte, so würde ich jetzt auch ein großes Gerassel veranstalten und mitteilen, weshalb ich diese kleinen Schaubilder entworfen habe. Und dann würde ich mich zuerst in aller Gründlichkeit darüber auslassen, was für eine Geschichte hinter uns Deutschen liegt, mit Kaisern und Königen und endlich auch mit selbstermächtigten Fürsten und Führern. Sodann würde ich die Frage aufwerfen, wie weit es mit der Freiheit in unserem Land heutzutage bestellt ist und ob unsere Politiker aus der Geschichte zumindest dies gelernt haben, daß Unterdrückung und Haß und Ungerechtigkeit und Mord bei uns nicht mehr die Oberhand gewinnen. Endlich würde ich für eine Kultur der Freiheit werben, wozu eben auch ein noch heitereres Geschichts- und Politikverständnis gehört, als wir es bisher gehabt haben. Noch immer, fürchte ich, gibt es bei uns viel zu viel Tabus. Noch immer gibt es bei uns viel zu ernste Hüte, die die Häupter viel zu ernster Herren bedecken, noch immer gibt es zuviel Untertanen, die die Hüte lüften. Unser Verständnis von Demokratie läßt noch sehr zu wünschen übrig, nicht nur vom Volk aus betrachtet, auch von seiten unserer Politiker. Daß die Demokratie das beste Regierungssystem ist, wie man den Schülern mit dem Brustton der Überzeugung beibringt, ist zwar lieb gesagt, bleibt aber gleichwohl eine kleine charmante Lüge. Was den Millionen gefällt, wie Krimis am Fernsehabend oder bezahlten Fußball und vieles andere mehr, das muß auch einem Bundespräsidenten gefallen, einerlei, ob es ihm gefällt oder nicht. Und wenn die Mehrzahl von uns heute ein Denkmal für den Vater des Vaterlandes, Helmut Kohl, begehrte, so wäre es selbstverständlich auch sein Herzenswunsch. Immerhin, wenn es nun bald an den Abbau des Sozialstaates geht, so werden uns die Politiker, wie sie schon verlautet haben, einen Präsidenten vorsetzen, der diese Dinge im Sinn der regierenden Parteien mitträgt. Der erste Mann im Staat ist von da an jedenfalls der erste Befehlsempfänger der Regierung, und nicht des Volkes. Nun, da ich alles dies ja nicht weiter auseinanderzulegen trachte: was bleibt da noch zu sagen? Ich hoffe jedenfalls, daß aus den nachfolgend beschriebenen Blättern hervorgeht, daß wir die Politiker lieben, weil wir die Spezies Mensch lieben. Und sollten wir nicht hochzufrieden sein, wenn darüber hinaus mitunter das eine oder andere Stücklein zum Lachen beiträgt?

Inhalt

1. Schauspiel: Gorbi

1. Abschnitt

2. Abschnitt

3. Abschnitt

4. Abschnitt

5. Abschnitt

2. Schauspiel: Kanzler und Chamäleon

1. Abschnitt

2. Abschnitt

3. Abschnitt

4. Abschnitt

5. Abschnitt

6. Abschnitt

7. Abschnitt

3. Schauspiel: Reise nach Ostberlin

1. Abschnitt

2. Abschnitt

3. Abschnitt

4. Abschnitt

5. Abschnitt

6. Abschnitt

7. Abschnitt

8. Abschnitt

9. Abschnitt

4. Schauspiel: Kohlen für Polen

1. Abschnitt

2. Abschnitt

3. Abschnitt

4. Abschnitt

5. Abschnitt

6. Abschnitt

7. Abschnitt

5. Schauspiel: Monsieur Chou

1. Abschnitt

2. Abschnitt

3. Abschnitt

4. Abschnitt

5. Abschnitt

6. Abschnitt

6. Schauspiel: Zum Brandenburger Tor

1. Abschnitt

2. Abschnitt

3. Abschnitt

4. Abschnitt

5. Abschnitt

7. Schauspiel: Politisches Asyl

1. Abschnitt

2. Abschnitt

3. Abschnitt

4. Abschnitt

5. Abschnitt

6. Abschnitt

8. Schauspiel: Auf nach Brüssel

1. Abschnitt

2. Abschnitt

3. Abschnitt

4. Abschnitt

5. Abschnitt

9. Schauspiel: Patrioten

1. Abschnitt

2. Abschnitt

3. Abschnitt

10. Schauspiel: Politiker

1. Abschnitt

2. Abschnitt

3. Abschnitt

4. Abschnitt

11. Schauspiel: Die Gerechten

1. Abschnitt

2. Abschnitt

3. Abschnitt

4. Abschnitt

5. Abschnitt

6. Abschnitt

7. Abschnitt

8. Abschnitt

9. Abschnitt

10. Abschnitt

11. Abschnitt

12. Abschnitt

13. Abschnitt

12. Schauspiel: In der Unterwelt

1. Abschnitt

2. Abschnitt

3. Abschnitt

4. Abschnitt

5. Abschnitt

6. Abschnitt

7. Abschnitt

8. Abschnitt

1. Schauspiel: Gorbi

1. Abschnitt

(Bei Kohl zuhause. Nachts. Ein Zimmer. Kohl und Schäuble. Von draußen vereinzelte ferne Geräusche von Menschen, die allmählich näher kommen und lauter werden.)

Kohl: Ist nun eigentlich der Gorbatschov noch da oder ist er schon wieder weg? Mir ist, als wär er noch immer da.

Schäuble: Er ist wieder weg. Von hier aus ist er nach Düsseldorf gefahren, um noch zu den Arbeitern der Höchst AG zu sprechen. Von dort aus ist er weitergereist nach Moskau.

Kohl: Haben Sie Nachricht von seiner Ankunft in Moskau?

Schäuble: Das zwar nicht, doch da herrscht nicht der mindeste Zweifel. Was auch sollte er bei uns in Deutschland noch länger tun?

Kohl: Ich habe Angst, Schäuble.

Schäuble: Angst?

Kohl: Ich glaube, ich werde nicht mehr lange Kanzler bleiben. Vermutlich sterbe ich schon bald auf eine mysteröse Weise. Vielleicht mit Gift oder indem man mir auf der Autobahn auflauert. Oder aber man stürzt mich vom Kanzlerthron. O, es gibt mehr Möglichkeiten, einem das Leben zu rauben, als einer aufzählen kann.

Schäuble: Solange ich Minister im Kanzleramt bin, sollen Sie nicht sterben. Und daß Sie jemand stürzt, das wollen wir sehen! Da soll erst mal einer kommen. Oder wofür wäre ich Minister im Kanzleramt?

Kohl: Seit der Gorbatschov da war, fühl ich mich meines Lebens nicht mehr sicher.

Schäuble: Vor dem Gorbatschov brauchen Sie keine Angst zu haben.

Kohl: Alle Welt sagt, man brauche keine Angst vor ihm zu haben. Aber genau das ist es, was mich so verwirrt und ängstigt. Noch immer will mir der frenetische Jubel der Menge nicht aus den Ohren. Wirklich er verfolgt mich, und dies gewiß nicht, weil ich neidisch wäre. Glauben Sie nur das nicht. Von Konrad Adenauer bin ichs gewohnt, Politik im stillen zu machen und mich nicht nach Jubel und Beifall umzusehen. Doch wie kommen diese Leute dazu, einen derartigen Lärm um diesen Mann zu machen? Mag er auch um das Wohl des russischen Volkes bemüht sein, mag er es sich auch etwas haben kosten lassen, für mehr Menschenrechte und bürgerliche Freiheit in Rußland zu kämpfen: das kann doch den deutschen Arbeiter nicht so beeindrucken. Um es ehrlich zu gestehen, es erinnert mich an die Zeiten des dritten Reichs, wo man dem Hitler zugejubelt hat.

Schäuble: Die Deutschen brauchen immer etwas, was sie verehren können. Ists nicht der Papst aus Rom und nicht der Präsident der USA, dann ists der Mao aus dem fernen China oder, wie jetzt der Gorbatschov aus dem unterdrückten Rußland. Die Intellektuellen zumal, und sie sind es ja, die auch diesmal die Massen anführen, scheinen mit besonderer Vorliebe Männer mit besonderer Machtfülle zu verehren. Es sind Männer totalitär regierter Staaten. Nach innen haben sie das Heft rigoros und fest in der Hand. Wenn sie zuhause einem ausländischen Gast die Hand reichen, wissen sie durchaus, daß sie ihn damit auf besondere Weise auszeichnen. Und wenn sie sich im Ausland zeigen, treten sie so zaghaft und bescheiden auf, als ob man sie zuhause unterdrückte, statt daß sie zugeben, daß sie die Unterdrücker sind. Nach Ansicht der Linken hat Herr Gorbatschov mit der Verkündung der Peristroika und dem Prinzip des Glastnost in Rußland eine solche Freiheit eingeführt, daß man sich noch im fernen Amerika eine Scheibe davon abschneiden könnte. Wenn er sich zuhause nur ein wenig muckst, mache man ihn einen Kopf kürzer, so heißt es. Und das verschafft ihm bei uns ein so kolossales Mitleiden.

Kohl: Daß man sich nicht zu gut ist, solche Märchen zu glauben!

Schäuble: Was fragt die Linke danach? Hauptsache, man macht eine Politik, die uns schadet.

Kohl: Das alles liegt ganz auf der Linie der Linken, die sich abgewöhnt hat, vaterländische Politik zu machen. Dabei spricht unser Grundgesetz vom Recht des deutschen Volkes auf Selbstbestimmung und Wiedervereinigung. Sie werden sehen, Schäuble, weder die Selbstschußanlagen an der deutsch-deutschen Grenze noch die Berliner Mauer werden fallen.

Schäuble: Mich wunderts nur, daß man im Lager der Linken und der Grünen noch nicht auf die Idee gekommen ist, daß man die Todesschußanlagen und die Mauer der CDU zu verdanken hat.

2. Abschnitt

(man hört leise, dann immer lauter Gorbi, Gorbi!)

Kohl: Hören Sie, Schäuble, wie sie wieder schreien? Mir dröhnts in den Ohren, als wolle es nie mehr verstummen. (ans Fenster tretend) Da, sehen Sie doch! Die Menge, sie kommt lärmend und schreiend zurück!

Schäuble: Auch der Herr Weizäcker hat dazu beigetragen, daß man den Gorbi feiert. Wann immer nämlich der Herr Bundespräsident etwas zu sagen hat,redet er von der Verantwortung der Deutschen vor der Geschichte und von der Völkerverständigung, zu der vor allem die Deutschen beizutragen haben.

Kohl: Bis auf mich haben alle aus diesem Besuch Kapital geschöpft.

Schäuble: Sie sind zu gutmütig, zu menschenfreundlich. Wir hatten in der Schule einen älteren Lehrer, der es sich offenbar in den Kopf gesetzt hatte, aus lauter Menschenfreundlichkeit keinem Schüler eine schlechte Note zu machen. Auch wenn einer seine Sachen nicht konnte, bekam er dennoch eine gute Note. Der Erfolg war nun aber nicht, daß wir Schüler dem Lehrer zulieb und freiwillig uns besonders angestrengt hätten. Der Erfolg war nichts als die irrige Meinung, als könnten wir alles, wozu uns die guten Noten die Bestätigung gaben. Jawohl, die spezies Mensch verträgt es nicht, wenn man ihr nicht immer wieder einmal beizeiten das Fell ausklopft.

Kohl: So aber klopft man mir das Fell aus.

Schäuble: Immerhin ist es der Kanzler, der die Richtlinien der Politik bestimmt, nicht der Bundespräsident und nicht der Oppositionsführer, wie wichtig sie sich auch vorkommen mögen.

Kohl: Meine Stimme hat er jedenfalls nicht bekommen.

Schäuble: Wer?

Kohl: Der Weizäcker. Bei der Wiederwahl zum Präsidenten.

Schäuble: Meine auch nicht.

Kohl: Wenn man freilich bedenkt, daß die ihm vorenthaltenen Stimmen aus dem Lager der Christdemokraten stammen, macht das schon betroffen.

Schäuble: Schließlich brauchten wir unsere Stimme nicht dem Mann zu geben, der uns am liebsten den Oppositionsführer Vogel als Kanzler vor die Nase setzte.

Kohl: Dabei haben wir ihn in dieses hohe Amt gehoben. Jetzt hat man ihn nach Moskau eingeladen.

Schäuble: Beim Gorbatschovbesuch haben wir einen Fehler gemacht. Wir hätten auf einem Abschlußkommunique bestehen sollen. Darin hätten wir zwei oder drei Punkte der für uns unverzichtbaren Eckpunkte unserer Deutschlandpolitik nennen müssen. Dann hätte sich Herr Gorbatschov z. B. schon gut überlegen müssen, ob er wirklich der Meinung ist, daß sich die Berliner Mauer mir nichts dir nichts wegräumen läßt.

3. Abschnitt

(es klopft)

Kohl: Es hat geklopft.

Schäuble: ich schau mal nach.

Vogel: Guten Abend Herr Minister Schäuble. Ich suche den Herrn Bundeskanzler.

Schäuble: Entschuldigen Sie, Herr Vogel, was suchen Sie bei uns, mitten in der Nacht?

Vogel: Wenn Sie gestatten, Herr Schäuble. Mein Auftrag betrifft ausschließlich den Herrn Bundeskanzler. Ist der Herr Bundeskanzler nicht hier?

Kohl: Er ist hier, Herr Vogel. Reden Sie, wenn Sie mir etwas zu sagen haben.

Vogel: Ich möchte Sie ersuchen, sogleich mit mir zu kommen.

Schäuble: Ersuchen mitzukommen? Das erinnert an den Zwang böser Zeiten. Als man die Gestapo ausschickte, unliebsame Personen zum Mitkommen zu ersuchen.

Vogel: Mag mein Ersuchen bei Ihnen, Herr Schäuble, auch böse Assoziationen wecken, so kann davon doch niemals die Rede sein. Was zu den Aufgaben eines Bundeskanzlers gehört, weiß Herr Kohl, denn er ist nun einmal unser Bundeskanzler. Und was zu den Aufgaben eines Oppositionsführers zählt, das weiß ich.

Schäuble: Und um was für eine Aufgabe wahrzunehmen, ersuchen Sie den Herrn Bundeskanzler Helmut Kohl mitzukommen? Wenn Sie uns das verraten könnten, wären wir Ihnen sehr verbunden.

VogeL: Um Politik zu machen, Herr Schäuble. Wo Politik zu machen ist in unserem Land, dort ist der Ort, wo der Bundeskanzler nicht fehlen darf.

Schäuble: Meinen Sie wirklich Politik oder meinen Sie nicht viel mehr das Kasperletheater, das Sie uns da angezettelt haben?

Vogel: Und wenn auch! Was auch wäre ein Leben, das inhaltsleer an einem vorüberzieht? Was ein Leben, an dessen Ende einer sagen müßte, er habe nichts erlebt? Da wäre mir noch für das Leben eines Don Quijote lieber, der an jeder Straßenecke ein Abenteuer für sich bereitgestellt sieht.

Kohl: Wenn Sie nur wüßten, wie sehr ich mich an mir habe festhalten, wie sehr an mich glauben müssen! Dagegen erscheint der Glaube eines Don Quijote, die Welt zu einem höheren Dasein neu zu erwecken, geradezu höchst vernünftig.

Vogel: (das Fenster öffnend) Nun, dann kommen Sie mit mir.

Kohl: Jetzt freilich, wo ich das Amt des Kanzlers innehabe, gilt es, sich keine Blöße zu geben. Zu viele sind es, die auf nichts anderes warten.

Vogel: Ich zwinge nicht, ich bitte nur. Hören Sie doch! Überzeugen Sie sich selbst, Herr Bundeskanzler, ob jetzt Zeit ist für eines Kanzlers Schlummerstunde.

Kohl: Sagen Sie uns, Herr Vogel, was Sie uns zu sagen haben, wenn Sie wirklich ein dringliches Geschäft zu uns geführt hat.

Vogel: Was ich zu sagen hatte, habe ich gesagt. Sie sollten sich beeilen, herunter zu kommen.

Schäuble: Ein Bundeskanzler ist kein zweiter Richard. Er fügt sich nicht den Launen eines Bolingbroke und kommt herunter. Man kommt zu ihm herauf.

Vogel: Der russische Partei- und Staatssekretär ist noch einmal zurückgekommen. Da ziemt es sich nicht, als Bundeskanzler ferne zu bleiben.

Kohl: Ganz außerhalb des Protokolls? Und ohne mich zu verständigen? Was hab ich gesagt, Schäuble?

Schäuble: Gratulation, Herr Vogel. Doch täuschen Sie sich nicht. Solange ich Schäuble heiße, lassen wir uns kein schlechtes Gewissen anhängen, und schon gar nicht von Ihnen.

Vogel: Es fällt mir schwer, die Herren zu verstehen. Ich denke, ein Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland sollte wissen, was alles von einem Mann wie dem russischen Partei- und Staatssekretär abhängt. Da sollte man sich nicht kleinlich hinter Fragen des Protokolls verstecken. Schon der alte Euripides sagte: nichts kommt zur Unzeit, wenn es etwas Gutes ist.

Schäuble: Wir nehmen Sie beim Wort, Herr Vogel.

Vogel: Wie muß ich Sie verstehen?

Schäuble: Wir folgen Ihnen.

Kohl: Aber Schäuble. Sagten nicht Sie selbst, ich solle meine Entscheidungen selber treffen? Und nun kommen Sie mir schon wieder zuvor?

Schäuble: Ein letztes Mal noch. Um der Opposition zu zeigen, was für erbärmliche Schwindler und Schufte sie sind. Und der Herr Vogel verspricht uns, für den Fall, daß er uns angeschwindelt hat und es nichts Gutes ist, wozu er uns nachts gelockt hat, sich vor dem gesamten deutschen Bundestag einen Galgenvogel zu nennen.

Vogel: Top. Es gilt. Nun aber kommen Sie!

4. Abschnitt

(Freier Platz. Menschenmenge. In der Ferne ein Podest oder eine Siegessäule, die man aber nicht sehen kann.)

Kohl: Nun, Vogel, wo ist nun Ihr Partei- und Staatssekretär aus Rußland?

Vogel: (etwas vorauseilend und in die Ferne weisend) Komen Sie. Beeilen Sie sich! Im übrigen möchte ich Sie bitten, Herr Bundeskanzler, und selbstverständlich auch Sie, Herr Schäuble, unserem Gast aus der Sowjetunion mit dem geziemenden Respekt zu begegnen!

Kohl: Was siehst du, Schäuble? Sag es mir. Es soll nämlich Situationen geben, wo jeder etwas anderes sieht. Ein rascher Vergleich schon könnte uns zeigen, ob wir eine solche Situation vor uns haben.

Schäuble: Was ich sehe? Daß uns der Vogel an der Nase herumführen will.

Kohl: Ich sehe ein Podest, auf dem jemand steht, der dem Herrn Gorbatschov gleicht.

Schäuble: So etwas sehe ich auch. Vielleicht handelt es sich auch um eine Siegessäule. Mir scheint sogar, daß es sich beim Herrn Gorbatschov nur um einen Kopf handelt.

Kohl: Das kann dann aber doch nicht der wahre und lebendige Herr Gorbatschov sein.

Schäuble: Ein Kopf kann allerdings nicht das Ganze sein.

Kohl: Nur warum steht dann der Herr Weizäcker davor? Ic dachte, der Herr Gorbatschov sei zurückgekommen. Und nun handelt es sich um die Einweihung eines Denkmals?

Vogel: Meine Herren, was haben Sie nur, beeilen Sie sich.

Schäuble: Wir wüßten doch gerne, was für ein Ereignis auf uns wartet. Sagten Sie nicht, der Herr Gorbatschov sei noch einmal zurückgekommen?

Vogel: Dort, sehen Sie ihn denn nicht?

Schäuble: Das ist nur ein Kopf.

Vogel: Vielleicht sehen Sie im Augenblick nur seinen Kopf. Doch was für ein Kopf! Was für ein, alles überragender Kopf, Herr Minister Schäuble.

Schäuble: Vermutlich aus Marmor oder Gips, jedenfalls kein lebendiger Kopf.

Kohl: Solange der Gorbatschov nichts sagt, glaub ich nicht, daß er es ist.

Vogel: Nur Geduld, meine Herren. Geduld und Respekt, wenn ich bitten darf. Sehen Sie nur dort vorn unseren Herrn Bundespräsidenten von Weizäcker. Er ist eben dabei, zu einer der historisch bedeutsamsten Reden auszuholen, die jemals einer seit der braunen Dikatatur in unserem Land gehalten. Kommen Sie. Wenn wir uns beeilen, sind wir noch zur Stelle, ehe er beginnt.

Schäuble: Mag er eine Statue anbeten, wir hindern ihn nicht. Uns aber, die wir dem Kult des goldenen Kalbes abgeschworen haben, geht das nichts an.

Weizäcker: Lieber Herr Gorbatschov! Verehrte abwesende Gäste. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler..

Kohl: Vogel, Vogel. Ich fürchte, Sie kommen nicht darum herum, sich bald schon einen Galgenvogel zu nennen.

Vogel: Still doch! Der Herr Bundespräsident hat eben mit seiner Rede begonnen und hat auch Ihrer gedacht.

Schäuble: Er hat uns ja noch gar nicht gesehen.

Weizäcker: Lieber Herr Gorbatschov, denn so dürfen wir Sie von heute an nennen, wir sind froh, daß es uns gelungen ist, Sie noch einmal in unserem Kreis zu begrüßen.

Vogel: Hören Sie?

Schäuble: Das ist seine Art, sich den Beifall der Weltöffentlichkeit zu erhaschen. Aber wenn dann ein armer Schlucker aus Schwarz-afrika kommt...

Weizäcker: Es ist wirklich ein erhebender Augenblick, daß Sie sich gedemütigt haben, noch einmal zu uns zurück zu kommen. Nicht nur für uns, die wir stolz darauf sind, uns Ihre Freunde zu nenen, auch im Hinblick auf die vielen Frager und Zweifler, die wir leider noch immer unter uns sehen, und dies in den allerhöchsten Kreisen. Dabei hat Ihr Volk so viel Leid von unserem Volk zu erdulden gehabt. Da fällt einem gewiß nicht leicht, zu vergessen und die Hand auszustrecken zur Versöhnung.

Vogel: Nun was sagen Sie? Ist das nicht wie ins Geschichtsbuch gesprochen?

Schäuble: Für Sekundaner vielleicht. Noch besser aber wäre gewesen, er wäre Pastor geworden. Wenn ich mir nur die Augenaufschläge ansehen! Als ob ein Engel angeflogen käme, uns eine göttliche Botschaft zu bringen.

Weizäcker: Wenn Sie nun aber auch bald schon wieder abreisen, so bleiben Sie doch in unseren Herzen. Selbst wenn Ihnen etwas Schreckliches zuhaus widerfahren sollte, seien Sie doch gewiß, daß wir Sie in unseren Herzen behalten als einen Mann, der für die Freiheit der Menschen, für das Selbstbestimmungsrecht der Völker, wie auch für den Austausch und die Verständigung unter den Völkern gekämpft hat. Seien Sie gewiß, daß wir es Ihnen zu danken wissen, nicht nur, daß Sie für die Einhaltung der Menschenrechte in Helsinki unterschrieben haben, viel mehr noch, daß Sie uns eine Brücke gebaut haben, auf der sich fortan das russische und das deutsche Volk begegnen.

Kohl: Er tut, als wäre der Gorbatschov schon gestorben.

Weizäcker: Im Namen des arbeitenden deutschen Volkes sowie im Namen aller Deutschen haben wir uns ermutigt, Ihnen auf diesem Platz ein Denkmal zu errichten, das auch noch die künftigen Geschlechter und die fernsten Generationen an diesen denkwürdigen Tag erinnern soll.

Schäuble: Ich halte das für eine unerträgliche Anmaßung, wie hier Politik gemacht wird. Nicht nur dem arbeitslos gewordenen, nicht arbeitenden deutschen Volk gegenüber.

Weizäcker: Der tiefere Grund, weshalb wir dieses Denkmal errichtet haben, ist der, daß man nicht nur Ihrem Volk, sondern jüngst erst auch Ihnen ein tiefes Unrecht angetan hat. Und zwar nicht von seiten des kleinen Mannes, nein von seiten eines Mannes, der es besser hätte wissen müssen. Weshalb uns auch sein Fehltritt, ja sein Verbrechen zutiefst schmerzt.

Kohl: Wen mag er damit meinen? Doch nicht wohl mich? Das wäre ja noch schöner.

Schäuble: Schön und edel und herrlich nimmt sich das allerdings schon seit alters in Deutschland aus, die Fehler anderer aufrichtig zu bedauern und sich ihrer tief zu schämen, ja ihretwegen förmlich Trance- und Schmerzzustände zu entwickeln. Und doch kann uns das nicht imponieren. Schon in der Bibel heißt es, man solle sich um den Balken im eigenen Auge bekümmern.

Weizäcker: Seien Sie ein Mann, Herr Kollege Kohl. Legen Sie ein Geständnis ab. Machen Sie sich unabhängig und frei.

Schäuble: Ist das nicht ein Witz? Erst machen Sie ihn abhängig und dann fordern Sie ihn auf, sich unabhängig zu machen. Helmut Kohl hat es nicht nötig, sich von Ihnen fertig machen zu lassen. Er ist vom deutschen Bundestag in das Amt des Bundeskanzlers gewählt. Und er bleibt in diesem Amt, solange es das deutsche Volk haben will.

Weizäcker: Nicht in erster Linie vor dem deutschen Volk, vor sich selber und vor der deutschen Geschichte hat er die Verantwortung zu tragen.

Vogel: Als Kanzler ist er dazu verpflichtet, jederzeit zur Völkerverständigung die Hand auszustrecken und etwas beitragen. Das aber hat er leider versäumt, als er jüngst bei Herrn Reagan in Amerika zu Gast war.

Weizäcker: Hat er da nicht unseren lieben Gast aus Rußland mit dem Göbbels verglichen und allein schon aufgrund dieses Vergleichs verunglimpft?

Vogel: Als Bundeskanzler muß er sich merken, daß er niemanden verunglimpfen darf: weder den Bundespräsidenten, indem er ihm bei seiner Wiederwahl die Stimme versagt, noch auch den Oppositionsführer, wo sich der so viele Mühe um ihn macht. Und was endlich den russischen Staas- und Parteisekretär betrifft, so sollte er besondern Takt walten lassen, zumal wenn er von so gewinnendem Wesen ist wie unser Freund Michail Gorbatschov.

Kohl: Ich habe niemanden verunglimpft. Der Reagan wars, der den Herrn Gorbatschov mit dem Göbbels verglichen hat.

Vogel: Aber, Herr Bundeskanzler. Was hat denn der Herr Reagen mit dem Göbbels zu tun. Der kennt den Göbbels noch nicht einmal. Nein, nein, Herr Bundeskanzler, das waren Sie. Und das ist sehr bedauerlich, daß Sie diese üblen Bierhausvergleiche nicht endlich einstellen.

Kohl: Meine Herren, war es das, weswegen Sie mich in meiner Nachtruhe glaubten stören zu müssen?

Weizäcker: Keiner von uns hat Sie gestört. Uns lag nur daran, Sie zu mahnen und zu warnen und aufzufordern, in der nächstkommenden Zukunft eine Politik zu machen, die den Namen verdient.

Vogel: Damit wir uns nicht später einmal vorwerfen müssen, um Ihrer Politik willen etwas versäumt zu haben.

Weizäcker: Vornehmlich stört uns, wie man hinter Ihrem Rücken Machtkämpfe austrägt. Als ob sie bereits auf dem Totenbett lägen oder schon gestorben wären.

Vogel: Zumal einige der Ministerpräsidenten der von der CDU regierten Länder zeichnen sich nicht eben durch allzu bedeutende christliche Tugenden aus.

Kohl: Gewiß, der Späth ist nicht mein besonderer Freund.

Vogel: Auch die Frau Süßmuth nicht und noch einige mehr.

Weizäcker: Innen- oder gar parteipolitische Probleme sollten nicht im Weg stehen, wenn große Politik auf der Tagesordnung steht.

Vogel: Und auch die Pflege von Bündnissen wie die mit der USA sollte sich durch Rechtschaffenheit und Besonnenheit auszeichnen.

Weizäcker: Mit einem Wort: man sollte nur gute Politik machen oder gar keine.

Vogel: Vergessen Sie nicht, daß Sie als Kanzler die Pflicht haben, sich an der Qualität unseres Bundespräsidenten ein Vorbild zu nehmen.

Kohl: Und der Herr Gorbatschov, und seine Rückkehr? Hatten sie seine Rückkehr nur zu dem Zweck erfunden, mir diese vielen so wohlgemeinten Ratschläge zu erteilen? Und alle die Leute da, die nichts sind als eine Ausgeburt Ihres Plans? Und Ihre, so bedeutende, geistgespickte Rede, Herr Bundespräsident, war nichts als eine hohles Etwas, mich anzulocken und einzufangen?

Vogel: Wo denken Sie hin? Hier ist doch der Herr Gorbatschov!

Kohl: Solange Herr Gorbatschov nichts sagt, noch nicht einmal ein Sterbenswörtchen, glaub ich nicht, daß er es ist.

Vogel: Dann gehen Sie hin und fragen Sie ihn. Er wird nicht zögern, Ihnen eine Antwort zu geben.

Kohl: Gehen doch Sie hin.

Vogel: Bitte. Was soll ich ihn fragen?

Kohl: Oder Sie, Herr Weizäcker. Nach Ihrer so gelungenen welthistorischen Rede dürfte es dem russischen Freund ein Leichtes sein, ein Wörtchen des Danks fallen zu lassen.

Vogel: Mal sehen, was sich da machen läßt. Freilich ist das nicht schwer. Doch kann man einfach von jemandem ein Wort verlangen, wobei es einem überhaupt nicht auf den Inhalt des Wortes ankommt? Wenn Sie uns diese Frage positiv beantworten wollten, Herr Bundeskanzler, wenn sie uns diese Frage...

5. Abschnitt

(Sichtbar auf einer Säule der Kopf Gorbatschovs. Die anderen sind verschwunden. Keine Menschenseele mehr außer Kohl und Schäuble vorhanden. Stille.)

Kohl: Wo sind sie? Wo sind sie hin? Worauf läuft das hinaus? Schäuble?

Schäuble: Herr Bundeskanzler?

Kohl: Wie ein Spuk sind alle verschwunden. Ein Glück, daß wenigstens Sie noch da sind.

Schäuble: Kann man sich auf jemanden verlassen, wenn er uns zur Unzeit verläßt? Nur der Verläßliche bleibt.

Kohl: Aber der Weizäcker und der Vogel, die sind weg.

Schäuble: Wenn doch nur alles Gelichter, das den Tag scheut, ins Nichts führe.

Kohl: Und doch, Schäuble. Mir ist nicht wohl bei der Sache.

Schäuble: Gibt es etwas, was Sie verwirrt?

Kohl: Ich frage mich allen Ernstes, ob das wahr ist, was wir erlebt haben. Vielleicht haben wir das alles nur geträumt?

Schäuble: Wärs wahr, wie könnten die Leute rings um uns auf einen Streich verschwinden? Wärs aber nur geträumt, dann wäre auch ich nur ein Bestandteil Ihres Traums. Und das kann ja wohl nicht sein.

Kohl: Wenn Sie nicht da wären, Schäuble, ich glaube, mir wär jetzt sogar wohler. Dann wär ich mir nämlich ganz sicher, daß ich träumte, und ich würde mich an der Stelle dazu entschließen, aufzuwachen.

Schäuble: (für sich) Da entschließe ich mich, als einziger Zuverlässiger zu Ihnen zu halten durch Dick und Dünn, komme, was da wolle, und dann sagt er das?

Kohl: Und doch, wie sonderbar. Wenn auch der Vogel weg ist und der Weizäcker und alle die vielen Arbeiter der Höchst AG: der Gorbatschov ist noch immer da. Oder meinen Sie, der Kopf da auf der Säule ist nichts als ein Produkt handwerklichen Könnens?

Schäuble: Jawohl, ein Produkt, erfunden und aufgestellt, Sie zu erschrecken.

Kohl: (sich dem Kopf nähernd) Er schaut mich an, als wolle er mich hindern, ganz nah zu kommen.

Gorbatschov: Ungläubiger, warum glaubst du nicht?

(nach diesem Satz verschwindet auch der Kopf von der Säule)

Kohl: Was war das?

Schäuble: (indem auch er verschwindet) Wie soll ich das wissen?

Auch ich bin nur ein Mensch. Vielleicht, daß ein Theologe Parallelen zu den Ostergeschichten findet.

Kohl: Schäuble? O, jetzt ist auch er weg. Vielleicht hat ihn der Himmel bestraft ob seiner frivolen Bemerkung. Vielleicht aber hält auch er meine Sache für verloren? Doch was solls. Mag denn auch er gehen. Ich aber will mich mit Kraft umgürten, will mich mächtig machen wie ein Stier, will brüllen, daß Simsons Tempel wackeln. Mit deiner Hilfe, gütiger Gott, will ich ein Heer von 1000 Mann in die Flucht schlagen, wenn nicht vernichten. Und wenn Herr Goliath persönlich käme, er soll mir nicht entgehen.

2. Schauspiel: Kanzler und Chamäleon

1. Abschnitt

(Nachts. Großes Zimmer mit Schrank und Fenster zur Straße. Im Zimmer neben Kohl der Kanzlerthron des Bundeskanzlers von Deutschland sanft beleuchtet, auf den er immer wieder schaut. Zwei weibliche Wesen tauchen auf, bringen prächtige Kissen, legen sie auf den Thron und verschwinden wieder. Nebenan ein weiteres Zimmer. Kohl und Hannelore im Bett.)

Hannelore: Was bist du nur für ein unbrauchbarer Mensch. Das Frühjahr ist wieder gekommen mit seinen herrlichen Tagen. Pflanzen Vögel, alle Tiere und auch der Mensch gehen hinaus ins Freie und ergötzen sich. Nur du bleibst zuhause sitzen, brütest über Gott weiß was für überflüssigen Dingen und merkst nichts davon. Und nachts, wenn alle Welt schlafen will, rumorst du noch hier im Zimmer. Es würde mich nicht wunder, wenn du eines Tages noch überschnappst.

Kohl: Wer große Dinge vernimmt und sie nicht im Herzen verwahrt, der ist ein Verräter.

Hannelore: Du störst mich beim Schlafen. Keine Nacht find ich mehr Ruhe.

Kohl: Das kommt daher, daß du nicht mitspielst, nicht mitmachst bei meiner Arbeit. Du bist nur wie ein lebloses Requisit.

Hannelore: Sprich mich wenigstens nicht an, wenn du mich nicht meinst.

Kohl: Warum gibst du dir nur so wenig Mühe? Es genügte mir schon, wenn du so tun würdest, als wolltest du mir helfen.

Hannelore: Ich, dir helfen? Dann tu, was ich dir sage. Schau weg von diesem Stuhl!

Kohl: Du siehst nichts als einen Stuhl, ein Möbelstück zum Draufsitzen oder auch zum Blankscheuern.

Hannelore: Womit ich gewiß mehr recht habe als du, der du darin einen Herrscherthron, wenn nicht gar einen Himmelsthron zu sehen scheinst.

Kohl: Würdest du in ihm das sehen, was ich in ihm erblicke, den Ansporn zur Heldentat, die Herausforderung zur historisch einmaligen Größe und mithin die Herrlichkeit des Regierens, du würdest ganz anders sprechen.

Hannelore: Ein Nachtstuhl ist es, ein erbärmlicher Nachtstuhl.

Kohl: Du hast dir noch nie Gedanken darüber gemacht, geschweige denn, daß du mir geholfen hättest, das Erhabene zu fassen.

Hannelore: Regieren ist kein Ding für Leute von Charakter und Erziehung.

Kohl: Was verstehst du schon vom Regieren! Erhabenes Geheimnis meiner schlaflosen Nächte!

Hannelore: So geh denn und klettere auf deinen Thron, wenn du nicht einschlafen kannst, weil du Angst hast, daß einer kommt und dir deinen Thron wegschnappt! Und vergiß auch nicht, einen Topf darunter zu stellen für den Fall, daß du Wasser lassen mußt.

Kohl: (sich aufrichtend) So also kümmert man sich um den Kanzler der Bundesrepublik Deutschland.

Hannelore: Keiner außer mir scheint momentan noch in der Lage, dir den Kopf zu waschen.

Kohl: Ich muß überhaupt staunen, daß bei solch einer armseligen Mithilfe so viel aus mir geworden ist.

Hannelore: Einmal habe ich von einem Norweger gehört, der über viele viele Jahre ganz allein für sich in einem einsamen Haus gehaust hat. Nur ein paar Photos hat er um sich herum gehabt, von seinen Eltern und Großeltern. So ähnlich ist auch mir oftmals zumut. Da sitz ich dann da und rede mit den Toten. Und dann muß ich mich wundern, daß ich noch lebe.

Kohl: Zum Teufel mit allen Zweifeln und Schwächen. Zum Teufel mit all den Einflüsterungen, als hätt ich meine Bewährungsprobe noch immer nicht bestanden. Als stünd ich noch vor dem entscheidenden Durchbruch. Ich bin der Bundeskanzler. Ich. Und niemand außer mir. Was mir vor 10 Jahren noch kein Mensch zugetraut hätte, das ist Wirklichkeit geworden! Und hab ich nicht noch Gewaltigeres vor, Taten, an die zu denken selbst den Weisesten Deutschlands vor 2 Jahren zu denken noch nicht eingefallen wären? Wenn ich überdenke, was ich schon geleistet habe, das benimmt einem schon den Atem. Wenn ich aber denke, was ich noch leisten werde, so ist mir fast, als könnte mir einer meine Taten wegstehlen und sie als seine eigenen verkaufen. Was ich getan habe ist ja längst in aller Welt. Oder hätte ich sonst erst neulich den Ehrendoktor der Universität von Hollywood bekommen? Und was ich noch tun werde. O, die Augen werden ihnen aufgehen. Ich sehe sie schon, wie noch in fernen künftigen Zeiten, die Großeltern ihren Enkeln davon erzählen.

Hannelore: Wenn dich stört, daß ich schlafen will, so geh ich ins Nebenzimmer. Gute Nacht. (Sie nimmt ihr Bettzeug und geht.)

Kohl: (ohne es zu bemerken) Aus alledem folgt, daß ich längst kein Nobody mehr bin, kein Nichts und kein Niemand, sondern der Vorsitzende der Partei der CDU, der Vorsitzende im Bundestag, ja der Bundeskanzler Deutschlands, Deutschlands mächtigster Mann, die schöpferische Kraft der deutschen Wiedervereinigung. Den Vater des Vaterlandes wird man mich nennen. Dringt nicht mein Ruhm schon bis zum obersten Himmel? Weg also mit allen Bedenken! Weg mit all der Angst. Weg mit den Versuchungen der Hölle! Fast wünscht ich mir, meine Gegner kämen jetzt und versuchten es mit mir. Damit ich sie erschreckte und bändigte und in die Flucht schlüge! - Schirrt an die Rosse, deckt das Feld mit Wagen rings:/ Doch meine Herrschaft überlaß ich diesen nie..

(es läutet)

Kohl: Was war das?

Hannelore (von nebenan) Es hat geschellt.

Kohl: Sieh nach, wer es ist. Doch nein, warte noch!

Hannelore: Für mich ist es nicht.

Kohl: (Er eilt und setzt sich auf den Kanzlerthron) Jetzt sieh nach, wer es ist.

Hannelore: Sieh du selber nach. Ich habe genug nachgesehen.

Kohl: Wenn du glaubst, ich würde dir jetzt befehlen, nachzusehen, so irrst du gewaltig. Ich sage dir nämlich, es hat überhaupt nicht geschellt. Du kannst es bestreiten, wenn du willst. Doch es nützt dir nichts. Ich habs ganz genau gehört, daß es nicht geschellt hat.

(nebenbei) So mach ich sie neugierig. Und wenn Frauen erst mal neugierig gemacht sind, können sie nicht mehr widerstehen. Dann zieht sies unwiderstehlich zur Türe.

Hast du gehört, daß es nicht geschellt hat?

Hannelore: Bestenfalls habe ich gehört, daß du gesagt hast, daß es nicht geschellt hat. Aber wenn du gehört haben willst, daß es nicht geschellt hat, so hast du dir eingebildet, daß es nicht geschellt hat. Und dann kann es geschellt haben oder auch nicht.

Kohl: Genau das hab ich ja gesagt. Ich bin nur noch einen Schritt weiter gegangen. Ich habe gleichsam zwei Gedankenschritte auf einmal genommen. Das muß ein guter Staatsmann können, zumal wenn er Helmut Kohl heißt. Und ich will auch nicht anstehen, dir einen so strikten Beweis zu führen, daß selbst der beste Logiker, ja daß selbst der Vogel nichts dawider sagen könnte. Wenn es nämlich sein kann, daß es geschellt hat oder auch nicht, so kann es auch sein, daß es nicht geschellt hat. Wenn es aber geschellt hätte, so würde es jetzt nach der langen Zeit längst noch einmal geschellt haben. Noch nie nämlich ist vorgekommen, daß einer bei uns nur einmal angeschellt hätte. Da es aber nicht noch einmal geschellt hat.. so folgt daraus

(es schellt wieder)

Kohl: Da!

Hannelore: Was ist?

Kohl: Es hat geschellt. Sieh endlich nach!

Hannelore: Wenn es nicht geschellt hat? Ich habe doch gehört, daß es nicht geschellt hat. Und selbst, wenn es geschellt hätte, könnte es der Wind gewesen sein.

Kohl: Du gehst nicht?

Hannelore: Nein.

Kohl: Weil du Angst hast und deiner Natur nach zur Feigheit neigst.

Hannelore: Konträr. Weil ich einen gesunden Menschenverstand habe und weil ich nicht länger deine Gockelemma bin. Du kannst selber nachsehen, wenn du ein Held sein willst.

Kohl: Gockelemma! Kikeriki!

2. Abschnitt

Fremder (den Kohl noch nicht bemerkt, zur Türe eintretend, wo er vor einem Spiegel Masken ausprobiert) Wenn ich nicht ich wäre, ich würde nicht anstehen, mich zu bestaunen, jawohl, ich könnte mich förmlich an mir besaufen, könnte mich antreiben, mich zu bewundern, könnte mich peitschen zu meiner Verherrlichung, könnte mir Dank sagen für meine Pracht und Entschlossenheit. So etwas von Naturtalent wie mich, so ein Original, solch ein Genie hab ich mein Lebtag noch nicht gesehen. Oder gibt es außer mir jemanden, der durch verschlossene Türen hindurchkommt? Und das ist noch eine der geringsten von meinen Fertigkeiten. Weil ich nun aber nicht möchte, daß meine Talente ungenutzt verderben, wo mir die Natur, als ihrem Schößling, sie in so reicher Fülle übergegeben, so bin ich gekommen, mich nützlich zu machen.

Kohl: Etwas würde ich noch gern von dir hören. Eine letzte Frage,

Hannelore. - Sagt sie jetzt ja, so setzt sie auf meine Heldenkraft, und das wäre gut. Wie aber wenn sie nicht auf meine Heldenkraft setzt? Dann kann sie den Späth nicht hereinlassen. Es sei denn, sie setzt auf meine Unterwerfung und Niederlage und Entmachtung? Das müßte noch nicht bedeuten, daß sie mich absolut nicht mehr ausstehen kann oder gar, daß sie den Späth lieber hätte. Welche Frau könnte auch einen Späth mögen? Von den Männern ganz zu schweigen. Es könnte freilich auch bedeuten, daß sie mich aus der Politik herausziehen möchte, damit wir uns dann Mallorca ein Einfamilienhäuschen erwerben und dort zusammen unseren Lebensabend verbringen, indem wir uns tagsüber auf den Abend freuen, und wenn der Abend gekommen ist, wir uns vom Sofa aus einen Schmarren aus dem deutschen Fernsehen ansehen. Das wäre zwar nicht böse gedacht, und doch mag ich solche Wünsche nicht. Jeder Gedanke an ein Pensionärsdasein wär da Verrat. Doch ich wollte noch etwas fragen.

Hannelore: Sag endlich, wenn du noch etwas wissen willst.

Kohl: Ja, was war es denn nur?

Hannelore: Wenn du es nicht mehr weißt, wars auch nicht wichtig.

Kohl: O doch! Ich habs jetzt wieder. Hättest du den Geißler hereingelassen, wenn es der Späth gewesen wäre?

Späth: (kurz innehaltend)

Kohl: Warum antwortest du nichts?

Hannelore: Weil du Blödsinn redest.

Kohl: Das versteh ich nicht.

Hannelore: Das glaub ich dir gern. Einer, der nichts versteht, versteht auch nicht, wenn er Blödsinn redet.

Kohl: Ich will ja nur wissen, ob du den Späth hereingelassen hättest, wenn du den Späth erkannt hättest?

Hannelore: Laß mich endlich in Ruhe.

Kohl: Der Geißler ist eine Geißel, eine Gottes- und eine Menschheitsgeißel und nicht zuletzt eine Kanzlergeißel. Beim Dante sitzen solche Typen im untersten Kreis der Hölle. Hat es nicht auch mal eine Geißlersekte gegeben?

Hannelore: Du hast doch Geschichte studiert, nicht ich.

Kohl: Vielleicht verbann ich noch den Geißler nach Mallorca.

Späth: Wär als erstes die Kleiderfrage zu klären. Welche Maske uns am besten ansteht? Die vom Heiner Geißler? Ah nein, da seh ich wirklich aus wie ein Dschungelgorilla. Eher springt der Ossa auf den Olymp, und Jupiter wird noch einmal Amphitryo, als daß ich ein Geißler werde. Das würde ihn zu sehr erschrecken. Da würde er noch gar mir zu Leid einen Herzschlag bekommen. Das brächte mir den Staatsanwalt auf den Hals und dann wärs vorbei mit dem Kanzleramt. Wäre diese Maske. Vom Lothar Späth? Dieses braungegerbte Gesicht, das mich mit seinen verschlagenen Zügen an einen Fürsten aus den Tagen des Cinquecento, an den Papstsohn Cesare Borgia, erinnert. Der muß ja die Katharina Sforza ganz schön drangsaliert haben. Wenn jemand in Deutschland das Zeug hat, wirklich große Politik zu machen, so bin ich es. Das sollte sich auch in Bonn herumgesprochen haben. Wenn ich große Politik mache, dann ist was dahinter. Da gibt es kein Wenn und kein Aber. Schon einige Hochschulen hab ich kurzerhand geschlossen, weil sie geglaubt haben, gegen mich opponieren zu müssen. Da meinten sie, weil ich nie eine Hochschule besucht habe, weil ich mich von ganz unten hinaufgearbeitet habe, weil ich ganz klein angefangen habe, deshalb könnten sie sich etwas auf ihre Hochschulbildung einbilden. O da haben sie sich gründlich getäuscht. Wie ich sie zu Paaren aus ihrer Akademie getrieben habe. Da half ihnen kein Doktorhut mehr und kein noch so tolles akademisches Blabla. Als ich sie in ihrer Hochburg umzingelt hatte und den Befehl zum Ausräuchern gab, mußten sie heraus. Und da kamen sie dann auch heraus. So klein kamen sie da heraus, fielen mir zu Füßen und winselten um Gnade. Durch die Türen jener Hochschulen geht keine Bildung mehr hindurch. - Doch nein, die Maske vom Späth brauch ich ja gar nicht, das bin ich ja selber. Das ist ja meine Natur. Da würd ich mich ja verraten. Auf die Kultur kommt alles an, auf das gepflegte Äußere, auf den veredelten Schein. Die Maske vom Vogel scheint mir da am besten. Mit den feinen reifen Zügen eines Oberlehrers, so voller Kultur und schönem Schein, fern aller Gemeinheit. Die reichen schon fast an die Physiognomie eines Kirchenlehrers heran, jedenfalls weisen sie in die sublimen Sphären des Höheren, Beruhigenden, Auserkorenen und Auserwählten hinauf.

Späth: So, nun fangen wir an! (im Ton von Vogel) Herr Bundeskanzler, ich bin gekommen...

Kohl: Herr Vogel? Herr Vogel, sind Sie es?

Späth: Herr Bundeskanzler, ich bin gekommen, Ihre Politik aufs sorgfältigste zu verfolgen. Auch heute Nacht. Es freut mich, daß Sie auf dem neupräparierten Thron der deutschen Bundeskanzler Platz genommen haben. Sitzt man da gut? Nur keine Angst, Herr Bundeskanzler. Der Vogel nimmt Ihnen den Platz nicht weg.

Kohl: Auch wenn Sie sich Mühe geben, Vogel, sich dem Späth anzugleichen, so soll es Ihnen heute nacht nicht gelingen. Und falls Sie einen kleinen Tip haben wollen, was Sie tun müssen, damit man den alten Vogel nicht mehr in Ihnen erkennt, wenn Sie als Vogel nicht der Vogel sein wollen, so müssen Sie wenigstens das "Herr Bundeskanzler" weglassen. Außer Ihnen kann das keiner so unnachahmlich.

Späth: Herr Bundeskanzler!

Kohl: Was hab ich gesagt? Schon wieder! - "In allen Kleidchen magst du dich verstecken, gleich Herzensvöglein, gleich erkenn ich dich!"

Späth: Wo Sie mich so schnell erkannt haben, Herr Bundeskanzler, hab ich Ihnen auch was mitgebracht. Etwas Gutes natürlich. Schließlich komm ich zur rechten Zeit. Sie wissen ja, nichts kommt zur Unzeit, wenn es etwas Gutes ist. Raten Sie, was es ist! Nun? Fällt Ihnen nichts ein? So will ich es Ihnen verraten. Es ist ein Uhlbacher Götzenberg. Eine Späth-lese aus Schwaben-Würrtemberg.

Kohl: Haha! Schwaben-Würrtemberg. Seit wann machen Sie solche Witze, Herr Vogel?

Späth: Ich finde Sie einfach entzückend auf Ihrem Thron. Da paßt alles zusammen. Der Thron, der ganze Kerl darauf, der Schlafanzug..

Kohl: Und ich dachte schon, es wär ein Revolver in Ihrer Mappe.

Späth: Wollen sehen, ob er vergiftet ist. (Er probiert. Sie prosten einander zu und trinken)

Kohl: In der Tat, ein vorzügliches Tröpfchen.

Späth: Meine Schwiegermutter sagte immer, der geht herunter wie Öl. - Prost!

Kohl: Prost!

Späth: Und dennoch lassen Sie mich wiederholen, was ich Ihnen schon mehrere Male gesagt habe, Herr Bundeskanzler: Wenn Ihnen das Sitzen auf dem Kanzlerthron zu anstrengend werden sollte...

Kohl: Wenn mir eines Tages der Kanzlerjob zu anstrengend wird, wenn mich drängt, in alle Welt hinauszuschreien, o befreit mich von diesem elenden gottverdammten Geschäft, dann haben Sie die Güte, mich abzulösen. Ist es nicht so, lieber Vogel?

Späth: (nickt)

Kohl: Sie sehen, der Bundeskanzler ist gar nicht so dumm, wie er aussieht. Er hat ein phänomenales Gedächtnis. Aber ich danke ergebenst.

Späth: Nun, man kann ja nicht wissen. Man soll bekanntlich niemals definitiv nein sagen.

Kohl: Übrigens kommt mir Ihr Besuch jetzt nicht einmal ungelegen, Herr Vogel. Um ganz ehrlich zu sein, ich hab nämlich befürchtet, es wär einer aus der CDU.

Späth: Heute Nacht würden Sie jeden SPD-politiker lieber empfangen als einen aus den Reihen der CDU oder aus der werten, allerchristlichsten Zwillingspartei? Hab ich nicht recht?

Kohl: Jeden würde ich nicht sagen. Es gibt noch ein paar, auf die ich mich verlassen kann. Und doch kann man einen politischen Gegner oftmals besser achten als einen Parteifreund.

Späth: Den Späth jedenfalls mögen Sie nicht? Diesen kreuzbraven Burschen aus Baden-Württemberg.

Kohl: Wie brav er ist, mag der liebe Gott wissen. Für mich ist er nur ein Kreuz.

Späth: Immerhin ist seit dem Hohenstaufer, dem zweiten Friedrich, kein Schwabe mehr so mächtig aufgetreten wie er.

Kohl: Mir wär lieber, er wär Versicherungsagent geblieben. Jeden Tag bet ich zum lieben Gott, daß er ihn einen kleinen Skandal begehen läßt, er muß nicht sonderlich groß sein, nur so groß, daß wir ihn fristlos entlassen können. Könnten wir so verbleiben, lieber Vogel, daß Sie mir zu Gefallen heute Nacht, wann immer sie über den Späth reden, ihn so recht als widerlichen Gesellen hinstellen? Nur heute Nacht, versteht sich.

Späth: Selbstverständlich läßt sich das machen, Herr Bundeskanzler. Ists recht, wenn ich ihn einen Saubub nenne oder einen Sauschwob oder einen Halbsäkel?

Kohl: Ich weiß zwar nicht, was ein Halbsäkel ist, aber ich verlaß mich auf Ihr Erfindungstalent.

Späth: Ein Halbsäkel? Was das ist? Das läßt sich in der Tat kaum in Worte fassen. Einen Schwaben einen Halbsäkel zu nennen, das ist schlimmer als..

Kohl: Nun?

Späth: Mir fehlen die Worte. Schlimmer jedenfalls, als wenn Sie den von Ihnen verehrten Adenauer aus dem Grab holen, um ihm zu sagen, daß Sie nicht länger mehr im Konrad Adenauerhaus ihr Arbeitszimmer haben, sondern im Erich Ollenhauerhaus, weil Sie nämlich zur SPD übergewechselt sind.

Kohl: Pfui doch, Herr Vogel, Man kennt Sie ja nicht wieder. Im übrigen ist der Späth nur einer, nur die Spitze eines Eisbergs. Können Sie verstehen, daß man sich so starrsinnig darauf festnagelt, die Regierungsarbeit von der Parteiarbeit zu trennen? Keine Partei außer der CDU kann jemals auf eine so dumme Aufspaltung kommen. Aber das ist ja nur, weil sie gegen mich losziehen, nicht wegen der Sache. Und dann die Unterstellung, als würde ich die Regierungsgeschäfte eigenmächtig, gar gegen die Interessen meiner Partei verfolgen. Nichts als Verleumdung. Manchmal muß man eben auch auf den Koalitionspartner Rücksicht nehmen. Endlich aber riß mir die Geduld. Als sie mir vorwarfen, ich hätte keine Führungskraft und könnte nicht auch hin und wieder eine unangenehme und unpopuläre Entscheidung treffen, da hab ich ihnen das Gegenteil bewiesen. Da hab ich mal Stärke gezeigt. Da hab ich den Heiner Geißler seiner Ämter enthoben, wiewohl er mein langjähriger Kampfgenosse und Weggefährte ist. Glauben Sie nur ja nicht, daß mir das leicht gefallen wäre, auch wenn einige aus der Partei jetzt glauben, auf mich mit Dreck werfen zu müssen.

Späth: Herr Bundeskanzler, ich scherze nicht, auch wenn Sie es für einen Witz halten mögen: Ich an Ihrer Stelle würde es mir gut überlegen, ob ich nicht zur SPD überträte. Erstens würden Sie damit den Geißler Lügen strafen, indem Sie ihn auch noch links überholten, und zweitens könnten Sie dann jedem CDU- freund lächelnd als ihrem ausgemachten Erzfeind begegnen, was die Brüder ja alle ihrer Natur nach sind. Aus unserer langjährigen Beziehung aber..

Kohl: Spaßes halber müßte man einmal nachsehen, ob das ginge. Auf jeden Fall könnte dann das Christliche in neuem Glanz wieder auferstehen.

Späth: Sie könnten es machen wie der Herr Honegger, der sich auch dann für die Partei erklärt, wenn die Partei ihm nicht folgt. Das Volk will ja ohnedies längst nichts mehr von ihm wissen.

Kohl: Wenn ich der Späth wär, der würde sogleich die Farben wechseln. Oder glauben Sie nicht auch, lieber Vogel?

Späth: Das ist so eine Art Chamäleon?

Kohl: Der Späth ist doch nur in der CDU, weil wir die bei weitem schlechteste Personalpolitik machen und er hier am besten vorankommt. Aber er ist ja kein Einzelfall. Wenn man wüßte. wie viel Politiker sich nur die Partei auswählen, wo die Karriere am steilsten bergauf geht und wo sie Ihren Machthunger am besten stillen können, die Haare würden einem zu Berge stehen.

Späth: Fouchetypen eben. - Man muß zusehen, wie man aus allem das beste macht. Man muß sich vorsehen. Man muß zuvorkommen. Niemals darf man das Nachsehen haben.

Kohl: Versuchen Sie mich nicht weiter, sonst werd ich schwach. Sonst wird aus einem Paulus noch ein Saulus.

3. Abschnitt

Späth: Die Gefahr ist noch längst nicht gebannt. Es gibt sie und die Zeit treibt uns auf sie zu.

Kohl: (Es ist totenstill. Nur Kohl hört ein Geklingel) Was war das? Hat es geklingelt? Wer hat geklingelt?

Späth: Wer geklingelt hat? Wer an Ihrer Haustüre geklingelt hat? Wie soll ich das wissen? Bin ich Jesus? Ich kann nur sagen, wenn einer geklingelt hat, so war es ich oder ich kann es nicht wissen. (geht ans Fenster) Der Lothar Späth wars gewiß nicht, es sei denn, daß ich der Lothar Späth bin. Wie aber kann ich der Lothar Späth sein, wenn der jetzt in Stuttgart, in seinem großen Schwabenbett liegt und davon träumt, Herrn Kohl als Kanzler zu entmachten. Ist es nicht so?

Kohl: Ich will Ihnen was sagen, Vogel. Es ist gut, daß der nur träumt. Denn käm er zu mir..

Späth: Was dann?

Kohl: So wär ich jetzt willens, ihn zu Hackfleisch zu machen. Und wenn ihm für jeden Kopf zwei neue entstünden, wie bei den Hydren, so würd ich auch die noch niedermachen. O ich würde den Kerl zermusen und zerstampfen, daß ich am Ende noch Mitleid mit ihm bekäme und ihn auf seinem Totenbett beweinte. Was sagen Sie dazu? Hätten Sie mir zugetraut, daß ich ihn so besiege? - Was sehen Sie mich so an?

Späth: Herr Bundeskanzler, ich kenne Sie nicht wieder.

Kohl: Sie mögen Recht haben, Vogel. Seit neuestem, wenn ich noch etwas Zeit habe vor dem Einschlafen, les ich aus einem Buch über moderne Verhaltensforschung. Eigentlich wollte ich, daß mir meine Frau vorliest. Doch sie will nicht meine Sekretärin sein, solange ich eine Sekretärin habe. Nun gut. Weiberlaunen. Schwamm drüber. Seitdem weiß ich, daß es überhaupt nichts ausmacht, ob mich jemand versteht oder nicht, einerlei, ob es der gemeine Mann ist oder ein gewiefter Politiker. Ja ich selber muß mich noch nicht einmal verstehen. Ich muß nur zu mir halten. Fest zu mir halten. Durch Dick und Dünn. Darauf kommt alles an. - Wenn ich Sie so anschaue, was würden Sie sagen: zeige ich eher ein Plusgesicht oder ein Minusgesicht? - Erkennen Sie in mir zumindest einen Alphamann? - Ich sehe, Sie verstehen mich noch nicht. Aber das gereicht Ihnen nicht zur Unehre, lieber Vogel. Die modernen Wissenschaften vom Menschen sind nicht leicht zu verstehen. Drum sind die Rechtswissenschaftler wie Sie gar nicht so schlecht beraten, wenn sie sich aufs positive Recht beschränken. Hat man erst Natur, Kultur, Geist und Religion aus dem Gesetz verjagt, so hält man sich leicht an den Buchstaben. Was die Verhaltensforschung betrifft, so sag ich Ihnen, der Alphamann, das entspricht bei Hunden und Hyänen etwa dem Rang eines Bundeskanzlers oder zumindest eines römischen Kaisers vor Nero. Und was mein Plusgesicht angeht, so besteht es aus hochgezogenen Brauen, sehen Sie!, schmalen Lippen, unbeirrbarer Siegeszuversicht. Während ein Minusgesicht, nehmen Sie als Beispiel das vom Heiner Geißler, wenn ihn der Kanzler ordentlich abgekanzelt hat, durch Bescheidenheit, Genügsamkeit und Unsicherheit auffällt. - Also, da les ich, daß es nicht notwendig drauf ankommt, daß der Alphamann auch der Stärkste ist. Er kann auch Schwächen aufweisen, wenn er sie nur geschickt kompensiert. Pater Pio hat mir das einmal erklärt. Das ist wie bei seiner Heiligkeit, beim hl. Vater. Wenn der ex kathedra spricht, versteht das auch keiner. Wenn Ihnen lieber ist, kann ich das Ganze auch an unserem Bundespräsidenten Richard von Weizäcker demonstrieren. Pater Pio hat gesagt, der hab auch so was an sich, so was Päpstliches, Sie verstehen, was mir bislang noch gefehlt hat.

Späth: Pater Pio!

Kohl: Das Seltsame oder Wunderbare daran ist aber, daß uns keiner zu verstehen braucht. Sie sollen nur glauben, lieber Vogel, glauben und gläubig annehmen. So jedenfalls hat es mir der Pater Pio gesagt. In der Tat gebe ich zu, daß ich lange Zeit, ziemlich achtlos war, was die Ausstrahlung meiner Person angeht. Aber jetzt nicht mehr. In den geeigneten Augenblicken sich sehen lassen und von sich reden machen wie der Herr Bundespräsident Weizäcker, darauf kommts an. Wenn mir das der Heiner Geißler vorgeworfen hätte, hätt ich ihn an mein Herz gedrückt. Aber auch wenn mir das niemand gesagt hat, so weiß ichs jetzt doch. Da sollen Sie mal kommen und etwas von mir wollen. Und wenns der Herr Weizäcker wäre. Da schau ich noch nicht einmal hin, wenn ihn meine Sekretärin in mein Zimmer führt. Da schreib ich erst mal noch in aller Seelenruhe ein Postkarte an meinen Kollegen Reagan und eine an Pater Pio. Und wenn ich dann in aller Seelenruhe die Post erledigt habe, schau ich mich um. Nur so nebenbei, als hätte sich eine Fliege in mein Zimmer verirrt. O da wird er sich wundern, wenn er glaubt, er träfe mich da noch immer in meiner demütigen Hülle von anno Dubak an. Verwandelt soll er mich finden, fremd, mürrisch, stolz. Und ehe er nicht meine Strümpfe in den lichtesten Farben gelobt und meine Schuhe geküßt hat, laß ich auch nicht das leiseste Wörtchen von meinen Kanzlerlippen erschallen. Aber mich beim Weizäcker entschuldigen, worauf der Späth und einige dieser linksorientierten Gesellen unserer Partei bestehen zu müssen vermeinen, weil ich darauf bestanden habe, selber zur Fußballweltmeisterschaft zu fahren und nicht ihn hinfahren zu lassen, dafür entschuldig ich mich nicht und wenn der Mond den dreifachen Keuchhusten bekommt.

4. Abschnitt

Späth (inzwischen am Fenster): Ich fürchte, der Späth kommt doch noch.

Kohl: Hierher, zu mir? Woher wollen Sie das wissen, Vogel?

Späth: Ein Späth gibt niemals Ruhe.

Kohl: Heute Nacht aber, das ist unmöglich.

Späth: Da drunten steht er. Auf der Straße. Ich seh ihn. Er lüftet seinen Schwabenhut und schaut zu uns herauf. Er muß mich sehen. Obwohl ich ihm zuwinke, zu verschwinden, geht er auf die Haustüre zu.

Kohl: Was will er? Woher nimmt er sich das Recht? Woher die Freiheit? Woher die Frechheit? Woher die Unverschämtheit?

Späth: Was kann ein Späth wollen! Denken Sie doch nur selbst darüber nach. Alles Starke wird vom Schwachen auf den Plan gelockt. Das ist so ein Naturgesetz. Täuschen Sie sich aber nicht, Herr Bundeskanzler. Das Starke kommt nicht, um dem Schwachen Hilfe zu bringen, sondern um es zu besiegen und zu vernichten.

Kohl: Vom Ideal der Humanität wärs folglich unmoralisch, wenn ein Starker gegen einen Schwachen loszieht.

Späth: Humanitätsduselei, ein typisch deutsches Unwort.

Kohl: Sagen Sie ihm als starker Oppositionsführer, der Sie ganz zweifellos sind, ich habe jetzt den Oppositonsführer Vogel bei mir und bin jetzt für ihn nicht zu sprechen.

Späth: Ich werde mein bestes versuchen. (ab)

5. Abschnitt

Kohl: Hannelore, der Späth steht draußen. Was sagst du dazu?

Hannelore: Wenn du mich meinst, so sag ich dir, daß ich schon so fest schlafe, daß mich auch kein Späth mehr aufwecken kann.

Kohl: Beunruhigt es dich nicht, wenn der Späth kommt, den Versuch zu machen, mich zu entmachten?

6. Abschnitt

Späth: Angeschlagen. Späth, Sie sind angeschlagen. Ich habe Sie erkannt, Geben Sie sich besiegt. Gehen Sie auf die Pfefferinseln. Verduften Sie nach Knoblauchingen. Verschwinden Sie ins Nirwana! Ich öffne Ihnen nicht. Auch nicht, wenn Sie so weiße Füße haben wie der Wolf bei den Sieben Geißlein. Noch auch wenn Sie sich in pures Kardinalsrot verkleiden. Sie zeigen mir ihr Parteibuch? Nützt nichts. Jedermann kann Lothar Späth heißen und ein CDU-parteibuch haben. Das besticht nicht. Ich hab doch gesagt, ich weiß, daß das Ihr Parteibuch ist. Das nützt Ihnen nichts. Herr Kohl ist heute Nacht zur SPD übergetreten. Jawohl, nicht zuletzt, weil er gemerkt hat, wie Sie es in der CDU mit ihm zu treiben gedenken. Wie, Sie wollen nicht gehen? Dann werden wir es Ihnen eben zeigen

Späth: Jetzt große Tritogeneia, gib mir Kraft. Die du die Lanze schwingst, daß den Helden Hören und Sehen vergeht. Voll Lust kämpftst du in der männermordenden Feldschlacht und bezwingst die Reihen der Krieger. Aber du verstehst auch etwas vom listigen Nahkampf. Du weißt, wie man einem aus dem Hinterhalt auflauert, du weiß, wie man einem ans Schienbein tritt, du weißt auch, wie man einem feigen fahnenflüchtigen Gesellen den Rücken durchbohrt. Du selber hast den Recken der Trojaner damals viel zu denken geben, als du sie falsche Fährten führtest und sie meineidig machtest, so daß dem großen Zeus nichts übrig blieb, als die gesamte Bande aus Troja zum Teufel zu schicken. Doch auch dich bitte ich, dich den Fernhintreffenden, den Sohn der Leto, dich Phöbus Apollon, dich Loxias, dich Smintheus bitte ich, uns von der Schwabenpest zu befreien. Und dich, den gewaltigen Jäger Orion, und euch, die Dioskuren Kastor und Pollux! Endlich laß auch du dich von mir herbeiflehen, Herrgöttle von Pfäffikon, der du unseren kreuzbraven Meisterherzögen und Meisterfürsten aus unserem lieben Meisterwürrtemberg fast 1000 Jahre lang so beachtlich zur Seite gestanden bist, daß kein Bauer vergessen hat, seinen Hut zu lüpfen, wenn Hoheit in die Nähe kam. Laß mich auch du nicht im Stich, heiliger Geist von Oggersheim, der du uns das lebensspendende Wissen verleihst über Quart und Finte. Nicht zuletzt bitte ich auch dich, liebe Mutter Gottes von Altötting, Schutzpatronin der hart arbeitenden Oppositionsführer im deutschen Bundestag nebst dem unbekannten Gott, wenn es ihn geben sollte: gebt mir in Fülle Kraft, auf daß die Welt ersieht, wie ich zur Sache komme! -

Finger weg von der Türe. Fort mit dem Bein, ich quetsch es zusammen wie ein Fliegenbein, wenn Sie es nicht gleich aus der Türe herausziehen. Ein letztes Mal warn ich Sie. - Herr Bundeskanzler, was soll ich tun. Der Späth zieht seine Truppen, ich meine, er zieht seinen Fuß nicht ab. Am besten wäre, Sie kommen mir zu Hilfe. Zu zweit ist er für uns eine leichte Beute. Da machen wir ihn einfach zu Beafsteaktartar.

- Ich lass mich nicht aufhalten, Herr Vogel! - Verschwinden Sie! - Platz da! - Hören Sie, Herr Bundeskanzler, was sich dieser Mensch da herausnimmt. Und das zu Ihrem Oppositionsführer! Ist das nicht dreist? Als ob er der Herr Rodes wär und ich ein kleiner heiliger Dreikönig von den benagalischen Inseln. - Heraus mit dir, Mistkerl, Güllebub, Sauschwab, Halbsäkel, Vollsäkel, Doppelsack und Kartoffelbauch oder es geht dir ans Schienbein. - Ist es so recht, Herr Bundeskanzler? - Heraus mit dir. - Heraus erst mit dir. - Geh doch du heraus!

Kohl: Will er nicht hinaus? Dann warten Sie, ich komme gleich, ich setze mir nur noch meinen Sturmhelm ( Nachtmütze) auf. Gemeinsam sind wir stark, nicht wahr, Vogel? (in Richtung auf seine Frau) Und nun sollst du mal was erleben, was ein Kanzler mit Plusgesicht alles kann. Selbst die Leute von der Opposition schirrt er noch vor sein Gespann. Eine echte Spätlese wirds geben. Kann ich meine Wut schon nicht an meinem Eheweib auslassen, das mich sträflich negligiert, am Späth kann ichs.

7. Abschnitt

Späth: (während er sich die Maske vom Gesicht nimmt) Haben Sies gehört? Jetzt werden Sie den Kanzler persönlich kennen lernen. Und wenn er Ihnen dann nicht das Leben nimmt, so wird Ihnen zumindest das Lachen vergehen.

Kohl: (kommt mit Nachtmütze) Vogel, wo ist der...?

Späth: Wo der feige Wicht ist? Wo ist er denn? Dort, wo er hingehört. (er stößt Kohl beiseite und setzt sich auf den Kanzlerthron)

Kohl: Was war das? (nacheilend) Herr Späth, was tun Sie bei mir? Was wollen Sie?

Späth: Ich will nicht mehr viel. Ich habe schon fast alles.

Kohl: Wo ist der Vogel?

Späth: (mit einer Bauchstimme wie Vogels Stimme, wie von draußen) Herr Bundeskanzler, er hat mich herausgeschmissen.

Kohl: Er war vor 5 Minuten noch da. Sie haben ihn auf dem Gewissen.

Späth: Ich selber war der Vogel. Ich hielt das zum Einstieg für die sanfteste Methode.

Kohl: Lügen, nichts als Lügen.

Späth: Da! Bitte! (mit einer Bauchstimme wie Vogels Stimme, wie von draußen) Herr Bundeskanzler, er hat mich herausgeschmissen. Und wenn Sie es noch einmal hören wollen. Bitte! Herr Bundeskanzler, er hat mich herausgeschmissen.

Kohl: Und weshalb, wenn ichfragen darf?

Späth: Ich mußte Ihre Loyalität zur Partei der Christdemokraten überprüfen. Jetzt aber weiß ich, daß Sie untragbar sind. Mehr noch, daß Sie ein unberechenbares Risiko darstellen, ich muß es in dieser Schärfe sagen, nicht nur für Deutschland, auch für unsere Freunde in Frankreich, ja auch für den Kongo und für den Weltfrieden.

kohl:

Späth: Nehmen Sie zur Kenntnis, daß Sie vor dem Kanzler Deutschlands stehen. Bundeskanzler Lothar Späth! Nehmen sie Haltung an.

Kohl: Wenn Sie wirklich der Späth sind..

Späth: Wenn? Wenn? Wenn? Soll ich Richard III. spielen?

Kohl: Und wenn Sie der Späth sind, so bin ich für Sie noch immer Dr. Helmut Kohl vielfacher Ehrendoktor Besitzer, Bundeskanzler des wiedervereinten Deutschland. Für Sie bleibe ich immer der Herr Bundeskanzler.

Späth: Haltung! Minusgesicht.

Kohl: Wenn einer etwas zu sagen hat, so bin ich es. Und wenn es Sie auch hundert Mal gelüstet, Ihren Schwabenhocker in Stuttgart mit meinem Thron zu vertauschen.

Späth: Die Partei stöhnt und schreit und krümmt sich in Schmerzen, und Sie denken zuhause darüber nach, die Seite zu wechseln und sich ins Lager des Gegners zu schlagen.

Kohl: Sie denken vielleicht darüber nach, nicht ich. Gehen Sie! Ich habe nichts mehr mit Ihnen zu schaffen.

Späth: Aber ich mit Ihnen.

Kohl: Und das wäre?

Späth: Unterschreiben Sie, daß Sie das Amt des Kanzlers mir, Lothar Späth, überlassen. Hier! Diagnose "Unfähigkeit".

Kohl: Sie wissen ebenso gut wie ich, daß wegen Unfähigkeit in der Bundesrepublik Deutschland noch nie ein Kanzler zurückgetreten ist. Je größer das Amt, um so bedeutender die Person.

Späth: Je größer das Amt, um so gewissenloser die Person.

Kohl: Selbst wenn ich wüßte, mir würde das alles hier nur träumen oder wir würden es als Sylvesterspaß aufführen, ich würd nicht unterschreiben.

Späth: (eine Pistole ziehend) Ich bin nicht gewohnt, Befehle mehrere Male zu sagen.

Kohl: (lacht verlegen) Überhaupt zeugt es von schlechtem Geschmack, wenn man nötig hat, sich wie ein Bandit mit der Macht einer Waffe durchzusetzen. Der große Mann wirkt aus sich selbst. Er braucht keine Waffe. Aber das ist ja auch keine Waffe, womit Sie da herumfuchteln. Das ist nur eine Kinderpistole. Eine Hans-Wurst-pistole. Geben Sie es nur zu. Sie müßten sonst ja einen Waffenschein haben.

Späth: Wenn Sie noch Probleme haben, bitte! (er schießt in die Decke)

Kohl: Mein Gott. Ein echter Schuß.

Hannelore: (von nebenan rufend) Was tust du, Helmut? Was hast du getan? Hast du dich erschossen?

Späth: Gnädige Frau müssen sich keine Sorgen machen. Ihr Helmut hat sich noch nicht erschossen. Er befindet sich noch leidlich wohl. Nur die Gehirndecke des Zimmers hat etwas gelitten.

Kohl: Tun Sie nichts Unüberlegtes. Bedenken Sie, auch wenn ich Ihnen das Kanzleramt übergeben wollte, so könnt ichs doch nicht. Das kann nur das oberste Gremium der Partei.

Späth: Wir in Stuttgart sind es müde, noch länger Ihrem absurden Theater zuzuschauen. Nun aber gehen Sie, marsch, marsch.

Kohl: Wohin, ach wohin. Hinauf strebts, es schweben die Wolken abwärts.

Späth: Ich bin der einzige, der das Format hat, Deutschland zu regieren. Das würde auch jedem einleuchten, selbst wenn ich als Ministerpräsident eines der florierendsten Bundesländer nicht mit dem besten Wahlresultat aufwarten würde. Ich kann alles. Jedenfalls gibt es nichts, was ich nicht besser kann als die anderen. Ich habe neben der Fähigkeit, mit Leuten umzugehen, den einzig bedeutenden Zuschnitt, der nötig ist, um Platz zu nehmen auf diesem Thron. Ich vereinige die Kenntnisse, wie man Geld macht und zu Geld kommt mit meinen einzigartigen Beziehungen zum Ausland. Ich bin der Mann, den guten konjunkturellen Aufschwung weiterhin abzusichern.

Kohl: Ich dachte immer, das gibt es nur in Rußland und in der Ostzone.

Späth: Ein Plusgesicht weiß, wann es bergab geht. Und wenn es das merkt, ist es lieber klug als töricht. Da bringt man noch schnell sein Schäfchen ins Trockene. (er reicht ihm einen Geldschein hin) Hier. Sie können ihn nach Liechtenstein bringen. Wenn Sie nicht sagen, wer der Spender ist.

Kohl: Ich bin nicht käuflich.

Späth: Genug jetzt! Marsch.

Kohl: Muß ich den Geldschein nehmen?

Späth: (den Schein zu sich nehmend) Gesicht her! (er streift Kohls Gesicht ab und zieht es sich über.) Und jetzt, marsch!

Kohl: Was soll ich tun?

Späth: Den Schrank öffnen.

Kohl: Und jetzt?

Späth: Einsteigen.

Kohl: Und nun?

Späth: Die Türen schließen. Denn nun geht die Reise los.

(er pfeift) Ladys and gentlemans: Der Nachtexpreß in Richtung Gottverdammi wird vermutlich mit ein paar Stunden Verspätung ankommen. Vielleicht werden es auch ein paar Tage, vielleicht auch ein paar Jahre werden.

Kohl: (herausschauend aus dem Schrank, als säße er in einem immer schneller anfahrenden Zug) Solange lebt ja kein Mensch da drinnen. Dabei hat mich der Weltgeist zu einer wahrhaft unüberbietbar großen historischen Tat ausersehen. Wer außer mir kann das große Werk der Wiedervereinigung verrichten?

Späth: (während die Mädchen mit den Kissen für den Thron wiederkommen) Je besser wir etwas machen wollen, um so schlechter fällt es meist aus.

Kohl: Erbarmen!

Späth: Nur Geduld. Ehren Pio wird schon bald da sein, seinen Gesundheitszustand zu überprüfen. Solange bleibt er da drin.

(er singt und tanzt mit den Mädchen) Heisa Helmut, lieber Helmut, sag mir was dein Mädchen macht.

Hannelore: (hereinstürzend) Mein Gott, wie du mich erschreckst. Ich wußte gar nicht, daß du eine geladene Pistole hast.

Kohl: Hilfe, ich ersticke.

Hannelore: Was war das?

Späth: Nichts, nur mein Minusgesicht, das kennst du doch, das hab ich in den Schrank gesperrt. Wenn man Ordnung halten will, muß man wissen, wo was hingehört.

Hannelore: Wenn ich dich nicht sähe, Helmut, so würde ich sagen, ich habe dich im Schrank wimmern gehört.

Späth: Le roi est mort, vive le roi. Das war übrigens schon beim Großtürken so. Beim Tod des alten Großfürsten wurde die Nachfolge so geregelt, daß der von den Söhnen das Reich geerbt hat, der nach dem Eintreffen der Todesnachricht als erster aus seiner Provinz an den Hof kam. Und sieh, ich bin der erste, der jetzt gekommen ist. Oder bin ich etwa nicht da? Die später ankommenden aber hat man dann kurzerhand entsorgt, indem man sie einen Kopf kürzer gemacht hat.

Hannelore: Bist du mir wieder gut, Helmut?

Späth: Liebling, ich habe noch nie etwas gegen dich gehabt. Sieh her. Bin ich nicht erstaunlich herrlich?

3. Schauspiel: Reise nach Ostberlin

1. Abschnitt

(Nachts. Wie Kohl die Kosten der Wiedervereingung berechnet.Kohl im Schlafanzug, auf seinem Kanzlerthrönchen)

Kohl: (mit Behagen auf seinem Kanzlerthrönchen sitzend, einen großen Geldbeutel öffnend, dann Scheine zählend)

2 Milliarden und drei Milliarden macht 5 Milliarden und 5 Milliarden macht 10 Milliarden. Heißt es nun "macht" oder "machen"? Früher hab ich immer so gezählt: 2 Milliarden und drei Milliarden machen 5 Milliarden. Da hat mich meine Frau geglaubt korrigieren zu müssen. Seitdem sag ich statt "machen" "macht". Ihr zu Lieb. Sie hätte Erstklassenlehrerin werden sollen. Hat ein tolles Talent zum Herummäkeln und Verbessern an Dingen. Die Wahrheit zu gestehen bin ich aber nicht davon überzeugt, daß sie immer recht hat. Schließlich bilden die Subjekte zusammen einen Plural und wo ein Subjekt im Plural steht, zieht es eine Verbform im Plural nach sich. Oder sind Geldscheine keine Subjekte? Ich zumindest kenne einige Subjekte, die haben ein wahres Geldgesicht. Jedenfalls kommt es auf die Tatsachen an und nicht auf die Grammatik oder gar auf die Rechtschreibung. Das ist meine Meinung. Schreibe jeder, wie er kann. Lieber holprige Sätze, hinter denen etwas steckt, als Phrasen mit nichts als leerem Schein überdeckt. Besser Geld zum Zählen und du kannst es nicht erzählen, als du kannst zählen, hast aber kein Geld. Doch zurück zu unserem lieben Staatsschatz. Zum einen muß ich herausfinden, wie viel Geld in unserem Staatsgeldbeutel ist, das wir gegebenenfalls ausgeben können. 10 Milliarden hätten wir schon mal beisammen. Das ist viel, wenn man es für sich betrachtet, es ist aber auch herzlich wenig, wenn man bedenkt, wie viel mehr es sein könnte, wenn wir für unsere allerhöchsten Staatsbeamten nicht so verrückt hohe Gehälter zu bezahlen hätten. Es scheint ein Gesetz zu sein, daß die Demokratie, auch wenn sie die beste aller Regierungsformen sein mag, über kurz oder lang stets zum Selbstbedienungsladen entartet. Das ist nicht gut.

(er findet ein Blättchen im Gelbeutel) Doch was ist das? Ist das nicht kurios? Da hat mir die Hannelore, das ist meine Frau, einen Zettel in den Geldbeutel gelegt. Sehen Sie sich das nur an! Einen Zettel mit einer Liste von Namen! Hannelore Kohl, Oggersheim, Pater Pio, Rom, Pater Florentin, Florenz, Pater Vinzenz, Freiburg. Mitsamt den Telephonnummern. Die gute Seele! Sie hat Angst, daß mir etwas zustoßen möchte, wenn ich so viel Geld mit mir herumtrage. Und damit der Bankräuber oder der Taschendieb oder der Geldkatzenbauchaufschneider auch weiß, mit wem er es zu tun hat, hat sie mir diesen Zettel hereingelegt. Dabei kennt mich längst jedes Kind! -

Doch weiter, weiter. Ich muß wissen, was wir haben und was wir brauchen. Noch hab ichs nicht beieinander. Bei 10 Milliarden waren wir stehen geblieben. 10 Milliarden reichen freilich noch lange nicht zur Sanierung des Honegerparadieses. Das sind erst die Grundgebühren. Dazu kommen nochmals 7 Milliarden zum Wegräumen der Militärplätze, das macht 17 Milliarden, und 10 Milliarden für die Reinigung sämtlicher Flüsse und Ländereien von Chemie und atomverseuchtem Material, macht zusammen 27 Milliarden. Vermutlich brauchen wir aber noch mehr. Da gibt es ja sicher noch haufenweise vermintes Gebiet. Wenn 10 Milliarden überhaupt dafür reichen. Das macht dann 37 Milliarden. Und dann kommt die Städtesanierung mit den Altbausanierungen und dem Wegräumen der Staatsgefängnisse. An jeder Ecke soll eines stehen. Was bei uns die Kirchen sind, sind dort die Staatsgefängnisse. Dort gibt es nur Gefängniswärter und Gefangene. Und dann kommt der Aufbau einer modernen Industrie. Ostdeuschland als Industriestandort. Endlich kommen die Dienstleistungen, die Entwaffnung der Soldaten, die Besoldung der Beamten und Angestellten, die wir alle bezahlen sollen. Zum Teufel, woher das viele viele Geld nehmen? (in den Geldbeutel schauend) Soviel Geld haben wir nicht.

Wenn man bedenkt, was man mit dem Geld alles anfangen könnte. Es ist zum Verrücktwerden. An ein Museum für neuere deutsche Geschichte wage ich schon gar nicht mehr zu denken. Dem deutschen Volk. Es wäre so etwas wie der Invalidendom für die Franzosen. Im Eingang stünde dann eine Kolossalstatue des Kaisers, ich meine eine Statue wie beim Kaiser Konstantin, für den Kanzler der deutschen Einheit. Im ersten Obergeschoß befänden sich dann alle Dokumente und Unterlagen und Korrespondenzen meiner Arbeitszeit. Ich würde sie als großzügige Leihgabe zur Verfügung stellen. Was nicht ganz ruhmvoll sein sollte, könnte meine Sekretärin ja wegräumen und ins Untergeschoß bringen zu den Stasi-akten. Doch ich muß weiteraddieren. Ob ich will oder nicht, ich muß weiteraddieren. Wo war ich stehen geblieben? Bei welcher Summe? Ich will aber nicht weiteraddieren. Überhaupt muß ich wollen, wenn ich nicht will, wo ich einen habe, der wollen muß, wenn ich nicht will? Was sonst sollte ein Finanzminister tun? Wofür sollten wir ihn bezahlen? Sobald ich zu addieren beginne, sollte der Weigel herbeieilen und mir zurufen: Herr Bundeskanzler, warten Sie, ich komme ja schon!

2. Abschnitt

(Vogel kommt.)

Vogel: (zurufend) Herr Bundeskanzler, warten Sie, ich komme ja schon!

Kohl: War das der Weigel?

Vogel: Warten Sie, ich komme ja schon!

Kohl: Haben Sie mich gehört, wirklich gehört, und haben sich in Ihren famosen Siebenmeilenstiefeln auf den Weg gemacht? Oder sind Sie zufällig eben hier vorbeigekommen?

Vogel: (eintretend) Wann je wäre vorgekommen, ich hätte Sie nicht gehört. Hören und erhören, das ist das Werk eines einzigen Augenblicks. Ruft er mich an, so erhöre ich ihn.

Kohl: Ah Herr Vogel. Hab ich Ihnen nicht verboten, mein Haus nachts zu betreten?

Vogel: Herr Bundeskanzler, erregen Sie sich nicht. Fragen Sie sich lieber, ob ich als Oppositionsführer den Kanzler eines wieder zu vereinenden deutschen Vaterlandes auch nur eine Sekunde allein lassen darf. Niemand kann wissen, was ihm alles noch nützlich ist. Kohl: Nur keine Witze!

Vogel: Dann sag ich Ihnen eben ganz trocken, Herr Bundeskanzler, daß ich als Oppositionsführer achtzugeben habe, daß Sie mir kein dummes Ding drehen, zumal jetzt in dieser weltpolitisch hochbrisanten Stunde. Und wenn Sie mir noch immer nicht glauben, so beweis ich Ihnen mit niemand geringerem als wie mit dem Machiavell, was Sie an mir haben. Der sagt nämlich in seinem Principe, daß nur der ein guter Oppositionsführer ist, der in allen seinen Handlungen an nichts als an das Wohl seines Fürsten denkt.

Kohl: Falls Sie mich als Fürst meinen, ich brauch niemanden, der an mein Wohl denkt.

Vogel: Der Fürst ist niemand als Sie, der Bundeskanzler! Da haben Sie recht. Aber daß Sie niemanden brauche, der an Ihr Wohl denkt, da liegen Sie meilenweit neben der Schußlinie. Hab ich nicht schon manches Mal mit Ihnen auf Ihr Wohl angestoßen?

Kohl: Geben Sie zu, Herr Vogel, daß Sie auch gern auf meinem Thron säßen. Ich will Ihnen aber im Vertrauen sagen, es ist kein Job zum Honigschlecken. Selbst in der Nacht noch muß ich Geld zählen.

Vogel: Deshalb bin ich ja da, Herr Bundeskanzler. Her mit dem Geld. Ich zähl Geld so schnell wie eine Geldwäschefabrik.

Kohl: Und wofür? Für die korrupte und trübe Bande von da drüben. Dabei bin ich gar nicht so sicher, daß die da drüben kein Geld haben. Honegger und Konsorten haben sicher ein paar Milliarden beiseite geschaufelt. Wenn wir schon ein paar Millionen für die Partei nach Liechtenstein gebracht haben, dann bringen die dort Milliarden hinüber, güterwagenweis.

Vogel: (zählt das Geld) macht 39 Milliarden und keinen Pfennig mehr.

Kohl: Eigentlich grenzt es schon an Heroismus, soviel Gutes für Kommunistenköpfe zu tun.

Vogel: Wenn Sie der Kanzler aller Deutschen werden wollen, dürfen Sie unsere Brüder nicht Kommunistenköpfe schelten.

Kohl: Das sind ihre Brüder, nicht meine.

Vogel: Aber was ist denn das da?

Kohl: Das Zettelchen da? Das sind die Namen, falls mir etwas zustoßen sollte.

Vogel: Für den Fall des Exodus, ich verstehe. Doch einen Moment. Ein Name fehlt da!

Kohl: Einer fehlt noch. Ich dachte immer, es ständen zu viele darauf.

Vogel: Der Name, der darauf stehen müßte und der alle anderen Namen auslöscht und überflüssig macht!

Kohl: Jesus?

Vogel: Mein Name, Sie Hornochs. Jochen Vogel, Oppositionsführer. Der fehlt! Oder rangiert bei uns das Privatwohl vor dem Allgemeinwohl? Muß nicht Ihr Bestreben sein, sobald Sie das Zeitliche segnen, aufs schnellste mich zu informieren, auf daß ich das Staatsschiff in sichere Gewässer leite? Doch verschwenden wir nicht länger mehr Zeit.

Kohl: Was haben Sie vor?

Vogel: Folgen Sie mir, sofern Sie kein Feigling sind!

Kohl: Und weshalb soll ich Ihnen folgen? Nicht deshalb, damit Sie sich schnell auf meinen Thron setzen?

Vogel: Machiavell zu Folge gibt es drei Klassen von Intelligenz: diejenige, die alles von sich aus verstehen. Dann solche, die erkennen, was die Weisen begreifen. Und endlich solche, die weder aus sich, noch mit Hilfe anderer verstehen. Es liegt an Ihnen, in welche Klasse Sie sich einsortieren lassen wollen.

Kohl: Hören Sie auf mit Ihrem Machiavelli. Ich verbiete Ihnen, mich einzusortieren, und schon gar nicht lass ich mich in eine Falle locken. Selbst wenn ich jetzt ganz dringend aufs Örtchen müßte, stünd ich nicht auf. Lieber würd ich den Kanzlerthron etwas strapazieren.

Vogel: Bravo! Bravo! Und nun kommen Sie! Ich hab da nämlich einen Schlüssel. Der paßt haargenau ins Schlüsselloch der SED. Damit können Sie sich einen Einblick verschaffen in das System und in die Finanzlage der DDR. Ich weiß einen Weg, wo wir bequem zum Politbüro gelangen.

Kohl: Von wem haben Sie den Schlüssel? Vom Genossen Bahr?

Vogel: Sie gestatten Herr Bundeskanzler, daß ich die Frage unbeantwortet lasse, zumal sie nichts zur Sache hinzutut.

Kohl: Haben Sie mir etwas zu gestehen, Herr Vogel?

Vogel: Ihre Vorsicht in Ehren, Herr Bundeskanzler. Aber Ihr Kleinglaube mir gegenüber grenzt allmählich ans Psychopathische.

Kohl: Erklären Sie sich genauer.

Vogel: Erstens müssen wir wissen, ob unsere 39 Milliarden ausreichen. Sodann müssen wir uns ein Bild machen von den Reformbewegungen. Ob inzwischen welche in Gang gekommen sind. Wo Sie gesagt haben, daß das Geld mit dem Beginn von Reformbewegungen verknüpft ist.

Kohl: Das kann auch der Weigel inspizieren.

Vogel: Das ist Ihre Aufgabe, Herr Bundeskanzler, nicht die vom Herr Weigel. (für sich) Der Herr Weigel muß bestenfalls zusehen, daß genug Schnee in Bayern fällt, für den Schnee von gestern. (laut) Drum auf! Beeilen Sie sich!

Kohl: Und Sie glauben, daß wir Zeugen werden, wie viel Geld die in der DDR haben?

Vogel: Wann jemals wär es in einer Staatssitzung nicht mittelbar oder unmittelbar ums Geld gegangen? Selbst bei uns dreht sich alles ums liebe Geld.

Kohl: Da hat er nun allerdings recht. Einen Augenblick. (er ruft) Hannelore? Ich muß noch mit dem Vogel nach Ostberlin. Wenn du mir in der Zwischenzeit den Thron besetzt hältst. Nicht aufstehen. Niemals. Auch nicht, wenn du glaubst, es auf dem Stuhl nicht aushalten zu können. Und schon gar nicht, wenn der Späth kommt. Vogel: Wir sind gleich wieder zurück.

3. Abschnitt

(Im Freien, unterwegs)

Kohl (noch immer im Schlafanzug): Herr Vogel, Sie sind doch ein weiser Mann.

Vogel: Gewiß.

Kohl: So sagen Sie mir, welches Ihrer Meinung nach das kleinste Wörtchen ist: Ja oder nein?

Vogel: Was Sie für Sorgen haben.

Kohl: Das beschäftigt mich schon seit langem. Ist es das Ja, weil es nur zwei Buchstaben hat oder ist es das Nein, auch wenn es sich mit seinem Schluß-N auf drei Buchstaben beläuft? Bei Ja hab ich immer das Gefühl, daß man dem auslautenden A noch viele weitere A`s anhängen könnte und das Wort wäre immer noch nicht zu Ende.

Vogel: Das kommt daher, daß Sie sich mißtrauen, Herr Bundeskanzler. Und damit auch mir, Ihrem Oppositionsführer, aber leider auch unserem Volk.

Kohl: Ich mißtraue dem Volk nicht. Ich achte es vielmehr.

Vogel: Wenn Sie machen würden, was ich Ihnen sage, dann wäre das Ja ein wunderbar gehaltvolles und kurzes. Aber in Ihrer ganzen Regierungszeit haben Sie noch kaum je auf mich gehört, geschweige denn, daß Sie ein einziges Plebiszit gewagt hätten.

Kohl: In schwieriger Zeit muß man für alle denken und für alle handeln. Da stört die sonst so gewünschte Vielfalt der Meinungen aller Demokraten. Das müssen Sie zugeben.

Vogel: Jetzt passen Sie auf. Jetzt kommt der Stacheldraht. Da dürfen wir nicht dran fassen. Sonst haben Sie ausgedacht. Alesandro Volta!

Kohl: (nachdem er unten durch ist) Wie traurig das alles ausschaut, zumal jetzt in der Nacht! Man meint, eine Sintflut stünde bevor oder sonst eine apokalyptische Katastrophe. Ich glaube, selbst die Freiheit, wenn sie dieses Land betreten würde, wäre hier krankheiterregend.

Vogel: Wie Sie reden!

Kohl: Auch das Vieh auf der Weide schaut traurig drein. Schauen Sie doch, wie es dort dahinwandelt! Wie Gespenster oder als obs bald versaufen müßte. Kein Wunder, wo es nichts zu fressen gibt als Stacheldraht und Pulver. Wenn ich Ihnen die Wahrheit sagen darf, mir will scheinen, als wären wir auf dem Weg in eine Großschlachterei.

Vogel: Ich sehe das anders.

Kohl: Als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland habe ich stets das Wahre zu suchen. Leider schließt das nicht aus, daß ich auch das Gemeine sehen muß, wenn es sich zeigt.

Vogel: Mit der kleinen Lüge, daß ich alles so zu sehen versuche, wie es sein soll, bin ich bislang nicht schlecht gefahren. Zum Glück erkennen wir auch schon manch eine Besserung.

Kohl: Wir werden es schaffen. Auch wenn es jetzt noch ganz anders ist. Wir werden aus diesem Land ein schönes, blühendes Land schaffen.

Vogel: Und dann werden wir singen: Blüh im Glanze dieses Glückes, blühe deutsches Vaterland.

Kohl: Gestern war das Volk der Ochse, heute ist es die Partei. Vogel: Sehen wir zu, daß morgen nicht wir der Ochse sind.

Kohl: Gott helfe mir. Ich kann nicht anders. Alles erinnert mich hier an Ochsen. Nun ist es ja auch so, daß die Menschen hier ihr Land nicht verlassen dürfen wie die Ochsen ihr Weideland. Und wie bei diesen ist auch bei jenen das Gelände mit festen geladenen Zäunen umgrenzt. Und kommt der stärkste Bulle angerannt, so warten schön alle anderen. Das ist auch bei den Kommunisten so. Genosse Honegger muß sicher nicht die altverfaulten Kartoffeln wegfressen, auch wenn es im Kommunismus keine Extrawürste gibt. Jawohl, hättet ihr ihm nicht all die Jahre über so flattiert, er hätt es in der Kunst der Volksunterdrückung nie so weit gebracht. Wenn aber mehrere gegen den Zaun gerannt sind und man Angst haben muß, daß sie die Grenzzäune zerstören, so lädt man die Zäune scharf und richtet Kontrolltürme ein mit Scharfschützen. Da haben es die echten Ochsen noch besser. Denen streut man dann Futter hin, Spezialfutter, etwas untermischt mit einem Sedierungsmittel, damit sie den Blick wieder ins Innere wenden, auch wenn dort alles weit und breit verschissen ist. Aber hier wird abgeknallt. Mehr als Muh darf keiner sagen. Und noch nicht einmal Muh darf er hemmungslos sagen. Denn Muh kann alles heißen und folglich auch etwas Schlechtes. Wenn einer Muh sagt, darf das auf keinen Fall heißen, ich finde alles beschissen. Und wenn ein Bürger der DDR Muh sagt, muß man heraushören, daß er alles ganz herrlich findet. Muh! So etwa. Oder so: Muhhh! Ich finde alles herrlich, ich bin mit allem einverstanden. Ich fände es auch herrlich, wenn alle Bundestagsabgeordneten oder zumindest meine Parteibrüder und Schwestern alles herrlich fänden, was ich mache.

Vogel: Jetzt kommt das schwierigste Stücke unseres Weges. Jetzt kommt die Spree.

Kohl: (etwas zurückbleibend) Die DDR ist klein, aber von Hindernissen gespickt, ein wahrer Hindernislauf.

Vogel: Dort drüben, wo die Lichter leuchten, dort ist der Palast der Republik, dort ist auch das Politbüro. - Herr Bundeskanzler, was haben Sie? Kommen Sie!

Kohl: Mich schaudert. Es ist so unheimlich hier.

Vogel: Wo wir das Ziel schon vor Augen haben?

Kohl: Was haben Sie gesagt?

Vogel: Ich? Ich weiß nicht.

Kohl: Da vorn steht wer!

Vogel: Wo?

Kohl: Da. Passen Sie auf. Sie schauen gerade in den Gewehrlauf. (für sich) Das hat uns noch gefehlt.

Soldat: Stehen bleiben. Keinen Schritt weiter. Was sich bewegt wird erschossen.

Vogel: Schon gut, Freund. Schon gut.

Soldat: Stehen bleiben, hab ich gesagt. Was sich bewegt wird erschossen.

Vogel: Wir bleiben ja stehen. Es bewegt sich niemand. Nur meine Zunge geht noch ein wenig auf und ab, mir nebenbei einiges mitzuteilen.

Soldat: Waffen?

Vogel und Kohl (die Hände hochstreckend) Hier bitte! Sehen Sie selber nach, wie wehrlos und waffenlos wir sind.

Soldat: Wer die DDR mißachtet, ist ein Menschenverächter. Wer sie angreift, ein Menschenfeind. Wer sie aber aufzulösen trachtet, den verfolgen wir, und nicht eher geben wir Ruhe, als bis wir ihn liquidiert haben.

Vogel: Ist ja gut, ist ja gut. Er hat seine Lektion brav auswendig gelernt.

Soldat: Waffen? Devisen, Schmuggelwaren?

Vogel: Hier, schau er her. Da sind unsere Devisen.

(zu Kohl) Zeigen Sie ihm unser Geld; das kommt uns jetzt zupaß.

Kohl: Hab ich das bei mir? Hab ichs nicht zuhause gelassen? Ich pflege nie einen Geldbeutel mit mir zu tragen.

Vogel: Da ist doch die Geldkatze.

Kohl: Aber..

Vogel: Still doch! Lassen Sie mich nur machen! - Sehen Sie, Herr Major, die 39 Milliarden bringen wir dem Staatsratsvorsitzenden. Und dies nicht in einer obscuren Nacht- und Nebelaktion. Der Staatsratsvorsitzende weiß, daß wir ihm die 39 Milliarden bringen. Herr Major sollten sich also nicht unterfangen, auch nur im Traum daran zu denken, seine Hände sich selber zu überlassen, um zuzusehen, ob es ihnen etwa einfällt, etwas aus dem Staatseigentum herauszufischen. Und damit er uns nicht mißversteht, hier ist das Einladungsschreiben, das uns der Staatsratsvorsitzende selber zugeschickt hat. Unterzeichnet: In Demut, Erich Honegger. Er bat uns übrigens, den kürzesten Weg zum Politbüro zu nehmen, um möglichst schnell bei ihm zu sein. Er erwartet uns dringlich. Könnten Sie uns sagen, wo das Politbüro ist? Und welches der kürzeste Weg?

Soldat: Dort! Und hier (er zeigt ins Wasser) geht es durch. (Er salutiert etwas unschlüssig)

Vogel: Das da ist für ihn. Für die Auskunft. Das ist eine Auskunftsgebühr, kein Bestechungsgeld. Eine 1000 Dollar-note. Vermutlich muß man die auch in der DDR versteuern. Natürlich ist die echt. Was denkt er denn. Wenn er aber auf uns schießt, wenn wir jetzt weitergehen, dann zerfällt die 1000 Dollar-note zu Asche. Merk er sichs gut! Das haben die US-Dollar-noten alle so an sich.

Vogel: (zu Kohl, der die Geldkatze gut versteckt) Und jetzt rasch ins Wasser, Herr Bundeskanzler!. Aber ohne Lärm. Ohne Wellen zu schlagen. Ganz ruhig muß man ins Wasser hineingleiten und sich dann leise treiben lassen. Sehen Sie, so müssen Sie es machen. Und jetzt ruhig unter der Wasseroberfläche schwimmen. Glatt wie ein Aal. Einen Zug um den anderen. Jede Spur leise verwischen. Vor allem darf man nie auffallen. Die schießen auf alles.

Kohl: Ich wills versuchen.

Vogel: Hübsch unter Wasser bleiben. Ganz ruhig.

Kohl: Lassen Sie mich. Ich kann nicht solange unter Wasser bleiben. Ich muß Luft holen. Das verlangt meine Natur.

Vogel: Wenn man ganz ruhig geworden ist, hält man es lange ohne Luftholen aus. - Doch komm er. Hier scheint mir die Luft besser.

(sie schwimmen nebeneinander)

Kohl: Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Vogel.

Vogel: Weil ich uns so großartig gerettet habe?

Kohl: Wenn Sie mich nicht gehabt hätten.

Vogel: Das darf wohl ich sagen.

Kohl: Uns beiden gebührt ein Lob. Zuerst mir, dann Ihnen. Denn hätt ich Sie nicht auf das Gewehr des Soldaten aufmerksam gemacht, Sie würden jetzt keinen Schnaufer mehr machen.

Vogel: Da geb ich Ihnen recht. Sie waren mein Esel. Mein Bileam-Esel mein ich.

Kohl: Plötzlich war der Soldat da. Im Augenblick hat man Angst, wenn so ein Bursche vor einem auftaucht. Später aber hat man mit ihm fast Mitleid. Noch nie hab ich so trostlose Kalbsaugen gesehen.

Vogel: Und plötzlich war da das Schreiben.

Kohl: Wollen Sie sagen, der Honegger habe Ihnen ein solches Schreiben zugesandt? In Demut, Erich Honegger...

Vogel: Große Epen beginnen heute anders als in der guten alten Zeit. Wenn man nicht mehr Mann sein und Waffen tragen darf, wie in Rom, muß man sich etwas anderes einfallen lassen.

Kohl: Hat Ihnen der Herr Wehner das Papier besorgt?

Vogel: Geheimdiplomatie, Herr Bundeskanzler. Mehr verrat ich nicht.

Kohl: Daß wir das Geld dalassen, davon kann natürlich keine Rede sein. Erstens hat der Bundestag noch nicht darüber abgestimmt, und zweitens seh ich nicht ein, daß wir die Todesrepublik mit neuen Mordwaffen ausstaffieren.

Vogel: Wir sagten doch, Reformen müssen her.

Kohl: Cäsar und Napoleon pflegten ein Land erst zu erobern, dann schenkten sie ihm Gesetze und wenn dann noch Geld übrig war, was nie der Fall war, schenkten sie es großzügig den unterworfenen Völkern.

Vogel: Wir sind nicht Cäsar und auch nicht Napoleon. Ein Cäsar des Hühnerhofs vielleicht...

Kohl: Weil wir stets nur Kindereien im Kopf haben, Kindereien, bei denen wir Gefahr laufen, Kopf und Kragen zu riskieren. Lägen uns große, weltpolitische Dinge am Herzen, es würde etwas Großes und Bedeutendes, dem ewigen Gedächtnis Würdiges entstehen.

Rufe: (in der Ferne zu hören) Halt! Halt! (dann in der Ferne Schüsse)

Kohl: Was ist? Müssen wir untertauchen?

Vogel: Zum Glück gilt das nicht uns.

Kohl: Je länger ich hier bin, um so mehr beschleicht mich der Eindruck, als ob ich meiner eigenen Entführung beiwohnen würde.

Vogel: Ich hab doch gesagt, das gilt nicht uns.

Kohl: Wenn die mindestens einen Militärbischof hätten, wie bei uns die Bundeswehr.

Vogel: Wär uns damit geholfen?

Kohl: Sie würden nur das tun, wozu der Himmel Ja sagt.

Vogel: Und wenn uns ein Volkspolizist niederknallt? Kann dann der Himmel, der doch allmächtig ist, vorher Nein gesagt haben?

Kohl: Das ist es ja eben. Ich weiß nicht, ob der Himmel auch in kommunistische Länder hineinschaut. Wenn sie einen Militärbischof hätten, dann vielleicht.. Überhaupt, wie weit haben wir es noch? Ist das andere Ufer noch arg weit?

Vogel: Der König Pharao würd uns nicht mehr einholen.

Kohl: Das stengt auf die Dauer an. Unter Wasser Schwimmen und Luftanhalten und Auftauchen und Reden und bei alledem stets auch noch aufpassen, daß man nicht wie ein Kanikel abgeknallt wird.

Vogel: Reißen Sie sich zusammen. Sehen Sie, da kommt schon das Ufer. Los! Kommen Sie!

4. Abschnitt

(Wie Kohl und Vogel zur SED gelangen.)

Vogel: Jetzt haben wir es gleich geschafft.

Kohl: (die Geldkatze verstauend) Was steht auf dem Plakat?

Vogel: Willkommen zum 40. Gründungsjubiläum der DDR.

Kohl: 40 Jahre Gefängnis nach den Jahren der Hitlerdikatatur, das ist schön lang.

Vogel: Immerhin ist auch der Herr Gorbatschov dagewesen.

Kohl: Aber nur, um ihnen die Leviten zu lesen.

Vogel: Sacht, nur immer sachte..

Kohl: Die Wahrheit muß gesagt sein.

Vogel: Sehen Sie denn nicht, wo wir uns befinden

(er öffnet einen Vorhang, so daß man das Schild "Politbüro der DDR" sehen kann. Zwei Türen dicht nebeneinander, Nr.1 und Nr.2. Zwei Schlüssellöcher)

Kohl: (leise) Dürfen wir da durchblicken?

Vogel. Diese Türen kann man nie genug schätzen. Ohne einzudringen bekommt man einen eindringlichen Eindruck von dem, was dahinter steckt. Freilich muß man sich in acht nehmen. Diese Türen haben es nicht gern, wenn man sie zur Mitwisserschaft mißbraucht.

Kohl: (durch Schlüsselloch Nr.1 spickend. Daneben Vogel durch ein zweites spickend) Ist das hier das Politbüro? Beginnt hier das heilige Land, wohin das Volk nie darf? Wo strengstes Schweigen selbst noch den Böden und Wänden auferlegt ist. Wo niemals auch nur das kleinste Wörtchen an die Öffentlichkeit gelangt? Sagen Sie, was Sie hier sehen, damit ichs mit meinen Eindrücken vergleiche.

Vogel: Still doch!

Kohl: Da ist aber mein Thron. Ich sehs genau. Der Thron der Wiedervereinigung. Der hat da nichts zu suchen. Das muß einmal gesagt sein. Oder gibt es zwei Wiedervereinigungen? Und zwei Kanzler der Wiedervereinigung? Natürlich ist Ihnen das egal. Wenn Sie nicht der Kanzler sind.

Offizier: (etwas hereinschleppend) Melde gehorsamst, Saboteur Nr. 606 mit einem Genickschuß wohlpräpariert für die Ewigkeit...

Honni: Sein Vergehen?

Kohl: Ist das der Staatsratsvorsitzende Erich Honnegger?

Vogel: Wer sonst?

Kohl: Der kommt mir so blaß vor, so leblos, so maskiert und ausgestopft. Mich würde nicht wundern, der trägt eine Pappnase im Gesicht.

Vogel: Der, für den er sich stets ausgegeben, der ist er auch!

Offizier: Behauptete, die DDR wär kein demokratischer Staat. Aber das ist selbstverständlich zum Lachen. Denn was heißt DDR anderes als deutsche demokratische Republik?

Kohl: (während man Träger mit der Leiche in einiger Entfernung vorbeiziehen sieht) Hab ich nicht gesagt, die DDR ist ein Schlachthaus?

Offizier: Melde gehorsamst, Saboteur Nr. 606 mit einem Genickschuß wohlpräpariert für die Ewigkeit...

Honni: Sein Vergehen?

Offizier: Glaubte, an den Montagsstreiks sich beteiligen zu müssen.

Honni: Sein Pech.

Offizier: Das Wichtigste im Menschenleben ist allemal, den rechten Glauben zu hegen.

Kohl: (während man Träger mit der Leiche in einiger Entfernung vorbeiziehen sieht) Wie doch die Menschen sich irren, die glauben, es sähe sie keiner.

Offizier: Melde gehorsamst, Saboteur Nr. 607 mit einem Genickschuß wohlpräpariert für die Ewigkeit...

Honni: Sein Vergehen?

Offizier: Unterstand sich zu behaupten, unser Staat existiere nicht mehr lange; er sei bereits am Aufhören.

Honni: Eine ungeheuerliche Verleumdung!

Offizier: Sollen wir ihn, wie gewohnt, in die Anatomie bringen? Seine Mutter ist Kriegerwitwe.

Honni: Was interessieren mich Witwen?

Kohl: Wie finden Sie das, Herr Vogel?

Vogel: Seien Sie doch still.

Kohl: Ich kann hier nicht schweigen. Zumal bei der nicht abreißen wollenden Kette der grauenvollen Verbrechen fühle ich, wie gemein ich wäre, wenn ich die auf mich gesetzten Erwartungen nicht erfüllte.

Offizier: Melde gehorsamst, Saboteur Nr. 608 mit einem Genickschuß wohlpräpariert für die Ewigkeit...

Honni: Sein Vergehen?

Zweiter Offizier: Behauptete, wir hätten unseren Staat mit Stacheldrahtzäunen und Todesschußanlagen umstellt.

Honni: Einfach zum Lachen.

Staatsanwalt: Wenn irgendwo Stacheldrahtzäune aufgestellt sind, so hat sie die BRD aufgestellt!

Honni: Haut ihm den Kopf ab und steckt ihn auf einen Grenzpfahl. Dann kann er sich umsehen, wo sich Todesschußanlagen befinden.

Offizier: Melde gehorsamst, Saboteur Nr. 609 mit einem Genickschuß wohlpräpariert für die Ewigkeit...

Honni: Sein Vergehen?

Offizier: Verbreitete ein Gerücht, es gebe im Westen einen gewissen Kohl, der auszieht, die DDR zu befreien.

Honni: Als ob wir Befreier nötig hätten.

Offizier: Wer den Drang verspürt, andere zu befreien, soll sich erst selber befreien.

Kohl: Ein Politiker zumal, der stark genug ist, muß gegen solche Gemeinheiten zu Felde ziehen. Und wenn wir das tun, so tun wir auch etwas, was das Vorurteil wiederlegt, als ob alle politische Macht einen inhumanen Kern in sich trüge.

Offizier: Melde gehorsamst, Saboteur Nr. 610 mit einem Genickschuß wohlpräpariert für die Ewigkeit...

Honni: Sein Vergehen?

Offizier: Unterstand sich zu behaupten, unser Staat sei bankerott.

Honni: Unser Staat floriert und prosperiert.

Staatsanwalt: Toller kann man die Tatsachen nicht mehr verstellen.

Honni: Wo ist unser Staatsschatz.

Offizier: Hier!

Honni: Man zähle den Kontostand!

Offizier: 10, 20, 30, 39 Milliarden West-DM. 39 Milliarden West-DM, von den Trilliarden Ost-DM ganz zu schweigen.

Kohl: Was ist das? 39 Milliarden West-DM? Das ist exakt die Summe unseres Geldes!

Vogel: Ein purer Zufall.

Kohl: Aber auch der Geldbeutel ist derselbe, dieselbe Katze aus grünblauem Sämischleder. Wie kann das, wenn der Teufel nicht seine Hand im Spiel hat, derselbe Geldbeutel sein?

Vogel: Der gleiche Geldbeutel ist das vielleicht.

Kohl: Und das Geld fehlt mir in der Katze.

Vogel: Warten wirs ab.

Kohl: Da muß ich nicht abwarten. Ich merks doch. Wo sich vorher die prallen Scheine nur so dängten, ist jetzt Ebbe.

Vogel: Nichts als Mißtrauen und Verdächtigung, sag ich, die klassischen Antizipationen des Bösen.

Kohl: Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu. Ich müßte dumm sein im Kopf, wenn ich das nicht merkte. Oder wie kommt sonst mein Geld zu denen?

Vogel: Gerade, wenn es hier nicht mit rechten Dingen zugeht, sollten wir auf der Hut sein, vorschnell einen Verdacht zu äußern. Wie, wenn sie einen Verdacht äußerten, und dann findet sich das Geld in ihrer Kassa?

Kohl: Verdächtig wär ich wohl, schöpfte ich keinen Verdacht.

Im folgenden hört man immer wieder die Worte (Melde gehorsamst, Saboteur Nr. ?? mit einem Genickschuß wohlpräpariert für die Ewigkeit... Sein Vergehen? .. Behauptete gleichfalls, unser Staat sei bankerott.)

Kohl: Ich werde wahnsinnig, wenn ich das noch lange höre, das mit dem bankerotten Staat. Und dann klauen Sie einem das Geld..

Vogel: Ein Staat klaut nicht. Er erhebt Gebühren, Steuern, Besucherzölle. Ein Bundeskanzler macht keinen Besuch umsonst. Deshalb hat er stets auch ein Mitbringsel bei sich.

Kohl: Aber es macht einen Unterschied, ob ich etwas überreiche oder ob man es mir clam heimlich aus der Tasche zieht. Doch ich laß mir das nicht gefallen. Das ist schlechter Stil. Auch daß die Genossen mit Cadillacs und Mercedes herumfahren und auf der Insel Rügen Prachtvillen bewohnen.

Vogel: Wenn Sie etwas wissen, behalten Sie es für sich. Die kleinste falsche Berührung kann einem schon den Kopf kosten. Selbst die Türen hier sind gefährlich.

Kohl: Was ist mit den Türen?

Vogel: Langen Sie nicht dran! Ich warne Sie!

Kohl: Warum nicht?

Vogel: Es gibt Leute, die strecken die Finger in eine Kreissäge, um zu sehen, ob sie noch läuft.

Kohl: Eine Türe ist keine Kreissäge.

Vogel: Bitte. Wenn Sie meinen, so langen Sie daran!

Kohl: Langen Sie doch dran!

Vogel: Kann es Ihnen etwas sagen, wenn ich dranlange? (Er langt dran)

Kohl: Warum soll ich dann nicht auch an die Türe langen? Das sind Türen wie alle anderen Türen auch. (er langt dran und bleibt dran hängen.) Das ist ein Scherz? Ein Zaubertrick? (Vergeblich sucht er sich loszumachen) Vogel, was haben Sie getan? Befreien Sie mich. Sie tragen die Verantwortung.

Vogel: Ich habe Sie gewarnt.

Kohl: Sie haben gesagt. Langen Sie doch mal dran! Dann hab ich darangelangt und jetzt häng ich daran.

Vogel: Ich habe gesagt, die kleinste falsche Berührung kann einem schon den Kopf kosten. Das wollten Sie mir nicht glauben. Drauf hab ich sie gewarnt. Aber noch immer wollten Sie mir nicht glauben. Dann hab ich, ausdrücklich warnend, gesagt: Bitte. Wenn Sie meinen. Langen Sie doch mal dran! - Dann haben Sie daran gelangt und jetzt haben wir die Bescherung.

Kohl: Sie hätten mir sagen müssen, wie ernst Sie Ihre Warnung meinen.

Vogel: Schon immer war es verboten, sich mit gewissen Türen einzulassen. Das hat Ihnen schon Ihre Großmutter gesagt, als sie Ihnen Märchen vorlas.

Kohl: Zeigefinger, Mittelfinger und Ringfinger bluten wie verrückt. Ich bekomm sie nicht mehr weg. Verdammte blutsaugerische Türe. Warum sind wir hierher gegangen?

Vogel: Ein Kanzler muß wissen, was ist und was nicht, und was tötet und was lebendig macht.

Kohl: Dazu mußte ich nicht in die DDR.

Vogel: Was willst du lernen, Menschlein, wenn du nichts erlebst?

Kohl: Jetzt nur keine Sentenzen aus dem Schiller. Helfen Sie mir von der Türe weg. Und wenn Sie das nicht schaffen, so tragen Sie mich mitsamt der Türe nach Hause. - (reißt und ruckt) - O, jetzt bin ich ja wieder los. - O Vogel! Alter Höllenvogel. Gib zu, daß du dahinter steckst!

Vogel: Nehmen wir es als Warnung.

Kohl: Warum wir? Ich muß mich in acht nehmen. Sowohl vor Ihnen als auch vor diesen Türen. Vor diesen Türen sind wir nicht gleich. Offenbar kennen Sie diese Genossenschaftstüren.

Kohl: Wenn ich der Bundeskanzler wäre, müßte ich mich ebenso in acht nehmen. Jetzt aber sind Sie als der Bundeskanzler der bedeutend wertvollere von uns beiden. Ihnen gegenüber bin ich so winzig, daß mich selbst diese Türen glatt übersehen.

Kohl: Vor Gott sind wir alle gleich.

Vogel: Dabei haben Sie noch nie daran gedacht, wenn Sie davon träumen, die künftigen Seiten der Geschichtsbücher zu füllen, daß man da auch meiner gedenken könnte. Unsereins ist zum Vergessen bestimmt.

Offizier: Melde gehorsamst, Saboteur Nr. Nr.1000.

Kohl: Mein Gott. Schon Nr. 1000? Geht das so schnell?

Honni: Warum ist er noch nicht präpariert für die Ewigkeit?

Offizier: Wir glaubten, Ihren ausdrücklichen Befehl abwarten zu sollen.

Kohl: Was gibt es denn jetzt? (er beugt sich vorsichtig zum Schlüsselloch. Dann, für sich) Der Mensch trägt seinen Kopf noch nicht unterm Arm.

Honni: Aber das ist ja mein lieber Harun, mein früherer Leibwächter. Was hat er getan?

Stasioffizier: Er hat sich am Staatsschatz vergriffen. Als der Schalk die letzten Devisen aus München mitbrachte, hat er ihm einen Tausendmarkschein wegstibitzt. Ich, als sein Stasiagent, hab es selbst gesehen und habs höheren Orts hingemeldet. Als man ihn untersuchte, fand man den Schein bei ihm. Er behauptet zwar, der Schein gehöre ihm zu Recht, doch wo er der Partei fehlt, kann er unmöglich ihm gehören.

Staatsanwalt: Das Gemeinwohl hat stets Vorrang vor dem Privatwohl. Das hätte er wissen müssen. Damit hat er, wie der Staatsrat uns zu belehren die Güte hatte, der Partei schweren Schaden zugefügt.

Honni: Was sagst du dazu, Harun?

Harun: Ich kann es nicht fassen, daß ich in 5 Minuten schon tot sein soll.

Honni: Wußtest du nicht, daß auch meine Margret diesjahr an Weihnachten auf ihr Diamantencollier verzichten muß?

Staatsanwalt: Heraus mit der Sprache. Warum sagt er nichts?

Offizier: Geb er zu, daß er sich einen tollen Sylvesterabend machen wollte

Harun: Ich bin kein Sklave des Konsums. Der Genosse Schalk vielleicht. Aber ich bin ja nicht sein Stasiagent. Der Schalk hat keinen Agenten oder er ist sein eigener Agent.

Offizier: Der Schalk braucht keinen Agenten . Er ist einer der wenigen, die in der Lage sind, auf sich selber aufzupassen. Und wenn er sich ertappt, wird er seiner Pflicht nachkommen, sich anzuzeigen!

Harun: Es ist mein Unglück, daß ich in der Partei nicht höher aufgestiegen bin. Ich habs zwar versucht und habe auch da und dort denunziert und Punkte gesammelt, aber den ganz hohen Rang hab ich halt leider doch nicht erreicht. Hätte ich den Rang eines Schalk erklommen, da brauchte mich freilich niemand überwachen. Je höher der Rang, um so schwieriger läßt sich einer überwachen.

Staatsanwalt: Was weiß er über den Genossen Schalk? Nun?

Harun: Wenn man mir Sicherheit verspricht,

Staatsanwalt: Er hat A gesagt, jetzt muß er auch B sagen.

Harun: Muß ich dann nicht sterben?

Honni: Wenn er etwas zu sagen weiß, was dem Wohl unseres Staates dient, kann er mit Strafmilderung rechnen.

Harun: Lebenslänglich Zuchthaus? Ich meine also, ohne daß man mir mein Leben gewaltsam im Zuchthaus abschneidet?

Staatsanwalt: Vielleicht. Doch beeil er sich.

Harun: So will ich denn sagen, daß der Schalk den ganzen Keller voller Delikatessen hat: voller Essiggürkchen und großmächtiger Zwiebeln und Knoblauch, dazu Frühgurken, Melonen, Granaten... Und Wein und Würst und Weiber. Alles haufenweis.

Honni. Treibts mein Schalk so toll?

Staatsanwalt: Er hat immerhin einen wundervollen Weg gefunden, Ströme von Manna aus dem kapitalistischen Westen zu uns fließen zu lassen. Er ist ein großer Wohltäter unseres Staates.

Harun: Der Schalk behält Prozente als Devisenhändler, als wären wir ein kapitalistischer Staat.

Staatsanwalt: Der Genosse Schalk müßte nicht Genosse Schalk sein, wenn er sich nicht anzeigte, sobald er etwas getan hätte, was nicht in Ordnung wäre! Da er sich aber nicht anzeigt, handelt es sich um pure Verleumdung.

Harun: Ein Schalk müßte kein Schalk sein, wenn er sich anzeigte! Oder hat sich je einer von euch angezeigt? Habt ihr auch nur einmal eure Schätze dem Volk vorgezeigt? Wir lassen das nicht zu, daß der Schalk sich in der BRD vorsorgt, um später, wenn wir alle einmal tot sind, als todchiker Millionär in Bayern seinen Lebensabend zu verbringen. Ausgerechnet in Bayern. Das wäre ein Verstoß gegen das von uns proklamierte Gleichheitsprinzip.

Staatsanwalt: (Unruhe) Ruhe. Ruhe, hab ich gesagt. Wo ist der Schalk?

Offizier: (Die Finger bewegend, als zählte er Geld ab) Der ist in der BRD. Verhandelt in München weiter mit Strauß und Konsorten. Er muß jeden Augenblick wieder zurück sein.

Honni: Armer Harun.

Harun: Muß ich jetzt sterben?

Honni: (schreiend) Nein, nicht arm bist du, nur gemein. Eine kleine neidische, gemeine und schäbige Laus. Vermutlich hast du auch mir ab und zu was aus dem Sack gestohlen? (ruhiger) Was sollen wir da machen?

Staatsanwalt: Sollen wir sagen, der Kohl in der BRD hat ihn erschießen lassen, als er dort zu Besuch war?

Kohl: (für sich) Das ist doch lächerlich.

Offizier: Geruhen, Herr Staatsratsvorsitzender zu bedenken, daß das nicht sein kann, weil nämlich Harun Grunzbach noch nie in der BRD war.

Honni: (brüllend) Wenn ich sage, er war in der BRD, weil ich ihn in die BRD geschickt habe, dann war er in der BRD, weil ich ihn in die BRD geschickt habe.

Offizier: Jawohl, Herr Staatsratsvorsitzender.

Honni: Du warst in der BRD und hast dort den Kohl getroffen. Widersprich mir nicht, sonst laß ich dich vierteilen.

Harun: Aber nur, wenn Sie mir versprechen, mich schmerzlos zur Ruhe zu setzen.

Honni: Aber nur, wenn...???

Staatsanwalt: Er hat nichts zu wünschen.

Honni: (in Richtung auf die Türe, wo Kohl ist) Hat noch jemand etwas zu wünschen? Ist sonst noch wo ein Aber-nur-wenn-Mensch? Und wenn es der Wind wäre, ich lasse ihn erstechen.

Vogel: Da bitte!

Kohl: Hab ich was gesagt?

Honni: Ich bin von Natur aus ein Optimist und ein Glückskind und ein Pazifist. Auch wenn der Harun ein Judas ist, möchte ich ihn lieber als Martyrer sehen. Ich möchte eine Martyrerlegende.

Zweiter Offizier: Wie wärs, wenn wir behaupten, Genosse Harun Grunzbach sollte den Kohl als Stasimitarbeiter anwerben?

Honni: Und weiter?

Zweiter Offizier: Und dann wurde er erdrosselt.

Honni: (brüllt) Kennt man nichts als Erschießen und Erdrosseln? Ich bin ein Pazifist, habe ich gesagt. Das bringt uns nicht weiter. Das ist keine Legende. Das ist nichts, das ist gar nichts!

Zweiter Offizier: Jawohl, Herr Staatsratsvorsitzender.

Honni: Aber es hat mir jemand widersprochen. Wer hat mir widersprochen? Ich hab doch gehört, wie einer gesagt hat: Das ist nichts, das ist gar nichts! Wer war das? Sehen Sie nach!

Stimmen von Offizieren: Jawohl, Herr Staatsratsvorsitzender.

Kohl: Was schauen Sie mich so an? Ich hab nicht widersprochen. So wahr mir Gott helfe, er selber wars, der Honegger. Er hat sich selbst widersprochen.

Vogel: Gut, daß der Kelch noch einmal an uns vorübergegangen ist.

Honni: (zum Offizier) Präparieren für die Ewigkeit, den Grunzbach! Was zaudern Sie noch?

Offizier: Sollen wir ihn mit der Pistole erschießen? Das kennt er aber doch. Das hat er selber schon oft praktiziert. Da spielt er bestimmt nicht mit. Man sagt zu dem Gefangenen, man habe da noch eine gewisse Option in Aussicht für eine Freilassung, er solle mal mitkommen ins Zimmer, wo die Freilassungen stattfinden. Und wenn man ihn dann vor sich hat, legt man ihm die Pistole ans Genick und drückt ab. Dann ist seine Seele frei.

Honni: Mit Hammer und Sichel!

Offizier: Jawohl, Herr Staatsratsvorsitzender.

Harun: Ich bitte um Erschießen, um einen sanften, humanen Genickschuß. Keinen Tod mit Hammer und Sichel, das wäre zu brutal.

Staatsanwalt: Wir dulden keinen Widerspruch!

Offizier: (geht mit dem Gefangenen nach nebenan.) Herr Staatsanwalt und das hohe Gericht können sich auf mich verlassen.

5. Abschnitt

Kohl: Rechnen sie jetzt ab mit dem?

Vogel: Vermutlich. (Man hört Geräusche von Werkzeugen und Schmerzensschreie wie von verletzten Stieren.)

Honni: Es besteht kein Zweifel, daß die Leute von uns viel freier sind als die aus dem Westen. Jeder Bürger der DDR vermag sich in Windeseile im Westen zurechtzufinden, während der Bürger aus dem Westen, wenn er zu uns kommt, es oftmals selbst mit dem größten Idealismus nicht schafft, sich bei uns einzufügen. Selbst Genosse Bert Brecht hatte da seine Schwierigkeiten, wiewohl wir ihm sehr viel Spielraum gelassen haben..... Mit einem Wort, die Leute im Westen werden allesamt fehlerzogen.

Harun: Ah, mein Hodensack.

Kohl: Ich kann mir nicht ausmalen, was die mit dem Grunzbach anstellen. Kastrieren Sie den jetzt? Noch nie hab ich so brutale, so unheimlich brutale, so ungeheuerliche und unausstehlich blutrünstige Geräusche gehört.

Vogel: Das ist auch besser so.

Kohl: (sich den Schweiß von der Stirne wischend) Das wäre das letzte, was mir einfiele. Man sollte die Amnesty international auf die Praktiken aufmerksam machen. Im übrigen werden wir alles tun, daß bald bessere Zeiten hier anbrechen.

Vogel: Bessere Zeiten, Herr Bundeskanzler? Erhoffen Sie sich nicht zu viel.

Kohl: Ich werde die Wiedervereinigung in die Wege leiten. Des seien Sie sicher.

Vogel: Noch ist der Augenblick nicht da. Ist er aber gekommen, so ist auch die Euphorie rasch verblaßt.

Kohl: Wenn man bedenkt, wie schon nach wenigen Jahren, wenn wir diesen Augiasstall ausgemistet haben, Leute kommen und sagen, früher, in der DDR sei alles besser gewesen. Da könnte man allerdings jeden weltpolitisch bedeutsamen Vorsatz aufgeben.

Vogel: Das ist wie mit dem Hans im Schnakenloch. Der weiß nicht, was er will. Und was er will, das hat er nicht. Und was er hat, das will er nicht.

Kohl: Und dennoch tu ichs. Meinem großen Vorbild Konrad Adenauer zu Lieb. Damit, wenn ich ihn mal im Himmel, im kleinen Kreis der berühmtesten Politiker, wieder antreff, ich bescheiden und stolz zu ihm sagen kann: Konrad, deinen großen Traum von der Wiedervereinigung, sieh hinab auf die Erde, ich hab ihn verwirklicht.

6. Abschnitt

Offizier (mit dem toten Harun): Melde gehorsamst, Saboteur Nr. 1000 mit Hammer und Sichel wohlpräpariert für die Ewigkeit...

Honni: Lassen sie unseren Harun als Martyrer dekorieren, mit allen Orden und Ehrenzeichen der DDR.

Der tote Harun: Ich bin nicht wohlpräpariert, ich bin nicht tot und ich will auch nicht dekoriert werden.

Offizier: (zum Harun) Nur Ruhe.

Staatsanwalt (zu Honni): Leichen lassen sich leicht decorieren.

Honni: Dann soll man ihn in der Öffentlichkeit ausstellen. Als Held der deutschen sozialistischen Republik. Wie gehabt. Doch halt! Zur Sicherheit geben Sie zwei Wachen herzu. Dem Kerl könnte noch einfallen, uns aus dem Schattenreich einen Streich zu spielen.

Offizier: Jawohl, Herr Staatsratsvorsitzender.

Honni: Endlich, für die Öffentlichkeit das Kondolenzbuch nicht vergessen!

Offizier: Jawohl, Herr Staatsratsvorsitzender.

(während man den Harun vorbeiträgt)

Kohl: Ob der tot ist?

Vogel: Gehts uns was an?

Kohl: Dann könnte er doch nicht mehr sprechen? Meinen Sie nicht auch, Herr Vogel? Bei uns ist das jedenfalls so, daß man dann tot ist, wenn man nichts mehr sprechen kann. Bei denen freilich weiß man nie, woran man ist. Da muß man auf alles gefaßt sein.

Vogel: Konträr. Wenn man tot ist, kann man nichts mehr sprechen.

Kohl: Das hab ich doch gesagt.

Vogel: Herr Bundeskanzler hat gesagt, daß man dann tot ist, wenn man nichts mehr sprechen kann. Es ist aber so, daß, wenn man tot ist, man nichts mehr sprechen kann.

Kohl: Ist das nicht dasselbe unter dem Strich?

Vogel: Wo immer du bist, setze auf den gesunden Menschenverstand und es wird dir gut ergehen.

Kohl: Herr Vogel! Schauen Sie sich doch nur das einmal an!

Vogel: Was denn?

Kohl: Wie dieser Harun mich anstiert! Mit was für einem Gesicht. Als wärs eine Maske! Und der will tot sein? Was denken Sie? Nie und nimmer ist der tot.

Vogel: Wenn der aufwacht, dann ist er lebendig. Und wenn er nicht mehr aufwacht, dann ist er tot.

7. Abschnitt

(Wie man Kohl festnimmt.)

Harun: (er springt jetzt von der Bahre und eilt auf Kohl zu) Genosse Kohl! Sind Sie es wirklich, der Genosse Kohl von der BRD? O lassen Sie sich umarmen! Mein Väterchen Kohl, Du Töter allen Unrechts, Du Hilfe der Verfolgten, mein Wohltäter, mein lebenerweckender Wohltäter!

Kohl: (zum Vogel) Was soll ich da sagen?

Vogel: (zum Harun) Lassen Sie das!

Kohl: Warum denn? Ich bin überwältigt. Soll sich die bedrängte Seele nicht auch einmal aussprechen und ausweinen dürfen?

Vogel: Gefühle zeigt man nicht, schon gar nicht als Politiker.

Harun: Ist er nicht der Genosse Kohl von der BRD, mein Wohltäter, mein Väterchen Kohl?

Kohl: Der bin ich allerdings.

Vogel: Und doch..

Harun: Und doch? Was "Und doch"?

Vogel: Seien Sie still, wenn Ihnen das Leben lieb ist. Die Rechte darf nicht wissen, was die Linke tut.

Harun: Welche Rechte? Welche Linke? Die kommunistische Rechte oder Linke?

Vogel: Jedenfalls müssen Sie nicht solchen Lärm schlagen. Wenn dem Bundeskanzler etwas passiert, dann sagt er..

Harun: Niemals wird dem Bundeskanzler etwas passieren. Ich werde ihn beschützen. Mit dem letzten Tropfen meines Blutes.

Vogel: Wenn dem Bundeskanzler etwas passiert, dann sagt er, der Vogel wars.

Harun: Und außerdem: Einem Bundeskanzler der CDU passiert nichts.

Vogel: Und außerdem, Freund Grunzbach, ist Herr Kohl nicht der Bundeskanzler der CDU, sondern nur der Vorsitzende der CDU.

Kohl: Ich bin der Vorsitzende der CDU, einen höheren Posten hat unsere Partei nicht zu vergeben. Wenn ich komme, stehn alle vor mir auf.

Harun: Ich dachte immer, mir geht es gut, ich bin in Gottes Hut! Das würde CDU heißen.

Kohl: Das heißt es auch, zumal wenn man es mit der Gottferne hier vergleicht.

Soldaten: (rufen) Nun kommen Sie schon, Herr Grunzbach! Es dauert uns zu lange.

1. Soldat: Wir müssen Sie für die Ausstellung maskieren.

Harun: Hören Sie?, wie gottlos und kalt diese Leute nach mir rufen? Wie ein materieleeres Weltall durchschauert mich diese Gottesferne. - (zu den Trägern) Ich denke nicht daran.

2. Soldat: Wenn Sie nicht freiwillig kommen, brauchen wir Gewalt.

Harun: Haben die Herren nicht gehört, daß ich nicht mehr mitmache?

3. Soldat: Das geht uns nichts an.

Kohl: Sie sollen weitergehen.

Harun: Ihr sollt weitergehen, sagt der Bundeskanzler Kohl. -

(zu Kohl) O, aber die gehen nicht weiter. Die schießen auch noch das Tote tot. Sie haben doch gehört, wie brutal die mich abgeschlachtet und abgemetzget haben, diese Honeggerbanditen. Mit Hammer und Sichel.

Kohl: (winkt den Soldaten, sie sollen verschwinden.)

1. Soldat: (mit angelegtem Gewehr) Wir zählen auf drei, dann krachts.

Harun: Die warten auf mich und wenns darüber jüngster Tag wird.

2. Soldat: Nicht daß er meint. Wir fackeln nicht lange.

Harun: Nur ein autorisiertes Machtwort von Ihnen Herr Bundeskanzler könnte sie noch verscheuchen. Ein Machtwort von Ihnen, und die ganze Bande, diese Brandstifter und Mordgesellen schmoren in der Hölle.

Kohl: (für sich) Ich weiß nicht, ob ich so mächtig bin. Jedenfalls bin ich kein Machtmensch, der seinem Ego gräßliche Opfer bringt. Vielleicht, daß ich einmal den Geißler oder den Späth zusammenstauche, wenn sie es zu toll treiben.

Harun: Was haben Sie gesagt?

Vogel: Ihm fällt eben dieses Machtwort nicht ein.

Harun: Ich dachte immer, der Vorsitzende der CDU könne alles.

Vogel: Zuhause vielleicht. Hier ist alles anders. Hier zählt das Wort des Staatsratsvorsitzenden, und der ist ein Atheist. Der Herr Bundeskanzler könnte es allenfalls mit einer Notmaßnahme versuchen.

Harun: Und die wäre?

Vogel: Es gibt da eine uralte Sage. Dieser Sage gemäß ist bei den Christen derjenige der Höchste, der der Geringste ist, der Diener aller. Wenn Sie zum Beispiel zum Tod verurteilt werden, so kommt der Höchste und legt sein Haupt für Sie auf den Richterblock.

Harun: Für mich auf den Richterblock? (zu Kohl) So werden Sie für mich gehen? Werden Sie sich für mich opfern?

Kohl: Ich würd es schon gerne tun. Nur daß ich zur Zeit Kanzler bin. Der Himmel hat mich für dieses schwere Amt vorgesehen. Es ist niemand außer mir, der das sonst tun kann. Der Herr Vogel aber könnte...

Vogel: Bin ich denn in der CDU?

Harun: Hab ich Sie recht verstanden, daß sie sich für mich opfern, sofern Sie das Machtwort nicht finden?

Kohl: Und ob ich das Machtwort finde!

Soldaten: Wirds bald?

Kohl: Schert euch zum Teufel, ihr Schergen der Hölle! Wir aber wollen singen und jauchzen wie einst der König David.

Harun: Aber die gehen ja gar nicht!

Kohl: Dann gehen eben wir! Kommen Sie, Grunzbach! Wenn der Berg nicht zum Prophet kommt, geht der Prophet eben zu Fuß zum Berg. Fiehen wir in den Westen, zu uns, nach Deutschland. Und haben sie dort dann noch ein paar Tage Geduld, lieber Grunzbach. Dann wird es so weit sein. Dann können Sie in alle Welt hinausschreien, wie ungerecht es in diesem Honeggerstaat zugegangen ist.

Harun: Aber, das geht doch nicht. Fliehen ist umsonst. Die erschießen uns. Das bringt uns nichts. Glauben wir lieber an Gott, den allmächtigen Vater.

Honni: (nicht sichtbar) Ist der Harun fertig gemacht?

Stimmen: Fix und fertig.

Honni: Warum bringt man ihn nicht?

Harun: (die Türe öffnend und durch einen Spalt hereinsprechend) Ich bin noch nicht ausgestopft. Ich habe noch den Bundeskanzler der BRD getroffen, den Helmut Kohl. Er wird mir helfen gegen alles Unrecht.

Honni: Was ist da los. Was ist da in Gang. Ich wittere Verrat. Sehen Sie nach, Grunzwald.

Staatsanwalt: Jawohl, Herr Staatsratsvorsitzender.

Kohl: Grunzwald?

Harun: Das ist der Staatsanwalt.

Honni: Vergessen Sie auch nicht, oben unter dem Dach nachzusehen. Wir erlauben nicht, daß sich auch nur ein einziger Schlüssel über unserem Haupt dreht ohne unsere ausdrückliche Erlaubnis.

Staatsanwalt: Jawohl, Herr Staatsratsvorsitzender.

(der Staatsanwalt kommt heraus. Er sieht aus wie Harun. Zwei Soldaten begleiten ihn.)

Kohl: (verwirrt) Herr Harun?!

Vogel: Das ist nicht der Herr Harun, sondern der Herr Staatsanwalt.

Harun: Ich bin Harun Grunzbach, aber das ist der Herr Staatsanwalt Grunzwald. Wir alle aber sind Brüder. Brüder in der sozialistischen deutschen Arbeiterrepublik.

Staatsanwalt: Keine Gegenwehr.

Soldaten: Sie sind verhaftet.

Kohl: Lassen Sie ihre Finger von mir. Ich brauche keine Handschellen.

Staatsanwalt: Sie sind verhaftet. Kommen Sie!

8. Abschnitt

(Im Politbüro.)

(Honni auf einem Thron, der wie der von Kohl ausschaut. Neben Honni sind Mielke und Schalk. Sie werden flankiert von einigen hochdekorierten Offizieren und Genossen. Über ihnen ein großes Band, das Lenin, Marx und Engels mit den Emblemen Hammer und Sichel zeigen. Darunter der Text "Willkommen zum 40. Gründungsjubiläum der DDR".)

(Kohl und Harun werden als Gefangene ins Politbüro geführt. Vogel geht frei daneben her, was Kohl erst etwas später bemerkt.)

Kohl: Herr Staatsratsvorsitzender Honegger, ich als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland..

Honni: Bemühen Sie sich nicht, mir zu schmeicheln.

Kohl: Sie belieben zu scherzen?

Honni: Ich versichere Ihnen, wir werden Ihnen auch nicht schmeicheln.

Staatsanwalt: Können Sie sich ausweisen? Keiner von uns hat jemals etwas von einem Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gehört.

Kohl: Aber Sie Herr Schalk, erinnern sich an mich.

Schalk: Nicht, daß ich wüßte.

Kohl: Entweder ich träume oder Sie alle, meine Herren, haben Ihr Gesicht verloren.

Staatsanwalt: Zu Kaiser Augustus Zeiten wären Sie ans Kreuz geschlagen worden wegen crimen läsae majestatis.

Kohl: Bedenken Sie, daß einmal der Tag kommt, wo nicht ich vor Ihnen, sondern Sie vor mir stehen.

Schalk: Was faselt er nur?

Kohl: Wir lassen nicht zu, daß der Schalk sich dort drüben vorsorgt, um später, wenn wir alle einmal tot sind, als todchiker Millionär in Bayern seinen Lebensabend zu verbringen. Hat er die Worte nicht schon einmal gehört?

Staatsanwalt: Der Mensch träumt!

Kohl: Ist das Ihr letztes Wort, Herr Schalk?

Schalk: Gott bewahre. Habe ich eine Himmlfahrt vor?

Kohl: Und Sie, Herr Mielke? Kennen auch Sie mich nicht?

Mielke: Wir sind Ehrenmänner. Wir kennen keine Gauner.

Kohl: Herr Vogel, so sagen Sie den Leuten, wer ich bin. Sagen Sie Ihnen, daß ich der Bundeskanzler der BRD bin, Dr. Helmut Kohl, und wie Sie mich hierher gebracht haben.

Vogel: Wenn ich auch stark bin, so starke Schwingen hab ich nun auch wieder nicht, daß ich Sie hätte hierher bringen können.

Kohl: Sie verleugnen mich?

Vogel: Ich tu, was ich kann, Herr Bundeskanzler.

Kohl: Herr Bundeskanzler haben Sie gesagt?

Vogel: Aber ja..

Kohl: Meine Herren, haben Sie gehört? Warum sagt keiner etwas? Überhaupt muß ich mich wundern, Herr Vogel, daß Sie frei sind, während ich..

Staatsanwalt: Haben Sie uns noch etwas mitzuteilen?

Kohl: Ich weiß, daß mich der Herr Staatsratsvorsitzende kennt. Er weiß, daß wir ihm gewisse Gelder in Aussicht gestellt haben. Er bedarf da keiner Belehrung. Und das da, der Herr auf freiem Fuß, ist der Herr Vogel, mein Oppositionsführer, von dem ich den famosen Rat bekommen habe, heute nacht hier vorbei zu schauen. Sie aber, Herr Honegger, werden wohl nicht behaupten, Sie hätten noch nie meinen Namen gehört! Man tut und sagt zwar mitunter etwas, um das Wählervolk bei Laune zu halten, weiß aber gleichwohl, was sich gehört, zumal, wenn daran liebwerte Gelderchen geknüpft sind. Deshalb möchte ich Sie bitten, mich von diesen Eisenringen zu befreien. Wenn jemand Eisenringe braucht, so ist es die Opposition. Sehen Sie sich nur an, wie ungebärdig der Vogel da herumtanzt! (zu Vogel, der wie ein Irrlicht bald zu sehen ist, bald verschwindet) Sobald ich frei bin, werde ich Ihnen mitteilen, wie viel DM wir Ihnen zu bewilligen gedenken.

Honni: Was sagen die Herren dazu?

Schalk: Wir brauchen keine Almosen. Wir machen Geschäfte, noble, ehrenwerte Geschäfte.

Mielke: Eine Canaille, die nicht weiß, daß man sich nimmt, wenn man kann. Das ist tausendmal besser als sich geben zu lassen. Wer sich geben läßt, kann nicht umhin, immer wieder Vergelts Gott zu sagen.

Vogel: Ich bin und ich bin nicht, Herr Bundeskanzler.

Kohl: Seien Sie still, wenn ich mit den Herren Verhandlungen aufnehme.

Vogel: Schauen Sie nur! Jetzt bin ich da, und jetzt bin ich wieder weg. Jetzt gibt es mich wieder, und jetzt ist wieder, als wär ich nie gewesen.

Kohl: Wie schwierig, die Diplomatie.

Vogel: Kommen und Gehen. Die ewige Systole und Diastole des Lebens. Mag auch der Wind nicht mehr wissen, wo einstmals das Gras gewachsen: Ich fürchte mich weder vor dem Verschwinden noch vor dem Wiederauftauchen. Und wenn mich ein Weltenrichter weckte und zu mir sagte: Aufstehen. Es sind jetzt 5000 Jahre vergangen nach Helmut Kohls Kanzlerschaft. Das Ende aller Tage ist gekommen, so würde ich mich furchtlos erheben. So gut hab ich das alles träniert.

Kohl: Bleiben Sie stehen und stellen Sie sich, damit man Ihnen die Eisenringe anlegen kann.

Vogel: Die Hochzeitsringe gehören Ihnen, Herr Bundeskanzler. Da vergreif ich mich nicht.

Kohl: Ich laß mir von keinen Papanasen Eisenringe anlegen.

Staatsanwalt: Wir haben noch ein paar kleinere Zweifel, werter Herr. Denn, Hand aufs Herz. Wie kann einer aus der BRD zu uns nach Ostberlin, kommen, unerkannt vorbei unter tausend Stacheldrahtzäunen, unerkannt vorbei an abertausend tödlichen Selbstschußanlagen, unerkannt vorbei an 100000 Wehrtürmen, Wachttürmen, Volkspolizisten und Volksarmisten? Das würden wir noch gerne von Ihnen wissen.

Kohl: Fragen Sie den Höllenvogel da! Der hat mich gelotst. Der weiß Bescheid.

Vogel: Das wäre so ähnlich, wie wenn einer wissen wollte, wie es in vorgeschichtlicher Zeit um den Menschen bestellt war. Das aber ist unmöglich. Was uns nämlich heute als Werk des alles fixierenden und definierenden menschlichen Verstandes erscheint, das war früher einmal ein unentwirrbares Konglomerat an Strebungen und Bewegungen und unkontrollierbaren und unbeherrscharen Trieben. Heute bedeutet Blut nur noch Blut, und Rausch bedeutet Rausch, und Trieb bedeutet Trieb. Und der Tod ist die Folge von Mord und Totschlag. Da ist von der Natur nichts mehr übrig geblieben.

Kohl: Herr Vogel! Verstecken Sie sich nicht hinter gelehrt klingenden, gleichwohl aber total leeren Phrasen. Meinen Sie, man bemerkt es nicht, wie Sie es treiben, wie Sie dem Honegger da schmeicheln, nur damit man Sie nicht festnimmt?

Vogel: Der Staatsratsvorsitzende hat das gern, wenn man ihm ein wenig schmeichelt. In aller Wahrheit und Höflichkeit, voll Menschlichkeit und anständiger Sitte versteht sich. Das tun alle, auch die CDU und die CSU und der Herr Strauß am allermeisten.

Kohl: Noch nie war es mein Verlangen, jemandem zu schmeicheln.

Vogel: Daß Sie es nicht gelernt haben oder es nicht haben lernen wollen, kann ich etwas dafür?

Honni: Überhaupt sieht der Herr aus wie einer, der aus unserem Staatsgefängnis entlaufen ist. Herr Staatsanwalt, überprüfen Sie die Identität dieses Mannes.

Kohl: Verehrter Herr Partei- und Staatsratsvorsitzender. Ich, der Kanzler der BRD, ich sage extra BRD und nicht der Bundesrepublik Deutschland, um Ihnen entgegen zu kommen, so weit es nur eben geht, ich als der Kanzler der BRD gratuliere Ihnen zu Ihrem heldenhaften Entschluß, die von uns in Aussicht gestellten Milliarden in Empfang zu nehmen. Da wir die Gelder an die Einhaltung gewisser Reformbewegungen gebunden haben, dieselben aber, wie wir feststellen durften, hier sehr schön eingehalten werden, selbst die Beachtung der Menschenrechte läßt schon fast nichts mehr zu wünschen übrig, so steht nichts weiter mehr im Weg, als Ihren ohnehin schon so schönen Staatsschatz noch um diese weiteren Milliarden Westmark zu erweitern. Sie sind doch willens, weiter mit uns zusammenzuarbeiten!?

Honni: Sie müssen sich täuschen. Hier kennt sie keiner.

Vogel: Hätten Sie sich umgekleidet, als ich Sie von Zuhause abgeholt habe. Aber Sie wollten ja nicht. Sie konnten nicht schnell genug hierher kommen.

Staatsanwalt: Ich darf Sie doch bitten!

Kohl: Hände weg.

Staatsanwalt: Wir kennen Leute, die unter ihrem Schlafanzug ganze Staatsschätze weggetragen haben.

Vogel: Ich hab ihn gewarnt. Aber er wollte nicht hören.

Kohl: Ich trage nichts unter meinem Schlafanzug als den mir von Gott gegebenen nackten Körper.

Staatsanwalt: (auf die Geldkatze deutend) Und das da?

Vogel: Herr Kohl, wachen Sie auf, eh es zu spät ist. Es wäre gut, wenn Sie etwas sagten.

Staatsanwalt: Das Geld, das wir bei diesem werten Herrn gefunden haben, ist, bis auf den Pfennig, exakt unser Staatsvermögen, 39 Milliarden Westmark

Vogel: Was hab ich gesagt?

Honni: Herr Schalk?

Schalk: Zu Befehl, hier bin ich!

Honni: Wo ist unser Staatsschatz.

Schalk: Hier!

Honni: Kontostand. Abzählen!

Schalk: Zu Befehl, verehrter Herr Partei- und Staatsratsvorsitzender.

Honni: Auf wie viel beläuft sich unser Kontostand?

Schalk: Auf nichts.

Honni: Was heißt auf nichts?

Schalk: Wir hatten exakt 39 Milliarden West-DM und keinen Pfennig weniger und jetzt haben wir nichts mehr.

Honni: Wofür haben Sie das Geld ausgegeben? Hab ich nicht gesagt, die Präparierung für die Ewigkeit darf das Monatsbudget von 1000 Ost-mark nicht übersteigen?

Schalk: Man hat das Geld geklaut. Anders weiß ich mir den Sachverhalt nicht zu erklären.

Staatsanwalt: Wir haben da allerdings einigen Grund zum Staunen, meine Herren. Oder ist das etwa ein Zufall, daß die Geldkatze von diesem werten Herrn und unsere Staatsschatztruhe just dieselbe Gestalt haben? Und daß, was vorhin da drin war, jetzt just da drin ist?

Schalk: Da geht uns freilich ein unerhörtes Licht auf.

Vogel: Man schaut Sie an, Herr Bundeskanzler. Man erwartet von Ihnen ein Geständnis, zumindest aber eine Erklärung.

Kohl: Sie selber haben noch vor unserem Weggang von Zuhause das Geld gezählt. Das können Sie nicht leugnen.

Vogel: Und Sie sagten vorhin noch, in Ihrem Geldbeutel sei nichts mehr drin.

Kohl: Zuerst nehmen sie einem das Geld weg, dann gehört es ihnen, und dann stecken sie einem das Geld wieder zu, dann hat man es ihnen geraubt. (zu Honni) Ich bitte Sie, diesen Mann vernehmen zu lassen. Er muß bezeugen, daß ich unschuldig bin, wenn er kein Schurke ist.

Staatsanwalt: Wollen Sie damit sagen, daß Sie schuldig sind, wenn er ein Schurke ist?

Kohl: Wenn man mich schuldig spräche, wäre er allerdings ein Schurke.

Staatsanwalt: Herr Vogel, haben Sie etwas zu sagen, was für den Angeklagten spricht?

Vogel: Es ist nichts.

Staatsanwalt: Nein, reden Sie nur.

Vogel: Es gibt nirgends einen strengeren Erhaltungssatz als beim Geld. Von nichts, kommt nichts. Ist bei einem zu wenig, so ist beim andern zuviel. Nur die Summe stimmt.

Staatsanwalt: Der Fall liegt hier vor. Uns fehlt genau das Geld, das bei Ihnen zuviel ist. Das wäre nun nicht gar so schlimm, wenn nicht die Ideale unseres Staates so erhaben wären, daß sie auch anderen Völkern zum Vorbild dienen sollten. Doch beraubt man uns unserer Resourcen, was kann aus uns werden? Deshalb plädiere ich dafür, streng mit dem Angeklagten zu verfahren. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als ein drakonisches Exempel zu statuieren.

Kohl: Dieser Staat ist ein Unrechtsstaat.

Staatsanwalt: Dieser Mann hat sich eines zweifachen Hochverrates schuldig gemacht. Er hat Spionage getrieben, indem er an der Türe Nr.1 gelauscht hat. Und er hat zudem unseren gesamten Staatsschatz gestohlen. Da beides schon für sich allein die Todesstrafe nach sich zieht, so hat er den zweifachen Tod verdient.

Kohl: Ich bin unschuldig.

Staatsanwalt: Wer an einer verbotenen Türe lauscht, ist ein Verbrecher.

Vogel: Schon im Märchen ist das so. Ich hab ihn gewarnt. Ich gehe jetzt und melde den Vorfall dem Bundestag. Und übernehme dann die Interimsgeschäfte. (ab)

Kohl: Ist er gegangen?

Honni: Vielleicht, daß er jemanden findet, der ihn in der BRD loskauft. Bei doppelter Todesstrafe kostet das das Doppelte von 30 Milliarden DM.

Mielke: Ich fürchte, daß es niemanden gibt, der die Lösesumme bezahlt.

Schalk: Die CSU, das weiß ich genau, würde ihn nicht freikaufen, selbst wenn sie das Geld hätte.

Harun: Jetzt sind wir ganz schön in der Klemme, Herr Bundeskanzler.

Kohl: Die gerechte Sache ist nie in der Klemme, nur die ungerechte Sache mitsamt dem Staat, der letztere unterstützt. Hört aber der Unrechtsstaat auf, dann hören auch die Greuel auf. Dann wird dem Opfer sein Recht und der Täter wird bestraft.

Harun: Wenn er aber erst aufhört, wenn wir gelebt haben, was nützt uns dann eine Rehabilitation?

Kohl: Er hört auf. Er ist bereits am Aufhören. Diese Leute hier sind nicht das Volk, sondern nur ein kleiner Teil davon, der sich Privilegien zugebilligt hat und der auf Kosten der geschundenen Brüder lebt. Deshalb flohen die Menschen aus diesem Land zu Tausenden. Und hätten sie das Gebiet nicht verdrahtet und vermint, es wäre niemand drüben übrig geblieben. Wer eine menschenwerte humane Welt erleben wollte, wer das Recht auf Freiheit, auf Selbstverwirklichung genießen wollte, der wagte den Weg zu uns, vorbei unter tausend Stacheldrahtzäunen, unerkannt vorbei an abertausend tödlichen Selbstschußanlagen, unerkannt vorbei an 100000 Wehrtürmen, Wachttürmen, Volkspolizisten und Volksarmisten! Das waren die Worte des Herrn Staatsanwalts.

Harun: Ich liebe meine Heimat und wäre gerne hier zuhause.

Kohl: Es dauert nicht mehr lange, dann haben wir es geschafft. Dann kannst du hier leben, in Freiheit und Wohlstand.

Staatsanwalt: Uns wär auch lieber, es gäbe keine Grenzen und überall auf Erden sängen frische und freie Menschen die Internationale. Und nirgends wär einer, der fortwährend Kriegshetze und Agitation betreibt.

Kohl: Und die Hinrichtungskommandos und die Todesschwadronen? Ist ein Staat gut und gerecht, der seine Bürger zu Tode schindet?

Honni: Was will er damit sagen? Er weiß doch, wie viele von den Intellektuellen aus der BRD gerne zu uns kämen. Die gesamte Elite mitsamt den Jugendlichen. Doch man läßt sie nicht ausreisen.

Kohl: Sie kennen die Friedhöfe für die von uns erschossenen Intelektuellen?

Mielke: Mitunter gelangt einer dieser Pioniere zu uns. Dann bringen wir ihm bei, wie er sich vor Erschießungen bewahrt. Doch was geht es ihn an?

Kohl: (auf Harun deutend) Und dieser Mann da?

Honni: Was ist mit dem?

Kohl: Er ist doch ein Bürger der DDR?

Staatsanwalt: Gewiß.

Kohl: Ein freier Mensch?

Staatsanwalt: Gewiß.

Kohl: Wollen Sie ihn unseren Intelektuellen als freien wohlgeratenen Bürger Ihrer Republik vorführen? Nun? Hab ich euch endlich?

Staatsanwalt: Wir wissen nicht, worauf er hinaus will.

Kohl: (auf Harun deutend) Sie sagten doch, dieser Mann sei frei?

Staatsanwalt: Gewiß

Kohl: Er ist in Ketten gebunden. Mehr noch. Man hat ihn vierteilen wollen. Dann aber hat man ihn mit Hammer und Sichel drangsaliert. Nur wie durch ein Wunder konnte er sich bis zu meinen Füßen retten.

Harun: Ich weiß nicht, ob wir nicht lieber aufgeben sollten.

Kohl: Halte durch, Harun, wenigstens solange, bis wir die Anklage vorgebracht haben. Auch in die Ohren der taubsten Vipern soll sie eindringen.

Harun: Ich bin dafür, daß wir nachgeben!

Kohl: Das geht nicht.

Harun: In christlicher Geduld?

Kohl: Das würde sie nur bestätigen.

Harun: Überhaupt finde ich alles gar nicht so schlimm.

Kohl: Hat man dir nicht böse mitgespielt?

Harun: Ich halte auch noch die andere Wange hin.

Kohl: Auch im Christentum gibt es eine Dialektik, dergestalt, daß du getrost sagen kannst, daß du die Wage hinhältst, auch wenn du sie jetzt nicht hinhältst.

Harun: Auch ich habe ja ein wenig gespielt.

Kohl: Wie?

Staatsanwalt: (zu Harun) Zeigen Sie, Genosse Harun, daß Sie getrost sagen können, daß sie frei sind, auch wenn Sie bis jetzt ein wenig gefangen zu sein schienen.

Harun: (schlüpft leicht aus seinen Ketten) Ich bin ebenso frei wie er (der Staatsanwalt). Er ist ja mein Bruder.

Kohl: Harun?!

Harun: Was bleibt mir übrig, wo Sie sich nicht für mich opfern wollten?

Kohl: Dann bin auch ich frei. (Er versucht, seine Ketten abzustreifen, vergebens)

Staatsanwalt: Nun?

Kohl: Theater, nichts als Theater.

Mielke: Wir sind nicht das Land, wo man Theater spielt.

Honni: Die DDR ist ein blühender Garten, ein Heideland unter sanftblauen Himmeln, ein herrliches lebensfrohes Land, ein üppig gedeihendes, frühlingsfrisches Land, mit blühenden Wiesen und Obstbäumen, in deren Haare der Wind fährt, wohin das Auge nur reicht, ein Land voller Feldern mit wogendem Getreide, ein Land voller Wälder, durchsetzt von Mooren und schattigen Seen, ein Land, das sich regt und bewegt, wo Tier und Mensch noch einträchtig beisamen hausen, eine Heimat kräftiger Jungen und aufblühender Mädchen mit schöngeflochtenen Haaren.

Harun: O, du meine Heimat, wer hier zuhause sein darf!

Kohl: (will in Ketten ab) Dann hätte ich hier weiter nichts verloren. Leben Sie wohl in Ihrem schönen Land! Und sehen Sie zu, daß Ihre Jugend unter den Erschießungen nicht zu üppig ins Kraut schießt.

Honni: Nur in eueren Westköpfen hausen die Todesschwadronen und die Stacheldrähte.

Staatsanwalt: Hier, Herr Bundeskanzler, hier geht es lang.

Kohl: Lassen Sie mich. Ich genieße internationale Immunität. Honni: Sie sollen sich nicht beklagen. Wir haben die modernst ausgerüsteten, bestarbeitenden Gefängnisanlagen der Welt.

Mielke: Der Erziehungserfolg ist überwältigend. Das ganze Volk hilft uns mit dabei.

Schalk: Die Stasiminister mitsamt ihren Mitarbeitern und die Mitarbeiter der Mitarbeiter und dann noch deren Helfer und Helfershelfer. Tag und Nacht arbeiten wir.

Honni: Wer nicht geschunden wird, wird auch nicht erzogen.

Mielke: Er hat die Wahl: erzogen zu werden oder zugrunde zu gehen.

Schalk: Tertium non datur.

Kohl: Ich warne Sie. Es wird Sie teuer zu stehen kommen.

Staatsanwalt: Träumen Sie nicht länger. Die Realität hat Sie eingeholt.

9. Abschnitt

Kohl: (in einer Zelle, zwei Soldaten draußen lauschend.)

1. Soldat: Er glaubte, die Zeit sei reif, uns unsere liebe DDR unter dem Hintern weg zu stehlen.

2. Soldat: Einen Jahrtausendstreich glaubte er uns spielen zu können.

1. Soldat: Doch er täuschte sich. Sein Spiel mißlang.

2. Soldat: So geht es allen, die etwas gegen uns im Schild führen.

1. Soldat: Manch einer hat sich schon für ein Jahrtausendgenie gehalten, mußte dann aber erkennen, daß ihm sein Talent nur zu einem Jahrtausendgauner gereicht hat. Oder es ist nur ein Jahrtausendungeheuer aus ihm geworden!

2.: Meinst du, die lösen ihn aus?

1.: 60 Milliarden ist allerdings nicht wenig.

2.: Wenn sie ihn aber nicht auslösen? Was wird dann mit ihm geschehen? Man wird ihn kaum beliebig lange füttern.

1.: Entweder man verhandelt und geht mit dem Preis etwas herunter oder aber man versucht, ihn möglichst billig zu entsorgen. Doch da kommt Genosse Harun herbeigeeilt. Er scheint mit einer Nachricht zu kommen.

Harun: (kommt herzu) Herr Kohl? Ich bins doch, der Harun Grunzbach. Ihr Agent und Mitstreiter. Ich komme vom Politbüro und bringe Ihnen eine erfreuliche Nachricht. Herr Kohl, sind Sie noch da? Warum geben Sie keine Antwort?

1. Soldat: (durchs Guckloch schauend) Natürlich ist er noch da.

2.: Das wär noch schöner, wenn bei uns den Gefangenen freigestellt wäre, sich zu verdünnisieren und in Luft aufzulösen. So weit kann selbst die Freiheit in der DDR nicht gehen.

Harun: Sind Sie mir noch immer böse, Herr Bundeskanzler, daß ich nicht gesagt habe, ich sei unfrei? Aber ich war doch gar nicht unfrei. In dem Moment, als mich der Staatsanwalt gefragt hat, konnte ich nichts anderes mehr sagen. Schließlich ist er mein Bruder.

Kohl: Weiche, Satan!

Harun: Ist das die Antwort, die ich verdient habe, wo ich mit einer erfeulichen Nachricht komme?

1. Soldat: Wie, wenn er nun zu sagen hätte, daß man Sie freiläßt und Sie weigerten sich, ihn anzuhören?

Kohl: Ich brauche keine Leute, die einem einen guten Dienst zu erweisen vermeinen, wenn sie einem eine schlechte Nachricht bringen.

Harun: Gewiß, ein Freikauf ist nicht in Sicht. Da haben Sie recht. So erfeulich ist die Nachricht nicht. Woher sollte ich auch das Geld nehmen? Aber es gibt da doch immerhin noch andere, erfreuliche Sachen. Eine zwar kleine, aber doch liebgemeinte Gabe. Sie wollen nicht hören?

1. Soldat: Nun, dann sagt er Ihnen eben das Erfreuliche nicht.

2. Soldat: Dann sagt er Ihnen auch nicht, daß man vorerst davon absieht, Sie zu vierteilen.

1. Soldat: Dann teilt er Ihnen allenfalls noch mit, daß uns Herr Vogel schreibt, daß er die Kanzlergeschäfte sehr gut führt, und zwar so gut, daß er Ihre Abwesenheit schon fast gar nicht mehr verspürt.

2. Soldat: Der Kanzlerthron sei perfekt auf ihn maßgefertigt. Und sofern Sie sich nicht in Ihr Schicksal zu schicken gedächten, sollte Harun Grunzbach Ihnen noch sagen, daß auch Julius Cäsar seine Ermordung relativ gelassen überstanden hat.

Kohl: Theater, nichts als Theater.

Harun: Wenn man die Weltgeschichte nicht darwinistisch betrachten will, bleibt einem kaum etwas anderes übrig, als sie als ein großes Spektakel oder Theater zu begreifen.

Kohl: Hat die CDU das Geld zusammengebracht für meine Auslösung?

Harun: Das wäre freilich bei weitem das schönste und beste.

Kohl: Oder hat der heilige Vater in Rom etwas für mich getan?

Harun: Und ob er etwas getan hat! Zuerst hat er sich überlegt, ob er eine Kollekte für Sie veranstalten soll, dann hat er sich ernsthaft mit der Frage auseinandergesetzt, ob er die Kunstschätze des Vatikan verkaufen soll, endlich aber schien ihm dies am besten, in kindlichem Glauben auf die Kraft des Himmels zu setzen. Kohl: So hat niemand etwas für mich getan.

Harun: So würd ich das nun auch wieder nicht ausdrücken. Zwar hat weder der hl. Vater für Sie eine Kollekte abgehalten noch auch hat er von seinen Kunstschätzen einige verkauft. Nicht einmal Ihrem Ansinnen, einen kleinen Kreuzzug zu organisieren, hat er stattgegeben. Zwar hat der Militärbischof der BRD das Gesuch an den heiligen Stuhl weitergeleitet, und es hätte wohl auch der König von Frankreich dabei mitgemacht, unter der Bedingung freilich, daß Sie auf jede Gebietsforderung im Osten wie auch im Westen verzichten, doch der hl. Vater hat abgewinkt. Eine schlichte Sanftmut und Gottergebenheit scheint ihm in der augenblicklichen weltpolitischen Lage besser zu sein als ein noch so erhabener heiliger Zorn.

Kohl: Weg mit dir, du Satansbraten!

Harun: War das im Zorn gesprochen oder nur so zur Unterhaltung?

1. Soldat: Warum geben Sie keine Antwort?

2.: Er schmollt ganz offensichtlich.

Harun: Als allerletztes soll ich nachfragen, ob Pater Pio vorbeikommen soll. Ob so oder so, der Himmel macht seine Sache recht, läßt Ihnen Pater Pio ausrichten. Entweder er verfügt, daß Sie wieder nach Bonn zurückkehren oder er würdigt Sie eines Martyriums. Und da seit Ferdinand, dem Katholischen, im katholischen Lager niemand mehr so fromm war wie Sie, so wird man im letzteren Fall auch nicht davon abstehen, Sie so schnell wie möglich heilig zu sprechen. Sie wären dann der erste deutsche Bundeskanzler, den man heilig gesprochen hätte. Man könnte dann das Münster zu Bonn zu Ehren des heiligen Kohl umtaufen.

1. Soldat: Er sagt nichts mehr.

2. Soldat: Wir könnten ihn zwar zum Sprechen bringen. Wir haben da ein paar nette Kleinigkeiten, die selbst Stummen das Maul öffnen und Tauben die Ohren, doch was solls.

Harun: Kann ich was dafür, wenn ich die Tatsachen referiert habe, alles sine ira et studio, also so, wie es der Historiker tun soll, leidenschaftsfrei und ohne die mindeste Spur einer Anteilnahme? Alles ist wie es ist, und alles nimmt seinen Gang, wie es seinen Gang nehmen muß. Niemand hat uns gefragt, als man uns in die Arena des Lebens entließ. Gehen wir!

(Soldaten und Harun gehen ab)

Kohl (allein): Wie bös hat mir doch dieser Vogel mitgespielt. Alles war falsch und verlogen. Vor allem die Sache mit dem Soldaten und mit seinem Geheimschreiben. In Demut, Erich Honegger. Als ob der jemals Demut geübt hätte. Die wissen ja nicht, was das ist. Ich hätte achtgeben sollen, mag man mir vorwerfen. Ich aber entgegne: Wer erkennt schon die Welt. Das einzige, was mir jetzt noch übrig bleibt, ist die Hoffnung, daß hier alles so gründlich falsch ist, daß es sich nur um einen bösen Traum handeln kann. Ein Dämon muß ihn mir eingeflößt haben, als ich wehrlos im Schlaf lag. Bleibt mir nur noch die Hoffnung des Erwachens. (er rüttelt an den Eisenstangen des Fenstergitters)

4. Schauspiel: Kohlen für Polen

1. Abschnitt

(In einem Zimmer in Polen.)

Vogel (auf einem alten Schrank als ein alter Vogel sitzend, er singt):

Hoch oben auf dem Baume,

sitz ich ein Vöglein klein,

und äug vom Wolkensaume

weit in das Land hinein

 

Was ich eräug erspähe,

faß ich sogleich ins Lied

Wärs auch ein Wehe, Wehe,

wohltönend es geschieht

 

Kein Mensch mag mich erschauen,

wenn ich nur immer sing

hoch aus dem Wolkenblauen

mein Klingelingeling.

Vogel: (als Mensch vom Schrank herabsteigend) Herr Bundeskanzler?

Kohl: (im Halbschlaf) Herr Masowiezki, sind Sie es? Warten Sie, ich bin gerade noch ein wenig am Schlafen. Mit hat wunderlich tolles Zeug geträumt. Nein, gewiß, so arg eilt es auch wieder nicht. Vor keinem General der Welt sollten Sie sich fürchten. Jawohl, ich fürchte kein Unheil, du bist bei mir!

Vogel: Herr Bundeskanzler, ist Ihnen meine Stimme nicht mehr vertraut?

Kohl: Herr Masowiezki. Glauben Sie mir doch! Ich bin der Herr der Lage. Ich möchte sogar sagen, ich bin auserkoren zu einem Jahrhundertwerk, von dem noch die Spätgeborenen singen und sagen.

Vogel: (für sich) Noch immer dieser Herr Masowiezki? (laut) Herr Bundeskanzler, wachen Sie auf?

Kohl: Ach Sie sinds. Ich dachte, der Masowiezki wärs.

Vogel: Der? Der ist nicht hier. Es sei denn, daß ich oder Sie, Herr Bundeskanzler, der Herr Masowiezki wäre. Denn zu zweit sind wir in diesem Raum, wie man unbestreitbar feststellen kann. Da nun aber ich der gute alte Vogel bin, Sie aber, es sei denn, Sie hätten sich verstellt oder wären verzaubert worden, der Herr Bundeskanzler Helmut Kohl sind, so bleibt für den Herrn Masowiezki kein Platz.

Kohl: Wenn Sie denn schon da sind, Herr Vogel, so sagen Sie mir, ob es für einen Kanzler schmeichelhaft ist, wenn man ihm keine Kompetenz zutraut.

Vogel: Natürlich hat er Kompetenz zu beanspruchen, einerlei, ob er welche besitzt oder nicht. Zum Glück aber gibt es da den Oppositionsführer. Dieser ist es, der im besonderen die Grenze des Vertrauens markiert.

Kohl: Die Grenze des Vertrauens! Was soll das? Wie kommt es, Herr Vogel, daß ich von Ihren Antworten so gut wie nie etwas habe?

VogeL. Soll ich darauf eine Antwort geben, wie Sie es gewohnt sind?

Kohl: Nein, sagen Sie nichts. Ich habe schlecht geschlafen und noch schlechter geträumt.

Vogel: Ich habe es Ihnen schon oft gesagt, Herr Bundeskanzler. Ein Mann, der sich zu Größtem berufen weiß, kann nicht schlafen.

Kohl: Auch der größte Mann muß sich einmal ausruhen. Gut ausgeruht, bestehen wir die Herausforderungen, die auf uns warten. Doch sagen Sie mir, was Sie zu mir führt, Herr Vogel? Wo Sie sind, lauert die Gefahr.

Vogel: Konträr, Herr Bundeskanzler. Wo wir Sie allein lassen, stehen den Gefahren Tür und Tor offen. Warum sagen Sie mir nicht, wenn Sie sich wegbegeben? Kein Bundeskanzler war je so unpopulär wie Sie. Keiner hat je so autoritär geherrscht wie Sie.

Kohl: Das spicht wohl für mich.

Vogel: Wenn Sie alles gut machen würden. Wenn aber unsere Nachbarn Stoff erhalten, sich über uns zu beschweren...

Kohl: Kein Nachbar hat auch nur den leisesten Grund dazu.

Vogel: Wenn Sie nur nicht noch immer träumen, Herr Bundeskanzler. Träume sind gefährlich, zumal, wenn es sich um gefährliche Träume handelt. Ein Bundeskanzler sollte sich solche Ablenkungen nicht leisten.

Kohl: Ich hab mir meine Träume nicht ausgedacht. Noch auch bin ich in der Lage, aus einem Traum auszusteigen, wenn mich einer überfällt.

Vogel: Ein Politiker ist auch für seine Träume verantwortlich. Er darf nicht zulassen, daß ihn Träume überfallen, zumal wenn es Träume sind, die von Überfall, Gewalt, Krieg und ähnlichem handeln.

Kohl: Homo sum; nil humanum a me alienum puto.

Vogel: Ein Bundeskanzler, der seine Träume nicht zu beherrschen vermag, sollte abtreten.

Kohl: Da wär ich der erste Politiker, der deswegen abträte.

Vogel: Und wenn? Schließlich waren es nicht zuletzt wir Deutsche, von denen für Polen viel Unheil und Elend ausgegangen.

Kohl: Von ist noch nie auch nur einem Polen etwas zuleide getan worden.

Vogel: Wie schnell kann dies nicht der Fall sein. Deshalb möchte ich Sie bitten, nicht immer nach dem rechten Flügel der CSU zu schielen noch auf das Geschrei der Schlesienvertriebenen zu hören, sondern taktvoll das Schicksal eines leidgeprüften Volkes zu überdenken. Sie als Patriot sollten ein Gespür dafür haben, was das Herz dieses Volkes bewegt.

Kohl: Das hab ich auch. Dazu brauch ich Sie nicht. Und schon gar nicht als Schlafaufwecker.

Vogel: Solange Sie auf ein paar Wählerstimmen schielen, haben Sie das nicht. Was sonst soll das Gerede um die polnische Westgrenze? Warum bekennen Sie sich nicht klipp und klar wie wir alle zu dieser nun einmal historisch gewordenen Grenze? Wir Deutsche haben keine Gebietsansprüche mehr zu melden.

Kohl: Pacta sunt servanda, das habe ich erst gestern noch gesagt.

Vogel: Und dann, was soll das Getöse um die deutsche Minderheit in Polen? Als ob das die entrechtetsten Geschöpfe wären in der weiten Welt.

Kohl: Als Kanzler hab ich mich auch um die deutsche Minderheit in Polen zu bekümmern.

Vogel: Ich halte es für einen miserablen Stil, wenn man die politische Führung eines Landes so demütigt, wie Sie es getan haben. Und dabei handelt es sich um die erste Regierung seit einem halben Jahrhundert, die Anspruch darauf machen darf, die Interessen des ganzen Volkes zu vertreten.

Kohl: Wenn ich etwas Unrechtes getan habe, so lassen SIe es mich wissen.

Vogel: Und was ist das da?

Kohl: Als ob das nicht jedermann sehen könnte.

Vogel: Von außen vielleicht. Von außen sieht es aus wie der Klingelbeutel aus der Pfarrkirche von Oggersheim. Und viel mehr wird es auch nicht sein. Aber was sich inwendig für Geld drin befindet: ob Blutgeld, Bestechungsgeld, Wiedergutmachung, Ausgleichszahlung, Schmerzensgeld: ich weiß es nicht.

Kohl: Lassen Sie sich überraschen.

Vogel: Könnte es nicht sein, daß Sie mit dem Geld ein paar Forderungen zu stellen gedenken?

Kohl: Was denn für Forderungen?

Vogel: Üble, unplatzierte, demütigende Forderungen. Wenn man den Polen Geld bringt, drei bis vier Milliarden Mark, wenn ich die Menge der Pfennige recht begreife, sagen wir für den Aufbau der Wirtschaft, was, wie Sie selber wisen, so viel ist wie der berühmte Tropfen auf den heißen Stein, so hat man noch lange kein Recht, Forderungen zu stellen. Merken Sie nicht, wie peinsam es ist, einem ein Geschenk und mit dem Geschenk zugleich klar zu machen, was man von ihm als Gegenleistung erwartet?

Kohl: Wovon reden Sie eigentlich, Herr Vogel?

Vogel: Könnte Ihnen der Gedanke nicht peinlich sein, die katholischen Polen und Ihr heiliger Vater sähen lieber mich als Kanzler hier, der ich doch ein Protestant bin?

Kohl: Sorgen Sie sich nur nicht um Dinge, die nie und nimmer der Fall sind.

Vogel: Sie haben auf dem Besuch des Annaberges bestanden.

Kohl: Ich habe nicht darauf bestanden.

Vogel: (am Fenster) Ist das nicht der Annaberg, den ich da sehe, mitsamt dem Kirchlein auf dem Gipfel? Und ist das nicht der Ministerpräsident Masowiezki, der dort kniet und den Himmel anfleht, er möge Sie erleuchten?

Kohl: (jetzt auch ans Fenster tretend) Das ist sicher wieder so einer von Ihren infamen Streichen. Geben Sie zu, daß Sie das alles herbeigebetet oder herbeigezaubert haben.

Vogel: Gemeinheiten muß man nicht herbeibeten noch herbeizaubern. Sie stellen sich von allein ein.

Kohl: Der Primas von Deutschland hat mich angerufen und hat mich im Namen des Papstes gebeten, von diesem Programmpunkt Abstand zu nehmen, Und ich habe es ihm zugesagt. Aber ich werde den peinlichen Punkt in Ordnung bringen.

2. Abschnitt

Masowiezki (träumend) Es wäre schrecklich, alles wäre verloren, wenn er käme. Alles.

Kohl: Von wem redet er? Vom General Jaruselski?

Mas.: Wir werden das Frühjahr nicht mehr erleben. Sie werden es sehen.

Kohl: Meint er mich?

Mas.: Ehe der Winter herum ist, sind wir im Totenreich.

3. Abschnitt

(Wie sie auf den Ministerpräsident Masowiezki zueilen.)

Kohl: Herr Ministerpräsident Masowiezki!

Mas.: O ich habs doch gewußt. Herr General?!

Kohl: Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich vom Annaberg Abstand nehme.

Mas.: Ach Sie sinds, Herr Kohl.

Kohl: Ich kann Sie nicht verstehen.

Masowiezki: Entschuldigen Sie, Herr Bundeskanzler Kohl, ich wußte es nicht mehr so genau. Wir hatten zuviel ausgmacht und dann wieder gestrichen. Ich war verwirrt. Und dann sah ich, wie Sie sich auf den Weg machten, hierher zum Annaberg. Was blieb mir anderes übrig, als mich für alle Fälle auch mal hier einzufinden? Meine Nerven liegen noch immer blank. Glauben Sie mir, es ist nicht einfach, Ministerpräsident in Polen zu sein.

Vogel: Herrn Masowiezki fiel es nicht leicht, herzukommen, das können Sie ihm glauben. Angesichts der Bedenken vieler gutgesinnter Polen, aber auch unter der Aufsicht des Militärs und des Generals ist für ihn fast jede Entscheidung ein Unternehmen auf Leben und Tod.

Kohl: Ich liebe das polnische Volk.

Vogel: Da hätten Sie sich etwas kleiner machen müssen. Zeit dazu hatten Sie ja. Schauen Sie sich den Herrn Masowiezki an. Wie klein er ist im Vergleich zu Ihnen, wie riesengroß Sie im Vergleich zu ihm. Wie breitschultrig, wie wohlgenährt, ja wie beleibt Ihre äußere Erscheinung gegenüber seiner schmächtigen, ängstlichen Gestalt. Sie ein Mann, der vom Erfolg verwöhnt ist, er ein Mann, der sich selbst kaum einen geringen Erfolg zutraut. Eine Gewehrkugel bliebe in den Fettpolstern Ihres unermeßlichen Reichtums stecken, während sie ihn noch im Niederfallen durchlöchern würde. Fortuna ist wahrlich eine Metze, die aller Gerechtigkeit spottet, und wenn ich nicht wäre, der ab und zu ein wenig in ihre Speichen griffe, so gäbe es schon lange keinen Christengott und keine christliche Parteien mehr.

Kohl: Ich liebe das polnische Volk, habe ich gesagt.

Vogel: Sie wissen ja überhaupt nicht, was das ist, das polnische Volk?

Kohl: Besser als Sie, Herr Oberlehrer.

Masowiezki: Streiten Sie sich nicht, meine Herren. Haben Sie Erbarmen.

Vogel: Ich werde nicht dulden, daß man Sie in Ihrem eigenen Land verspottet.

Masowiezki: Alles bedroht mich, alles beängstigt mich. Ich habe geahnt, daß das Regieren schwer wird. Daß ich aber mit einem Fuß bereits im Grab stehe, daß es so schwer wird, das habe ich nicht geahnt.

Vogel: Haben Sie es gehört, Herr Bundeskanzler?

Kohl: Haben Sie es gehört, Herr Vogel?

Vogel: Ich bin gekommen, Ihnen zu helfen.

Kohl: Wenn einer gekommen ist, Ihnen zu helfen, so bin ich es, der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschalnd.

Vogel: Halbherzig, unentschlossen, gezwungen...

Kohl: Seien Sie still und mischen Sie sich nicht in meine Politik.

Vogel: Gehen Sie in die Kapelle und beten Sie drei Confiteor und drei Credos. Das wir Ihnen gut tun.

Kohl: Damit Sie mit Herrn Masowiezki geheime Verschwörungen gegen mich anzetteln. Wenn einer einen Beichtvater, eine Buße und eine Büßerkapelle braucht, so doch wohl Sie, Herr Vogel.

Vogel: Hören Sie, Herrn Masowiezki? Ist das nicht typisch für den deutschen Christdemokraten? So versteht er sein Christentum. Andere verdächtigen, anderen schlechte Handlungen und krumme Dinge unterstellen. Am liebsten würde er uns, die Andersdenkenden, auf dem Scheiterhaufen verbrennen.

Kohl: Fragen wir doch Herrn Masowiezki, von wem er Hilfe haben will, vom Oppositionsführer oder vom Bundeskanzler.

Masowiezki: Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn, der Himmel und Erde erschaffen hat.

Kohl: Gewiß, die wichtigste Hilfe kommt uns vom Herrn des Himmels und der Erde. Aber dann? Wer kommt dann? Bei wem glauben Sie Ihre Anliegen am besten aufgehoben? Genieren Sie sich nicht. Sehen Sie! Hier habe ich Ihnen auch etwas Schönes mitgebracht.

Masowiezki: O ihr Deutschen! Wer kann euch verstehen? Da geht es ihnen gut und da haben sie alles, und dann streiten sie sich noch.

Vogel: Hab ichs nicht gesagt, daß es auf das herausläuft? Als ob der Herr Staatspräsident Masowiezki käuflich wäre. Schauen Sie weg, Herr Masowiezki und lassen Sie sich nicht verwirren. Und mag es auch Geld sein. Jedenfalls ist es nicht sein Geld. Das ist ebenso gut mein Geld. Das ist Steuergeld. Mithin Geld von allen Deutschen. Nur die Bemessungsgrenze, das ist sein Werk. Und wenn ich Ihnen etwas sagen darf, Herr Staatspräsident Masowiezki, so sage ich Ihnen offen und ehrlich, daß ich, wenn ich der Kanzler wäre, zum mindest das Dreifache mitgebracht hätte.

Kohl: Das sagen Sie alle, wenn sie in der Opposition sind und sich mit nichts als mit imaginärer Politik befassen.

4. Abschnitt

(Wie Jaruselski den Kohl in die Wallfahrtskirche bugsiert.)

(Jar. taucht in Begleitung zweier Soldaten auf. Sie tragen Gewehre und eine Schaufel und einen Pickel mit sich.)

Jaruselski: Was geht hier vor sich? Streit, Geschrei, Keilerei? Haben wir nicht strikt jede Zusammenkunft, zumal politisch Denkender, und gar politisch Andersdenkender verboten, Herr Masowiezki?

Masowiezki: Die beiden Herren kommen aus der Bundesrepublik Deutschland. Sie sind bemüht, uns die Hand zum Frieden zu reichen.

Jaruselski: Reicht man uns so die Hand zum Frieden?

Masowiezki: Sie scheinen sich über das Protokoll nicht ganz im Klaren zu sein. Darüber haben Sie sich in die Haare bekommen.

Jaruselski: Das ist Aufruhr, Konterrevolution! Sowohl Sie, meine Herren, werden sich zu verantworten haben. Aber auch Sie, Herr Masowiezki. Sie wußten, daß Sie die Herren nicht in Polen hätten einreisen lassen dürfen, jedenfalls nicht ohne mich zu fragen. Ähnlich wie für den Tschechen der Deutsche noch immer der wortbrüchige Ausländer ist, der ihm seinen Hus in Konstanz verbrannt hat, ähnlich ist er für uns der Nachbar, der uns den über die Jahrhunderte nie etwas anderes als Krieg gebracht hat.

Vogel: Hab ichs nicht gesagt?

Kohl: Nichts haben Sie gesagt.

Vogel: Und ob ichs gesagt habe.

Kohl: Was haben Sie denn gesagt?

Vogel: Daß man so unvorbereitet nicht nach Polen reisen kann.

Jaruselski: (in Kohls Geldsack schauend) Was soll das Geld da?

Kohl: Ein kleines Geschenk. Dosis d olige te phile te.

Jaruselski: Timo Danaos et dona ferentes.

Vogel: Von außen sieht es aus wie der Klingelbeutel aus der Pfarrkirche von Oggersheim. Das hab ich ihm schon gesagt.

Kohl: Ist Geld nicht etwas Schönes?

Vogel: Nicht, wenn man es in so erbärmlich kleinen Mengen bringt. Kleingeld stinkt, nur großes Geld wird bewundert. Das ist überall so, wo immer Menschen sind. Ein Universalgesetz. Ist es nicht so, Herr General Jaruselski?

Jaruselski: Ist er gekommen, uns Polen abzukaufen?

Kohl: Wie käme ich dazu?

Jaruselski: Wofür haben Sie dann das Geld?

Kohl: Wofür? Nun, wofür hat man Geld?

Jaruselski: Vielleicht um unseren Sloti zu unterminieren? Oder um uns etwas unseren Grund und Boden wegzukaufen? Und dann die deutsche Fahne drauf zu hissen? Aber das werden wir gleich haben.

Vogel: Der Herr Bundeskanzler sagte, das Geld sei für den Aufbau der polnischen Wirtschaft.

Jaruselski: Das soll wohl ein Witz sein.

Vogel: Der Herr Bundeskanzler weiß freilich selber, daß das nicht mehr ist als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Jaruselski: Los, machen Sie drei Schritte. In dieser Richtung!

Kohl: Wer?

Vogel: Sie, Herr Bundeskanzler!

Kohl: Ich bin kein Befehlsempfänger. Wenn einer ein Machtwort zu sprechen hat, so bin ich es.

Jaruselski: Machen Sie die drei Schritte!

Kohl: Und wenn ich den Befehl verweigere?

Soldaten: (feuern über ihn hinweg)

Jaruselski: Wirds bald?

Kohl: Nun gut. Mit Gewalt kann das jeder. Wenn Sie wünschen. (er tuts) Haben Sie nun eine Erkenntnis gewonnen?

Jaruselski: (Jar. hat beim Gehen von Kohl zum Annaberg geschaut.) Und nun noch drei Schritte in der Richtung da!

Kohl: Zu Ihrem Befehl.

Jaruselski: Er geht nicht mit. Warum geht er nicht mit, Herr Masowiezki?

Kohl: Wer geht nicht mit?

Vogel: Heißen Sie Masowiezki?

Kohl: So sagen Sie es mir, Herr Vogel, wenn Sie es wissen, wer nicht mitgeht.

Vogel: Der Annaberg, natürlich.

Kohl: Der Annaberg?

Jaruselski: Warum geht er nicht mit?

Kohl: ( für sich) Das ist doch gut, daß er nicht mit geht. Der Annaberg ist ebenso deutsch wie katholisch. Ein zweifacher Grund, daß er nicht tut, was der Karuselski oder Jaruselski da will. Denn der ist weder deutsch, noch ist er katholisch. Er ist ein Atheist. Vogel: Der Herr General Jaruselski hat Sie gefragt, Herr Bundeskanzler, warum der Annaberg nicht mit Ihnen geht.

Kohl: Mag er uns die Antwort drauf geben, an die er gedacht hat.

Vogel: Sie spielen ein gefährliches Spiel, Herr Bundeskanzler.

Kohl: Und wenn schon. Ist das nicht gut, wenn der Annaberg nicht mitgeht? Dann bleibt Polen Polen und nichts geht von Polen verloren.

Jaruselski: Los!!

Kohl: Sie meinen wieder mich?

Jaruselski: Noch einmal ein paar Schritte. Hierhin! Legen Sie den Geldsack ab, damit das Experiment endlich gelingt. (es ist die Richtung auf die Wallfahrtskirche zu)

Kohl: Sie wünschen, daß ich ohne den Geldsack gehe?

Jaruselski: (nickt)

Kohl: Dann tragen Sie die Verantwortung, daß ihm nichts passiert. Der Vogel darf ihn nicht bekommen. Sind Sie dazu bereit? - Warum sagen Sie nichts? - Dum tacent clamant? - Der wär in der Lage und würde es in die Kasse der Opposition legen.

Vogel: Das ist ja lächerlich. Als ob ich jemals Geld mit mir getragen hätte! (er zieht die Hosensäcke heraus, die beide große Löcher aufweisen)

Jaruselski: Los jetzt!

Kohl: Jetzt freilich kommt der Annaberg auf mich zu. Mit jedem Schritt einen Schritt näher. Es ist augenscheinlich. Ein Kind kann es sehen.

Jaruselski: Gehen Sie, bis ich "Halt" sage.

Kohl: Die Türe steht offen. Sie wünschen, ich soll hinein?

Vogel: Tun Sie, was der General sagt.

Kohl: Er hat ja noch nichts gesagt.

Jaruselski: Hinein! (während Kohl in der Kapelle ist, schließt er die Türe von außen zu)

Kohl: Und jetzt?

Jaruselski: Jetzt ist das Experiment gelungen.

Kohl: Wenn ich auch nicht weiß, um was für ein Experiment es sich handelt, so bin ich doch froh.

Jaruselski: Und nun, Herr Masowiezki, kämen wir zu Ihnen. (zu Masowiezki, dem er still etwas sagt)

Kohl: Aber machen Sie mir bitte die Türe wieder auf.

Vogel: Warten Sie, Herr Bundeskanzler!

Kohl: Wer bestimmt hier eigentlich, was geschieht?

Vogel: Ich habe Ihnen vorhin schon angeraten, in die Kapelle zu gehen. Aber Sie wollten ja nicht. Jetzt müssen Sie solange drin bleiben, bis Sie der General wieder heraus läßt.

Kohl: (aus dem Kirchenfenster schauend) Das ist Beraubung der Freiheit. Die Türe auf! Machen sie auf, hab ich gesagt. Das verstößt gegen das internationale Recht. Das geht nicht. Schicken Sie mir den unseren Botschafter oder jemanden vom roten Kreuz... O, das laß ich mir nicht gefallen. Das geht entschieden zu weit. Wenn er ir nicht aufmacht, dann sag ichs der Solidarnosch.

Masowiezki: Das schaff ich nicht allein.

Jar. Und ob Sie das schaffen!

Kohl: Wenn Sie aber schon zu feige sind, mir einen Rechtsschutz zu gewähren, so geben Sie mir wenigstens mein Geld wieder. Sie haben keine Macht über mich, Herr Jaruselski, das werden Sie noch bereuen. Lieber spend ich das Geld dem Walesa oder der Kirche als Ihnen. Wenn ihr es denn so wollt, so sprech ich jetzt Klartext. Vielleicht, daß wir auch einen Grundstein legen zu einer Wallfahrstkirche, die dem Priester Popiewuschko geweiht ist, den ihr Kommunisten ermordet habt und für den ihr mir noch gerade stehen sollt!

5. Abschnitt

(Wie noch zwei Schlesier in die Kapelle eingesperrt werden.)

(Zwei weitere Soldaten kommen, sie schleppen zwei Schlesier am Kragen gepackt herbei.)

Zwei Schlesier: Zu Hilfe, zu Hilfe. Man tut uns Gewalt an.

Jaruselski: Ist das alles?

1. Soldat: Melde gehorsamst, Herr General, das ist alles. Mehr deutsche Subjekte gibt es nicht in unserem lieben Polen.

2. Soldat: Es war uns ein Leichtes, sie aufzufischen. Auf unseren Aufruf, den deutschen Kanzler zu treffen, kamen sie eilends herbei.

Jaruselski: Mehr deutsche Subjekte gibt es nicht in unserem lieben Polen? Da seid ihr euch sicher?

beide Soldaten: Ganz sicher, Herr General.

Vogel: Dabei heißt es bei uns, es seien etwa noch eine halbe Million.

1. Soldat: Um alle Deutschen zu erfassen, sind wir durch alle Felder und Wälder gezogen und haben gefiedelt, daß es nur so durch die Bäume schallte. Das mögen die Deutschen. Sie sind nämlich etwas romantisch veranlagt. Kaum daß wir begonnen hatten, kamen diese beiden Herren daher und sagten: Ach was fiedelt ihr so schön. So etwas wollen wir auch lernen. Wir aber waren erstaunt, daß ihrer nicht mehr waren, und so fragten wir sie, ob sie alle seien oder ob es von ihnen noch mehr gäbe? Da erwiderten sie: Wir sind alle. Und sie baten uns abermals, ihnen das Fiedeln beizubringen. Wenn ihr etwas lernen wollte, sagten wir nun zu ihnen, so müßt ihr mit uns kommen. Dann wollen wir es euch lehren. Unterwegs aber bekamen sie es mit der Angst zu tun. Da sagten wir zu ihnen: seid ihr denn Wölfe oder Füchse oder Hasen, daß ihr Angst habt. Das beruhigte sie für eine kleine Weile. Als wir dann aber wieder ein Stück Wegs weitergekommen waren, befiel sie wieder die Angst, so daß sie stehen blieben und umkehren wollten. Da sagten wir zu ihnen: nur noch eine kleine Weile, dann sind wir beim Annaberg. Als wir ihnen vom Annaberg erzählten, waren sie wie verwandelt. Es gibt nichts Deutscheres als die Gnadenkapelle auf dem Annaberg, sagten sie.

Schlesier: Hier ist der Annaberg mit der Gnadenkapelle. Unsere Vorfahren haben sie erbaut, unsere Großeltern sind zu ihm gewallfahrt, unsere Eltern haben sich hier trauen lassen und wir, so Gott will, werden hier Schutz finden vor unseren Bedrängern.

2. Soldat: So etwa fuhren sie dann fort, uns zu erzählen.

1. Soldat: Als wir ihnen dann aber sagten, daß sie dort auch ihren großen Kanzler antreffen würden, den Bundeskanzler Helmut Kohl, gerieten sie schier aus dem Häuschen.

2. Soldat. Und waren sie zuvor noch zaghaft wie alte Schnecken einhergepilgert, so rannten sie jetzt einher wie junge Gemsen zum Hochzeitstreffen.

die beiden Schlesier: Wo ist der Herr Bundeskanzler Helmuth Kohl, wo ist der Befreier der Unterdrückten, der Beistand der Entrechteten, der Vater der Armseligen und Beladenen?

Kohl: (aus dem Kirchenfenster schauend) Wer ruft nach mir?

Die Schlesier: Helfen Sie uns, Herr Bundeskanzler! Wir sind Landsleute von Ihnen. Schlesier, die noch in Schlesien wohnen. Wir haben uns getarnt und haben das liebe deutsche Schlesien still behütet alle die vielen Jahre. Jetzt hat man uns festgenommen und will uns an den Kragen.

Kohl: Auch mich hat man der Freiheit beraubt.

Jaruselski: (zugleich zu Masowiezki) Sehen Sie nun, daß ich recht gehabt habe? Daß Sie diesen Mann nicht hätten empfangen dürfen? Daß Sie Aufruhr gesät haben?

Die Schlesier: Sie brauchen keine Angst zu haben, Herr Bundeskanzler. Sie wird man nicht im Stich lassen.

Vogel: (zugleich) Sie brauchen keine Angst zu haben, Herr Masowiezki. Der General tut Ihnen nichts.

Jaruselski: Nur keine voreiligen Versprechen, mein Herr. Es gehört zu unseren Prinzipien, daß der auslöffelt, der eingebrockt hat.

Die Schlesier: Wir wollen zu unserem Bundeskanzler.

Vogel: Wer in Polen wohnt, dessen Bundeskanzler heißt Masowiezki.

Schlesier: Wir sind keine Polen.

Jaruselski: Ihr sollt eueren Wunsch erfüllt bekommen. (während die Soldaten die Schlesier zum Portal führen und die beiden anderen das Portal öffnen) Marsch, da herein mit euch! (zu Masowiezki) Und nun ans Werk! (Jaruselski läßt Masowiezki durch die beiden Soldaten einen Spaten und eine Schaufel überreichen läßt) Sie tragen Sorge, daß die Kapelle mitsamt Herrn Kohl und sämtlichen, noch in Polen befindlichen Schlesiern abtransportiert wird in die BRD. Bis morgen haben Sie Zeit, bis morgen ist diese Kapelle in der BRD. Sie mich haben verstanden?

Stimmen der Schlesier: Herr Bundeskanzler, rette uns!

Jaruselski: Im übrigen habe ich Ihnen noch eine Neuigkeit zu berichten, Herr Vogel! Etwas für uns beide enorm Wichtiges. (mit ihm seitwärts tretend)

6. Abschnitt

(Wie Masowiezki seine Ärmel aufkrempelt.)

Masowiezki: (mit dem Spaten in der Hand) Wie kann einer an meiner Stelle Politik machen? Wo einem die Hände gebunden, die Augen verschlossen und die Ohren verstopft sind? Und kein Geld in der Tasche. Armut, Elend, Not, Zwang und Unfreiheit überall. Dabei habe ich so auf den Kanzler aus dem Westen gehofft. Und nun springt nicht nur nichts heraus, nun werde ich auch noch zur Rechenschaft gezogen, als ob ich Polens Ansehen beschmutzt und trübe gemacht hätte.

Kohl: Machen Sie auf, Herr Masowiezki. Es soll Sie nicht gereuen. Ich will mich dann auch für Sie bei meinen Freunden im Westen verwenden.

Masowiezki: Muß ich nicht sagen, ihr Berge fallet über uns, ihr Hügel bedeckt uns?

Kohl: Machen Sie auf.

Masowiezki: Ich habe keinen Schlüssel.

Kohl: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.

Die Schlesier: Wenn Sie uns als Baumleiter dienen, Herr Bundeskanzler, so steigen wir durchs Kirchenfenster und öffnen Ihnen von draußen.

Masowiezki: (für sich) Wenn wir im Märchen lebten, würde ich mir vielleicht einen Finger abschneiden und damit aufschließen.

7. Abschnitt

Vogel: In Ostberlin? Ist das wahr?

Jar.: (nickt) Das bedeutet, daß der Warschauer Pakt in Bälde schon zusammenzubrechen vermag. Dann wird auch in Polen und für Polen eine neue Zeit anbbrechen. Deshalb ist es für mich von allergrößter Bedeutung, daß ich Leute habe, auf die ich mich verlassen kann. Sie wissen, daß ich einmal Kommunist war oder auch noch bin. Aber Hand aufs Herz. Ich habe mir nie etwas zuschulden kommen lassen. Ich habe Polen, ich habe der Welt, ich habe dem Weltfrieden gedient.

Vogel: Seien Sie unbesogt. Ich bin kein Freund einer allgemeinen Verteufelungspraxis. Ich halte nichts von Kollektivverbrechen. Wie es selbst unter Christdemokraten Lumpenhunde gibt, was je eigentlich eine Kontradictio in adjecto ist, so gibt es auch unter den Kommunisten ehrenwerte Männer. Seinen Sie unbesorgt. Ich werde alles in meinen Kräften Stehende tun, daß Sie niemand vor ein Krieggericht stellt.

Ein Schlesier: ( erscheint im Kirchenfenster) Wer kommt vor das Krieggericht?

ein Soldat: (indem er das Gewehr anlegt) Schagreff Pironje! Will er seinen Kopf einziehen?

Kohl: Was ist in Ostberlin los? Vogel, sagen Sie mir, was in Ostberlin los ist!

Vogel: (zuerst mit Gesten Jar. fragend) Was soll da los sein?

Kohl: Glauben Sie nur nicht, Sie könnten mich täuschen.

Jaruselski: Masowiezki! Sind Sie so weit?

Masowiezki: Ich bin noch nicht so weit.

Jaruselski: (Zu Masowiezki) Sie haben noch nicht einmal angefangen, die Wallfahrtskirche auszugraben? Ich bin empört, erzürnt, zu allem entschlossen. Ich warne Sie. Bis morgen früh haben Sie Zeit. Mehr Zeit habe ich nicht, Ihnen Zeit zu geben. Verstanden? Sonst.. Sie wissen ja. Mehr brauch ich nicht zu sagen.

Maso.: Darf ich den Walesa und die Solidarnosch zu Hilfe ziehen?

Jar.: Die Kirche kommt weg. Sehen Sie zu, wie Sie es schaffen.

Kohl: Ich weiß, was in Ostberlin in Gang ist. Ich weiß, daß das Ende der Honeggerära gekommen ist. Und auch das Ende des Gnerals Jaruselski. O, der Himmel fördert mein Werk. Meine Politik beginnt Früchte zu tragen.

Vogel: Vielleicht hat der Außenminister Gentscher Ostberlin befreit. Immerhin stammt der Außenminister Gentscher von drüben.

Kohl: Der Gentscher befreit niemanden. Und schon gar nicht ohne mein Wissen und ohne meine Mithilfe.

Vogel: Wie soll er auf Ihre Mithilfe rechnen, Herr Bundeskanzler, wo man sie eingesperrt hat? Die Zeit drängte. Da mußte er handeln.

Kohl: Der Gentscher ist ein kluger Kopf. Er weiß Wohlklingendes zur Bewältigung politischer Krisen zu erzählen. Wie er mir erst neulich sagte, arbeitet er zur Zeit an einer bedeutenden Schrift, in der er einen Krisenmechanismus entwickelt, der uns in Zukunft vor jedem Krieg verschonen wird, sowohl in Jugoslawien als auch im Irak oder sonst wo in der weiten Welt. Er kann sehr schön denken und schreiben, ist aber total überfordert, sobald es ans Handeln geht.

Vogel: Geben Sie nur zu, Herr Bundeskanzler, daß wir total nebensächliche Figuren sind im Welttheater.

Kohl: Das sagen Sie nur, um mir den wohlverdienten Ruhm zu schmälern. Doch das wird ihnen niemals gelingen. Mögen Sie selber höchst nebensächlich sein, was mich betrifft, so bin ich längst eingeschrieben ins Buch der Geschichte. Und ich werde dafür sorgen, daß alle Verbrecher vors Kriegsgericht kommen.

Vogel: (zu Jar.) Kommen Sie, General! Lassen Sie sich nicht durch vollmundige und kraftprotzende Worte erschrecken. Gehen wir, damit wir nicht zu spät kommen! Jeder Augenblick ist wichtig. Unterwegs kann ich Ihnen dann erläutern, wie ich mir eine Neuordnung Europas vorstelle.

Kohl: Ich verbiete Ihnen auch nur einen Schritt von hier wegzugehn.

Vogel: Kommen Sie! Gehen wir!

Jar.: Sollten wir nicht noch ein paar Soldaten hier lassen?

Vogel: O nein, unser Kanzler ist eigentlich ein ganz harmloser Geselle. Manchmal ist er zwar etwas vehement und aufbrausend; doch muß man ihm deswegen nicht böse sein. Der liebe Gott hat ihn uns beschert, etwa so, wie er uns zu Weihnachten eine Weihnachtsgans beschert. Ich will damit sagen, er tut niemandem etwas zuleid.

Jar.: Polen ist jedenfalls nicht Deutschland.

Kohl: Herr Vogel, ich verbiete Ihnen auch nur einen Schritt von hier wegzutun.

Vogel: (zum Publikum) Was kann er mir verbieten, wo er so eingesperrt ist, daß man meinen möchte, man habe ihm verboten, auch nur das mindeste einem anderen zu verbieten?

(Vogel mit Jaruselski ab)

5. Schauspiel: Monsieur Chou

1. Abschnitt

(Unterwegs)

Kohl: (unterwegs, er bleibt stehen, er sieht den Eifelturm in der Ferne. Er scheint in der Mitte abgeschnitten zu sein.) O, was ist denn nur das? Narrt mich mein Auge oder ist das Wahrheit? Der Eiffelturm, in der Mitte abgeschnitten? Das kann doch nicht sein. Das kann nur eine Einbildung meiner Nerven sein. Ein bloßer Schein. Doch weshalb? Weshalb erscheint er mir so? Hab ich denn Angst vor der vor mir liegenden Aufgabe? Oder mißtraue ich gar unseren Freunden?

Vogel (herbeeilend): Herr Bundeskanzler, was machen Sie denn da? Kohl: So muß ich Sie fragen. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich meine nächsten Auslandsreisen ohne Sie zu verrichten wünsche.

Vogel: Und warum das? Ist das nicht besser, wenn man sich auf Helfer verlassen kann?

Kohl: Sie wissen ganz genau, daß Sie alles in Ihren Kräften Stehende tun, daß meine Politik scheitert. Heute aber darf nichts schief gehen. Und weil das so ist, darum bitte ich Sie, Ihres Weges zu gehen, Sie dahin, ich dorthin.

Vogel: Aber Herr Bundeskanzler!

Kohl: (für sich) Vielleicht aber zeig ich ihm noch kurz den Eiffelturm, ehe ich ihn wegschicke. Ob er ihm auch so vorkommt wie mir? (laut) Sehen Sie den Turm dort?

Vogel: Das ist der Eiffelturm. Den hat Monsieur Eiffel konstruiert. Und wenn auch alle Deutschen glauben, Monsieur Eiffel sei ein Deutscher gewesen, wo möglich noch aus der Eifel, so war er doch ein waschechter Franzose.

Kohl: Ich wüßte gerne, wie Sie ihn sehen.

Kohl: Wie soll ich ihn sehen? Ich sehe den Eiffelturm, wie ihn jedermann sieht. Auf drei Beinen, hoch empor in den Himmel hinauf strebend. Ein Gebilde aus Metall. Das gigantische Monument eines Zeitalters, das noch stolz darauf war, auf die Fortschritte und Segungen der Technik zu hoffen. Oder steckt da etwas dahinter?

Kohl: Haben Sie ihn genau angeschaut?

Vogel: Aber sicher. Sehen Sie etwa eine Windmühle oder einen Riesen oder den Turm in der Umarmung von drei brennenden Giraffen oder umschwärmt von Nachtmahren und sonstigen Gespenstern?

Kohl: Klein zumindest kommter uns doch vor. Oder nicht?

Vogel: Klein kommt er uns vor, das allerdings. Aus der Ferne erscheint alles klein. Selbst der größte und gewichtigste Bundeskanzler erscheint vom Mond aus kaum anders als eine magere Null. Und lebte einer auch in einem gewaltigen Schloß, umgeben von einer chinesischen Mauer, er erschiene von dort aus nur wie der Anwohner eines Sackgäßleins.

Kohl: Und vollständig?

Vogel: Was soll das heißen? Was meinen Sie damit? Sagen Sie mir, wie Sie ihn sehen. Vielleicht, daß ich Ihnen dann sage, was für ein Stück Politik vor Ihnen liegt.

Kohl: Schade, Vogel, schade. Sie können mir nicht helfen.

Vogel: Als Oppositionsführer müßte man ein Allroundgenie sein. Es gib kaum eine Situation, die er nicht zu meistern hätte. Doch nur das, was ist, das ist, was ist. Und nur das läßt sich erkennen. Das sagte uns doch schon der Philosoph Groboduk.

Kohl: Gehen Sie. Sie können mir nicht helfen.

Vogel: O du seltsame Blume der fahrenden Bundeskanzler, du uns zur rechten Zeit geschenkter Nachfahr der heldenhaften Ritter, du, der du keine Auseinandersetzung scheust, du gewaltiger Recke, kühn und unerschrocken und beharrlich im Kampf. Groß herauszukommen wünschst du, großen Widerständen zu begegnen und weißt nicht, wie du dich zu wappnen hast. Wachen Sie auf, Herr Bundeskanzler.

Kohl: Niemals war ich so wach wie jetzt.

Vogel: Herr Bundeskanzler. Weil Deutschland groß wird, wird Frankreich keineswegs klein. - Gestatten Sie eine Frage, Herr Bundeskanzler. Sie sind doch auf dem Weg nach Paris, um sich von Herrn Mitterand helfen zu lassen, die DDR heim ins Reich zu holen.

Kohl: Ich verbiete mir diese Ausdrucksweise. Ich hole niemanden heim ins Reich.

Vogel: Gut. Aber bedenken Sie bitte: Die DDR ist ein souveräner Staat. Wie können Sie verlangen, daß er mithilft, einen souveränen Staat aufzulösen und für null und nichts zu erklären?

Kohl: Wenn ich an gewisse Parteigenossen von Ihnen denke, wie etwa an Herrn Lafontaine, so sollte ich mich allerdings wundern, daß ich mir erhoffe, daß ein Franzose deutscher gesinnt sein soll als die Deutschen.

Vogel: Jetzt keine Invektiven, Herr Bundeskanzler. Pacta servanda, den Satz kennen Sie. Es ist Ihr Lieblingssatz. Und er gilt auch der DDR gegenüber.

Kohl: Alle Macht und Souveränität geht vom Volk aus, Herr Vogel. Und folglich hat das Volk zu entscheiden, und zwar das deutsche Volk, das ununterscheidbar das deutsche Volk ist, ob es diesseits oder jenseits der Todeszone wohnt. Und, wie uns allen scheint, hat es sich längst unmißverständlich entschieden.

Vogel: Selbst wenn das so wäre, wer sollte und könnte daraus Konsequenzen ziehen? Etwa einer wie wir, der von außen zuschaut? Noch nie, seit es die Menschheitsgeschichte gibt, hat ein Volk über sich entschieden.

Kohl: Noch nie? Denken Sie nur an die Eidgenossen, die sich vom Habsburger Joch losgesagt haben. Im übrigen sind wir Zeugen geworden von Demonstrationen, wie den Leipziger Montagsdemonstrationen, die ihresgleichen suchen.

Vogel: Leipzig ist nur eine von vielen Städten der DDR.

Kohl: Nichts weiter! Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern. In keiner Not uns trennen und Gefahr.

Vogel: Nett, nett. Doch was folgt daraus?

Kohl: Schon oft habe ich es unseren französischen Freunden gesagt, daß ich großen Respekt vor ihrer Geschichte habe. Wenn nun aber auch wir Deutschen, in Ost und West, endlich wieder ein Vaterland aller Deutschen zu haben wünschen, so ist das nichts Verwerfliches.

Vogel: Es ist nicht leicht, Herr Bundeskanzler, selbst Freunde für einen solchen Plan zu gewinnen, zumal wenn er ausschließlich uns Deutschen zugute kommt.

Kohl: Wer sagt denn, daß er nur uns zugute kommt?

Vogel: Im übrigen erinnere ich Sie, daß Sie es waren, der den Eiffelturm recht zu sehen Mühe hatte.

2. Abschnitt

(Vor dem Gebäude der französischen Republik)

Mitterand (hoch oben von der Treppe des Elyseepalastes aus, noch in weiter Ferne. Neben ihm eine Dame): Venez, mesieurs et mesdames, venez!

Kohl: (die Augen sich reibend) O mein Freund Mitterand. Sehen Sie, Vogel, meinen Freund Mitterand. Er freut sich auf mein Kommen.

Vogel: Mir scheint eher, daß ihn ihr Kommen erregt.

Kohl: Doch wer ist die Dame daneben?

Vogel: Das ist die Marianne.

Kohl: Wer?

Vogel: Die Marianne.

Kohl: Die hab ich noch nie gesehen. Ist die echt?

Vogel: Aber Herr Bundeskanzler, was für eine Frage! Nichts macht einen Franzosen kühner und tatenkräftiger als eine hochkultivierte geistreiche und schöne Frau an seiner Seite.

Kohl: Dann sagen Sie mir, wer Ihnen gesagt hat, daß das die Marianne ist.

Vogel: Die Geschichte, wer sonst!

Kohl: Die Geschichte?

Mitterand: Il faut venir tout de suite.

Vogel: Haben Sie gehört, Herr Bundeskanzler?

Kohl: (eilt auf Mitterand zu) Natürlich!

Vogel: Wir müssen noch ein Hühnchen rupfen, hat er gesagt.

Kohl: Kohlen Sie mich nicht an, Vogel. Das hat er nicht gesagt. Den Ausdruck "ein Hühnchen rupfen" gibt es ja überhaupt nicht im Französischen. Und wenn es den Ausdruck gäbe, so hätte er ihn doch niemals gebraucht. Denn der Franzose ist seiner Natur nach ein charmanter liebenswürdiger Mensch, nicht so wie wir Deutschen, ungehobelte Gesellen.

Vogel: Er sagt, er muß mit Ihnen ein Hühnchen rupfen, weil Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben.

Kohl: Sie wissen ganz genau, Herr Vogel, welche Stunde für Deutschland geschlagen hat, und daß wir alle die große Politik der Vereinigung unseres deutschen Vaterlandes vor uns haben.

Mitterand: Monsieur Chou, venez!

Kohl: Chou, bin das ich?

Vogel: Was meinten Sie, Herr Bundeskanzler?

Kohl: Nichts.

Vogel: Aber Sie haben mich doch etwas gefragt. Das Fragezeichen hängt mir noch im Gehörgang.

Kohl: Ich brauche keinen Dolmetscher. deshalb habe ich Sie auch nichts gefragt.

Vogel: Vielleicht haben Sie mich gefragt, was Chou bedeutet? Chou bedeutet so viel wie Kohl.

Kohl: Mag sein. Aber Oiseau heißt Vogel, Herr Vogel. Und nun will ich Ihnen mal was sagen, wozu Sie vermutlich auch einen Übersetzer brauchten, wenn Sie denn hinter den Sinn zu kommen wünschten.

Vogel: Schießen Sie los. Ich bin gespannt.

Kohl: Legt die Henne dir ein Ei, eil schnell mit dem Korb herbei. Haben Sie mich verstanden? Ja oder nein?

Vogel: Mir legt keine Henne ein Ei.

Kohl: Darin liegt eben die spezifische Differenz zwischen uns beiden.

Vogel: Vielleicht wollten Sie damit andeuten, daß Sie das Bundeskanzleramt unverdient und deshalb verdeckt wie ein Ei im Korb nach Hause getragen haben?

Mitterand: Qu est ce que c est? Allons enfants! Allons! (er geht ins Palais)

Vogel: Sie scheinen etwas an sich zu haben, was ihn erschreckt.

Kohl: Sie schrecklicher Mensch! Sie elender Plagegeist. Sie Geheuer von einem Oppositionsführer. Was er damit meint, will ich wissen, nicht Ihre Meinung.

Vogel: Ich kann Ihnen leider nur sagen, was ich meine, daß er meint. Das ist dann aber nur meine Meinung zu seiner Meinung.

Kohl: Keine Vorreden. Heraus mit der Sprache!

Vogel: Sie scheinen etwas an sich zu haben, was ihn erstaunt oder gar erschreckt. Denn als er Ihnen das Zeichen gab, mit ihm in die Marseillaise einzustimmen und allons enfants de la partrie zu singen, da gefiel es Ihnen, sich in ein abgrundtiefes Scheigen zu kleiden.

Kohl: Das kann er unmöglich alles gesagt haben. Dafür hat er viel zu kurz geredet.

Vogel: Aber entschuldigen Sie, Herr Bundeskanzler. Warum sollte es nicht eine Sprache geben, die mit einem allerkleinsten Zeichen eine ganze Menge zum Ausdruck bringt? Als ob man im Französischen nicht kurz und bündig sagen könnte, wozu man im Deutschen viele Stunden braucht. Denken Sie nur an veni, vidi, vici! Wenn Ihnen einer das übersetzen wollte, so brauchte er eine geschlagene Stunde.

Kohl: Was ich weiß, muß mir keiner übersetzen.

Vogel: Da stimme ich Ihnen zu, Herr Bundeskanzler. Frage ist nur, wie viel wir wissen. Zumal, wenn wir alles wissen wollen, kommen wir überhaupt nicht um Übersetzer herum. Es sei denn, wir machen es wie der Herr Wörner.

Kohl: Ich weiß nicht, wie es der Herr Wörner macht, aber es interessiert mich auch nicht.

Vogel: Das ist ein Fehler, Herr Bundeskanzler. zumal, wo er ein Parteifreund von Ihnen ist.

Kohl: Nur von der Schwesterpartei

Vogel: Einerlei, ob Brüderpartei oder Schwesterpartei, Herr Wörner liegt jedenfalls im Trend der Zeit. Jüngst, als er sich von mir verabschieden wollte, kam er auf mich zu und fragte mich, was man im Deutschen statt "good by" sagt. Nun, darauf hab ich ihm einfach gesagt, happy birthday to jou, Mister Wörner.

Kohl: Ich mag jetzt keine Witze, Herr Vogel, und wenn sie Ihnen auch noch so geschmackvoll vorkommen.

Vogel: Ich wollte Ihnen ja nur zeigen, was für Übersetzungsprobleme uns Deutschen ins Haus stehen.

Kohl: Außerdem habe ich mir vorgenommen, mir kein halbes Wort von Ihnen übersetzen zu lassen.

Vogel: Keiner sieht sich so klar, wie ihn ein anderer sieht. Ein jeder sieht sich in einem besonderen Licht, mit zauberhaften Vorteilen, mit Tugenden und Liebenswürdigkeiten ausgeschmückt, auch wenn er ein Ekel ist oder ein Schuft. Freilich will ich damit nicht sagen, daß Sie ein Schuft sind. Vorsicht aber ist immer geboten.

Kohl: Wenn Sie, Herr Vogel, nicht für das Vaterland aller Deutschen sind, so kann man es freilich auch nicht vom Herrn Mitterand verlangen.

Vogel: Seien Sie nur ruhig und geduldig und aufmerksam und freundlich und höflich. Halten Sie das Auge offen für das Schickliche, das Mögliche und das Machbare. Man muß aber stets auch darauf achten, ein klein unterkühlt zu erscheinen, wo es einem um die Herzenssache geht. Nehmen Sie sich ein Beispiel an uns Linken.

Kohl: Das Vaterland aller Deutschen ist jetzt möglich.

Vogel: Ich fürchte, Mitterand ist Ihnen böse, weil Sie als Chef der Rechten schon lange beängstigend heißhungrig auf den anderen Teil Deutschlands schauen.

Kohl: Vielleicht ist unser Freund Mitterand etwas ungehalten, daß ihn Herr Busch nicht zusammen mit Gorbatschov auf seinen kleinen Gipfel von Malta eingeladen hat. Der Franzose ist da ein wenig eitel. Er möchte als Weltmacht nicht unterschätzt oder gar mißachtet werden.

Vogel: (mit Kohl die Treppe zum Palais hochsteigend) Wenn man in Europa der Entwicklung in Deutschland mit ungeutem und beorgtem Gefühl verfolgt, so liegt das doch nur daran, daß Sie, Herr Bundeskanzler es versäumt haben, unsere Freunde aufzuklären. Deshalb ist jetzt auch dieser kleine Gipfel hier einberufen worden.

3. Abschnitt

(Eingangshalle im Innern des Palais.)

(Die Dame Marianne, eine starre Puppe, la belle France sitzt auf einem Thron. Ein zweiter Thronsitz neben ihr ist frei. Ihr zu beiden Seiten je ein prächtig ausstaffierter Diener. Vorne dran ein Herold oder Ansager. Eine Uhr zeigt 5.49 Uhr.)

Ansager (den Vorhang vor dem Thron öffnend): Faites votre cour messieurs!

Kohl: Gilt das uns? Aber die Dame ist doch gar nicht echt, gar nicht lebendig, gar nicht wirklich da.

Vogel: Herr Bundeskanzler, was verstehen wir Deutschen von Echtheit, Lebendigkeit, vom Dasein? Wir sind nicht, die wir sind; wir sind, die wir vorgeben zu sein, die wir zu sein erstreben, die wir sein wollen.

Kohl: Eine künstliche Puppe aber ist etwas Totes. Und etwas Totes kann nichts wollen.

Vogel: Sagte ich Ihnen nicht schon, daß sie das Wollen des Mannes mächtig beflügeln kann?

Ein Herr (vorbeieilend): Daß Argo durch die düsteren Symplegaden nie geflogen wäre, steuernd nach dem Kolcherland. Daß auf den Waldhöhn Pelions die Fichte nie gefallen wäre...

Eine Dame (im Gespräch mit einem zweiten Herrn): Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß meine Tochter ihr Examen glänzend bestehen wird? Wir durften es erwarten. Schon bei der Geburt hat unsere Tochter durch glänzende Eigenschaften auf sich aufmerksam gemacht. Erst jetzt, wo se ins heiratsfähige Alter gekommen ist, zeigen sich einige Probleme...

der zweite Herr: Aber Ihre Tochter wird sie meistern. Sie ist eine geborene Meisterin. Deshalb gibt es nicht den geringsten Zweifel. (ab)

Ein Herr (im Gespräch mit einem anderen Herrn): Ich mußte immer wieder meiner kranken Frau helfen. Deswegen konnte ich mich nur an eine sehr bescheidene Aufgabe wagen. Vielleicht aber hätte es auch so nicht gelangt zu einem großen Wurf.

der andere Herr: Es ist aber ganz gut, wenn man ein Alibi hat. (ab)

Ein dritter Herr: Doch Mitleid, wie ein nacktes nuegeborenes Kind, auf Turmwind reitend oder Himmelcherumbim, blasen den Staub in jedes Aug, bis Tränenflut den Wind ertränkt. Ich habe keinen Stachel, die Seiten meines Wollens anzureizen als einzig Ehrgeiz, der zum Aufschwung elend sich überschlägt und jenseits niederfällt.

Kohl: Was soll das? Sind wir hier in einem Theater?

Vogel: Was ist die Geschichte anderes als ein Theater, bald ein erfreuliches, bald ein betrübliches, meist aber ein todtraurig machendes Theater?

Kohl: Und was ist der Grund dafür?

Vogel: Herrschsucht. Nichts als Selbstbehauptung und Herrschsucht. Kohl: Und nun greift sie schon unter den jungen Mädchen um sich?

Vogel: (nähert sich der Dame auf dem Thron)

Kohl: Jetzt geht er auf die Dame zu. Was tut er? Er küßt ihr die Hand. Und sie, diese Dulcinea von Paris, läßt es sich anstandslos gefallen.

Vogel: Je vous salue Marianne, mere de touts les Francais.

Kohl: Und nun betet er sie an. Großer Gott!

Vogel: Vous etes la grande France, la belle France, l immortelle France. Die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, la justice et l`humanite.

Kohl: Wie schwierig es doch ist, ein gutes Gespräch zu führen. Da muß man gut zuhören, auf jedes Wort, einerlei, ob es deutsch ist oder französisch oder in welcher Sprache auch sonst, und zugleich muß man sich auch schon damit befassen, die nächste Replik oder den nächsten guten Gedanken bei sich auszuformulieren. Dabei darf der Gesprächspartner nicht merken, wenn man sich schon, während er noch redet, mit dem nächsten Satz beschäftigt. Das wäre unhöflich. Also muß man um so mehr Aufmerksamkeit vortäuschen, je mehr man es an Aufmerksamkeit ermangeln läßt.

Vogel: Aller Anfang ist schwer, Herr Bundeskanzler. Doch ich habe ihn für Sie gemacht.

Kohl: (während er Napoleon immer ähnlicher wird) Den ganzen Weg bis hierher nach Paris hab ich darüber nachgedacht, wie ich es anstellen soll, den französischen Präsidenten für meine Sache zu gewinnen. Nun aber geht mir ein Licht auf. En France, Napoleon est grand, et qui veuille demonstrer Grandeur, faut etre Napoleon. In Frankreich ist niemand groß, es sei denn er gleicht dem Kaiser. Ich weiß es. Und ich spürs. Und ich ahne ein pfingstliches Wunder. Und wenn ich bislang noch kein Wörtchen Französisch gekonnt habe, so kommt mir die Sprache plötzlich wie meine Muttersprache vor. Was für ein Roman ist doch mein Leben. Hat das nicht Napoleon gesagt? (an sich herabschauend) Und hab ich nicht auch Verstand und Größe und Ansehen und Macht? Eben dies ist es ja doch, was keiner vergessen darf, wenn er hierher kommt. Napoleon, das ist die Verkörperung des Franzosen schlechthin, einerlei, ob ein Franzose glaubt oder nicht, ob er alt ist oder jung, ein Beamter oder ein reicher Mann. Ich werde den Präsidenten auf Napoleon bringen, den großen Kaiser, an den er mich erinnert. Ein großer Franzose, werde ich zu ihm sagen, erinnert mich stets an den großen Kaiser. Napoleon, das ist die Identifikationsfigur, das Vorbild der Jugend, der Beweis, daß ein Franzose, und käme er auch aus dem Nichts, zu etwas Großem berufen. Und ich werde hinzufügen, daß uns Deutschen ein solcher Mann leider so bitter fehlt. Doch soll er sich darum nicht sorgen. Napoleon, das ist das Privileg der Franzosen, das Weltwunder, das ihnen allein gehört, das Jahrtausendgenie. Nur so viel darf ich durchblicken lassen, daß wir Deutschen die Franzosen darum beneiden, daß sie doppelt Ursache haben, gehörig stolz auf ihn zu sein. In der Tat, wir haben nie einen so bedeutenden, kühl denkenden Mann gehabt. Wir in Deutschland haben deshalb auch nie gefühlt, wie herrlich es sein könnte, mit der Geschichte unseres Landes zu leben wie die Franzosen. Wir wagten ja nicht einmal mehr Vaterland zu sagen, geschweige denn, die Geschichte unseres Vaterlandes zu überdenken. Dagegen haben die Franzosen den Ruhm Frankreichs stets in ihrer Geschichte präsent. Doch das soll sich nun ändern. Jetzt, mit dem Anbruch meiner Herrschaft, mit dem Beginn eines wiedervereinigten deutschen Vaterlandes soll sich das ändern. Wenn ich Monsieur Mitterand so weit habe, daß ich ihn sehr stolz auf sich als Franzosen gemacht habe, dann wird automatisch ein wenig Mitleid mit mir in ihm aufkeimen, dann ist der Zeitpunkt gekommen, wo ich mit meiner Bitte mich hervorwage, der Wiedervereinigung Deutschlands, wenn auch nicht zuzustimmen, so doch auch keinen Prügel in den Weg zu werfen. Vielleicht, daß ich meine Uhr herausziehe und sage: o es ist jetzt gleich 5.Uhr 49. Um diese Zeit pflege ich stets eine Minute innezuhalten. Ist es doch die Zeit, als der große Kaiser auf St. Helena starb.

Vogel: Was haben Sie, Herr Bundeskanzler?

Kohl: Auch ich kann verrückt spielen, wenn es sein muß.

Vogel: Ich verstehe Sie nicht.

Kohl: Wie viel Uhr lesen Sie ab?

Vogel: Wo?

Kohl: Dort!

Vogel: 5.49 Uhr, Herr Bundeskanzler.

Kohl: Ist wirklich 5.49 Uhr, Herr Vogel? Geht die Uhr richtig?

Vogel: Warum nicht?

Kohl: Wir sind schon mindestens 5 Minuten hier. Schon vor 5 Minuten war es 5.49 Uhr. Da müßte es jetzt 5 Uhr 54 sein. Ich lese aber noch immer 5.49 Uhr.

Vogel: Entweder ist die Uhr stehen geblieben oder oder die Dame Marianne hat Sie durcheinandergebracht, Herr Bundeskanzler. Das wäre nicht verwunderlich, wo Sie Ihr Leben lang stets nur Ihre Hannelore in Oggersheim vor Augen gehabt haben.

Kohl: Kein Mann von meinem Kaliber wird durch eine Dame durcheinander gebracht, Herr Vogel. Was an ihm Mann ist, das wird herausgefordert und kommt zur Entfaltung. Was Mann an ihm ist, wird zum kühnen Held, was Kämpfer zum unerschrockenen Ritter, was Staatsmann zum König, wenn nicht zum Kaiser. Er weiß, wann er den Waffen vertrauen darf und wann dem Geist. Auf jede Weise weiß er Ordnung zu schaffen, die den Grund dazu legt, daß man leben kann. Ich aber werde den Waffen vertrauen, bis ich den Geist unbesiegbar triumphieren lasse.

Vogel: Ich bin erstaunt, Herr Bundeskanzler. Noch nie habe ich Sie so lange und so ausführlich reden hören. Sie hätten zum Dominikanermönch und zum Kanzlerprediger getaugt.

Kohl: Auf dem Weg zum vereinigten Deutschland und zum Europa der europäischen Vaterländer werde ich meinen Weg gehen wie Napoleon, unerschrocken und unbeirrbar. Wir brauchen kein zersplittertes Deutschland mehr, weil wir ein einziges Volk bilden, eine Völkerfamlilie, einen Bund zivilisierter Völker. Mit Frankreich im Westen, Deutschland im Osten, und dem Rhein in der Mitte.

Vogel: Der Geist der Prophetie ist über Sie gekommen.

Kohl: Nicht nur der Prophetie. Geben Sie acht, was jetzt passiert. Ich werde jetzt etwas tun, wovon Sie sich noch nie etwas haben träumen lassen. Gnädigste, Sie erlauben? (er setzt sich neben Marianne)

Vogel: Mein Gott, Herr Bundeskanzler, was tun Sie da? Auf diesen Stuhl darf sich nicht einmal der französische Präsident setzen. Der ist nur für den Kaiser, für den großen Kaiser, für den Fall, daß er wiederkommt.

Kohl: Was Frankreich dient, das dient auch Europa, das dient auch der Welt.

Vogel: Herr Kohl, wenn noch Sitte und Anstand in der Welt sind, heben Sie sich von diesem Thron.

Kohl: In den Staub mit dir Erdenwurm. Denn vor dir steht dein Kaiser. Ich bin der Kaiser, ich bin der große Kaiser, l' empereur. Aber das verstehst du nicht, du Geist der Verneinung und der kurzsichtigen Realitätswahrnehmung, du Verächter und Verräter meiner Politik, du Handlanger einer vergangenen Zeit, du Erdenknirps von einem opponierenden Oberlehrer. Huldseligste! (er küßt ihr die Hand) Die Politik ist mein Schicksal. Allen kann ich alles sein, um alle für meinen großen Plan zu gewinnen.

4. Abschnitt

Saaldiener (er ähnelt Mitterand, Kohl ist wieder Kohl, die Apotheose ist vorbei): Monsieur Chou. Enfin. Endlich sind Sie da.

Kohl: (den Diener umarmend) Mein Freund, Mitterand!

(zu Vogel) Sagen Sie meinem Freund Mitterand, daß ich entzückt bin..

Vogel: Herr Bundeskanzler, sehen Sie nicht, daß das nur ein Saaldiener ist? Das ist nicht der Präsident Mitterand. Der Saaldiener heißt zwar auch Mitterand, doch das ist nicht der Präsident Mitterand, nur der Saaldiener Mitterand. Das macht einen kleinen Unterschied.

Kohl: Und wer war das dann, der uns aus der Ferne gewinkt hat und von dem Sie behauptet haben, er habe uns aufgefordert, uns zu beeilen? War das dann nicht auch nur der Saaldiener?

Saaldiener: (vorausgehend) Kommen Sie, meine Herren!

Vogel (zum Saaldiener): Herr Mitterand, Monsieur Chou ist gekommen, Sie mit seinen hochbrisanten Plänen vertraut zu machen. Doch geben Sie acht. Ich warne Sie im voraus. Monsieur Chou ist ein gefährlicher Verstellungskünstler. Eben hat er uns eine der ungeheuerlichsten und unverschämtesten Proben seiner Kunst gegeben. Indem er sich der infernalischen Kunst bedient und Ihnen als Napoleon erscheint, verfolgt er nichts Geringeres als ein großdeutsches Reich. Wenn er Sie also mit mon ami begrüßen sollte, so achten Sie nicht darauf. Denken Sie, er habe gesagt Non-ami.

Kohl: Was hat der Präsident Mitterand gesagt? Und was haben Sie ihm darauf gesagt?

Vogel: Wie es einem verläßlichen Oppositionsführer und gutausgebildeten Diplomaten wohl ansteht, habe ich versucht, den Boden zu ebnen und ihn für ihre Politik zu gewinnen. Der Saaldiener Mitterand hat nämlich gesagt, Sie würden ihn an den Fuchs aus der Gascogne erinnern. Doch das konnte ich nicht stehen lassen. Oder hätten Sie es stehen lassen, wenn ihnen jemand gesagt hätte, ich sei ein Höllenvogel?

Kohl: Ich kannn es nicht glauben, daß es hier zwei so verschiedene Mitterands gibt.

Vogel: Auch Kohls gibt es in rauhen Mengen. Wahrscheinlich selbst in Oggersheim noch ein paar Mal.

Kohl: Würden Sie wie ich so unablässig arbeiten zum Wohle Europas, Tag und Nacht, und Nacht und Tag, sonntags und werktags, Sie würden auch mal was verwechseln oder übersehen.

Vogel: Qui s excuse, s accuse. Wer sich entschuldigt, klagt sich an.

Kohl: Ein für alle Mal, Sie bringen es nicht fertig, mir mit Ihrem Kauderwelsch ein schlechtes Gewissen einzuflößen.

5. Abschnitt

(Im Innern eines Amphitheaters)

Vogel: Ist Ihnen nicht mulmig zumute, Herr Bundeskanzler, als letzter der europäischen Regierungschefs einzutreffen?

Kohl: Hier ist eine Wand. Eine Wand aus Glas. Ich komme nicht durch. Herr Mitterand, mon ami, helfen Sie mir! Ich habe mich etwas verspätet.

Mitterand. Ist das Herr Chou? (in allen anderen Sprachen)

Kohl: Gewiß, ich bin Monsieur Chou.

Mitterand: Wir kennen Sie nicht. (in allen Sprachen)

Kohl: Unverkennbar bin ich das. Was soll ich denn nur tun, um Ihnen zu beweisen, daß ich bin, der ich bin? Meine Freunde wissen, daß ich ein grundehrlicher und verläßlicher Typ bin. Wenn es einen Politiker gibt, seit der Sintflut, der berechenbar ist, so bin ich es.

Mittrand: Was soll er tun? (in allen Sprachen)

Mitterand: Vous etes Monsieur Chou de la BRD?

Kohl: Nicht aus der BRD. Aus der Bundesrepublik Deutschland. Nur in Ostdeutschland, in der DDR, sagt man abwertend oder gar verächtlich BRD. Wenn Sie mich aber vorübergehend nicht wieder erkennen sollten, meine Damen und Herren, so habe ich dafür vollstes Verständnis. Schon Napoleon sagte, daß wir schwer tun, uns wiederzuerkennen, sobald wir handeln, daß es aber darauf gar nicht ankommt. Es gnügt daß wir handeln und eine Wirklichkeit schaffen, die so gut ist, daß sich jedermann in ihr zurecht findet.

Kohl: Zeigen Sie mir den Zugang, Monsieur Mitterand. Sagen Sie mir, daß ich zu Ihnen kommen soll.

Mitterand: Kommen Sie!

Vogel: Was zaudern Sie? Er hat gesagt, Sie sollen kommen!

Kohl: Wo kann ich gehen?

Vogel: Hier, Herr Bundeskanzler, hier sind zwei Plätze frei.

Kohl: Da komm ich nicht hin! Ein Platz auf der richtigen Seite ist mir lieber als zwei auf der falschen.

Mitterand (von einem Thron, der wie der abgebrochene Eiffelturm aussieht): Meine Damen und Herren, da wir nun alle beisammen sind, eröffne ich den heutigen Abend und heiße Sie alle herzlich willkommen. Wie ich schon gesagt habe, schmerzt uns bei aller Freude, die wir Herrn Chou bei den momentan ablaufenden Vorgängen in der DDR empfinden sehen, die unklare Haltung der BRD. Nicht, daß wir deswegen in Angst erstarrten. Wir sind aber doch in großer Sorge, weil weder die Bundesrepublik, noch Frankreich, noch sonst irgendein Land das Recht hat, sich in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates einzumischen. Vor allem aber, weil wir sehen, wie die Bundesrepublik, die in den letzten 30 Jahren so vorbildlich mitgearbeitet hat an einem vereinigten Europa, jetzt erkennen läßt, daß ihr die Vorgänge im Osten wichtiger zu sein scheinen. Da die DDR aber ein souveräner Staat ist, geht ihr Schicksal Frankreich eben so sehr an wie die BRD.

Vogel: Sagen Sie jetzt, Herr Bundeskanzler, daß Sie dem europäischen Bündnis treu bleiben. Sagen Sie, daß wir keine aktive Ostpolitik mit Annektionsgedanken betreiben. Sagen Sie, daß wir die DDR als eigenes Land respektieren und daß uns nur daran liegt, das Schicksal der dort wohnenden Menschen zu erleichtern. Dann wird sich die Glaswand wie von allein vor Ihren Augen wegheben...

Kohl: Als ob ich nicht wüßte, was ich zu sagen habe.

Mitterand: Entschuldigen Sie, Monsieur Chou, bevor wir Sie einladen, mit uns zu speisen, möchten wir Sie bitten, uns eine umfassende Stellungnahme abzugeben.

Lady: Excuse, Mister Cabbage. Bevor Sie zu speisen beginnen, wünschten wir von Ihnen eine umfassende Stellungnahme.

Andreotti: Scusi, monsignore Cavolo! Bevor Sie zu speisen beginnen, wünschten wir von Ihnen eine umfassende Stellungnahme.

(ähnlich die anderen Damen und Herren aus Europa)

Mitterand: Warum schweigen Sie?

Vogel: Der Vorsitzende Europas, der Präsident Frankreichs, Monsieur Mitterand ist erstaunt, weil Sie nichts sagen, Herr Bundeskanzler.

Kohl: Was soll ich sagen? Wo man mich doch kennt? Das ist doch nur Ihr infames Spiel, Herr Vogel, mit welchem Sie mir Angst zu machen belieben.

Mitterand: Reden Sie, Monsieur Chou.

(entsprechend, aber rasch, die übrigen Damen und Herren in ihrer Landessprache)

Kohl: Jedermann hier weiß, daß wir, ich und meine Regierung, immer dazu bereit waren, Europa zu dienen. Und wir sind es noch immer und werden es immer bleiben. (für sich) So, das hätte ich fürs erste einmal ganz gut gesagt.

Mitterand und die übrigen: (unverständliche Laute hervorbringend)

Vogel: Der Präsident und die übrigen Anwesenden haben Angst. Angst vor Deutschland. Deutschland, Deutschland über alles... Merken Sie es denn nicht?

Kohl: Sie brauchen mir nichts zu übersetzen. Das hab ich schon selber verstanden.

Mitterand und die übrigen: (wieder unverständliche Laute hervorbringend)

Vogel: Der französische Präsident und die übrigen Anwesenden wünschen sich mehr Verbindlichkeit.

Kohl: Sie brauchen mir nichts zu übersetzen, Vogel, hab ich gesagt.

Vogel: Dann antworten Sie etwas.

Kohl: Vor Deutschland muß niemand Angst haben, jedenfalls nicht, solange ich an der Regierung bin. Und was das Lied angeht, dieses Deutschland, Deutschland über alles-lied, so stammt es vom alten Hoffmann von Fallersleben. Damit hat er damals zum Ausdruck bringen wllen, was schon Napoleon in seiner Politik berücksichtigt hat: daß nämlich der Gedanke an ein einheitliches, zentralistisch regierbares Deutschland tausendmal wichtiger ist als eine Föderation von 1000 Teilstaaten.

Mitterand: (aufspringend) Monsieur Chou!

Lady: Mister Cabbage.

Andreotti: Monsignore Cavolo!

Kohl: Was ist?

Mitterand: (Unverständliche Töne von sich gebend scheint er einem Diener etwas mitzuteilen. Dieser nickt, versteht.)

Vogel: Europa schaut mit Sorge auf Ihre Politik, Herr Bundeskanzler.

6. Abschnitt

(Wie Kohl durch den Spiegelsaal muß)

Diener: Monsieur Chou, venez!

Kohl: Was hat nun das schon wieder zu bedeuten?

Vogel: Zaudern Sie nicht. Man hat Sie gerufen. Tun Sie, was man von Ihnen verlangt.

Kohl: Wir sollen nicht tun, was man von uns verlangt, Herr Vogel, sondern nur das, wovon wir erkennen, daß wir es selber von uns zu verlangen haben.

Vogel: Der französische Präsident bittet Sie, hier durch den Spiegelsaal zu ihm zu kommen.

Kohl: Und was soll das heißen?

Vogel: Das soll heißen, daß Sie gut die Augen offen zu halten und acht zu geben haben. Der Weg ist voller Tücken und Gefahren. Schon manch einer, der nicht aufgepaßt hat, hat sich im Labyrinth der tausendjährigen Spiegel verloren.

Kohl: O, Vogel, wenn du glaubst, mich einschüchtern zu können, so irrst du gewaltig. Mich erwischst du nicht. Ich werde die Augen schließen und blind vorangehen. (er versucht es, bleibt aber auf der Stelle)

Mitterand: Qu est ce qu il fait? (in allen Sprachen)

Kohl: Bin ich nun weitergekommen oder nicht? Mir scheint, es war nichts. Warum bin ich nicht weitergekomme? Spielt denn eine Rolle, ob einer blind geht oder mit offenen Augen?

Vogel: Das sieht nicht gut aus, was Sie da machen, Herr Bundeskanzler. Das verrät Schwachheit, Unsicherheit, Unkenntnis in der Welt, Willensschwäche.

Kohl: Bis hierhin will ich auf jeden Fall kommen. (er versucht wieder blind zu gehen)

Mitterand: Was soll denn das? (in allen Sprachen)

Kohl: Das geht nicht. Das bringt nichts ein. Ich bleibe auf der Stelle.

Vogel: Aber Herr Bundeskanzler, sehen Sie nicht den Schemel zu Ihren Füßen?

Kohl: Was soll ich mit dem?

Vogel: Nun, was macht man mit einem Schemel? Stellt man etwa einen Leuchter darunter? Mitnichten. Weder unter einen Schemel noch unter einen Scheffel stellt man einen Leuchter. Ein Schemel aber ist für die Füße. Um drauf zu steigen, wenn man etwas erreichen möchte, was eine kleine Spur zu hoch für einen ist.

Kohl: Und dann?

Vogel: Dann ist da eine Türe oder ein Durchgang oder ein Bild.

Kohl: Das ist ein Spiegel, ein Spiegel und kein Durchgang. Deshalb ist der Schemel nichts anderes als eine Falle.

Vogel: Nennen Sie den Schemel, eine Treppe, meinetwegen. Was immer es sein mag, Sie müssen es benutzen, um da hindurch zu gelangen. Einen anderen Weg gibt es nicht.

Mitterand: Jawohl, Sie müssen da hindurch, wenn Sie Wert darauf legen, zu uns zu gelangen! (die übrigen auf ihre Landessprache)

Kohl: Nun gut. Steig ich empor, und wenn es der Karmel wäre! O, aber was ist das? Was soll das bedeuten? Das bin ich nie und nimmer.

Vogel: Was erschrecken Sie, Herr Bundeskanzler?

Mitterand: Haben Sie Ihr Spiegelbild entdeckt, Monsieur Chou? (in allen anderen Sprachen)

Kohl: Mein Spiegelbild ist das nicht. Und ich will Ihnen den Beweis auch nicht schuldig bleiben.

Mitterand: Wir sind sehr gespannt, Monsieuer Chou (in allen Sprachen)

Kohl: Wenn das Bild da nicht alles tut, was ich tue, dann habe ich es überführt. Ist es nicht so? (er probiert etwas mit der Hand.) Da! Hab ich ihn nicht? Nein? Ah, das ist wohl eine Ausgeburt der Hölle, die mir übel will? Und wie ist das? Auch da reagiert es.

Vogel: Was tun Sie, Herr Bundeskanzler? Haben Sie noch nie in einen Spiegel geschaut?

Kohl: Das ist wirklich zum Lachen.

Vogel: Das macht sich aber nicht gut, Herr Bundeskanzler, wenn etwas zum Lachen ist und man lacht nicht mit. Glauben Sie mir, ich verehre diejenigen, die sich das Lachen nie und nimmer nehmen lassen, auch nicht, wenn ihnen das Alter das Leben anstrengend gemacht hat und es scheinbar nichts und nirgends mehr etwas für sie zu lachen gibt. Und mag man sie auch Toren des Alters nennen, lieber solch ein Tor sein als ein am Leben Gescheiterter, lieber ein selig in sich und mit sich zufriedener Tor als ein Ausgebrannter, ein Misanthrop, einer der mit dem lieben Gott, wenn es ihn denn irgendwo gibt und er auf einen zukommt, nichts mehr anzufangen vermag.

Kohl: Satan. Aber ich krieg dich noch. Ich hab noch was in der Rückhand. Als Christdemokrat weiß ich, was dem Teufel nicht schmeckt. Und wenn ich auch kein Weihwasser zur Hand habe, das Kreuzzeichen (er machts). Da! Keine Regung. Und wieder keine Regung. Nun also. Meine Damen und Herren. Ich weiß nicht nur, wer ich bin. Es ist mir auch gelunge, Ihnen einen einwandfreien Beweis dafür zu liefern. Wenn auch Sie, was ich gut verstehen kann, berechtigte Zweifel haben mögen, so bitte ich Sie doch ganz dringend, mir jetzt zumindest, wo mir das Gottesurteil geglückt ist, zu glauben, daß ich ganz entschieden anders aussehe als das Monster da auf diesem Bild.

Mitterand: Dommage! (die übrigen auf ihre Landessprache: wie schade!)

Vogel: Hören Sie? Sie sind alle maßlos enttäuscht. Keiner hätte gedacht, daß eine solche Wahrheit ans Tageslicht käme.

Kohl: Was denn für eine Wahrheit? Ich habe doch bewiesen, daß ich das nicht bin.

Voge: Tausendmal besser wäre gewesen, Sie hätten sich nicht so höllisch aufgeregt. Tausendmal besser wäre gewesen, Sie hätten gelächelt und geschwiegen. Tausendmal besser wäre gewesen, Sie wären gar nicht auf die Idee gekommen, einen Vergleich anzustellen.

Kohl: Sophist! Wär ich still geblieben und hätte gelächelt, dann hätten Sie gesagt: ei seht, wie er sich freut an dem wohlgelungenen Porträt.

Vogel: Es ist das Verdienst der Psychoanalyse, einem jeden zu sagen, wer er ist.

Kohl: Scheren Sie sich zum Teufel, Vogel, Sie mitsamt Ihrer Psychoanalyse. Und wenn Sie sonst noch etwas wissen wollen, so sag ich Ihnen: Wenn ich an die Psychoanalyse denke, werde ich stolz darauf, ein Christ zu sein.

Vogel: Nur keinen Hochmut!

Kohl: Es mag sein, daß die Größe einer Aufgabe uns für einen Augenblick einmal uns selbst entfremdet. Daß aber eine Selbstliebe, wie sie Hitler bestimmte, die Verachtung für alle anderen, vor allem für alle Andersdenkenden und Fremden einschließt, mich bestimmt hätte, glaube ich nicht. Wer den Hitler sieht, der sieht nicht mich. Hitler, das weiß jedes Kind, das ist die ganz große Ausnahme, die Jahrtausendseuche, die Geißel der Menschheit, die Ausgeburt des leibhaftigen Satan.

Vogel: Geben wir acht, daß wir nicht einen kleinen, wenn auch noch so kleinen Winzling an Hitler in uns tragen. Zumal, wenn wir als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland nach der Wiedervereinigung trachten.

Kohl: Ich hindere Sie nicht an Ihren Betrachtungen, Herr Vogel. Nur, wenn Sie mich bitte damit verschonen.

Lady Thatcher: Dear friends! (es folgen wieder unverständliche Laute, während die Glaswand verschwindet)

Vogel: Die eiserne Lady macht darauf aufmerksam, daß es nie zu diesen erfreulichen oder unerfreulichen Ereignissen in der DDR gekommen wäre, wenn die vier Siegermächte nicht so gut das Viermächteabkommen ein- und reingehalten hätten. Und daß es von daher nur eines gibt: nämlich gewissenhaft und pünktlich an diesem Abkomen weiter festzuhalten, bis der Himmel schimmlig und der Mond käsig wird, zum Wohle Englands und Frankreichs, zum Wohl Europas und der ganzen Welt.

Mitterand: Parce que la republique allemande democratique nous a prie, cest pourqoi.. (unverständliches weiteres Gemurmel) Wir bitten Sie, Monsieur Chou, hier dieses Aere-perennius-Dokument zu unterschreiben. (in den anderen Sprachen)

Kohl: Meine Damen und Herren, ich glaube an Gott den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde.

Andreotti: Es gibt Leute, die sich ihren Gott gerne als allmächtigen Vater vorstellen, weil sie nicht ohne ein Bemutterungssystem auskommen.

Kohl: Und das sagen Sie, aus dem Lager der democratia christiana?

Thater: Erst kommen die Belange des Landes, dann die des Christentums, so war das schon immer bei uns in Europa.

Kohl: Gewiß, ich verstehe. Seien Sie mir aber dennoch bitte nicht böse, wenn ich zögere und mir eine kleine Lesezeit ausbitte. Als Bundeskanzler kann ich es mir nicht leisten, meine Unterschrift unter ein Dokument zu setzen, ohne es gelesen zu haben. Das käme für mich einer Urkundenfälschung gleich.

Andreotti: Sie brauchen es nicht zu lesen, Monsignore Cavolo! Ihre Aufgabe wird sein, das haben wir in diesem wahrhaft historischen Dokument festgehalten, der DDR großzügig beim Wiederaufbau zu helfen. Dann, kommt Zeit kommt Rat, werden wir sie in die europäische Völkerfamilie mit aufnehmen.

Mitterand: Vous avez comprit? (in allen Sprachen)

Kohl: Nun gut, dann her mit dem Dokument. (Er unterzeichnet mit Vogel)

Vogel: Das geht nicht, Herr Bundeskanzler. Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler Chou hat mit meinem Namen Oiseau unterschrieben.

Kohl: Weil das Dokument Ihren Vorstellungen entspricht, Herr Vogel, aber nicht meinen.

Vogel: Dann geben Sie also zu, daß ich ab sofort Bundskanzler bin? Oder Sie haben eine Urkunde gefälscht. Eines von beiden. Erklären Sie sich!

Kohl: Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.

Vogel: Sagen Sie, daß ich ab sofort der Bundeskanzler bin oder ich gehe zum europäischen Gerichtshof nach Den Haag.

Mitterand: Daß die Deutschen sich immer streiten müssen. Nachdem wir nun alles unter Dach und Fach gebracht haben, singen wir doch lieber die europäische Landshymne. Vive la vive la vive la France...

Thatcher: (miteinstimmend) O England wunderschön, auf Berg und Waldeshöhn, o du mein Reich. Dich grüß ich klingelingeling, God save the king, the king, the king, dir kommt nichts gleich.

Andreotti: O bella bella Italia, dir sing ich von Herzen mein Trallala..

Kohl: Und ich? Darf ich nicht auch was sinen? Deutschland, Deutschland über alles. Das wollen sie nicht hören. Sing ich eben was anderes. Blüh im Glanze dieses Glückes, blühe deutsches Vaterland.

Mitterand. Vive l europe! (in allen anderen Sprachen)

Kohl: (darauf) Es lebe Europa. Gewiß. Ich aber gehe müde nach Bonn zurück.

6. Schauspiel: Zum Brandenburger Tor

1. Abschnitt

Ein Grammophon spielt das Lied

Mit dir du starker Heiland du,

muß uns der Sieg gelingen.

Wohl gilts zu streiten immerzu,

bis wir den Feind bezwingen.

Nur Mut, die Stund ist nimmer weit,

wo wir nach allem Kampf und Streit

die Lebenskron erringen.

Vogel: (leise ins Schlafzimmer eintretend) Herr Bundeskanzler?

Kohl: Wer ruft da?

Vogel: Herr Bundeskanzler, wachen Sie auf! Es ist höchste Zeit.

Kohl: Herr Vogel? Sind Sie es?

Vogel: Ich bins.

Kohl: Seien Sie bitte still. Sie sehen doch, daß meine Gattin schläft. Oder fällt Ihnen nichts besseres ein, als uns selbst noch in tiefster Nacht nicht in Ruhe zu lassen?

Vogel: Wenn sich weltpolitisch umwälzende Dinge zutragen, und sei es in tiefster Nacht, kann kein Vogel zuhause im Bett liegen und schlafen.

Kohl: Was für weltpolitisch umwälzende Dinge?

Vogel: Ja wissen Sie es denn nicht?

Kohl: Ist es zu einem Krieg gekommen zwischen Herrn Gorbatschov und Herrn Busch? Und Atombomben wären gefallen? Und die Welt wär vernichtet und uns träumte nur, wir wären noch da, während wir alle tot sind?

Vogel: Ein Bundeskanzler sollte mit klarem Auge und nüchternen Verstand in die Welt blicken.

Kohl: Dann sagen Sie mir, was das für Dinge sind.

Vogel: Manchmal wäre schön, man wäre ein Titan, ein Geistesfürst und jedes Wort wäre eine unsterbliche Botschaft, eine ewige Wahrheit. Dann aber wieder ist man fast froh, daß es nicht so ist.

Kohl: Sagen Sie, was Sie zu sagen haben, ohne Umweg und Winkelzug.

Vogel: (während Vogel Flügel wachsen und er zu einem echten Vogel metamorphosiert.) Beeilen Sie sich. Machen Sie sich fertig und kommen Sie mit. Sonst wird man sagen, wir hatten zwar einen Kanzler, aber als das Außerordentliche geschah, war er nirgends.

Kohl: O, Herr Vogel, ich kenne Sie ja nicht wieder. Sie lassen sich Krallen wachsen, als wollten Sie mir mein Kanzleramt rauben.

Vogel: Pfui doch, mit Ihren ewigen Verdächtigungen und Verleumdungen. Steigen Sie auf, wenn Sie kein Feigling sind. Jede Sekunde, die wir verlieren, kann sich als unwiederbringlich erweisen.

Kohl: Zuerst will ich wissen, wohin die Reise geht.

Vogel: Glauben Sie mir, noch nie hat eine größere Herausforderung auf einen Bundeskanzler gewartet.

Kohl: Wohin gehn wir?

Vogel: Dahin, wo man Sie braucht. Mehr sag ich nicht.

Kohl: Und ich wäre der Held?

Vogel: Würde ich sonst meine menschliche Natur derart unterdrücken?

Kohl: Ein siegreicher Held?

Vogel: Noch in Jahrtausenden, Herr Bundeskanzler, wird man sich voller Staunen daran erinnern. Und der Ruhm und der Glanz von Ihren Erdentagen wird in Äonen nicht untergehen.

Kohl: Noch bin ich ratlos, sprachlos. Ja fast ein wenig ratlos stehe ich neben mir. Da brauch ich noch einige Zeit, mich vollauf zu begreifen.

Vogel: Zögern Sie nicht! Steigen Sie auf! Unterwegs werde ich ihnen alles erklären.

Kohl: (probierend) Immerhin bring ich über 100 kg auf die Waage.

Vogel: Ein Nichts angesichts der Größe der Aufgabe.

Kohl: Könnten wir im Zimmer wenigstens einen kurzen Proberundflug machen?

Vogel: Bitte!

Kohl: (probiert aufzusteigen) Das geht niemals gut. Aber selbst wenn es gut geht, bleiben mir immer noch unendlich viele Rätsel. Schließlich begeb ich mich in eine fatale Abhängigkeit. Sie brauchen mich nur herunterzustürzen. Dann geh ich zugrunde wie Ikarus.

Vogel: Haben Sie je gehört, daß ein Flugzeug unverletzt blieb, der Pilot aber zugrunde ging? Aber wenn Sie mein selbstloses Opfer nicht annehmen wollen, wenn Sie nicht wollen, daß man später einmal von Ihnen sagt: er ist der Kanzler der Wiedervereinigung, bitte!

Kohl: Wenn ich nicht wach wäre, wollte ich glauben, ich träume. Wenn man aber wirklich wach ist, kann man nicht gut glauben, man träume. Aber wenn man träumt, kann man schon glauben, man sei wach.

Vogel: Es gibt da ein untrügliches Kriterium.

Kohl: Und das wäre?

Vogel: Denken Sie doch selber darüber nach.

Kohl: Sagen Sie es, verraten Sie es, nehmen Sie mir die Arbeit des Denkens.

Vogel: Je mehr einer die Last der Arbeit verspürt, um so sicherer weiß er, daß er nicht träumt.

Kohl: Als Sie kamen, war ich gerade am Träumen. Auch Sie waren mit von der Partie. Ist das nicht kurios? Sie sagten gerade zu Lafontaine: wenn ich einmal diesem Kohl begegne, dann hau ich ihm eins über die Rübe.

Vogel: Das zeigt, wie schlecht Sie von mir denken.

Kohl: Aber das haben Sie gesagt, Herr Vogel.

Vogel: Ich habe das nicht gesagt. Eine solche Redeweise ist mir total unbekannt.

Kohl: Möglich, daß Ihnen der Umgang mit Herrn Lafontaine nicht gut tut.

Vogel: Die Wahrheit ist nur die, daß Sie geträumt haben, daß ich das gesagt habe.

Hannelore: (erwachend) Was geschieht da?

Vogel: Gnädige Frau! Lassen Sie sich nicht stören in Ihrem Schlaf. Zumal jetzt, wo eine unaufschiebbare Dienstreise Ihrem Mann bevorsteht. Sobald er sie gut hinter sich hat und wir wieder zurück sind, wird er Sie wecken.

Hannelore: Mein Mann hat mir versprochen, keine Dienstreise mehr zu unternehmen, wenn ich sie ihm nicht erlaube.

Vogel: Aber Frau Kohl. Ihr Mann ist der Bundeskanzler. Das ist keine kleine Berufung.

Hannelore: Und diese Berufung wäre größer als die Berufung, vor Gott und der Welt mein Mann zu sein?

Vogel: Je größer unsere Berufung und die uns sich stellende Aufgabe, um so kleiner unsere Freiheit.

Hannelore: Um so größer die Gefahr einer Sinnestäuschung, die Gefahr eines falschen Entschlusses, die Gefahr eines nie wieder gutzumachenden Irrtums. Was Gott verbunden hat, soll auch ein Vogel nicht trennen.

Vogel: Was getan werden muß, muß getan werden.

Kohl: Versprechen Sie meiner Frau wenigstens für den Fall, daß ich nicht träume, mich beim Flug nicht hinabstoßen zu wollen. Versprechen Sie ihr, für diesen Fall mich unversehrt wieder nach Haus zu bringen.

Vogel: (während er mit Kohl zum Fenster herausfliegt) Ich verspreche Ihnen, Frau Kohl, Ihren Mann, Helmut Kohl, für den Fall, daß er nicht träumt, beim Flug nicht hinabstoßen zu wollen. Des weiteren verspreche ich Ihnen, ihn für diesen Fall unversehrt wieder nach Haus zu bringen. So wahr mir Gott helfe.

2. Abschnitt

(Unterwegs.)

Vogel: Sind Sie mit mir zufrieden?

Kohl: Es wird sich zeigen.

Vogel: Sie sind ziemlich vorsichtig.

Kohl: Wir wollen den Tag nicht vor dem Abend loben.

Vogel: Dabei liegt jetzt ein großes und schweres Stück Arbeit vor mir.

Kohl: Ist das da drunten Oggersheim?

Vogel: Was sonst?

Kohl: Mir wird schwindelig, wenn ich herabschaue.

Vogel: Halten Sie sich an mir fest. Als Politiker müssen Sie das können. Selbst in die furchtbarsten Abgründe, die es gibt, muß ein Politiker schauen können.

Kohl: Ich muß mich auf Sie verlassen, ohne daß ich weiß, ob Sie verläßlich sind.

Vogel: Das ist nun einmal des Menschen Los.

Kohl: Wie weit können Sie für sich einstehen? Oder wie weit sind Sie zumindest willens, für sich einzustehen?

Vogel: So weit mein Glaube reicht.

Kohl: Nur, wie weit reicht der? Wie weit reicht der Glaube eines Sozialdemokraten?

Vogel: Lassen Sie uns nicht rechten und spekulieren, Herr Bundeskanzler. Es ist besser, wir glauben an einen Sinn und an eine Aufgabe in der Geschichte der Menschheit, als daß wir uns darauf beschränken, Geisterbahn zu fahren.

Kohl: Gewiß, die Erde besteht nicht aus nichts als winzig kleinen, nebeneinander liegenden Schrebergärten. Und die Menschen sind keine Ameisen im Mondlicht, auch wenn es von hier oben aus so scheint. - Ist das da drüben nicht Frankfurt am Main?

Vogel: Und dort kommt schon Hof zum Vorschein.

Kohl: Sagen Sie mir jetzt, wohin unser Flug geht. Wenn ich weiß, wo es lang geht, kann ich mich darauf einstellen. Unsereins hat es nicht so gut wie die Herren von der Opposition oder wie die Journalisten oder die Historiker, die unermeßlich viel Zeit haben, darüber nachzudenken, wie gut oder schlecht unsere Entscheidungen waren.

Vogel: Schauen Sie nur nach unten, dann sehen Sie es selbst. - Können Sie sich vorstellen, daß das da drunten die DDR ist?

Kohl: Die DDR? Machen Sie keine Witze. Seit der tollkühnen Fliegerei des Matthias Rust sollte jedem die Lust vergangen sein, im Ostblock Flugübungen zu machen.

Vogel: Wir fliegen mitten in die Weltpolitik hinein.

Kohl: Die DDR macht keine Weltpolitik. - Wenn das die DDR ist? Es läuft einem kalt den Rücken herunter.

Vogel: Si fractus illabatur orbis, impavidum ferient ruinae.

Kohl: Sie wissen selber, daß die auf alles schießen, was ihnen fremd ist. Haben Sie wenigstens einen Diplomatenpaß bei sich oder ein laissez passer?

Vogel: Wir sind in Gottes Hut.

Kohl: Scherzen Sie nicht.

Vogel: Lassen Sie das nur meine Sorge sein. Bis zu uns herauf reicht keine Kugel

Kohl: So ähnlich sagte auch jener Major, der als einer der ersten ein Panzerkonvoi auf Stalingrad zu dirigierte. "Ah", rief er da in seinem Übermut seinen Feunden zu, die in ihren Panzern neben ihm Halt gemacht hatten, und reckte sich aus seinem Panzer heraus: "Da ist ja niemand. Nirgends ein Russe zu sehen, nirgends ein Feind. Was ist das nur für ein Krieg? Eine Woche gab man uns Zeit. Wie mir aber scheint, liegt uns Stalingrad schon heute abend zu Füßen. Er hatte den Satz kaum zu Ende gesprochen und war eben im Begriff, wieder Platz zu nehmen und auf dem kürzesten Weg auf die Stadt zuzufahren, als eine feindliche Kugel heranpfiff. Man nahm die Sache weiter nicht ernst. Erst als man vergebens darauf wartete, daß der Major weiterfuhr und man nachsah, stellte man fest, daß ihn die Kugel erreicht hatte. Zwischen den Augenbrauen war sie ihm in den Schädel eingedrungen und hatte ihn tödlich getroffen.

Vogel: Wenn wir unsere Spiele durchgespielt haben, die nicht zuletzt gerade darin bestehen, nie mehr einen Hitler bei uns zuzulassen, hören wir auf und treten ab. Aber wenn Sie etwas Tröstlicheres hören wollen, so sage ich Ihnen, ja ich versichere Sie, daß jetzt niemand zu uns herauf schaut. Die haben jetzt andere Sorgen.

Kohl: Da ist sicher einer, der nichts zu tun hat. Und wenn der eben sein Gewehr putzt und zum Himmel hinauf schaut und uns entdeckt, so sind wir für den ein gefundenes Fressen. Einen Bundeskanzler abzuschießen, da kriegt er sicher das Verdienstkreuz pour le merite.

Vogel: Es putzt jetzt keiner sein Gewehr.

Kohl: Als ob die je etwas anderes getan hätten. Sagen Sie mir nur noch, ein Bundeskanzler sei denen kein Schuß Pulver wert.

Vogel: Das kommt auch ein wenig auf Sie an, Herr Bundeskanzler.

Kohl: Überhaupt muß doch etwas abgründig Böses in Ihnen stecken, Herr Vogel, daß Sie sich so mir nichts, dir nichts, in einen Raubvogel verwandeln.

Vogel: Wer sich für die Politik entscheidet, entscheidet sich auch dafür, sich mit dem Bösen einzulassen. Sonst geht er besser in ein Kloster.

3. Abschnitt

(Flug über Leipzig)

Kohl: Was ist das dort? Eine Stadt?

Vogel: Und ob das eine Stadt ist. Schauen Sie doch hin.

Kohl: Ich sehe eine Kirche. Hab ich recht?

Vogel: Kirchen gibt es in jedem Dorf. Sagen Sie mir, was Sie noch sehen.

Kohl: Ich sehe noch einen riesigen Platz und darauf einen Volksauflauf. Das dürfte in einer Stadt sein. Was für ein Gewusel! Ein schreckliches Gewusel.

Vogel: Ein Gewusel? Sehen Sie weiter nichts? Erkennen Sie nicht die Stadt?

Kohl: Bleiben Sie! Nicht tiefer.

Vogel: Auch die Menschen müssen sie sehen. Es geht nicht an, daß Sie nur Gewusel sehen.

Kohl: Ist das dort nicht die Thomaskirche, wo Bach längere Zeit Kantor war? Und hier die alte Börse und das Rathaus? Das ist doch Leipzig!?

Vogel: Und das Gewusel?

Kohl: Ich wollte damit nur sagen, daß mir aller Kommunismus wie ein ekelhaftes Gewusel vorkommt. Weil jeder macht, was er will. Weil jeder vor sich hinwurstelt, ohne Ziel, ohne Idee, ohne daß er sich identifiziert mit dem Erbe useres Vaterlandes.

Vogel: Präzis müssen Sie alles sehen, präzise alles vernehmen.

Kohl: Mir genügt ein großes, ungefähres, umfassendes Bild.

Vogel: Wie wollen Sie denn dann entscheiden, ob Sie nicht alles nur im Traum erleben?

Kohl: Stets besteht die Gefahr, daß wir uns in Einzelheiten verlieren. Man schaut auf einzelnes, auf einen Bittsteller, eine Bittschrift, ein einzelnes Unrecht, man wird von ihm in Bann gezogen und vergißt darüber den Sinn für das Ganze.

Vogel: Politik ist ein titanisches Geschäft, das das einzelne sowie das Ganze zum Inhalt hat. Das einzelne muß ich ergreifen, um das Ganze zu begreifen und das Ganze im Blick haben, um dem Einzelnen gerecht zu werden, soll einmal ein großer Politiker gesagt haben.

Kohl: Dieser große Politiker war gewiß kein anderer als Sie, Herr Vogel!

Vogel: Wenn ich Sie auf zwei Dinge aufmerksam machen darf! Einmal möchte ich Sie daran erinnern, daß es der Außenpolitik unseres Genossen Willi Brand zu verdanken ist, der das alles mit in die Wege geleitet hat, sowie dem außergewöhnlichen Format des russischen Staats- und Parteisekretärs Gorbatschov.

Kohl: Ich erinnere mich noch gut daran, als Herr Schmidt unter vier Augen mit Breschnev reden durfte. Das war für ihn so kolossal, daß er sich entschloß, darüber in einem eigenen autobiografischen Buch der Öffentlichkeit mitzuteilen. Dabei war Breschnev ein eiskalter Krieger, ein Stalinist, wie es keinen besseren gab, eine Marionette am Gängelband des russischen Militärs.

Vogel: Damals haben wir die Politik der kleinen Schritte eingeleitet.

Kohl: Erst kürzlich habe ich mich mit dem Schäuble darüber unterhalten. Er sagte, er wäre froh, wenn außer mir noch einige da wären von meinem Format. Der römische Historiker Sallust, so hat mir der Schäuble gesagt, hat schon seinerzeit bewiesen, daß es für einen Staat mit imperialistischen Tendenzen nur einen Beruf und nur einen Stand gibt, nämlich den Wehrstand. Und wenn dieser Stand, der sich selbstverständlich mit dem Staat gleichsetzt, glaubt, auch ordentlich entschädigt werden zu müssen, dann geht es abwärts, wie bei der DDR.

Vogel: Entschuldigen Sie, Herr Bundeskanzler. Aber die DDR hat nicht viel mit Rom gemeinsam. Weder hat sie expansive Politik getrieben, noch auch hat sie Kriege geführt.

Kohl: Vielleicht nicht selbständig, wohl aber als Vasalle Moskaus, z.B. in Afrika. Was aber noch viel schlimmer ist, sie hat einen permanenten Krieg der Unterdrückung geführt gegen das eigene Volk. Wenn wir den kalten Krieg jetzt endlich ad acta legen, so nur deshalb, weil man in Moskau eingesehen hat, daß es nicht gut ist, wenn man dem Militär die gesamte Macht im Staat überläßt. Doch genug davon. Was tun Sie denn da? Man kann uns ja schon fast mit Händen greifen.

Vogel: Na und? Sie haben doch keine Angst?

Kohl: Denken Sie daran, daß Sie meiner Frau versprochen haben, mich gesund wieder nach Haus zu bringen.

Vogel: Auch ich möchte wieder gesund nach Hause kommen. Um aber die Dinge genau genug zu sehen, muß man ihnen nahe genug kommen.

Kohl: Ich sehe alles. Ich sehe die Altstadt, sehe, wie die Straßen und Plätze von Menschen erfüllt sind.

Vogel: Was Sie da sehen und hören sind die Protestkundgebungen der Leipziger Bürger. Können Sie die Gesichter sehen?

Kohl: Alle! Ich kann den Leuten ja bereits aufs Maul schauen. Ich höre die Bachschen Choräle aus den Kirchenfenstern gen Himmel steigen und ich höre, wie die Menschen protestieren. Alles sehe ich, alles höre ich! Es ist der Teil unseres lieben Vaterlandes, dessen Fernsein von uns wir nun schon fast ein halbes Jahrhundert so schmerzlich empfinden.

(man hört die Rufe "Wir sind das Volk!")

Vogel: Was ruft die Menge?

Kohl: Wir sind das Volk! Wir sind das Volk! Aber ich sehe auch Maschinengewehre, die man auf sie richtet. Nicht tiefer! Halten Sie die Höhe! Eine kleine Unachtsamkeit, und ein Blutbad ist unausweichlich und alles fliegt in die Luft.

Vogel: Es ist eine großartige Dokumentation, ein erschütternder, vor dem Opfertod nicht zurückschreckender Hilferuf und zugleich eine Geste der Souveränität und der unblutigen Revolution, wie ich sie noch nie erlebt habe.

Kohl: Noch nie habe ich recht verstanden, was ein Protestant ist. Denn leider bin ich ja als Katholik zur Welt gekommen. Jetzt aber geht mir ein Licht auf. Jetzt endlich habe ich verstanden, worauf ein Protestant mit Recht stolz sein darf. Ein Protestant, das ist das entschiedene Nein gegen alle Unterdrückung, ob sie von Preußen oder von der Kirche oder sonst einem totalitären Regime kommt, ein Nein gegen alle Fremdenfeindlichkeit und Menschenverachtung, ein Nein gegen Haß und Gewalt...

Vogel: So etwas meinte ich übrigens jüngst, als ich bemerkte, die DDR befinde sich auf dem Weg zu einem Rechtsstaat, womit ich mir heftige Attacken Ihrer Parteigenossen eingehandelt habe.

Kohl: Gleichwohl kann ich nicht verhehlen, daß ich noch immer skeptisch bin. Ich habe ja gesagt, diese Rufe haben auch etwas von einem Hilferuf an sich. Sie sind wie der Funkspruch eines Ozeanriesen, der draußen auf hoher See zu sinken droht. Die DDR sinkt und ertrinkt. Wir müssen etwas tun. Ohne unsere Mithilfe schafft es das Volk nicht, sich vor dem Untergang zu retten. Aber wir werden ihm helfen.

Vogel: Sehen Sie nun, Herr Bundeskanzler, wie wichtig und richtig es war, daß ich Sie geweckt und hierher gebracht habe? Sie können durchaus mit mir zufrieden sein. Schließlich bin es ich gewesen, der Sie mit Einsatz von Leib und Leben hierher geschafft hat. Kommen Sie. Fliegen wir weiter, nach Ostberlin! Solange die Mauer noch steht und die Stadt teilt, ist kein Rechtsstaat möglich.

4. Abschnitt

(Unterwegs nach Ostberlin)

Vogel: Gestatten Sie Herr Bundeskanzler..

Kohl: Daß Sie mir gratulieren, weil ich das große Ziel meiner Politik nun fast schon erreicht habe? Gewiß doch. Es schmeichelt mir ungemein, daß auch Sie, einer meiner schärfsten Kritiker nun endlich zugeben, daß ich etwas zu erreichen im Begriff bin, was niemand jemals mir zugetraut hätte. Selbst meinem großartigen Freund Konrad Adenauer blieb dieses große Ziel verschlossen. Aber ich will nicht unehrlich sein. Ich sage Ihnen frank und frei, daß ich mir das alles selber kaum zugetraut habe. Jawohl, selbst ich brauche etwas Zeit, ganz zu verstehen, was sich durch mich hier Großes ereignet hat.

(Man sieht zerstörte Kulturlandschaften, tote Wälder, zerschossene Gehöfte, Bunker, Schlote)

Vogel: Wie trüb, wie triste das einen alles anschaut.

Kohl: Gehört das alles noch zur Ostzone? Zwar habe ich schon immer zu meinen Parteifreunden gesagt, daß die Planwirtschaft in der DDR einmal ein böses Ende nimmt, daß das aber so schnell gehen würde, das hätt ich nun doch nicht gedacht. Ich wollte frohlocken, wie die Leute um die Königin Esther, als man den Mordgesellen Haman an den fünfzig Ellen hohen Galgen brachte, den dieser für den schuldlosen Mordechai hatte errichten lassen, ich wollt frohlocken, sag ich, wenn man auf eben diese Weise den Genossen Honegger und sämtliche seiner Parteigenossen an den Galgen brächte.

Vogel: Wenn Sie sämtliche Parteigenossen, mitsamt den Mitläufern und den Mitläufern der Mitläufer an den Galgen bringen wollten, dann müßten Sie 95% der Bevölkerung aufhängen! Das kann ja kaum Ihr Wille sein. Was auch wäre das für eine Befreiung. Wann je war der kleine Mann so frei, daß er sich frei hätte entscheiden können, ob er mitmachen will oder nicht? Der Befreier muß mithin auch Amnestie mitbringen, zumindest für alle die, die nicht anders konnten.

Kohl: Nur die Großen würden wir aufhängen, entsprechend der Verantwortung, die sie gehabt haben, der sie aber nicht nachgekommen sind.

Vogel: (während er Kohl auf dem Brandenburger Tor oben absetzt. Neben ihm Waigel.) Auch wir, Herr Bundeskanzler, regieren ja gerne hin und wieder über die Köpfe unserer lieben Landsleute hinweg. Auch uns steht mithin an, uns stets daran zu erinnern, wer das Volk ist und von wem alle unsere Gewalt ausgeht und wem sie sich zu verantworten hat.

Kohl: Ei, ei! Vogel, wo bin ich? Sie können mich hier nicht allein lassen.

Vogel: Nur Geduld, Herr Bundeskanzler. Der Theo Waigel ist neben Ihnen. Der übernimmt jetzt die Betreuung.

5. Abschnitt

(Auf dem Brandenburger Tor)

Kohl: Der Theo Waigel?

Waigel: Hier bin ich, Herr Bundeskanzler. Ich begrüße Sie auf dem Brandenburger Tor.

Kohl: Ist das da das Brandenburger Tor?

Waigel: Sehen Sie sich doch nur die Quadriga an! Und wenn Ihnen das noch nicht genug ist, so schauen Sie da herab.

Kohl: Wärs möglich? Mitten im feindlichen Land? So nah dem gefährlichen Boden? Man bricht sich ja fast schon den Hals beim Herunterschauen.

Waigel: Nur keine Angst, Herr Bundeskanzler. Schauen Sie sich doch nur diese Menschenmenge an, die heranzieht! Hier, das Volk, das sich wiederfindet! Diesen Jubel, diese Freude. Wie sie sich umarmen, wie sie glücklich sind. Die ersten bringen schon Steine aus der Mauer. Da schauen Sie nur! Selbst Kinder tragen Backsteine herbei. Und dort sind Leute, die Kränze bringen für die Angehörigen, die ihnen an der Mauer erschossen wurden. Es gibt nicht mehr den geringsten Zweifel, daß heute noch die gesamte Berliner Mauer fällt. Jetzt ist Schluß mit allem Krieg. Nie wieder Krieg. Wir wollen keinen Krieg mehr. Wir haben genug von allem Krieg. Früher hieß es: "In den Staub mit allen Feinden Brandenburgs". Da gab es nur Feinde und Krieg. Das soll von nun an der Geschichte angehören.

Kohl: Ich habe die Preußen nie gemocht. Und noch heute, ich sags Ihnen ehrlich, kommt mir vor, wenn ich an den Fritz denke oder an seinen Vater, den Friedrich Wilhelm, als ob da eine hundsgemeine, menschenverachtende Saat gesät worden wäre, die uns dann auch noch den Hitler und die SS und alle die Organe des Bösen beschert hat. Waigel: Was haben Sie nur?

Kohl: Das Böse und Gemeine im Purpurmantel der Könige. Immer muß ich an den preußischen Drill denken und an die Todesstiefel der SS.

Waigel: Inmitten dieser grenzenlosen Freude?

Kohl: Das ist es gerade. Die hohe Erwartung erschreckt mich.

Waigel: Wieso das?

Kohl: Weil wir nicht in der Lage sind, sie zu erfüllen.

Waigel: Wir werden uns unter das Volk scharen, bis wir alle das Volk sind.

Kohl: Mir ist elend zumut. Sie werden sehen, man wird uns noch einsperren.

Waigel: Herr Bundeskanzler. Bei allem, was uns heilig ist, ich beschwöre Sie! Die Völker verlangen nach Freiheit, nach Achtung und Anerkennung, nach Zuwendung und Gerechtigkeit. Und das sollen sie bekommen. Dafür sind wir da.

Kohl: Gewiß wäre gut, wenn es unter uns Politikern nur noch gute Menschen gäbe. Wenn aller Egoismus unter uns Menschen verschwunden wäre, weil er unter uns Politikern verschwunden ist. Aber glauben Sie mir, Waigel, ich selbst, ja ich selbst bin ja auch nicht gut. Ich selber bin ein gewaltiger Egoist.

Waigel: Wir tun unser bestes. Mehr kann kein Mensch.

Kohl: Keine Ausbildung in Philosophie und keine Kunst und kein praktiziertes Christentum wird uns jemals davor retten, einmal wieder in barbarische Zustände zurückzufallen.

Waigel: Jetzt, in der Stunde unserer Freude, sollten Sie so etwas nicht sagen. Jetzt, wo wir fast alles erreicht haben, ziemt uns am wenigsten, Defätist zu sein. Es wird sich zeigen, daß wir uns auf die Gutgesinnten in aller Welt, vor allem aber auf unsere Freunde im europäischen Lager verlassen können.

(Die Menge singt: Deutschland, Deutschland über alles..)

Waigel: Es lebe Deutschland. Es lebe das wte deutsche Vaterland. Es lebe die Politik der Christdemokraten.

Kohl: Und doch ist mir zumut, als wärs das beste, ich stürzte mich vom Tor hier oben herab und bräche mir den Hals.

Waigel: Mein Gott, Herr Bundeskanzler!

Kohl: Wozu lebt der Mensch? Sagen Sie es mir, Waigel.

Waigel: Um glücklich zu sein. So hat schon Aristoteles gesagt.

Kohl: Ich glaube, er lebt dazu, um ganz sicher zu werden, daß er nichts verpaßt, wenn er die Zukunft nicht mehr miterlebt.

Waigel: Abends legen sich alle schlafen.

Kohl: Wenn jetzt einer sein Gewehr auf mich richtete und auf mich zielte, ich wiche nicht von der Stelle. Ich ließe die Kugel auf mich sausen, bis sie mich erreicht hätte, und bohrte sie sich mir auch ins Herz und machte mich tot.

Waigel: Jetzt ist Mittag, Herr Bundeskanzler, nicht Abend. Warten wir ab. Überlassen wir uns erst einmal dem Mittag. Abend wird es schon von allein.

7. Schauspiel: Politisches Asyl

1. Abschnitt

(In Kohls Schlafzimmer.)

Hannelore: Was hast du nur schon wieder? Du bist so unruhig. Wie soll ich einschlafen, wenn du nicht schläfst?

Kohl: Ich schlafe schon. Und wenn ich einmal nicht schlafe, so brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Dann bin ich mit meinen Hausaufgaben beschäftigt.

Hannelore: Was für Hausaufgaben?

Kohl: Die, für die wir nie Zeit haben, und die gleichwohl die wichtigsten sind. Es gilt jetzt, die Kette der unendlichen Folgen abzuschätzen, die meine Politik nach sich zieht und, wo nötig und möglich, noch kleinere Feinabstimmungen und Korrekturen vozunehmen. Aber schlaf jetzt. Es ist das beste für dich. Du hast ja ohnedies kein gutes Wort für mich übrig, auch wenn mein Zehnpunkteprogramm etwas vom besten ist, was jemals an deutscher Politik gemacht wurde.

Hannelore: Es wäre besser, du ließest diese allerletzten Aufgaben, die uns nichts als Ärger und Gefahren in Haus bringen.

Kohl: Selbst die erbittersten Feinde können nicht umhin, meine Leistung zu würdigen.

2. Abschnitt

(Vogel kommt mit einem Unbekannten zur Türe herein. Sie schleppen viele Kisten herein.)

Vogel: Nun kommen Sie, wenn Ihnen etwas an der Lösung Ihres Falles liegt! Aber leise, wenn ich bitten darf.

Honni: Ich habe Angst.

Vogel: Wenn Angst zu etwas gut ist, so dazu, daß man sie sich abgewöhnt.

Kohl: (halb im Traum) Mein Gott! Hören Sie auf, Herr Vogel!

Vogel: Herr Bundeskanzler? Hören Sie mich, Herr Bundeskanzler?

Kohl: Sie sollen aufhören. Oder Sie geben zu, daß Sie ein Traumgespenst sind, Vogel.

Vogel: Konträr, Herr Bundeskanzler. Wenn Sie es nicht fertig bringen, daß ich aufhöre, bin ich mehr als nur ein Geschöpf Ihrer Einbildung.

Hannelore: Was hast du denn nun schon wieder!

Kohl: Siehst du nicht, wie man uns umstellt? -

Hannelore: Ich sehe nichts.

Kohl: Du siehst nichts?

Hannelore: Was soll ich denn sehen?

Kohl: Dort den Vogel und einen Gepäckträger. Sie schleppen Kisten in unser Zimmer. Unendlich viele Kisten.

Hannelore: Du träumst.

Kohl: Dann wäre ja der Vogel doch nur eine Kreation meiner Einbildung. (er schläft wieder)

3. Abschnitt

Honni: Gäbs noch die gute alte Zeit, so bekäm ich jetzt eine hübsche Ehrenhaft und ein ordentliches Jahresgehalt. Wie Napoleon nach Waterloo, als man ihn nach St. Helena in Ehrenhaft brachte. Dabei hatte er sich selbst nicht gescheut, das ferne Rußland mit Krieg zu überziehen, ein Feldzug, bei dem Millionen von nichtfranzösischen Soldaten und russischen Zivilisten den Tod gefunden haben. Doch die Zeiten sind vorbei.

Vogel: Vorbei sind aber auch die Zeiten, wo man die Menschen in zwei Klassen eingeteilt hat: in die des Teufels und in die des Gottesreichs. Und wo man die Andersdenkenden als Genossen des Teufels verfolgt und grausam zu Tode geschunden hat. Noch immer, Herr Staatsratsvorsitzender, genießen Sie das Privileg, sich wichtig zu nehmen. Vergessen Sie nie, es sich klarzumachen.

Honni: Gegen die Selbstgerechtigkeit deiner Feinde kommt keiner auf.

Vogel: Gewiß. Doch da muß ich unseren Bundeskanzler in Schutz nehmen. Wenn es auch viele gibt in den Christparteien, die nur so von Selbstgerechtigkeit und Selbstherrlichkeit dampfen, unseren Kohl kann ein Feind durchaus dauern. Es kommt nur darauf an, wie Sie ihm begegnen. Es liegt an Ihnen, wie Sie ihm Ihr Anliegen vortragen.

Honni: Man erwartet von mir ein Geständnis. Ich soll sagen, was alles ich falsch gemacht habe, um mich dann, wenn ich alles dies gestanden habe und auch noch, daß ich mich danach sehne, daß man mich im Schoß der allein seliggmachenden christlichen Kirche gnädig wieder aufnimmt, um mich dann zu verbrennen oder zu vierteilen. Wenn sie doch nur selber mit sich und ihren Politikern so verführen, wie sie willens sind, mit mir zu verfahren. Die Heuchler! Was auch der Kleinste und Geringste in unserem Staat verbrochen und angestellt hat, sie werden mir den Beweis nicht schuldig bleiben, daß ich es war. Wenn sich einer in den Grenzzäunen verhakt hat, wer war schuld, wenn nicht ich? Als hätten wir nicht stets davor gewarnt, dieses Gebiet zu betreten, tun sie jetzt so, als hätten wir sie geradewegs da hinein getrieben. Und wenn einer mit einer MG auf mich losfeuerte, und wir nicht anders konnten, als ihn mit einer kleinen Noterschießung unschädlich zu machen, war da nicht auch wieder ich schuld? Aber nicht nur die widerlichen Hinrichtungen und Erschießungen, nicht nur Erpressung und Menschenhandel und Versuche mit lebendigen Menschen wird man mir zur Last legen, auch noch Korruption und Ämtermißwirtschaft und selbst noch die Ladendiebstähle werde ich zu verantworten haben und die Verkehrsunfälle und überhaupt alle Krankheiten. Wenn sich einer einmal just nicht wohlfühlte, wer anders war schuld als der Staatsratsvorsitzende? Er wird mir den Prozeß machen, als wär ich ein Naziverbrecher.

Vogel: Beweisen Sie ihm, daß er am besten fährt, wenn er Ihnen politisches Asyl gewährt! Jawohl, alles kommt darauf an, daß Sie ihre Apologie richtig beginnen, daß Sie es nicht darauf anlegen, daß Sie am Schluß auch wirklich Ihren Becher Schierling erhalten. Nur der Erfolglose kokettiert mit dem Schierling.

Honni: Nur wer die Macht hat, hat auch Erfolg.

Vogel: Sie müssen darauf achten, daß man Sie als einen politisch Verfolgten in der Bundesrepublik Deutschland aufnimmt oder doch wenigstens ernst nimmt. Und die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Wenn man Sie nämlich auch erkennt und auslacht und den Fall für sonnenklar ansieht, so wird man doch nicht umhin können, Ihren Fall gerichtlich überprüfen zu lassen. Jede Überprüfung aber bedeutet einen Aufschub, eine Frist, eine gewonnene Zeit.

Honni: Und wenn dann heraus kommt, daß ich der Honegger bin: zeugt dann nicht alles wider mich?

Vogel: Machen Sie der Welt klar, daß Sie jahrzehntelang in der DDR unterdrückt waren. Daß man Sie gezwungen hat, so unmenschlich und brutal vorzugehen. O nein, da müssen Sie durchaus Ihr Gedächtnis nicht korrumpieren, Sie müssen es nicht zum Sünder machen, damit Sie der eignen Lüge glauben. Sie müssen sich nur recht genau und scharf erinnern. Das ist alles. Da war doch z.B. der Staatssicherheitsdienst unter Mielke und alle die anderen Ministerien unter den hochwohlnoblen Herren. Sind da nicht auch Anweisungen ergangen, die Sie nie zu Gesicht bekommen und von denen sie nie etwas erfahren haben? Na sehen Sie! Und hat man Sie nicht in vielen Fällen, wenn auch nicht immer mit Absicht und aus gemeinen Gründen, belogen und hintergangen oder in ein falsches Licht getrieben? Und war es nicht so, daß Sie das Unglück hatten, alle dreckigen Entscheidungen alleine treffen zu müssen, während man die schleckigen Dinge für sich behielt? War es nicht so, daß Sie es manchmal so leid hatten, daß Sie am liebsten selber als Gefangener ins Gefängnis gegangen wären?

Honni: Nicht selten hatte ich beste Lust dazu.

Vogel: Kann schließlich nicht jeder, der heute noch so einflußreich und mächtig sein mag, schon morgen genötigt sein, um politisches Asyl zu ersuchen? Die er heute verfolgt und die heute um Asyl bitten, sind es, die ihn morgen verfolgen und ihn zwingen, um Asyl zu erbitten. Nun mag man zwar sagen, es geschieht ihm recht und es geschieht ihm nicht besser, hat er doch erst gestern noch selber andere verfolgt. Andererseits aber muß man auch sehen, daß er, der gestern noch in Herrlichkeit gelebt hat, unter dem Verlust heute besonders leidet. Wäre er als ein ewiger Hungerleider und Habenichts auf die Welt gekommen, er könnte sich glücklich preisen über den ewig gleichbleibenden Fortgang seiner Tage. So aber ficht ihn der plötzliche Mangel nur mit doppeltem Ingrimm an.

Honni: Zeigen Sie mir, was ich zu machen habe.

Vogel: Wir wollen es miteinander durchgehen. Und der gute Ausgang soll uns nicht verschlossen bleiben. - Gesetzt, Sie wären der Parteisekretär und Staatsratsvorsitzende Erich Honegger und ich wäre der Herr Bundeskanzler Helmut Kohl, und Sie kämen zu mir. Und ich wär der Herr Bundeskanzler.

Honni: Aber ich bin doch der Parteisekretär und Staatsratsvorsitzende Erich Honegger. Soll ich mich denn verleugnen, indem ich nur so tu, als ob ich der wäre, der ich doch in Wahrheit bin? Viel leichter fällt mir zu denken, daß man ja auch die BRD der deutschen Demokratischen Republik hätte einverleiben können. Dann stünde jetzt der Herr Kohl als Angeklagter vor mir.

Vogel: Antizipieren wir die Szene, wie Erich Honnegger zu Kohl kommt und ihn um politisches Asyl bittet, indem wir einen guten Ausgang ins Auge fassen.

Honni: Das fällt mir verdammt schwer. Weil ich sehe, daß das nichts bringt.

Vogel: Wenn Sie nicht wollen, lassen wir es eben bleiben.

Honni: Natürlich will ich. Nur seh ich, daß Wollen allein nichts bringt.

Vogel: Wer redet von Wollen allein? Es ist anstrengend mit Ihnen, fast mehr noch als mit dem Bundeskanzler.

Honni: Quod ignis non sanat, ferrum sanat.

Vogel: Pecunia non olet, hätten Sie sagen sollen.

Honni: Und was heißt das?

Vogel: Das heißt, daß es auf Erden nichts gibt, was sich nicht durch das liebe Geld erkaufen ließe. Sie geruhten doch selbst festzustellen, daß man Macht haben müsse, um erfolgreich zu sein. Sie haben Geld, also haben Sie Macht. Ungeheuerlich ist die Macht, die uns das Geld verleiht. Selbst die ewige Seligkeit konnte man sich mit Geld erkaufen, als man noch an sie glaubte und sie einem noch etwas wert war. Da vermochte auch kein Luther etwas dagegen. Und Sie haben ja noch Geld, das Ihnen niemand wegnehmen kann und an welches niemand kommt als nur Sie! Mit dem müssen Sie schachern und wirtschaften. Mit dem Geld aber, das man Ihnen nicht wegnehmen kann, können Sie beeindrucken, mit dem Begehrlichkeit wecken, mit dem etwas für sich herausschlagen. Wer Geld genug hat, hat auch Macht genug, sich zu erkaufen, was er nur will. Man muß nur mit einem Scheinchen winken, alsbald schon kommen sie aus allen Himmelsrichtungen auf einen zugerannt, einem ihre Dienste anzubieten. Mörder und Henkersknechte wurden schon immer mit Geld gekauft. Aber auch Vergebung von Schuld und Freiheit lassen sich durch Geld erkaufen. Was immer einer gefehlt hat, bei uns kann er sich davon loskaufen, wenn er nur ein genügend großes Lösegeld mitbringt. Geld ist ein Zaubermittel, wie es sonst keines gibt auf Erden. Geld, das ist das ewig honigsüße goldene Manna, das ist Ambrosia und Nektar, das ist die Speise der Unsterblichen. Ein Mann mit Geld ist und bleibt ein Gentleman, ein nobler Mann, ein Fürst, selbst wenn er pro Tag ein Dutzend der schlimmsten Verbrechen begeht.

Honni: Wenn ich nun aber heute alle meine Ersparnisse von meinen Konten auf der Schweiz nach Liechtenstein überweise, wo, wie wir einmal annehmen wollen, Herr Kohl seine Schwarzkonten hat: wer bürgt mir dafür, daß er nicht übermorgen, wenn alles erst ordnungsgemäß auf seinen Konten verbucht ist, alles wird auffliegen lassen? Gibt es einen heiligen Eid, mit dem mir der Kanzler der BRD zuschwört, meinen Namen niemals zu nennen!?

Vogel: Kein Vertrag ist so heilig und wird von unseren Gerichten ernster genommen als Verträge ums Geld. Je größer der Einsatz, um so ernster der Vertrag.

Honni: In meinem Fall aber ist das anders. Als abgesetzter und entmachteter KP-funktionär...

Vogel: Still doch. Nur wer sich mit seiner Entmachtung einverstanden erklärt, ist entmachtet.

Honni: Aber selbst wenn die Gerichte wirklich so frei und unabhängig sind, wie man uns stets hat weiszumachen versucht, und man sperrt den Kohl ein, weil herauskommt, daß er bestechlich war, meinen Sie der wird 10 Jahre, oder auch nur eines, ja auch nur einen Tag im Knast sitzen bleiben, ohne den Mund aufzutun und meinen Namen zu nennen?

Vogel: O ja, das wird er, wenn man zuvor nur den richtigen Vertrag mit ihm abgeschlossen hat.

Honni: Und wie sieht so ein richtiger Vertrag aus?

Vogel: Wie so einer aussieht? Du liebe Zeit! So bunt und vielfältig wie alles auf Erden! Man könnte daran denken, dem Bundeskanzler als Quittung für die Parteienspende einen kleinen Plumplum ins Su-tschu-wak einzubauen, dergestalt, daß er in dem Moment in die Luft ginge, wo er Ihren Namen nennt.

Honni: Das ließe er sich nie gefallen.

Vogel: Im übrigen werden unsere Gerichte einen Kanzler niemals einsperren. Ein Kanzler ist immerhin ein Kanzler, also ein Nachkomme unserer absolutistischen Herrscher. Der darf auch mal einen kleinen Meineid schwören oder sonst ein blak-out haben. -

Honni: Um so schlimmer für mich.

Vogel: Wenn alles nichts nützt, hab ich da für alle Fälle noch zwei Sonderpakete mitgebracht. (er murmelt etwas Unverständliches vor sich hin)

Honni: (etwas Unverständliches murmelnd)

Vogel: Ein Gramm davon genügt schon, ein Kaff wie Oggersheim 1000 mal vom Erdboden zu vertilgen.

Honni: Das ist Terrorismus.

Vogel: Staatsterrorismus, Herr Staatsratsvorsitzender. Staatsterrorismus aber ist nur eine andere, wenn auch dringliche, so doch legitime Manifestation politischer Macht, wie die Rechtsprechung oder der Strafvollzug.

Honni: (für sich) Je länger ichs bedenke, um so mehr erkenne ich, daß alles ziemlich gleich war, hüben wie drüben.

4. Abschnitt

Kohl: (halb im Traum) Mein Gott, Vogel! Was reden Sie da für ein Zeug zusammen!

Vogel: Auch ein Oppositionsführer muß sich einmal aussprechen dürfen.

Kohl: Wollen Sie mir mein liebes Oggersheim vertilgen?

Vogel: Was denken Sie nur?

Kohl: Was sollen die vielen Kisten?

Vogel: Du liebe Zeit!

Kohl: Wenn sie auch meine Frau nicht sieht, mir sind sie nicht verborgen.

Vogel: Muß ich mich jetzt auch noch dafür rechtfertigen, daß ich am ewigen unsterblichen Ruhm unseres Bundeskanzlers arbeite?

Kohl: Nichts als Ausflüchte!

Vogel: Nichts als Dokumente, historisch wichtige Dokumente, Herr Bundeskanzler. Hier, sehen Sie doch! (er öffnet eine Kiste) Dokumente und Akten, die die späteren Geschlechter brauchen, um die wahrhaft welthistorischen Taten auch nur einigermaßen in ihrer Größe und Tragweite zu ermessen. Hier, sehen Sie! Bücher mit Gedanken von Ihnen, Aufzeichnungen von Unterredungen von Ihnen, Geheimprotokolle mit Verträgen mit Ihnen, Aphorismen von Ihnen, Tagebüchern, Anweisungen... Sodann haben wir hier auch Kisten mit Gold und kostbarem Metall, mit Bündeln von Banknoten, mit Sparbüchern und Girokonten und Konten, mit Wechselpapieren und Inhaberschuldverschreibungen. Wenn die Welt auch an keinen Gott mehr glaubt, Herr Bundeskanzler, an das Geld glaubt sie noch immer.

Kohl: Aber da war doch auch von Sprengstoff die Rede. Und von Oggersheim?

Vogel: Nur für Ihre Neider, Herr Bundeskanzler. Die Neider von Oggersheim. Den Neidern wird es die neidische Leber zerreißen und die neidische Niere und das neidische Herz. Neider gibt es nämlich leider Gottes überall auf Gottes weiter Erde. Wer aber Ihre Größe erkannt hat, die nach der Veröffentlichung Ihres Zehnpunkteprogramms zur deutschen Wiedervereinigung kein Wohlgesinnter mehr übersehen kann, der wird sich mit Ihnen freuen, zumal wenn er daran denkt, was für einen herrlichen Platz Sie als Kanzler der deutschen Wiedervereinigung einnehmen.

Kohl: O Vogel, wenn nur wahr wäre, ich meine, wenn Sie nur daran glaubten, was Sie da sagen. Was wäre das für ein liebes, wahres und ehrliches Wort!

Vogel: Und ob ich glaube, Herr Bundeskanzler. Freilich, jeder Dienst ist eines kleinen Gegendienstes wert.

Kohl: Aha. Dacht ichs doch. Kommt jetzt die Kröte, die ich schlucken soll?

Vogel: Haben Sie schon mal den Ausdruck gehört, Herr Bundeskanzler, daß einem etwas auf den Nägeln brennt? Nicht? Nun, dann will ich Ihnen verraten, was es damit auf sich hat. Auch ein Bundeskanzler darf ja einmal sein Wissen ein wenig erweitern. Wenn da im Mittelalter einer etwas ganz besonderes zu tun hatte, wozu er Licht brauchte, zumal, wenn es ihn auch noch die Nacht über beschäftigte, und Kerzen waren rar und teuer und mußten möglichst lang ausreichen, so ließ er sich einen Fingernagel wachsen, auf den er dann eine brennende Kerze aufstecken und das Papier unter der Schreibhand beleuchten konnte.

Kohl: Was wollen Sie mir damit bedeuten?

Vogel: Daß mir nichts näher liegt, als daß es Ihnen wohlergehe und Sie lange leben auf Erden. Deshalb arbeite ich Tag und Nacht. Schauen Sie doch die Kerze, die mir auf den Nägeln brennt.

Kohl: Das ist nicht alles. Sie sprachen von einer Gegenleistung.

Vogel: Ich komme gleich darauf zu sprechen. Lassen Sie mich zuuerst noch etwas ganz Allgemeines sagen.

Kohl: Wenns nur nichts Gemeines ist.

Vogel: Auch heute, wo die letzten Zeitzeugen des dritten Reichs hochbetagt unter uns leben, gibt es noch immer einige, die felsenfest davon überzeugt sind, daß unser guter braver Führer Adolf Hitler nichts von den Machenschaften und Verbrechen gewußt hat, die sich damals abgespielt haben. Der Deutsche, das wissen Sie ja als guter Historiker, der Deutsche war nie etwas anderes seiner Natur nach als ein Leibeigener und Höriger, der nur zufrieden mit sich sein zu dürfen glaubte, wenn er Befehle zu empfangen und blindlings auszuführen hatte. Ehrfurchtsvoll zu den Mitren wie zu den Kronen, zu den Altären ebenso wie zu den Thronen aufzuschauen, war ihm das tiefste Bedürfnis. Dort droben, nein dort droben, wo gleichsam der Himmel in unsere irdische Welt hereinragte, dort konnte unmöglich etwas Verbrecherisches geschehen. Und schließlich entläßt ja auch bei uns heute ein Ministerpräsident aus eben demselben Axiom seinen Minister, wenn da irgend etwas auffliegt, was er, der Ministerpräsident, in seiner Regierung nicht sauber in Gang gebracht hat.

Kohl: Was geht das mich an?

Vogel: Viel, Herr Bundeskanzler. Hier ist nämlich ein politisch Verfolgter.

Kohl: Was erzählen Sie diese Geschichten? Brennt Ihnen das auf den Nägeln, daß Sie mir ein Licht aufstecken wollen, das mich verwirrt?

Vogel: Er ist in Ungnade gefallen. Der Volkswut gnadenlos ausgeliefert. Vaterlandslos und vogelfrei. Trotz all seiner Verdienste um die Deutsche Demokratische Republik. Er bittet um politisches Asyl.

Kohl: Ist das der Gepäckträger dort?

Vogel: Gesetzt, Herr Bundeskanzler, Sie wären der Parteisekretär und Staatsratsvorsitzende Erich Honegger und ich wäre der Herr Bundeskanzler Helmut Kohl.

Kohl: Was für eine Idee, was für eine Prämisse! Selbst im tiefsten aller meiner Schlafe bin und bleibe ich der Bundeskanzler Helmut Kohl.

Vogel: Stellen Sie sich vor, Sie seien der ehemalige Parteisekretär und Staatsratsvorsitzenden der deutschen demokratischen Republik, und ich wäre der Bundeskanzler. Und Sie kämen zu mir, um bei mir um Gnade nachzusuchen?

Kohl: Was für ein Unfug. Selbst wenn mich ein Tiefschlaf überfiele mit unwiderstehlicher Gewalt, so könnt ich nie vergessen, daß ich der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, ja der Kanzler von ganz Deutschland bin.

Vogel: Immerhin könnte auch ich der Kanzler der Bundesrepublik sein.

Kohl: Die Vorstellung ehrt Sie. Ich aber sage Ihnen: Nur was ist, ist. Und daß Sie der Kanzler sind, ist nicht.

Vogel: Und wenn der Parteisekretär und Staatsratsvorsitzenden der deutschen demokratischen Republik, Erich Honegger, zu Ihnen kommt und Sie um Asyl bittet?

Kohl: Zum Teufel! Was habe ich mit dem Parteisekretär und Staatsratsvorsitzenden der deutschen demokratischen Republik, Erich Honegger zu tun?

Vogel: Er ist über die Grenze geflohen, d.h. genauer unter dem Stacheldrahtzaun hindurch.

Kohl: Das ist kein Kunststück mehr, wo ich dafür gesorgt habe, daß keine Hochspannung mehr anliegt, und daß kein Stacheldraht auch nur mehr noch eine einzige Stachel aufweist. Wen haben Sie da zu mir gebracht? Ist das der Erich Honegger?

5. Abschnitt

Honni: Mag sein, daß ich früher einmal so hieß.

Kohl: Und Sie wagen es, zu mir zu kommen und mich um politisches Asyl zu ersuchen? Ausgerechnet mich, Ihren schlimmsten und erbittertsten Feind?

Honni: Was mich betrifft, so brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Es gibt nichts Friedliebenderes unter der Sonne als mich.

Kohl: Seit Ihrer Entmachtung vielleicht. Früher war das noch anders.

Honni: Auch früher hab ich nichts Böses getan. Ich habe auf nichts und auf niemanden geschossen.

Kohl: Aber schießen lassen.

Honni: Ich hab nie schießen lassen. Das waren die Leute des Staatssicherheitsdienstes.

Kohl: Jedenfalls wußten Sie davon.

Honni: Wenn jemand davon wußte, so war es vielleicht der Genosse Egon Krenz.

Kohl: Jetzt wollen Sie nichts mehr davon wissen, das versteh ich.

Vogel (einflüsternd) Sagen Sie: Sie waren mir nie Freund, Herr Kohl. Das weiß ich ganz genau.

Honni: Sie waren mir nie Freund, Herr Kohl. Das weiß ich ganz genau.

Vogel: Darum dachte ich mir. Wenn es auf der weiten Welt noch einen gibt, der dir hilft, so geh zu deinem besten Feind und wirf dich ihm zu Füßen.

Honni: Darum dachte ich mir. Wenn es auf der weiten Welt noch einen gibt, der dir hilft, so geh zu deinem besten Feind und wirf dich ihm zu Füßen.

Kohl: Lassen Sie das Vorsagen, Vogel. Wir sind nicht in der Schule. Wenn der Herr Honegger mir was zu sagen hat, soll er es sagen. Wenn nicht, soll er den Mund halten.

Vogel: Wie Sie es wünschen.

Kohl: Herr Honegger, denn der sind sie ja doch, was sagen Sie zu meinem 10punkteprogramm zur Wiedervereinigung?

Honni: (zu Vogel) Nichts Widerlicheres gibt es unter der Sonne.

Kohl: Wie?

Vogel: Er sagte, er könne Ihnen nur seine allergrößte Hochachtung entgegenbringen.

Honni: Ich kann Ihnen da wirklich nur meine allergrößte Hochachtung entgegenbringen.

Kohl: Und weiter hätten Sie nichts zu sagen?

Honni: (zu Vogel) Nichts hat mich so gewurmt, nichts mir einen solchen Gallenschaden zugefügt, nichts mich so ruiniert wie dieses gottlose Programm.

Kohl: Was sagten Sie?

Vogel: Eine derart kühne Tat ist in der Geschichte wirklich einmalig.

Honni: Eine derart kühne Tat ist in der Geschichte der beiden deutschen Staaten wirklich einmalig.

Kohl: Was heißt in der Geschichte der beiden deutschen Staaten?

Honni: Die BRD ist allerdings als Sieger aus dem Kampf hervorgegangen.

Kohl: Ich werde dafür sorgen, daß es bald nur noch das eine deutsche Vaterland gibt.

Honni: Das werden Sie auch schaffen. Seit ich nicht mehr drüben bin, geht dort ohnedies alles drunter und drüber.

Kohl: Was wissen Sie sonst noch zu meinem 10punkteprogramm zur Wiedervereinigung? Was an Würdigung, was an Erinnerungswertem, was Schmeichelhaftem?

Honni: (zu Vogel) Das einzige, was mich tröstet, das ist, daß man dieses Programm meiner Schande schon bald wieder vergessen hat.

Kohl: Was sagten Sie? Sprechen Sie zu mir und nicht zum Vogel, wenn Sie mir etwas zu sagen haben.

Honni: Die Geschichte ist eben dabei, in den schönsten goldenen Lettern die Würdigung zu schreiben. Selbst Adenauer konnte von solch einer Tat nur träumen. Und ich stehe nicht an, zu sagen, daß heute kein Staatsmann zu finden ist, nicht einmal der Herr Mitterand aus Frankreich, der mit solch einer Kühnheit auf sich aufmerksam gemacht hätte. Zu eben dem Zeitpunkt, wo niemand es für möglich gehalten hätte, haben Sie Ihr Zehnpunkteprogramm vorgelegt und damit nicht nur ein neues Kapitel in der Geschichte eröffnet. Wirklich, Sie haben da ganz neue Maßstäbe ins geschichtliche Bewußtsein gebracht.

Kohl: Ich hätte Ihnen nie solch eine exakte und objektive, aller Schmeichelei ferne Würdigung zugetraut.

Honni: Darf ich mich nun in meiner Bitte um Asyl bestätigt sehen?

Vogel: Darf sich der Herr Honegger nun in seiner Bitte um Asyl bestätigt sehen?

Kohl: Warum hat er das nicht früher gesagt? Als Sie noch in Amt und Ehren waren. Warum haben Sie damals stets so hartnäckg auf dem eigenständigen Kurs der DDR bestanden?

Vogel: Er lebte als Honegger unter der Aufsicht des Staatsratsvorsitzenden Honegger, also gleichsam unter eigener Aufsicht. Er hatte also nicht nötig, sich zu bespitzeln oder gar zu verdächtigen oder einen Prozeß gegen sich in Gang zu bringen.

Kohl: Schade.

Honni: Es soll Sie nicht gereuen, wenn Sie mir erlauben, Ihnen noch etwas Gutes zu tun. Eine wenn auch kleine, so doch sehr großzügige Spende.

Vogel: (zu Honni, einflüsternd) Es handelt sich um viel Geld, Geld in der Schweiz, an das außer mir keine Menschenseele kommt.

Honni: Es handelt sich um viel Geld, Geld in der Schweiz, an das außer mir keine Menschenseele kommt. Ich bin mir sicher, daß Sie es einem guten Zweck zukommen lassen. Wenn Sie es aber nicht wollen, so ist das Ihr Pech. Denn da ich ohnedies in die Hölle reise, so reisen Sie eben mit. Wir haben da zwei wunderschöne kleine Pakete hingestellt. Man muß nur daran rühren, dann geht nicht nur dieses Haus, dann geht Oggersheim, ja dann geht die schöne Bundesrepublik Deutschland mitsamt Ihrem Kanzler zum Teufel. Ich zähle auf 11. Für jeden Punkt des Zehnpunkteprogramms einen Schlag und die elf für das politische Asyl. Wenn Sie sich bis dahin nicht entschieden haben, dann gute Nacht.

Kohl: Meine Herren, das ist eine Versuchung, eine tolldreiste, eine infame Versuchung, nichts weiter.

6. Abschnitt

(Von Honni und Vogel ist nichts mehr zu sehen. Man hört nur hin und wieder einen dumpfen Schlag auf eine unsichtbare Trommel)

Hannelore: Aber Helmut, was treibst du dich herum? Schlaf lieber.

Kohl: Jetzt schlafen. Bald werden wir genug Zeit haben zu schlafen. Da (ein Schlag) Hast du nicht gehört?

Hannelore: Ich weiß nicht, was du hast.

Kohl: Sämtliche Türen sind verschlossen. Der Telefonanschluß gekappt und dann diese Kisten da!

Hannelore: Hat dich wieder einmal der Alptraumvogel gestört? Oder dein Zehnpunkteprogramm? Oder hat dich die eigene Größe erschreckt? Oder sind es die Geschichten mit den Parteienspenden und mit dem Vorwurf der Steuerhinterziehung? Das geht aber doch dich nichts an, nur den Lambsdorff.

Kohl: Da drüben sitzen sie.

Hannelore: Wer denn? Und wo ist drüben?

Kohl: Auch wenn du sie nicht siehst, wirst du mit ihnen zur Hölle reisen. (ein Schlag) Schon wieder dieses dumpfe Signal. Das ist schon der siebte Schlag.

Hannelore: Ich fürchte, du wirst noch wahnsinnig.

kohl: Kein großer Mensch hat jemals ohne einen Schuß Wahnsinn

gelebt. Zumal auf den großen politischen Kopf trifft das zu. Das hat jedenfalls der Schäuble gesagt.

Hannelore: Wenn dir der Schäuble nur nicht immer solche Flausen in den Kopf setzte.

Kohl: Der Schäuble hats vom Seneca.

Hannelore: Dann verbiete dem Schäuble den Umgang mit dem Seneca. Oder du sagst ihm, daß du ihn als Kanzlernachfolger fallen läßt.

(wieder ein Schlag)

Kohl: Noch drei Mal hörst du es schlagen.

Hannelore: Und dann?

Kohl: Dann nie mehr.

8. Schauspiel: Auf nach Brüssel

1. Abschnitt

(Kohls Schlafzimmer. Nachts. Es schlägt Mitternacht.)

Kohl: Hannelore?

Hannelore: Was ist?

Kohl: Warum schläfst du nicht?

Hannelore: Du schläfst ja auch nicht.

Kohl: Aber das ist doch etwas ganz anderes. Es ist jetzt Mitternacht und du schläfst noch immer nicht.

Hannelore: Wir haben die Uhr um 5 Minuten vorgestellt, weil wir immer noch 5 Minuten mehr Zeit haben, als wir zu haben glauben.

Kohl: Wirst du es fassen, wenn ich dir etwas Vertrauliches sage?

Hannelore: Wie du sprichst?

Kohl: Es ist wirklich enorm wichtig.

Hannelore: Heraus mit der Sprache, wenn du mir etwas zu gestehen hast.

Kohl: Glaube mir: Ehe der Weizäcker Bundespräsident ist, bin ich Bundeskanzler von ganz Deutschland.

Hannelore: Du liebe Zeit! Was geht uns der Weizäcker an? Überhaupt ist der doch schon Bundespräsident.

Kohl: Es betrübt mich, wenn alle Welt glaubt, ihm hätten wir die bevorstehende Wiedervereinigung zu verdanken.

Hannelore: Mag er sich Ruhm und Ehre einheimsen. Ja mag er selbst glauben, er habe das Werk der Wiedervereinigung besorgt, was geht es uns an? Gönnen wir ihm den Triumph. Begnügen wir uns damit, daß wir es besser wissen. Überhaupt finde ich, daß du in der letzten Zeit die Möglichkeiten deiner Politik bei weitem überschätzest.

Kohl: Manchmal muß man auch für die historische Wahrheit kämpfen.

Hannlore: Das ist ein dunkler Weg, auf dem man sich leicht verirrt.

Kohl: (ans Fenster tretend, während von der Kirche von Oggersheim die Glocke 12 Uhr schlägt) Ein dunkler Weg?

Hannelore: Laß das die Historiker besorgen, die nach uns kommen.

Kohl: Da drunten kommt wer.

Hannelore: Es kommt niemand.

Kohl: Ich sehe es doch genau. Zielstrebig geht er auf unser Haus zu. Jetzt hat er unser Haus erreicht. Er steht vor dem Haus. Er schaut das Spalier hinauf bis zu unserem Fenster. Jetzt prüft er die Türe, er zieht einen Schlüssel hervor, versucht, ihn ins Schloß zu stecken. Jawohl, jetzt ist es ihm gelungen, jetzt hat er aufgeschlossen. Noch einmal schaut er sich um, ob ihn auch niemand sieht. Jetzt tritt er ins Haus. Hörst du nicht, wie er durchs Treppenhaus stapft?

Hannelore: Ruf die Polizei an! Sie soll sofort kommen!

Kohl: Das ist zu spät.

Hannelore: Ist dir einerlei, ob man mich ermordet?

Kohl: Niemand wird dich ermorden. Es ist der Vogel. Er kommt, mich abzuholen.

Hannelore: Wer kommt, dich abzuholen? Von wem redest du?

Kohl: Vom Oppositionsführer, Jochen Vogel.

Hannelore: Das fehlt noch, daß du die Hausschlüssel im Bundestag liegen läßt. Und dann kommt die Opposition und läßt die Schlüssel kopieren, um nachts bei uns einzubrechen. Wußtest du davon? Warum hast du mir nichts davon gesagt?

Kohl: Ich dachte, während du schläfst, machen wir die Sache ab. Und wenn du wiedererwachst, ist alles getan.

Hannelore: Als ob der Tag nicht lang genug wäre. Am Tag gibt es keinen dunklen Weg und da kann man auch nicht stolpern oder sich verirren.

Kohl: Vergiß nicht, daß wir kurz vor der Wiedervereinigung stehen. Da gilt es vorzudenken und vorzubereiten. Ein kleines Versäumnis genügte da schon, und wir hätten für immer verloren. Und wenn dann unsere Kinder und Kindeskinder im Geschichtsbuch lesen würden: leider hat es der Bundeskanzler Kohl seinerzeit versäumt, den entscheidenden Schritt zu tun. Es fehlte ihm Mut. Vielleicht aber war er auch nur zu bequem, daß er der Nachtruhe den Vorzug gab vor der nächtlichen Arbeit.

Hannelore: Daß du dich nur nicht täuschst und der Vogel hilft dem Heer deiner Gegner.

Kohl: Immerhin könnte auch er jetzt zuhaus im Bett liegen und träumen.

Hannelore: Du sprichst, als ob es ausgemacht wäre, daß er kommt, dir zu helfen. Im Zweifelsfall hilft er Herrn Weizäcker, nicht dir.

Kohl: Du säst Mißtrauen.

Hannelore: Weil du leichtgläubig bist. Wenn die Opposition den Vogel schickt, dich ins Dunkel und in die Versuchung zu führen, was dann? Dann kannst du dir deinen Ehrentitel Vater des deutschen Vaterlandes an den Hut stecken.

2. Abschnitt

Vogel: (leise eintretend) Herr Bundeskanzler?

Kohl: (während Vogel leise eintritt) Sind Sie es, Vogel?

Vogel: Ich bins, Herr Bundeskanzler. Schläft Ihre Frau?

Kohl: Bedauere sehr.

Hannelore: Was will denn der Vogel schon wieder bei uns? (zu Kohl) Wärst du nicht ans Fenster gegangen, dann wär der Vogel nicht gekommen.

Vogel: Gnädige Frau! Der Gipfel von Malta ist vorbei. Herr Gorbatschov und Herr Busch sind sich soweit einig. Die deutsche Frage existiert nicht mehr. Nun muß nur noch Ihr Mann nach Brüssel, damit ihm Herr Busch sagen kann, was des weiteren zu tun ist.

Hannelore: Das kann er ihm auch morgen noch sagen. Oder noch besser, wenn er es ihm telephonisch mitteilt. (zu Kohl) Sag ihm, daß du frühestens morgen früh weg kannst.

Kohl: Wie soll ich ihm das sagen? Versprochen ist versprochen. (er geht, sich umzukleiden)

Hannelore: Cunctator.

Vogel: Alle großen Männer, gnädige Frau, sind Dunkelgänger.

Hannelore: Mein Mann ist kein großer Mann und er hat auch noch nie ein großer Mann sein wollen.

Kohl: (aus dem Hintergrund) Das ist nicht wahr. Glauben Sie nur das nicht, Herr Vogel.

Hannelore: Helmut, ich beschwöre dich, bleib da!

Kohl: Ich kann nicht.

Hannelore: Nun sagen Sie mir: Geht man so mit seiner Frau um, Herr Vogel?

Vogel: Der Dienst am Vaterland ist unaufschiebbar, zumal nach dem 10punkteprogramm.

Hannelore: Und wenn es 1000 Punkte wären!

Vogel: Ihr Mann hat sich dafür entschieden, ein Held der Geschichte zu werden. Deutschland ruft ihn.

Hannelore: Deutschland? Wenn ich Deutschland höre, sehe ich Fußballnarren, die "Deutschland" skandieren. Oder ich höre die Eichelhäher schreien, denen Gekrächz mich an "Deutschland" erinnert.

Vogel: Aber gnädige Frau, Sie werden doch nicht die Politik Ihres Mannes sabotiern.

Hannelore: Haben Sie noch nie gehört, wie sie schreien: "Deutschland! Deutschland!"

VogeL: Haben Sie schon einmal über Politik nachgedacht, gnädige Frau?

Hannelore: Nicht nur einmal.

Vogel: Die Politik, verehrte gnädige Frau, ist das Großartigste, woran sich ein Mensch wagen kann.

Hannelore: Wenn es gilt, ein Interview zu geben oder eine gymnasiale Festrede zu halten in der Stunde der Aula, dann vielleicht. Hätten Sie aber ein historisches Verständnis, Herr Vogel, dann wüßten sie, was Politik und Politiker bis jetzt angerichtet und ausgerichtet haben.

Vogel: Sie werden Ihrem Mann nicht verdenken, daß er an das Gute glaubt, das durch ihn in Gang kommt.

Hannelore: Was nützt uns der schönste Glaube, wenn er keine Berge versetzt?

Vogel: Der wirkliche Fortgang der Menschheitsgeschichte ist eine Konsequenz humaner Politik. Sie versetzt Berge.

Hannelore: Ganz recht. Sofern es einen Fortschritt in der Menschheitsgeschichte gibt. Da es aber keinen gibt, gibt es auch keine humane Politik gibt.

Vogel: Man kann auch anders darüber denken.

Hannelore: Wie ein guter Arzt seinem Patienten sagt, was er tun muß und was er unterlassen soll, so könnte zwar auch ein guter Politiker jedem einzelnen Rat erteilen. Doch das wäre unendlich mühsam, und dann vor allem auch noch unendlich frustrierend. Denn wie sehr sich auch einer nach einem guten Rat zu sehnen scheint, was der Mensch braucht, ist kein Rat, sondern ein Befehl. Man muß ihn zum Guten zwingen. Man muß ihm sagen: dies mußt du tun, wenn du dir nicht böse Konsequenzen einhandeln willst. Die Masse will nichts davon wissen, zur Einsicht erzogen zu werden. In den Zeiten des Wohlstandes verlangt sie nach immer noch größeren Leckereien und Spielen. Und in den Zeiten der Not, das ist die traurige Einsicht, wird ihr nur durch Tyrannei und Krieg geholfen. Was aber die Politik und die Politiker angeht, so sind sie, ehe sie ihre Idee vom Guten entfalten, durch die Macht korrumpiert. Oder sehen wir nicht, wie wenig sie seit alters in der Lage sind, ihr Tun zu rechtfertigen und zu verantworten? Statt dessen begnügt man sich damit, neue Fakten an Stelle der alten zu setzen, komme und werde daraus, was da wolle.

Vogel: Gerne werde ich mich, sobald sich die Gelegenheit dazu ergibt, auf ein Tässchen Tee bei Ihnen einfinden, um mich mit Ihnen darüber zu unterhalten. Jetzt aber muß ich mich mit dem Herrn Bundeskanzler auf den Weg machen! Keine Sekunde mehr haben wir zu verlieren! Gnädige Frau, es ist Zeit, wir müsen gehen.

Kohl: Du siehst Liebling, ich muß gehen, es bleibt mir nichts erspart.

Hannelore: Du gehst nicht. Du bleibst.

Vogel: Er muß, gnädige Frau.

Hannelore: Er muß? (für sich, den beiden Männern nachschauend) Weshalb muß er? Wer befiehlt ihm und wem hat er zu gehorchen?

3. Abschnitt

(Unterwegs)

Kohl: Sie laufen ja drein, Vogel, als hätten Sie Angst, meine Frau würde uns nachsetzen!

Vogel: Muß ich nicht meinem Namen Ehre machen? Wenn ich gehe fliege ich, und wenn ich fliege, bin ich schon fast stets am Ziel.

Kohl: Und doch muß ich mich wundern, Vogel, daß Sie es sind, der jetzt so vorandrängt. Die meisten Ihrer Parteifreunde halten es da ganz anders. Geben Sie zu, Sie führen etwas im Schild.

Vogel: Als Oppositionsführer, Herr Bundeskanzler, bin ich verpflichtet, Ihnen zu einer guten Politik zu verhelfen. Schauen Sie nur, wie große Schritte ich mache. Ehe der andere Fuß die Erde wieder berührt, bin ich über 10 m weit gekommen. Sehen Sie nur! Dabei streng ich mich überhaupt nicht an. Mir ist, als hätte die Schwerkraft keine Gewalt mehr über mich. Aber so ist das eben. Wenn man einmal in Fahrt ist, gelingt einem alles. Schauen Sie! Ist das nicht phänomenal? Da könnt ich beim Weitsprung glatt Olympiasieger werden. Meinen Weltrekord würde nie jemand brechen, bis zum jüngsten Tag nicht.

Kohl: Und warum kann ich das nicht? Warum muß ich immer drei vier fünf oder gar sechs Schritte tun, während Ihre Füße frei durch die Luft fliegen? Warten Sie!

Vogel: Es fehlt Ihnen doch nicht an Selbstvertrauen? Strengen Sie sich an. Große lange Schritte sind übrigens auch gut, wenn man einmal einen gelegentlich einen Abgrund übersieht. Sobald man das bemerkt, macht man sich dann einfach ganz lang, so lang, wie es nur geht und fliegt darüber weg, bis man wieder festen Boden unter den Füßen hat. Oder plötzlich merkt man, daß man sich in einen urwald verirrt hat. Weit und breit kein Herauskommen. Wie gut, wenn man sich da mit einem kleinen Abdruck von der Erde über die Wipfel der gigantischen Wälder erhebt und dahinfliegt! Oder wenn man verfolgt wird und ein reißender Fluß verhindert das Weiterkommen. Wie angenehm, das Hindernis einfach zu überfliegen!

Kohl: Das ist schwarze Magie.

Vogel: Das ist Politk, Herr Bundeskanzler, wenn man sich nur darauf versteht. Ihre Frau hatte da aber gar nicht so Unrecht mit ihrer Ansicht von der Politik. Für viele ist sie nämlich eher eine böse Versuchung. Wenn diese Leute dann nicht weiterwissen, beginnen sie zu fragen und zu klügeln. Dann erfinden sie einen Weltgeist, der uns beruft, oder sie postulieren eine Entelechie, deren vollendete Gestalt wir zwar noch nicht kennen, die sich aber durch unsere Arbeit hindurch offenbart.

Kohl: Was haben Sie gegen einen Weltgeist? Wenn er mich beschützt, bin ich mit ihm zufrieden.

Vogel: Ich finde das Bild vom Weltgeist nicht sonderlich glücklich, und zwar, weil es die Vorstellung von Aufgaben suggeriert, die sich dieser Weltgeist ausgedacht hat und die eben so, wie er sie sich ausgedacht hat, wahrgenommen werden müßten. Nun gibt es aber Aufgabenkreise, die so aber auch anders bearbeitet werden können, und es gibt Männer die nach einer großen Aufgabe verlangen. Was dabei herauskommt, steht von vornherein keineswegs fest. Es scheint sogar so, daß dort, wo Männer nach einer großen Aufgabe verlangen und wo große Aufgaben anstehen, die großen Männer sich meist nicht der Aufgabe, sondern die Aufgabe sich zu unterstellen suchen. Je größer der Mann, um so größer sein Hang zum Höhenflug, um so größer die Gefahr der Hybris und der Gotteslästerung. Doch vermutlich sind das total falsche Worte. Nur dem kleinen Mann erscheint als Hybris und Gotteslästerung, was dem großen als wahre und mutige Politik erscheint. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen mal ein bemerkenswertes Buch mitbringen über das Weltbild des Naramsin. Schon damals, vor 4000 Jahren, gab es das Problem.

Kohl: (bleibt stehen) Was mich angeht, so wüßte ich nicht, was für einen Unterschied es machen sollte, ob ich mich der Aufgabe unseres deutschen Vaterlandes unterstelle oder ob ich die Aufgabe als mir unterstellt begreife.

Vogel: Fest steht, daß es eine Aufgabe gibt, die Sie anzieht. Und freilich liegt auch schon ein Name für diese Aufgabe bereit. Doch was bleiben Sie stehen? Wir müssenuns beeilen. der Weg ist noch weit.

Kohl: Ich kann nicht so schnell. (zurückschauend) Mir ist, als ob uns jemand verfolgte.

Vogel: Wer soll uns verfolgen, hier, tief in der Nacht?

Kohl: Die Gestapo Hitlers, oder Göbbels oder sonst welche Schergen des Dunkels.

Vogel: (mit der Lampe zurückleuchtend) Da ist niemand.

Kohl: Dort! Schauen Sie doch nur. Da bewegt sich etwas.

Vogel: Das ist nur Ihr unruhiges Gewissen oder Ihre Lunge, die rasselt.

Kohl: Zielen Sie mit der Lampe. Dahin!

Vogel: Das ist der Schatten Ihres Kopfes. Schauen Sie doch. Wenn Sie den Kopf dahin bewegen, geht auch der Schatten dahin. Und wenn Sie ihn auf die andere Seite bewegen, bewegt sich auch der Schatten auf die andere Seite. Sonst, so könnte man leicht schließen, gäbe es die Bevorzugung einer Seite, was zwar nicht ausgeschlossen ist, was aber doch eine seltsame Unsymmetrie in die Welt brächte.

Kohl: Lassen Sie uns eine Probe machen!

Vogel: Nun gut. Schauen Sie!

Kohl: Ha, was ist das?

Vogel: Ihr Schatten ist auf einen Baumstamm gefallen. Sind Sie jetzt zufrieden? Nun also, kommen Sie! Alles wartet auf uns. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Sehen Sie nur, wie ich es mache. So große weitausholende Schritte müssen Sie machen. Dann sind wir in Windeseile in Brüssel.

Kohl: Ich fürchte, auch am Ziel werde ich das Dunkel nicht los. Es umhüllt mich.

Vogel: Was für ein Defätismus. Herr Bundeskanzler, ich darf doch bitten.

Kohl: Wir müßten bessere und hellere Lampen haben, um das Dunkel beiseite zu schaffen.

Vogel: Keiner schafft das Dunkel beiseite.

Kohl: Das Dunkel schafft uns beiseite? Nicht wahr, das ist die Wahrheit.

Vogel: Wenn wir nicht weiter wissen, in Stunden der Unsicherheit oder der Ungewißheit oder wenn uns eine Aporie vor das Auge tritt, überfällt uns leicht eine gewisse Beklemmung. Mitunter genügt da ein kleiner Spaziergang oder, wenn sich die Sache schwieriger ausnimmt, sind auch ein paar Tage Entspannung und Erholung nicht schlecht. Doch kann bei Ihnen, jetzt, davon die Rede sein? Vielleicht sollten Sie sich einmal zu einem Arzt begeben und sich untersuchen lassen.

Kohl: Überhaupt, warum sind wir zu Fuß gegangen? Das war doch abzusehen, daß wir es zu Fuß nach Brüssel nicht schaffen.

Vogel: Nur so wissen wir um jeden Schritt Bescheid und sind jederzeit in der Lage, Rechenschaft darüber abzulegen.

Kohl: Wie weit ist es noch?

Vogel: Mit jedem Meter kommen wir einen Meter näher. Aber auch jede Sekunde, einerlei, ob wir uns bewegen oder nicht, bringt uns eine Sekunde ans Ziel heran.

Kohl: Ich hätte nicht von zu Haus weggehen sollen.

Vogel: Wer sonst soll sich in die Welt hinaus wagen, wenn nicht der Politiker?

Kohl: Ich weiß nicht, worauf Sie hinaus wollen.

Vogel: Es gibt Leute, die arbeiten sich durchs Leben, als ob wunder was für eine Aufgabe auf sie wartete. Am Ende stellen sie dann fest, daß sie sich zwar abgemüht, aber doch nicht zu einer großen Aufgabe qualifiziert haben, entweder weil es keine große Aufgabe gegeben hat, oder weil sie zu klein waren dafür.

Kohl: Haben Sie mich deshalb mitten in der Nacht geweckt, um mir das zu sagen? Oder bezweifeln Sie, daß ich die Wiedervereinigung schaffe und daß sie zum Guten dient?

Vogel: Die Richtung muß stimmen.

Kohl: Unsere Landsleute aus den Klauen des SED regimes zu befreien ist ja wohl ein Schritt in der richtigen Richtung.

Vogel: Was immer wir tun, je bedeutender die Aufgabe ist, um so schwieriger wird es, die Richtung exakt zu bestimmen.

4. Abschnitt

(Ein Wirtshaus, Schild "Zum Brüssel")

Vogel: Was ist denn nun schon wieder? Stehen Sie vor einem Abgrund?

Kohl: Da ist etwas. Ich höre etwas. Geben Sie zu, auch Sie hören etwas, Vogel. Da! Das klingt wie Klänge eines Trauermarschs. - Leuchten sie dahin!

Vogel: Soll ich einen Trauermarsch aufleuchten lassen?

Kohl: Was ist das?

Vogel: Ein Gasthaus, wie mir scheint.

Kohl: Was lesen Sie da?

Vogel: Gasthaus zum Brüssel?

Kohl: Und was soll uns das bedeuten?

Vogel: Ein Gasthaus, das sich "zum Brüssel" nennt.

Kohl: Und was ist ein Brüssel? Vielleicht ein Keiler, ein wilder Eber, einer mit einem Rüssel und festen Stoßzähnen.

Vogel: Wozu müssen wir das wissen? Muß ein Politiker alles wissen? Genügt nicht, wenn wir am Ziel sind?

Kohl: Es würde wohl genügen, wenn wir am Ziel wären.

Vogel: Wenn man nur große Politik macht, da spielt die Lokalität nur eine höchst untergeordnete Rolle.

Kohl: Hat dieses Gasthaus etwas mit uns, mit der Weltpolitik, mit der Wiedervereinigung Deutschlands zu tun?

Vogel: Wie soll ich die Frage beantworten? Das kommt einzig und allein darauf an, was Sie daraus machen.

Kohl: Ich glaub an Gott und nicht an jene Sterne.

Vogel: Entschuldigen Sie, Herr Bundeskanzler, ist das nicht etwas geschmacklos, wie Sie mit Ihrem Oppositionsführer umzugehen belieben? Sie können nicht mehr und dann zaubere ich Brüssel herbei, und dann fragen Sie mich noch, als hätt ich etwas Häßliches getan und müßte mich entschuldigen.

Wirt (in den Eingang tretend): Na endlich, meine Herren, endlich sind Sie da! Kommen Sie. Beeilen Sie sich! Folgen Sie mir! Wir haben schon lange auf Sie gewartet. (ab ins Haus)

Vogel: Folgen wir?

Kohl: Solange ich nicht weiß, wer das ist? Niemals. Daß ich hier, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, in eine Falle tappe? Habe ich deshalb meine Frau zuhause gelassen und mich auf den Weg gemacht? Sagen Sie ihm, daß wir ihm nicht folgen!

Vogel: Soll ich ihm folgen, um ihm zu sagen, daß ich ihm nicht folge? Wäre das nicht kurios?

Kohl: Mag auch die Wirtschaft ins Reich der Zauberstücke gehören oder zur Bühne des Kasperletheaters, auf keinen Fall gehört sie zur großen Politik.

Vogel: Konträr, Herr Bundeskanzler. Ich sagte Ihnen doch schon, daß ein Spitzenpolitiker sich dadurch auszeichnet, daß er geradezu auf jedem Flecken Erde und an jedem Ort die erstaunlichste Politik zu machen vermag. Und was die Zauberstücke und das Kasperletheater angeht: sagen Soe doch selbst: ist der Mensch jemals etwas anderes gewesen als ein Teilnehmer an einem Zauberstück oder an einem Kasperletheater?

Kohl: Wir müssen nach Brüssel.

Vogel: Hier, wenn überhaupt irgendwo, ist Brüssel.

Kohl: Mag auch der Berg zum Propheten kommen...

Vogel: Schauen Sie doch! (er leuchtet an verschiedene Fenster, wo man je eine Person stehen sieht)

Kohl: Ah Vogel, jetzt versteh ich. Sie wollen mir einen Bären aufbinden. Ist ein Brüssel ein spezieller Bär, den man einem anderen aufbindet?

Vogel: Sie müssen sich die Leute genau anschauen, Herr Bundeskanzler.

Kohl: Ist das nicht unverschämt? In fremde Häuser zu gucken?

Vogel: Diese Leute schauen auf Sie, als wären Sie ein Räuber.

Kohl: Es wäre nicht das erste Mal, daß sich der Mensch im Menschen täuscht. Es ist nacht. Und die Leute sind besorgt. Sie haben Angst.

Vogel: Schauen Sie doch! Kennen Sie den Herrn nicht wieder, der dort am Fenster neben der Haustüre steht?

Kohl: Ich verlange ein ehrliches Spiel von Ihnen, Herr Vogel.

Vogel: Das ist der Italiener Andreotti!

Kohl: Andreotti oder eine Fiktion von ihm, eine Spukgestalt.

Vogel: Hören Sie nicht, was er sagt?

Kohl: Ich höre nichts, denn ich kann kein Italienisch.

Vogel: Italienisch kann man auch hören, wenn man die Sprache nicht versteht. Eine Sprache klingt manchmal sogar noch schöner, jedenfalls geheimnisvoll, wenn man nichts versteht. Da staunt man, wenn man einer Unterhaltung beiwohnt, was da alles zum Bereden ansteht. Doch ich will Ihnen übersetzen, was er sagt. Ich habe Angst vor einem Großdeutschland, sagt er. Das wäre das Letzte, was er für Italien brauchen könnte. Ihm genüge schon, was er mit den Südtirolern auszustehen habe.

Kohl: Man kann seine Angst verstehen. Doch was hat das mit der Wiedervereinigung Deutschlands zu tun?

Vogel: O, eine ganze Menge. Da könnten die Österreicher gar noch auf die Idee kommen, das Zipfelchen Land wieder für sich zu beanspruchen, indem sie sagen, Hitler hat es dem Mussolini gar nicht geschenkt, er hat es ihm nur geliehen. Aber das war ein Unrecht, wie alles, was der Hitler getan hat. Also gebt uns in Gottes Namen unser Land wieder zurück!

Kohl: Ich bekenne mich zu den Schlußakten von Helsinki.

Vogel: Sie müssen ihm klar machen, daß er vor keinem Andreas Hofer Angst zu haben braucht, geschweige denn vor einem Heer von Andreas Hofer, die wie eine Lawine auf Südtirol herabkommen. Sonst wird er gegen Ihr Vorhaben anzukämpfen, und zwar mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln.

Kohl: Schon Terenz sagt, daß es menschlicher ist, sich unwissend zu stellen, als mit Eifer auszuspähen, was in uns Haß erweckt.

Vogel: Und dort oben, das ist die Meggi Thatcher. Sie schimpft, daß man von nun an wieder wird aufpassen müssen, daß kein großdeutscher Traum in Deutschland erwacht. Daß Österreich zu Deutschland eingegliedert werde, das werde sie auf gar keinen Fall zulassen.

Kohl: Das steht doch schon in den Potsdamer Verträgen, wenn ich nicht irre.

Vogel: Außerdem meint sie, Deutschland sei kein echter Partner in der Nato, wenn Deutschland auf die Wiedervereinigung schiele. Schließlich gebe es da noch den Warschauer Pakt und das hochkomplexe Bündnissystem, das man nicht von heute auf morgen zerstören könne.

Kohl: Versuchen wir, auch sie zu begreifen. Doch ich bin sicher, einmal wird der Tag kommen, wo sie begreift, daß es gut war, das Vaterland aller Deutschen wieder zu errichten.

Vogel: Da hinten aber steht Ihr Freund Mitterand. Können Sie ihn sehen? Nicht wahr, man sieht ihm an, daß er etwas ärgerlich ist, daß er beim Gipfeltreffen auf Malta nicht eingeladen wurde. Er sagt, daß er erst noch nach Ostberlin reisen muß, nachzuforschen, ob man dort auch mit der Liquidation der DDR einverstanden ist, ehe Frankreich der Wiedervereinigung zustimmt. Wie man sich aber auch immer dort aussprechen mag, das Elsaß, sagt er, bleibt französisch.

Kohl: Elsaß ist ein Kernland Europas im Schutz Frankreichs. Und ich sage darüber hinaus: es lebe Frankreich, damit auch das Elsaß lebe.

Vogel: Können Sie ihm versprechen, daß keiner der Deutschen jemals mehr nach dem Elsaß die Hand ausstreckt, und sei es in tausend Jahren? Auch das würde ihn natürlich sehr erregen, wenn einer von den Deutschen sagte, Elsaß gehöre den Elsässern. Werden Sie ihm versprechen, ja garantieren, daß Elsaß ewig Frankreich gehört?

Kohl: Dafür schaffen wir ein Europa der Vaterländer. Groß und stark und brüderlich vereint.

Vogel: So recht zufrieden wäre er freilich erst dann, wenn Sie ihm versprechen könnten, daß man im Elsaß nie mehr ein Wort deutsch hört, auch nicht elsässisch.

Kohl: Sie übertreiben, ja Sie plagen und quälen mich, Vogel. Wenn Sie der redivivus wären, könnten Sie mich nicht schlimmer quälen. Ich bin ein friedliebender Europäer, kein Nationalist und schon gar kein Revanchist.

Wirt: (mit einer Lampe unter der Tür.) Wo sind Sie, Herr Kohl?

Vogel: Hören Sie? Man sucht Sie zum großen Bekenntnis.

Kohl: Gehen Sie, Vogel. Sprechen Sie in meinem Namen.

Vogel: Was haben Sie?

Kohl: Mir ist nicht wohl. Ich wollte, ich hätte etwas getan, was mir unerschütterliche Sicherheit verleihen könnte. Statt dessen bin ich traurig und niedergeschlagen.

Vogel: Jetzt, so kurz vor dem Ziel?

5. Abschnitt

(man sieht in kleinem Lichtkreis aus der Ferne Busch und Gorbatschov kommen.)

Kohl: (entgegeneilend) O Päsident Busch! Helfen Sie mir. Und auch Sie, Präsidet Gorbatschov, seien Sie mein Helfer, auch wenn ich Ihre Hilfe nicht verdient habe.

Busch: Aber Mister Kohl!

Gorbatschov: Herr Bundeskanzler! Was kommen Sie so keuchend daher? Und was schauen Sie so betroffen drein?

Busch: Geht es ihm nicht gut?

Kohl: Mir ist, als ob der Leibhaftige hinter mir wäre, als ob er mich daran hindern wollte, endlich den unseligen Kreis von Gewalt zu durchbrechen. Oder als ob mir die ganze unselige deutsche Politik auflauerte. Dabei will ich wirklich nur das Gute. (während er hinter sich schaut, sieht er plötzlich Weizäcker)

Weizäcker: Noch nie haben wir daran gezweifelt. Nur in der Wahl der Mittel irren Sie hin und wieder, Herr Bundeskanzler.

Kohl: (nach Worten ringend) Glauben Sie mir, Herr Busch! Glauben Sie mir Herr Gorbatschov!

Busch und Gorbatschov: Was hat er? Was will er uns sagen?

Weizäcker: Was wollten Sie den Präsidenten sagen?

Kohl: Gehen Sie, Weizäcker. Gehen Sie!

Weizäcker: (während Kohl weinend zusammenbricht) Immer wird Deutschland, so sagt der Bundeskanzler Helut Kohl, immer wird Deutschland treu an der Seite Amerikas stehen, und es wird auch die Verpflichtung nicht vergessen, die es den Völkern im Osten schuldet, allen voran Mütterchen Rußland und der russischen Erde, die er so elend zertreten.

9. Schauspiel: Patrioten

1. Abschnitt

(Zuhause. nachts. Kohl im Bett. Er hat etwas gehört und richtet sch auf.)

Kohl: Kommen Sie, treten Sie ein, Herr Vogel. Man kennt das ja. Auch wenn ich nicht auf Sie gewartet habe, mit Ihnen gerechnet habe ich schon.

Vogel: Wie einer aus einer ihm liebgewonnenen Gewohnheit auf etwas wartet, haben Sie so mit mir gerechnet? Oder nur aus Angst, wie man vor einem Einbrecher Angst hat? Oder war es aus Neid, weil sie fürchteten, der Neid lasse mich nicht einschlafen, während Sie dabei sind, zum Gipfel ewigen Ruhmes emporzusteigen?

Kohl: Gewiß, nach großen Erfolgen ist man leicht geneigt, sich ein wenig zu wichtig zu nehmen. Daß ich Ihnen aber Neid unterstellt hätte nach meinen großen Erfolgen, das glaube ich kaum.

Vogel: Dresden war für Sie immerhin ein großer Erfolg?

Kohl: Sie fragen mich aus pädagogischer Sorge? Überhaupt ist es mit dem ewigen Ruhm so eine Sache. Man träumt von ihm, bis man ihn hat und bis man erkennt, daß er nichts wert ist.

Vogel: Geben Sie zu, daß Sie niemand mehr auf der Welt fürchten, am wenigsten aber mich und die Opposition.

Kohl: Nach meinem Auftritt in Dresden weiß ich auf jeden Fall, daß mein Name unauslöschlich im Buch der Geschichte steht! Drum nur voran. Sagen Sie, was Ihnen an mir nicht gefällt!

Vogel: Herr Bundeskanzler, darf ich mit einer schlichten Frage beginnen?

Kohl: Mögen schlichte Gemüter nur immer mit schlichten Fragen beginnen! Aber auch wenn Sie mich für ein schlichtes Gemüt halten, dann ist es auch recht. Genieren Sie sich nicht.

Vogel: Wo glauben Sie im Augenblick zu sein?

Kohl: Was für eine Frage? Hier bin ich. Hier!

Vogel: Und wo ist hier?

Kohl: Soll ich raten, wo Sie überall nach mir gesucht haben? Oder was wollen Sie wissen?

Vogel: In Dresden sind Sie nicht mehr. Aber vielleicht in einem der unzählig vielen Hinterdresden?

Kohl: Sie wissen, daß ich nachts, wenn ich nicht gerade auswärts zu tun habe, in Oggersheim im Bett liege. Wollen Sie darauf hinaus? Als Kinder lassen wir uns von den Eltern, als angehende Politiker uns von unseren Lehreistern sagen, wo wir zuhause sind. Wenn ich über die Zukunft Deutschlands nachdenke, bin ich freilich in Gedanken oftmals bald da, bald dort. Dann versuche ich zu enträtseln, was wir zu tun haben, damit auch den auf uns folgenden Generationen eine Ortsbestimmung gelingt. Einigkeit und Recht und Freiheit, Herr Vogel, das sind die drei Orientierungskoordinaten, auf die kein Mensch jemals sollte verzichten müssen. Heute, das werden Sie verstehen, bin ich nicht in der Laune, mich in Trübseligkeiten zu baden.

Vogel: (am Fenster) Gesetzt, Sie begäben sich zu mir ans Fenster und schauten nach draußen! Was würden Sie sehen?

Kohl: Jedes Kind weiß, daß da drunten die Konrad-Adenauer-straße entlang führt. Ich selber habe der Straße den Namen gegeben. An deren Ende erhebt sich die Pfarrkirche Peter und Paul von Oggersheim. Von da aus, wo Sie stehen, sieht man auf die beiden Glockentürme. Ob Sie allerdings noch ein paar Spitzbuben einbestellt haben, die da drunten irgendwo warten, daß Sie ihnen einen Wink geben, das weiß ich nicht.

Vogel: Oggersheim liegt in der Pfalz? Und die Pfalz in Deutschland?

Kohl: Die Pfalz ist das Herzstück Deutschlands, so sagt schon der Name.

Vogel: Aber in welchem Deutschland liegt dieses Herzstück? Von welchem größeren Gebiet ist es das Herzstück? Von der Bundesrepublik Deutschland oder von den beiden deutschen Staaten oder von dem einen wiedervereinigten Deutschland oder von Europa?

Kohl: Machen Sie das mit sich aus, Herr Vogel. Selbst, wenn Sie zaubern könnten, und Sie hätten mir ein Denkmal vors Fenster gezaubert, erschaffen von Michelangelo, größer und herrlicher noch als die sieben Weltwunder zusammen, für mich, den Vater Deutschlands, ich wollte es jetzt nicht sehen.

Vogel: Nun gut. Machen wir eben etwas anderes.

Kohl: Was ist das, Herr Vogel? Was tun Sie da?

2. Abschnitt

(Im Freien.)

Vogel: Entschuldigen Sie, Herr Bundeskanzler, Sie sind immer noch hier, wenn sich auch das Hier ein wenig geändert hat. Aber nicht wahr, der große Mensch ist mutig und unerschrocken. Er ist überall zuhaus.

Kohl: (nach hinten schauend) Ist da nicht noch wer?

Vogel: Wer auch sollte noch da sein?

Kohl: Der Schatten des Vogels, der auf die Quelle fällt!

Vogel: Ach so! Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, Ihnen Genossen Lafontaine vorzustellen. Wie die Quelle oder wie der Fabeldichter.

Kohl: Man braucht mir den Lafontaine nicht vorzustellen. Ich kenn ihn.

Vogel: Da ich mit dem Gedanken spiele, den Posten des Oppositionsführers an einen jüngeren und qualifizierteren Genossen abzugeben und man im Vorstand Herrn Lafontaine als meinen Nachfolger vorgesehen hat, so habe ich ihn gebeten, mich hin und wieder zu begleiten. Sie haben doch nichts dagegen?

Kohl: Absolut nichts. Soll er Ihr Nachfolger werden?

Vogel: Ich sagte es so.

Kohl: Und vielleicht auch mein Nachfolger?

Lafontaine: Ein echter Politiker ist sich für kein Amt zu gut, aber auch für keines zu schlecht.

Kohl: Das wäre immerhin nicht schlecht. So kann er bei Ihnen und zugleich bei mir in die Lehre gehen.

Lafontaine: Es gibt niemanden, der nicht das Talent zu einem Kanzler hätte.

Kohl: Wenn es meine Schuld ist, daß ich Ihnen im Weg stehe, so bitte ich um Vergebung. Im übrigen aber glaube ich nicht, daß er als Kanzler Deutschlands eben der rechte Mann ist. Dafür hat er sich schon zu oft gegen die Wiedervereinigung ausgesprochen.

Vogel: Mag sein, daß man die Wiedervereinigung wollen muß, um sie zu erreichen. Um aber ein guter Kanzler Deutschlands zu sein, genügt das beileibe nicht. Die Frage z.B., was man mit der SED macht und wie man sie integriert, diese Frage mag Kollege Lafontaine besser beantworten als mancher aus der CDU.

Kohl: Eins nach dem andern, Herr Vogel. Für heute wollen wir erst einmal festhalten, daß ich in Dresden einen Erfolg hatte wie noch nie ein deutscher Politiker seit Konrad Adenauer. Mit der Kanzlermaschine der Bundeswehr bin ich von Bonn nach Dresden und von Dresden wieder nach Bonn geflogen.

Vogel: Sie tun ja gerade so, als glaubten wir nicht, daß Sie dort waren.

Kohl: Und ist nicht meine Weihnachtsansprache durch die ganze Welt gegangen, und habe mit Ministerpräsident Mordrow erste Gespräche geführt, habe einen 10 Milliarden DM-kredit mit ihm vorbereitet u.s.w.? Und endlich, haben die Leute auf der Straße dann nicht gesungen "So ein Tag, so wunderschön wie heute"?

Vogel: Selbstverständlich haben wir alles in schönster Erinnerung. Doch darum geht es nicht, Herr Bundeskanzler.

Kohl: Je größer meine Taten, um so schneller suchen Sie sie zu vergessen. Nur Marginalien sammelt man bei Ihnen, um mein Bild klein und häßlich zu machen und es zu verunzieren.

Lafontaine: Könnte nicht sein, Herr Bundeskanzler, daß Sie in der DDR Erwartungen und Hoffnungen geweckt haben, die Sie niemals hätten wecken sollen?

Kohl: Sagen Sie, was Sie wollen! Sprechen Sie sich aus.

Lafontaine: Zu einem Zeitpunkt, wo alle Welt den Atem anhält und hofft, daß es Herrn Gorbatschov gelingen möge, die Völker des Ostens zu Freiheit und Selbstbestimmung zu führen, fällt Ihnen nichts besseres ein, als nach Dresden auf die Straße zu gehen und von der Familie der Deutschen zu reden?

Kohl: Ich wüßte nicht, weshalb das Herrn Gorbatschov hätte stören sollen. Ans Vaterland, ans teure schließ dich an. Hier sind die wahren Wurzeln deiner Kraft. So oder ähnlich steht es beim Schiller.

Lafontaine: Mag Ihnen auch das Herz im Leib hüpfen, wenn Sie sehen, daß man der DDR endlich das Recht auf Selbstbestimmung gewährt, das genügt noch lange nicht, sich mitten auf der Straße zu stellen und sich so hinreißen und überwältigen zu lassen. Das Ausland ist tief beunruhigt.

Kohl: Sie müssen sich genauer ausdrücken, Herr Kollege. Erstens hat man nicht der DDR das Recht auf Selbstbestimmung gewährt, sondern dem deutschen Volk in der DDR, und zweitens frage ich Sie, wen Sie meinen, wenn Sie so pauschal vom Ausland reden. Wer ist das Ausland? Für einen Kosmopolit wie mich gibt es kein Ausland. Ich bin ein deutscher Patriot und zugleich ein Franzose, beides aus Leidenschaft. Und wer etwas gegen die Engländer hat, der ist ebenso mein Feind, wie ich mich an den Italienern freue und an den Spaniern. Und ich verehre Amerika für den Einsatz, die Staatsform der demokratischen Selbstbestimmung, und damit eines Lebens in Freiheit und Würde, überall möglich zu machen. Und ich verehre das Land Puschkins und Dostojewskis, die heilige Erde, das Mütterchen Rußland, das die Kommunisten an vielen Stellen so übel zugerichtet haben.

Lafontaine: Und natürlich vergessen Sie auch nicht, von der chinesischen Mauer herab das Volk im Reich der Mitte freundlich zu begrüßen. Doch das alles gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, das Staatsgebiet einzukassieren. Die DDR ist ein souveräner Staat. Oder ist die DDR kein souveränder Staat? Was haben Sie dagegen?

Kohl: Vom Volk geht die Macht aus, mein Herr. Das deutsche Volk in der DDR aber hat diese Leute nicht gewählt. Freie und geheime Wahlen gab es und gibt es nicht in der DDR. Und wenn Sie noch etwas wissen wollen, Herr Lafontaine,so sage ich Ihnen: wenn Sie finden, daß es unsere Landsleute in der DDR so gut haben, so gehen Sie doch hinüber! Und vergessen Sie nicht, die Hanswürste unserer lautschreienden, geistübersättigten Intelligenz mit sich zu nehmen. Herr Honegger wird sich freuen.

3. Abschnitt

(Auf einem nächtlichen Turm. Eine Meßplatte. Fernrohre.)

Lafontaine: Nun, Herr Bundeskanzler, Sie scheinen uns heute nicht sonderlich aufgeweckt und lernbegierig zu sein.

Kohl: Was immer Sie mit mir anstellen, tun Sie es nur! Und wenn Sie mich in einen Hund verwandeln, tun Sie es. Ich aber werde in alle Welt hinausbellen, daß man, weil man als Nichtdeutscher nicht deutscher sein kann als ein Deutscher, als Deutscher ein Nichtdeutscher ist, wenn man es so an Patriotismus fehlen läßt wie Sie.

Lafontaine: Was für hochgespannte, emotional gesteigerte Töne!

Vogel: Über den Patriotismus wollten wir uns gerade mit Ihnen unterhalten. Sehen Sie dort? Dort wohnen bzw. wohnten die Sudetendeutschen. Und dort war die Heimat der Schlesier. Dort liegt das einstige Ostpreußen. Und gehen wir etwas weiter, Richtung Westen, so erscheint uns da drunten das Elsaß, wo es auch einmal deutschtümelnd zuging. Endlich, ziemlich im Süden sehen wir auf Südtirol.

Kohl: Was war dort?

Lafontaine: Dort irgendwo hauste der edle Andreas Hofer.

Kohl: Und was wollen Sie damit? Würde es Sie freuen, daß ich der Hitler bin? Der wieder auf die Welt gekommene Adolf Hitler?

Vogel: Mein Gott, Herr Bundeskanzler. Wir dachten, wo Sie heute so besonders gut drauf sind, wie Sie uns gestanden haben, wo Sie uns nach Ihrem Welterfolg in Dresden so unerschütterlich zu sein schienen, daß Ihnen beinahe alles gleichgültig wäre, selbst wenn der ganze Weltkreis auf Sie niederstürzte und Sie unter sich begrübe, da könnten wir uns ein kleines, harmloses Spiel mit Ihnen erlauben.

Kohl: Was ich tue, hat nur insofern etwas mit Hitler zu tun, als ich zusammenführe und heile, was jener auseinanderriß und verwundete.

Lafontaine: Ein harmloses Spielchen, nichts weiter.

Kohl: Wehret den Anfängen, wehret den harmlosen Spielchen.

Vogel: Selbst wenn Sie der Lafontaine in die Hände von Honeggers Todesschwadronen überlieferte, glauben Sie mir, es würde doch alles nur in effigie geschehen. Nur ein Spiel, nichts im geringsten wahr. Sie müssten sich dann nur von Ihrer schönen Frau Hannelore wecken lassen, und alles wäre wieder in schönster Ordnung.

Lafontaine: Der Patriotismus scheint Ihre Achillseferse zu sein. Kohl: Was wollen Sie von mir?

Vogel: Sie sollen uns sagen, wo Sie sich befinden!

Lafontaine: Wir sind gespannt, ob Sie es herausbekommen, Herr Bundeskanzler?

Kohl: Es ist mir momentan egal.

Vogel: Strengen Sie sich an!

Kohl: Ich lasse mich von meiner schönen Frau Hannelore wecken.

Vogel: Das geht nicht. Wir lassen Sie nicht als Spielverderber gehen, Herr Bundeskanzler.

Lafontaine: Sie kommen nicht darum herum, daß wir ihre patriotische Gesinnung überprüfen

Vogel: Wir fragen Sie also noch einmal, wo Sie sich befinden.

Kohl: In der Hand zweier Banditen, die mich meiner Freiheit berauben.

Lafontaine: Wir geben Ihnen eine Hilfe, dann müssen Sie es aber schaffen. Wo ist die DDR? Wo ist sie auf der Meßplatte eingezeichnet? Und wenn sie nicht eingezeichnet ist, weshalb nicht?

Kohl: Weil es sie nicht mehr gibt

Vogel: Falsch geraten, Herr Bundeskanzler.

Kohl: Sagen Sie endlich, was Sie wissen und zu sagen begehren.

VogeL. Kennzeichnet man auf einer Meßplatte den Ort, an dem man sich befindet? Wird der nicht als Mittelpunkt vorausgesetzt? Also? Müssen wir uns also nicht im Kernland der DDR befinden?

Kohl: Ich sage Ihnen, für mich hat die DDR aufgehört zu existieren. Für mich gibt es nur noch das Vaterland aller Deutschen.

Vogel: Wobei Sie die Leute aus Österreich doch wohl nicht zu den Deutschen zählen? Oder? Immerhin liest man bei Eichendorff noch, daß man mit Österreich deutsches Land betritt.

In Deutschland, wollen wir hoffen.

Lafontaine: Oder wollten Sie damit gar sagen, daß auch das Land, wo noch ein paar Schlesierdeutsche wohnen, zu Deutschland gehört? Oder daß das Elsaß, sofern man in einem Weinkeller zwischen den Traminerfässern noch ein Tönchen deutsch hört, zu Deutschland gehört? Oder daß man sich in deutschen Landen befindet, wo sie singen "Uffem Bergli bin i gsässe"?

Kohl: Vielleicht war das sogar der entscheidene Grund dafür, daß ich darauf verzichtet habe, daß in der europäischen Gemeinschaft Deutsch als Amtssprache zählt.

Vogel: Das klingt wie ein Geständnis.

Kohl: Auch auf eine eigene deutsche Fahne hätte ich verzichtet. Was auch soll sie wehen an einer Stange? Wenn sie nur hier drinnen weht!

Lafontaine: Reden Sie nicht so sentimental drum herum. Sagen Sie uns die Wahrheit! Politik, zumal bei so wichtigen Entscheidungen, muß transparent sein. Man muß die entscheidenden Gründe nachvollziehen, verstehen und gutheißen können.

Kohl: Vielleicht wollte ich auch nur zeigen, daß man nicht alles haben muß. Frage Sie, soviel Sie wollen. Wenn ich eine Antwort darauf habe, sollen Sie sie hören.

Lafontaine: Geben Sie zu, daß Sie willens waren, für die Wiedervereinigung Deutschlands alles zu tun.

Kohl: Quid verum atque decens curo et rogo et omnis in hoc sum.

Lafontaine: Verschanzen Sie sich nicht hinter Kulturmüll. Geben Sie nur zu, daß Sie jeden Preis zu zahlen willens waren. Wer aber, wenn ich fragen darf, verlangte von Ihnen diesen Preis?

Kohl: Ich habe nichts von einem Preis gesagt. Das waren Ihre Worte.

Lafontaine: Könnte sein, daß Sie ein Bedürfnis hatten, den Franzosen entgegenzukommen? Zum Beispiel, auf daß kein Elsäßer jemals aus Brüssel oder von sonst woher ein amtliches Schreiben auf deutsch verlangen mag?

Kohl: Meine Herren, was reden Sie da? Wo bin ich eigentlich?

Lafontaine: Jedermann weiß, daß unsere Nachbarn auf diesem Gebiet höchst empfindlich sind. Denken Sie an de Gaulles Reise nach Kanada und den Schlachtgesang in Quebec!

Vogel: Im übrigen legten wir Ihnen die Frage vor, wo wir uns befinden.

Kohl: Ich staune, wenn ich bedenke, in was für einer Welt Sie leben.

Lafontaine: In was für einer Welt leben wir? Da gibt es einen Bundeskanzler, der Entscheidungen von gefährlichstem Ausmaß ganz selbstherrlich trifft. Und es scheint ihm nichts auszumachen, ja er legt sich nicht einmal die Frage vor, ob noch die nächste Generation seine Entscheidungen versteht. Er träumt ins Große und Weite. Großmächtig und herrlich wie er ist, erscheinen ihm die nächsten 1000 Jahre wie ein Tag, ohne daran zu denken, seine Entscheidungen so transparent und nachvollziehbar zu machen, daß sich noch in 50 Jahren jeder damit einverstanden erklären kann, jedenfalls sofern er geschichtlich denkt.

Kohl: Zeigen Sie jetzt ihr wahres Gesicht?

Vogel: Sie täuschen sich, wenn Sie uns beschuldigen. Sie haben es versäumt, die Sprache Deutschlands, des einwohnerreichsten Lands in der Europäischen Union, ausgerechnet diese Sprache, die Sprache Goethes und Schillers, als Amtssprache unter anderen Amtssprachen durchzusetzen.

Kohl: Keinem Menschen wird verboten, in der Sprache zu reden, die ihm gefällt. Und so können auch wir zuhause in Liebe miteinander vetterln und deutscheln, soviel wir nur wollen.

Lafontaine: Es ist immerhin eine Entscheidung von nicht geringer politischer Tragweite.

Kohl: Hat das je einen von den linken Genossen interessiert, in welcher Sprache er spricht? Oder ist der Herr Lafontaine zu den ewig Gestrigen, zu den Neonazis übergetreten? Aber wenn der Kanzler sein Weltbürgertum zeigt, dann fangen sie an zu brüllen. Überhaupt sollten Sie, Herr Lafontaine, der Sie sich in allerjüngster Zeit noch händchenhaltend mit Herrn Honegger im Saarland gezeigt haben, in acht nehmen, mir deutsche Politik beibringen zu wollen.

Lafontaine: Dann sagen Sie uns, wer die Macht hat, wenn das Volk die Macht hat? Wer ist denn "das Volk"? Und wer übernimmt die Macht, wenn das Volk die Macht abgibt? Und wer gibt dem Volk die Macht zurück, wenn die, denen es die Macht abgegeben hat, sie nicht gut gebrauchen? Und wann und wie ruft man solche Leute zur Rechenschaft, die die ihnen anvertraute Macht mißbrauchen? Können Sie sich partout nicht vorstellen, Herr Bundeskanzler, daß auch Sie ein wenig die Macht mißbraucht haben? Oder halten Sie sich für rein von jedem Verdacht?

Kohl: Das mach ich mit mir selber, nicht mit Ihnen aus.

Lafontaine: Das ist unmißverständlich.

Vogel: Was aber noch wichtiger ist: Wer sagt uns denn, daß es mit der Politik, selbst wenn sie jetzt im Westen Deutschlands etwas besser sein sollte als im Osten, so bleibt? Wären wir so arm wie die da drüben und die drüben so reich, meinen Sie, es würde auch nur einer als Flüchtling das Land verlassen und zu uns kommen?

Kohl: Reden Sie nur immerzu und stellen Sie Fragen, soviel Sie Lust haben. Ich wehre Ihnen nicht. Auch Sie sollen das Recht haben, sich die Leber zu lausen und sich von der Seele zu reden, was Sie bedrückt. Nur sollten Sie nie vergessen, daß es ein Glück ist, daß in der geschichtlichen Stunde, in der wir uns heute befinden, ich an der Macht bin. Ich stehe nicht an zu behaupten, daß es das Verdienst meiner Regierungsarbeit ist, daß wir dem Ziel der Wiederherstellung des einen und freien deutschen Vaterlandes auf Greifweite nahe gekommen sind. Und wenn ich in Dresden auf die Straße gegangen bin und mit den Landsleuten "So ein Tag, so wunderschön wie heute" gesungen habe, so habe ich zwar Erwartungen und Hoffnungen geweckt, soch sind es Erwartungen und Hoffnungen von der Art, daß es nur an uns liegt, ob wir sie Wirklichkeit werden lassen oder nicht.

Lafontaine: Sie wären nicht wenig erstaunt, wenn Sie wüßten, Herr Bundeskanzler, was ich damals mit Herrn Honegger besprochen habe.

Kohl: Ich glaube kaum.

Vogel: Und warum nicht, Herr Bundeskanzler?

Kohl: Weil nur der Kanzler die Richtlinien der Politik bestimmt und nicht der Herr Lafontaine und schon gar nicht der Herr Honegger.

Lafontaine: Und wenn wir uns über die Möglichkeiten von Demokratien ausgetauscht haben und über Verfassungen und Grundgesetze?

Kohl: Und wenn die letzten Volkspolizisten der DDR ihre Gewehre auf mich richten und mich niederknallen! Was geht es mich an? Die Einheit und die Freiheit des deutschen Vaterlandes, meine Herren, werden sie nicht mehr zerschießen.

Lafontaine: Warten wir es ab! Manch eine Prophetie schon ist weit am Ziel vorbeigepfiffen. (er pfeift einen langen Pfiff, dann wird es dunkel und der Vorhang fällt)

10. Schauspiel: Politiker

(nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen am 13.5.90)

1. Abschnitt

(In Kohls Schlafzimmer. Wind, der den Vorhang aufbauscht. Nacht. Mondlicht.)

Hannelore: Warum hab ich nur solche Angst? Wegen der beiden verlorenen Landtagswahlen doch nicht. Was gehen die mich an? Oder doch? Kann man den schlechten Ausgang ihm zur Last legen? Natürlich kann mans. Was kann der Mensch nicht, wenn es gilt, einen anderen zu entmachten! Ich habs ihm gesagt, daß das nichts bringt, wenn er die Süßmuth aufstellt. Aber er weiß ja alles besser. Er wollte es so, als Vorlauf sozusagen, ob er sie für das Amt des Bundespräsidenten aufstellen kann.

Kohl: (schwer atmend)

Hannelore: Jetzt schnauft er, als ob uns Katastrophen bevorstünden. Wenn das so weiter geht, weck ich ihn.

Kohl: Du mußt mich nicht wecken. Ich bin schon wach.

Hannelore: Ich habe Angst und du liegst tief im Schlaf.

Kohl: Ich liege nicht tief im Schlaf. Ich hätte ihn zwar nötig, da hast du Recht. Nach den vielen Turbulenzen der vergangenen Tage aber weiß ich nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Ich bin hundemüde und wenn ich mich dem Schlaf anempfehle, stößt er mich von sich.

Hannelore: Hättest du dich nicht so engagiert. Es hat sich nicht ausbezahlt.

Kohl: Fehlt nur, daß sie kommen und mir Vorwürfe machen. Dann sollen sie aber was erleben. Auch der Lammfromme, wenn man ihn unentwegt reizt, wird einmal gallig und giftig.

Hanelore: Immerhin ist er noch nicht da.

Kohl: Wer?

Hannelore: Der Vogel! Jetzt, nach den beiden verlorenen Landtagswahlen, wo seine Partei einen so schönen Sieg errungen hat.

Kohl: Was interessiert mich der Vogel? Die Sache mit dem Gentscher ist da schon um einiges delikater.

Hannelore: Könnte nicht sein, daß er schon da ist?

Kohl: Der Gentscher?

Hannelore: Der Vogel.

Kohl: Es wäre gut, wir wüßten, wer in Moskau geputscht hat und wer die neuen Herren sind. Zu allem Unglück hat nun noch Boris Jelzin den Gentscher angerufen und ihn gebeten, sein neues Regime anzuerkennen. Nun weiß der Gentscher nicht, was er tun soll. Wenn wir jetzt eine Kleinigkeit falsch machen, dann bleiben wo möglich die russischen Soldaten in Ostdeutschland stationiert. Das würde uns gerade noch fehlen. Das Wichtigste ist natürlich, daß auch die neuen Machthaber die mit uns geschlossenen Verträge einhalten. Pacta servanda. Wenn nur keiner aussteigt! Es würde mich nicht wundern, wenn man den Gorbatschov auf der Krim, in seinem Ferienhaus, unter Arrest stellt.

Hannelore: Ich habe Angst. Es ist jemand in unserem Zimmer.

Kohl: Das ist doch lächerlich.

Hannelore: Sieh nur den Schatten, der sich zwischen unserem Bett und dem Fenster bewegt! Jemand ist in unserem Zimmer.

Kohl: (mit der Lampe den Boden beleuchtend) Da ist nichts.

Hannelore: Wenn du mit dem Licht nachschaust, ist der Schatten verschwunden.

Kohl: Dann ist ja jetzt alles gut.

Hannelore: Und wenn er sich unter dem Bett versteckt hält? Schrecklich die Idee, ich sähe nach, und da wäre einer. Der Anblick ließ mich zu Stein erstarren.

Kohl: (nachschauend) Da ist niemand.

Hannelore: Vielleicht steckt er auch hinter dem Vorhang.

Kohl: Es fehlt jetzt nicht mehr viel, dann hol ich ein Messer und sehe damit nach!

Hannelore: O Gott!

Kohl: Meinst du, die Canaille stünde noch immer hinter dem Vorhang, wenn sie hörte, daß ich mit einem Hamletmesser auf sie losgehe? Aber damit du deine Ruhe hast. (nachschauend) Da ist er nicht.

Hannelore: Irgendwo muß er sein.

Kohl: Laß uns schlafen. Ich bin wirklich hundemüde.

Hannelore: Und wenn er im Schrank ist.

Kohl: Dann sag ihm, daß er ein ander Mal vorbeischauen soll. Oder noch besser, verschließ die Schranktüre und sag ihm, daß ihn heraushole, wenn er erstickt ist.

Hannelore: Immerhin bist du noch immer der Bundeskanzler.

Kohl: Was soll denn das nun wieder heißen "bist du noch immer der Bundeskanzler"? Immer kommst du mir mit meinen Interessen, wenn du willst, daß ich etwas tu, was dir am Herzen liegt! Wenn es telephoniert und ich will nicht abheben, so heißt es gleich, das ist für dich... (es telephoniert)

2. Abschnitt

(es telephoniert)

Hannelore: Wer mag das sein, so spät in der Nacht? So stürmisch hat das Telephon noch nie geläutet.

Kohl: Dann wirds Zeit, daß wir ihm seine Aufdringlichkeit abgewöhnen.

Hannelore: Geh hin! Das ist sicher der Herr Gorbatschov von der Krim. Er leidet. Ich hör es genau.

Kohl: Der leidet nicht. Der schläft. Dort ist jetzt Nacht.

Hannelore: Als ob einer nachts nicht leiden könnte! Gerade nachts, wenn man nicht einschlafen kann und man niemanden hat, sich auszusprechen, empfindet man ein Leid besonders schwer.

Kohl: Er ist es nicht! Laß es dir gesagt sein. Er hat seine Raisa, eine begabte wundervolle Frau.

Hannelore: Wie wundervoll sie auch sein mag und wie tausendfach sie mich auch überragt, du kannst das Telephon nicht läuten lassen.

Kohl: Du siehst doch, daß ich es kann.

Hannelore: Es macht sich nicht gut, wenn einer deiner Freunde in Not ist und du ihm deine Hilfe versagst. Sag wenigstens, daß ich hingehen und abheben soll.

Kohl: Dann geh eben hin und hebe ab.

Hannelore: (am Apparat) Hier ist Hannelore Kohl.- Wer ist dort? - Ah so. Sie sind es.

Kohl: (für sich kommentierend) Der Herr Ah-so, der Herr O-wie-bin-ich-enttäuscht! Das ist ein anderer. Der hat nichts mit meinem Freund Michail Gorbatschov zu tun.

Hannelore: Nein, er ist jetzt nicht zu sprechen.

Kohl: (für sich) Das ist gut.

Hannelore: Sie kommen etwas später?

Kohl: Gar nicht soll er kommen. Sag ihm, daß ich heute Nacht nicht auf Abenteuer auszieh.

Hannelore: Jawohl, ich werds ihm ausrichten. (legt auf)

Kohl: Was sollst du mir ausrichten?

Hannelore: Daß er dann eben noch etwas später kommt.

Kohl: Ich habe dir doch gesagt, daß er auf keinen Fall vorbeischauen soll.

Hannelore: Dann mußt du nächstens eben deine Gespräche selber führen. Überhaupt kann man sich nicht unterhalten, man versteht kein Wort, wenn du andauernd dazwischen redest.

Kohl: Ich mag heute Nacht niemanden mehr sehen. Ich brauche meine Ruhe. Ich muß jetzt schlafen. Hätte ich die Raisa zur Frau, die wüßte mich zu beschützen gegen alle diese Störenfriede, die jetzt glauben, sie müßten wegen dieser lächerlichen Wahl ihre Häme an mir auslassen. (sich erhebend) Aber damit mich niemand stört, schließ ich jetzt selber die Türe und das Fenster.

3. Abschnitt

Späth: (hinter dem Vorhang hervortretend)

Kohl: Oho, Vogel, was treiben Sie denn hier? Hier werden keine Siege gefeiert.

Späth: Ich bin nicht der Vogel, und ich bin auch nicht gekommen, Siege zu befeiern.

Kohl: Herr Späth. Also Sie sind es? Haben Sie sich nicht in der Adresse geirrt? Ich denke, Sie gehören nach Stuttgart, ins Schwabenbett.

Späth: Genosse Kohl, weil ich noch nicht im Bett bin, brauchen Sie keinen Schwächeanfall zu bekommen. Wie Sie wissen, ist es in der Demokratie seit alters guter Brauch, daß wenn einer Schwäche zeigt oder wenn er gar versagt, daß dann rasch ein anderer zur Stelle ist und ihn beerbt. Und das ist ja gut so. So fällt doch immerhin keine Macht und kein Vermächtnis den Geiern anheim. Deshalb sind wir ja auch so stolz und brüsten uns unserer Gymnasien, wo man der Jugend beibringt, daß die demokratische Staatsform weitaus die beste ist.

Hannelore: Wer zeigt denn Schwäche und wen will er beerben?

Späth: (singt)

Mich, Schwabens hochberühmten Sohn

gelüstets nach nach dem Kanzlerthron,

heiß Lothar Späth. Wahrlich noch nie

sah unsre Welt solch Weltgenie.

Hannelore: Schämt er sich nicht?

Späth: Warum soll ich mich schämen? Ein Politiker sollte sich möglichst nie schämen. Er sollte stets Herr der Dinge bleiben, einerlei, wie sie sich gestalten. Allerdings, gnädige Frau, allerdings gibt es da auch manch eine Ausnahme. Z.B. wenn da einer Wahlen verliert wie jetzt geschehen. Kann man Wahlen verlieren, wenn man die Kunst beherrscht, das Volk tüchtig anzuschmieren? Wenn man zuvor nachgeschaut hat, was es gern hätte, daß man es ihm so recht vor Augen stellt und es ihm verspricht für den Fall, daß man gewählt wird? Denn ist man auch niemals gewillt, Versprechungen einzuhalten, so ist das weiter nicht schlimm. Dafür hat man ja sein glattgeöltes Maul. Leider, ihr lieben Leute, sagt man dann, leider sind Dinge dazwischen gekommen, von denen niemand etwas wissen konnte. Sonst, das dürft ihr mir glauben, sonst hätt ich einem jeden von euch eine ebenso hübsche wie kostenlose Wohnung bereit gestellt, und hätte euch einen nagelneuen hochpolierten Merzedes der Extraklasse vor die Türe gestellt mitsamt einem Gutschein, der euch berechtigt, in den nächsten vier Jahren bis zu meiner Wiederwahl an jeder Tankstelle unentgeltlich zu tanken. Und damit dem Ganzen nur ja auch nicht der Schein der Wahrheit fehlt, bringt man das alles mit untröstlichem Gesicht und, falls möglich, mit einigen Tränen vor und beruft dann eine Kommission, auf daß sie den Ursachen der peinsamen Mißstände nachgeht und Konzepte zur Behebung ausarbeitet. Vielleicht werden Sie mich jetzt fragen, ob man so Politik machen und man sich das leisten kann? Darauf antworte ich mit einem eindeutigen Ja. Unsere liebe Verfassung läßt das durchaus zu. Man darf nur nicht durchblicken lassen, daß man von vornherein alles nicht so ernst gemeint hat. Freilich, in früheren Tagen gab es auch schon andere Verfassungen. Sie erinnern sich, gnädige Frau, als die alten Griechen im Peloponnesischen Krieg die Demokratie erprobten. Da hatten es die Politiker durchaus nicht ganz so leicht. Da klagte man einen, der etwas versprochen hatte, ohne es zu halten, nach seiner Regierung an. Da mußte er Rede und Antwort stehen. Und da nutzte ihm dann herzlich wenig, wenn er Ausflüchte suchte. Da schickten sie einen kurzerhand auf die Pfefferinsel oder machten aus einem Hackfleisch.

Hannelore: Daß man nur auch ihn zu Hackfleisch machte!

Späth: Andere Zeiten andere Vorteile. Man muß sie zur rechten Zeit erspähen.

Kohl: Verschwind er oder ich hol die Polizei.

Späth: Aber, Herr Bundeskanzler, was reden Sie da? Sie werden doch nicht mich, Ihren besten Parteibruder mit der Polizei abholen lassen. Mich, der ich mich nach den blamablen Landtagswahlen so wenig geschont hab! Ganz davon zu schweigen, daß Ihnen kein Polizist das abnehmen würde. Als Mann der CDU mit den besten Landtagsergebnissen hab ich nicht nur ein Recht darauf, eine Wahlanalyse vorzunehmen, sondern auch die Pflicht. "Ihn, Ihren besten Parteibruder soll ich abholen?" würde da der Polizist sagen. "Ihn, der sich nach den blamablen Landtagswahlen so wenig geschont hat! Als Mann der CDU mit den besten Landtagsergebnissen hat er nicht nur ein Recht darauf, eine Wahlanalyse vorzunehmen, sondern auch die Pflicht." Sollte es sich indessen um einen widerspenstigen und gesetzlosen Gesellen handeln, der schwer ist von Kape und dem es im Oberstübchen fehlt, so daß er nicht weiß, wie er mit Oberen und Vorgesetzten umzugehen hat, und sollte er sich erdreisten, die Hand gegen mich zu erheben und auszustrecken, ich wollte ihm wenig Gelegenheit geben, mich festzunehmen. Freund, würde ich zu ihm sagen, indem ich ihn rasch zur Brust nähme, Freund, weiß er, was zu tun er sich da anschickt? Sieht er nicht, daß ich ein Ministerpräsident bin, nicht nur haushoch, nein himmelhoch ihm überlegen? Und daß, wenn er nicht rasch seine schmutzigen Finger von mir wegtut, es für ihn ein böses Nachspiel haben wird, auf daß keiner seinesgleichen sich jemals wieder zu einer solchen Schandtat erdreistet!"

Hannelore: Die Probe seines glattgeölten Maules genügt uns.

Späth: Und wenn ein Mächtiger einen Krieg vom Zaun bricht, wer kann ihm ans Leder? Man mag es wollen oder bedauern, es gehört nun mal eben zu den Verfügungen unseres Handwerks.

Hannelore: Mein Mann und alle Gutgesinnten auf Erden haben dem Krieg ein für alle Mal abgeschworen.

Späth: Wenn ich auch nicht wie der Herr Jesus gekommen bin, also wie der Dieb in der Nacht, und wenn ich auch keine klugen oder törichten Jungfrauen vor mir habe, töricht, gnädige Frau wär es ja schon, wenn Sie glaubten, ich würde unverrichteter Dinge wieder weggehen. Nach den verpfuschten Landtagswahlen hab ich nicht nur ein Recht, zusammen mit Ihrem Mann eine Analyse vorzunehmen, ich habe dazu sogar die Pflicht. Oder wollen Sie sich der Verantwortung entziehen, Herr Bundeskanzler?

Hannelore: Mein Mann ist müde. Lassen Sie ihn in Ruhe.

Späth: Je größer die Aufgabe, der ich mich verschreibe, um so weniger müde werd ich.

Hannelore: Überhaupt steht er so himmelhoch über Ihnen, daß er es nicht nötig hat, sich vor Ihnen zu verantworten.

Späth: Sie sind also zu keiner Analyse bereit, Herr Bundeskanzler? Darf ich fragen, warum?

Kohl: Weil ichs leid bin, mich mit ihnen über die Neubesetzung des Kanzlerpostens zu unterhalten. Er steht weder jetzt noch in näherer Zukunft zur Verfügung. Und zwar weder für Sie noch auch für sonst jemanden.

Späth: Nun, nun, nun. Was für gewaltige Worte Sie machen. So großartig ist der deutsche Kanzlerthron nun auch wieder nicht. Kaiser Nero, da bin ich mir absolut sicher, würde Ihren Posten nicht haben wollen. Nach Bonn oder nach Berlin ginge er nie. Der nähme sich etwas Bedeutenderes vor, z.B. den Thron Amerikas oder Rußlands oder, wenn er keinen von diesen bekäme, allenfalls noch das Thrönchen von Paris.

Hannelore: Dann machen Sie doch nur Jagd auf den Thron Amerikas oder Rußlands, wir hindern Sie nicht.

Späth: Was mich angeht, so erkennen Sie daraus leicht meine schier grenzenlose Bescheidenheit, wenn ich Ihnen sage, daß ich mich mit dem deutschen Kanzlerposten begnüge.

Hannelore: Ihre Bescheidenheit in Ehren. Leider aber paßt er nur für einen, zumal bei der Leibesfülle meines Mannes.

Späth: Er kann sich erheben, kann aufstehen, kann Platz machen. Da ist nichts Ehrenrühriges dabei. Das ist so gang und gäbe, das ist der Lauf der Welt, wenn freilich stets auch ein klein wenig Gewalt mit im Spiel ist, wie wir jetzt wieder in Moskau erleben.

Hannelore: Die Tatsache, daß Sie in Baden Württemberg ein besseres Wahlergebnis einholten als der Blüm und die Süßmuth in Westfalen, gibt Ihnen noch lange kein Recht...

Späth: Wer redet von Herrn Blüm oder von Frau Süßmuth. Die Bürgerinnen und Bürger haben ihr Urteil über die Politik Ihres Mannes abgegeben. Sie sind verärgert, daß man Ihnen noch immer nicht sagt, was für finanzielle Belastungen im Fall der Wiedervereinigung auf sie zukommen. Sie können nicht anders, Herr Bundeskanzler, als schleunigst alle Kosten auf den Tisch zu legen.

Hannelore: Ich gebe Ihnen einen guten Rat, Herr Späth!

Späth: Immer heraus damit!

Hannelore: Wechseln Sie zur SPD. Da bekommen Sie mit Ihren Parolen den schönsten Posten.

Kohl: Das Amt des Parteisekretärs ist Ihnen so gut wie sicher.

Späth: Sie reagieren gereizt? Wie soll ich das verstehen?

Hannelore: Weil Sie nichst tun als nachzugackern, was andere Vögel längst über den Rand ihres Geleges gegackert haben. Im übrigen wissen Sie ganz genau, wie jedermann, daß die entstehenden Kosten von einer Reihe von Faktoren abhängen, die ihrer Natur nach prinzipiell unüberschaubar sind wie z.B. das zu erwartende Bruttosozialprodukt der DDR, das nicht zuletzt ja wiederum vom Neuaufbau der dortigen Wirtschaft abhängt.

Späth: Der kleine Mann hat Angst.

Kohl: Es werden noch genug Zeiten kommen, wo man sich wird einschränken müssen. Hier sieht der kleine Mann immerhin, daß er etwas tut für die Landsleute des Vaterlandes.

Späth: Man hat Angst!

Hannelore: Hätten Sie nur ein wenig Angst oder zumindest Respekt vor Ihrem Bundeskanzler!

Späth: Wär ich Bundeskanzler, niemand brauchte vor mir Angst zu haben, nicht einmal Ihr Mann, wiewohl er in seiner Regierungsarbeit gravierende Fehler gemacht hat.

Hannelore: Mein Mann ist der Mann der historischen Stunde und nicht Sie. Und er ist auch der Mann, der Vertrauen verdient, weil er so handelt, daß nicht der mindeste Grund besteht zu irgend einer Verängstigung. Im übrigen war sein unbestreitbar größter Fehler, daß er Sie gehegt und gehätschelt hat, Sie Neidhammel und Karrieremacher und Opportunist und maßloser Selbstüberschätzer, statt Sie hochkant aus der Partei zu schmeißen, daß selbst noch die Erzengel staunen sollen, die noch den Sturz Luzifers in Erinnerung behalten.

Späth: Man sollte niemals das Ohr der Wahrheit verschließen.

Hannelore: Gott verzeih uns unsere Sünden. Aber wenn Sie der Mund der Wahrheit sind, so verschließen wir gern unsere Ohren.

Kohl: Und nun gehen Sie, Herr Späth.

Hannelore: Und wenn wir Ihnen noch etwas mit auf den Weg geben dürfen, Herr Späth, so sagen wir Ihnen, daß uns die Unwahrheit vom Vogel noch tausendmal lieber ist als die Wahrheit von Ihnen. Besser einen Vogel in der Hand als einen Späth auf dem Dach!

Späth: (im Weggehen durchs Fenster) Nun gut. Geh ich eben. Aber ihr werdet es noch bereuen.

Hannelore: Dem haben wir heimgeleuchtet. Der kommt so schnell nicht wieder. Das fehlte gerade noch, daß man kämpft bis zum Umfallen, und dann kommt dieser Siebengescheite aus Schwaben und tut und bläht sich auf, daß es eine Art hat.

4. Abschnitt

Kohl: Nur leider will mir das mit dem Gentscher noch immer nicht aus dem Sinn. Nicht auszudenken, ein solcher Konflikt. Moralisch sind wir verpflichtet, unserm Freund Gorbatschov zu helfen, und sind doch zugleich politisch gezwungen, seinen Gegnern die Hand zu reichen. Bis in meinen Schlaf hinein wird mich das noch verfolgen!

Hannelore: Vielleicht sollte ich noch das Fenster schließen!? (sie geht ans Fenster)

Kohl: (schnarcht)

Hannelore: Mein Jesus Barmherzigkeit!

Vogel: Bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unsres Ablebens, Amen.

Hannelore: Gehören Sie nun auch zu den windschlüpfrigen Gesellen, Herr Vogel? Ein Mann von Ihrem Geist und von Ihrem Format!

Vogel: Der Herr Bundeskanzler hat mich gerufen. Sie selber haben mir doch am Telephon gesagt, ich soll dringend kommen.

Hannelore: Ich habe nicht gesagt, Sie sollen kommen. Nicht im Traum habe ich daran gedacht.

Vogel: Und doch war es ein glänzender Einfall. Als ich nämlich bemerkte, daß ich schon längere Zeit nicht mehr bei Ihnen war, da sagte ich zu mir: Was kann nicht alles aus dem armen Ehepaar Kohl werden, wenn ich sie so lange alleine lasse? Müssen sie darüber nicht traurig und griesgrämig werden? Am Schluß fangen sie noch zu streiten an und bekommen sich in die Haare. Du mußt sie jetzt endlich wieder einmal besuchen, mußt Heiterkeit und Lust in ihr Gemäuer bringen.

Hannelore: Wie Sie sehen, schläft mein Mann. Ich bitte Sie daher, sich möglichst leise und kurz zu fassen.

Vogel: Gehorsamster Diener.

Hannelore: Sie haben einen schönen Wahlsieg errungen. Wir gratulieren Ihnen. Doch nun gehen Sie wieder.

Vogel: Immerhin bilden wir jetzt im Bundesrat die stärkste Kraft. Da geht nichts mehr ohne unsere Zustimmung.

Hannelore: Dann werden Sie nun Farbe bekennen. Da genügen nicht mehr scheinheilige hohle Phrasen.

Vogel: Die Zahlen müssen jetzt auf den Tisch!

Hannelore: Reden Sie etwas leiser! Nehmen Sie Rücksicht auf meinen Mann!

Vogel: Aus wahrer Rücksichtnahme müßte ich ihn jetzt besser wecken.

Hannelore: Ich bitte Sie!

Vogel: Die Finanzierungspläne müssen offen dargelegt werden. Der Bürger hat ein Recht darauf zu wissen,was für Belastungen auf ihn zukommen.

Hannelore: Damit hat mir gerade der Späth die Ohren voll gesungen.

Vogel: Selbst Herr Demezieres, der Chef der Ost-CDU hat erst heute noch verkündet, daß die Dinge in der DDR noch eine gute Weile brauchen und daß man nicht alles über einen Kamm scheren darf.

Hannelore: Was interessiert uns Herr Demezieres? Sie wissen doch selber, daß Herr Demezieres, nachdem er das Amt eines Ministerpräsidenten der DDR übernommen hat, nicht daran denkt, sich die der DDR eigenen Aufgaben durch den Kanzler eines wiedervereinigten deutschen Vaterlandes wegnehmen zu lassen. Uns aber interessiert das Volk. Jenes Volk, das es satt ist, daß man 50 Jahre lang seinen Willen mißachtet.

Vogel: Das beste wäre, man ließe das Volk darüber entscheiden, ob es die Wiedervereinigung will.

Hannelore: Ich dachte, wir hätten uns durch das Grundgesetz dazu verpflichtet.

Vogel: Keiner der Väter der damals gesetzgebenden Versammlung konnte diesen Fall vorhersehen.

Hannelore: Aber wenn die UNO von uns Soldaten fordert, dann wird uns das verboten durch das Grundgesetz?

Vogel: Bringen Sie die Dinge nicht durcheinander, Frau Bundeskanzler! Das Grundgesetz nötigt uns in jedem Fall zu besonderer Erwägung. Überhaupt sollten Sie einmal den Politikos von Platon lesen.

Hannelore: Und doch, wie sehr Sie auch von Weisheit triefen, Herr Vogel, täuschen Sie sich vermutlich ganz abscheulich, wenn Sie glauben, die Bürger der DDR wollten nicht so schnell wie möglich die Wiedervereinigung.

Vogel: Sie meinen, es sei das wundervolle demokratische System, nach dem die Leute im Osten verlangen? Sprenkeln für die Drosseln und Spreu für die Säue! Nichts davon trifft die Wahrheit. Versprechen Sie ihnen, daß sie es wirtschaftlich bei uns nicht besser bekommen als sie es bislang hatten, dann will kein einziger die Wiedervereinigung. Dann halten sie an der Planwirtschaft fest bis an ihr seliges Ende. Und ähnlich verhält es sich auch mit den Leuten bei uns.

Hannelore: Das mag auf die Leute zutreffen, die das Teilen nicht gelernt haben. Genau das hat auch Graf Lambsdorf gesagt, als er davon sprach, daß nur der für Warten ist, der sich vor dem Teilen drückt.

Vogel: Politiker müssen auf das Volk Rücksicht nehmen.

Hannelore: Nur, so weit es zum Guten dient. Es wäre schon betrüblich, wenn ausgerechnet führende Politiker der Bundesrepublik dazu beitrügen, die Freude einer Wiedervereinigung aus berechnendem Egoismus abkühlen zu lassen.

Kohl: (schnarcht)

Vogel: Nun gut. Wenn Ihr Gemahl heute nicht disponiert ist, so geh ich eben wieder.

Hannlore: Es wird das Klügste sein.

Späth: (hinter dem Vorhang auftauchend) Etwas haben wir falsch gemacht.

Vogel: Gehen wir!

Späths Stimme: Zu Hamlets Zeiten hätten wir ihm noch rasch Gift in die Ohren geträufelt.

11. Schauspiel: Die Gerechten

1. Abschnitt

(Nachts. Schlafzimmer Kohls.)

Kohl: (über einem Berg von Stasiakten brütend) Die verfluchten Akten, Stasiakten, nichts als Türme und Berge voller Akten. Jede ein Ungeheuer, das 10 weitere nach sich zieht! Ein Dschungel der Bedrückung, ein Geflecht voller Unwahrheiten! Rührst du irgendwo dran, gleich gerät alles ins Wanken und Rutschen. Erdrutsch, Bergrutsch, wohin man auch schaut. Keiner hat eine einwandfreie Vergangenheit. Stasis nichts als Stasis, so weit das Auge reicht, selbst die Kirchenleute nicht ausgenommen. Wer schaut da noch durch? Kein Blatt, das nicht durch ein anderes zu ergänzen ist. Keines, das nicht anderswo einen Widerspruch erfährt. Geh einem einzigen harmlosen Unrecht nach und du stehst vor zwei Missetaten. Oder verfolge eine Missetat und du stößt auf eine Kette von Verbrechen. Verurteilst du aber einen, so mußt du dich schämen. Oder zähl ich etwa zu den Gerechten? Hab ich nicht das Wort geprägt von der Gnade der Spätergeborenen? Wie also kann ich die Hand erheben? Aber ich habe sie erhoben. Ich konnte es. Böse, kaum wieder gutzumachende Fehler habe ich gemacht. Aus der Sicht der Opfer habe ich fast jedermann als Täter verdächtigt. Da! Das ist auch wieder so ein Fall, wo ich kurzerhand den Stab gebrochen habe. Und hier. Wegen einer Lappalie, wegen eines kleinen Wahlbetrugs, der doch in der DDR unbedeutend war, da die Partei ohnehin alle Posten vergab, habe ich Strafanzeige erhoben. Was für einen Anfang hätte man da doch machen können, hätte man nur den guten Willen der Leute respektiert. Aber man glaubte, um der Gerechtigkeit, um des Blutes der Opfer wegen, müsse man sie erst einmal vor Gericht demütigen und dann einsperren und leiden lassen. Als ob die Suche nach der Gerechtigkeit zu nichts anderem da wäre, als daß uns alle der Sog des Verderbens erfaßt. Das bringt mich noch um den Verstand.

Hannelore: Was machst du nur noch immer?

Kohl: Was ich mache? Nenn es, wie du es willst. Es hat keinen Namen.

Hannelore: Nichts als Pfuschwerk und Kleisterei. Überlaß die Sachen den Behörden, die dafür zuständig sind.

Kohl: Es würde mich nicht wundern, wenn ich noch als ein Stasi entpuppt würde.

Hannelore: Was redest du nur!

Kohl: Wer kann ausschließen, daß er der ist, der er nicht sein möchte?

Hannelore: Denke daran, was du als Vorsitzender der Christparteien und was als Kanzler schuldig bist!

Kohl: Was ich schuldig bin? Etwas schreit in mir. Ja es bedrückt mich, wenn ich bedenke, daß man nicht unbedingt gut sein muß, um sich als gut zu erkennen, und daß man leicht auch seine Befähigung verliert, etwas Gutes zu tun, wenn man niemanden hat, der einen darin bestärkt.

Hannelore: Du hättest das Talent gehabt zu einem Lehrer. Als Politiker aber hast du die Pflicht, jedes dieser dunklen Geräusche zu unterdrücken.

Kohl: Auch wenn es mich anhalten will, mein wahres Selbst zu suchen?

Hannelore: Auch dann, sofern sie dir bei deiner politischen Arbeit im Weg steht.

Kohl: Das hätte ich nie gedacht... Du? Wenn du wüßtest, wie es in mir schreit! Meine Schuld ist, daß ich feige bin und mich nicht als schuldig bekannt habe. Wenn die Schuldigen ihre Schuld nicht bekennen, die einen vielleicht, weil sie die Strafe fürchten, die anderen aber, weil sie die Schuld nicht erkennen, was dann?

Hannelore: Wahnsinniger. Bohr nicht den Kopf in Dinge, die dich nichts angehen. Wie schnell steckt man in der Schlinge!

Kohl: Dann muß eben ein anderer...

Hannelore: Hast du mir nicht versprochen, daß du dich nicht wichtig nehmen willst? Denk an den Papst Johannes! Also laß jetzt die Akten und komm ins Bett. Sonst bringst du auch mich noch um den Verstand.

2. Abschnitt

(Während Kohl ins Bett steigt, betritt lautlos ein Unbekannter den Raum.)

Unbekannter: Ihr Herren Regierungschefs, was wißt ihr vom Menschen. Gewiß, Gesetze erlaßt ihr und Vorschriften, kassiert Steuern ein und verhängt Bußgelder wegen mancherlei Lappalien. Die Lebenszeit und die Freude am Leben, die wißt ihr auf mancherlei Weise zu verkürzen. Aber für den Menschen sorgen, das könnt ihr nicht. Ihr glaubt, wenn ihr den Menschen beherrscht und jede Gegenwehr unterdrückt, dann hättet ihr alles getan. Um den Menschen zu kennen müßtet ihr unter ihnen wohnen, müßtet ihre Freuden teilen, ihre Leiden erleben. Eure Paläste aber stehen fern von den Menschen, wohlabgeschirmt und bewacht. Und wenn ihr euch schlafen legt, habt ihr nichts gesehen.

Kohl: Was hast du gesagt?

Hannelore: Ich habe nichts gesagt. Schlaf jetzt.

Unbekannter: Wenn es Abend wird und das Fest des Tages geht seinem Ende entgegen, bricht die Nacht ein.

Kohl: Vogel?

Unbekannter: (steht still)

Kohl: Wer sind Sie?

Unbekannter: Morpheus.

Kohl: Morpheus? Noch nie gehört. Sind Sie Grieche und gehören zum diplomatischen Chor?

Unbekannter: So kann man es ausdrücken.

Kohl: Wer immer du sein magst! Erzähl mir etwas, was mich einschlafen läßt.

Unbekannter: Wenn einer nicht einschlafen kann, was tut er da? Macht er es nicht gern so, daß er sich etwas Apartes und Interessantes und Amüsantes vor Augen stellt? Daß er sich etwas Wundervolles herbeiruft, um dann gleichsam in ein Bad von Glück einzutauchen und darin schwelgen? Wenn aber einer etwas in Wirklichkeit ausrichten und gut machen will, bekommt er es mit dem Widerstand der widerspenstigen Realität zu tun. Und fällt dann sein Werk nur dürftig oder gar schlecht aus, so schafft es Anlaß zu Selbstzweifeln. Freilich, es muß nicht immer die Weltherrschaft sein, die einer sich erkämpft oder ein Weltreich, das er sich erobert. Auch ein kleiner Machtbereich kann seine Reize haben. Dabei darf man durchaus auch einmal auf Macht verzichten. Verzichten, verstehen Sie, auf Macht verzichten, das heißt versuchen, wieder ein Mensch zu werden..

Kohl: (schnarcht)

3. Abschnitt

(Im Freien. In der Nähe ein Tor. Dahinter ein Waldweg unter phantastischen Bäumen. Im Hintergrund stehen Herrn Kohl vertraute Parteigenossen und Politiker und schauen zu.)

Kohl: Wo bin ich hingeraten? Wie bin ich hierher gekommen? Hat mich jemand geschickt oder habe ich mir vorgenommen, hier einzutreffen? Ich weiß es nicht. Wenn ich es jemals wußte, so hab ich es vergessen. Wie alt bin ich eigentlich? Laß sehen, ob mir wenigstens das noch einfällt. An den 60. Geburtstag erinnere ich mich noch. Als mir meine Frau gratulierte, sagte ich zu ihr: Besser wäre doch, du würdest mir kondolieren!" "Sei du nur schön still", sagte Sie darauf. "Du, dem das Leben alle Wünsche erfüllt hat, du hast keinen Grund, dich zu beklagen!" Dabei ist mir, als läge irgendwo noch der Schulranzen und ich müßte noch in die Schule, als hätt ich das Examen nicht bestanden und müßte es wiederholen oder als hätt ich mich selber vergessen, als gäb es mich nicht mehr. Auch habe ich niemanden mehr, bei dem ich um Rat fragen könnte. Immer waren viele um mich, nun aber bin ich allein. Gäbe es hier Häuser, ich würde anklopfen und um Auskunft bitten. Doch da vorn seh ich ein Tor. Wie ein Triumphbogen der alten Römer steht es da. Wer weiß, vielleicht fuhren hier die Cäsaren nach Hause, nach Rom, sich dort feiern zu lassen? Türen und Tore haben mich schon seit Kindheit fasziniert. Sah ich ein prächtiges Tor, so fragte ich mich stets, wer wohl dahinter stehen und plötzlich aus dem dunklen Hintergrund hervortreten und erscheinen würde? Und später dann schien mir die Weltgeschichte insgesamt wie hinter solch einer Türe, als ob sie auf mich wartete, mir auflauerte...

4. Abschnitt

(Ein Schulkind kommt. Es trägt einen bunten Sonnenhut, einen Schulranzen auf dem Rücken und Schuhe, auf die es immer wieder schaut. Sonne.)

Kohl: Mein liebes Kind, wie heißt du und wo gehst du hin?

Kind: Man nennt mich die Goldmarie, und ich gehe zur Schule. Der Schirm, den ich da trage, ist aber kein echter Regenschirm, das ist auch kein Regenschirm zum Spielen, das ist ein Sonnenschirm für junge Damen.

Kohl: Du gehst gern zur Schule?

Kind: O ja. Schauen Sie nur! Hab ich nicht auch hübsche Schuhe? Die haben mir meine Eltern zum Geburtstag geschenkt, damit ich sie zur Schule anziehe.

Kohl: Auch ich bin einmal zur Schule gegangen. Aber nicht gerne. Ich gäbe was drum, ich hätte bessere Lehrer gehabt. Weißt du, damals war Krieg. Nur dem geprügelten und gezüchtigten und ordentlich gemaßregelten Menschen, so glaubten die Lehrer, gehöre die Zukunft.

Kind: Die Lehrer mögen mich und ich mag die Lehrer. Alle Aufgaben habe ich stets fein säuberlich gemacht. Abends sieht mir die Mutter die Schulmappe nach, ob ich auch alles eingepackt habe für den nächsten Tag; derweilen geht mein Papa mit mir noch einmal den Schulstoff durch, daß ich gut vorbereitet bin.

Kohl: Und wo ist die Schule?

Kind: Wissen Sie das denn nicht? Da!

(das Kind geht durch das Tor. Es fällt Gold auf das Kind, während es fröhlich hindurch springt.)

5. Abschnitt

(Ein Torwärter taucht auf.)

Torwärter (vortretend): Wo wollen Sie hin, mein Herr?

Kohl: Wo ich hin will? Ich weiß es nicht. Doch warten Sie? Hab ich Sie nicht schon einmal gesehen? Heißen Sie nicht Morpheus?

Torwärter: Mein Herr! Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf! Kehren Sie um, damit man Sie nicht festnimmt.

Kohl: Sie müssen sich irren! Mich nimmt so schnell keiner fest.

Torwärter: Sie sind ein Neuling in der Welt. Sonst wüßten Sie, wie schnell das geschieht.

Kohl: Sie sind wohl ein Neuling. Oder einer, den das Alter blind gemacht hat. Sonst kennten Sie mich. Wenn Sie die Güte haben, mich für einen Augenblick genauer anzusehen, werden Sie sich an mich erinnern.

Torwärter: Ich lese keine Zeitungen und habe keinen Fernseher.

Kohl: Sie würden den Atem anhalten, wüßten Sie, wer ich bin.

Torwärter: Und wenn Sie der Kaiser aus Lateinamerika wären.. Überhaupt ist es kein gutes Zeichen, wenn man den Atem anhält.

Kohl: Sag er mir doch: wie kommt der Triumphbogen da her?

Torwärter: Ich versehe meinen Dienst und die Sonne des Friedens leuchtet über mir.

Kohl: Was für einen Dienst?

Torwärter: Ich habe Sie gefragt, wohin Sie wollen.

Kohl: Ist das alles?

Torwärter: Wenn ich ihm noch einen guten Rat geben darf! Kehren Sie um.

Kohl: (indem er ein Photo hervorholt) Schau er her, damit er weiß, wer ich bin. Das hier bin ich. So sah ich aus, als man mir an der Havarduniversität den Doktorhut reichte, wegen meiner Verdienste um die deutsche Einheit und wegen meiner vorzüglichen Verdienste in der Politik.

Torwärter: (ohne zu hören)

Kohl: Ich habe einmal von einem Mann gelesen, der muß auch zu so einem Tor gekommen sein. Aber ihm fehlten Mut und Kühnheit und Schneid und Kraft, sich sein Glück zu erzwingen. Er war kein Cäsar, keiner mit einem prunkvollen Namen, keiner der Unsterblichen. Es war einer der armen Schlucker, ein Mann vom Lande, einer der die Süßigkeit und den Stolz einer eigenständigen Handlung nicht kennt. Gäbe es nicht diese Schlucker, die stets von höherem Ort Gebote und Verbote erflehen und die unablässig um eine Erlaubnis nachsuchen, ehe sie sich zu etwas entschließen, so bedürfte es auch keiner Gesetzgebung und alle Politik und alle Politiker wären unnötig. Nun aber haben sie sich uns anvertraut.

Torwärter: Leider aber laßt ihr uns meist im Elend.

Kohl: Das mag sein. (seitwärts) Einmal weil es das einfachste und Bequemste für uns ist, sodann aber auch, weil wir Angst haben, wenn wir sie erst aus dem Schlamm heraus geholt haben, daß sie es uns nicht danken, daß sie uns davonjagen, weil sie uns nicht mehr brauchen und weil mit dem Wohlstand die Schlechtigkeit beginnt. So nämlich würde da wohl leicht manch einer von ihnen zu sinnieren beginnen: Wenn wir es jetzt besser haben, warum haben wir es früher nicht besser gehabt? Hätte man uns nicht schon längst aus dem Dreck ziehen müssen? Und warum haben wir es nur so gut und nicht noch besser? Warum nicht so gut wie die da? Sind wir nicht alle Menschen? (laut) Doch ein Politiker sollte so nicht denken. Der Mensch ist nicht schlecht, so sollte er denken. Er ist nicht schlecht, wenn es uns nur gelingt, seiner Schlechtigkeit zuvor zu kommen. Das gilt nicht nur für die ganz Kleinen und für die Jugend, das gilt insgesamt für alle Menschen. Um aber der Schlechtigkeit zuvorzukommen, muß man die Freiheit zügeln. Kein römischer Triumphator, kein siegreicher Heerführer oder Feldmarschall, der sich seinen Sieg von jemandem hätte in Frage stellen lassen. Sie alle wußten, daß der Mensch die ihm gewährte Freiheit mißbraucht. Drum auf jetzt! Durchs Tor der Preußen, durchs Brandenburger Tor! Wollen sehen, ob wir auf Widerstand stoßen!

6. Abschnitt

(während Kohl durchs Tor geht):

Chor der Gerechten (alles Politiker):

Ein jeder wuchre mit seinen Gaben,

wir aber, die große Talente haben,

wir die wir Bedeutendes planen und schaffen,

wir müssen nach keiner Seite hin gaffen

Und gibts auch zwei Klassen nur, Herrn nur und Knecht,

so lebt man gewiß doch als Herr auch nicht schlecht.

Dem Kleinen und Schwachen und Hundsgemeinen

kann die Welt nur hundsgewöhnlich erscheinen.

 

Wer ist der Gerechte?

Doch wohl nicht der Schlechte!

Auch nicht der Gefangene,

der Geschundene und Gehangene,

die Gerechten sind wir,

so stehen wir hier.

Erster Gerechter: Er glaubt, Gold sei auf ihn gefallen. Aber er hat sich getäuscht. Es war nichts als Pech, ein besonderes Pech, das keiner mehr abwaschen kann, wenn es ihn einmal verdreckt hat.

Zweiter: Der hat allerdings Pech, der glaubt, Gold falle auf ihn und dabei ist es dieses Pech.

Dritter: Es gibt viele, die glauben, Gold schmücke sie, dabei ist es nur Pech.

Vierter: Ihr Pech, wenn sie sich ein X für ein U vormachen.

7. Abschnitt

(Fahnen. Auf der einen Seite des Weges: Soldaten, die in den Krieg ziehen und solche, die, ihnen entgegen, aus dem Krieg kommen. Mütter. Frauen, die ihnen Kinder zum Kuß reichen. Auf der anderen Seite des Wegs Protestanten mit Transparenten gegen den Krieg.)

eine Frau (zu ihrem Mann): Versprich mir, daß du mich nicht vergißt und daß du nach dem Krieg wieder nach Haus zurückkommst.

der Mann: (küßt sie)

ein anderer: Viele denken: wenn 100000 in den Krieg ziehen und ich bin dabei, so wird es mich schon nicht treffen; da bin ich so gut wie unauffindbar.

einer der vom Krieg zurück kommt: Auch ich dachte so. Doch das war ein Irrtum. Schnell wird ein Graben zum Grab.

dritter, der in den Krieg zieht: Ich bin ein frommer Soldat,/ mein Schritt geht kerzengerad./ Stramm weht die Fahne im Wind./ Bewundre mich, herzliebes Kind.

Sein Mädchen: ( schmückt ihn mit einer Blumengirlande)

dritter, der in den Krieg zieht: Wir sind schließlich eine Weltmacht. Wir kämpfen für die gerechte Sache. Einen heiligen Krieg.

ein Zweiter: (der zurückkomt) Als wir auszogen, sagten uns unsere Politiker, man werde uns im Feindesland mit Blumen empfangen und mit Willkommensrufen überschütten, weil wir unser Leben für die gerechte Sache einsetzen. So sagten sie uns.

Vierter: (der in den Krieg zieht, während Krieger, die aus dem Krieg kommen, mit zwei Särgen auf ihn zukommen) Wen bringt ihr da?

Ein Dritter (aus dem Krieg): Generäle.

Vierter: Gefallen in der Schlacht? Das at es noch nie gegeben.

Dritter: Wer sagt denn, daß sie tot sind? Wir tragen sie durchs Feindesland. Jeder von uns weiß, daß wir sie noch für die nächsten Schlachten brauchen. Drum haben wir uns diese List ausgedacht.

einer: Selbst aus den Gräbern buddelt man die Soldaten wieder heraus, wenn man sie noch einmal braucht.

(Jetzt ziehen auf der anderen Seite Leute mit Plakaten vorbei: Soldaten sind Mörder.)

Opponent: Der am lautesten für den Frieden schreit, hat in seiner Jugend die meisten Steine geschmissen.

Politiker: Gestern noch hätte ich gesagt, es ist ein gerechter Krieg. Heute aber kann ich das nicht mehr sagen. Und zwar nicht, weil ich jetzt anders denke, sondern weil die Masse anders denkt. Und Demokratie, das heißt schließlich, der Masse nach dem Maule reden.

Narr: Jede Weltmacht wird einmal müde. Wird sie aber müde und kämpft nicht mehr, so verfällt sie auch. So ging das Reich Alexanders unter, so das große Rom des Julius Cäsar, so das Reich Attilas und endlich war auch der Herrschaft des Dschingiskhan auf diese Weise ein Ende bereitet.

8. Abschnitt

Ein junger Mann: Mein Herr, kommen Sie und schauen sie sich das an. (Man sieht Schriftsteller bis zum Bauch in Sandlöcher eingebuddelt) Was sagen Sie dazu?

Kohl: Was machen die da?

Der junge Mann: Es sind Schriftsteller.

Kohl: Schriftsteller? Vielleicht haben sie dich angelogen.

der junge Mann: Dichter lügen, das sagte schon Platon. Das hab ich ihnen auch gesagt. Doch da haben sie mich ausgelacht. Oder kann einer ein Dichter sein, wenn er sagt, alle Dichter lügen, und er sagt die Wahrheit? Aber schon Platon sagte, die Dichter lügen. Er mußte es wissen. Er war selber einmal einer, als er noch log. Doch dann ist er bei Sokrates in die Schule gegangen und danach hat er sich nur noch um die Wahrheit bemüht.

Kohl: Ich wollte auch einmal Schriftsteller werden.

der junge Mann: Wir haben herausgefunden, so sagten sie mir, daß ein Dichter, der etwas zum Ausdruck zu bringen sucht, lügt. Indem er nämlich für die, die etwas von ihm hören wollen, eine schöne gefällige Form aufsucht.

Kohl: Meine Herren?! Wenn ich Ihnen eine Frage vorlegen darf?

1. Schrifststeller: Reden Sie, mein Herrr!

Kohl: Sie sind Schriftsteller?

1. Wir sind Schriftsteller.

Kohl: Weshalb liegen sie dann hier herum? War das nicht früher ein Beruf, der zu den herrlichsten Berufen gehörte, zu denen das Leben berief?

1.: Unser Beruf ist nicht traurig, weil er früher fröhlich war.

Kohl: Weshalb dann?

1.: Unser Beruf ist deshalb so unendlich traurig, weil alle Welt meint, früher einmal habe es eine große Kunst gegeben. Und dann sei etwas dazwischen gekommen, worauf wir die Sprache verloren hätten.

Kohl: Nun und?

Alle Schriftsteller (die Hälse aus dem Sand gestreckt):: "Das Sicherste, was man ergründet? Lang hab ich drüber nachgedacht. Wir sind ein Völkchen, das verschwindet, im bodenlosen Faß der Nacht."

1.: Heute aber gibt es nur noch gottverdammte Schriftsteller. Wir sitzen in unseren Löchern und schreiben unser Geheul auf, das Schakalgeheul vor den Türen des Nichts.

Kohl: Früher einmal dachte ich daran, wenn ich nichts mehr zu tun hätte, würde ich meine Memoiren schreiben. Und leise, ganz leise, ich wills nicht verscheigen, dachte ich auch daran, wie es wäre, wenn ich dann einmal, sozusagen in einem Paradies für die großen Politiker, mit den ganz großen Politikern und Gesetzgebern unserer Erde zusammen käme. Mit Hammurapi und Gudea und Solon und Lykurg. Und freilich müßte auch Konrad Adenauer mit dabei sein. Wie schön dacht ich mirs doch aus, einmal ihn wiederzusehen. Sobald ich ihn sähe, würde ich auf ihn zueilen und er würde mich umarmen, und dann würde er mich fragen und ich würde ihm erzählen, was sich in Deutschland alles seit seinem Weggang getan hat.

2. Schriftsteller: Früher einmal, da hatten wir große Gedanken. Heute sind sie weg.

Kohl: Leben wir nicht in einer unglaublich aufregenden Welt?

2. Schriftstseller: Je mehr man sie stabil und berechenbar zu machen sucht, um so bedrohlichere Seiten zeigt sie uns.

Kohl: Wir haben Geschichte gemacht, die der Aufzeichnung wert ist.

3. Schriftsteller: Jeder Politiker, wenn er nicht eben in sein Amt geht, glaubt, jeder Tag sei ein historisch bedeutsamer Tag mit einer Überfülle des Aufschreibens Wertem.

Kohl: Ich bin Helmut Kohl!

1. Schriftsteller: Vielleicht haben wir uns diese Tage auch nur eingebildet.

Kohl: Ich wollte, es gäbe einen, der mir mein Leben erzählen könnte. Vor allem die letzten Kapitel der Erzählung würden mich brennend interessieren. Hätte niemand von ihnen Lust?

Schriftsteller: Niemand. Man kann nicht eines jeden Menschen Leben erzählen. Nicht einmal unser eigenes Leben ist des Aufschreibens wert.

Kohl: Es ist bedauerlich, wenn es einem Schriftsteller nicht gelingt, etwas des Aufschreibens Wertes in Erfahrung zu bringen.

1.: Das Unsterbliche, sofern es noch nicht gestorben ist, sorgt für sich selbst. Den Rest kann man vergessen.

3. Schriftsteller: Paß einmal auf! Ich wil dir was erzählen. Da war also ein Mensch vor Gottes Angesicht einbestellt, der hatte sich zu verantworten, warum er das ihm von Gott anvertraute Talent auf Erden hatte verkommen lassen. "Warum", so fragte der Erzengel, in dessen Händen die Leitung des Gerichts lag, den Angeklagten, und seine Feuerblicke bohrten sich tief ins Innere, "warum hast du dein Talent vergraben? Du wußtest doch, daß du mit ihm wuchern und Frucht bringen solltest!" Der Angeklagte aber, ohne sich einschüchtern zu lassen, erwiderte, daß es für ihn nichts besseres gegeben habe. "Lange und reiflich", sagte er, "habe ich mirs überlegt, was ich tun sollte. Auch an einigen Versuchen ließ ich es nicht fehlen. Als ich aber sah, daß sich niemand für mich und meine Arbeiten interessierte, schien es mir am besten, so zu verfahren. "Entweder ich arbeite und bringe Dinge hervor, die zwar schön und gut und nützlich sein mögen, die aber niemand will, dann überfällt mich bald Wut, bald Trauer, wann immer ich sie sehe, oder aber ich vergesse, daß ich das Zeug hatte, etwas aus meinem Leben zu machen. Dann mögen mit der Zeit zwar Torheit und Stumpfsinn meine Züge verzerren, doch werden in mir dafür Gelassenheit und Geduld Wohnung nehmen, die mich vor mir selber beschützen. "Gottloser Mensch", schrie der Engel, "was mußtest du Ausschau halten, ob sich jemand für dich interessiert!"

Kohl: (weitergehend) Ich habe meine Talente genutzt. Ich kann mich sehen lassen.

9. Abschnitt

Leute mit Hüten, die wie Doktorhüte aussehen.

Kohl: Ich glaube dort drüben sind Professoren. Ihre Hüte sehen aus wie Professorenhüte. Professorenhüte von der Havarduniversität. Da hab ich doch auch einmal einen Ehrendoktor bekommen. Gewiß. Es gibt keine Universität, die sich nicht glücklich schätzt, mir einen Ehrendoktor zu verleihen.

Kohl: Meine Herren! Sie sind Professoren?

Prof.: Wenn Sie es gerne haben und wir Ihnen damit eine Freude machen, so halten sie uns nur für Professoren.

Kohl: Ich bin Helmut Kohl, der berühmeste Architekt Deutschlands. Jedenfalls seit Bismarck.

Prof.: Dann sollten wir nicht versäumen, ihn mit einem unserer Doktorhüte zu ehren.

Kohl: Ihren Doktorhut habe ich vermutlich schon.

2. Sind Sie sich sicher?

Kohl: Gehören Sie nicht zur Havarduniversity?

1. Wir hatten da aber noch etwas vergessen.

3. Eine winzige Kleinigkeit

4. fast nur eine Formalität. Es könnte sein, daß später, nach Ihnen, ein deutscher Kanzler die deutsch-amerikanische Freundschaft mit Füßen tritt.

2. das wäre nicht ausgeschlossen

3. Irren ist menschlich

1. z. B. wenn ehemalige Kommunisten mit an die Regierung kommen.

Kohl: Ich hoffe, daß sie nun einsehen, daß wir die bessere Regierungsform haben.

2. Aber selbst die Christdemokraten sind auf die Dauer nicht über jeden Zweifel erhaben.

3. Drum wäre schön, wenn Sie uns...

4: Wenn Sie uns noch die Hand ins Feuer legen könnten. (einige zünden ein Feuer an).

alle: daß auch ihre Nachfolger einmal so zu Amerika halten wie Sie jetzt.

Kohl: Ich fürchte..

1. Was fürchten Sie?

Kohl: (weggehend) Daß, wenn ich meine Hand ins Feuer halte, dies nicht zur Erhellung der Zukunft dient. Auch würde mich schmerzen, wenn ich etwas Unerfreuliches zu sehen bekäme. O es macht mich sehr müde, wenn ich bedenke, wie wenig einer getan hat, selbst wenn er alles gut gemacht hat.

10. Abschnitt

(Ein altes baufälliges Haus. Davor drei Männer, die einen Galgen errichten. Neben dem Haus eine alte Frau, die an einem schwarzen Seidentüchlein arbeitet. Im Vordergrund ein Stück Wald, von dessen Bäumen heiße Tropfen fallen. Im Hintergrund auf einer Anhöhe ein Schloß.)

Kohl: (der zuerst nur den Wald sieht) Noch nie habe ich einen solchen Wald gesehen. Man meint, er brennt. Doch sieht man nirgends ein Feuer. Nirgends eine Flamme. Nur heiße Tropfen fallen von den Bäumen.

Erster: (auf ihn zukommend)

Kohl: Mein Herr, kann er mir sagen, was da in Gang ist?

Erster: Das ist bei uns seit alters so. Bevor einer stirbt, weiß es der Wald und weint. Seit gestern weint er.

Kohl: Ist das ein Naturgesetz?

Erster: Was können wir wissen? Wir sind ein unwissendes Volk.

Kohl: Wißt ihr wenigstens, wer es ist, der sterben muß?

Dritter: Der Mann ist uns wohlbekannt. Er hat ja hier gewohnt. (auf den Zweiten weisend) Das ist sein Bruder.

Kohl: Wo ist der Mann? Liegt er da drinnen? Hat ein Arzt die Diagnose gestellt?

Dritter: Nein, da drinnen liegt er nicht. Und auch kein Arzt hat eine Diagnose gestellt.

Erster: Er hat gewildert, und zwar im Wald des Grafen von Westphal. Nachdem man es bemerkt hat, ist er geflohen.

Kohl: Dann ist das ein Galgen, den ihr hier errichtet?

erster: So ist es.

Kohl: Der Flüchtling soll daran aufgehängt werden!? Euer eigener Bruder?

Zweiter: Seit alters verlangt man von uns, das Unabänderliche leicht und schön zum Ausdruck zu bringen.

Kohl: Wohnt der Graf dort droben im Schloß?

Dritter: Wenn Sie still sind, können Sie ihn hören. Immer um diese Mittagsstunde übt er eine Flötensonate. Ein bedeutender Komponist hat sie ihm eigens gewidmet.

Kohl: Ich kann nichts hören.

Erster: Man muß sehr leise sein.

Zweiter: Er bewohnt freilich nicht nur dieses Schloß, sondern viele Schlösser. Mindestens sechs. Aber dieses ist das schönste. Dieses bewohnt er im Winter. Im Winter, so soll er zu seinen Architekten gesagt haben, brauche ich etwas besonders Schönes. Kunstschätze und Schmuck müssen in dem Schloß angehäuft sein, daß man nicht weiß, wohin man schauen soll. Doch niemand weiß etwas Genaues. Als das Schloß fertiggestellt war, hat er alle Bauleute und Handwerker außer Landes geschickt. Und seit der Zeit hat außer ihm und der Lady und einem taubstummen Diener niemand mehr das Schloß betreten. Eines aber wissen wir, daß die Lady, so nennen wir die Dame seines Herzens, gestern ihren Einzug gehalten hat. Eine elfenbeinschwarze Karosse, alle Beschläge und Türen aus purem Gold, ist sie hier vorbeigefahren. Natürlich haben wir zu Boden geschaut. So verlangt es das Protokoll. Da sie noch nie eine Hinrichtung gesehen hat, soll sie ganz scharf darauf sein. Übrigens eine wundervolle Dame, müssen Sie wissen. Man meint, man müßte es als eine Auszeichnung anerkennen, von ihr einen Strick um den Hals gelegt zu bekommen.

Kohl: Und euch hat er den Auftrag erteilt, diesen Galgen zu errichten?

Dritter: Kein Zimmermann, der ein stabileres Hochzeitsbett errichtet. Wer hier gebettet wird, darf sicher sein, daß es ihn überdauert.

Kohl: Ich mag es nicht glauben, daß es noch Grafen gibt, die solches in Auftrag geben, wo wir die Schlußakte von Helsinki unterzeichnet haben.

Erster: Sie dürfen nicht vergessen, daß der Graf dem Gesuchten sein Vertrauen geschenkt hat.

Zweiter: Hätte ein Fremder, ein Niemand den Jagdfrevel begangen, es wäre ja alles nur halb so schlimm. Aber er! Er hat immerhin mit ihm die Hand in die Schüssel getaucht! Er war nämlich als Anführer der Jäger für die Treibjagd vorgesehen. Nachdem der alte Jäger im letzten Winter von einem Keiler tödlich verwundet auf der Strecke geblieben ist, hatte ihn die Gnade unseres Grafen getroffen. Man hatte ihn eingeweiht, hatte ihm die Plätze des Wildes gezeigt, hatte ihn zu den Wildwechseln geführt und ihm die Zeiten genannt. Alles hatte man bereits mit ihm verabredet für die kommende Saison. Da ging er hin und vergriff sich..

Zweiter: Bis heute hat der Graf noch gewartet, ob sich der Flüchtling von selber stellt. Jetzt aber hat er die Leibgarde nach ihm ausgeschickt.

Eine Alte (aus dem Häuschen kommend): Wir sind arm.

Erster: Gewiß Mütterchen. Aber deshalb mußte er keine langen Finger machen. Haben wir nicht seit alters als ehrenwerte Leute gelebt?

die Alte: Ich bin schuld. Er wollte sein Mütterchen an Weihnachten mit einem Braten überraschen. Er wußte, daß ich Hasenbraten fürs Leben gern esse. Verflucht sei der Hasenbraten, der meinem Sohn das Leben kostet.

Kohl: Dann steht es nicht gut.

(sie versuchen jetzt, Hand an Kohl anzulegen)

Erster: Ganz sicher freilich sind wir uns noch nicht.

Kohl: Das verstehe ich nicht.

Zweiter: Wer weiß. Manch einer versteht manches. Überhaupt, kennen wir uns nicht?

Kohl: Mein Herr! Was soll das?

Zweiter: Dem Alter nach könnten wir zusammen die Schulbank gedrückt haben.

Kohl: Ich dachte, der Mann, der hier gewohnt hat..

Zweiter: Mitgefangen, mitgehangen heißt es bei uns.

Kohl: Meine Herren, ich bin erstaunt, was hier vor sich geht.

die Alte: (aufschauend, sie ist kurzsichtig, ohne Brille) Helmuth, mein Junge, bist du es? Sag mir Adolf, ist er es wirklich?

Zweiter: Gib zu, daß du Helmuth bist.

die Alte: Komm zu mir, mein Sohn!

Kohl: (für sich) Als ob es nicht Tausende von Helmuths gäbe. (laut) Ich bin nicht Ihr Sohn. Ich stamme nicht von hier.

Alle: Das werden wir ja sehen. (Sie ziehen ihm Kleider aus. Zuerst sieht man Unterwäsche, dann die Kleidung eines Häftlings)

Kohl: Hände weg! Oder hat er eine Untersuchungserlaubnis?

Zweiter: Da hätte der Graf viel zu tun, wenn er jedem von uns eine Urkunde ausstellen müßte.

Dritter: Geben Sie zu, daß Sie sein Bruder sind!

Kohl: Ich bin nicht sein Bruder. Ich kenne den Menschen nicht.

Dritter: Manch einer leugnet seinen Bruder.

Zweiter: Es ist mein Bruder. Der Körperbau, die Statur, das Gesicht, der Ausdruck der Augen, bis hin zum trüben Umkreis rund um die Pupillen und den schweren Augensäcken: alles ist unauswechselbar mein Bruder. Auch trug er solch ein Hemd, als er wegging. Selbst das Sacktuch da ist seines. Was warten wir noch? Ich bin dafür, wir nehmen ihn fest und liefern ihn an Echetos, den Kastellan.

Kohl: (geht weiter und verschwindet in Nebel) Mein Gott, das hätte ja noch schön enden können!

11. Abschnitt

(Nebel. Wenn der Nebel verschwindet, sieht man seitwärts auf einen größeren See.)

Kohl: Ein See, wie der See Genesareth! So jedenfalls stell ich ihn mir vor. Doch was ist das? (Zwei Bischöfe, die ihre Mitren und Prachtgewänder ausziehen und in einen Schuppen bringen.) Meine Herren, was tun Sie da?

1. Bischof: Was längst überfällig ist. Ein Akt der Ehrlichkeit, nachdem es feststeht, daß es kein Christentum mehr in der Welt gibt.

Kohl: Solange ich Vorsitzender der christlichen Demokraten bin, lebt das Christentum noch.

2. Bischof. Ist nicht ihr Sohn mit einer Muslimin in der Türkei verheiratet?

Kohl: Alles nichts als Unsinn. Gerede. Diffamierung.

1. Bischof: Und doch ist das Christentum untergegangen. Hier im See. Schauen Sie doch. Da ragt eben noch eine Turmspitze heraus. Das ist der Turm vom Kölner Dom.

Kohl: (geht weiter)

Biton: (etwas entfernt) Erst wenn du nicht mehr weißt, wer du bist, wenn dir dein Name abhanden gekommen ist, dann..

Kleophas: Es ist ja gut, es ist ja alles gut.

Biton: Dann sag mir, wann er kommt. Wann kommt er wieder?

Kleophas: Wir müssen Geduld haben.

Biton: Ich will ja Geduld haben.

Kleophas: Geduld. Hörts du: Geduld!

Biton: Dort kommt wer.

KLeophas: Das ist er nicht. Nein, das ist er nicht.

Kohl: Entschuldigen Sie, meine Herren. Kennen Sie mich nicht?

Kleophas: Ich glaube kaum. Auch würde es uns nichts nützen.

Kohl: Und wenn Sie eine Bitte hätten und ich würde mich anerbieten, sie zu erfüllen?

Kleophas: Mögen die Traurigen traurig bleiben und die Fröhlichen fröhlich. Die aber gefangen sind, mögen in aller Geduld die Barmherzigkeit ihres Erlösers erwarten.

Biton: (haut sich mit einem Prügel gegen den Kopf)

Kohl: Was tut er da? He, er verletzt sich ja! Halten Sie ihn davon ab!

Kleophas: Er ist verwirrt. Sie sehen es doch. Er braucht diese Prügel.

Biton: Erst wenn du nicht mehr weißt, wer du bist, wenn dir dein Name abhanden gekommen ist, dann..

Kleophas: Er war früher ein großer Verehrer. Immer war sein Herz so voll großer Gefühle, daß er nicht anders konnte, als jedermann davon zu singen und zu erzählen. Anfangs ging auch alles noch gut. Bis er bemerkte, daß niemand etwas von ihm wissen wollte. Jeder hat ja seine eigenen Sorgen. Und selbst wenn er keine hätte, so würde er sichs als Störung verbeten. Davon aber ist er krank geworden, schwermütig. Wenn aber niemand etwas von seinen Geheimnissen etwas wissen will, wozu ist er dann da?

Kohl: Das ist nicht schön.

Kleophas: Aber da! Schauen Sie doch! Sehen Sie nicht, daß hinter den Bäumen Leute stehen, die nach Ihnen ausspähen?

Kohl: Was interessieren mich die Leute?

Biton: Er war gewaltig an Rat, ein wahrhaft Weiser, ein Gerechter, aber man klagte ihn an. Und er nahm die Anklage auf sich. Und man verurteilte ihn und er nahm auch die Verurteilung entgegen. Und man schlug ihn zu Tode und er ertrug es geduldig. Es wäre gut für die Ungerechtigkeit, wenn wir Leute hätten, die gerecht wären und die sich nicht dagegen wehrten, wenn man sie um der Gerechtigkeit willen bestrafte.

Kohl: Das wäre schön, aber das ergibt leider keine vernünftige Weltordnung.

Kleophas: Jede gute Tat provoziert. Der gute Mensch provoziert. Gerechtigkeit und jegliche Tugend provozieren. Und wer davon spricht, der provoziert schließlich auch.

Biton: Erst wenn du nicht mehr weißt, wer du bist, wenn dir dein Name abhanden gekommen ist, dann..

Kleophas: Es geht ja so leicht, einen Menschen zum Verbrecher zu machen.

12. Abschnitt

(Ein Gefangener, der von einem Aufseher des Weges geführt wird.)

Gefangener: Ich war ein hohes Tier. Ich war Oberbürgermeister in einer großen Stadt. Aber glauben Sie mir, ich wollte kein Unrecht, ich war gegen jedes Verbrechen. Gern wäre ich übergewechselt, aber man ließ es nicht zu.

Kohl: Du gehörtest zur SED

Gefangener: Du gehörtest zur SED, ja, so sagte man zu mir. Und dann wies man mir nach, daß ich die Wahl zum Oberbürgermeister zu meinen Gunsten gefälscht hätte. Gehörten auch Sie, mein Herr, zu den Stasis?

Kohl: Ich?

Modrow. Immerhin gehören auch Sie zu den Häftlingen.

Kohl: Das muß während meines Schlafens geschehen sein. Da sind welche gekommen, die haben mir diesen Kittel übergezogen. Doch den ziehen wir gleich mal wieder aus. (er versucht es, vergeblich)

Modrow: Das versuchte ich auch. Es war aber umsonst. Nessosgewand. Wen sie einmal abgestempelt haben, der bleibt abgestempelt.

Kohl: (wütend) Zum Teufel mit den Lumpen!

13. Abschnitt

(Gerichtsszene)

Gerichtsbote (herbeieilend) Nur Geduld, mein Herr. Er kommt, gleich wird er da sein.

Kohl: Wer kommt?

Bote: Da, sehen Sie doch nur! (er führt ihn in einen Gerichtssaal)

Richter (Schalk): Hiermit eröffne ich den Prozeß. Meine Damen und Herren, wie sie sehen, gibt es Leute, die uns hinters Licht zu führen beabsichtigen, indem sie sich ihrer Sträflingskleidung zu entledigen suchen.

Kohl: Mich meinen Sie? Sie wissen wohl nicht, wer ich bin?

Späth: (als Staatsanwalt) Nur keine Angst. Das werden wir schon bald haben.

Kohl: Ich bin Herr Kohl, der Bundeskanzler Helmuth Kohl, ob es euch gefällt oder nicht.

Richter: Warte er ab, bis wir ihn fragen.

Kohl: Ich bin Helmuth Kohl.

Späth (und die anderen Politiker zu Beginn tauchen wieder auf): Er soll warten, bis wir ihn fragen. Hat er nicht gehört?

Richter: So fragen wir denn den Angeklagten nach seinem Namen. Wir fragen ihn, wie er heißt.

Kohl: Ich hab es gesagt.

Richter: Was hat er gesagt?

Lafontaine: Was Sie gesagt haben, wollen wir wissen.

Kohl: Aber das ist doch der Herr Lafontaine und das dort der Schalk aus der DDR.

Schalk: Ein Schalk, wer kein Schalk ist.

Späth: Aber ein Richter ist ein Richter, nichts als ein Richter, ernst zu nehmen, zumal für einen, der angeklagt ist wie Sie!

Kohl: Wenn einer ein Verbrecher ist, dann sind Sie es, Herr Späth! Und damit Sie es nur wissen: nie bis zum jüngsten Tag werde ich Sie in eine Regierungsmannschaft berufen.

Süßmuth: Wie er nur redet. Das ist gefährlich in seiner Lage. Das kann man sich nicht leisten. Das sollte er wissen.

Kohl: Und Sie sind die Lispelsüßmuth. Mein Gott, als ob ichs nicht mehr wüßte!

Süßmuth: Sie stehen vor einem hohen Gericht, Herr Bundeskanzler.

Kohl: Herr Bundeskanzler hat sie gesagt. Haben Sie es gehört?

Späth: Und was folgt daraus, Herr Bundeskanzler?

Kohl: Daß ich der Herr Bundeskanzler bin.

Schalk: Kann Bundeskanzler nicht der Namen eines Stasispitzel sein?

Lafontaine: Nun?

Kohl: Den Herrn Mordow wollten sie richten. Ich sah ihn. Er muß da irgendwo sein.

Lafontaine: Nichts als Ablenkmanöver.

Schalk: Ich bin dafür, daß wir den Prozeß nach unserem bewährten Verfahren abwickeln. Das hat uns noch nie im Stich gelassen. Man bringe mir die Utensilien.

(man bringt ihm einen großen Würfel, den er Späth überreicht)

Würfeln Sie solange, bis das "schuldig" nach oben zeigt. Dann haben wir den Beweis für seine Schuld unwiderlegbar.

Späth: Warum denn würfeln? Das machen wir Gscheitle aus Schwaben besser so. Sehen Sie! (er legt das schuldig nach oben) Und nun, Büttel, walten Sie ihres Amtes.

(Man sperrt Kohl in einen Käfig)

Dichter (der noch hinzukommt): Jetzt könnten wir noch einen Ehren Matthias in Gestalt eines Shakespearschen Narren auftreten lassen, der sich mit unserem Altkanzler beschäftigt und ihm die Beichte abnimmt. Doch da unsere Spielbischöfe bereits ihren Ornat an der Garderobe abgegeben haben, so ist das Spiel jetzt aus. Gehen wir nach Haus! Oder will noch jemand ein Lied singen?

alle Politiker, während Hannelore verwundert randseits die Bühne betritt, singen:

Sigh no more, ladies, sigh no more,

men were deceivers ever,

one foot in sea, and one on shore,

to one thing constant never..

Dichter: (mit dem Mädchen vom Beginn, das nun auch hinzugekommen ist, abgehend) Die Weltgeschichte ist kurios, und die Macht hat oft eine unheimliche Physiognomie. Ich fürchte, man wird aus der Weltgeschichte nie etwas lernen. Ja gewiß, mein liebes Kind. C est la vie. Doch komm! Das Spiel ist aus, gehn wir nach Haus! Rabimmel, rabammel, rabumm!

12. Schauspiel: In der Unterwelt

Chor:

Wie so schön doch alles glänzt,

was sich wundervoll ergänzt.

Würde alles schön erglänzen,

würd sichs wohl auch schön ergänzen.

1. Abschnitt

(Allüberall tiefes Dunkel. Vogel kommt mit einem Lämmchen unter dem Arm und einem Messer.)

Vogel: Wie lange muß ich noch herumsuchen? Da bin ich nun im Schattenreich der Toten angelangt und finde mich nicht zurecht. Düster ist es hier und gar wenig wohnlich. Wohin man kommt, überall dasselbe trübe und traurig stimmende, dunkle Einerlei. Und bückst du dich zu Boden, so siehst du ein Grab um das andere. Soldatengräber, Heldengräber, Gräber angefüllt mit Massakrierten. Gefallen für das Vaterland. Gefallen für die Großreichsgelüste eines Hitler. Umgebracht durch Menschenvernichter. Gestorben für den Frieden. Verhungert auf der Suche nach einem besseren Kontinent... Das hört nicht auf, wohin man auch schaut. Da hatten die Alten wohl recht. Man strebt voran, sucht einen Weg zum Licht, sucht nach Wahrheit und Erkenntnis und findet doch schließlich immer wieder nur, daß man dazu verdammt ist, sich am selben Platz zu befinden. Wenn wir schon im Leben vergeblich danach getrachtet haben, den Sinn des Lebens zu durchschauen und ein menschenwertes Leben zu leben, und wenn wir schon dort immer wieder die leidige Erfahrung gemacht haben, daß wir alles, was wir getan haben, um ein Vielfaches hätten besser tun sollen, hier ist alles noch tausendmal schlimmer. (er setzt sich auf einen Felsbrocken)

2. Abschnitt

(Begegnung mit Sisyphus)

Sisyphus (keuchend und müde): Mein Herr! Erheben Sie sich! Machen Sie Platz. Das ist mein Stein. Ich muß ihn den Berg hinaufwälzen.

Vogel: (sich erhebend) Wo ist hier ein Berg? Ich sehe keinen Berg. Alles hier ist topfeben.

Sisyphus: (den Stein wälzend) Einmal kommt jede Arbeit zur Vollendung. Du mußt dich nur immer strebend bemühen.

3. Abschnitt

Vogel: (ihm nacheilend) Entschuldigen Sie, mein Herr. Haben Sie zufällig einen von meinen Parteifreunden gesehen? - Ah, er hört mich nicht mehr, er ist schon wieder fort. - Doch warum seh ich keinen? Ist es zu dunkel hier, daß mir dieses Perspektiv nichts zeigt oder ist hier nichts zu sehen? Bei großem Objektivdurchmesser kommt doch entsprechend mehr Licht ins Auge. Freilich, das Hintergrundslicht wird dann entsprechend verstärkt. Und dann kommt noch irgend ein Logarithmus hinzu. Zum Teufel! Nichts als diesen Felsbrockenwälzer seh ich, der sich in der Steppe auflöst. Und ein Getöse und Gelärme ist zu vernehmen, dem Geschwirre von Fledermäusen vergleichbar, wenn sie bei Anbruch der Abenddämmerung aus ihren Verstecken flattern. Vielleicht sind es auch Tote, die ihre Seelenflügel ausstrecken und zu fliegen versuchen oder Totenflüsse, die ihre schäumenden Wasser zusammen mischen. Ruf ich ins Dunkel, so kommt nur ein schauriges Echo zurück. Sollte ich mich geirrt haben und allesist nur eine Einbildung. Und es gibt keine Unterwelt und keine Totenrichter. Und Minos und Aiakos und Rhamdamanthys und wie sie alle heißen, das alles wäre nur eine Erfindung der Alten gewesen, eine Erfindung von Leuten, die nicht den Mut hatten, einen endgültigen Schlußstrich zu ziehen?

4. Abschnitt

Stimme eines am Boden Liegenden: Amen!

Vogel: Wer sagte da was?

Stimme: Ein armer Amensager!.

Vogel: Wer bist du?

Stimme: Einer, der nicht den Mut hat, einen Gedanken zu Ende zu denken, der nicht den Mut hat, einen Schlußstrich zu ziehen oder dessen Schlußstrich vor dem letzten Schlußstrich ins Stocken gekommen ist. Ein Schußstrichzieher und ein Endemacher ohne Schlußstrich und Ende.

Vogel: Herr Schlußstrichzieher, er spricht da in Rätseln.

Stimme: Ich wollte, ich wäre im Himmel. Doch man ließ es nicht zu. Selbst wenn es einen Himmel gäbe, sagten sie zu mir, selbst dann würden wir ihn dir nicht öffnen. Da begann ich, Ihnen darzulegen, daß ich in meinem langen Leben für nichts als für die Gerechtigkeit und für die Erfüllung der Pflicht gelebt habe. Alle Vorschriften, sämtliche Erlasse, selbst die kleinsten Verfügungen des allerkleinsten Landrates habe ich nach bestem Wissen und Gewissen erfüllt. Doch es nütze mir nichts. Es gibt keinen Himmel, sagten sie mir, und schoben mich ab.

Vogel: Und so kamst du hierher? Wie heißt du?

Stimme: Ich heiße Bong, Uwe Bong, und war Ortsvorstand in Ebnet, einem kleinen Kaff mit 500 Einwohnern, einem Vorort von Freiburg, im Breisgau, am Ende der Welt. Doch das wird Sie nicht interessieren.

Vogel: Lieber wäre mir freilich, er könnte mir sagen, wo ich Willi Brand finde.

Stimme: Den Namen hab ich noch nie gehört.

Vogel: Noch nie gehört? - Oder Helmut Schmid?

Stimme: Den noch weniger.

Vogel: Und wie steht es mit dem Herrn Bundespräsidenten Richard von Weizäcker?

Stimme: Ist der zur CSU übergetreten?

Vogel: Was reden Sie da von der CSU?

Stimme: Ich war nämlich Mitglied in der CDU müssen Sie wissen und wenn ich ihn mal in Ebnet gesehen hätte, würde ich es Ihnen sagen.

Vogel: Als Ortsvorsteher sollten Sie über eine politische Grundbildung verfügen, auch wenn Sie zur CDU gehören. Dazu gehört die Kenntnis der bedeutendsten Politiker Deutschlands.

Stimme: Wer kennt schon wen? Auch mich kennt keiner. Oder kennen Sie mich? Sehen Sie! Helmut Kohl könnte ich Ihnen zeigen! Der ist dort!

Vogel: Helmut Kohl?

Stimme: Schreien Sie nicht so. In Anwesenheit eines ranghohen Mannes ziemt uns nicht, dessen Namen laut zu nennen.

Vogel: (geht weiter)

5. Abschnitt

(Vogel, mit dem Rücken zum (tönernen und sprechenden) Standbild Kohls.)

Vogel: Ping, Pang, Pong! Hab ich den Namen nicht schon einmal gehört? Es gibt Menschen, die sich nach Leitlinien und Vorschriften umsehen, als ob sie in den Tafeln des Schicksals geschrieben stünden. Ja selbst wie sie zu schnaufen haben, wollen sie wissen. Und kommt es mit ihnen zum Sterben, du lieber Herrgott! Doch aufgepaßt. Das würde mir gerade noch fehlen, daß ich Herrn Kohl begegnete. Genügt nicht, daß ich in meinem ganzen Leben dem weitaus geringeren Manne Dienste getan habe? Muß ich ihm auch noch nach meinem Leben in die Fänge geraten?

Kohl: Wärs möglich Vogel, daß Sie es sind? Da ich mich nicht an Ihren Tod erinnern kann, schließe ich daraus, daß Sie erst kürzlich verstorben sind.

Vogel: (für sich) Wenn ich jetzt etwas sage, muß es so klingen, daß er nichts versteht. (laut) Monsieur? Que dites vous?

Kohl: Vogel. Erkennen Sie mich nicht wieder? Mich, ihren alten Bundeskanzler?

Vogel (für sich) Ich bin verloren, wenn ich mich nicht verstelle.

Kohl: Erinnern Sie sich doch nur, als Sie früher fast allnächtlich bei mir in die Schlafkammer eintraten und mich zu einer Expedition abholten! Warum sagen Sie nichts? Ich bins doch, ich der Altbundeskanzler Helmut Kohl.

Vogel: Moi? Scusi. Bogdanowitsch. Wladiwostock!

Kohl: Kommen Sie her zu mir, lieber Verstellungvogel. Noch immer der alte? Selbst im Reich des Plutos? So heißt doch der Herrscher hier oder nicht? Kommen Sie! Lassen Sie sich sehen. Diesen kleinen Gefallen werden Sie doch Ihrem alten Bundeskanzler nicht versagen.

Vogel: (für sich) Es dauert nicht mehr lange, dann kenn ich mich selber nicht mehr.

Kohl: Ich möchte Ihr Gesicht sehen, ich möchte Sie begrüßen.

Vogel: Fate corragio!

Kohl: Was sagten Sie?

Vogel: Aufrichtig und ohne alle Krümmungen meines Herzens, auch auf die Gefahr hin, daß es Sie schmerzt, muß ich Ihnen sagen, Herr Bundeskanzler, daß Sie es nicht sind, den wiederzufinden ich ausgezogen bin.

Kohl: Ihre Ehrlichkeit ehrt Sie, Herr Vogel. Und doch, es gibt Anhaltspunkte dafür, daß Sie sich täuschen.

Vogel: Find ich nichts auf der Welt, als immer nur Sie, diesen Helmuth Kohl, dessen größtes Talent es war, daß ihm so ziemlich jedes Talent zum Regieren fehlte und der es dennoch bis zum Bundeskanzler, ja bis zum Bundeskanzler der deutschen Einheit gebracht hat?

Kohl: Grämen Sie sich nicht, Vogel. Das Schicksal hat mich nun einmal über Sie gestellt.

Vogel: Wie jenen Erystheus über den Herkules oder einen Admet über einen Apoll.

Kohl: Sie sind gelehrt, lieber Vogel, ich nicht.

Vogel: Und nun meinen Sie, soll das so weiter gehen, bis wir zu Staub geworden sind? Was interessiert mich, was ich bin? Ich bin pensioniert, bin Privatmann, habe jetzt selber zu bestimmen, mit wem ich Umgang pflegen und mich unterhalten möchte.

Kohl: Haben wir uns damals nicht großartig unterhalten, als Sie nachts zu uns kamen? Glückselig die Zeiten, als ich noch mit meiner Hannelore in der Schlafkammer lag und Sie noch bei uns einzubrechen beliebten. Doch was rede ich von Einrechen. Niemals, wenn Sie kamen, hatte ich den indruck, Einbrecher eien bei uns am Werk. Meine Hannelore plagten mitunter solcherlei Anwandlungen. Ich aber, glauben Sie mir, Vogel, ich merkte im vorhinein bereits das Wehen Ihrer Bildung, wann immer Sie bei uns vorbeizuschauen beliebten.

Vogel: Glückselig die Zeiten, wo wir nie an unserer Wichtigkeit zweifeln.

Kohl: Kein Mensch kann gedeihen, ohne sich wichtig zu nehmen. Das sage ich weniger im Blick auf Sie, der Sie den Reichtum des Geistes in sich tragen, als vielmehr im Blick auf mich.

Vogel: Mag sich nur jeder für den besten und Klügsten halten. Was stört es mich?

Kohl: Gelegenheiten zu Zweifeln gab es genug für mich. Doch ein Mann, auf ihm bedeutende Hoffnungen ruhen, weicht dem Zweifel aus.

Vogel: Nun ja, mag ja sein. Doch warum treffe ich Sie so allein? Sie, den großen Architekten des Vaterlandes, Sie den Vater Deutschlands? Ohne alle Parteigenossen, ohne Freunde oder Verwandte? Einsam, verlassen, fast wie entehrt. Ich staune, wenn ich daran denke, wer Sie einmal waren und was jetzt aus Ihnen geworden ist.

Kohl: O Vogel. Wie schön Sie das gesagt haben.

Vogel: Warum ist keiner von ihren Parteigenossen hier?

Kohl: Ich brauche sie nicht. Ihre Anwesenheit, Herr Vogel, entschädigt mich für vieles.

Vogel: Als es darum ging, ein Pöstchen von Ihnen zu bekommen, da waren sie alle da, Männlein wie Weiblein, ganz hurtig waren sie um Sie herum zur Stelle. Da machte es Ihnen nichts aus, daß sie nichts von Ihnen hielten. Jetzt aber, im Zeichen des ewigen Lebens...

Kohl: Wer von den Christdemokraten glaubt schon noch an ein ewiges Leben?

Vogel: Dann ändert euer Firmenschild, will sagen eueren Parteinamen. Nennt euch Gottesschmarotzer oder Partei der Pöstchenjäger.

Kohl: Sie haben ja recht, lieber Vogel. Doch was solls. Kommen Sie, machen wir es uns bequem. Plauschen wir noch ein wenig.

Vogel: Ich habe nichts mehr auszuplauschen, Herr Bundeskanzler. Ich bin ein müde gewordener Wanderer, ein Rufer in der Wüste, ein Sucher, der von sich sagen muß, daß er nichts gefunden hat. Oder nennen Sie mich einen Schriftsteller, der nichts genauer weiß, als daß er in seinem Leben wenigstens ein gutes Buch hätte schreiben müssen, und der kein einziges geschrieben hat, oder nennen Sie mich einen Propheten, der ohne Berufung und ohne Beglaubigung sich abgemüht hat, eine Offenbarung zu erlangen. Wenn zu mir ein Adler käme und mir Brot und Wasser brächte, ich weiß nicht, ob ich nicht gallig werden und ihn fortschicken müßte.

Kohl: Wenn Sie so forschen, wird Ihnen nur die Offenbarung zuteil, daß es keine Offenbarung gibt.

Vogel: Wie war das?

Kohl: Hab ich aus Versehen etwas Gescheites gesagt? Doch warten Sie ab! Wie gern möchte auch ich Ihnen einmal etwas Gutes tun. Warten Sie!

6. Abschnitt

Vogel: Überhaupt, Herr Bundeskanzler, wenn ich mir Ihr Äußeres ansehe, so weiß ich nicht, was ich davon halten soll. Attraktiv ist das gewiß nicht, was mir Ihre Erscheinung bietet. Könnte sein, daß Sie Mühe haben, auch nur noch den kleinen Finger zu bewegen?

Kohl: Die Gesetze hier drunten sind beschwerlich. Auch Sie werden sich davon noch überzeugen.

Vogel: Ohne lang drum herum zu reden, Herr Bundeskanzler: Sagen Sie mir, ob Sie Willi Brand gesehen haben oder Helmut Schmid oder Erich Ollenhauer? Oder können sie mir wenigstens sagen, wo ich den Richard von Weizäcker finde?

Kohl: Genügt Ihnen nicht, daß Sie mich gefunden haben?

Vogel: Wenn Sie die Wahrheit wissen wollen, ich habe nicht nach Ihnen gesucht. Der Herr Weizäcker aber ist ein Mann des allerhöchsten Geistes. Der weiß Bescheid auf dem Gebiet von Recht, Staat und Geschichte.

Kohl: Den Herrn von Weizäcker finden Sie hier nicht. In meinem Umkreis hat der sich noch nie aufgehalten.

Vogel: In gewissen Punkten sind Sie wirklich bewunderungswürdig, Herr Bundeskanzler. Wenn ich nur daran denke, wie Ihnen diese herrschsüchtigen Christdemokraten das Leben schwer gemacht haben! Um einen aus seinem Amt zu jagen, muß man ihm nur bescheinigen, daß er zu dem Amt nicht taugt.

Kohl: Das verfing bei mir nicht. Längst hatte ich sie durchschaut.

Vogel: Sie hatten freilich auch ein großes Glück. Denn eben, als sich die Verschwörer gegen sie zusammenscharten, Sie zu entmachten, kam der Zusammenbruch des Warschauer Pakts.

Kohl: Wenn ich eine Tugend mein eigen nennen darf, so ist es die Gelassenheit. Schon meine Konstitution verlangte das. Deine Stunde kommt, sagte ich mir immer, wenn von meinen Konkurrenten niemand mehr zu sehen war, wenn alle bereits über Berg und Tal davon waren. Glauben Sie mir, ich war bereit, wenn es sein müßte, mich bis zum jüngsten Tag zu gedulden. Und siehe da! Der Himmel segnete meine Beharrlichkeit und Hartnäckigkeit, und da kam meine große Stunde. Und war es zuvor Führungsschwäche, die sie mir vorzuwerfen beliebten, so war es nun meine Führungsstärke, mit der ich ihnen aufzuwarten gedachte. Zwar hielt ich darauf, stets ein echter und guter Demokrat zu sein. Und doch entdeckte ich damals zugleich, daß man, um gute Politik zu machen, auch den macchiavellistisch absolutistischen Herrscherspiegel studiert haben sollte.

Vogel: Ein wenig haben wir allerdings schon auch selber Hand angelegt, daß nicht alles umsonst sein würde. Oder haben wir nicht zeit Lebens so getan, als nähmen wir jeden einzelnen wunder wie wichtig? Haben wir nicht so getan, als läge uns sein Schicksal am Herzen. Wenn ihm Geld fehlte oder wenn er arbeitslos wurde, haben wir nicht so getan, als würden wir ihm gerne unser Amt zur Verfügung stellen und für ihn in die Arbeitslosigkeit wandern? Dabei ist es uns stets nur um seine Stimme gegangen. Wir haben getan, als stürben wir mit ihm und ließen uns mit ihm begraben, dabei haben wir uns einen Dreck um ihn gekümmert, haben nur darauf gelauert, ihm seine Stimme abzuluchsen, um dann selbstherrlich und diktatorisch zu verfahren.

Kohl: Wir konnten nicht auf alle Leute Rücksicht nehmen, und schon gar nicht auf die, die glauben, alles besser machen zu können. Auch ein Arzt kann nicht mit jedem Patienten sterben und kann dennoch ein guter Arzt sein.

Vogel: Machen wir uns nichts vor. Wir haben uns auch im Regieren gesonnt. Es war uns eine Genugtuung, ein Vergnügen, eine Lust. Und wenn es auch dem Volk einmal weniger gut ging, Hauptsache, uns ging es nicht schlecht. Was auch scherte uns die Menge. Und wenn nicht der Journalismus gewesen wäre, diese Schleicher und Schnüffler von der Presse und die Gesetze, so hätten wir die Journalisten einsperren lassen und sie als Dummköpfe verlacht.

Kohl: Politik war für mich ein Top secret, wie die Amerikaner sagen. Während andere Länder ihre Völker befragen ließen, ob sie dies haben und jenes lassen wollten, z.B. den Beitritt zur EU oder den Euro, hab ich alles im Alleingang angeordnet.

Vogel: Auch schwarze Konten haben Sie damals eröffnet, in der Schweiz und in Liechtenstein.

Kohl: Je mächtiger ein Herrscher ist, um so mehr heiligt der Zweck die Mittel.

Vogel: Und über das Volk und die Gesetze hebt man sich hinweg?

Kohl: Als Gesetzgeber weiß ich, was ich tun darf und was nicht. Prinzipiell könnte ich vor jedem Handeln ein Gesetz erlassen, das mir Handlungsfreiheit ermöglicht. Doch warum so umständlich verfahren? Es genügt zu wissen, daß man darf, was man tut, weil man es jederzeit zuvor legalisieren kann. Nur haben wir nicht für alles immerfort Zeit. Deshalb regeln wir manches eben auf die schnelle Art.

Vogel: Die schnelle Art? Ja, das ist das Stichwort. Es wird höchste Zeit, daß ich gehe. Ich bin nun einmal auf dem Weg zu meinen Parteigenossen, davon lass ich nicht ab und wenn Sie mir noch so sehr schmeicheln. Meine Gratulation, Herr Bundeskanzler, wenn Sie es geschafft haben, zu einem Jünger des Buddha zu werden, abgetaucht und versunken im Glück des Nirwana. Doch wird es mir nie gelingen. Passen Sie nur auf! Sehen Sie dieses schwarze und einjährige Lamm? Ich weiß nicht mehr, wer es mir in die Hand gedrückt hat, als ich mich einschiffte zur Fahrt hierher. (während er es schlachtet) Ich erinnere mich aber daran, daß den Toten nichts lieber ist als Blut aus der Kehle eines solchen Lammes. Das hab ich einmal im Gymnasium gelernt. Damit lockt man sie an und macht sie gesprächig. Wie ich mich erinnere, hat auch Odysseus, als er in die Unterwelt kam, den Seher Teiresias auf diese Weise zu sich gelockt. Verstehen Sie mich jetzt?

Kohl: Ich verstehe nichts.

Vogel: Schon sehe ich jemand kommen. Passen Sie auf, Herr Bundeskanzler, es sind die Toten! Ich aber werde darauf achten, daß Willy Brand als erster ans Blut kommt.

7. Abschnitt

(Es ist der Späth und die beiden Brüder Schäuble, eine Dame und noch einige der alten Parteifreunde. Mit Hammer und Stangen)

Vogel: Willi? Sind Sie es, Willi Brand? Hier ist Blut, schönes warmes griechisches Blut! Blut, das Sie in die fernste Zukunft schauen läßt. Ich habe es für Sie gerichtet.

Kohl: Das ist nicht der Willi!

Vogel: Haben Sie Angst vor Willi Brand?

Kohl: Warum soll ich Angst vor ihm haben? Wenn einer niemandem etwas zuleide getan hat, auch keiner Stubenfliege, so ist es er.

Späth: Wo ist er?

Stimme von Bong: Wer kennt schon wen? Auch mich kennt keiner. Weder kennen Sie mich, noch kenne ich Sie.

Späth: Herr Bong! Wir suchen den Kohl.

Stimme: Den Bundeskanzler Helmut Kohl könnte ich Ihnen zeigen! Der steht dort!

Späth: Da ist er. Habs ichs nicht gesagt, daß er da irgendwo steckt? Hast gedacht, du könntest uns entwischen, altes Haus? Was? Das würde dir so passen. Erst unsere Partei ruinieren, dann die Namen der Schwarzgeldspender verschweigen und dann sich in den Hades begeben? Rede! Gib Antwort!

ein anderer: Klär er uns auf! Heraus mit den Namen der Spender.

noch ein anderer: Er muß uns nichts mehr sagen. Wir wissen Bescheid. Wir wissen, daß beim Verkauf der Leuna-werke an Elf-agitaine Schmiergelder geflossen sind, und zwar in ganz beträchtlichem Maß.

Vogel: (nebenhinaus) Nein, das ist nicht Willi Brand. Und das sind auch nicht die holden Töchter der Musen, wie sie zur Bestattung des großen Achill aus der Tiefe des Meeres heraufgekommen sind, die Gesänge der Trauer zu singen. Das sind die Vandalen. Wilde Vandalen, wie sie seinerzeit über die herrliche Roma hergefallen sind und sie ausgeraubt haben.

Späth: Glaubt mirs, liebe Parteigenossen: Wenn ich noch Ministerpräsident von Baden Württemberg wäre, wär mirs ein Leichtes, mich jetzt an die Macht zu heben.

Stimme von Schäuble: Hast du ihn gefunden?

Späth: Freilich! Da ist er! Ganz in meiner Gewalt!

Schäuble: Wenn ihm auch kein Gericht den Prozeß gemacht hat, wir machen ihm jetzt den Prozeß.

Bruder Schäuble: Wie will man die Kleinen zur Rechenschaft ziehen, wenn man es bei den Großen unterläßt? Ordnung muß sein.

Vogel: Entschuldigen Sie mein Herr. Halten Sie Abstand, wenn Sie schon auf Ordnung aus sind. Dieses Blut ist nicht für Sie.

Späth: Was soll das Blut da? Wer sind Sie überhaupt?

Süßmuth: Das ist doch der Vogel!

Merkel: Herr Vogel, was machen Sie denn hier? Sie wollen doch nicht zur CDU überwechseln?

Vogel: Nein, ganz gewiß nicht. Ich suche Willi Brand.

Süßmuth: Wie Sie im Erich Ollenhauerhaus zuhause sind, Herr Vogel, so sind wir hier zuhause. Es hat dem Weltgeist gefallen, die Parteien im Hades getrennt für sich einzusperren.

Späth: Ihr Blut wird kein Parteigenosse trinken.

Vogel: Zum Teufel. Dann ist es zu einem peinlichen Irrtum gekommen.

Süßmuth: Persephone irrt sich nie. Geburt und Tod, ein ewig Weben, lebendig Streben, Geburt und Grab...

Vogel: Seit wann gehöre ich zur CDU?

Schäuble: Vielleicht hat man Sie mit Ihrem Bruder verwechselt. Der ist doch noch in der CDU.

Vogel: Und Willi Brand wäre ganz wo anders?

Späth: Wenn Sie noch auf meine Hilfe aus sind, Schäuble, so muß ich Sie doch bitten, mit dem Prozeß zu beginnen. Andernfalls werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, der Schatzmeisterin, Frau Baumeister, in ihr Amt zurück zu verhelfen.

Schäuble: Aber Kollege Späth.

Späth: Sie wollten auch nachsehen, ob nicht auch der Stoiber zu unserer Aktion kommt.

Schäuble: Hab ich getan! Er entschuldigt sich. Er kann nicht. Ihm ist alles recht. Einem jeden das, was ihm gebührt, hat er gesagt. Nur der Waigel hatte ein paar Bedenken.

Späth: Frau Angela Merkel! Sagen Sie dem Altbundeskanzler, was wir nach reiflichem Überlegen beschlossen haben.

Merkel: Herr Bundeskanzler, hiermit fordern wir Sie auf, uns sämtliche Spender zu nennen.

Kohl: (für sich) Dumme Ziege!

Schäuble: Er schweigt?

Merkel: Nun, dann tut es uns leid, Herr Bundeskanzler. Dann müssen wir zur Sache schreiten. Das geht nicht an, daß Sie uns derart vor den Kopf stoßen. Das können wir nicht zulassen.

Bruder Schäuble: Was zaudern wir noch? Keine langen Umstände gemacht! Es lebe das Recht und die Gerechtigkeit, so wahr ich Justizminister bin von Baden Württemberg.

Merkel: Wenn ich bald erste Kanzlerin von Deutschland bin, und man im Duden unter dem Stichwort "Kanzler" stets auch die weibliche Form findet, dann bin ich die erste Kanzlerin. Ist das nicht sehr schön?

Späth: (indem er den Kopf Kohls in die Höhe hebt) Wie groß er ist. Fast so groß wie der Kopf Konstantins aus der römischen Kolossalstatue.

Bruder Schäuble: Und ist doch hohl und leer.

Schäuble: Nicht jeder schwere Kopf ist auch schon ein großer Kopf. Es gibt auch Wasserköpfe.

Vogel: So wäre die CDU nicht mehr stolz auf Kohls Lebenswerk?

Bruder Schäuble: Was nützt uns die Größe eines Mannes, wenn sie unser Leben ruiniert?

Späth: (läßt den Kopf fallen)

Schäuble: Möge es jedem so ergehen, der seiner Partei so schweren Schaden zufügt!

Alle: (abziehend) Amen, ja Amen.

8. Abschnitt

Vogel: Wie ein Mühlstein zerbrochen am Boden! Zum Teufel mit diesen Gesellen, die einem den letzten Glauben an die Menschheit verderben. Muß man das erleben?

Kohls Stimme: Um es ehrlich zu sagen, früher einmal hatte ich auch noch von etwas anderem geträumt.

Vogel: Wo sind Sie, Herr Bundeskanzler?

Kohl: Hier!

Vogel: Wo ist hier?

Kohl: Hier!

Vogel: Kann es sein, daß Sie, körperlich gleichsam, bereits ruiniert sind und nur noch Ihre Stimme fortexistiert?

Kohl: Ich weiß nicht. Meine Stimme scheint jedenfalls noch da zu sein.

Vogel: Ihre Stimme, ja gewiß.

Kohl: Bis heute jedenfalls glaubte ich noch ein klein wenig an die Gemeinschaft der Heiligen, an die Auferstehung der Toten und an das ewige Leben.

Vogel: Bis heute?

Kohl: Seit meiner Jugend glaubte ich an mancherlei. Da sah ich im Geist wundervolle große schöngeschriebene und illustrierte Bücher ausgelegt, Bücher der Geschichte, in denen ich herumblätterte, ob ich nicht zu jener Seite käme, auf der auch mein Name prachtvoll geschrieben stünde.

Vogel: O ihr Christdemokraten!

Kohl: Nicht allen unseren Freunden gelang es, sich hinauf zu arbeiten, bis dorthin, wo sie sich schon in früher Jugend stehen gesehen haben. Mir ist es gelungen, vermutlich aber nur zu meinem Unheil.

Vogel: Ein Quäntchen Disziplin dürfte man schon verlangen.

Kohl: Man muß nachsichtig sein mit der Erbärmlichkeit und Niedertracht der Menschen. Mein Vater gab es mir als Mahnung mit auf den Weg. Mach dich durchaus auch ein wenig klein. Zeige den Leuten auch ein paar deiner lächerlichen Seiten. Und wenn du keine zu haben glaubst, so versuchs dennoch, Ihnen ein paar zur Schau zu stellen. Leute, die im Leben Fehler gemacht haben und die das Schicksal, wovon sie fest überzeugt sind, sträflich übergangen hat, brauchen solche Fehler und Schwächen und Lächerlichkeiten und Krankheiten, zumal an ihren Freunden, die sie mit Fleiß bei jeder Gelegenheit hervorheben und begeißeln können. So können sie wenigstens von sich sagen, daß sie von solchen Katastrophen verschont geblieben sind.

Vogel: Sie machen mich staunen.

Kohl: Und dann habe ich mich eben bemüht, immer mal wieder etwas täppisch zu wirken. Von daher hat es dann auch die vielen Witze über mich gegeben. Wüßten wir, wie viel Rollen wir zu spielen haben, um die Welt zufrieden zu stellen oder gar ein wenig zu verbessern, so wüßten wir nicht nur, wer wir sind, sondern auch, wer wir wirklich zu sein haben.

Vogel: Die Welt will betrogen werden.

Kohl: Sie muß aber nicht stets so betrogen werden, daß wir eitel darauf achten, als die besten zu erscheinen. Wir können sie auch betrügen, indem wir den anderen die Illusion geben, als könnten sie uns leicht überragen.

Vogel: Entschuldigen Sie, Herr Bundeskanzler. Darf oder soll ich das auch auf mich beziehen? Sie lobten mich da doch vorhin über den grünen Klee, wie sehr ich Sie überragen würde. Vielleicht wollten Sie auch mir nur schmeicheln, auch mir nur eine wohltuende Illusion geben?

Kohl: Keiner kann leben, wenn er den Eindruck hat, daß ein anderer alles stets besser macht als er. Er müßte sich als ein armseliger Versager vorkommen, der gleichsam nur wie aus Versehen und als Mißgeburt auf die Erde gelangt ist. Ich aber bin, was ich bin, selbst wenn ich jetzt nichts mehr zu sein scheine. Auf mich, das weiß ich, trifft das Wort zu, daß dem noch gegeben wird, der schon hat. Sie sehen also, ich bin nicht desillusioniert. Was ich erreicht habe, kann mir niemand mehr rauben.

Vogel: Noch nie, Herr Bundeskanzler, habe ich Sie so aus der Kraft eines hocherhabenen Geistes reden hören.

Kohl: Uns allen sitzt das Triumphteufelchen des Todes im Nacken. Es wartet nur darauf, bis unser letztes Stündchen kommt, uns zum Eingeständnis zu zwingen, daß alles umsonst war, was wir getan haben. Andererseits aber brauchen wir alle etwas, was uns in schweren Stunden, auch noch in der letzten, aufrichtet und tröstet. Das aber kann nicht das Glück sein, das ein anderer hat und das uns selber abgeht. Deshalb sagte mein Vater damals auch, daß wir uns schuldig machen, sobald wir etwas besonderes erreichen. Damals verstand ich ihn nicht. Heute aber glaube ich zu wissen, was er sagen wollte. Man könnte auch sagen, daß uns das Glück, dadurch daß es uns begünstigt, zugleich auch ein Stück weit ins Unglück stößt, indem es uns den anderen entfremdet. Doch nun reichen Sie mir das Blut, damit ich erfahre, wonach mir noch das Herz steht.

Vogel: Gibt es noch Dinge, die Sie bewegen oder heimlich quälen?

Kohl: Immerhin habe ich mir ein unsterbliches Denkmal gesetzt, das länger als Erz hält und das kein gefräßiger Regen aushöhlt und wegwischt.

Vogel: Das Blut, Herr Bunderskanzler, ist versickert,

Kohl: Sie wollen es mir nur nicht geben.

Vogel: Fragen Sie mich, was immer Sie wollen. Ich werde Ihnen Auskunft geben.

Kohl: Schwören Sie mir den großen Eid, Vogel, daß Sie nichts anderes als die Wahrheit sprechen!

Vogel: Sie meinen, was das Blut betrifft?

Kohl: Was auch sonst?

Vogel: So spreche ich den großen Eid, daß ich nichts tun will, was dem Herrn Bundesjanzler A.D. Helmut Kohl irgend schadet.

Kohl: Leise stelle ich mir vor, wie jetzt die Vöglein auf den Zweigen sitzen und zwitschern und wie die Jugend an mein Grab pilgert, mir Dank zu sagen.

Vogel: (für sich) Da ist gut, daß er kein Blut getrunken hat. Sonst würde er jetzt erfahren, daß niemand an sein Grab pilgert.

Kohl: Oder ich stelle mir vor, wie die Leute zu meinem Denkmal pilgern.

Vogel: (für sich) Dabei hat kein Mensch auch nur das kleinste Denkmal in Auftrag gegeben.

Kohl: Sie sagten, es sei sehr schön geworden?

Vogel: Über alle Maßen schön.

Kohl: Hat man den Text in goldenen Antiquabuchstaben angebracht?

Vogel: O ja, o ganz gewiß.

Kohl: Was halten Sie von dem Text: Totius mundi nationes crescant et floreant. Daß alle Völker wachsen mögen und blühen! Ein mir bekannter Lateinlehrer hat ihn gedichtet.

Vogel: Ein wunderbarer Text. Ich glaube sogar, man hat die einzelnen Buchstaben wie kleine griechische Tempel nach dem goldenen Schnitt geformt.

Kohl: Wie hätt ich doch so gerne, alles wäre auf Erden nach dem goldenen Schnitt geformt.

Vogel: Leider ist das nicht so. Die Fehler, die die Altvordern machen, wiederholen die Jungen, man mag sie darauf aufmerksam machen, so viel man will.

Kohl: Aber die Friedenstaube, hoch droben auf dem Dreispitz: Kann man sie gut sehen mit ihren ausgebreiteten goldenen Flügeln?

Vogel: Schon von weitem ist sie zu sehen, als wolle sie über das gesamte deutsche Vaterland hinweg in alle Welt fliegen, die Friedenskunde zu bringen, die der Welt durch Ihre Politik geworden.

Kohl: Und die Menschen?

Vogel: Nicht nur die Alten, die über 50 Jahre auf die Wiedervereinigung gewartet haben, kommen zu dem Denkmal, auch die Jungen. Sie würden sich freuen, wenn sie einmal dabei wären, wie gerade die Jungen sich bei Ihrem Denkmal einfinden. Es ist zum nationalen Treffpunkt unserer Jugend geworden.

Kohl: So haben mir meine Träume also nicht gelogen! O Ihr alle, die ihr über mich gelacht und eure Witze über mich gemacht habt. O ihr alle, denen es nicht schnell genug gehen konnte, den Sessel des Bundeskanzlers in Besitz zu nehmen! Ihr Armen, Unruhigen, Karrierebesessenen! Lernt von mir, wie man mit Geduld und Ausdauer vorankommt. Lernt an meinem Vorbild, die Wege der Weisheit und der göttlichen Vorsehung verstehen. Hab ichs Ihnen nicht gesagt, daß es nicht lange dauert, bis man nach mir sucht?

Vogel: Schon immer war das so, daß man die Geber des Guten, die Söhne Gottes, nicht erkannt hat. Kaum aber, daß sie gegangen waren, begann sich das schlechte Gewissen zu regen.

Kohl: Ja, mein lieber Vogel, auch Sie waren vermutlich bei den Skeptikern. Doch nun hat sich, wie Sie ja selber zugegeben haben, alles, bis auf das letzte Wort, als wahr erwiesen. Alles, was Sie mir da erzählten, hab ich ja schon viele Male im Geist erlebt. Und der Geist lügt ja wohl nicht.

Vogel: Nein, der Geist lügt nicht.

Kohl: Am Ende seines Lebens sollte keiner sagen, er habe umsonst gelebt.

Vogel: Leider aber fällt mir das Sprechen immer schwerer, Herr Bundeskanzler.

Kohl: Das soll es geben. Ich weiß.

Vogel: Ich mühe mich, Ihnen zu schmeicheln und Sie wissen etwas und sagen es mir nicht?

Kohl: Es herrscht eben auch hier die Ungerechtigkeit.

Vogel: Rekapitulieren wir denn, was es noch zu sagen gibt, ehe uns die ewige Leere den Mund verschließt! Noch gibt es das Weltall, und den Menschen im All, und den Glauben des Menschen, daß es einen Gott gibt, der diese Welt erschaffen hat, und das All, das darüber jauchzt und jubelt. Wenn aber bald die Menschheit gestorben ist und der Planet Erde erloschen dasteht, und wenn dann auch der Mond abgestürzt ist und die Sonne erloschen ist und wenn dann niemand mehr da ist, eine frohe Botschaft zu verkünden: dann wird auch das Weltall erkalten. Dann wird so kalt und dunkel werden, daß nichts mehr da ist als nur noch ein unermeßliches Meer von Kälte und Dunkel. Was mich aber betrifft, so mag mir der Gedanke genügen, daß wir es schon Millarden von Jahren ertragen haben, nicht zu sein, als es uns noch nicht gab, und daß wir es folglich auch die Milliarden von Jahren nach uns werden ertragen können, wann es uns nicht mehr gibt.