{ Keine Einmischung! }

Literatur von Martin Ganter

Personen

Brunhilde

Kriemhild Kassander

Siegfried Kassander

Rechtsanwalt S.

Erhard Kassander, Siegfrieds Bruder

Rechtsanwalt E.

Pfarrer Benedick

Herr und Frau Lumbiek, Untermieter

Frau Gefällig, Nachbarin

Frau Ehrlich, Nachbarin

Herr Spielvogel, Nachbar

2 Polizisten (der erste trägt einen schwarzen Schnauzer)

Dr. Bierhahn, Arzt

Frau Dr. Neureiter

Fahrer des Möbelwagens

Zwei Dachabdecker

Inhalt

1. Kapitel: Wie der Pfarrer zu Besuch kommt

1. Abschnitt: Der Chor der jungen Leute

2. Abschnitt: Die Frauen im Haus

3. Abschnitt: Wie es läutet

4. Abschnitt: Die Untermieter mischen sich ein.

5. Abschnitt: Der Pfarrer allein

6. Abschnitt: Kriemhild vertreibt den Pfarrer

7. Abschnitt: Das Erbrecht

2. Kapitel: Siegfried kommt mit dem Rechtsanwalt.

3. Kapitel: Siegfried wird im Haus empfangen.

1. Abschnitt: Siegfried kommt herein

2. Abschnitt: In der Küche

3. Abschnitt: Essen für Siegfried

4. Abschnitt: Brunhilde

5. Abschnitt: Die Kontrolle

6. Abschnitt: Erhard und Rechtsanwalt E. auf der Straße

7. Abschnitt: Die Nachbarn

8. Abschnitt: Kriemhild kommt hinzu

9. Abschnitt: Lied (Duett)

4. Kapitel: Zu Hause

1. Abschnitt: Anruf bei der Polizei

2. Abschnitt: Rechnungen

3. Abschnitt: Hinter verschlossenen Rollos

4. Abschnitt: Brunhilde

5. Abschnitt: Ankunft der Polizisten

6. Abschnitt: Die Polizisten steigen ein

5. Kapitel: Das nächtliche Eselspiel

1. Abschnitt: Kriemhild´s Gedanken

2. Abschnitt: Vom Möbelwagen

3. Abschnitt: Ärger mit den Polizisten

4. Abschnitt: Siegfried als Esel

5. Abschnitt: Die zwei Polizisten erscheinen vor dem Fenster

6. Abschnitt: Der Pfarrer ist zurück

7. Abschnitt: Spielvogel

8. Abschnitt: Unter Brundhilde´s Augen

9. Abschnitt: Was zu sehen ist

6. Kapitel: Der Möbelwagen.

1. Abschnitt: Der künstliche Vater

2. Abschnitt: Meldung über die Leiter

3. Abschnitt: Onkel Carsten

4. Abschnitt: Ankündigung des Möbelwagens

5. Abschnitt: Reaktionen

6. Abschnitt: Einfahrt und Tanz um den Möbelwagen

7. Abschnitt: Kriemhild kommt herbei

8. Abschnitt: Der Inhalt des Möbelwagens

7. Kapitel: Wie das Dach abgedeckt und der Möbelwagen beladen wird

1. Kapitel: Wie der Pfarrer zu Besuch kommt

1. Abschnitt: Der Chor der jungen Leute

(Eine Straße mit Häusern auf beiden Seiten.)

Chor junger Leute:

Schönau, schön am Rhein gelegen,

schon den Römern warst du hold,

brachtest ihnen Bacchus Segen,

und des Bernsteins schweres Gold.

Uns auch sollst du Segen bringen,

die wir dir dies Liedlein singen!

Nun ade, und gute Nacht,

bis ein neuer Tag erwacht!

(sie gehen in die benachbarten Häuser)

2. Abschnitt: Die Frauen im Haus

(Ein dreistöckiges Haus, in das kein Jugendlicher gegangen ist. Die Vorderseite mitsamt der Haustüre und einem Balkon seitlich darüber. Vor dem Haus auf der anderen Seite der Haustüre steht eine Leiter, die bis zum zweiten Stock hinauf reicht. Zimmer im 2. Stock hinter dem Balkon. Mit vier praktikablen Türen, zur Küche, zum Gang, zur Besenkammer und in Brunhildes Zimmer. Im Zimmer hinter dem Balkon befinden sich Frau Kriemhild, eine 65 jährige Frau, und ihre 40 jährige kranke Tochter Brunhilde. Sie liegt auf einem Sofa.)

Kriemhild: In wohltuendem Vergessen die ganze Welt begraben und dann frei sein, das wärs!

Brunhilde: Was war das?

Kriemhild: Das war ein Gedanke, der mir eben durch den Kopf ging.

Brunhilde: Aber da war doch noch wer?

Kriemhild: Hast du etwas daran auszusetzen?

Brunhilde: Hat da nicht wer gelacht?

Kriemhild: Weil ich das gesagt habe?

Brunhilde: Oder gesungen. Von da kam es her!

Kriemhild (ans Fenster tretend): Da ist niemand. Nur vorhin, das waren die jungen Leute, die nach Haus gegangen sind.

Brunhilde: Du siehst nichts, weil es schon dunkel ist draußen. Warte ein wenig. Dein Auge muss sich an die Dunkelheit gewöhnen.

Kriemhild: Es ist wirklich nichts.

3. Abschnitt: Wie es läutet

(Man sieht nachher drunten an der Haustüre im Dunkeln den Pfarrer des Ortes stehen.)

Brunhilde: Da! Was hab ich gesagt? Es hat geschellt.

Kriemhild: (geht auf den Balkon) Ist da wer?

Pfarrer: Ich bins, gnädige Frau. Der Dekan, Pfarrer Benedick.

Kriemhild: Der Dekan, Pfarrer Benedick?!

Brunhilde: Wer ists?

Kriemhild: Der Pfarrer.

Brunhilde: Was will der hier?

Kriemhild: Ich weiß nicht.

Brunhilde: Der hat uns gerade noch gefehlt. Lass ihn ja nicht herein!

Pfarrer: Ich bitte Sie, mich wegen der abendlichen Stunde zu entschuldigen. Ich hatte noch bis eben jetzt zu tun. Kommunionkinder, die ich auf die erste heilige Kommunion vorbereite.

Kriemhild: Damit habe ich nichts zu tun.

Pfarrer: Alle haben wir damit zu tun, die wir uns bemühen, das Gewand der heiligmachenden Gnade hinüberzutragen zum Tag des Gerichts. Und da mich mein Weg eben hier vorbei führt, so denke ich, wer weiß, ob es nicht gut wäre, mich wieder einmal nach meinen hier lebenden und leidenden Schäfchen umzusehen? Gewiss erinnern Sie sich noch, gnädige Frau! Damals als ihre Mutter schwer krank zu Bette lag und von Ihnen gepflegt wurde, kam ich hin und wieder und brachte ihr die Krankenkommunion. Das ist freilich schon ein paar Jahre her ...

Kriemhild: Sind Sie gekommen, mir das jetzt zu erzählen? Oder bin ich Ihnen etwas schuldig geblieben?

Pfarrer: Um Gottes willen!

Kriemhild: Was dann?

Pfarrer: Immerhin war ich damals stark beeindruckt von Ihrer Frau Mutter. Es war eine herzensgute und glaubensstarke Frau.

Kriemhild: Nun und?

Pfarrer: Einmal, unlängst, träumte mir sogar von ihr. Da sah ich, wie unser Herr Jesus hier herabkam, um sie ins Paradies mit sich zu nehmen.

Kriemhild: Bleibe der Herr Jesus, wo immer er ist, zumal jetzt, zu der späten Stunde. Mit seiner Ankunft ist schon genug Schindluder getrieben worden.

Pfarrer: Es ist jetzt aber nicht ihre Mutter ... Ich wollte Sie nur daran erinnern, dass wir auch in diesem Fall ... Es war das nach dem Tod Ihrer lieben Mutter. Ich sagte Ihnen doch, dass mich das Los Ihrer Tochter bekümmert.

Kriemhild: Was reden Sie da zusammen.

Pfarrer: Ich sprach damals von einem sozialen Engagement, das uns weiter helfen könnte.

Kriemhild: Uns?

Pfarrer: Uns allen, die wir uns zu den Kindern Gottes zählen.

Kriemhild: Wovon sprechen Sie?

Pfarrer: Von Ihrer kranken Tochter. Sie sagten damals, dass Sie schon so ziemlich alle Ärzte aufgesucht hätten und dass Sie ratlos wären.

Kriemhild: Da hätte ich wohl besser nichts gesagt.

Pfarrer: Sie fragten mich um Rat, erbaten meine Mithilfe, und ich riet Ihnen, Ihre Tochter karitativ arbeiten zu lassen. Mit ihren mehr als 30 Jahren, so sagte ich Ihnen damals, kann sie durchaus Verantwortung übernehmen. Hier auch, so dachte ich mir damals, ergäbe sich eine Möglichkeit, der doch so unheilvoll sich nähernden Isolation zu entfliehen

Kriemhild: Ich fragte Sie nicht nach Ihrem Rat, auf dass Sie im Blauen herum rieten.

Pfarrer: Ich bin mir sicher, dass dieser Weg, wenn auch nicht zum vollen Erfolg, außerdem auch zur Liebe Gottes hätte führen können. Und mithin wäre es eben dann doch auch ein erfolgreicher Weg geworden.

Kriemhild: Hätten Sie uns einen Arzt genannt, der Sie geheilt hätte! Dann wäre der Erfolg jetzt jedermann offensichtlich. Und Sie wären der Held der Stunde.

Pfarrer: O es gibt Dinge, die von uns zwar gesagt sein wollen, zu denen wir gleichwohl kaum den Mut und die Kraft finden, zumal wenn wir merken, dass wir mit unserem Anliegen nicht ankommen. Eines von diesen Dingen mögen Sie nun vernehmen! Dass Sie in einem kleinen zerbrechlichen Schiffchen sitzen und einer Küste zutreiben, die Ihnen mit ihren Schroffen und Klippen entgegenstarrt.

Kriemhild: Ich versteh immer weniger.

Stimme der Brunhilde: Ist er noch immer nicht fort?

Kriemhild: Wenn Sie mir erlauben, es in aller Offenheit zu sagen, so lassen Sie es bleiben, uns mit Bildern der Angst zuzusetzen, auch wenn Sie uns diese in der Verbrämung einer Träumersprache vorgaukeln.

Pfarrer: Dann lassen Sie es mich eben in aller Offenheit und unerschrocken sagen, dass mich der Herr zu Ihnen geschickt hat.

Kriemhild: Wo es auf Erfahrung und praktische Kompetenz ankommt, sollte man den lieben Gott aus dem Spiel lassen.

Pfarrer: Das Elend abzustellen, das vermag der Arzt nicht allein.

Kriemhild: Das Elend, wenn es eines bei uns gibt, stellen wir schon selber ab! Gehen Sie jetzt bitte!

Pfarrer: Es betrifft aber nicht nur Ihr Wohl und das Ihrer zu Hause befindlichen Tochter, sondern auch das Wohl Ihrer ältesten Tochter. Wie ich hörte hält sie sich in den Vereinigten Staaten von Amerika auf.

Kriemhild: Woher wissen Sie das?

Pfarrer: Darf ich das als ein kleines Amtsgeheimnis bei mir behalten?

Kriemhild: Jetzt ist aber genug. Oder wollen Sie uns noch ins Gerede der Leute bringen?

Pfarrer: Seien Sie so gut. Öffnen Sie dem Hirten das Tor!

Kriemhild: Sie sollen gehen, hab ich gesagt.

Pfarrer: Fragten Sie mich nicht eben selber, weshalb ich zu Ihnen gekommen bin?

Kriemhild: Nichts, aber auch gar nichts hab ich Sie gefragt.

Pfarrer: Dann bitte ich um Entschuldigung.

Kriemhild: Ich verbitte mir jede Einmischung in unsere Familie.

Pfarrer: Immerhin geht es um eine unsterbliche Seele.

Kriemhild: Sie sollen gehen, um nichts sonst geht es mir hier.

4. Abschnitt: Die Untermieter mischen sich ein.

Die Untermieter (öffnen im Erdgeschoß das Fenster, Fernsehradau): Was soll der Radau zu nachtschlafender Zeit? Da kann man sich nicht einmal mehr seinen Nachtkrimi in Ruhe ansehen!

Pfarrer: Entschuldigen Sie, Herr und Frau Lumbiek! Ich allein bin an allem schuld.

Untermieter: Das ist mir egal, wer schuld ist.

Kriemhild: Seien Sie still, Lumbiek!

Untermieter: Seien nur Sie still, Frau Kriemhild!

Kriemhild: Das Maul sollen Sie halten, wenn Sie das besser verstehen.

Untermieter: Halten doch Sie endlich das Maul! (sie verschwinden wieder)

Kriemhild: Haben Sie gehört, Herr Dekan? Das sind die Lumbieks. Und wenn Sie das nächste Mal kommen, dann missionieren Sie diese Leute. Das tut bitter Not.

Pfarrer: Kindlein, vergebt einander!

Kriemhild: Das lässt sich leicht sagen, wenn man solche Leute nur von Ferne sieht und sie nicht auf der Pelle hat wie wir. Wohl denen, die es nie mit solchen Subjekten zu tun bekommen! Überhaupt, sind die Lumbieks mit ihren Fratzen noch immer zu sehen?

Pfarrer: Wie bitte?

Kriemhild: Ob die Fratzen noch am Fenster stehen? Ein schreckliches Gesindel, das uns nachspioniert, als wären sie die Herren im Haus. Wenn Sie diese Leute in die Schranken verweisen oder wenn Sie uns mithelfen, dass wir sie bald schon los sind, dann wollen wir von Ihnen sagen: Benedictus qui venit in nomine Domini. – Warum sagen Sie nichts? Haben Sie nichts dafür übrig?!

Frau des Untermieters (kurz am Fenster): (ins Zimmer zurück) Lass ihn doch! (nach draußen) Lesen Sie denen nur tüchtig die Leviten, Herr Pfarrer! Uns soll es nicht stören!

Pfarrer: Gebe es Gott, dass wir alle gesegnet seien, sowohl wir selber als auch unsere Kinder und Kindeskinder!

Kriemhild: Hören Sie auf! Wenn Sie jemanden segnen wollen, so segnen Sie die, denen Ihr Segen Not tut. Die Lumbieks können Ihren Segen sicher gut brauchen. Die schauen sich jetzt nämlich den Fernsehkrimi an. Da fließt viel Blut und da gibt es Leichen.

Pfarrer: O Frau Kassander. Warum nur ist unser Herz so voller Gift?

Kriemhild: Sie meinen, warum mein Herz voller Gift ist? Weil es mir an Toleranz gebricht. So viel ich gehört habe, tragen sich die Lumbieks mit dem Gedanken, zu den Muslims überzutreten. Oder sind sie gar schon aus der katholischen Kirche ausgetreten? Da wissen Sie besser Bescheid als ich. Wissen Sie, dort bekommt man einen Bonus wegen der Zugehörigkeit zu einer religiösen Minderheit, den es in der katholischen Kirche schon lange nicht mehr gibt. Jawohl, die genießen in unserem Land als eine Minderheit einen besonderen Artenschutz

Pfarrer: O Frau Kassander!

Kriemhild: Ja, Herr Pfarrer! Reich sollte man eben sein und selber gesund und mit gesunden Kindern und auch noch nicht zu alt; eben so alt, dass man noch daran glaubt, ewig zu leben. Mit Erfolg und Besitz und Ansehen vor Gott und den Menschen könnte man es wohl versuchen, sich in die Farbe der Hoffnung zu kleiden.

(ins Zimmer zurückkehrend, Rollo herunter)

5. Abschnitt: Der Pfarrer allein

Pfarrer (allein, für sich dastehend, ohne Blick ins Zimmer): Wie ein schwer verwundetes, zu Tode getroffenes Tier. Gott sei ihr gnädig. Aber gut hab ich die Sache wohl auch nicht eingefädelt. Das erkenn ich jetzt, wo ich sehe, dass ich überhaupt nichts erreicht habe. Ich hätte mich anmelden und sie auf meinen Besuch vorbereiten oder doch bei Tag kommen sollen; das wär besser gewesen. Andererseits aber, wie kann ich´s, wo ich keine 5 Minuten freie Zeit habe? Und wenn einer als Bote Gottes kommt und als solcher angesehen und empfangen wird, kommt er dann nicht zu jeder Zeit gelegen? Wir haben nichts miteinander zu bereden, ließ sie mich wissen. Etwas anderes hätte sie mir bei Tag wohl auch nicht gesagt. Wenn einer keine Gemeinschaft mit anderen haben will, weil er sich stolz über sie erhebt oder wenn er enttäuscht ist von den anderen, mit denen er gern Austausch gepflegt und sein Geheimnis weitergegeben hätte, wenn er nicht so angenommen oder nicht verstanden wurde, wie er es sich wünschte und vorstellte, oder wenn er an sich und am Menschen verzweifelt und er sich selber bereits aufgegeben hat: immer hör ich diese Zweifel an der Gemeinschaft. In diesem Fall jetzt scheint mir der Satz weniger als zermürbendes Fazit am Ende eines immer wieder unternommenen Gedankenganges zu stehen als vielmehr eine Abfuhr zu bedeuten. Hier, so scheint mir, ist längst Schluss gemacht mit der Welt. Hier gibt es nichts mehr zu bereden, nichts mehr zu teilen und mitzuteilen, nichts mehr miteinander zu besprechen. Die Hoffnung auf Erlösung ist der Bitterkeit und der Verzweiflung gewichen. Kommunikation scheint keine mehr möglich, es sei denn über Anwälte und über das Gericht, mittels deren man sich gegen alles Unliebsame, sei es wirklich, sei es nur in der Einbildung, zu erwehren sucht. Zu solch Unliebsamem gehöre nun also auch ich. Als ob ich aus gemeinen und niederträchtigen Motiven hergekommen wäre! Was für ein Interesse habe ich, ich als Privatmann, an diesem Haus? Fast verlockt mich der böse Feind zu sagen: lass sie doch! Wenn sie den Boten Gottes nicht wollen, so sollen sie selber zusehen, wie sie zu Recht kommen! Aber dann ist wieder der Geist der Geduld zur Stelle, der mich auffordert, alle kleineren ich–süchtigen Bedenken beiseite zu schieben. Und der Geist der Brüderschaft fordert mich auf, sie zu verstehen. Anders, so sagt mir der Geist, bewirkst du nichts für die älteste Tochter des Hauses. Dabei handelt es sich um eine bereits über 40 Jahre alte Frau, welche, wie mir der Vaterbruder sagte, durch eine gerichtliche Verfügung gezwungen werden soll, nach Haus zu kommen. Der Grund ist eine Klärung der ihr im Studium und später zugeflossenen Gelder, die nun Berücksichtigung finden sollen in der Regelung eines Erbvertrags, auf den die jüngere Tochter pocht. Darüber hinaus aber soll, wie ich hörte, die ältere Tochter als Krankenpflegerin der jüngeren Tochter zuhause festgehalten werden. Unerträglich scheint es der jüngeren Tochter zu sein, die ältere Schwester glücklich in der weiten Welt zu wissen, während sie zuhause leidet. Wenn es mir nicht gut geht, so scheint sie zu sagen, warum soll es dann meiner Schwester gut gehen? Teile sie mit mir mein Leiden. Dabei beruft sie sich auf unsere heiligen Schriften, die uns auffordern, mit den Kranken zu leiden und ihnen Trost zu spenden. Alles das weiß ich, wie gesagt, vom Vaterbruder, der noch immer, versteht sich, wider Willen seiner Schwägerin und damit auch seines Bruders, als Vermittler fungiert. "Was für ein Kleinmut, was für ein Kleinglaube", sagte er. "Dem lieben Gott, der alles zum besten fügt, so zuvorkommen zu müssen und zu raffen und zu sichern und sich zu versichern bis an den jüngsten Tag! Sie glauben ja gar nicht, wie schwer es mir gefallen ist, der Nichte über ihre Eltern, insbesondere aber über ihren Vater, meinen Bruder, diesen Hampelmann von Ehefraus Gnaden, die volle Wahrheit zu sagen." Das waren seine Worte.

6. Abschnitt: Kriemhild vertreibt den Pfarrer

Stimme der Brunhilde: Steht er noch immer da?

Kriemhild: (das Rollo hochziehend und nochmals auf den Balkon tretend) Habe ich Sie nicht gebeten, zu gehen? Und nun stehen Sie noch immer hier und parlieren den Tod und den Teufel zusammen? Wir dulden keine Einmischung, mein Herr. Oder genügt Ihnen nicht, wenn ich Sie bitte, die Freundlichkeit zu haben, unser Gelände zu verlassen? Muss ich noch deutlicher werden? Muss ich Ihnen auch noch sagen, dass ich willens bin, die Polizei zu Hilfe zu rufen? Freilich kann ich Ihnen nicht verbieten, sich auf der Straße vor unserem Haus aufzupflanzen und Maulaffen feil zu halten. Es wäre aber netter von Ihnen und auch Ihrem Renommee zuträglicher, zumal als einem Geistlichen, wenn Sie dies unterließen. Es muss ja niemand denken, Sie interessierten sich für jemanden Speziellen in unserem Haus. Auch wär wohl nicht in Ihrem Interesse, wenn wir uns aufgrund Ihrer Einmischung in unsere Angelegenheiten gezwungen sähen, aus der Kirche auszutreten. Ich sage das nicht nur, weil so etwas völlig unmöglich wäre, ich sage das vor allem auch deswegen, weil Sie damit gewiss keine Punkte sammeln bei den Vorgesetzten Ihrer Behörde, die allergisch zu reagieren pflegen, wenn die Einnahmen der Kirchensteuergelder noch weiter zurückgehen. – (sieht ihm nach)

7. Abschnitt: Das Erbrecht

(In dem an den Balkon angrenzenden Zimmer. Brunhilde auf ein Sofa gebettet, über Erbrecht sich belesend.)

Kriemhild (eintretend): Der kam mir geschlichen! Als ob ich nicht gewusst hätte, was ihn hierher getrieben hat. Aber den Mund hab ich ihm gestopft und kein Wort hab ich aus ihm gelassen.

Brunhilde: Und jetzt, ist er weg?

Kriemhild: Gut dass er nicht gemerkt hat, dass die Türe nur angelehnt war und man keines Schlüssels bedurfte. Der wär uns sonst wohl noch in die Wohnung herauf gekommen. Aber jetzt ist er weg und wird wohl so schnell nicht wiederkommen!

Brunhilde: Dann müssen wir jetzt nur noch auf Siegfried warten?

Kriemhild: Er muss jeden Augenblick da sein.

Brunhilde: Bei anderen Leuten steht um diese Zeit das Essen auf dem Tisch.

Kriemhild: Mit dem Essen müssen wir nicht warten. Das ist nicht nötig. Gleich bin ich so weit. Dann steht es auf dem Tisch. (sie geht in die Küche und richtet für Brunhilde etwas zum Essen)

Brunhilde: Und wer nicht kommt zur rechten Zeit, der muss eben nehmen, was übrig bleibt.

Kriemhild (sie deckt den Tisch für sie beide): Doch still. Da hör ich was. Ja, er ist´s! Das ist Siegfried!

Brunhilde: Es ist noch jemand bei ihm.

Kriemhild: Das wird der Rechtsanwalt sein. Er wollte ihm noch unser Anwesen zeigen.

Brunhilde: Wieso denn das?

Kriemhild: Zum Abzocken! Damit man als Rechtsanwalt weiß, wie weit man gehen kann.

2. Kapitel: Siegfried kommt mit dem Rechtsanwalt.

Siegfried: Der für uns wichtigste Punkt betrifft die Frage, wann unsere Tochter Luise nach Hause kommt.

Rechtsanwalt S.: Das kann schon sehr bald sein ....

Siegfried: Wenn ich ansonsten auch ein Knauser sein mag: in dem Punkt bin ich so splendid, als gälte es, den liebsten Menschen vor dem Tod zu retten! Doch wie soll das geschehen?

Rechtsanwalt S.: Wir zetteln einen Prozess an gegen Ihre Tochter, irgendein Prozesschen. Und ich sags Ihnen ganz ehrlich, auch wenn ich dabei Schaden erleide: der Nennwert muss dabei gar nicht hoch sein; dann muss ihre Tochter mit ihrem Anwalt hier vor Gericht erscheinen.

Siegfried: Und was für ein Prozesschen lässt sich da anzetteln?

Rechtsanwalt: Lassen Sie sich überraschen! Wenn Sie das Honorar überwiesen haben, so soll es keine drei Tage mehr dauern, dann ist die Tochter aus den USA bei Ihnen.

Siegfried: Und wie hoch ist das Honorar?

Rechtsanwalt: Ich habe die Summe auf dieses Blättchen geschrieben, das ich Ihnen nachher überreichen werde.

Siegfried: Müssen wir dann die Tochter abholen?

Rechtsanwalt: Das wird nicht nötig sein. Wenn Sie es wünschen, wird man sie Ihnen bringen.

Siegfried: Das wäre wohl am besten. Man soll sie uns bringen, sobald sie da ist.

Rechtsanwalt: Da vorn, das dreistöckige Haus, das ist ihr Haus? Hier also wohnen Sie!

Siegfried: Ich, meine Frau und unsere kranke Tochter Brunhilde! Im Erdgeschoss soll dann meine ältere Tochter Luise wohnen.

Rechtsanwalt: Wo momentan noch Ihre Untermieter wohnen!?

Siegfried: Den zweiten Stock bewohnen wir selber, und im dritten befindet sich gleichsam noch ein privates Domizil von mir.

Rechtsanwalt: Eine nebenberufliche Erwerbsquelle?

Siegfried: Nur so!

Rechtsanwalt: Und wie lange wohnen Sie nun schon in diesem Haus?

Siegfried: 30 Jahre! O, ich erinnere mich noch sehr gut, wie wir hier eingezogen sind ins neue Haus. Das war jetzt genau vor 30 Jahren. Es war an einem der ersten Maimorgen. Als wir frühmorgens mit dem Möbelwagen ankamen, war eben die Sonne aufgegangen. Die Haustüre stand offen. Und gleichsam, als lüde uns alles ins Haus, duftete es von überall her. Der frische Verputz hinter den Gerüsten und das frisch gestrichene Holz der Treppen und Wände im Innern zog uns alle, vornehmlich aber die Kinder ins Innere. Noch schien die Welt heil, nirgends war auch nur der Schatten eines das Leben vergällenden Nachbarn oder eines Untermieters zu sehen.

Rechtsanwalt S.: Und die Leiter da? Ist die dazu da, dass Sie darüber in ihre Wohnung einsteigen?

Siegfried: Da bin ich eben dabei, das Haus neu zu verputzen.

Rechtsanwalt: Das tun Sie selber?

Siegfried: Ist das eine Schande, wenn ich mir nicht zu schade bin, auch Hausmeisterdienste zu verrichten?

Rechtsanwalt: Gott bewahre! Und Sie haben drei Häuser?

Siegfried: Dieses und dann noch zwei Mietshäuser. Doch, was will das schon heißen? Die Zukunft kann schon bald sehr teuer werden.

Rechtsanwalt: Gewiss, gewiss!

Siegfried: Man weiß ja nie, wie sich die Zeiten ändern. Das heißt, eigentlich weiß man´s, dass es nämlich immer nur schlimmer und noch schlimmer kommt!

Brunhilde (beim Essen): Muss er das alles erzählen?

Rechtsanwalt: Da wäre freilich leichter wirtschaften gewesen, wenn Sie nur ein Einfamilienhaus gebaut hätten. Dann hätten Sie nie vermietet und mithin nie Scherereien mit Untermietern bekommen. Doch dazu reichte vermutlich das Geld nicht?

Brunhilde: Was geht ihn das an? Aber ich hab´s doch gesagt! Ein Wort zu viel genügt schon und jedermann fühlt sich ermuntert, auch noch seinen Senf dazu zu geben.

Siegfried: Wir empfanden es stets als eine Verpflichtung, auch anderen unser Haus zur Verfügung zu stellen.

Rechtsanwalt S.: Nun wäre da also noch der Erbschaftsprozess. Wie ich Ihnen gesagt habe, ist die Sache längst anhängig beim Gericht.

Siegfried: Nur dass wir nicht damit einverstanden sind, dass die Schätzung des elterlichen Hauses über einen meinen Geschwistern gut bekannten, privaten Bauunternehmer erfolgt. Wir lassen uns nicht über den Tisch ziehen.

Rechtsanwalt: Wir haben bereits darauf gedrängt, einen vereidigten Sachverständigen dazu zu nehmen.

Siegfried: Und? Geht das in Ordnung?

Rechtsanwalt: Selbstverständlich. Unsere Kanzlei, müssen Sie wissen, hat einen guten Namen, übrigens nicht nur was Erbschaftsangelegenheiten betrifft. Auch im Steuerrecht sind wir kompetent. Das weiß jedermann. Durch die Übernahme ihrer Sache durch unsere weltweit anerkannte Kanzlei, das können Sie sich denken, ist die Gegenseite selbstverständlich aufs äußerste geschockt.

Kriemhild: Da kostet dann vermutlich alles gleich dreimal so viel. Überhaupt, dass man den Fachleuten immer sagen muss, was sie zu tun haben. Längst hätte schon recherchiert werden können, was jedem als Erbe vermacht worden ist. Jawohl, längst wär es an der Zeit gewesen, nicht nur den Wert des Hauses und des Grundstücks genau abschätzen zu lassen, entsprechend dem heutigen Marktwert, sondern auch alles Mobiliar. Und hätten wir damals den Herren Medizinern gesagt, was sie zu tun haben, dann wärst du heute wieder gesund.

Siegfried: Sie haben zu Protokoll genommen, dass mich mein Bruder übervorteilt hat?

Rechtsanwalt: Auch habe ich geltend gemacht, dass Ihr Herr Vater damals nach dem Schlaganfall wohl schon nur noch sehr bedingt rechnungsfähig gewesen sein dürfte.

Siegfried: Anders ist das Testament gar nicht denkbar. Das kann er nur verfasst haben in einer Nacht– und Nebelaktion, ohne Mitwissen meiner Mutter.

Rechtsanwalt: Ich habe das Gericht bereits darauf hingewiesen, dass Sie, Herr Siegfried Kassander, der Lieblingssohn Ihrer Mutter waren, was, wie ich herausgefunden habe, auch von der Gegenpartei nicht bestritten wird.

Siegfried: Ich hätte ja alles ertragen, auch die Rückstellung meiner Erbrechte, wenn mir nur meine Tochter nicht so schwer erkrankt wäre. Da brauche ich nun eben Rücklagen ...

Rechtsanwalt: Ich verstehe. Doch das behalten wir für uns. Haben Sie mich verstanden?

Siegfried: Gewiss. Und doch, was für ein trauriger, was für ein erschütternder Anblick! Meine Tochter, noch im blühendsten Alter und doch schon so schwer krank, dass sie ohne unsere Hilfe nicht existieren kann

Brunhilde: Peinsames Wasser zum Saufen für die Frösche!

Siegfried: Und meine Frau ... es ist nicht auszuschildern ... Wenn ich nur daran denke, dass das arme Kind einmal ohne seine lieben Eltern in der Welt zurückbleiben muss.

Brunhilde: Und ohne den Herrn Jesus!

Kriemhild: Soll ich herausgehen?

Brunhilde: Nein, bleib!

Siegfried: Sie glauben ja nicht wie hässlich das ist, Tag für Tag von solch einer Krankheit geprüft und geprügelt zu werden. Manchmal ist mir, als gäb es nichts Hässlicheres und Gemeineres als eine solche Krankheit. Wenn man sie doch nur packen und zur Rede stellen könnte! Komm hervor, ruf ich ihr zu. Aber sie hört nicht darauf. Vielmehr beliebt ihr, versteckt zu bleiben, dass man sie nie sehen kann. Nur ihr Lachen, das gemeine Lachen, kann man manchmal hören, bald hier, bald dort. Als wärs nicht genug, dass es sie gibt, nein, als brauchte sie auch noch die Genugtuung, mich zu verspotten und meine Wut über sie zu genießen. Sie ahnen ja nicht, wie mich die Welt anwidert und wie sehr mich danach verlangt, bis dass es endlich einmal still ist bei uns im Hause.

Rechtsanwalt: Sie waren Lehrer?

Siegfried: Jawohl. Seit 3 Jahren bin ich nun aber außer Dienst. Sie dürfen mir glauben, dass ich ein erfülltes Berufsleben hinter mir habe. Wie ich Ihnen schon gesagt habe, war ich Lehrer. Über 40 Jahre hinweg habe ich die Kleinen unterrichtet und sie, ich darf wohl sagen, wacker auf das Erdenleben vorbereitet. Viel Erde und Himmel habe ich gleichsam mit ihnen durchforscht und wohl auch manches entdeckt, was für das Leben der kommenden Generationen von Vorteil sein wird.

Rechtsanwalt: Auch vom Himmel?

Siegfried: O ja. Ich erteilte auch Religionsunterricht. Ich führte die Kinder ins Christentum ein.

Rechtsanwalt: Und Sie gehen sonntags zur Kirche?

Siegfried: Seit der Erkrankung unserer Tochter haben wir Abstand genommen.

Brunhilde: Wie peinsam, sich das alles anhören zu müssen!

Kriemhild: Soll ich doch herausgehen?

Brunhilde: Nein! Warte noch! Bleib noch!

Rechtsanwalt: Die Religion bietet keine Hilfe mehr?

Siegfried: Mein Herr!

Rechtsanwalt: Nun ich meine ja nur, weil Sie sagten, sie hätten die Kinder ins Christentum eingeführt.

Siegfried: Allein, auf uns gestellt, verlassen von Bekannten, Freunden und Verwandten leben wir hier. Von meinen Geschwistern hab ich Ihnen ja schon erzählt. Dass mich aber auch mein bester Freund im Stich gelassen hat, hab ich Ihnen wohl noch nicht erzählt.

Rechtsanwalt S.: Dafür haben Sie jetzt mich zum Freund. Gewiss, meine Freundschaft kostet etwas. Aber dafür ist sie auch etwas wert.

Brunhilde: Sprenkeln für die Drosseln.

Rechtsanwalt S.: Was kann dem Menschen auf die Dauer schon bedeutsam sein, wenn er sich´s nicht unentwegt etwas kosten lassen müsste?

Siegfried: Und schließlich müssen ja auch Sie von etwas leben.

Rechtsanwalt S.: Ich lebe davon, dass ich meine Freundschaft verkaufe.

Kriemhild: Und die Ärzte leben davon, dass sie den Menschen den Tod verkaufen.

Brunhilde: Und die Pfarrer verkaufen schon den Himmel, wenn er auch erst in ein paar Milliarden Jahren tagen soll. Hol sie doch alle der Teufel!

Siegfried: (indem er an ein Fenster der Untermieter geht) Und bis wann meinen Sie, sind wir das Gesindel los?

Rechtsanwalt S.: Das ist schwer zu sagen. Vor allem aber sollten Sie sich einer vorsichtigeren Wortwahl bedienen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die winzigsten Injurien einen für todsicher gehaltenen Prozess noch zum Kippen gebracht hätten.

Siegfried: Gewiss. Man kann die Leute nicht auf die Straße setzen; und das will ich auch nicht. Aber dass ich mein Leben lang immer nur mein eigenes Haus mit anderen teile, das geht doch zu weit.

Untermieter: (man hört, wie das Fenster geöffnet wird) Sehen Sie sich vor. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein für todsicher gehaltener Prozess noch zum Kippen kommt.

Siegfried: Seien Sie doch still! Lange genug war ich jetzt ein fairer Vermieter und damit ein guter und sozial gesinnter Demokrat. Wohnungen habe ich für andere geschaffen und habe sie stets weit unter dem Normalwert vermietet.

Untermieter: Und dafür, dass er nicht den allerhöchsten Mietzins am Ort nimmt, glaubt er, uns den Aufenthalt auf unserer eigenen Terrasse verbieten zu können, sobald sein Frl. Tochter, die Prinzessin Turandot, den Garten betritt. Das müssen Sie wissen, Herr Rechtsanwalt.

Siegfried: Tatsache ist, dass ich den Wohnraum brauche für meine eigene Familie. Im Übrigen habe ich mich nach einer anderen, ebenso großen und nicht teureren Wohnung umgeschaut und bin in einem kleinen benachbarten Weinort fündig geworden. Das war nicht leicht, weil wir die Wohnung so billig hergegeben haben. Aber so ist das in unserem Land: Dafür, dass du sozial bist und menschenfreundlich, wirst du auch noch bestraft.

Rechtsanwalt: Aber Schwiegersöhne haben Sie keine?

Siegfried: Nein, Schwiegersöhne haben wir keine.

Rechtsanwalt: Auch nicht in näherer Aussicht?

Siegfried: Auch nicht in näherer Aussicht.

Untermieter: Lieber würde ich mich aufhängen, als hier Schwiegersohn zu werden.

Siegfried: Ja, dann häng er sich doch auf. Das Seil kann ich ihm noch spendieren. – Wir jedenfalls danken dem lieben Gott, der er es zumindest insofern gut mit uns gemeint hat, dass wir uns nicht auch noch wegen eines Schwiegersohns die Haare ausraufen müssen. Das fehlte ja eben noch, dass wir uns auch noch wegen fremder Leute Sorgen machen müssten, die weiter nichts verstehen als Kinder in die Welt zu setzen und sie dem lieben Gott und dem weiteren Gang des Weltgeschehens zu anheim zu stellen. Was den Eigenbedarf angeht, so steht der jetzt aber doch außer allem Zweifel. (er gibt dem Rechtsanwalt Geld)

Rechtsanwalt: Wenn alles gut geht, kann schon morgen der Möbelwagen vor der Tür stehen. Versprechen kann ich zwar nichts, meines Wohlwollens und meiner unermüdlichen Arbeit aber seien Sie gewiss! Leben Sie denn wohl. (Er geht.)

Brunhilde: Hat er ihm Geld gegeben?

Kriemhild schließt leise wieder das Fenster, während Siegfried das Haus betritt.

3. Kapitel: Siegfried wird im Haus empfangen.

1. Abschnitt: Siegfried kommt herein

Kriemhild: Siegfried? Bist du´s?

Siegfried: (ins Zimmer tretend) Ich bin´s.

Kriemhild: Du kommst aber spät. Du verstehst, dass wir nicht länger mit dem Abendessen warten konnten.

Siegfried: Das habe ich auch gar nicht erwartet.

Brunhilde: Und damit du es gleich weißt. Wir haben deinem Gespräch mit dem Rechtsanwalt zugehört. Du hast wieder einmal so laut geredet, als ob es alle Welt vernehmen sollte!

Siegfried: Ich bin eben schwerhörig; da merk ich das nicht.

Brunhilde: Und dann vergisst du doch glatt, dass wir darauf bestanden haben, dass Luise augenblicklich nach Hause zurückkommen soll.

Siegfried: Der Anwalt hat´s mir ja versprochen ...

Brunhilde: Versprochen! Er muss es dir schriftlich geben. Einklagbar! Wenn er den Termin verstreichen lässt, muss er zahlen! Nur auf Geld reagieren diese Herren. Ende dieser Woche hätte er dir schriftlich geben müssen, dass die Ausreißerin da ist. Oder der Rechtsanwalt hätte uns 10000 Euro Strafgebühr zu zahlen. Hättest du Stärke gezeigt und Männlichkeit, dann wüssten wir jetzt Bescheid und könnten uns darauf einrichten. Oder wir würden einen anderen Anwalt nehmen. Hungrige Anwälte gibt es wie Sand am Meer. Aber du bist zu lahm, zu lasch, zu nachgiebig, wenn es gilt, Stärke zu zeigen. Jedermann macht mit dir, was er will.

Kriemhild: Und warum musste dich der Anwalt bis unter die Tür begleiten?

Brunhilde: Sicher wollte er sich vergewissern, wie viel Besitz und Geld wir haben.

Kriemhild: Hast du ihn geschmiert?

Siegfried: Was blieb mir sonst übrig?

Brunhilde: Wie viel hast du ihm gegeben?

Siegfried: 50 Euro.

Kriemhild: Das ist für den doch nichts, für uns aber eine ganze Stange Geld.

Brunhilde: Dafür hätt ich mir einen Vogelbauer mit einem Kanarienvogel kaufen können. Aber das muss er uns wieder herauswirtschaften.

2. Abschnitt: In der Küche

(Kriemhild geht in die benachbarte Küche, etwas zum Essen für Siegfried zu richten.)

Siegfried: Hast du schon gegessen?

Kriemhild: (nickt)

Siegfried: Es ist noch ein trockenes Brötchen da von heute Morgen; das konnte ich in der Eile nicht mehr essen; du kannst mir´s hinzulegen. Und dann stell noch bitte vom Wein hinzu, den ich gestern gebracht habe. Er war halb so teuer und schmeckt doppelt so gut wie der, den ich sonst immer gekauft habe.

Kriemhild: Übrigens hab ich dich zweimal auf deinem Handy zu erreichen gesucht. Aber du hast nie abgenommen.

Siegfried: Ich hab´s gehört. Aber da war ich in der Kanzlei.

Kriemhild: Darf man da nicht telefonieren?

Siegfried: Du hast mir gesagt, dass du nicht willst, dass jemand was mithört.

Kriemhild: Du musst ja nichts antworten. – Und in der Kanzlei bist du solange geblieben?

Siegfried: Der Rechtsanwalt war noch nicht da, als ich kam. Die Sekretärin sagte, er sei in einer sehr wichtigen Angelegenheit unterwegs. Einige Stunden musste ich warten.

Brunhilde: Man sollte doch bitte schön nur einen solchen Rechtsanwalt aufsuchen, für den die Sache seines Mandanten absolute Priorität hat.

Siegfried: Er hat sich dann immerhin viel Zeit genommen und hat mich sogar noch bis hierher begleitet.

Kriemhild: Was er sich sicher gut honorieren lässt.

Brunhilde: Er wär besser pünktlich zur Stelle gewesen und hätte dich nicht begleitet.

Kriemhild: Und was hat er geleistet, außer Geld zu kosten?

Siegfried: Er hat die uns vorgelegte Hausschätzung als ungültig erklärt.

Brunhilde: Was für eine Kunst!

Siegfried: Und er wird auch dafür sorgen, dass Luise in den nächsten Tagen bei uns eintrifft.

Brunhilde: Kennen wir doch! Versprechungen, nichts als hohle Versprechungen.

3. Abschnitt: Essen für Siegfried

Kriemhild (ins Zimmer zurückkehrend mit Essen): Und was hast du in der Zwischenzeit getan? Du hast doch wohl nicht im Wartezimmer gewartet.

Siegfried (der allein isst): Ich hab mir in der Stadt die Füße vertreten.

Kriemhild: Warst du auch in Eberdingen?

Siegfried: Zuhause? Wie sollte ich auch. Ich hab dir doch versprochen, nicht mehr dorthin zu gehen.

Kriemhild: Du warst also nicht in Eberdingen?

Siegfried: In Eberdingen schon, ich hatte ja viel Zeit.

Kriemhild: Und du hast mit niemandem gesprochen?

Siegfried: Ich habe mit niemandem gesprochen ...

Kriemhild: Wie konntest du das wissen, dass du niemandem begegnest?

Siegfried: Ich bin ins Wäldchen gegangen, oberhalb des elterlichen Hauses und habe von dort aus ins Tal geschaut.

Kriemhild: Lange?

Siegfried: Ich hab nicht auf die Uhr geschaut. Aber 20 Minuten mögen es schon gewesen sein.

Kriemhild: Was hast du da gesehen?

Siegfried: Was soll ich gesehen haben?

Kriemhild: Hast du deinen ehemaligen Freund gesehen?

Siegfried: Der hat mich doch schon längst vergessen.

Kriemhild: Du wirst ihm wohl gar noch nachtrauern?

Siegfried: Ganz gewiss nicht.

Kriemhild: War es nicht gut, dass du ihm geschrieben hast?

Siegfried: Ich habe ihm mitgeteilt, was du mir diktiert hast.

Kriemhild: Soll das heißen, dass du etwas dagegen hast?

Siegfried: Wie sollte ich auch?

Kriemhild: Du hast mich ja selber gebeten, dir zu diktieren. Du hast gesagt, dass du das nicht kannst. Und dann hab ich dir diktiert. Und in 5 Minuten war die ganze Sache erledigt.

Siegfried: Ich weiß.

Kriemhild: Aber?

Siegfried: Kein Aber!

Kriemhild: Und doch?

Siegfried: Das Haus lag so hell in der Sonne und es duftete den Hang hinauf. Da überkam es mich.

Kriemhild: Dass es dich an die schönen Tage der Jugend erinnert hat, als ihr noch als Kinder dort am Eschbach gespielt habt.

Siegfried: Plötzlich ist man wieder Kind und weiß nichts mehr von alle dem, was später auf einen zukommt.

Kriemhild: Sag nur, dass dich 50 Jahre Freundschaft reuen.

Siegfried: Das habe ich nicht gesagt.

Kriemhild: Es kam dir alles wie verzaubert und verwunschen vor?

Siegfried: Ich beneide die Kinder, die tun können, was immer sie wollen! Selbst wenn es etwas Unschönes ist, bleiben sie doch unschuldig; allenfalls sind sie unschuldige Verbrecher.

Kriemhild: Wenn da z.B. ein kleiner 5jähriger Kerl aus dem Kindergarten einem Mädchen Liebe verspricht und dann alles wieder vergisst und die Liebe bricht, ist er unschuldig?

Siegfried: Im Alter kann man tun, was man will; selbst in der edelsten Handlung entpuppt man sich als schuldig.

Kriemhild: Hätte sich dein Freund als Freund erwiesen, so bestünde die Freundschaft noch heute. Wenn du aber einen Freund hast, und dann stellt sich nach 50 Jahren heraus, dass er dich im Stich lässt und verrät: dann hat er bewiesen, dass er nie dein Freund war.

Siegfried: Man glaubt an eine große Gemeinschaft und dann kommt das.

Kriemhild: Und dann türmen sich die Aufgaben, dass man sie fast bis in den Himmel übereinanderschichten könnte. (schreiend) Aber ich bin kein Atlas!

Siegfried: Lass gut sein!

Kriemhild: Du hast ja recht. Man muss nur lange genug warten, bis sich alles als eine große Täuschung herausstellt!

Siegfried: Wir geben nicht auf.

Kriemhild: Nein, wir müssen uns nicht verstecken! Auch wir haben ein Recht, uns stolzen Hauptes zu zeigen! Weil uns Unrecht geschieht, müssen wir uns nicht dünn machen! Aber es muss etwas geschehen! Jeden Tag kommt etwas Neues hinzu. Wir sind zu säumig.

Siegfried: Sag mir, was ich tun soll!

Kriemhild: Vor allem sollten wir darauf dringen, dass im Eberdingener Haus ein Stockwerk für uns geräumt wird, auf dass wir dahin gehen können, wann immer es uns beliebt. Und sei es auch nur, um den Herrschaften dort, allen voran deinem Bruder Erhard, die Hölle heiß zu machen.

4. Abschnitt: Brunhilde

Brunhilde (in den Vordergrund tretend, ungehört von den Eltern, während Siegfried isst): Wer glaubt, ein solches Leben sei etwas Schönes, der täuscht sich. Allein schon krank zu sein und sich nur mit Mühe fortbewegen zu können, ist eine permanente Tortur. Aber als 40 jährige Tochter zuhause eingesperrt sein und sich wie ein Kanarienvogel füttern und pflegen zu lassen und daran denken zu müssen, dass die Altersgenossen jetzt in der Welt draußen Karriere machen, während auf einen selber nur ein dummes Bett wartet, das ist eine noch größere Tortur.

(sie sagt jetzt laut) Gute Nacht! Ich gehe jetzt ins Bett! (sie humpelt aus dem Zimmer)

5. Abschnitt: Die Kontrolle

Kriemhild: Übrigens muss ich dir noch etwas mitteilen. Eigentlich ist es nicht der Rede wert, weil damit aber noch eine kleine Aufgabe verbunden ist, will ich dir alles in kurzem dazu sagen. Der Pfarrer war nämlich hier.

Siegfried: Der Dekan Benedick?

Kriemhild: Es war bereits dunkel draussen, nachtschlafende Zeit.

Siegfried: Und? Was wollte der hier bei uns?

Kriemhild: Natürlich wollte er sich nicht entschuldigen, dass er den 40. Geburtstag unserer Tochter Brunhilde verpasst hat. Dafür hat man uns bereits viel zu gründlich vergessen.

Siegfried: Weswegen ist er dann also gekommen?

Kriemhild: Mag sein, dass er damit gerechnet hatte, dass ich ihn mit den Worten begrüßte: "O verehrter Herr Dekan! O wundervoller menschenweidender Hochwürden! Lieber Herr Pfarrer! Wie gut, dass Sie gekommen sind, mir endlich den Weg zu weisen, wo es lang geht!?", um mich dann zur Rede zu stellen. – Aber nichts da. Da kam er bei mir an die falsche Adresse. Knallhart bin ich ihm begegnet, genau so, wie es diese Leute verdienen! Oder müssen wir es uns gefallen lassen, uns von Leuten zur Rede stellen zu lassen, denen es so gut geht wie kaum einem sonst? Müssen wir uns dafür, dass uns niemand hilft, auch noch bedanken und verprügeln lassen?

Siegfried: Uns verwöhnt niemand. Entweder wir verwöhnen uns selber oder wir kommen um.

Kriemhild: Zum Glück hab ich ihm die Tür nicht geöffnet.

Siegfried: Gewiss hatte Erhard ihn geschickt. Der Rechtsanwalt sagte mir´s ja, dass unser Erbanspruch dort wie eine Bombe eingeschlagen hat. Und dann hat er sich sicher an den Pfarrer gewandt und ihn bearbeitet. Solche Memmen können ja nichts selbständig tun.

Kriemhild: Geschäh ihm recht. Doch das allein war es diesmal wohl nicht. Hör nur zu! Vor dem Pfarrer war nämlich noch die Dame von der katholischen Sozialstation da. Wegen dem Pflegegeld für Brunhilde. Vermutlich weißt du nicht, dass die sich auf heute angesagt hatte. Immerhin hab ich dir schon mehrere Male gesagt, wie unausstehlich das ist, wenn die da ist. Statt das Formular rasch auszufüllen und wieder zu gehen, pflanzt sie sich vor Brunhildes Bett auf und bleibt dasselbst wie angewurzelt stehen, um sie sodann mit ihrem Mondkalbmitleid zu berieseln. Eine Weile lang seh ich mir das an und denke, es geschehe denn des Herren Wille. Aber natürlich hat alles ein Ende. Als sie nun also wieder eine Weile dagestanden ist, bitte ich Sie nun, das Formular fertig zu stellen. Hier hätten Sie zu unterschreiben, mehr bedürfe es nicht, sage ich, indem ich auf die vorgesehene Stelle zeige. Doch sie: "Nun seien Sie doch nicht so ungeduldig!" und "Man muss mich auch meinen Beruf ausüben lassen", versetzt sie. "Auch Sie haben sich doch als Lehrer nicht hereinreden lassen!" Ich drauf versuche ihr klar zu machen, zum wievielten Mal auch!, dass es hier nur um ein Formular geht für die Krankenkasse, wo man sich nicht mehr als die Unterschrift anschaut: Nein, versetzt sie, so gehe das nicht. Auch sie sei sterblich und jeder müsse sich disziplinieren. – Das Ende vom Lied war dann, dass sie mir die Unterschrift verweigerte und schmollend abzog.

Siegfried: Typisch für eine Angestellte. Würde sie in eigener Sache arbeiten, so wär sie in einer halben Minute fertig; denn Zeit wäre dann Geld. Für eine Angestellte aber, die ihre Stunden absitzen muss, ist das anders.

Kriemhild: Und dann noch das religiöse Getue.

Siegfried: Getrost. Morgen schauen wir uns nach jemand anderem um. Da gibt es sicher viele, die gerne das Geld für eine Unterschrift kassieren.

Kriemhild: Nur ob es damit sein Bewenden hat? Ich fürchte, dass wir hier sehr sorgfältig vorgehen müssen. Ich hab dir schon einmal gesagt, dass die Dame immer dazu drängte, dass wir von ihrem mobilen Pflegedienst Gebrauch machen sollten. Nun steht zwar ausser aller Diskussion, dass das Verhalten dieser Dame unmöglich war, andererseits aber wissen wir nicht, wie stark sich ein negativer Bescheid gegen uns auszuwirken vermag. Um mithin gar keine Diskussion aufkommen zu lassen, sollten wir uns schon gleich morgen bei der Leitung der Sozialstation wie auch bei der bischöflichen Behörde beschweren.

Siegfried: Und was soll ich da sagen?

Kriemhild: Dass hier nichts anderes zu überprüfen gewesen wäre als die Qualität der Pflege und dass nicht die Freundlichkeit oder gar die Servilität dem Prüfer gegenüber zur Bewertung anstand. Es ist ungeheuerlich, wenn eine Dame sich so aufplustert und wichtig macht und sich zwischen den Pfleger und den Kranken stellt, wie es hier der Fall war.

Siegfried: Und wenn man nicht darauf hört?

Kriemhild: Dann drohen wir mit dem Kirchenaustritt. – Du glaubst mir nicht? Komm! Setz dich hin! Im Fall des Falles nimmst du eine Postkarte und überreichst sie, ehe du gehst. (indem sie ihm eine Postkarte überreicht und einen Stift) Sehr geehrte Herren. Aufgrund der Vorfälle der letzten Tage sehen wir uns gezwungen, aus der Kirche auszutreten. Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass wir durch keinerlei Pflichten mehr gegenseitig gebunden sind als nur noch durch die, die durch das bürgerliche Gesetzbuch geregelt sind. Hochachtunsgvoll

Siegfried: Ist das alles?

Kriemhild: Wenn du das hast, dann gehst du und bittest bei der Krankenkasse um Aufschub wegen dem Pflegenachweis. Endlich gehst du zum Rechtsanwalt, wo du hartnäckig bleibst, bis er dir definitiv mitgeteilt hat, wann Luise kommt. Dies ist dann selbstverständlich auch der ultimative Termin, dass die Untermieter ausziehen.

@Kapitel Des Morgens vor dem Haus

6. Abschnitt: Erhard und Rechtsanwalt E. auf der Straße

Rechtsanwalt E.: An und für sich ist das keine schlechte Wohngegend hier. Und auch das Anwesen lässt sich sehen. Doch freilich, Krankheiten und Drangsale aller Art können sich auch in die herrlichsten Paläste einschleichen. Nur was nicht zu ändern ist, muss man ertragen. Was aber in unserer Macht steht, sollten wir so gestalten, dass es für alle erträglich wird. Aber es wird sich schon alles geben. Da bin ich ganz sicher. Sonst wär ich kein so hervorragender Advokat, wie ich nun einmal bin.

Kriemhild (hinter dem Vorhang): Das werden wir ja sehen!

Rechtsanwalt E.: Hat jetzt wenigstens das Stalking ein Ende.

Erhard: Es ist besser geworden, nachdem ich mich entschlossen habe, sobald sie es ist, die anruft, den Hörer aufzulegen. Noch besser wäre freilich, mein Bruder hätte mich nicht gezwungen, mir einen Anwalt aufzusuchen. Dann wanderte ich jetzt durch Spanien zum Grab des Apostels Jakobus nach Santiago.

Kriemhild (hinter dem Vorhang): Alles wäre aufs Beste bestellt, wenn man mit uns kooperiert hätte. Aber von einem Einsehen, dass man uns beim Erbe benachteiligt hat, war bei denen nie eine Spur! Jetzt fressen sie eben aus, was sie sich eingebrockt haben.

Rechtsanwalt E.: Gut ist gewiss, wenn man die Dinge, die einen betreffen, mit fremden Augen sehen kann!

Erhard: Und wenn ich fragen darf: wie lange muss ich mit eigenen Augen zusehen, wie Sie mit fremden Augen meine Angelegenheiten sich ansehen?

Rechtsanwalt E.: Sobald wir den Rechtsstreit für uns entschieden haben.

Erhard: Gestern hat mir von dem Weib geträumt. Anders will und kann ich mich nicht mehr über meine Schwägerin ausdrücken. Ohne anzuklopfen war sie in mein Zimmer eingedrungen und stand nun da und schaute sich um. "Das darf ich", sagte sie, gleichsam zu ihrer Rechtfertigung, als ich sie ansah. "Nein, das muss ich sogar; denn so hast auch du dich eingeschlichen zwischen uns und unsere Luise ... Was dich überhaupt nichts anging, hast du zu deiner Sache gemacht." Sie kam mir wie die 13. Fee vor, die ohne Einladung dennoch kommt, nur um einen bösen Spruch loszulassen.

Rechtsanwalt E.: Sie erwähnten einmal, dass Ihre Schwägerin auch schon ihren eigenen Bruder beim Erbe übervorteilt hat!?

Erhard: So ist es.

Rechtsanwalt E.: Ich fragte nur, weil solche Dinge im Verlauf eines Prozesses als Einsprengsel ganz nützlich sein können.

(sie reden leise weiter)

Kriemhild (hinter dem Vorhang): Reize mich nur niemand! Ich habe noch Kraftreserven, einem Heer von Schwagern und Brüdern als Vernichtungsmaschine zu erscheinen.

Erhard: Ich aber, das dürfen Sie mir glauben, werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit Luise nicht in diese Klapsmühle kommt! – Aber da kommt ja mein Bruder in seinem grauen VW. Im Auftrag seiner Frau Gemahlin verbringt er seine Tage.

Rechtsanwalt E.: Ist das ihr Bruder?

Erhard: Wenn man zu einem solchen Menschen noch Bruder sagen darf. Doch gehen wir auf die Seite, dass er uns nicht sieht!

Rechtsanwalt E.: Mich kann er durchaus sehen. Er kennt mich ja noch nicht.

Erhard: Aber schauen Sie nicht zu genau hin. Sonst schöpft er Verdacht.

Rechtsanwalt E.: Jetzt ist er vorbei.

Erhard: Gott sei Dank.

Rechtsanwalt E.: Das Auto hatte ich mir allerdings etwas anders vorgestellt.

Erhard: Als Daimlerdreistern oder sonst eine Luxuslimousine? O da täuschen Sie sich. Auch dies ist ja ein eindeutiges Indiz, dass alles Unheil von der Schwägerin herkommt. Was meinen Bruder Siegfried angeht, so war er Zeit Lebens genügsam. Stets war er mit wenigem zufrieden. Und auch seine Frau war stets mit wenigem zufrieden. Leider aber hat sich das alles mit der schweren Erkrankung ihrer jüngeren Tochter geändert.

Ohne dass er es bemerkt, weicht der Rechtsanwalt zur Seite und besieht sich das Haus näher.

Die Sorge um das Geld für die kranke Tochter, wenn sie schon bald einmal nicht mehr sind, raubt ihnen jetzt auch noch die letzten Augenblicke ihrer Zeit. Da heißt es, sich beeilen, auf dass man nicht zu kurz kommt. Da heißt es, gut aufpassen und lieber etwas zu viel misstrauen als nachher der Düpierte zu sein; da heißt es, lieber auch dem Bruder eins zu viel über die Rübe ziehen, als dass man noch selber eins über die Rübe gezogen bekommt. Mit einem Wort: da heißt es den hektischen Tanz des Mammon mittanzen, bis man nicht mehr kann. Weil man nun aber weiß, dass das nicht schön ist, will man nicht gesehen oder gar beobachtet werden. Und deshalb verkündet man auch die Doktrin von der Nichteinmischung in die innerfamiliären Angelegenheiten. Dadurch allerdings schneidet man sich die Zufuhr des Lebensatems ab. Wenn das unser Vater wüsste; das Herz würde ihm vor Leid zerbrechen. Stets war ihm das Wichtigste, was ihm am Herzen lag, dass sich die Kinder gut verständen und so den Bund ihrer Eltern ehrten. Er konnte ja nicht wissen, was für eine saubere Schwiegertochter ihm heranwuchs. Nichts Geringeres brachte sie fertig, als was sie schon bei sich fertig gebracht hat, nämlich alle Geschwisterliebe und Elternliebe für immer zu zerstören.

Nun steht sie da mit ihrer Kunst,

die unseren Bruderbund verhunzt!

Kriemhild: (verschwindet hinter dem Fenster)

Erhard: Nie hätte sich unser Vater träumen lassen, dass es einmal so weit käme! Und auch ich, wenn man mich noch vor 10 Jahren gefragt hätte, hätte behauptet, eher gehe die Welt unter, als dass das brüderliche Band Schaden nehme. Doch die Welt steht noch immer und das Unbegreifliche ist geschehen. Und das nicht durch einen rätselhaften nie durchschaubaren Vorgang. Das Allereinfachste ist geschehen. Wie man nach einem Todesfall ein Haus auskehrt und Reine macht, so wurde das väterliche Haus ausgekehrt und Reine gemacht, dass keiner davon weiß, dass wir hier einmal in Eintracht beisammen gelebt haben.

Rechtsanwalt E. (zurückkommend): Sie sagten, Auslöser für all das böse Verhalten ihrer Schwägerin und ihres Bruders sei der Krankheitsfall ihrer jüngeren Nichte gewesen? Ist es möglich, dass Sie mir dazu etwas sagen? Immerhin könnte uns das vor Gericht ein Stück weiter helfen.

Erhard: Das ist nun allerdings ein langwieriger und schwieriger Roman an und für sich, der mit den ersten Lebenstagen der beiden Töchter beginnt. Ich selber überschaue das alles nur ganz fragmentarisch. Nie in meinem Leben ist mir eine größere Voreingenommenheit zu eigenen Gunsten mehr aufgefallen als bei dieser Tochter. Als ob ihr, als einer begnadeten Schriftstellerin, jeden Augenblick, ein Faust oder ein Tasso in die Feder fallen könnte, und immer war es nur die Gegenwart eines Dritten, die sie dabei störte und die das bedeutsame Ereignis verhinderte. –

Was ich in aller Kürze zu sagen vermag, das ist dies, dass alles damit begann, dass sich meine Schwägerin die Erziehung der beiden Töchter ausschließlich als ihre Aufgabe vorbehielt und dass sie dabei große Ziele verfolgte. Nicht dass Sie nun meinen, ich hätte etwas dagegen, wenn Eltern von ihren Kindern groß denken und wenn sie für deren Talente die schönsten Beschäftigungen und Laufbahnen der Welt vorsehen. Wer auch sonst soll etwas auf den Menschen setzen, auf dass er sich gut entfalten und selber an sich glauben kann, wenn nicht die Eltern. Und auch wenn die Eltern es mit ihrer Liebe oft etwas übertreiben, wir sprechen da ja von der Affenliebe, so muss man es ihnen doch nicht verübeln. Lieber sind mir Eltern, die sich von ihren Kindern übertroffen wünschen als solche, die ihren Neid gar auch noch auf ihre Nachkommen ausdehnen. Das Ziel dieser Erziehung war nun freilich auch viel von Prestigedenken bestimmt. Wie in den meisten Vertretern der im Bürgertum aufstrebenden Schichten waren die Kinder als glanzvolles Aushängeschild der Familie gedacht. Wie gesagt, alles das verdient eher unseren Beifall als einen Tadel. Nicht gut war hier allenfalls, dass meine Schwägerin eben diese Erziehung von Anfang an als ihr ureigenes Ressort ansah. Nichts, was die beiden Töchter taten, sollte ihrer Kontrolle entgehen. Von Anfang an war sie Mater et magistra und wenn alles nach ihr gegangen wäre, wär sie dies auch noch heute. Ihre Anweisungen und ihr Wille, ihr Lob bzw. ihr Tadel waren es nur, die zählten. Mein Bruder hatte da nie etwas zu sagen. Er war gleichsam nur so etwas wie ein Hausverwalter und Familienknecht, ein Josef, der die weniger attraktiven Aufgaben in der Familie zu erledigen hatte, bei denen es auf Männerkraft und handwerkliche Geschicklichkeit, auf Fleiß und Geduld ankam. Wer die Liebe und Gunst der Mutter besaß, besaß selbstverständlich auch die Gunst und die Liebe des Vaters. Das war für meinen Bruder überhaupt kein Gegenstand des Nachdenkens; das war für ihn wahrscheinlich noch selbstverständlicher als ein physikalisches Gesetz. Versteht sich, dass unter solchen Bedingungen beim Ringen um die mütterliche Gunst unter den beiden fast altersgleichen Töchtern (andere Kinder hatten sie keine) schon ziemlich schnell ein erbitterter Konkurrenzkampf sich abzeichnete. Das ist der eine Zug, den man hier zu verzeichnen hat. Der andere ist der, dass die Kinder, wo eine Erziehung zur Selbständigkeit nie vorgesehen war, auch nie mündig werden konnten. Weder für eine eigene Berufswahl noch für eine Partnerschaft. Ohne nun in Einzelheiten dieser Familiengeschichte einzugehen, erwähne ich nur, das beide Töchter zwei Schulfächer zu studieren begannen, nämlich Deutsch und Biologie, wobei naheliegt, dass auch hier die Mutter die Wahl bestimmte und dass die Wahl aus dem Grund so ausfiel, als sich die Mutter zutraute, in diesen beiden Fächern, auch wenn sie nicht vom Fach war, das Sagen behalten zu können. Damals nun aber waren die beiden Töchter bereits derart verfeindet, dass gar nichts anderes mehr möglich war, als dass man die ältere Tochter, die bereits anerkanntermaßen das Stiefkind der Mutter war, ausziehen hieß und man ihr in der nahegelegenen Universitätsstadt ein Zimmer mietete. Von da an gingen die Schwestern getrennte Wege, und wohl ihnen, man hätte sie in diesen Wegen nicht gestört.

Brunhilde, die jüngere Tochter, genoss von nun an die Rolle des Nesthäkchens und Lieblingskinds in der Familie. Und nichts schien darauf hinzudeuten, dass sich daran etwas ändern sollte: bis plötzlich ein Unfall dazwischenkam. Das war vor etwa 15 Jahren. Nun hatte nämlich das liebe Kind zwei besondere Hobbys, denen sie fast in jeder Freizeit nachkam: Ballett und Reiten. Die Mutter hatte nichts gegen diese beiden Vergnügungen, zumal sie sicher zu sein glaubte, dass da keine Herrenbekanntschaften entstünden, eine Vorstellung, die ihr überaus horribel zu sein schien. Eines Tages nun stürzte das Kind vom Pferd. Fragen Sie mich nicht, wie das geschah. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es wohl kaum einen Arzt gibt, den Mutter und Tochter nicht aufgesucht hätten. Von einem Arzt zogen sie zum andern, manchmal zu drei Ärzten an einem einzigen Tag. Fest davon überzeugt, dass es für diesen ihren Fall eine Kapazität geben müsse, durchstreiften sie jeden Ort und jede Klinik. Aber es brachte nichts. Es wurde nur immer noch schlimmer. Statt die Kapazität ausfindig zu machen, kamen sie überdies noch mit Kurpfuschern zusammen, die den Fall nur noch verschlimmerten. Was vor allem die Mutter erregte und fuchsteufelswild machte, das war, wenn die Mediziner, am Ende von ihrem Latein, sich danach erkundigten, ob die Tochter nicht mit dem Reitlehrer in einer gewissen Beziehung gestanden haben könnte. Das brachte dann wohl auch die vielen Arztbesuche zum Stocken. – Das Leben nahm nun aber, wie man leicht versteht, einen entschieden anderen Gang. Zumal da die Tochter über immer größere Beschwerden beim Gehen klagte, ja selbst eine Bahn– oder Autofahrt für sie immer unerträglicher wurde, geschah es, dass sie kaum mehr aus dem Haus kam. Selbst in die Ferienwohnung nach Schleswig fuhr man nicht mehr, obwohl die Tochter ob der vielen Reitveranstaltungen dorthin stets sehr gern gefahren war.

Rechtsanwalt E.: Das ist allerdings erstaunlich.

Erhard: Mit dieser Krankheit beginnt nun auch das Buch der Geschichte der Tollheiten meines Bruders und der Offenbarung seiner jämmerlichen Gestalt. Wenn sich einer Ritter von der traurigen Gestalt nennen darf, so hat mein Bruder dazu ein unbestreitbares Vorrecht. Die Geschichte vom Nordseewasser kennen Sie ja schon: dass mein Bruder alle zwei Wochen die 1000 km hinauf fährt, um dort 20 l Wasser zu holen, weil das den Beinen seines Töchterchens, wie es behauptet, sehr gut tut. Eine andere Geschichte, die nicht minder toll ist, betrifft die Versuche, die Tochter an die Nordsee zu karren. Von den Versuchen, das Problem mit der Bahn zu lösen, will ich gar nicht erzählen. Sie scheiterten allesamt, weil die Tochter das Geratter des Zugs nicht aushielt, auch nicht wenn man jeden Tag nur 100 km absolviert hätte. In einer weiteren Versuchsreihe wurde nach dem besten Auto gesucht, in dem sich die Fahrt durchführen ließe. Als sich hier herausstellte, dass auch dieses Projekt scheitern sollte, und zwar am Profil der Autoreifen, probierte es mein Bruder kurzerhand mit glatten, d.h. abgefahrenen Autoreifen. Damals kam ich noch hin und wieder bei meinen Bruder vorbei. Als ich ihn darauf aufmerksam machte, dass er mit abgefahrenen Reifen nicht fahren dürfe, herrschte mich die Tochter an, weshalb sie das nicht dürften? Wenn es keine andere Möglichkeit gäbe, dann sei es ihr gutes Recht, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Ich erzählte diese kleine Einzelheit nur, um zu zeigen, wie sich bei dieser meiner Nichte alles um sie selber kreist.

7. Abschnitt: Die Nachbarn

(Das Untermieterehepaar und Nachbarn sind zwischen dazugekommen und hören mit. Darunter ist der Herr Spielvogel, der Schwiegersohn des Bürgermeisters; er ist Oberportier am Krankenhaus und hat seinen Hund bei sich. Außerdem sind noch zwei Nachbarinnen da.)

Herr Spielvogel: O mein Herr, wenn Sie der Anwalt sind dieses ehrenwerten Mannes, so können wir Sie nur bitten, uns möglichst bald von dieser Nachbarschaft zu befreien.

Untermieter: Dem können wir uns nur anschließen. Wir als Hausgenossen sind ja noch viel mehr in Mitleidenschaft gezogen als Sie, Herr Spielvogel, der Sie ja immerhin das Glück haben, auf der anderen Straßenseite zu hausen.

Herr Spielvogel: O sagen Sie das nicht. Als wir das letzte Jahr unsere Einfahrt neu machen ließen, was es da für Scherereien gegeben hat wegen der Pressluftbohrer, die die kranke Tochter nicht anhören zu können glaubte! Wenn ich nicht das Glück hätte, den Bürgermeister zum Schwiegerpapa zu haben, diese Leute da hätten uns an den Rand des Ruins prozessiert. So aber ist es zu einer außergerichtlichen Regelung gekommen.

Untermieterin: Gestern Nachmittag hätten Sie bei uns im Haus sein müssen, als die Dame von der Sozialstation da war. Da sind nur so die Fetzen geflogen. Wir glaubten, wir wären in einem Narrenhaus.

Frau Gefällig: Gestatten Sie, Herr Kassander, dass ich das so direkt ausspreche! Aber wenn ich an Ihren Herrn Bruder denke, wird mir bange. Im Dienst einer solchen Frau zu stehen, muss das Widerwärtigste sein, was es für einen Mann nur geben kann.

Untermieter: Wenn es nach mir ginge, würde ich die Leute in eine Anstalt einweisen. Oder ist das normal, dass sich einem der Magen zu drehen beginnt, sobald man diese Leute sieht?

Frau Ehrlich: Auch uns dreht sich der Magen.

Frau Gefällig: Es gibt wohl niemanden, dem sich nicht der Magen dreht. Sie sind wirklich ein Brechmittel.

Herr Spielvogel: Und wenn sie erst dort droben steht, hinter ihrem Fenster, und das Weltall kontrolliert!

Frau Gefällig: Zum Glück ist sie jetzt nicht dort.

Untermieterin: O täuschen Sie sich nicht! Die ist überall. Aber da kommt sie ja!

Untermieter: Und wie sie herangestürmt kommt, die Megäre!

Herr Spielvogel: Wenn man den Esel nennt, kommt er gerennt. Doch nein, halt, das ist ja nur die Frau des Esels!

8. Abschnitt: Kriemhild kommt hinzu

Kriemhild: Meine Herrschaften! Haben Sie nichts Besseres zu tun, als sich vor unsrem Haus zusammenzurotten?

Frau Gefällig: Holla, holla, gnädige Frau! Ist das die Art einer nachbarschaftlichen Begrüßung an einem so herrlichen Maienmorgen?

Kriemhild: Zum Teufel mit eurem Maienmorgen!

Frau Ehrlich: Wir an Ihrer Stelle würden zuerst einmal allerseits einen schönen, artigen Morgen wünschen und Gesundheit und Wohlbefinden. Und nicht zu vergessen Gottes Segen, Frau Kassander!

Kriemhild: Vor allem Gottes Segen, Frau Ehrlich!

Frau Ehrlich: An Gottes Segen ist alles gelegen. Das kann Ihnen jeder von uns bezeugen.

Kriemhild: Ehrlich währt doch noch immer am längsten. Oder etwa nicht, Frau Ehrlich? Da lässt sich doch noch immer leben.

Frau Ehrlich: Wenn Ihnen nichts an Gottes Segen liegt, das würde uns sehr enttäuschen.

Frau Gefällig: Dann aber beschweren Sie sich auch bitte nicht, wenn Sie der Rachestrahl des Himmels ereilt.

Kriemhild: Wie gefällig und gewandt Sie sich doch auszudrücken vermögen, liebe Frau Gefällig!

Spielvogel: Da hat Frau Gefällig ganz recht. Wenn ich der Vater im Himmel wär, ich würde solchen Leuten ordentlich den Marsch blasen.

Kriemhild: Wenn Sie der Vater im Himmel wären!? Der Marschbläserhimmelsvater, was?

Spielvogel: Spotten Sie nur!

Kriemhild: Sie denken doch wohl nicht schon so gering von sich, dass Sie sich einen Job beim Petrus am Himmelstor als Hilfspförtner oder als Pedell vorstellen könnten?

Frau Ehrlich: Aber wenn Sie Gott der Herr wären, Frau Kassander, dann würden Sie uns ganz bestimmt lange Nasen andrehen, auf dass man uns als Gaffer erkennte.

Kriemhild: Wie weise Sie sind, Frau Ehrlich!

Spielvogel: Aber sie hat doch Recht!

Kriemhild: Er kommt sich wohl vor wie der weise Zauberer.

Spielvogel: Nun aber mal langsam, Sie Allergie der Weisheit!

Kriemhild: Allegorie der Weisheit meint er wohl.

Spielvogel: Allergie hab ich gesagt. Basta.

Frau Ehrlich: Woher will Sie wissen, was der Herr Spielvogel zu sagen hat?

Kriemhild: Wenn der Esel die Reliquien trägt,

der König selbst die Brust sich schlägt.

Frau Gefällig: Weisheitskröte!

Kriemhild: Im übrigen bin ich gekommen, um von Ihnen eine Auskunft zu erhalten, was der Massenauflauf vor unserem Haus soll, werte Herrschaften! Da gaffen sie mit ihren Augen auf die Fenster und Türen von unserem Haus! Und selbst der würdige Herr Schwager gibt sich die Ehre in der Rotte solcher Subjekte.

Rechtsanwalt E.: Meine Damen und Herren! Ich darf mich empfehlen!

Erhard: Ich empfehle mich auch!

Kriemhild: Bravo, bravissimo. Empfehlen Sie sich nur alle!

Untermieterin: Lassen wir Frau Oberlehrerin nicht im Unklaren! Mag sie denn wissen, dass die Leute gekommen sind, sich nach Ihrer ältesten Tochter zu erkundigen, ob sie schon zuhause eingetroffen ist beim Herrn Papa und bei der Frau Mama und, nicht zu vergessen, bei der allerliebsten Lady Schwester.

Kriemhild: Und dazu kommen Sie hierher, schleichen an den Wänden herum und lauschen, ob Sie etwas ergattern können, was Sie einen feuchten Käse angeht!?

Untermieterin: Wir sind so frei.

Kriemhild: Vielen Dank, Lady Lumbiek!

Herr Spielvogel: Warum so barsch, wenn man es gut mit Ihnen meint, Frau Kassander?

Kriemhild: Ich brauche keine Nachfragen, vor allem nicht von Ihnen, Herr Spielvogel. Fragen Sie die Leute an der Krankhauspforte, die bei Ihnen vorbeigehn, ob sie was zu verzollen haben oder was immer Sie wollen.

Spielvogel (für sich): Rüpel, gib acht, dass ich dir nicht die Krawatte anziehe!

Kriemhild: Was aber meine älteste Tochter angeht, so bestimme noch immer ich, ob sie da ist oder nicht.

Frau Ehrlich: Dass der Bruder Ihres Mannes mit seinem Rechtsanwalt hier war, haben Sie sicher auch bestimmt!

Kriemhild: Ich weiß, was ich weiß.

Frau Ehrlich: Das ehrt Sie!

Kriemhild: Und wenn ich noch etwas weiß, so dies, dass Sie, verehrte Herrschaften, jetzt rasch nach Hause gehen sollten, statt nichts Besseres zu tun, als dem lieben Gott seinen Tag zu stehlen.

Spielvogel: Nur nicht gleich so von oben herab!

Kriemhild: Von oben herab? Erzähl er doch den Leuten, wie er es geschafft hat, sich von ganz unten bis zum Oberportier hinauf zu dienen, und wie er die Leute schikaniert! Vor allem die kleinen Buben! Das interessiert die Leute vermutlich sehr.

Spielvogel (für sich): Rüpel, gib Acht, dass ich dir nicht die Krawatte anziehe!

Kriemhild: Was sollen diese dummen Rüpeleien? Wer soll ein Rüpel sein?

Frau Ehrlich: Ein wenig vorsichtiger sollten Sie schon sein, gnädige Frau. Jede Ihrer Aussagen ist ein Affront, jedes Wort eine Beleidigung.

Untermieterin: Nur gut, dass keines unserer Kinder bei der hat die Schulbank drücken müssen.

Frau Ehrlich: Auch uns hat ein gnädiges Schicksal davor bewahrt.

Kriemhild: Überhaupt hätt ich mit dem Herrn Oberportier noch ein Hühnchen zu rupfen.

Spielvogel: Mit mir?

Kriemhild: Im Verein mit Ihrem Köter!

Spielvogel: Mit meinem Köter?

Kriemhild: Wollen Sie etwa leugnen, dass das Ihr Köter ist?

Spielvogel: Wenn ich Sie bitten darf, handelt es sich um meinen Hund, dem auch Sie die Ehre geben dürfen!

Kriemhild: Die Ehre geben? Was nicht gar! Er Unschuldslamm! Wie lang meint er, dass wir uns noch ansehen, wie sein Hund auf unsere Wiese springt und sie verkackt?

Herr Spielvogel: Welcher Hund kackt auf Ihre Wiese?

Kriemhild: Sein Hund! Versteht er kein Deutsch? Sie wissen wohl nicht, dass Sie ebenso bekannt sind wie Ihr roter Hund! Jedermann weiß doch, wie Sie in Ihrem Diensteifer geschlagene drei Jahre lang neben der Krankenhauspforte auch noch das Gelände davor bewacht haben. Wenn Sie ansonsten auch für die vor ihrer Pforte ankommenden Autos auf beiden Augen stockblind waren, so dass jeder aussteigen und vors Portierfenster musste und demütig um Einlass flehen, so haben Sie doch wie ein Falke keinen Fahrer übersehen, der sich anschickte dort hinten, und sei es auch nur für einen flüchtigen Augenblick, das Auto abzustellen. "Hier haben Sie nichts zu suchen! Wenn Sie nicht auf der Stelle verschwinden, hol ich die Polizei!" hörte man Sie weit übers Gelände brüllen.

Frau Ehrlich: Sie mit Ihrem Oberlehrer–Universalgenie glaubt wohl als alle ihre Zeitgenossen überragende Persönlichkeit besondere Achtung zu verdienen.

Spielvogel (für sich): Rüpel, gib Acht ...

Frau Gefällig: Jawohl, das ist eine infame Behauptung, der man unbedingt nachgehen muss.

Kriemhild: Und wenn ich den roten Hund noch einmal erwisch, so darf er Gift drauf nehmen, dass er unser Gelände nicht eher wieder verlässt, als bis ich ihn totgeschlagen habe!

Frau Lumbiek: Damit sind Sie gemeint, Herr Spielvogel!

Spielvogel (für sich): Rüpel, gib Acht ...

Herr Lumbiek: Da gehen Sie entschieden zu weit, gnädige Frau. Vielleicht dass der Hund von Herrn Spielvogel schon einmal das Bein gehoben hat an Ihrer Grundstücksgrenze. Aber das muss man einem Hund erlauben. Dafür ist er schließlich auch nur ein Hund.

Frau Ehrlich: Und wenn Sie uns nicht glauben, dann stellen Sie sich doch bitte an die Grenze und warten Sie ab.

Kriemhild: Bis der Spielvogelsche Köter kackt?

Spielvogel (für sich): Jetzt genügt es aber, Rüpel!

Frau Gefällig: Als ob wir nicht auch schon die Scheiße Ihrer Katze hätten wegputzen müssen. Das war keine Gefälligkeitsarbeit.

Kriemhild: Meine Damen und Herren, ich lass mir das nicht länger bieten! Ich werde die Polizei anrufen. Die soll hier für Ordnung sorgen.

Frau Gefällig: Ja, dann gehen Sie doch und rufen Sie Ihre liebe deutsche Polizei. Beeilen Sie sich aber, damit Sie sie noch vor der Schalterstunde erwischen.

Kriemhild: (sie geht, leert den Briefkasten und kehrt dann ins Haus zurück.)

9. Abschnitt: Lied (Duett)

Frau Gefällig:

Leicht lässt der Ehstand sich verstehn,

er macht das Leben herrlich,

wenn wonnig er und wunderschön

und gänzlich unentbehrlich.

Frau Ehrlich:

Ist man verliebt, denkt man gar schnell

an ihn nur süß in Träumen,

und sucht das Glück gleich auf der Stell

kein Stündchen zu versäumen

Frau Gefällig:

Doch wenn das Leben weiterführt,

ein Kind kommt nach dem andern,

des Alltags Müh und Last man spürt

und gern man würd auswandern

Frau Ehrlich:

wenn schön das Grün verlockt nach draus,

charmante Vöglein schmachten,

und man muss bleiben strikt zu Haus

und auf die Kinder achten

Frau Gefällig:

Wenn das Geschrei zu Haus nur lähmt,

dem Mann vergeht das Suchen

nach Hauses Glück, die Frau verschämt

isst ganz allein den Kuchen,

Frau Ehrlich:

dann geht der Ehstand rasch zu End,

das Glück wird schwach und schmächtig,

und spräng man auch noch so behend

wie einst und säng so prächtig.

Beide:

Viel lieber hab ich gar kein Kind,

als dass ich eins verliere,

und nichts als Elend zuhause find,

und mich drum massakriere.

Viel lieber hab ich abends frei

und geh vergnügt zu Bette,

als dass ich trag der Sklaverei

vielzentnerschwere Kette.

4. Kapitel: Zu Hause

1. Abschnitt: Anruf bei der Polizei

Kriemhilds Stimme aus der Küche (sie telefoniert): Hallo, wer ist dort?

Stimme: Hier ist das Kriminalamt für Freiburg Land. Sie sprechen mit Oberkommissar Häuptling. Mit wem spreche ich?

Kriemhilds Stimme: Hier spricht Frau Kassander aus Schönau, aus der Heimerstrasse 6. Ich möchte Sie bitten, einen Streifenwagen mit zwei Polizisten bei uns vorbeizuschicken oder sonst wie dafür zu sorgen, dass kein Mobbing mehr zustande kommt, wie es eben der Fall war. – Das geht entschieden zu weit, dass man mich umringt und Anstalt macht, auf mich wie auf eine Ehebrecherin loszugehen. – Jawohl. Frau Gefällig und Frau Ehrlich so wie das Ehepaar Lumbiek und, wenn es gesagt sein darf, der Schwiegersohn des Herrn Bürgermeisters war auch dabei. – Wie? Sie haben niemanden frei? – Irgend zwei tüchtige Leute werden Sie doch wohl noch auftreiben. Und sei es auch nur für kurze Zeit, zur Einschüchterung. – Ganz unbürokratisch. Jawohl. Das ist das Beste. – Einstweilen vielen Dank!

2. Abschnitt: Rechnungen

Kriemhild (kommt von der Küche ins Zimmer): So, das hätten wir. Nun wird dieser Lärm vor unserem Haus aufhören.

Brunhilde: Hast du die Polizei angerufen?

Kriemhild: Den Chef vom Kriminalamt, einen Herrn Häuptling. Den Obersten sich vorzunehmen, ist immer das Beste.

Brunhilde: Und du glaubst, der schickt uns wen?

Kriemhild: Zwei Leute, da bin ich ganz sicher.

Brunhilde: Und was sollen die bei uns?

Kriemhild: Du musst keine Angst haben.

Brunhilde: Angst?

Kriemhild: Hast du Angst?

Brunhilde: Ich?

Kriemhild: Lass mich nachschauen, was uns die Post gebracht hat!

Brunhilde: Was soll sie uns schon gebracht haben?

Kriemhild: Drei Briefe.

Brunhilde: Mir ganz gewiss nicht. Oder soll ich glauben, dass mir drei Prinzen ihre Liebe erklärt haben! – Warum sagst du nichts?

Kriemhild: Was soll ich dazu sagen?

Brunhilde: Das wär doch noch schöner, wenn wir den Briefträger jeden Morgen schon heiß erwarteten, um dann, wenn er kommt, ein Körbchen vom Balkon herunterzulassen, auf dass er uns die kostbare und herrliche Post hereinlegt.

Kriemhild: Da hast du leider recht. Bei uns im Briefkasten liegen stets nur faule Eier! Und doch kann man sie nicht im Kasten verfaulen lassen. – Als erstes wär da eine Rechnung vom Rechtsanwalt.

Brunhilde: Faules Ei Nr.1. – Und? Was müssen wir bezahlen?

Kriemhild: 1282 Euro.

Brunhilde: Und wofür?

Kriemhild: Für nichts und wieder nichts und noch ein drittes Nichts.

Brunhilde: Dacht ich mir´s doch!

Kriemhild: Drei Dienstleistungen, von denen eine kürzer und überflüssiger war als die andere.

Brunhilde: Greift und grapscht euch, ihr Geier, so viel ihr nur könnt! Und vergesst nicht, wenn ihr es euch in den Schlund stopft, daran zu ersticken! – Doch weiter, zum faulen Ei Nr.2!

Kriemhild: Es kommt von der Sozialstation. (reißt auf und liest) "Hiermit teilen wir Ihnen mit, dass wir leider nicht in der Lage sind, Ihnen den gewünschten Pflegebescheid auszustellen. Statt dessen sehen wir uns gezwungen laut Paragraf sowieso und sowieso den unten genannten öffentlichen Stellen Mitteilung zu machen ... Mit freundlichem Gruß ... "

Brunhilde: Tun wir eben, was wir uns ohnedies schon vorgenommen haben! Treten wir aus der Kirche aus! Dann kommt das Geld wieder in die Kasse! – Und Nr.3?

Kriemhild: Eine Rechnung vom neuen Hausarzt, dem Dr. Bierhahn, den wir herbestellt haben wegen dieser saudummen Gans von Sozialarbeiterin. (die Dame von der Sozialstation nachäffend) "Nein, da kann ich Ihnen die Unterschrift nicht geben." Sprach sie und zog ab und ich hatte das Nachsehen. Was blieb mir anderes übrig, als einen Arzt herzubitten? Schließlich kann man nicht wissen, was passiert, wenn diese Gans der Kasse schreibt, dass die Pflege nicht gewährleistet ist. Das Einsparen ist ja der Kassen höchste Kunst. Also wandte ich mich an den Praktiker, in dessen Behandlung ich vor Jahren einmal gewesen. Der kam denn auch prompt. In 5 Minuten war er damit fertig, den Gesamtstatus zu erheben. In 15 Minuten war er wieder aus dem Haus. Aber das war mir ja egal. Hauptsache, er hatte mir einen neuen Sozialarbeiter ausfindig gemacht, der mir dann auch das dumme Attest unterschrieben.

Brunhilde: Was will er?

Kriemhild: 217,65 Euro.

Brunhilde: Das ist das Zehnfache von dem, was die Krankengymnastin bekommt.

Kriemhild: Ich darf dich aber doch bitten! Seit wann vergleicht sich ein Arzt mit einer Krankengymnastin? Mit Chefärzten oder mit Bänkern vielleicht! – Doch was ist denn das? Noch eine Rechnung über 71 Euro? Wozu denn das? – Eine Rechnung an mich? Der hat mich doch gar nicht behandelt. Nicht einmal nach meinem Befinden hat er mich gefragt! – Freilich, das musste er ja auch nicht. Ich hatte ihn ja nur zu deiner Behandlung gerufen. "Diagnose: Herzarrhythmie" steht da. Das stimmt zwar, doch die Herzgeschichte hab ich nun ja schon über 7 Jahre. Aber so ist das inzwischen bei uns. Weil die Vorstände der Krankenversicherungen genau so viel verdienen wollen wie die Herren der Deutschen Bank und die Bosse der Gewerkschaften, streicht man an den Arzthonoraren. Damit nun aber die armen Herren Ärzte nicht verhungern, haben sie sich zu Künstlern erfundener Behandlungen emporgeschwungen, von denen sich nicht einmal der Mann im Mond etwas träumen lässt. – Und ich Dummkopf sagte auch noch, dass wir zu hundert Prozent versichert seien. Als ob ich ihn deshalb herbestellt hätte, um ihm den Rachen mit Gold zu verstopfen.

Brunhilde: Was machst du nun mit der Rechnung? Schickst du sie ihm wieder zurück? Man könnte sie auch einreichen und das Geld behalten. Immerhin hat uns die Krankenkasse auch schon oft über den Tisch gezogen; das wär eine kleine Entschädigung.

Kriemhild: Am besten wird´s sein, wir behalten die Rechnung vorerst bei uns. Man kann nie wissen, was einem geldgierigen Doktor der Medizin noch einfällt. Und wenn es ihn gelüstet, über seinen Anwalt das Geld einzutreiben, dann ists gut, ich hab das Dokument bei der Hand. Das Datum der Behandlung, wenn sie denn stattgefunden hätte, ist nämlich auch noch falsch.

3. Abschnitt: Hinter verschlossenen Rollos

(Kriemhild lässt die Rollos bei helllichtem Tag herunter)

Brunhilde: Warum lässt du den Rollladen herab? Der Tag hat doch erst begonnen!

Kriemhild: Was bleibt mir sonst übrig? Seit deiner Erkrankung, also seit über 10 Jahren bin ich nun hier, ohne einen einzigen Ferientag und ohne Sonn– und ohne Feiertag pausenlos im Einsatz und wenn ich einmal aus dem Haus oder vor das Haus komme, dann um mir diese vermaledeite Post ins Haus zu holen. Was für ein herrliches Leben könnt ich nicht haben, hätte ich nicht diese mir vom lieben Gott gesandte, wundervolle Krankheit, ohne diese halsbrecherischen Rechnungen von Ärzten und Anwälten, ohne die Aderlässe der Krankenkassen, die Kunststücklein der Pfleger und Apotheker, die gegenstandslosen Mahnungen der Sanitätshäuser und, nicht zuletzt auch, ohne diese vom Herrn Pfarrer mitleidsvoll ausgeschickten Kreaturen von Sozialarbeitern und -arbeiterinnen! Was für ein herrliches Leben könnt ich nicht haben, wälzte sich all der Unflat nicht mir aufs Haupt!

Brunhilde: Du bist mit den Nerven am Ende.

Kriemhild: Wenn sich früher mal noch jemand bei uns zu Besuch verirrt hatte, so tat ich alles, dass er mit dem schönen und unerschütterlichen Vertrauen wieder von uns hat gehen können, einen gewaltigen Liebesdienst verrichtet zu haben. Und wenn er uns anrief und fragte, wie es uns gehe und ich ihm vorlog, alles gehe sehr, sehr gut, oh da hat sich manch einer in die Brust geworfen und Gott gedankt, dass er ihn zum Diener seiner Liebe erkoren. Jetzt aber kann ich nicht mehr. Jetzt mag ich nicht mehr. Jetzt leg ich mich schlafen, damit ich endlich meine Ruhe finde. Mag mich der Teufel holen. (sie geht aus dem Zimmer) Ruf mir, wenn du mich brauchst! Oder wenn die Polizisten da sind.

4. Abschnitt: Brunhilde

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Brunhilde: Gestatten Sie, meine Damen und Herren, dass ich das Wort ergreife, nachdem sich meine Mutter zum Schlafen zurückgezogen hat. Wenn Sie meine Visage auch widerlich finden, wofür ich Verständnis habe, denn wer kann sich auch für ein krankes Scheusal erwärmen, das Vater und Mutter kommandiert und seiner eigenen Schwester nachstellt und alle an den Rand des Ruins bringt: so verweigern Sie mir jetzt doch bitte nicht Ihr Ohr! Vielleicht bedarf es sogar eines kranken Scheusals, das aus der Distanz zum sogenannten Gesunden und Normalen zu sagen vermag, was nun eben einmal gesagt werden muss. Ich frage Sie also, nach allem, was Sie bis jetzt gesehen und gehört haben, was Sie von der Welt hier halten?

@@LeseprobeEnde

Da gibt es nun also zuerst einmal mich, mich die kranke Tochter des Hauses, mich, den Krüppel, mich, das Grundübel des Hauses. Mit meinen knapp 40 Jahren werde ich aller Voraussicht nach ein Krüppel bleiben. Und während die anderen meiner Altersgenossen in die Welt hinausstürmen, werde ich hier sitzen. Und auch ein Kind werd ich nie in Händen halten. Nie werd ich mich über ein Kleines beugen und tröstend ihm zu singen: "Weine nicht Kleines, sei doch gescheit! Sieh doch die herrliche Sommerzeit!" Hier werd ich sitzen, allein, und werde aufpassen, dass meine Eltern nichts Falsches tun. Und meine Mutter wird tun, was ich sie zu tun heiße. Und mein Vater wird tun, was ihn meine Mutter zu tun heißt. Das wird solange währen, bis es einmal meine Eltern nicht mehr gibt. Dann werde ich allein sein. D.h. dann werden Leute kommen, die mich weiter versorgen, versteht sich, nicht ohne dass sie sich dabei tüchtig an meinem Erbe schadlos halten. Wenn dieses dann aufgezehrt und kein Pfennig mehr übrig ist, auch keine recycelbaren Organe mehr, die ein geldhungriger Chirurg noch brauchen könnte, dann werden sie mich in den nächsten Straßengraben oder zur nächsten Mülldeponie ausquartieren. Eine einzige Möglichkeit gibt es freilich noch, diesem Schicksal zu entgehen, wenn sich nämlich meine Schwester entschließt, nach Haus zu kommen und sich an meiner Pflege zu beteiligen.

O wie ist es doch zugleich ebenso lustig wie traurig, dass das alles so gut zusammen passt? Das Gute und das Böse, das Edle und das Gemeine, das Laute und das Leise, das Geschwätzige und das Stumme, das Erhabene und das Lächerliche, das Heilige und das Mordlustige, das Lebendige und das Tote. Und wenn man auch diese Welt nicht als beste und einzigartige anerkennen mag, verdient sie nicht wenigstens in dieser Hinsicht gerühmt zu werden, dass es eine Welt ist, die selbst einer Versammlung von so unterschiedlichen Narrenköpfen Platz bietet, wie man sie hier, in unserer Familie, findet?

O, meine Damen und Herren, geben Sie sich nur bitte nicht der Täuschung hin, dass alles, wie es nun einmal ist, sein muss. Was mich betrifft, so könnte ich mir gut vorstellen, meine lieben Eltern hätten mich nach meiner Erkrankung durch einen Trupp wackerer und ehrenwerter Männer abholen und eine Schlucht hinabwerfen lassen. Früher einmal glaubten die Menschen immerhin, wenn sie ihre kommunalen Angelegenheiten besorgten, Götter schauten ihnen dabei zu oder seien gar dabei mit am Werk. Vielleicht ahnten sie damals schon das Unergründliche und Unberechenbare der menschlichen Natur und waren froh, die Verantwortung auf Götter abwälzen zu können. Immerhin ersparten sie sich so die Last alles Nachdenkens und Herumgrübelns und Zweifelns. Sie versäumten dabei allerdings auch, Einblick zu gewinnen, wie sie sich aus den Banden einer rohen und grausamen Natur in die Bande einer nur noch grausameren Kultur begaben. In Wahrheit ist diese unsere Welt nicht das Werk von Götterhänden oder Götterinstrumenten, sondern das Produkt unseres Verstandes und unseres Unverstandes, unserer Klugheit und Habgier wie auch unserer herzinnigen Dummheit, unseres auf Bestand zielenden Glaubens wie auch unseres abgrundtiefen Zerstörungswillens. Heute wissen wir, dass diese unsere Welt keineswegs genauso hat auf uns zukommen müssen, wie sie auf uns zugekommen ist! Diese hochtechnisierte Welt, in der man Lumbieks und Gefälligs und Ehrlichs herumspringen sieht, aber auch den wackeren Herrn Spielvogel und den Pfarrer Benedick, sie gehört zwar zu dem, was der Fall ist, müsste aber noch lange nicht der Fall sein. Und auch was mich angeht und unsere Familie, so frag ich mich, wozu dieser Überfluss gut ist. Dass der denk– und lernfähige Mensch das Ende unserer Spezies eingeleitet hat, selbst auch, wenn er gegen manch eine Krankheit anzukämpfen gelernt hat, ohne selber wahnsinnig zu werden, war nicht so von Anfang an programmiert. Vielleicht, dass die heilige Vorsehung nicht für ausreichend viele Dummköpfe und unschuldige Gemüter vom Schlag einer Madame Spitz gesorgt hat, die zu keinem anderen Zweck auf die Erde kommen, als um den Fortschritt aufzuhalten und bald schon wieder zu verschwinden. Sie säen nicht und lernen nicht und doch ernährt sie unser himmlischer Vater. Vermutlich aber hätte vor Erschaffung der Welt die Höherentwicklung der Arten gründlicher bedacht werden sollen. Was, so hätte man sich fragen müssen, was wird der Mensch alles anstellen, wovon wird er träumen, was wird er sich wünschen, was alles sich fabrizieren? Es spricht nicht eben für die Existenz eines Weltgeistes, dass er übersehen hat, dass der Mensch mit dem Denken und Handeln zur Quelle unermesslicher Not würde. Hier hätte sich ihm viel gründlicher das Problem des unverantwortbaren Handelns stellen müssen. Versteht sich, dass der Mensch lange schon Handlungen ausführte, die wir heute mit Lüge und Mord, aber auch mit Tugend und Menschenwürde und ähnlichen Kategorien in Verbindung bringen, wovon damals noch überhaupt nicht die Rede sein konnte. Schuldlos erklang der Pfiff des etwas schwächlichen Primaten, mit dem er die Artgenossen in die Flucht schlug, als käme eine Schlange, worauf er dann in Ruhe sein Beutestück verzehrte. Sein Pfiff war zwar falsch und doch war´s noch keine Lüge. Er täuschte sich nicht minder als er auch die anderen täuschte. Er wusste noch nichts von der durch ihn ausgelösten Sprachverwirrung, wenngleich sie damals bereits bestand. Erst als man der Täuschung als solcher inne wurde und sie nicht mehr dulden wollte, was wohl mit vielen Katastrophen Hand in Hand ging, begann der Mensch, den Alptraum eines unverantwortbaren oder auch eines verschlagenen und listenreichen Handelns zu ächten und zu verwerfen. Erst von da an gab er sich Mühe, fortan als ein sittlich verantwortlicher Handelnder zu erscheinen. Nur, dass diese Notwendigkeit nicht von der Natur her kam noch auch von einem Götterhimmel, wie er glaubte, es sei denn, wir rechnen das Denken mitsamt der Vorstellung alles gebietender Gottheiten zu der Natur hinzu. Und doch! Was für ein Irrtum, vor einer Instanz der Notwendigkeit zu zittern und auf Gottheiten zu setzen, dass sie Einhalt geböten und Halt schüfen, während das Denken immer haltloser vorwärts drang und sich in immer gefährlicheren, technischen Leistungen ein Vermächtnis erschuf! Was für ein Himmel, unter dessen Dach sich diese unsere Welt ausbreitete und noch immer ausbreitet!

Was also nun? Sollen wir ausrufen? "Mensch, lass das Denken!" Sollen wir das Denken dem lieben Gott überlassen? Doch wo ist er? Warum kommt er nicht und gibt uns keine Antwort? Warum bleibt er stumm? Weiß er denn nicht, dass der Mensch, da er nun einmal Ohren hat, etwas hören muss? Oder hat er Angst vor uns und wartet ab, bis es uns nicht mehr gibt? Er, der sich gern als der Stärkste und Mächtigste ausrufen und anbeten lässt, kann er wollen, dass wir erkennen, dass es nichts gibt als ein trauriges Nichts und dass alles in einer Sackgasse endet? O es nützte ihm nichts, und wenn er sich auch in die letzte Besenkammer seines Himmelspalastes zurückgezogen hätte! Auch noch als Wahnsinniger wollte ich nach ihm suchen, bis ich ihn gefunden hätte. Und keine Ausflucht sollte ihm helfen.

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O, meine Damen und Herren! Mit der Existenz Gottes, so behaupte ich kühnlich, verhält es sich wie mit unserer inneren Not. Erst wenn wir sie aus uns heraus brüllen hören, ist sie da; wenn wir sie aber für uns behalten und nicht herauslassen, dann macht sie uns wahnsinnig. Was folgt daraus? Ist es nicht dies, dass dieser Gott seine Existenz unserer Feigheit verdankt, den wir mit uns nehmen als Zeugen unserer Erbärmlichkeit und Schwäche? Ist Gott nicht die erbärmliche Eselei auf dem Weg unserer Schwäche? Sei denn unsere Rede nein, nein und ja, ja. Iah, iah. Vor allem aber Iah, Iah! Und wenn meine Schwester nach Haus kommt, so sei meine Aufgabe, sie zum geduldigen Esel umzuerziehen.

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Täglich gequält von Not und Kummer

erwarten wir des Todes Schlummer

(allenfalls Musik und Lied: Der Kuckuck und der Esel..)

5. Abschnitt: Ankunft der Polizisten

Stimmen von draußen: Iah! Iah!

Brunhilde: Was war das? (Während Brunhilde sich umsieht, werden von draußen die Rollos in die Höhe gehoben, so dass man den Untermieter und zwei Polizisten erkennen kann. Sie trinken Bier aus Dosen.) Meine Herren, wer sind Sie und was machen Sie da?

Polizisten: (skandieren mit einer Kindertrommel)

Schinkel rassa

pinkel dschassa

bum bum bum!

Lumbiek: Gnädiges Fräulein, freuen Sie sich! Jawohl, fangen Sie einstweilen schon einmal an, sich zu freuen!

Brunhilde: Gehen Sie weg vom Fenster; da haben Sie nichts zu suchen!

Lumbiek: Schreien Sie Triumph!

Brunhilde: Sie sollen weggehen, hab ich gesagt.

Lumbiek: Wie viele sagen nicht Dinge, und meinen gerade das Gegenteil!

Brunhilde: Aber ich sage, was ich meine.

2. Polizist: Das gnädige Fräulein weiß sich so auszudrücken, dass man sie versteht. Mitunter freilich brauchen wir auch die anderen, auf dass auch wir uns verstehen.

Brunhilde: Meine Mutter braucht niemanden, um mich zu verstehen.

2. Polizist: Gewiss. Mutter und Kind. Das ist die innigste Verbindung, die es überhaupt gibt.

Lumbiek: Immerhin bin ich Ihr Wohltäter. Das können die beiden Herren bestätigen. Das sind nämlich die beiden Polizisten, die Ihre Frau Mutter beim Kommissar Häuptling bestellt hat und die nun schon da sind! So schnell geht das, wenn man Hand in Hand arbeitet. Weil aber das Fräulein noch immer nicht überzeugt zu sein scheint, so frage ich die Herren, ob sie der Kommissar Häuptling geschickt hat, ja oder nein?

2. Polizist: Und ob er uns geschickt hat. Hätte er uns nicht geschickt, wie hätten wir jemals eine Anstellung bekommen?

1. Polizist: Du meinst, wenn wir keine Anstellung bekommen hätten, so hätte er uns auch nicht schicken können.

2. Polizist: Kommt das nicht letztendlich auf dasselbe heraus? Wohin wir kommen, überall nehmen die Räuber Reißaus vor uns. Zeigen Sie uns also nur ganz ungeniert alles, was Sie auf dem Herzen, ja was Sie in Ihrem Herzen haben, gnädiges Fräulein, bis auf das letzte Fach, und wir wollen es den Räubern gründlich verschandeln.

2. Polizist: Überall spüren wir sie auf. Hinter jeder Türe, hinter jedem Riegel, hinter jedem Druckknopf.

Brunhilde: Das fehlte noch! Wollt ihr gleich!

Lumbiek: Hab ich euch nicht gesagt, dass man so dem gnädigen Fräulein nicht näher kommt.

1. Polizist: Das glaub ich nicht.

Lumbiek: Dann fragen Sie doch das Fräulein. Wenn wir nicht verschwinden, ruft sie nämlich die Polizei.

Brunhilde: Also, dann verschwindet jetzt!

1. Polizist: Gnädiges Fräulein. Vergessen Sie nur ja geschwind, was der Dummkopf gesagt hat. Die Polizei, das sind wir ja selber.

2. Polizist: Jawohl, gnädiges Fräulein, wer, wenn nicht wir, darf sich Polizist nennen? Im übrigen haben wir unserem Häuptling versprochen, dass wir nie in ein Haus einbrechen. Nur Räuber und Diebe brechen ein. Wenn wir in ein Haus eindringen, so geschieht es stets als Freunde des Hauses.

Brunhilde: Aber der da!

1. Polizist: Ja freilich. Mein Herr. Sind Sie Polizist? Das sind Sie also nicht. Was haben Sie dann hier zu suchen? Merken Sie nicht, wie Sie unserer Arbeit im Weg stehen? Also gehen Sie! Wohin Sie wollen! Und sei es auch zu der Pfefferinsel.

2. Polizist: Geben Sie zu, Fräulein, dass Ihnen ein klein wenig Spaß macht, uns bei unserer Arbeit zuzuschauen. Ein guter Polizist ist wie ein geübter Feuerwehrmann. So dicht wie immer nur möglich nähert er sich dem Gefahrenherd, ohne sich aber die Finger zu verbrennen. Selbst, wenn er einmal selber lichterloh brennt, weiß er noch das Feuer zu löschen. Nur für den Fall, dass es nimmer anders geht, dass es nimmer anders geht ... Sie verstehen doch: wenn es nimmer anders geht, muss ein Polizist ebenso schnell zur Sache sein wie ein Feuerwehrmann. Aber der Herr Lumbiek soll jetzt gehen. Seine Gegenwart ist schuld, dass wir nicht zur Sache kommen.

Lumbiek: (geht)

1. Polizist: Und wenn das gnädige Fräulein uns noch nicht ganz so zu erblicken vermochte, wie es unserem Rang entspricht, so ist nur diese lumpige Nacktschnecke dran schuld. (wirft die Bierdose weg) Das Dreckszeug da, müssen Sie nämlich wissen, haben wir nur ihm zu Gefallen getrunken. Schließlich muss man auf die Schwächsten Rücksicht nehmen.

2. Polizist: Nur schweren Herzen, nach reiflicher Güterabwägung haben wir uns dazu entschlossen.

6. Abschnitt: Die Polizisten steigen ein

(Die zwei Polizisten steigen durchs Fenster ins Zimmer, während Brunhilde einschläft. Kurz darauf steigt ihnen aber Lumbiek unbemerkt nach.)

Polizisten: (skandieren mit der Trommel)

Schinkel rassa

pinkel dschassa

bum bum bum!

1. Polizist: Verscheuchen wir zuerst einmal alle Gespenster. Fort mit allen Alpträumen, Druden, Alraunen, Waldschratten und was es sonst noch an Hexen und Kobolden geben mag, ein armes Kind zu bedrücken!

Polizisten:

Nacht–gepoker

Ekel–oger

weg weg weg!

1. Polizist: Bist du so weit?

2. Polizist: Hier ist niemand mehr.

1. Polizist: Hier auch niemand mehr. – Aber was tun Sie denn noch hier?

Lumbiek (mit Arztbarett): Erkennen Sie mich etwa wieder?

Ich bin der Doktor Eisenbart;

ich komm daher gelehrt apart;

bin jederzeit in großer Eil

besorgt um meiner Schäfchen Heil.

1. Polizist: Lumbiek, Lumbiek!

Lumbiek: Ich wollte Ihnen ja nur noch rasch mitteilen, dass der Lumbiek auch wirklich gegangen ist und dass Sie nicht mehr mit ihm rechnen müssen.

1. Polizist: Und dazu brauchten Sie diese Maskerade?

Lumbiek: Muss ich mich denn nicht verkleiden, wenn ich Ihnen sage, dass ich nicht mehr da bin? Stünde der Lumbiek hier und sagte, der Lumbiek ist nicht mehr da, da würden Sie an mir oder am lieben Gott zu zweifeln beginnen oder sie würden die Logik über die sieben Berge hinaus zum Teufel wünschen.

1. Polizist: Mein Herr, jetzt gehen Sie aber! Denn Sie stören uns gewaltig!

Lumbiek: Überhaupt, wie das Kind nach meiner Fürsorge schmachtet!

1. Polizist: Scher er sich endlich!

Lumbiek: Aber die Fadsch.

2. Polizist: Was?

Lumbiek: Die Zubb.

1. Polizist: Was soll das?

Lumbiek: Und der Sesam des Kühnen.

1. Polizist: Wenn gnädiges Fräulein nichts dagegen haben, so werden wir diesem Lumbiek oder Lumpig oder Drecksack und Lumpenpack jetzt einmal tüchtig den Hintern versohlen.

Lumbiek: Wenn die Herren nichts dagegen haben, bring ich meinen Esel jetzt in die Herberge des Abu Mansur! (er geht)

1. Polizist: Unerhört, uns mitten in unseren Darbietungen zu stören! Nicht wahr, gnädiges Fräulein. Damit muss nun endlich einmal Schluss sein, dass immer die Mädchen für das Amüsement der Männer herhalten, während diese leer ausgehen. Endlich einmal sollen auch die Damen ihr längst verdientes Amüsement bekommen! (zum 2. Polizist) Los komm her! Singen wir dem Fräulein etwas Schönes. (beide trommeln zuerst und singend dann)

Duett:

1. Polizist

Fräulein, uns, die Polizisten,

sieh dir an aus Schrot und Korn,

wie erprobt in 1000 Listen

wir zu Taten auserkorn!

 

Alle Guten, zu beschützen,

wissen wir bei Tag und Nacht,

feinste Mittel zu benützen,

tobt um uns auch heiß die Schlacht.

 

Doch den ganz geheimen Dingen

weihen wir die höchste Lust,

Kostbares, das wir erringen,

nehmen schnell wir an die Brust.

2. Polizist

Heil dem strammen Polizisten

der zu Fuß mühsam marschiert,

Ob auch unwegsam an Küsten

ihn Entbehrung vorwärts führt.

 

Heil, und gält es auch zu fliegen,

dass der Strom der Luft ihn wiegt,

wie ein Vöglein stillverschwiegen

dem ein Ei im Nestlein liegt.

 

Heil ihm, Wege zu erspüren

allen, die ihm anvertraut,

die er will zur Heimat führen,

wo der schönste Himmel blaut

3. Beide:

1. Polizist:

Lieb Mama, Papa sie schlafen,

zugedeckt von Müh und Last

Nur ein Fährschiff aus dem Hafen

lenkt noch einen letzten Gast

2. Polizist:

Auf herbei jetzt, die Gewehre

präsentiert sie kerzenschön,

dass zu aller Frauen Ehre

blitzblank sie in Reihe stehn!

1. und 2. Polizist:

Und gebt Feuer, wie vor Zeiten,

als der Frauen hübsche Schar

wonniglich Begehrlichkeiten

in uns regte Jahr um Jahr.

5. Kapitel: Das nächtliche Eselspiel

1. Abschnitt: Kriemhild´s Gedanken

Kriemhild: (sitzt da, eine Weile gedankenverloren und räsoniert)

Sind sie schon wieder da? Zum Glück noch nicht. Wenn man einmal so etwas erlebt hat, bringt man das nicht mehr aus dem Kopf. Dauernd sieht man an den Fenstern Köpfe herumgespenstern. O ich war ja ganz schön sauer, als ich dieses Gelichter gesehen habe. Hätten sie nicht ihre blauen Polizeiuniform angehabt, man hätte meinen können, größere Trottel ließen sich nirgends mehr finden und dass sie nur zum Schutz vor sich selber die Uniform trügen. Lasst mich, wenn ich auch nichts tauge, aber ich bin doch ein guter Polizist, schienen mich ihre Gesichter anzuflehen. Natürlich hab ich mich gleichwohl sogleich ans Telefon begeben und hab mich beschwert, was für Polizisten sie uns da geschickt hatten. "Was für Polizisten, gnädige Frau, was meinen Sie damit?" fragte man mich mit der allerunschuldigsten Miene. Da hab ich aber ausgepackt und Klartext geredet. Darauf, schon etwas kleinlauter, hat man mir gestanden, dass sie eben keine anderen Polizisten frei zur Hand gehabt hätten. Schon wieder wollte ich aufbrausen, doch da rief einer: "Gnädige Frau, nun beruhigen Sie sich aber. Ein Polizist ist doch immerhin ein Polizist. Und es wäre nicht das erste Mal, dass sich die scheinbar schlechtesten als die besten entpuppten. Ja die, denen man nichts zutraut, machen oftmals einen bessern als die tollsten Überflieger. Denken Sie daran. Sie werden es sehen. Unsere Polizisten werden Sie nicht enttäuschen." Drauf ich: Ich wollte aber keine Polizisten. Ich wollte Schutzleute!" –"Polizisten sind Schutzleute!" erwidert er. Doch ich: "Nur ein Polizist, der einen auch wirklich beschützt, ist ein Schutzmann, nicht aber einer, der einen überwacht und beschnüffelt und der allem Ungeziefer zeigt, wie man mich belästigt. Oder gehört das auch zu einem braven Schutzmann, dass er mir die Nase an den Fenstern platt drückt?" – "Ach, gnädige Frau", versetzt er mit der unschuldigsten Miene von der Welt, "wissen Sie, das ist nicht so schlimm wie es aussieht. Da haben es die Polizisten in den früheren Verbrecherstaaten ganz anders getrieben. Die sind in die Häuser eingedrungen, wenn nötig auch mit Gewalt und haben drinnen aufgeräumt. Da ist das doch nichts als ein heiteres Spielchen. Ja, Sie sollten es sich angelegen sein lassen, die Arbeit unserer Polizisten als heiteres Schauspiel anzusehen; dann gehören Sie immer zu den Gewinnern." Musste es mir da nicht die Sprache mit tausend Dreschflegeln verhauen?

2. Abschnitt: Vom Möbelwagen

Siegfried (von draußen kommt er ins Zimmer): Hallo, ihr Lieben! Da bin ich wieder! Endlich wieder zu Hause!

Kriemhild: Pst! Leise!

Siegfried: (er setzt sich an den Tisch und Kriemhild bringt ihm was zu essen) Schläft Brunhilde schon?

Kriemhild: (nickt)

Siegfried: Ist das noch der Wein von gestern?

Kriemhild: (nickt)

Siegfried: Und? Was gibt es sonst?

Kriemhild: Der Tag war lang und quälend. Hast du wenigstens den schriftlichen Bescheid?

Siegfried: Du meinst wegen Luise? – Die Zusage für morgen ist so gut wie sicher.

Kriemhild: Was soll das heißen? "So gut wie sicher"? Hast du sie nicht schriftlich?

Siegfried: Der Rechtsanwalt hat mir versichert, dass morgen, noch eh wir aus dem Bett gestiegen sind, der Möbelwagen vor dem Haus steht.

Kriemhild: Und eine solche mündliche Versicherung genügt dir?

Siegfried: Wenn ein Mann einem Mann sein Wort gibt ...

Kriemhild: Wenn, ja wenn ... Überhaupt, von welchem Möbelwagen war da die Rede?

Siegfried: Wie meinst du?

Kriemhild: Was holt oder was bringt dieser Möbelwagen? Was hat da der Herr Rechtsanwalt gesagt?

Siegfried: Luises Sachen bringt er natürlich.

Kriemhild: Das glaube ich nicht.

Siegfried: Warum nicht?

Kriemhild: Für die paar Sachen bedarf es keines Möbelwagens.

Siegfried: Dann ist es eben der Möbelwagen für den Umzug unserer Untermieter.

Kriemhild: Das macht einen großen Unterschied, wessen Möbelwagen morgen vor der Türe steht.

Siegfried: Lassen wir uns überraschen.

Kriemhild: Was sagst du?

Siegfried: Auch der Möbelwagen für den Umzug unserer Untermieter ist uns willkommen. Der schafft ja die Voraussetzung, Luise bei uns aufzunehmen.

Kriemhild: Warum gibst du nicht Acht, wenn solche Sachen besprochen werden? Jetzt hast du die Zusage für etwas und weißt noch nicht einmal, für was!

3. Abschnitt: Ärger mit den Polizisten

(Brunhilde kommt hinzu und geht wieder)

Brunhilde: Könnt ihr nie auch nur ein paar Minuten Ruhe geben?

Kriemhild: Siehst du! Du hättest leiser reden sollen. Brunhilde war im Schlafen und ist jetzt wach geworden.

(man sieht kurzzeitig die Köpfe der beiden Polizisten und des Untermieters am Fenster)

Brunhilde: Da sind sie wieder.

Kriemhild: Wo?

Brunhilde: Am Fenster. Die beiden Polizisten, die du bestellt hast. Da sieh her. Auch der Lumbiek ist dabei.

Kriemhild: Hab ich dir nicht gesagt, du sollst die Leiter wegstellen?

Siegfried: Ich habe sie weggestellt.

Kriemhild: Und wo hast du sie hingestellt?

Siegfried: Hinters Haus, in den Garten. Wahrscheinlich haben sie sie von dort wieder geholt.

Kriemhild: Dummkopf!

Siegfried: Hätt ich sie zersägen sollen? Aber bitte, wenn du willst, geh ich hinaus und zersäg sie.

Brunhilde: Die ganze Zeit über kleben sie schon mit ihren Nasen an der Scheibe.

Kriemhild: Das kommt von der frei herumstehenden Leiter. Hättest du sie weggetragen und an einen Baum angeschlossen.

Siegfried: Die haben nichts auf unserem Gelände zu suchen. Soll ich hinausgehen und sie von der Leiter stürzen?

Brunhilde: Das würde denen so passen. Das wäre ein Grund, gegen uns vorzugehen. Am Schluss haben sie drunten ein Auffangnetz ausgespannt.

Kriemhild: Lang mach ich das nicht mehr mit.

1. Polizist: (wieder vor dem Fenster, verulkend), Hier ist das Kriminalamt für Freiburg Land. Sie sprechen mit Oberkommissar Häuptling.

2. Polizist: Und hier spricht Frau Kassander aus Schönau, aus der Heimerstrasse. Ich möchte Sie bitten, einen Streifenwagen mit zwei Polizisten bei uns vorbeizuschicken!

Kriemhild: (schreiend gegen das Fenster) Das ist Bürgerbeleidigung. Das verstößt gegen das Grundgesetz! Ich halte das nicht mehr aus! Kein Tag vergeht, wo nicht einer meint, mich durch eine neue Gemeinheit piesacken zu müssen.

Lumbiek: (vor dem Fenster) Nur Ruhe Frau Kassander!

Kriemhild: Und wenn ich euch das Haus über dem Kopf anzünd!

Siegfried: Lass sie doch. Wir sollten uns das alles ganz anders zurechtlegen? Als stünden die Leute da draussen in unserer Gewalt und müssten für uns dieses Kasperletheater aufführen.

Kriemhild: (zu Siegfried) Wenn du noch lang so weiteredest, fang ich an, auch dich noch zu hassen.

Siegfried: Aber Liebste, was hast du denn?

Brunhilde: Mama ist mit den Nerven am Ende.

Kriemhild: Als wir hier ins Haus einzogen, waren wir noch jung und träumten vom Leben. Aber nicht von solch einem Leben. Nein, was wir da führen, das verdient lange schon nicht mehr den Namen Leben. Wenn du ein Mann wärst ...

Siegfried: Was wäre dann? Was würde ich dann? Was wünschst du von mir?

Brunhilde: Das solltest du von allein wissen. Dir aber muss man immer alles erst sagen.

Kriemhild: Du weißt, dass ich zwei Polizisten angefordert habe und dass man uns daraufhin diese Gesellen zugeschickt hat.

Siegfried: Soll ich sie totschlagen? Wenn du willst, sind sie bereits so gut wie erledigt. Sag, soll ich? Willst du? Sag es! Ich bin bereit! Soll ich sie von der Leiter stürzen?

Brunhilde: Bleib da!

Kriemhild: Wärst du kein Waschlappen, so hättest du gemerkt, wie unnütz unser Leben ist.

Siegfried: Lasst uns gut sein! Vor allem uns selber gegenüber.

Brunhilde: Wir wollen aber nicht mehr gut sein. Wenn Gut–sein heißt, die Welt anerkennen, wie sie ist, dann wollen wir gleich zweimal nicht gut sein. Dann wollen wir uns nur noch wohlfühlen im Böses–Tun. Oder wozu leben wir? Deren Hände frei sind, die schaffen wundervolle Werke, die aber vom Geschmeiß verfolgt werden, denen sind sie gebunden.

Siegfried: Wir schaffen es!

Brunhilde: Was denn? Was schaffen wir? Besteht nicht all unser Tun längst schon nur noch im Dahinvegetieren und im uns Stechen–Lassen von all diesen Schmeißfliegen in diesem Scheißgau?

Siegfried: Wir müssen geduldig sein!

Brunhilde: Müssen wir das? Wer zwingt uns dazu? Die Schmeißfliegen, die sich bereits um diese aasproduzierende Krankheit versammeln? Gibt es etwas Hässlicheres als diese Krankheit? Ah, ich könnte mich totschlagen, wenn ich wüsste, dass es die Krankheit trifft. Anfangs mag sie ja noch hingehen. Aber wenn sie sich dann breiter macht und immer breiter! Wenn der Kranke keinen Ton mehr piepsen kann und sich alles gefallen lassen muss. Wenn er in seinem Bett liegt mit offenem Maul, als lüde er die Luft ein, ihm durch die verrotteten Tracheen in die verfaulten Atemkammern zu folgen, und er bestenfalls noch etwas fester zu atmen oder aufzuseufzen vermag!

Kriemhild: Genug, genug! Davon wird es nicht besser!

Brunhilde: Jawohl. Ich habe mir noch einmal alles sehr gründlich überlegt. Vornehmlich, was mich und meine Krankheit und euch als Pfleger angeht. Ich bin ein Pflegefall und ich werde immer ein Pflegefall bleiben so viel steht fest. Was aber die Pfleger angeht, so gibt es davon zwei Klassen. Entweder man ist nur dem Namen nach ein Pfleger. Dann lässt man die Pflegebedürftigen links liegen. Die Pflegebedürftigen krepieren, der Pfleger aber lebt. Oder aber man bemüht sich um die Obliegenheiten eines Pflegers. Das aber setzt eine Geduld voraus, die wir getrost als Eselsgeduld zu bezeichnen haben. Wie viel sinnlose Arbeit man nämlich auch zu verrichten hat, nie darf man auf die Krankheit böse werden und sie zu hassen beginnen. Stets muss man dabei harmlos und fröhlich bleiben. Wenn sich nun aber einer um dieses Ziel bemüht, ohne es zu schaffen, so treibt es ihn in den Wahnsinn. Wenn ich nun also einmal auch daran gedacht haben mag, meine Schwester Luise mit der Narren– bzw. der Eselskappe zu ärgern, so bin ich davon längst abgerückt. Dachte ich damals als Regisseur eines schwarzen Theaters, so denke ich jetzt als Pädagoge und Menschenkenner. Das heißt aber nicht, dass wir die Kappe nicht mehr brauchen; im Gegenteil, das heißt nur, dass wir jetzt wissen, wozu wir sie brauchen. Nämlich zur Einübung in die Eselsgeduld.

4. Abschnitt: Siegfried als Esel

Siegfried: O ja. Lass uns damit beginnen. Gebt die Kappe her. Lasst mich euer Esel sein.

Brunhilde: Du?

Siegfried: O ja. ich habe Talent dazu. Ihr sollt es gleich sehen.

Kriemhild: Möglichst noch unter den Augen der Fassadenkletterer?

Siegfried: (schaut aus dem Fenster) Sie sind nicht mehr da. Also! Her mit der Kappe! Ich geh nun also zur Kriemhild und erbitte mir die Eselskappe! (geht auf allen Vieren) Iah, iah ... Und nun musst du mir den Esel bohren.

Kriemhild: Das ist doch albern.

Siegfried: Warum denn?

Brunhilde: Weil du ein Esel bist, weil du ein Esel sein willst.

Siegfried: Besteht nicht darin der Anfang aller Kunst? (er reicht die Eselkappe der Brunhilde)

Brunhilde: Komm her!

Siegfried: Iah, iah!

Brunhilde: Duck dich! Tiefer noch!

Siegfried: Iah, iah!

Brunhilde: Noch tiefer!

Siegfried: Iah, iah!

Brunhilde: Küss mir den Fuß! – Warum nicht gleich, du störrischer Esel! – (zieht ihm die Kappe über) Siehst du, so geht es den bösen Eseln. Und was wir für dich ausgegeben haben seit den Tagen deiner Kindheit, das wirst du abbezahlen, bis wir quitt sind.

Siegfried: Iah, iah!

Brunhilde: Aber du spielst nicht recht. Du spielst zu geduldig und willfährig.

Siegfried: Ist das denn verkehrt?

Brunhilde: Du sollst die Luise spielen! Und die Luise ist ein störrischer Esel! Schon vor dem Aufsetzen der Eselskappe musst du dich anders verhalten. Wenn ich sage: "Los, komm her!", dann musst du dich dagegen sträuben. Komm also her und bitte um die Eselskappe und zwar so, dass jeder merkt, dass du um etwas bittest, was du zutiefst verabscheust.

Siegfried: Ich kann nicht anders. Ich finde es wunderbar, die Kappe aufgesetzt zu bekommen. Selbst, wenn man mir die Peitsche gäbe ...

Kriemhild: Pfui, schäm dich! Esel zu sein ist nämlich eine Strafe.

Siegfried: Ich will mir Mühe geben, es das nächste Mal besser zu machen.

Brunhilde: Und nun geh ins Bett!

Siegfried: Iah, iah!

Kriemhild: Hör auf! Mich widert das an!

Brunhilde: Ein Esel, der nichts als ein Esel ist, das ist ein widerlicher Esel.

Siegfried: Iah, iah!

Brunhilde: Genug haben wir gesagt. Du sollst aufhören.

Siegfried: Iah, iah!

Brunhilde: Du bist wirklich ein widerlicher Esel.

Siegfried: Iah, iah!

Brunhilde: Jetzt sag nichts mehr!

Siegfried: Iahh!

Brunhilde: Nichts sollst du mehr sagen!

Siegfried: Ich habe doch Ja gesagt!

Brunhilde: Wenn du nichts mehr sagen sollst, sollst du auch kein Ja mehr sagen. Hast du verstanden?

Siegfried: Iahh!

Brunhilde: Ab in den Eselstall!

Siegfried: (verlässt unter Iahh–lauten das Zimmer)

Brunhilde: So ein Esel! Eines der größten Rätsel für immer wird für mich bleiben, dass solch ein Esel mein Vater war. Dass sich dir so ein Esel genähert haben soll, und das auch noch nackt, und dass ich dabei dann herauskam!

Kriemhild: Was soll ich darauf sagen?

Brunhilde: Immerhin wär das nicht die erste Verwechslung, die zu beklagen wäre. Versprich mir, dass du ihn nie mehr an dich heran lässt!

Kriemhild: Damit ist´s ohnehin schon lange aus.

Brunhilde: Wenn er wenigstens noch einen schwarzen Schnauzbart trüge, dann könnte man meinen, er wär wunder was und spielte nur einen Esel!

Kriemhild: Gehn wir zu Bett!

Brunhilde: Ja, gehn wir zu Bett!

5. Abschnitt: Die zwei Polizisten erscheinen vor dem Fenster

2. Polizist (vor dem Fenster): Es hat geläutet, gnädige Frau.

Kriemhild: Jetzt wird mirs aber zu bunt. (sie eilt ans Fenster und reißt es auf und schreit gegen den 2. Polizisten) Was wollen Sie hier?

2. Polizist: Es hat geläutet, gnädige Frau. Und Sie sind doch da. Warum machen Sie nicht auf?

Kriemhild: Verschwinden Sie!

1. Polizist: Haben Sie einen Grund, dass Sie nicht hören wollten, was doch ringsum zu hören war? Wir fragen nur in Ihrem Interesse. Schließlich dürfen wir nicht zulassen, dass Ihnen etwas widerfährt.

2. Polizist: Jawohl, kein Haar darf Ihnen gekrümmt werden. So lautet die Weisung.

Kriemhild: Und dazu mussten Sie hier herauf an unser Fenster steigen?

1. Polizist: Wie meinen gnädige Frau?

Kriemhild: Wer Sie hierher geschickt und Ihnen den Auftrag erteilt hat, uns zu beschützen?

1. Polizist: Wer das war? Sie haben das doch selber veranlasst. Oder ist es nicht so?

2. Polizist: Ja, das haben Sie. Und wenn Sie das Läuten da drunten nicht hörten, so mussten wir herauf und es Ihnen von hier aus, gleichsam aus der Nähe sagen, aus der uns erlaubten nächsten Nähe.

Brunhilde: Immerhin sind sie unterhaltsamer als unser Siegfried. Im Unterschied zu unserem Siegfried, will mir scheinen, dass man Ihnen etwas zutrauen kann.

Kriemhild (auf dem Balkon) Ist jemand da drunten?

Pfarrer: Ich bins, gnädige Frau. Der Dekan, Pfarrer Benedick aus Schönau. Entschuldigen Sie bitte die späte Störung.

Kriemhild: Der Pfarrer Benedick?!

Brunhilde: Wer ists?

Kriemhild: Der Benedick?! – Sind Sie allein?

Pfarrer: Ob ich allein bin?

Kriemhild: Heraus mit der Sprache! Da ist doch noch wer.

Pfarrer: Der Geist des Herrn vielleicht noch.

Lumbiek: (für sich am Fenster, wo er bereits gestanden) Schade, dass ich ihr nicht einmal als schmucker Hausfreund zu erscheinen vermag. Aber dafür ist sie zu schlecht gepflegt und viel zu alt. (er geht wieder ins Zimmer und schließt das Fenster)

Kriemhild: So geht das nicht weiter! – Warten Sie! (sie ruft) Siegfried? –

Brunhilde: Siegfried?!

Siegfried: Da bin ich! Was gibt es?

Kriemhild: Geh herunter und sorg dafür, dass es ruhig wird. Hast du verstanden? Dass es ruhig wird!

Siegfried: Ist da wer?

Kriemhild: Der Benedick, vielleicht in Begleitung. Gib Acht!

6. Abschnitt: Der Pfarrer ist zurück

Siegfried erfährt, dass der Pfarrer Jesus gerufen hat.

Siegfried: Herr Pfarrer?

Pfarrer: Dekan Benedick.

Siegfried: (schaut hinter den Dekan)

Pfarrer: Ich bin gekommen, weil ich Ihnen noch etwas zu sagen habe: etwas Wichtiges und Schönes, etwas, das Sie aufmuntern und befreien und erlösen wird. – Doch was haben Sie denn?

Siegfried: Ich?

Kriemhild (auf dem Balkon): War da nicht noch jemand bei Ihnen?

Pfarrer: Niemand war bei mir, gnädige Frau!

Siegfried: Und war auch niemand vorhin bei Ihnen?

Pfarrer: Niemand

Kriemhild: Haben Sie niemanden soeben weggeschickt, der sich jetzt im Garten versteckt hält?

Pfarrer: Niemand

Kriemhild: O es gibt Künstler, die aus einem Nichts einen großen Wind machen!

Pfarrer: Lassen nur Sie sich nie vom Wind verwehen!

Kriemhild: Wenn Sie es sich angelegen sein lassen, nie ihren Wind dazu zu machen! (sie geht für kurze Zeit wieder ins Zimmer)

Siegfried: Hochwürden wissen, dass ich heute auf dem erzbischöflichen Ordinariat war?

Pfarrer: Davon weiß ich noch nichts.

Siegfried: Und von meinen Bruder wissen Sie auch nichts?

Pfarrer: Doch von Ihrem Bruder weiß ich etwas.

Siegfried: Dass er zum Grab des heiligen Jakobus pilgert?

Pfarrer: Er hat mir eine Karte von Compostella zugesandt.

Siegfried: Nun? Und? So sprechen Sie doch! Ich merke doch, dass Sie etwas sagen wollen!

Pfarrer: Der Herr wird vermitteln. Und zwar zwischen Ihnen und Ihrem Bruder; aber auch zwischen Ihren beiden Töchtern.

Siegfried: Wo ist sie?

Pfarrer: Der Herr wird sie bringen.

Siegfried: Der Herr? Mir? Meine Tochter?

Pfarrer: Ihre ältere Tochter Luise.

Siegfried: Und wie wird das geschehen?

Pfarrer: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes.

Siegfried: Ohne meine Frau geschieht nichts, auch nicht im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes.

Pfarrer: Sie wird sich dem Wort unseres Herrn fügen.

Kriemhild: Da bin ich mir durchaus nicht sicher.

Pfarrer: Jesus wird kommen!

Kriemhild: Am Nimmerleinstag vielleicht!

Siegfried: Er hat gesagt, der Herr Jesus werde heute Nacht noch kommen.

Kriemhild: Ja sind wir denn in Arabien und eben wäre hier eine der 1001 Nächte angebrochen? (sie eilt herunter, um den Pfarrer zu chassen; dort steh auch als einsamer Beobachter Herr Spielvogel.)

7. Abschnitt: Spielvogel

Spielvogel (allein, im Halbdunkel abwartend, bis der Hund vom Pinkeln zurückkehrt): Wer bin ich, dass ich mir das gefallen lassen muss? Bin ich nicht oberherrschaftlicher Portier, will sagen der oberste und höchste Vorgesetzte und zwar nicht nur von allen Portiers der städtischem Krankenanstalten, sondern auch von allen, die bei mir Eintritt und Austritt verlangen? Bin ich nicht der Mann, der selbst den Chefärzten, wenn sie mit ihren Prachtslimousinen angerollt kommen, die Schranken weisen kann? Der sie öffnen kann, wenn er will, und sie verschlossen lassen kann, wenn er will? Und hab ich nicht schon manch einen aus dem Verkehr gezogen zum Wohle des Gemeinwesens? Und nun kommt so ein Straßenluder und meint, sie könnte mit mir Hans–Wurst spielen? Man reize mich nicht! Ich sage nur, man reize mich nicht! Ein Wink genügt und ihr Bein ist lahm für immer. Nein, das geht zu weit, das geht entschieden zu weit. Komm Flocki! Komm! (ab)

8. Abschnitt: Unter Brundhilde´s Augen

(Brunhilde am Fenster, schaut von oben zu)

Brunhilde (für sich): Das wärs ja wohl, wenn uns der Herr Pfarrer die Luise brächte. Da könnte die ganze Christenheit mitverfolgen, wie liebevoll wir mit ihr umgehen!

Kriemhild: Hab ich Ihnen nicht gesagt, Herr Pfarrer, Sie möchten sich nie mehr bei uns sehen lassen?

Pfarrer: Wohin mich der Herr schickt, dahin muss ich gehen.

Brunhilde: Wie der Hund vom Spielvogel!

Kriemhild: Und weshalb hat er Sie schon wieder hierher geschickt? Los, heraus mit der Sprache. Aber das wissen Sie natürlich nicht. Das ist fein. Da ist man fein aus dem Schneider, wenn man nur so ein zu Verschickender ist. Nicht wahr?!

Pfarrer: Doch, ich weiß es, gnädige Frau, aber ...

Kriemhild: Ja dann! Heraus mit der Sprache!

Pfarrer: Wie ich bereits Ihrem Mann gesagt habe, habe ich eine Karte aus Compostella erhalten.

Kriemhild: Und was geht uns das an?

Pfarrer: Auf derselben schreibt Ihr Schwager, dass er täglich zu Gott betet, der Roman ihrer beiden Töchter möchte ein versöhnliches Ende nehmen.

Kriemhild: Auch das geht uns nichts an.

Brunhilde: Mag man ihm den Heiligenschein überreichen. Von uns kommt kein Einspruch!

Pfarrer: Er schreibt von seiner Hoffnung auf die Hand des Herrn.

Kriemhild: Merken Sie nicht, dass mich das alles bereits ziemlich nervt?

Pfarrer: Ich habe den Herrn Jesus gebeten, den Frieden in die Welt zu bringen, den nur er ihr bringen kann.

Kriemhild: Sie hätten besser ihre Sozialarbeiterin bei den Ohren genommen und das Luder geohrfeigt. Dann bestünde immerhin noch der Friede hier im Haus. Sie glauben gar nicht, was für Scherereien uns seitdem ins Haus stehen. Aufgrund des abschlägigen Bescheids will uns die Kasse kein Pflegegeld mehr zahlen. Da soll nun unsereins den Kopf herhalten, wenn Ihre Angestellten unfähig sind? Was?

Pfarrer: Lisa wird sich bei Ihnen entschuldigen, wenn Sie es verlangen.

Kriemhild: Entschuldigen, wenn ich es verlange, wenn es zu spät ist? Zum Teufel auch! Hier handelt es sich vor allem darum, dass man die Kasse aufklärt und dass man alles wieder in Ordnung bringt. Das mag sie tun.

Pfarrer: Der Herr wird alles wieder in Ordnung bringen.

Kriemhild: Bei der Kasse?

Pfarrer: Und zwar zuerst zwischen Ihren beiden Töchtern.

Kriemhild: Lassen Sie doch endlich meine Töchter aus dem Spiel.

Siegfried: Ich habs ihm schon gesagt.

Kriemhild: Keine Einmischung. Überhaupt, wie sagten Sie? Sie haben den Herrn Jesus gebeten, diesen Fall zu übernehmen? Haben Sie das nicht gesagt?

Pfarrer: Das mag ich gesagt haben. Ich weiß es nicht mehr so genau. Immerhin hat er mir versprochen, und das ist mir hundert Mal wichtiger, ihn zu übernehmen und zwar heute noch, heute, in dieser Nacht.

Kriemhild: Kriemhild: Wen zu übernehmen?

Pfarrer: Ihren Fall!

Kriemhild: Und was ist das für ein Fall, wenn ich fragen darf? Was für einen Fall wird Ihr Herr Jesus übernehmen? Den Fall unserer Töchter? Fall, sagten Sie?

Pfarrer: Wie hätte ich mich sonst ausdrücken sollen?

Kriemhild: Lebten unsere Töchter jemals im Paradies, dass sie gefallen wären?

Siegfried: Das hab ich ihm auch schon gesagt.

Kriemhild: Haben Sie öfters solche Erscheinungen, dass der Herr Jesus Ihnen zugesagt hat, uns unsere Tochter Luise zu bringen?

Pfarrer: Ich bitte Sie, Nachsicht mit mir zu haben, wenn Sie mir schon nicht glauben.

Brunhilde: Könnte das da hinten der Gottessohn sein? Herr Pfarrer?

Pfarrer: Wo?

Brunhilde: Dort, bei dem Baum?

Pfarrer: Ich weiß nicht, was Sie da reden.

Kriemhild: Ist bei Gott ein Ding unmöglich?

Pfarrer: Bei Gott ist alles möglich.

Kriemhild: Da es nun aber einen solchen Allesmöglichmacher nicht gibt, ist alles nur eine Fiktion. Gott, das mag die Erfindung eines im Rausch der Unendlichkeit befindlichen Jugendlichen sein. Bei uns ist ein solches Idealbild leider längst verdampft.

Pfarrer: Frau Kassander, versündigen Sie sich nicht!

Kriemhild: Versündigen? Wie geht das?

Pfarrer: Dass Sie es nur nie erfahren!

Kriemhild: Wenn sich einer versündigt hat, so war es der liebe Gott, der uns Böses in unser Haus gebracht hat.

Pfarrer: Gnädige Frau, Sie wissen nicht, was Sie sagen!

Kriemhild: Ihnen aber scheint die Sehnsucht nach einem lieben Gott lieber zu sein, selbst wenn Sie ganz genau wüßten, dass es ihn nicht gibt. – Aber vielleicht ist das da hinten das dardanische Tor. Und da kommt dann der Herr Jesus mit dem hölzernen Pferd an der Leine und bittet um Einlass, auch wenn seit Hektors Tod keines der sieben Tore mehr geöffnet worden.

Pfarrer: Ich sag es noch einmal! Frau Kassander, versündigen Sie sich nicht!

Kriemhild: Was kann ich dafür, wenn irgendwer seinen Spaß mit uns treibt? Oder war ich es etwa, der die Krankheit in unser Haus eingelassen hat? War ich´s, der uns ob dieser verdammten Krankheit die ganze Welt auf den Hals gehetzt hat? Oder war ich´s, der das Gerücht in die Welt gesetzt hat, Ihr Herr Jesus komme zu uns? Wenn Sie Glück haben, kommt vielleicht einer, der sich einen Spaß daraus macht, Ihnen als Theater–Jesus zu erscheinen. Und wenn Sie es wissen wollen, verehrter Herr Pfarrer, dann sag ich Ihnen, dass Jesus nie mehr auf diese Erde kommen wird. Sagen Sie ihrem Jesus, wir verbieten uns jede Einmischung. Eine Tochter Luise gab es bei uns noch nie und die wird es bei uns nie geben. Das ist bestenfalls eine Erfindung meines Schwagers Erhard.

Siegfried: Vielleicht haben wir Sie jetzt etwas zu arg gequält, Herr Pfarrer. Aber das müssen Sie verstehen. Wir, die man pausenlos quält, müssen uns auch einmal an jemandem schadlos halten.

Kriemhild: (zu Siegfried) Komm jetzt!

Pfarrer: Mein Gott, in was für einer Welt lässt du die Menschen leben!

Kriemhild: O ihr Menschen, was für einen Gott habt ihr in eure Welt gelassen!

Siegfried: Hätte er doch nur den Frommen Krankheit, Hunger und Pest geschickt und nicht uns! Oder zumindest ihnen die Gnade gewährt, fremde Krankheiten wegzunehmen und sie allein zu tragen. Dann würden wir sehen, was das Christentum wert wäre.

Kriemhild: Immerhin, seien Sie getrost, Herr Pfarrer! Ihnen kann nichts passieren. Sie kommen ganz sicher in den Himmel. Ebenso wie Ihre Sozialarbeiter und –arbeiterinnen und der Dr. Bierhahn und mein Schwager Erhard, der Ihnen eine Karte aus Santiago geschickt hat. Und damit Sie nicht meinen, ich redete zu Ihnen aus dem hohlen Bauch, so sag ich Ihnen auch, dass nur das mit dem Prinzip der himmlischen Gerechtigkeit in Einklang zu bringen ist. Denn sehen Sie, wo Sie schon von Ihrem irdischen Dasein her gewöhnt sind, wie im Himmel zu wandeln, da bedarf´s dann keiner größeren Adaptation. Unsereins aber, die wir schon hier in der tiefsten Hölle haben waten müssen, uns kostet es nur wenig Aufwand, auch dort drüben oder dort drunten einmal im tiefsten Höllenpfuhl herumzuwaten. (sie geht mit Siegfried ins Haus)

9. Abschnitt: Was zu sehen ist

Brunhilde (am Fenster): Am liebsten hing ich mich auf! Dann hätte das Lärmen endlich ein Ende. Nur dass jetzt die Gelegenheit nicht günstig ist. Denn bevor ich in der Schlinge hänge, sind die Eltern wieder zurück. Und dann müsst ich tausend Fragen beantworten ...

Kriemhild: Mein Gott, wie du mich erschreckt hast?

Brunhilde: Ich?

Kriemhild: Wie du am Fenster standest! Wie ein Gespenst!

Kriemhild: Wie sollte ich denn sonst dastehen? (für sich) Noch trag ich keine Schlinge um den Hals.

Siegfried: Hast du was gesehen?

Brunhilde: Was soll ich gesehen haben? Als ob es unsere Bestimmung wäre, vor der ewigen Ruhe noch möglichst viel Lärm zu machen.

Lumbiek: (er ist auf die Leiter geklettert. Unten stehen die beiden Polizisten, damit die Leiter nicht umfällt.)

Kriemhild: Was macht denn der schon wieder da droben? Kaum ist der eine fort, ist auch schon der nächste da. Was er da macht, möchte ich wissen!

Lumbiek: Ich halte Ausschau.

Kriemhild: Hab ich ihm nicht gesagt, er soll sich nie mehr erwischen lassen auf unserer Leiter?

Lumbiek: Ich handle in höherem Auftrag. Dafür stehen mir die Herren da unten Zeugen. Oder sehen Sie nicht, wie sie die Leiter festhalten, damit sie nicht umfällt?

2. Polizist: Jawohl, gnädige Frau. Wenn Herr Lumbiek auch nicht immer zu trauen ist, diesmal stimmt es.

Siegfried: Und was war der Auftrag, wenn wir fragen dürfen?

Lumbiek: Wenn sie fragen dürfen? Ja dürfen sie überhaupt fragen? Was sagen Sie dazu?

1. Polizist: Etwas Großes ist jedenfalls in Gange; sonst wäre der Herr Pfarrer nicht eigens gekommen. Oder ist es nicht so, Herr Pfarrer?

Pfarrer: Wüsste ich nicht, dass der Herr Jesus kommt ...

Kriemhild: Mit Luise, unserer ältesten Tochter, haben Sie vermutlich noch vergessen. – Aber nun gehn Sie!

Lumbiek: Sie stören den Herrn Pfarrer. Merken Sie es denn nicht? Wie kann er da den Himmel offen sehen?

Kriemhild: Und wenn schon! Das ist kein Grund stehen zu bleiben.

Siegfried: Gehen Sie!

Pfarrer: (geht)

Lumbiek: Jetzt vermeine ich tatsächlich auch, etwas zu sehen.

2. Polizist: Wo sieht er etwas?

Lumbiek: Bei der Friedrichslinde.

Kriemhild: Das wird ja immer besser.

Lumbiek: O gnädige Frau. Es ist etwas überaus Einmaliges und Wunderbares, was sich mir ins Auge einzeichnet. Ein Minarett, so schlank wie ein Mikado wächst es aus der Erde. Und wächst und wächst ...

Kriemhild: Ins Auge eingezeichnet, dass es eine Warnung ist für alle, die es verstehen. Heißt es nicht so?

Lumbiek: Sag ich etwas anderes, als dass ich drauflos stammle, wie sprachlos ich bin?

Kriemhild: Steigen Sie herab und seien Sie still.

1. Polizist: Wir möchten nur, dass Sie es selber entdecken! Schauen Sie nach da drüben, in Richtung auf die Friedrichslinde, Richtung Nordwesten.

2. Polizist: (nachdem er ein paar Sprossen hochgeklettert ist) In der Tat. Ich sehe da auch so etwas.

Lumbiek: So wahr Allah der Erhabene lebt, eine Moschee wächst empor. Und einen Muezzin seh ich

Kriemhild: Einen Mullah wohl auch noch?

Siegfried: Hätten Sie aufgepasst, Lumbiek, so hätten Sie gehört, wie der Herr Pfarrer gesagt hat, dass der Herr Jesus kommt.

Lumbiek: Als ob sich ein Moslem vor dem Kommen des Herrn Jesus zu fürchten hätte! Der Christ mag sich fürchten, weil er seinesgleichen martert und zu Tode schindet.

Kriemhild: Noch nie hat es hier eine Moschee gegeben. Vielleicht in den Büschen Afrikas oder in Asien, aber nicht bei uns.

Lumbiek: Ein Mufti oder ein Imam ist auch noch dort; und daneben sehe ich noch einen anderen Mann und eine junge Frau. Das ist sicher Ihre Tochter Luise. Und der junge Mann, das ist der Herr Jesus, den wir alle begrüßen, wenn er sie Ihnen zurückbringt!

Kriemhild: Jetzt ist aber genug.

Lumbiek: Wenn Sie wirklich nichts sehen wollen, so fragen Sie doch Ihren Mann oder Ihre Tochter.

Siegfried: Merken Sie sich, mein Herr! Wenn meine Frau nichts sieht, seh ich auch nichts.

Kriemhild: Kommt! (sie gehen vom Fenster) Und du gehst jetzt herab und trägst die Leiter in den Garten. Doch nein! Du gehst herab und nimmst das Beil und zerhackst sie. Und dann schließt du das Haus. Alle Türen und alle Fenster, alle Läden und Rollos lässt du herunter. Hörst du? Und ich nehm mir in der Zwischenzeit die Zimmer und Kammern vor. Schagrev Pironje!

6. Kapitel: Der Möbelwagen.

1. Abschnitt: Der künstliche Vater

(Kriemhild und Brunhilde.)

Brunhilde: Ist Siegfried weg?

Kriemhild: Zur Nordsee, Wasser holen.

Brunhilde: Wann ist er gegangen?

Kriemhild: Um 6 Uhr.

Brunhilde: Ist alles in Ordnung?

Kriemhild: Warum sollte nicht alles in Ordnung sein?

Brunhilde: Steht draußen der Möbelwagen?

Kriemhild: Ich hab noch nicht nachgeschaut, glaube aber kaum; Siegfried hätte mich sonst benachrichtigt.

Brunhilde: Immerhin kann in den zwei Stunden, seit er weg ist, einer angekommen sein.

Kriemhild: Da hätten die Lumbieks schon so krakelt, dass wir davon Ohrenschmerzen bekommen hätten. (sie sieht aus dem Fenster)

Brunhilde: Siehst du etwas?

Kriemhild: Nichts! Da ist nichts zu sehen.

Brunhilde: Dabei hat Siegfried felsenfest versichert, heute morgen stünde er da. –

Kriemhild: Nichts als großmäulige Angeberei des Rechtsanwalts!

Brunhilde: Gut dass Siegfried schon zur Nordsee unterwegs ist. Sonst sollte er uns einmal Helgoland rauschen hören! – Ist wirklich niemand auf der Straße?

Kriemhild: Alles ist menschenleer. –

Brunhilde: Aber gestern Nacht, das war doch seltsam. Findest du nicht auch?

Kriemhild: Ich weiß nicht.

Brunhilde: Erinnerst du dich nicht mehr, wie der Pfarrer gekommen ist. Und dann die Rede vom Herr Jesus und von der Luise. Und dann die Moschee. Hätten wir einen Film gedreht, so ließe sich noch die Wachstumsgeschwindigkeit ermitteln, mit der sie aus dem Boden gewachsen.

Kriemhild: Eine Fata Morgana, von der nichts mehr zu sehen.

Brunhilde: Schaust du auch in Richtung auf die Friedrichslinde?

Kriemhild: Wohin sonst?

Brunhilde: Übrigens hab ich eine geniale Idee. Willst du sie wissen?

Kriemhild: Was ist es?

Brunhilde: Es ist unser Eselspiel.

Kriemhild: Und?

Brunhilde: Einer ist der Esel.

Kriemhild: Einer ist immer der Esel.

Brunhilde: Es kommt aber darauf an, wie man den Esel spielt. Es gibt da ganz verschiedene Weisen. Es gibt widerborstige und störrische Esel, Esel, die Tritte austeilen, ohne etwas dabei zu finden. Aber auch Esel, die selber dabei leiden. Dann gibt es auch sanftmütige Esel, wie der Esel, auf dem der Herr Jesus nach Jerusalem gezogen. Auch hier wiederum werden die einen dabei von Leid und Kummer verzehrt, die anderen aber tun und erleben alles so empfindungslos, als ob sie ein Mühlrad wären, das sich dreht.

Kriemhild: Na und?

Brunhilde: Vielleicht sollte ich zuerst den allgemeinen Spielrahmen skizzieren. Da wäre denn vom menschlichen Leben zu berichten, in welchem die verschiedensten Esel ihren Platz finden.

Kriemhild: Aber das wissen wir doch.

Brunhilde: Aber selbst im Leben eines Einzelnen gibt es viele Stationen mit Metamorphosen.

Kriemhild: Tempora mutantur et nos mutamur in illis.

Brunhilde: Aber das Wie ist es, auf das es ankommt. Hör mich! Zuerst kommt die Kindheit. Wenn alles gut geht, so gleicht sie dem Aufenthalt in einem geschützten Garten. Doch freilich nicht lang. Bekanntlich drängt und treibt es ja schon die ganz Kleinen, selbst wenn sie noch nicht laufen können, zu jeder Türe hinaus. Der Garten, so scheint es, ist noch nicht die Welt. Die Welt, das ist das da draußen. Somit besteht der zweite Akt darin, dass man einen jenseits des Gartens auf die Aufnahmeprüfung in die Schar der Esel vorbereitet. Dabei kommt es vornehmlich darauf an, schön brav und wohlgesittet das Iahh zu sagen. Der dritte Akt zeigt uns, bis zu welchem Grad von Bildung und Wissen man es als Esel bringen kann. Hat man das Examen gut bestanden, so wird man durch eine Rolle als Oberesel oder Chefesel belohnt. In dem Maß aber, in welchem man im Examen nicht gut abschneidet, wird das Leben zur Tortur und die Welt zur Folterkammer. Hier wären wir bereits mitten im 4. Akt. Im 5. Akt aber befindet man sich in einer Besenkammer oder Leichenkammer, wobei sich die Welt um einen herum zu einer großen Leichenhalle verwandelt. Es ist die Zeit, wo kein Stern mehr am Himmel leuchtet und wo es der Zeit selbst langweilig zu werden scheint.

Kriemhild: Und nun?

Brunhilde: Erinnerst du dich an Siegfried, als er das Eselspiel gespielt hat.

Kriemhild: Lassen wir doch Siegfried aus dem Spiel!

Brunhilde: Siegfried ist das totale Gegenteil einer kraftvollen Spielerpersönlichkeit. Er verkörpert gleichsam den äußersten Typus, den gutwilligen, leidensfreien und leidensfrohen Esel. Wenn du willst, kannst du ihn den frömmsten und gemeinsten Esel nennen. Kein bisschen Scham überkommt ihn bei seinem Eselsdasein.

Kriemhild: Und worauf willst du hinaus?

Brunhilde: Sich geduldig in alles zu schicken und über die Erde zu traben, wir beide können das nicht, aber Siegfried kann das. Ich stell mir unseren Siegfried oft zwar ganz anders vor und bin deshalb böse auf ihn. Gleichwohl aber sagt mir etwas, dass er nicht ganz Unrecht hat. Für Siegfried ist das kein Unglück, wenn man ihn demütigt und für einen dummen Esel erklärt. Er ist nicht hochmütig, nicht anmaßend und überheblich. Er ist mit Wenigem zufrieden; er begnügt sich damit, das zu wollen, was wir wollen, und findet sein Gefallen darin, uns zu gefallen. Selbst die Feindschaft mit seinem Bruder Erhard dürfte ihn kaum persönlich berühren. Es tut ihm weh und er merkt es wohl auch, aber er ist und bleibt ein Esel. Wenn wir von ihm verlangten, mit seinem Bruder Erhard nur noch im Kopfstand zu reden, so würde er auch das tun.

Kriemhild: Ich versteh noch immer nicht, worauf du hinaus willst.

Brunhilde: In diesem Spiel hätte ich neben meinem leiblich natürlichen Vater noch einen künstlichen Vater.

Kriemhild: Mit dem wär ich dann wohl auch noch verheiratet?

Brunhilde: Es wäre ein Roboter, der nicht nur ein eingespieltes Programm abspulen kann, sondern der auch noch Korrekturen an den Handlungen vornehmen und endlich auch noch darüber nachdenken und nachdenklich werden kann.

Kriemhild: Und?

Brunhilde: D.h. auch, sich freuen, vor allem aber, auch leiden.

Kriemhild: Da hättest du dann zweierlei Väter um dich: den natürlichen Siegfried, den perfekt angepassten Esel, fast bereits stoisch leidensunfähig Und dann wäre da noch jener künstliche Vater mit einem Herz im Leibe?

Brunhilde: Im Verlauf des Schauspiels würde man dann merken, wie gerade dieser künstliche lernt und mithin seinen Charakter zu lenken versucht und leidet. Immer mehr würde er zu Korrekturen seiner Handlungen und zu neuen Überlegungen gezwungen werden. Vermutlich würden wir ihn arg quälen, weil er als Fremder nicht zu uns gehört. Doch das würde ihn weniger quälen, ja das brauchte er vielleicht sogar in seiner Seelenqual, weil er sich stets sagen müsste, dass er kein Mensch, sondern nur eine Maschine ist. Da würde ihm auch nicht helfen, wenn wir ihm weitere solcher Wesen zu Seite stellten. Vielleicht würde er sogar daran leiden, dass er mittels eines Schlüssels ewig aufgeschlossen werden und zum Weiterleben gezwungen werden könnte, während der natürliche Mensch die Gnade hat, einmal und dann für immer die Augen zuzumachen.

Kriemhild: Und wie endet der Faden der Handlung?

Brunhilde: Ich stelle mir vor, dass nun eines Nachts Jesus käme und wie er sich nun auch noch der vom Menschen erfundenen leidensfähigen Maschine zu erbarmen hätte. Der Menschensohn begegnete dem Sohn des Menschen.

Kriemhild: Und du meinst, das interessiert die Welt?

Brunhilde: Mein Gott. Was interessiert mich die Welt! Wenn es nur mich interessiert! Mein Schauspiel schreibe ich nicht für die Welt, sondern für mich.

Kriemhild: Und wenn auch! Versteh mich bitte nicht falsch! Wenn wir noch einen Funken Lebenshoffnung hegen, so müssen wir alles, was einer Einmischung in unsere Angelegenheiten Vorschub leistet, strikt unterbinden.

Brunhilde: Leben wir denn, um nicht zu verschwinden? Ich finde es schrecklich, gleichsam nur im Grab dahinzuvegetieren. Oder was ist das hier anderes als ein Grab?

Kriemhild: Was es auch sein mag, Leute wie dieser Bierhahn sind nicht zu unterschätzen.

Brunhilde: Was gehen sie uns an?

Kriemhild: Ich habe Angst! Wie schnell findet der Pöbel nicht einen Grund, dich einzusperren.

2. Abschnitt: Meldung über die Leiter

(Steinchen von Lumbiek und den beiden Polizisten treffen das Fenster, ohne dass es kaputt geht.)

Kriemhild: Was war das? (geht ans Fenster)

2. Polizist: FrauKassander, entschuldigen Sie die Störung; aber wir möchten darauf aufmerksam machen, dass Ihre Leiter zerhackt vor dem Haus liegt.

Kriemhild: Gehts euch was an?

1. Polizist: Gesetzt, der von Ihnen bestellte Möbelwagen trifft ein, so sind Sie doch daran interessiert, möglichst schnell davon zu erfahren.

1. Polizist: Wie soll uns das gelingen ohne die Leiter?

Kriemhild: Schert euch zum Teufel!

Frau Lumbiek: Ist das der Dank, den man auf eine gute Nachricht hin abstattet?

2. Polizist: Gern hätten wir Ihnen die gute Nachricht über die Leiter gebracht. Dann hätten Sie uns gewiss nicht zum Teufel gewünscht.

1. Polizist: Dann hätte aber doch kein Grund bestanden, eine Meldung zu machen.

2. Polizist: Woher willst du das wissen? Eine gute Nachricht ist immerhin der Meldung wert.

1. Polizist: Im Übrigen wollten wir nur sagen, dass wir noch wie gestern unseren Dienst versehen. Zu befürchten haben Sie nichts.

2. Polizist: Nein, zu befürchten haben Sie wirklich nichts.

Kriemhild: Macht eure Albernheiten unter euch aus und seid froh, wenn ihr die Leiter nicht zu zahlen braucht! (geht vom Fenster weg)

Frau Lumbiek: Oho! Wie anmaßend würdevoll!

3. Abschnitt: Onkel Carsten

Brunhilde: Ich kenne da einen Professor, einen ehemaligen Professor für neuere deutsche Literatur. Genauer gesagt handelt es sich um eine Ballettfreundin von früher, eine gewisse Barbara, seine Stieftochter, die ich kenne. Wenn sie von ihm redete, redete sie immer vom Onkel Carsten ...

Kriemhild: Und was soll der? Meinst du, indem du dem dein Spiel zum Lesen gibst, gerate er derart aus dem Häuschen, dass er dir Schutz und Schirm bietet gegen die Widernisse dieser Welt? O, erwarte da nur nichts.

Brunhilde: Aber das weißt du doch nicht. Du kennst die Leute doch gar nicht.

Kriemhild: Du magst ein Schauspiel schreiben und es in der Erde vergraben, aber es doch bitte keinem Literaturprofessor überreichen!

Brunhilde: Ich bin überzeugt, dass ein Professor der Literatur nicht nur über das Theater im allgemeinen, sondern auch über die Möglichkeiten eines für unsere Zeit passenden Schauspiels nachgedacht hat.

Kriemhild: Warum nicht gar! Warum sollte sich ein Professor der Literatur darüber Gedanken machen oder sich gar bei dir eine Anregung holen? Noch nie hat sich jemand für einen Anfänger, und dazu noch einen so armseligen und kranken, interessiert. Stets war ein Anfänger nur ein Ignorant oder, bestenfalls, ein Epigone. Erst wenn es einer geschafft hat, sich von der Literaturgeschichte kanonisieren zu lassen, ist er halbwegs immun.

Brunhilde: Wir sollten es auf einen Versuch ankommen lassen.

Kriemhild: Lass mich. Ich bin krank. Ich habe Angst!

Brunhilde: Das enttäuscht mich aber, dass du so hoffnungslos denkst.

4. Abschnitt: Ankündigung des Möbelwagens

(Wieder fliegen Steinchen ans Fenster.)

Kriemhild: Schon wieder diese Narrenköpfe! Es ist nicht zum Aushalten! – Was gibt es nun schon wieder?

1. Polizist: Nicht ohne Stolz möchten wir Sie darauf aufmerksam machen, gnädige Frau, dass der von uns bestellte Möbelwagen in die obere Heimerstraße eingebogen ist.

Brunhilde: (aus dem Hintergrund zum Fenster tretend) Kommt wirklich der Möbelwagen mit Luises Sachen?

Kriemhild: Ich glaub´ es nichts, bevor ich nicht sehe.

1. Polizist: Sie sollten aber glauben.

2. Polizist: Erst glauben, dann sehen, so ist die Reihenfolge, so wahr ich ein ausgewachsener Polizist bin.

Brunhilde: Und Luise ist dabei?

2. Polizist: Natürlich!

1. Polizist: Hast du etwas von einer Luise gehört?

2. Polizist: Ich nicht. Aber dabei ist sie dennoch.

1. Polizist: (zu den Nachbarn, die auf einer Bank bei Spielvogels sitzen: Herr und Frau Lumbiek, Gefällig, Ehrlich; Herr Spielvogel, Dr. Bierhahn und Frau Dr. Neureiter) Hat jemand von Ihnen etwas von einer gewissen Luise gehört?

Spielvogel: Von einer gewissen Luise?

2. Polizist: Einer Tochter dieser Dame?

Frau Gefällig: Vielleicht sitzt sie im Möbelwagen.

5. Abschnitt: Reaktionen

Kriemhild: Was hast du getan?

Brunhilde: Was denn?

Kriemhild: Warum hast du die Leute nach der Luise gefragt?

Brunhilde: Hab ich das?

Kriemhild: Da schau her, wer dort auf der Bank sitzt in Spielvogels Vorgarten! Der Bierhahn! Und neben ihm sein großer Schwarm, Frau Dr. Neureiter in modernem schneeweißem Reitkostüm. Es wird ja immer besser!

Brunhilde: Die Neureiter, die mit mir zusammen im Reitclub war?

Kriemhild: Mit jedem hat die es verstanden! Am Schluss bist du wegen der vom Pferd gestürzt. – Und daneben die bekannten Visagen aus der Nachbarschaft! Und das so früh am Morgen!? Haben alle weiter nichts zu tun, als sich neben diesen Portier auf die Gartenbank zu setzen.

Brunhilde: Was geht das uns an?

Kriemhild: Sich lieb Kind machen beim Schwiegersohn des Bürgermeisters, das ist immerhin schon mal was, wenn es mit der Praxis nicht voran will.

Brunhilde: Ich glaube, mich freuts schon nicht mehr, wenn man uns die Luise bringt. Mag sie doch beim Kuckuck bleiben, wenn sie nicht zu uns kommen will! Am Schluß würde sie mich nur anwidern.

6. Abschnitt: Einfahrt und Tanz um den Möbelwagen

(Der Möbelwagen ist schneeweiß, wie ein Kindersarg, ohne Fenster und ohne sichtbare Türe, und wird von einem exotischen Esel gezogen. Vorn auf der Haube sitzen zwei Sphingen. Hinten auf dem Trittbrett stehen die beiden Rechtsanwälte.)

Frau Ehrlich: Da kommt ja der Wagen!

Frau Gefällig: Er ist´s.

Frau Ehrlich: Und hinten drauf stehen die Rechtsanwälte.

Frau Gefällig: Wie blinde Passagiere stehen sie drauf.

Frau Ehrlich: Nun jubelt ihr Leute! Nun winkt uns Erhellung!

Frau Gefällig: Der Wagen, er kommt, grad wie auf Bestellung!

Frau Ehrlich: Nun jubelt ihr Leute! Das Blatt wird sich wenden,

Frau Gefällig: dann wird dies traurige Possenspiel enden.

Fahrer des Möbelwagens: Wo ist das Haus der Familie Kassander?

1. Polizist: Hier! Halten Sie an! Sie stehen davor.

Frau Gefällig: Und was bringen Sie uns Schönes?

Fahrer des Möbelwagens: Wie?

Frau Ehrlich: Ob Sie die verlorene Tochter nach Haus bringen?

Fahrer des Möbelwagens: Da müssen Sie die Herren auf dem Tender fragen. Ich bin nur der Fahrer des Wagens.

Frau Gefällig: Meine Herren? Sie sind doch die Herren vom Gericht!?

Duett der Rechtsanwälte:

Wir sind die Herren vom Gericht

auf uns leistet keiner gern Verzicht,

von uns ist jedermann ein Mann,

auf den man sich verlassen kann.

 

Erspähen irgendwo wir Streit

sind wir zu schlichten gleich bereit

Und tobt und brennt´s auch lichterloh

um uns, wir bleiben stets doch froh.

 

Der Weltregierung gegenüber

ein Untertan, verlässlich, lieber,

daran vor allem leicht erkenntlich:

zu allem lächeln wir verständlich,

 

beschränkt ein wenig im Verstand,

auch das muss sein, und tolerant,

ums eigene Wohl wohl auch besorgt,

klar ist, wer sporteln kann, nicht borgt.

 

Bei Witwen, Waisen, Kranken, Alten

wir freilich meist sehr kurz nur schalten.

Denn wo nicht viel zu holen ist,

holt auch nicht viel ein wackerer Christ.

 

Doch bei den reichen Millionären,

wir nicht von Böhnlein uns nur nähren,

wie Maden eingebohrt in Speck,

kein Teufel bringt uns draus mehr weg.

 

Bei ihnen nach Gerichtssessionen

wir allerliebst und herrlich wohnen

pflegt uns des Hauses Frau den Magen,

lässt manche Arbeit sich ertragen

 

Klienten kommen, Klienten gehn,

stets andere kann man bei uns sehn

Schon manchen haben wir überstanden,

für den wir noch ein Erdloch fanden

 

Im Weltengang des Menschen Glück

es schwappt herbei, es schwappt zurück,

Wir aber helfen mit dabei

und drehn Fortunens Rad aufs neu.

 

Im Unrechts– wie im Rechtssystem,

drehn wir geschickt, drehn wir bequem,

die Speichen sind die Paragrafen,

die kann man drehen noch im Schlafen.

 

Hier aber, diesen kleinen Rest,

lasst sehn, was sich da machen lässt!

Der Wagen steht jetzt vor dem Haus.

und wir, wir ziehn zur Tat jetzt aus!

7. Abschnitt: Kriemhild kommt herbei

1. Polizist: Aber da kommt ja auch schon die Dame des Hauses!

Frau Ehrlich: Das wirft ein Licht auf die Pfade der Vorsehung.

Kriemhild: Darf ich wissen, was der Wagen vor unserem Haus soll?

Frau Gefällig: Selbstverständlich dürfen Sie das wissen! D.h. das wissen Sie eigentlich schon.

2. Polizist: Ja das stimmt. Das wissen Sie eigentlich oder sollten es doch wissen. Denn das haben wir Ihnen bereits gesagt, dass das der von Ihnen bestellte Wagen ist.

Kriemhild: Das soll der von mir bestellte Wagen sein? Dieser Puppenwagen mit den zwei Löwchen da vorn? (zu den Polizisten) Sehen Sie nach, was man hier gebracht hat!

Frau Ehrlich: Jawohl, sehen Sie nach! Schließlich kann der Fall sein, dass sich jemand im Innern befindet, der ob all der Möbel kaum mehr so viel Luft bekommt, dass er um Hilfe rufen kann.

Kriemhild: Meine Herren! Haben Sie es nicht gehört?

1. Polizist: Was denn?

Kriemhild: Dass jemand in dem Wagen sein kann, der keine Luft kriegt? Die Herren Rechtsgelehrten können es bestätigen, dass man sich schuldig macht bei unterlassener Hilfeleistung.

1. Polizist: An uns soll es nicht liegen.

2. Polizist: Nein, an uns soll es nicht liegen.

Kriemhild: Sehen Sie endlich nach!

1. Polizist: Selbstverständlich sehen wir nach. Es ist tausend Mal besser, wenn wir mit der gnädigen Frau ein Nachsehen haben, als wenn wir selber das Nachsehen haben.

2. Polizist: Die Männer des Gerichts haben ja gewiss nichts dagegen, wenn wir nachsehen? Oder?

Rechtsanwalt S.: Tun Sie, was Sie zu tun haben.

1. Polizist: Komm also!

2. Polizist: Zu Befehl, General. Hier bin ich!

1. Polizist: Und Sie, kommen mit dazu!

Fahrer: Ich?

1. Polizist: Das ist ein polizeilicher Befehl!

2. Polizist: (klopft an den Wagen) Hallo, gnädiges Fräulein? Fräulein Luise?

Fahrer: (klopft an den Wagen) Hallo, gnädiges Fräulein? Fräulein Luise?

Kriemhild: Hören Sie auf!

Fahrer: Was haben Sie?

Kriemhild: Ich verbiete Ihnen, den Namen meiner Tochter in den Mund zu nehmen.

Fahrer: Wie soll man helfen, wenn man keinen Namen in den Mund nehmen darf?

Frau Ehrlich: Sie ist gegen jede Einmischung

Spielvogel: Wenn er die Tochter in den Mund nähme, das wär allerdings noch schlimmer.

1. Polizist: Da ist nichts. Das ist unüberhörbar.

Fahrer des Möbelwagens: Nein, da ist nichts.

1. Polizist: Machen wir die Probe und sehen noch von oben nach! Los, macht schon!

2. Polizist: Ich bin der Baum und du steigst auf mir hinauf.

Fahrer des Möbelwagens: Lieber bin ich der Baum und du steigst hinauf.

2. Polizist: Das würde dir so passen. Ich bin der Baum, hab ich gesagt, und deshalb steigst du hinauf

Fahrer des Möbelwagens: Was sagt der General?

1. Polizist: Du kennst die Kiste. Du steigst hinauf!

Fahrer des Möbelwagens: (steigt ein Stück hinauf und klopft und hört nichts)

2. Polizist: Ist da was?

Fahrer des Möbelwagens: Nein. Da ist nichts.

2. Polizist: Du musst fester klopfen.

Fahrer des Möbelwagens: (klopft)

Kriemhild: Das ist doch nichts!

2. Polizist: Klopf, bis etwas zu hören ist. Oder meinst du, wir heben dich hoch, damit die gnädige Frau nichts hörst?

Fahrer des Möbelwagens: Ich kann klopfen, so viel ich will. Hier ist nichts.

Kriemhild: Hört auf mit dem Blödsinn!

Brunhilde: (am Fenster) Wo ist Luise? Hast du sie gefunden?

Kriemhild: Nichts als Hokus Pokus.

Brunhilde: Wenn die sich nicht im Wagen versteckt!

Kriemhild: (zum Fahrer) Jetzt aber los! Machen Sie den Wagen auf!

Fahrer des Möbelwagens: Ich?

Kriemhild: Befehlen Sie es ihm, Herr Rechtsanwalt! Oder zeigen Sie ihm das Schloss!

Frau Gefällig: Ist ein Rechtsanwalt ein Schlosser?

Spielvogel (sich eine Pfeife anzündend): Man könnte meinen, der Wagen sei ein trojanisches Pferd, das sich nach Schönau verirrt hat.

Kriemhild: Und Sie davor der trojanische Esel.

Frau Lumbiek: Haben Sie das gehört, Herr Spielvogel?

Spielvogel: Rüpel, gib Acht ....

Kriemhild: Aber hier, da ist ja das Schloss!

Frau Gefällig: Wo?

Kriemhild: Hier! Hier! Hier! – Und nun heraus mit dem Schlüssel! Oder ich hole eine Brechstange und zerschlage den Wagen!

Rechtsanwalt S.: So geht das nicht, gnädige Frau.

Herr Lumbiek: Nein, so geht das nicht.

Frau Gefällig: Nehmen Sie Haltung an, gnädige Frau!

Frau Ehrlich: Die gnädige Frau ist krank, schwer krank sogar!

Lumbiek: Sagen Sie es ihr, dass sie schwer krank ist, Herr Doktor, auf dass sie es glaubt!

Bierhahn: Das weiß sie selber.

Kriemhild: Jawohl, das weiß ich selber. Lassen Sie nur mich aus dem Spiel.

Bierhahn: Die genetische Matrix und das sexuelle Umfeld, das ist die Realität, das ist die Wirklichkeit dieser unserer Welt.

Frau Gefällig: Wie genial Sie sich auszudrücken vermögen, Dr. Bierhahn!

Bierhahn: Ich habe es der gnädigen Frau gesagt.

Kriemhild: Dafür hab ich dann ein Beratungshonorar von 60 Euro bezahlt. –Der Herr Doktor weiß, wie gut man auf ihn verzichten kann.

Frau Gefällig: Wir, lieber Doktor, werden nie auf Sie verzichten. Das dürfen Sie uns glauben!

Kriemhild: Wenn einer zum Doktor sagt, dass man auf ihn verzichten kann, so schließt er daraus, dass der Betreffende schwer krank ist. Ich aber habe zu ihm gesagt, dass wir lieber sterben, als dass wir uns noch einmal einen Kurpfuscher anvertrauen.

Spielvogel: Wollen Sie noch immer nicht aufhören mit Ihren Beleidigungen?

Kriemhild: Leute wie Sie, die man noch mit öffentlichen Geldern unterstützt, müssen mir jetzt gerade noch kommen. – Warum schweigen Sie alle? Wollen Sie auch noch die unterhaltsame Geschichte hören, wie der Oberportier der städtischen Krankanstalten einmal so viel Bier gestemmt und Bretzeln gefressen hatte, dass er nicht mehr aus seinem Portiershäuschen kam? Und wie ihm dann der Dr. Bierhahn aus der Verlegenheit geholfen? – Wollen Sie sich nicht die Geschichte anhören, wie die Bretzeln sich weigerten, Hals über Kopf in die Bierjauche zu springen, mit der er sich den Magen angefüllt hatte und wie sie dann um Hilfe riefen? Rüpel, riefen sie da ganz genau, Rüpel, gib acht, dass wir dir nicht die Krawatte anziehen! – Sie wollen sich die Geschichte wirklich nicht anhören? Sie wär aber auch für Frau Neureiter lehrreich gewesen! Doch wie Sie wünschen!

Frau Gefällig: Amen ja Amen.

Brunhilde: Was ist? Warum geschieht nichts? Der Rechtsanwalt soll den Wagen öffnen oder den Schlüssel hergeben.

Kriemhild: Haben Sie gehört?

Rechtsanwalt E.: Ihre Tochter hat uns nichts zu befehlen.

Brunhilde: Dann telefonier und erkundige dich.

Kriemhild: Jawohl, das will ich jetzt auch tun.

Rechtsanwalt S.: Es bedarf keines Schlüssels. Die Türe ist angelehnt! Mit einem Druck der Hand springt sie auf!

8. Abschnitt: Der Inhalt des Möbelwagens

Kriemhild: Warum sagen Sie das nicht gleich? Muss man sich immer bis aufs äusserste entschlossen zeigen? – Doch gut! Öffnen wir den Wagen!

1. Polizist: Auf eigene Gefahr, gnädige Frau!

2. Polizist: Auch ich sage: Auf eigene Gefahr, gnädige Frau!

Frau Gefällig: O, wir alle sagen: auf eigene Gefahr, gnädige Frau!

Kriemhild: Weg da! Weg da, hab ich gesagt! (sie öffnet den Wagen) Aber was ist denn das da? Zwei Männer, die faul herumliegen! Was soll das? Meine Herren, was ist Ihr Auftrag?

1. Dachdecker: Meine Damen und Herren! Wo sind wir hingeraten?

Kriemhild: Das wollen wir von Ihnen wissen!

2. Dachdecker: Wie sollen wir das wissen?

Kriemhild: Red ich eine Träumersprache?

1. Dachdecker: Sieh nach! Du hast dirs doch aufgeschrieben.

2. Dachdecker: Ja da steht es. Heimerstrasse 6. Bei Kassander.

Kriemhild: (Das Handy zückend) Wenn die Herren Rechtsanwälte und Polizisten nicht sofort Weisung erteilen, was zu tun ist, erstatte ich Anzeige wegen Amtspflichtverweigerung.

Rechtsanwalt S.: Richten Sie ihre Klamotten zum Abmarsch, Herr Lumbiek.

Herr Lumbiek: Das ist nicht möglich! Das muss ein Missverständnis sein!

Frau Lumbiek: Herr Rechtsanwalt, wenn ich Sie bitten darf, helfen Sie uns!

7. Kapitel: Wie das Dach abgedeckt und der Möbelwagen beladen wird

Rechtsanwalt E.: Und Sie, meine Herren, machen sich an die Arbeit!

Die beiden Dachdecker: (sie eilen mit der Leiter aus dem Auto, steigen die Hauswand empor und beginnen, das Dach abzudecken)

Bierhahn: (er hat ein Fläschchen mit Urin aus der Tasche gezogen und hält es gegen das Licht)

Frau Ehrlich: Was ist das, Herr Doktor?

Bierhahn: Eine Urinprobe.

Frau Ehrlich: O pfui.

Bierhahn: Der Laie darf sich so äußern, aber unsereins muss handeln.

Frau Ehrlich: Eine Probe von der Dame da?

Bierhahn: Das darf ich Ihnen nicht sagen. – Ich hab Ihnen doch vom Zusammenhang der genetischen Matrix mit dem sexuellen Umfeld gesprochen: die erste ist individueller, das zweite vornehmlich gesellschaftlicher Natur.

Kriemhild: Was ist denn das? Ist das nicht unerhört?

Rechtsanwalt E.: Wie meinen Sie, gnädige Frau?

Kriemhild: Ja, sehen Sie nicht, was da geschieht? Wie die Burschen an unserem Haus hinaufklettern! Wer gibt ihnen das Recht dazu? Und nun beginnen sie gar, das Dach abzudecken. Selbst als Rechtsanwalt unseres Feindes müssen Sie dagegen einschreiten.

Rechtsanwalt E.: Weshalb denn?

Kriemhild: Es geschieht Unrecht.

Rechtsanwalt E.: Wir sehen kein Unrecht

Kriemhild: Sie vielleicht nicht, weil Sie die gegnerische Seite vertreten. Aber Sie!

Rechtsanwalt S.: Ich?

Kriemhild: Ja, Sie!

Rechtsanwalt S.: Stirbt der Fuchs, so zählt der Balg.

Kriemhild: Was soll das heißen?

Rechtsanwalt S.: Sie verstehen mich nicht?

Kriemhild: Nein.

Frau Ehrlich: Der Datenschutz ist heuer nicht zu verachten.

Frau Gefällig: Aber wer helfen will, der braucht Daten. So ists doch, Dr. Bierhahn. Oder nicht?

Bierhahn: Erst wenn wir wissen, dass wir nicht mehr helfen können, müssen sich andere an unserer Stelle weiter bemühen.

Rechtsanwalt E.: Sie sollten Ihrer Mandantin endlich sagen, was Sache ist.

Kriemhild: Was denn?

Rechtsanwalt E.: Dass ihr Prozess verhandelt und entschieden ist.

Kriemhild: Das glauben Sie ja selber nicht.

Rechtsanwalt S.: Auch wenn es noch nicht bis zu Ihnen vorgedrungen sein mag, gnädige Frau, so hat das Gericht doch Ihre Klage abschlägig beschieden. Sie haben zu lange abgewartet, bis Sie es sich haben einfallen lassen, dass der Erbanteil Ihres Mannes hätte größer ausfallen sollen. Erst mit der Erkrankung Ihrer Tochter, d.h. als Sie sich daran machten, Geldquellen für das kranke Kind zu erschließen und Geld zusammenzuraffen, wo immer Sie es hernehmen könnten, kam Ihnen auch die Idee, Ihren Geschwistern das Erbteil zu schmälern. Dem aber konnte das Gericht nicht stattgeben. Und was die Tochter angeht, die sie als Dienstmagd nach Haus zu holen wünschten, so sah sich das Gericht gezwungen, diesem Antrag zu widersprechen. Wir leben nicht mehr in den Zeiten der Sklaverei. Eine Tochter ist kein Besitz, über welchen die Eltern nach Belieben verfügen.

Kriemhild: Das werden wir ja sehen!

Die Nachbarn (singen):

Jährlich ein nettes Prozesschen führen,

einfach so ins Blaue hinein,

um es ruhmvoll zu verlieren:

kann denn etwas schöner sein?

Kriemhild: (telefoniert) Ich verlange den Polizeipräsidenten.. Wie?.. Ja! Am liebsten würde ich die ganze Welt verhaften lassen ... Dann suche ich eben den Gerichtspräsidenten ... Welchen Gerichtspräsidenten?.. Den höchsten, den es im Land gibt ... Wie?.. Dann auf der ganzen Welt! – Verbinden Sie mich mit ihm.. Warum geht das nicht? Wo ist er? Hält er gerade seinen Mittagsschlaf? Oder isst er zu Mittag ....

Und ihr dort oben! Ihr glaubt, weil ich keinen Anschluss bekomme, könnt ihr machen, was ihr wollt? O ihr sollt euch täuschen, das will ich euch sagen.

Dachabdecker: O gnädige Frau. Müssen wir nicht endlich das Dach abdecken, auf dass es endlich wieder frei wird und licht über Ihnen und sich der viel zu lange verschlossene Himmel wieder hereinverirren kann in Ihr Gemäuer? Ein Fenster des Himmels ist nämlich das Dach, zu dem der Mensch emporsteigen soll, wenn es Abend wird. Oder ist es mit dem Menschen nicht wie mit einer Luftblase, die im Wasserglas emporsteigt? Steigen Sie zu mir empor und prüfen Sie selber nach! Kommen Sie und überzeugen Sie sich selbst, dass der Mensch nichts anderes ist als eine Blase, die in einem Glas Wasser aufsteigt. Bisweilen zittert sie dabei ein wenig nach rechts und nach links, als wollte sie prüfen, ob dort ein besserer Weg wäre. Dann aber steigt sie doch zügig voran, bis sie die Oberfläche erreicht hat und dort zerplatzt. Das ist es, was wir vom Menschen herausgefunden haben. Und wenn man das einmal verstanden hat, dann ist man auch fähig, kleinere und größere Widersprüche auszuhalten. Dann vertreibt man sich sein Leben, indem man immer höher emporsteigt, von Tag zu Tag, bis es zerplatzt.

Kriemhild (ins Handy): Hallo?

Stimme aus dem Handy: Das geht nicht!

Kriemhild: Ja dann scheren Sie sich doch zum Teufel!

Rechtsanwalt E.: Was haben wir Ihnen gesagt?

Kriemhild: Was Sie gesagt haben, ist mir Wurst. Ich aber erkläre Sie zu Verbrechern. Und diesen Staat, dem Sie dienen, zu einem Verbrecherstaat. Und ich bitte die Staatengemeinschaft, dieses Land zum Gefängnis zu erklären.

Bierhahn: O, gnädige Frau, was für ein Krankheitsfall, an dem Sie leiden!

Kriemhild: Seien Sie nur froh! Sonst könnten Sie ja gar nicht mehr kassieren. – Aber vielleicht ist es gut, dass das Haus abgedeckt wird. Mögen sie auch noch die Decken und die Wände und die Fußböden mit sich nehmen. Was tuts? Zuhause bin ich hier ohnedies schon lange nicht mehr. Oder ist man zuhause, wo einen die Windmühlen der Gemeinheit zu Tode peitschen? Nun denn! Was wartet man noch? Ist bin bereit!

Bierhahn: Gnädige Frau, nehmen Sie Platz!

Kriemhild: Ich glaube, ich fange an, alle zu hassen, ausnahmslos.

Bierhahn: Nehmen Sie Platz!

Kriemhild: Weg da!

Bierhahn: Wir meinen es gut mit Ihnen.

Kriemhild: Zum Teufel auch! Wer es gut mit mir meint, ist mein Feind!

Rechtsanwalt S.: (zu den Polizisten) Meine Herren, nun gehen Sie!

Polizisten: (sie eilen mit der Trage ins Haus)

Kriemhild: Verhaftet mich endlich! Und dann sperrt mich ein in ein so tiefes Loch, dass ich niemanden von euch mehr sehe!

Rechtsanwalt S.: Und Sie, mein Herr, sorgen Sie sich um die gnädige Frau!

Bierhahn: Das will ich tun. (für sich) Aber selbst wenn ich ein deus ex machina wäre, könnte ich jetzt nicht mehr anders, als dass ich die Anweisung gäbe in die nächste psychiatrische Landesklinik!

Frau Ehrlich: ich will nicht ehrlich sein, wenn ich nicht gehört habe, dass Dr. Bierhahn gesagt hat: Erst wenn wir wissen, dass wir nicht mehr helfen können, müssen sich andere an unserer Stelle weiter bemühen.

Bierhahn: Kommen Sie, gnädige Frau. Legen Sie sich auf die Liege. Machen Sie es sich bequem. Frau Dr. Neureiter hilft Ihnen dabei.

Kriemhild: Wenn Sie Lust haben, scheren Sie sich in den Orkus. Aber lassen Sie Ihre Finger von mir!

Bierhahn: So geht das nicht, gnädige Frau.

Kriemhild: Was geht, das bestimme noch immer ich!

Bierhahn: Frau Neureiter und ich können Ihnen beschwören, dass es keine Bahre ist, worauf Sie sich legen.

Kriemhild: Was geht das mich an? Ich will nicht!

Bierhahn: Das macht nichts. Sie müssen! – Nur fest ran, Frau Doktor.

1. Polizist: Und hier bringen wir das Fräulein Tochter, sanft eingeschläfert. Das war auch ein Stück Arbeit! Das liebe Kind! Schauen Sie doch und vergewissern Sie sich selber, wie lieb sie schläft!

2. Polizist: Sie wehrte sich noch ein wenig, ehe wir in der Lage waren, ihr ein Beruhigungszückerchen zu reichen. Kaum aber hatten wir ihr das Zückerchen ins Mündchen geschoben, da sank sie auch schon in den schönsten Schlummer, fast als sänke sie ins Hochzeitsbett!

1. Polizist: Kann es etwas Schöneres geben, als im Rausch des Traums von der göttlichen Zeugung einzuschlafen?

Kriemhild: O, ihr Hunde!

Rechtsanwalt S.: Genug jetzt! Keinen Ton mehr. Oder Sie bekommt auch noch ein Zückerchen. Alles muss jetzt fertig gemacht werden für den Abmarsch! Es ist höchste Zeit.

Rechtsanwalt E.: Sie, Frau Dr. Neureiter, leiten den Zug!

Dr. Neureiter: (sie besteigt den exotischen Esel)

Lumbiek: Aber meine Herren, wo sollen wir logieren, ich und meine Frau, wenn man das Haus abbaut und es kein Haus mehr gibt?

Rechtsanwalt E.: Du und deine Frau?!

Lumbiek: Haben Sie nicht selber gesagt, man muss man auf die Schwächsten Rücksicht nehmen? Wo sollen wir bleiben?

Rechtsanwalt E. (zu den Polizisten): Bindet sie hinten auf dem Trittbrett fest, dass sie weder herunterfallen noch Reißaus nehmen.

Lumbiek: Was?

Rechtsanwalt E.: Keine Widerrede. Was würdet ihr tun ohne eure Hauswirte und die Hauswirte ohne euch?

Die beiden Polizisten: (sie binden Herrn und Frau Lumbiek fest.)

Rechtsanwalt E.: Eigentlich hatten wir vorgehabt, einen Esel vorspannen zu lassen und den Alten drauf zu setzen. Nun aber ist er uns leider entwischt. Unterdessen haben wir ihn aber längst eingefangen. Er holt kein Wasser mehr aus der fernen Nordsee und er träumt auch nicht mehr von sanftmütigen Eseln. Er sitzt bereits in der Untersuchungszelle, wo ihn freundlicherweise ein Ärzteteam untersucht. Dorthin werden wir nun auch noch die Frau und die Tochter bringen. Vielleicht, Dr. Bierhahn, dass Sie der gnädigen Frau noch etwas Kispum in die Tasche stecken?

Bierhahn: (tuts)

Rechtsanwalt E.: Und nun Frau Dr. Neureiter! Vorwärts!

Dr. Neureiter: Vorwärts!

Rechtsanwalt E.: Es würde mich nicht wundern, wenn ich Herrn Sigfried Kassander das nächste Mal als Hund an einer goldenen Kette sähe.

Rechtsanwalt S.: Wie er meine beiden Klientinnen in der Anstalt bewacht.

Dr. Bierhahn: Ja so ist das Leben. Manche müssen sich gar nicht lange mühen, bis sie ihr bisschen Lebensfreude verspielt haben.

Spielvogel: Was mich betrifft, so habe ich jetzt einen mächtigen Durst! Meine Herren, darf ich Sie bitten, mit mir zu kommen, mit mir Ihren Durst zu löschen? Auch Sie, Dr. Bierhahn, auch Sie, seien Sie uns herzlich willkommen.