{ Hoch zu Ross }

Literatur von Martin Ganter

Personen

Dionysos, der Gott des Weins und des Theaters

Hermes, Kenner und Leiter der Seelen

August Stark, Rektor an einer Pädagogischen Universität

Kanzler Klaus Korpus

Rektoratssekretärin, Frau Lamm

Kümmerle und Schnaufer, zwei Hausmeister

Prof. Richter, Psychologe und Vorsitzender des Forschungsausschusses

Dekan und Theologe Prof. Dr. Dr. Laicher

ein männlicher Bewerber für den Lehrstuhl der Theologie

Erste Dozentin für den Lehrstuhl der Theologie, Frl. Dr. Löwinger

Zweite Dozentin, Frl. Dr. Zimpel

Ferdi Schmätzer, ein junger Chemieprofessor

Frl. Glucknit, Laborantin der Chemie

Frau Prof. Dr. Sonnentau, eine frisch ins Amt berufene Biologin

Lachsner Dozent der Biologie

Prof. Gebauer, Historiker

Prof. Deutsch, Germanist

Prof. Eilein, Germanist

Gänslein, ein alt gewordener Professor der Physik

Eberhard, sein Assistent und Experimentator

Wieseler, ein Akad. Rat

Karl Wetter, ein 60jähriger ewiger Student

Gründel , eine Kämpferin für die Durchsetzung der Frauenquote

Daniel Tölpel, Student

Fritz Schreier, Student

Lehrer Rüpel und Hilfslehrer Lümmel mit Jungen

Studenten und Professoren

Inhalt

1. Kapitel: Wie man sich zum Neujahrsempfang versammelt

1. Abschnitt: Vorzimmer des Rektors

2. Abschnitt: Vor dem Rektorat

3. Abschnitt: Im Vorzimmer

4. Abschnitt: Weitere Professoren

2. Kapitel: Wie der Herr Rektor sein hohes Ross besteigt, den Spiegel befragt und seine Rede hält.

1. Abschnitt: Beim Ankleiden

2. Abschnitt: Die Spiegelprobe

3. Abschnitt: Ansprache des Rektors

3. Kapitel: Im Freien bei St. Peter

1. Abschnitt: Götter im Schnee

2. Abschnitt: Vor dem Schulhaus

4. Kapitel: In der Physik

1. Abschnitt: Im Hörsaal

2. Abschnitt: Vorbereitungen

3. Abschnitt: Die Frauenbeauftragte

5. Kapitel: Vor dem Eingang zur Physik

1. Abschnitt: Vor Physik und Mensa

2. Abschnitt: Mit der Frauenbeauftragten

3. Abschnitt: Mit den Studenten

6. Kapitel: Experimente

1. Abschnitt: In der Chemieabteilung

2. Abschnitt: In der Abteilung für Biologie

3. Abschnitt: Im Versteck

4. Abschnitt: Anleitung zum Experimentieren

5. Abschnitt: Reflexion

6. Abschnitt: Experiment allein

7. Abschnitt: In der Physik-Abteilung

8. Abschnitt: Das große Experiment

7. Kapitel: Wie der Festwagen beladen wird und Richter hinabgeht.

8. Kapitel: Wie Dionys und Hermes auf die weinschwer und müde gewordenen Hausmeister treffen und ihnen die Gesichter abziehen.

9. Kapitel: Wie sie auf den abgewiesenen Bewerber treffen, der ein Attentat vorhat.

10. Kapitel: Beim Rektor

1. Abschnitt: Zutritt ins Rektorat

2. Abschnitt: Die neuen Dozentinnen

3. Abschnitt: Der Wein

4. Abschnitt: Randal auf dem Campus

11. Kapitel: Ecce homo

1. Abschnitt: Des Rektors Auszeit

2. Abschnitt: Der Traum des Rektors

3. Abschnitt: Des Rektors Erwachen

4. Abschnitt: Die Hausmeister

5. Abschnitt: Die Hilfe der Götter

12. Kapitel: Letzte Vorbereitungen

1. Abschnitt: Nach draußen

2. Abschnitt: Die Strohmatten

3. Abschnitt: Beiträge der Physik

4. Abschnitt: Beiträge der deutschen Philologie

5. Abschnitt: Matten und Laborkittel

6. Abschnitt: Philosophie

7. Abschnitt: Der ewige Student

8. Abschnitt: Die Experimentiersachen

9. Abschnitt: Hilfe durch Dionysos

13. Kapitel: Exodus

1. Abschnitt: Mit dem Rektor

2. Abschnitt: Abschied mit Wagen

1. Kapitel: Wie man sich zum Neujahrsempfang versammelt

1. Abschnitt: Vorzimmer des Rektors

(Zwei Professoren, Richter und Schmätzer im Vorzimmer des Rektors im Gespräch.An der Wand hängt ein großes Bild, das aber durch einen Vorhang verdeckt ist. Allein für sich Herr Gebauer, der neue Historiker. Sie alle warten auf den Rektor. Die Sekretärin für sich daneben bei der Arbeit. Sie kleidet ein sehr großes Buch sehr sorgfältig in Goldpapier ein.)

Richter: Herr Kollege, wie schön, Sie hier zu sehen. Sie sind gewiss auch gekommen, um dem Herrn Rektor zum Neujahr zu gratulieren. Immerhin hat er eine Reform auf den Weg gebracht, die ihresgleichen sucht.

Schmätzer: Eine große Reform, allerdings. - Doch können Sie mir sagen, was es mit dem Vorhang da auf sich hat?

Richter: Dahinter befindet sich ein Bild, das Bild eines Reiters!

Schmätzer: Warum zeigt man ihn nicht? Ist das nicht erlaubt oder wünscht man das nicht?

Richter: Seine Exzellenz, der Herr Rektor, wünscht es nicht. Der Blick ist nur schwer zu ertragen.

Schmätzer: Der Blick des Reiters?

Richter: Es ist das Bild des neu ins Amt berufenen Ministers!

Schmätzer: Des jetzt amtierenden Ministers?

Richter: Der die Überprüfung aller wissenschaftlichen Einrichtungen in Gang gebracht hat. Im Übrigen soll er ein exzellenter Sportsmann sein.

Schmätzer: Kann er uns durch den Vorhang hindurch sehen?

Richter: Ich denke schon.

Schmätzer: Und wohl auch hören?

Richter: Die moderne Technik macht fast alles möglich. Wenn Sie ein wenig zur Seite gehen, können Sie bemerken, wie sie von einer Dame beobachtet werden. Sie trägt im Haar einen Diamantenaufsatz in goldener Fassung, manche meinen, das sei eine kleine Krone, wie auch um den Hals ein Kollier mit erbsengroßen Diamanten. Das ist seine Frau, die Frau Ministerin, eine geborene von Habstadt.

Schmätzer: Sie soll ganz wesentlichen Anteil haben an allem, was der Minister unternimmt.

Richter: Immerhin ist es von großer Bedeutung, ob wir noch den Zug in die Zukunft erreichen!

Schmätzer: Wie akribisch subtil der Psychologe doch alles durchdringt! - Übrigens hatte ich schon immer vor, näher mit Ihnen bekannt zu werden.

Richter: Was gibt es da, das Sie an mir verlockte?

Schmätzer: Nun, Sie werden mir nicht widersprechen, wenn ich Ihnen sage, dass es gerade die Männer von imponierender Größe sind, die einer Institution ihr Gepräge geben.

Richter: Und einen solchen haben Sie in mir entdeckt?

Schmätzer: Übrigens heiße ich Ferdi Schmätzer.

Richter: Friedrich Richter! Ich finde es gut, wenn man sich aufeinander verlassen kann. Loyalität ist die unerlässliche Basis für unsere Arbeit.

2. Abschnitt: Vor dem Rektorat

(Der Dekan Laicher, Theologe, verfolgt von einem Bewerber für den Lehrstuhl der Theologie.)

Bewerber: Entschuldigen Sie. Sind Sie nicht der Ordinarius für das Fach Theologie, Herr Laicher?

Dekan: (sich das Barett des Dekans aufsetzend) Prof. Dr. Dr. Laicher! Was wollen Sie? Ich bin in Eile. Ich habe keine Zeit.

Bewerber: Ich bin einer der Kandidaten für den frei gewordenen Lehrstuhl der hohen Theologie und würde Ihnen gerne, ohne mich freilich unlauter einschleichen oder einschmeicheln zu wollen, eine kleine Dichtung überreichen.

Dekan: Mit Dichtungen müssen Sie sich an einen Philologen wenden.

Bewerber: Ein christliches Gedicht, vergleichbar einem Psalm?

Dekan: Es tut mir leid, mein Herr, selbst wenn es das Imprimatur des erzbischöflichen Ordinariats trüge. (er verschwindet ins Sekretariat)

Bewerber: Dann gute Nacht, Herr Prof. Dr. Dr. Laicher! - Dann sag ich mein Gedicht jetzt eben der Türe. Nicht wahr, verehrte Tür, du hast nichts dagegen, wenn ich es dir in dein Ohr sage! Der Herr Ordinarius, Herr Prof. Dr. Dr. Laicher wollte es sich ja nur nicht anhören, weil er die beiden Mitbewerberinnen favorisiert. Aber du, o Türe, wiewohl du weiblichen Geschlechtes bist, brüllst und polterst nicht, wenn ich es dir sage! So höre denn! (er beginnt) Da liegt das liebe Jesuskind…

Dekan (kurz zurückkommend): Will er gleich gehen!

Bewerber: geworfen in die Krippe….

Dekan: Still, sag ich!

Bewerber: geworfen in die Krippe….

Dekan: Unterstehen Sie sich ja nicht, auch nur noch ein einziges Wort zu sagen! (er verschwindet wieder)

Bewerber: (weggehend) Da kannst du machen, was du willst. Zumal in der christlichen Religion stehst du heute als Mann auf verlorenem Posten. Ade, Prof. Dr. Dr. Laicher! Mögen sich die Mullahs in Acht nehmen, dass es ihnen nicht auch bald schon so ergeht! Und der zweite Doktor ist wahrscheinlich eine verpasste Habilitationsschrift.

3. Abschnitt: Im Vorzimmer

(Der Dekan Laicher ist jetzt mit im Vorzimmer)

Richter: Hier kommt der werte Dekan Laicher von der hohen theologischen Pforte. Ich hoffe, Sie haben die heiligen Tage gut herumgebracht, Herr Kollege. Für einen Theologen sind die ja immer sehr strapaziös. Darf ich Ihnen unseren neuen Kollegen vorstellen? Herrn Schmätzer?

Dekan: Wir kennen uns schon. Nicht wahr, lieber Ferdi.

Richter: Ja, da schau her! Charmant!

Dekan: Euch allen wünsch ich Gottes Segen und ein gutes Neues Jahr. – Übrigens, was macht die Sache mit den Bleibeverhandlungen, Ferdi? Hast Du schon eine Nachricht vom Rektor? Noch keine? Immerhin hat der Kollege Richter als Vorsitzender des Forschungsausschusses einigen Einfluss.

4. Abschnitt: Weitere Professoren

(Weitere Professoren kommen laut sich unterhaltend herein.)

Einer: (zu seinem Begleiter über des Rektors Buch) O, das Buch müssen Sie unbedingt gelesen haben! Ein Glück für uns, dass er die Gunst der Stunde genutzt hat.

Ein anderer: Für alle Fächer ist das allerdings kein Glück.

Wieder einer: Der Hass auf die Naturwissenschaften und die Technik formiert sich. Und mag der Zweck desselben auch bekannt sein, so bleibt doch die Frage, was er am Ende zustande bringt.

Der eine: Aber darum muss sich seine Exzellenz nicht bekümmern. Schließlich hat man ihm so viel Macht zugeschanzt, dass er sich auch gegen ein Dutzend Widersacher durchsetzen kann.

Der andere: Mit den weitreichenden neuen Befugnissen geht jetzt aber auch die Verpflichtung einher, Gelder für die Institution zu beschaffen. Ob es da der rechte Weg war, die Gebäude und Labore der Naturwissenschaften zu Spielhallen umzufunktionieren?

Ein dritter: Übrigens munkelt man, Mathematik und Physik seien in der Schule nicht seine Lieblingsfächer gewesen.

Noch ein anderer: Und Sie, Herr Deutsch, wann treten Sie in den Ruhestand?

Deutsch: Zusammen mit dem Herrn Rektor. Aber das hat noch drei Jahre Zeit.

Wieder der andere: In der Zeit ließe sich fast noch ein Schauspiel schreiben.

Deutsch: Als ich Rektor war, hatte ich damit geliebäugelt. Und wenn es nicht zustande kam, so wohl nur deshalb, weil große Abenteuer in den Rektoratsräumen so gut wie ausgeschlossen waren. Heute ist das etwas anderes.

Lamm: Meine Damen und Herren, seien Sie bitte etwas leiser! Sie stören den Rektor in seiner Vorbereitung.

2. Kapitel: Wie der Herr Rektor sein hohes Ross besteigt, den Spiegel befragt und seine Rede hält.

(Auch im Zimmer des Rektors hängt das Bild mit dem Reiter. Ein Vorhang ist vorgezogen.)

1. Abschnitt: Beim Ankleiden

(Mit dem Kanzler im Gespräch, der ihm beim Ankleiden des Reitkostüms behilflich ist.)

Kanzler: Darf ich seine Exzellenz, den Herrn Rektor, nochmals daran erinnern, dass der Festwagen bereit steht? Und dass die Fächer angewiesen sind, ihn mit den Ergebnissen ihrer Forschung zu bestücken?

Rektor: Kanzler Korpus! Als ob ich das vergessen könnte! Wachen Sie auf! Wenn es ein Ereignis gibt, an das ich schon seit Monaten denke und auf das hin ich gearbeitet habe, so ist es dieses! Und wahrlich würde mir dieses eine für heute genügen. Doch verfüge ich nicht über mein Amt, sondern mein Amt über mich!

Kanzler: (Bleiweiß reichend zum Schminken des Gesichts, sodann etwas später ein Salböl und Parfums) Wenn Exzellenz zu erfahren wünscht, was sonst noch auf dem Programm steht, so wäre da noch das Fach Theologie zu nennen. Drei Bewerber haben sich gemeldet auf die zwei ausgeschriebenen Dozenten-Stellen, einer männlich, zwei weiblich. Exzellenz wird heute aber wohl nur ein gedämpftes Interesse dafür haben.

Rektor: Nichts da. Gerade die Theologie mit ihrer herrlichen Überflüssigkeit scheint mir einen Überfluss an Möglichkeiten zu bieten. Allein, da ist ein Punkt, der mir nicht gefällt! - Dass der Dekan die beiden Stellen ausschließlich für die Lehre vorsieht, für sich aber die Forschung reserviert, kann ich unmöglich so hinnehmen! Wo keiner mehr an einen Gott glaubt, mag man die Forschung den Philologen überlassen. – Doch weiter!

Kanzler: Da wäre noch die frei werdende Physikerstelle.

Rektor: Zum Teufel auch! Wie oft muss ich das noch sagen, dass da keine Stelle frei wird?

Kanzler: Kollege Gänslein tut so, als ob Ihre Absicht, die Stelle nicht wieder zu besetzen, in eine Katastrophe münden müsste.

Rektor: Was interessiert uns Gänslein! Hätte er unsere Interessen verfolgt. Er hatte lange genug dazu Zeit. - Wissen Sie, ob die Neue aus der Biologie ihre Versuchsreihen abgeschlossen hat?

Kanzler: Nein, davon weiß ich nichts.

Rektor: Dabei hat sie so getan, als hätten wir nicht genug Säcke, um all das Geld nach Haus zu tragen. - Ist sie im Vorzimmer?

Kanzler: (er schaut durch einen Spicker) Ich sehe sie nicht.

Rektor: Und das Wunder aus der Chemie?

Kanzler: Der Neue aus der Chemie? Der ist da.

Rektor: Und der Historiker?

Kanzler: Der Herr Gebauer? Der ist auch da.

Rektor: Ich hasse Gesellen, die nichts mitbringen außer dem Glauben an ihre Unsterblichkeit!

Kanzler: Allerdings ein merkwürdiger Bursche! Da hätten Sie ihn sehen sollen, wie er jüngst verkündete: dass unser aller Leben nichts anderes mehr sei als ein Appendix zur Naturgeschichte der Menschheit. Dabei kriegte er das Maul kaum auf vor lauter Respekt, den er vor sich selber hatte.

Rektor:. Eine Fehlinvestition, zweifellos. Doch genug davon!

2. Abschnitt: Die Spiegelprobe

Rektor: Und nun lass sehn, ob unser Aussehen stimmt! (indem er nach einer Reitpeitsche greift und vorsichtig vor das Bild tritt) Auf jetzt, ans Werk! Öffnen Sie den Vorhang!

Kanzler: Sind Sie bereit?

Rektor: Öffnen Sie! hab ich gesagt.

Kanzler: (öffnet den Vorhang, das Bild, ein Reiter auf geflügeltem Pferd, erscheint; der Kanzler verneigt sich.)

Rektor: Mein gnädiger Herr! (er hebt den Minister aus dem Sattel, der dann verschwindet, und führt das Pferd ins Zimmer; dabei entsteht ein Lärm wie von zerbrechendem Glas)

Rektor: Was war das? Das Pferd, als ob es mit seinen Flügeln an die Scheibe gestoßen wäre!

Kanzler: Der Bildrahmen scheint noch in Ordnung. (ehe er den Vorhang wieder zuzieht) Möge uns der Herr Minister allezeit gewogen bleiben!

Rektor: (er besteigt mit Hilfe des Kanzlers das Pferd) Und nun, auf zum Spiegel!

Kanzler: (zaghaft das Pferd zum Spiegel führend, der auch mit einem Vorhang verhüllt ist; er zieht den Vorhang auf. Man sieht jetzt den Rektor im Bild, wie zuvor der Minister auf dem Bild zu sehen gewesen.)

Rektor: Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der beste im ganzen Land?

Spiegel: Der Herr Rektor ist der beste hier, aber... (bei „aber“ verschwindet das Spiegelbild des Rektors)

Kanzler: (er zieht rasch den Vorhang zu, das Pferd wiehert)

Rektor: Was war das?

Kanzler: Nichts. Allenfalls ein technischer Defekt. Hab ich´s nicht gesagt? Exzellenz ist der beste hier, ohne Wenn und Aber.

Rektor: Öffnen Sie nochmals den Vorhang.

Kanzler: Muss das sein?

Rektor: Ich wünsche Klarheit! - Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der beste im ganzen Land?

Spiegel: Der Herr Rektor ist der beste hier, aber... (bei „aber“ verschwindet das Spiegelbild und das Pferd wiehert wieder).

Kanzler: (er zieht wieder rasch den Vorhang zu) Kein „aber“ hab ich gesagt! Aber da ist etwas defekt; sonst würde sich der Fehler nicht so stereotyp wiederholen. Soll ich jemand von der Haustechnik holen?

Rektor: Zum Teufel mit der Haustechnik. Das ist ungeheuerlich, wenn sich die Technik herausnimmt, mich düpieren zu wollen. (zum Pferd) Und auch dich werde ich an die Kandare nehmen, bis dass du weißt, wer dein Herr ist!

Kanzler: Seit einiger Zeit schon beobachte ich ein Murren und Grollen in den Gesichtern dieser Herrschaften.

Rektor: Und nun nochmals den Vorhang geöffnet! (laut) Öffnen!

Kanzler: Nun denn!

Rektor: Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der beste im ganzen Land?

Spiegel: Der Herr Rektor ist der beste hier, aber... (bei „aber“ verschwindet das Spiegelbild wieder; das Pferd wiehert und versucht, sich aufzubäumen.)

Kanzler: Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang. Sagte ich es nicht?

Rektor: Schreiten wir zur Tat! Bereiten Sie die Anwesenden auf mein Kommen vor und lassen Sie die große Türe zum Einzug in den Senatssaal aufsperren!

3. Abschnitt: Ansprache des Rektors

Kanzler: (indem er die Türe zum Vorzimmer ein wenig öffnet) Meine Damen und Herren, machen Sie sich bereit! Verfügen Sie sich in den großen Senatssaal! In wenigen Augenblicken erscheint seine Exzellenz, der Rektor der pädagogischen Universität, Herr Prof. Dr. Stark.

Dekan Laicher (sich mit dem Barett den Kopf bedeckend): Dank sei Gott, der uns unseren großen Rektor geschenkt hat. Wenn einer von Gott berufen ist, so kann er nicht anders als ein Großer in Erscheinung treten. Das sag ich als Theologe.

Schmätzer: (zur Sekretärin) Frau Lamm, dürfte ich Sie noch kurz mit einer kleinen Bitte angehen, bevor der Herr Rektor kommt? Könnten Sie seiner Exzellenz bei passender Gelegenheit dieses Büchlein überreichen? Eigentlich wollte ich es ihm selber überreichen, zumal da ich es seiner Exzellenz gewidmet habe. Jetzt aber meine ich, wäre es doch besser, wenn Sie das für mich übernähmen. Sie kennen den Herrn Rektor und wissen, wann der rechte Augenblick gekommen ist.

Sekretärin: Das geht jetzt leider nicht. Sie sehen doch, dass gleich der Einzug stattfindet!

Dekan: (kaum dass der Rektor hoch zu Ross zu sehen ist) Mein Gott, wie seine Exzellenz auf seinem Pegasus dahergeflogen kommt! Als wär er der königliche Adler des Zeus!

Gebauer: Oder doch wenigstens der Bukephalos Alexanders oder der Babieca des Cid.

Die Anwesenden: (sie singen, während der Rektor in den Saal reitet)

O wie schön ist´s doch zu reiten

in der Gunst der Morgenstunde.

Ferne sei uns heimlich Neiden.

Lieber mit vereintem Munde

singen schmeichelnd wir der Macht,

die uns überreich bedacht.

Richter: Heil Eurer Hoheit, Heil Eurer Exzellenz, Heil dem Rektor Stark!

Alle: Heil!

Richter: Du Pfad aus der Unwissenheit!

Alle: Heil!

Richter: Du Säule der Wissenschaften!

Alle: Heil!

Richter: Du Pforte zu einem besseren Zeitalter!

Alle: Heil!

Richter: Du Retter des christlichen Abendlandes!

Alle: Heil!

Richter: Du Wonne des Weltalles!

Alle: Heil!

Rektor: Dank Euch allen, die ihr gekommen seid, zum Gelingen unseres hohen Amtes mitbeizutragen!

Richter: Wir sind stark im Glauben, dass Exzellenz das Können besitzt, alle Dinge zum Besten zu führen. (sie klatschen dem Rektor Beifall)

Rektor: Lasst uns abwerfen, was uns hindert, den Pfad zum Guten zu schreiten! Lasst uns abwerfen, was uns hindert auf dem Pfad zu einem Leben in Zufriedenheit und Brüderlichkeit! Lasst uns abschwören einem Leben voller Unruhe, Angst, Krieg, Gewalt! Ja, lasst uns nie aufhören, daran zu glauben, dass wir es schaffen, uns eine humane Welt zu erbauen und uns in ihr einzurichten, noch auch andere in diesem Glauben zu befestigen!

Richter: Ich darf alle Anwesenden bitten, sich darauf zu besinnen, dass seine Exzellenz jetzt damit beginnen will, den Prolog zu seiner Vision für das dritte Jahrtausend zu verkünden.

Gebauer: (für sich) Ich frage mich, an wen mich der Rektor als groteske Reiterfigur erinnert!

Rektor: Meine Damen und Herren! Schon viele Male habe ich Ihnen kundgetan, dass die neue Zeit auch Neues von uns erfordert, und ich habe nicht ermangelt, Ihnen alle meine Gedanken, nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich vorzutragen. Heute nun ist gleichsam der Tag, an dem es sich herausstellen soll, ob Sie meine Ratschläge befolgt und gute Arbeit geleistet haben. Wenn wir heute Abend den Festwagen auf den Weg schicken, dann mag sich zeigen, ob wir in der Lage sind, etwas Bedeutsames in Bewegung zu setzen; ja dann mag sich zeigen, ob euer Rektor nur geträumt hat oder ob wir uns bereits auf dem Weg befinden zu einer menschenwürdigen Welt! Vergangen sind die Tage, wo ein jeder in seinem eigenen Schiffchen hinaus in die Welt fuhr, ein Stück Küste zu erkunden, wie es ihm eben in den Blick kam! Vergangen die Tage, wo man tun und lassen konnte und wo man die Gestaltung der Zukunft dem Zufall überließ! Unabdingbar ist heute, dass ein jeder eben an seiner Stelle und auf seinem Platz mit dazu beiträgt, an der Welt von morgen mitzuarbeiten! Keiner darf sich mehr der Aufgabe entziehen, sich für das Gemeinwohl einzubringen, sitzen wir doch alle in ein und demselben Boot! Dieses Gemeinwohl kann aber nicht dadurch erreicht werden, dass wir abwarten und zusehen oder indem wir blindlings hin und her rennen. Dieses Gemeinwohl kann auch nicht erreicht werden, indem wir blindlings die Kulturtechniken vermitteln, um Ingenieure und Techniker für morgen zu schaffen, die uns Erfindung über Erfindung bescheren und unsere Kassen und Schatullen mit Geld füllen. Dieses Gemeinwohl kann schon gar nicht erreicht werden, indem wir die Menschen sortieren auf mehr oder minder große Begabungen und Fähigkeiten, die zufällig in dieses Konzept passen! Die Zeit ist gekommen, wo wir den Anfang machen müssen hin auf eine Gesellschaft, die wieder Zeit hat und Ruhe kennt und die sich weigert, sich in den Mühlen des Fortschritts und des Konsums zu zermalmen! Lernen wir auszusteigen! Lernen wir zu vergessen, was 2 plus 2 sind oder 7 plus 8. Lassen wir es uns angelegen sein, dafür zu sorgen, dass einer, der es bis dahin noch auswendig gewusst hat, plötzlich innehält und unsicher wird. Lernen wir, uns zu verbieten, das zu tun, was nicht gut für uns ist, und wenn es auch die höchsten Gegenstände des Verstandes beträfe! Lasst uns eine Gesellschaft begründen, wo die Kunst der eigenen und freien Lebensgestaltung und die Freude am Leben zu den erstrebenswerten Gütern des Lebens zählen!

Gebauer (für sich): Als ob sich die Menschheitsgeschichte so bewerten und bewältigen ließe! Einen Weg zurück gibt es nicht. Spätestens seit den ersten Städtegründungen wurde dies klar.

Richter: Will er nicht endlich still sein? Er Defätist! Er Klugscheißer!

Gebauer: Diese Dinge müssen diskutiert werden, mein Herr!

Rektor: O, meine Damen und Herren! Fassen wir Mut! Selbst im Vollkommensten lassen sich Sonnenflecke sehen, doch auch aus dem Abgrund der Unvollkommenheit leuchten oft herrliche Lichter! Mag, wen es gelüstet, sich ein Schloss bauen auf dem Mond, wo er in feuer- und diebsichere Tresore seine Schätze einbringt und versteckt hält. Uns aber lasst nie vergessen, dass wir das Menschenleben hier leben und dass wir es lebenswert leben! Die uns zur Verfügung stehende Welt lasst uns nicht zu einer Bedrohung werden! Lasst sie uns nutzen zu einem für uns alle möglichen menschlichen Dasein. Denn es gibt kein Schicksal, das die Menschheit zum Untergang verurteilt, es sei denn die Menschheit selbst!

Alle: Es lebe der Mensch! Es lebe die Gemeinschaft! Es lebe der Geist der die Gemeinschaft belebt!

Rektor: Ohne Zweifel aber war es der Beginn der größten Katastrophe der Weltgeschichte, als Galilei und Konsorten im Universum herum zu fischen begannen und neue Wege des Denkens erkundeten. Als ob nun alle Menschen auf den Wolken des Himmels schweben und selbst noch in den verborgenen Winkeln des Alls herumstöbern müssten! Was auch haben wir dadurch erreicht? Wohin haben wir unsere Gedanken gelenkt? Auf was für einen Kurs die Welt gebracht? Und was ist bei alledem aus dem Menschen geworden? Mögen wir inzwischen auch so alt werden wie Methusalem und so reich wie Midas: glücklich sind wir deshalb noch lange nicht geworden, ganz davon zu schweigen, dass wir in einer bedrohten Welt leben, wo ein Fehlgriff eine Lawine von Unheil nach sich ziehen kann, deren Ende nicht absehbar ist. Aber selbst die Güter der Heilkunst werden uns zu einem Problem, wenn sie nur für immer weniger Leute erschwingbar und somit zu Privilegien der Reichen werden. Ist es sinnvoll, blindlings weiterzuarbeiten und immer noch teurere Apparate herzustellen? Ist es sinnvoll, dass man jene Methoden und Arbeitsweisen einem jeden Kind als Gegenstand des Unterrichts vorsetzt, damit alle in dieses Wettrennen eingespannt werden und daran teilnehmen? Oder wärs nicht besser, wir versuchten in jenes Zeitalter zurückzukehren, das man das goldene nennt, wo man noch nichts von solchen Erfindungen wusste, und wo man sich noch mit den allen zur Verfügung stehenden Göttergeschenken begnügte? Wäre es nicht eines Versuches wert, wieder in jenes Zeitalter zurückzukehren, wo kein Kind mehr seine Eltern fragen braucht, warum andere das und das und das haben, während sie selber als Schlucker dahinvegetieren? Und wo es keinen Reichen mehr gibt, der es nötig hat, sich gegen die Vorstellung solcher Fragen abzustumpfen? Machen wir Schluss mit dem Damoklesschwert, das wir selber über uns aufgehängt haben, Schluss mit all dem Rennen nach Sicherung von Vorteilen und Privilegien, Schluss mit den tödlichen Waffen des Übervorteilens und Kommandierens in einer inhumanen und gottlosen Welt! Werden wir wie die Kinder und üben wir uns in Spielen, um Mensch unter Menschen zu sein! Entwickeln wir Gegenstände des Lehrens und Lernens, die das Leben lebenswert machen, so dass einem das Herz lacht. Ergreifen wir den Tag, ohne immer an den nächsten und übernächsten zu denken, wo wir überholt und ausgeraubt werden. Reformieren wir die Schulen und Universitäten ! Gestalten wir die Gesellschaft um, indem wir statt Terror und Leistungsdruck Lebensmut und Lebenslust verbreiten! Lernen wir, ein neues, lebenswertes Leben zu führen! Lernen wir, glücklich zu leben und glücklich zu sterben! Lernen wir einen neuen Beginn!

Alle: Lernen wir, glücklich zu leben und glücklich zu sterben! Lernen wir einen neuen Beginn!

Richter: Heil dem tapferen Mann, Heil unserem Rektor, der uns einen Weg weist, der unserer Anstrengungen wert ist!

Rektor: (er geht unter tosendem Beifall)

3. Kapitel: Im Freien bei St. Peter

1. Abschnitt: Götter im Schnee

(Hermes zu Fuß und Dionysos auf einem Esel.Sie stapfen durch Schnee und gelangen in die Nähe eines Schulhauses.)

Hermes: Du bist bekannt dafür, Jakchos, dass du mit den Leuten scharf ins Gericht gingst, wenn sie in Hochmut schwelgten und glaubten, alles am besten zu wissen. Und nun willst du als Retter der Menschheit auftreten? Oder weißt du nicht, all deiner göttlichen Allwissenheit zum Trotz, dass jedes solche Ansinnen zum Scheitern verurteilt ist?

Dionysos: O du ewiger Pessimist! Ich habe nicht vor, mich als Retter aufzuspielen, eben so wenig, wie ich sie zwingen werde, an meine Göttlichkeit zu glauben. Die Zeiten sind vorbei. Mehr als Reisender hab ich mich auf den Weg gemacht, mir die Welt anzusehen.

Hermes: Täusch dich nur nicht, du Doppeltgeborener! Denn das ist es ja eben, dass sie Schein und Sein durcheinander bringen. Statt im Sein immer auch dem Schein zu huldigen, forschen sie nach einem Werden, das ihnen ein immer noch besseres Leben bescheren soll.

Dionysos: Du magst indes gar nicht so Unrecht haben, dass noch ein kleines Märlein an meiner Reise hängt. Wenn nämlich ein Gott auch alles weiß, wie man sagt, so bedünkt mich doch, dass er handeln muss, wenn er etwas von Grund auf in Erfahrung bringen will. Und sagtest du nicht auch selber, dass du Lust darauf hast, wieder einmal in der Welt dich umzusehen, wie weit man es in der Zwischenzeit gebracht hat? Immerhin hat die Stadt da drunten eine pädagogische Universität und augenblicklich auch einen Rektor, der von sich reden macht.

Hermes: Wer macht nicht von sich reden? Und doch ist mir der verschneite Feldberg, wie er mit seinem Nordhang im Sonnenlicht glänzt, lieber als jede Universität mit noch so gescheiten Rektoren und Büchersälen.

Dionysos: Alles, was es gibt, führen sie auf drei Grundbegriffe zurück: auf das Räumliche, auf die Zeit und auf das in der Zeit sich Verändernde, das energetisch sich Verwandelnde.

Hermes: Was interessiert mich das?

Dionysos: Das heißt u. a., dass es nur das gibt, d.h. dass nur das ist oder, noch genauer, dass nur das als seiend angesehen wird, was messbar ist.

Hermes: Für mich ist nur das, was unermesslich ist.

Dionysos: Weil du ein Hinterwäldler oder ein Unterwäldler bist.

Hermes: Wohl dem, der so etwas sein kann!

Dionysos: Helfer und Helfershelfer sind jedenfalls nie schlecht, auch nicht für einen Gott! Die Gefahr ist nicht gering, dass dir schon die Grundschüler beweisen, dass es keinen Gott mehr gibt.

Hermes: Mögen sie. Doch dann sollen sie mir auch sagen, was wir dann sein sollen!

Dionysos: Vielleicht verlangen sie im Gegenzug von dir, dass du ihnen deine Unsterblichkeit beweisest. Übrigens glauben sie auch, den unbewegten Beweger des Aristoteles als einen Fehlschluss des Verstandes entlarvt zu haben.

Hermes: Und weshalb das?

Dionysos: Weil zu jedem Stoß ein Rückstoß gehört, was sich mit den Mitteln der Physik leicht beweisen lässt.

Hermes: Jakchos, mich fängt an zu frieren.

Dionysos: Dabei ist das längst noch nicht alles! Selbst das Ich scheint ihnen abhanden zu kommen. Der Begriff des Ichs sei, so sagt man, zuerst entwickelt worden im Zusammenhang mit der Koordination des menschlichen Sinnesapparates; von da dann sei er in unstatthafter Verallgemeinerung zum Inbegriff menschlicher Freiheit und Autonomie geworden. Hier aber ist nun der Punkt, wo der besagte Rektor ansetzt. Wie er selber sagt, ist er angetreten, die Welt neu einzurichten.

Hermes: Als man die Götter noch brauchte, sangen wir mit beim Aufbau der Welt. Jetzt, wo man sie nicht mehr braucht, helfen wir mit beim Abbau der Welt.

Hermes: Ich friere, hab ich gesagt. Lass uns, uns etwas aufwärmen; dann gehen wir wieder in den uns vertrauten Hades hinunter!

Dionysos: (er steigt vom Esel) Aber, Bruder Pompos! Was hast du? Ein Gott braucht sich nicht die Gliedmassen erfrieren zu lassen. Das wäre doch allzu erbärmlich. Uns gegen die Unbilden der Natur zur Wehr zu setzen, das verstehen wir ja wohl noch! Das bisschen Kälte müssen wir uns beileibe nicht gefallen lassen. (Eine Sonne überstrahlt sie plötzlich und Blumen wachsen auf und blühen zu ihren Füßen. Sie nehmen Platz, und strecken sich aus.)

Hermes: Trotz allem frage ich mich, ob sich eine solche Winterreise lohnt!

Dionysos: Wenn wir schon einmal hier sind, so lass uns wenigstens einen Blick tun! Wer weiß, ob uns nicht was Ergötzliches über den Weg läuft! Erinnere dich, wie du mir jüngst erzählt hast, dass viele der modernen Toten, wenn man sie auffordert, sich zu Charon ins Boot zu setzen, der Meinung sind, jetzt gehe es auf eine Kreuzfahrt! Erinnere dich an jene reiche junge Dame, die dich fragte, als sie zum Styx herabkam, ob´s da drinnen auch Krokodile gäbe? und du, in der Annahme, sie habe Angst vor dem Totengericht, versuchtest, sie an ihre guten Werke zu erinnern? Dabei hatte sie nur deshalb die Frage gestellt, weil sie sich einen Krokodilmantel ausgesucht hatte, zu dem ihr ein passendes Ledertäschchen im Sinn lag.

Hermes: Vermutlich sind wir nie allzu mächtig gewesen, sonst würde mich jetzt nicht noch immer frieren.

Dionysos: Dass du mir nur nicht noch depressiv wirst, Pompos! Wahrscheinlich hat auch der ewige Totentransport an dir genagt. Auch ein Gott braucht immer mal wieder eine Abwechslung.

2. Abschnitt: Vor dem Schulhaus

(Lehrer Rüpel kommt mit seinem Hilfslehrer Vetter Lümmel und seinen Schulkindern aus dem benachbarten Schulhaus heraus.)

Dionysos: Hör nur! Kinder mit ihren Tröten!

Hermes: Die beiden Männer da hinten, das sind wohl die Herren Pädagogen. Die ganze Zeit über haben sie schon in den Fenstern gelehnt und auf uns herabgeschaut.

Kinder: (kommen singend)

Wir ziehen aus auf Abenteuer,

auf Abenteuer ziehn wir aus.

Und ist die Wirtschaft nicht zu teuer,

lädt uns zu Tisch ein feiner Schmaus.

Erster Junge: Aber was ist denn das? Leute kommt her! Hier gibt es was zu sehen!

Einige: Was ist das? Weise beim Pick-nick?

Schüler: Im Schnee! Am frühen Morgen! Pick-nick-arrangeurs?

Schüler: Und hier ein Esel mit Satteltaschen!

Schüler: Er schaut dich an und schwenkt seine Ohren, als hätte er seinen Vetter erkannt.

Schüler: Meine Herren! Wer seid ihr und was treibt ihr hier? Seid ihr Weise?

Dionysos: Wir sind Fremde und befinden uns auf dem Weg in die Stadt, zur die Pädagogische Universität und haben hier eine kleine Rast eingelegt.

Schüler: Zauberer vielleicht oder Taschenspieler ?

Schüler: Oder gar Betrüger?

Schüler: (zu Herrn Lümmel): Sehen Sie sich das nur an!

Lümmel: Was gibt´s?

Schüler: Die beiden Herren, die ein Pick-nick abhalten über dem Schnee! Hat es das jemals gegeben, so früh am Morgen, Im Januar, über dem Schnee?

Schüler: Ist das gestattet, wie das Vieh im Gras hier herum zu liegen?

Schüler: Lieber dumme Sachen machen und lustig sein,

als ein Weiser, verdrossen auf einem Stein.

Viele: Jawohl. So sagte schon der Rektor Stark.

Lümmel: Meine Herren! Hier ist eine Allmende.

Schüler: Sonst dürften nämlich auch wir ein Pick-nick machen.

Lümmel: Doch kommt jetzt!

Schüler: Wir denken gar nicht daran. Entweder wir machen auch ein Picknick oder die machen auch keines.

Dionysos: Noch so klein sind sie und leiden schon an einem so großen Fehler, sich arm und elend vorzukommen, wenn sie nicht auch alles haben, was ein anderer hat?

Lümmel: Ihr sollt jetzt endlich kommen!

Schüler: Vertreiben wir erst noch die Fremden.

Schüler: Jawohl! Vertreiben wir sie erst noch! Hier haben Fremde nichts zu suchen. Hier ist eine Allmende.

Dionysos: Komm her, du Flegel, wenn es dich gelüstet, es mit uns aufzunehmen!

Lümmel: Zum letzten Mal! Kommt jetzt! Wir haben es dem Prof. Schmätzer versprochen, rechtzeitig zur Stelle zu sein. (entfernt sich)

Ein Schüler (der sich entfernt): Wir kriegen nämlich weiße Labormäntel. Dann sind wir Wissenschaftler.

Dionysos: Nett, nett!

Schüler: Geht ihr nur schon! Ich geh noch nicht! Erst will ich denen noch einen Streich spielen.

Schüler: Was willst du tun?

Schüler: Denen bind ich erst noch den Esel los. Der mag sich dann ins Höllental verirren, wo ihn die Wölfe auffressen.

Dionysos: Menschlein, pass auf und leg dich nicht an mit einem Gott.

Schüler: Mit einem Gott?

Dionysos: Mit einem Gott!

Schüler: Was ist das? Das soll wohl eine Drohung sein! - Leute hört! Der Mensch gibt sich für einen Gott aus, um uns einzuschüchtern!

Schüler: Dabei gibt es schon seit über 100 Jahren keinen Gott mehr.

(sie versuchen, den Esel loszubinden; man hört immer lauter werdende Paukenschläge; Dionysos erscheint kurzzeitig als gehörnter Stier; dann stehen die Schüler selber wie angebunden da)

Schüler: Zu Hilfe! Zu Hilfe!

Lümmel: (zurückkehrend) Was ist los?

Schüler: Man hält uns fest! Man hält uns zurück!

Lümmel: Meine Herren? Was soll das? Lassen Sie die beiden Jungen los!

Dionysos: Nehmen Sie sie mit; wir verwehren es Ihnen nicht.

Lümmel: Was ist das? Wie? Nun hält man auch mich fest!

Dionysos: Nun sind es drei.

Lümmel: Das ist ungeheuerlich. Aber fast freu ich mich, dass ich nicht mehr weiter kann, weil das so ungeheuerlich ist!

Hermes: Er freut sich über das eigene Unglück. Eine seltene Kunst.

Lümmel: Einen Hilfslehrer zu arretieren! Das wird Sie teuer zu stehen kommen!

Dionysos: Jetzt mag er lernen, seine Gefangenschaft als Freiheit zu genießen!

Rüpel: (aus der Ferne) Wo bleibt ihr? Kommt endlich!

Schüler: Herr Rüpel! Kommen Sie! Wir kommen nicht mehr weiter. Hier sind Hexer am Werk!

Rüpel: Wie?

Lümmel: Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu.

Rüpel (zurückkehrend): Jetzt reicht es mir aber!

Lümmel: Die beiden Fremden da halten uns fest!

Rüpel: Meine Herren! Die Hände weg von meinen Kindern! Oder ich erstatte Anzeige gegen Sie.

Dionysos (kurzzeitig gehörnt): Wenn Sie uns sagen, von wo wir die Hände wegnehmen sollen?

Rüpel: Die Hände weg, hab ich gesagt! - Ah, was ist das? Wer hält mich fest?

Dionysos: Nun, Pompos, ist das kein hübsches Gruppenbild? – Geh er nur, wenn er kann!

Rüpel: O Hexer!

Dionysos: Lern er

Es gibt Leute, die sich stets wie in einem Gefängnis vorkommen. Zuerst in ihrem Körper, dann in ihrem Haus, sodann in ihrer Stadt und in ihrem Land. Aber nicht nur Dänemark ist für sie ein Gefängnis, auch die Welt, selbst das All, ja Gott und die ganze Welt zusammen! –

Hermes: Wer keinen inneren Reichtum besitzt, dem hilft auch kein Gott!

Dionysos: Wie wollen sie da eine liebe lange Ewigkeit ruhig bleiben? Da wär ja selbst ein himmlisches Paradies eine Tortur! - Nun aber marsch!

Lehrer: (die Füße tragen ihn ins Schulhaus, obwohl er in die Stadt will) Was ist das? Meine Füße gehorchen mir nicht mehr!

Lümmel: Auch mir gehorchen sie nicht mehr.

Alle Schüler: Wir alle sind verhext. Rüpel, der Lehrer, Lümmel auch und wir! Die ganze Welt, sie ist verhext.

Dionysos: Im Schulhaus könnt ihr euch überlegen, wie ihr euch das nächste Mal besser benehmt. Und nun tüchtig die Schwarte geklopft!

(Prügel kommen herbei und prügeln die Lehrer und die Schüler noch zusätzlich ins Schulhaus zurück)

Schüler: Au weh! Au weh!

Dionysos: Die Prügel, die der Gott euch eingebrockt,

sie seien euch ein Existenzbeweis:

Es gibt ihn noch, den Gott, der nicht im Finstern hockt,

davon zeug euch der blau zerdroschene Steiß.

Hermes: Und was haben wir nun gewonnen?

Dionysos: Dass wir uns auf dieser Welt noch immer einen Weg frei machen können. Ich auf meinem Esel, du aber auf deinen Flügelschuhen. Und vergessen wir nur ja nicht jene Fröhlichkeit, ohne die auch ein göttliches Leben nicht viel wert wäre!

4. Kapitel: In der Physik

1. Abschnitt: Im Hörsaal

(Er ist menschenleer. Eberhard vor Experimenten, die aufgebaut dastehen...)

E.: Hab ich dir´s nicht vorausgesagt? Kein Student ist zur Vorlesung gekommen. Was sagst du dazu?

Gänslein: Mir ist kalt!

E.: Du hörst mir ja nicht zu!

Gänslein: (sich die kalten Hände reibend) O doch!

E.: Dann sag mir, warum niemand gekommen ist!

Gänslein: Bei aller Hochachtung für die viele Arbeit, die du dir gemacht hast und deinem Erfindungsreichtum zur Demonstration der Vorgänge beim Gewitter! Du bist daran gewiss nicht schuld. Vielleicht ich, vielleicht aber auch, weil es hier so kalt ist. Man spart an der Heizung.

E.: Das Problem haben die anderen Fächer auch.

Gänslein: Auch habe ich nie einen echten Schüler gehabt. Das schmerzt mich.

E.: Und warum hast du keinen echten Schüler gehabt? Du meinst, weil die Physik zu schwierig ist?

Gänslein: Vielleicht hätte ich mir auch fleißiger auf die Schulter klopfen sollen.

E.: Machst du dir die Antwort nicht etwas zu leicht?

Gänslein: Du meinst, dass ich allein daran schuld bin?

E.: Jedes Amt verlangt ein gewisses Erscheinungsbild.

Gänslein: Wer kann, gibt sich ein Aussehen, das Aufsehen erregt. Und hat er Glück, so bringt er es damit auch noch zu Ruhm und Ansehen.

E.: Du denkst an den Rektor?

Gänslein: Jedenfalls kommt keiner zu uns, bei uns zu lernen oder gar ein zweiter Newton zu werden.

E.: Können wir uns nicht anstrengen, auch diese Leute zu motivieren?

Gänslein: Da kommen mir Zweifel, wenn ich mir die Prioritätenliste unserer Gesellschaft oder auch die Politik des Herrn Rektor ansehe.

E.: Er wird die Physik abschaffen.

Gänslein: Mag er doch! Er irrt aber, wenn er glaubt, er rette dadurch die menschliche Gesellschaft. Und wenn der Herr Rektor meint, er bestrafe so uns und unser Fach, so irrt er ebenfalls. Er vergeht sich nur an der kommenden Generation. Die Studenten immerhin, die sich nach Billigfächern umsehen, werden es ihm danken!

E.: Es ist da vielleicht noch etwas anderes.

Gänslein: Sag es!

E.: Dann wirst du wütend.

Gänslein: Darauf wollen wir heute keine Rücksicht nehmen. Also?

E.: Die Studenten behaupten, du hättest gesagt, dass es Zeit für dich wäre, die Physik zu vergessen und dich anderen, wichtigeren Dingen zu widmen.

Gänslein: Das kann schon sein.

E.: Aber das ist doch unmöglich.

Gänslein: Warum ist das unmöglich?

E.: Weil es die Studenten demotiviert. Selbst wenn es wichtigere Sachen als die Physik geben sollte, sollten wir solche Offenbarungen für uns behalten. Und überhaupt: Wer an seinem Auftrag herumdeutelt, behauptet sich nicht lange.

Gänslein: Nebenbei bemerkt liege ich da gar nicht wo weit entfernt von den Vorstellungen des Rektors, der ja doch gerade die Hybris und Arroganz von uns Naturwissenschaftlern geißelt. Was mich betrifft, so hab ich nie gedacht, es gäbe außer Physik und Mathematik nichts Bedeutsames für den Menschen. Ich habe nur immer gesagt, dass das schöne Fächer sind, vor allem weil sie vornehmlich den Kopf betreffen und das Herz in Ruhe lassen.

E.: Wenn es uns nicht gelingt, unser Fach attraktiv zu machen, werden wir schon bald niemanden mehr unterrichten.

Gänslein: (lauscht an der Wand) Nun und? Die Physik geht daran nicht zugrunde, eben so wenig wie der Wind, wenn man nicht auf ihn achtet.

E.: Wenn wir uns weiter nichts mehr zu sagen haben, als dass wir überflüssig geworden sind, dann sind wir es auch bald.

Gänslein: Auch drüben in der Chemie regt sich nichts.

E.: Oder willst du, dass bald niemand mehr Physik macht?

Gänslein: Wohl waren es schöne Verstecke, wo wir uns nicht mit unserem Mensch-sein herumzuschlagen und abzuplagen hatten, Plätzchen, wo wir es gewohnt waren, schweigsam zu arbeiten, wo der Kopf gearbeitet hat, das Herz aber ruhte. Doch alles das gehört der Vergangenheit an.

E.: Bedenk, dass du bald niemanden mehr deinen Freund nennst, wenn du so kompromisslos bist.

Gänslein: Und wenn auch! Versuche nur jeder, sein Bestes zu geben!

E.: Dann sag mir zumindest, wie die rechte Lehre auszusehen hätte!

Gänslein: Früher einmal haben wir das vielleicht gewusst. Als man noch begierig war, die Natur zu verstehen und man auch bereit war, dafür etwas zu bezahlen. Damals haben wir uns daran gemacht, eine Lehre zu entwickeln, damit wir dieser Begierde gerecht würden. Inzwischen aber, wo das nicht mehr zu den Wunschbildern und in die Vorstellungswelt unserer Gesellschaft gehört, ist kaum jemand mehr da, der wirklich lernen will. Wozu, so sagt man, sollen wir uns abmühen? Das Leben ist kurz und die Gelegenheiten zum Wohlleben sind nicht üppig gesät. Früher anerkannte Tugenden wie Ausdauer, Schweigsamkeit, Gelassenheit, Geduld, Selbstbeherrschung, Zufriedenheit, Verzicht-leisten-können, Schmerz-ertragen-können, Geheimnisse wahren, Misstrauen unterdrücken, sich einschränken um einer großen Idee willen: alles das zählt heute nicht mehr viel. Man schätzt nicht mehr das Verstehen als eine Kunst und Bereicherung für den einzelnen. Das Privileg des stillen Forschers gibt es nicht mehr. Der Forscher, der bezahlt wird, soll sich bezahlt machen. Oder man sagt ihm gleich, was für Arbeiten es sind, die man ihm bezahlt. Ja, der Tag wird ohnedies bald da sein, wo es nicht nur keine Physik im althergebrachten Sinn mehr gibt, sondern auch keine Universität mehr. Wo man nur noch fragt: was für Produkte habt ihr anzubieten und was sind sie wert?

E: Und dennoch müssen wir versuchen, was immer in unserer Macht steht.

Gänslein: Versuchen wir das nicht? Nur dass das früher viel leichter war. Früher konnte man noch sprechen, ohne darauf zu achten, ob der Zuhörer Lust hatte oder nicht. Man konnte sich noch ganz von der Sache in Beschlag nehmen lassen. Rede ich aber heute und merke, dass auch nur ein paar da sind, die nicht zuhören und die nur auf das Ende warten, dann ärgere ich mich und hätte hundert Mal lieber nicht zu reden begonnen. Und das hat sicher nicht nur mit meinem fortgeschrittenen Alter zu tun. Wenn ich dann zuhause sitze und darüber nachdenke, packen mich Zweifel, dass mir der früher noch so feste Glaube an die Lehre allmählich schwindet. Natürlich ist das nicht gut, und doch: Ist´s nicht verständlich, zumal wenn man es gut meint und sich Mühe gibt? Oder wenn man bei so manch einem Examen feststellen muss, dass man so gut wie nichts in die Köpfe herüber gebracht hat? Dann fragst du dich, ob es nicht besser wäre, auch wir würden heute noch sagen: Freunde, wir wissen nicht, wo die Sonne aufgeht und wo ihr Niedergang ist. Nur schade, dass der Herr Rektor nicht da war und mir zugehört hat! Da hätt ich am Schluss noch ein paar Punkte gesammelt. - Doch ich merke, dass du es jetzt bist, der nicht zuhört!

2. Abschnitt: Vorbereitungen

E.: Ich muss jetzt gehen und die Vorbereitungen treffen für heute Abend , damit es nicht wieder heißt, in der Physik tut man ja doch nichts.

Gänslein: Was lieferst du ab?

E.: Die Versuche zum Gewitter mitsamt den Anleitungen zum Experimentieren und deine methodischen Überlegungen dazu. Und sonst?

E.: Eigentlich nichts

(es läutet)

E.: (im Weggehen) Wenn es der Neue aus der Chemie ist, sollten wir uns die Chance einer Kooperation nicht entgehen lassen. Denk daran! Nur gemeinsam können wir noch etwas ausrichten.

Gänslein: (für sich) Sollten es aber die Studenten sein, die sich nun doch noch zur Vorlesung entschlossen haben, so will ich ihnen nicht nachtragen, dass sie mir den Tag durcheinander gebracht haben.

3. Abschnitt: Die Frauenbeauftragte

Gründel: (außer Atem) Mein Herr, ich bin Frau Dr. Gründel, die Frauenbeauftragte.

Gänslein: Und was wünschen Sie?

Gründel: Da hier in Bälde eine Stelle zu besetzen ist, würde ich Ihnen gerne eine junge attraktive Dame vorstellen, die meines Erachtens geeignet wäre, Ihr Amt zu übernehmen.

Gänslein: Wo ist sie?

Gründel: Wo sie ist? Hier! (zeigt ein Foto) Oder hätten Sie sie leibhaftig sehen wollen?

Gänslein: Entschuldigen Sie!

Gründel: Ich bitte Sie herzlich: Ersparen Sie mir den Bericht aller meiner schlechten Erfahrungen mit Männern , insbesondere mit den Männern, wenn sie Frauen zu Einstellungsgesprächen vor sich haben. Ich selber habe das am eigenen Leib schon mehrere Male mitgemacht.

Gänslein: Damit habe ich nichts zu schaffen. Ich habe nie jemanden eingestellt und ich werde auch nie jemanden einstellen.

Gründel: Sie verstehen mich vielleicht, wenn ich Ihnen mitteile, dass uns Frauen die Physik als eine uralte Domäne der Männer schon lange ein Dorn ist im Auge.

Gänslein: Wie schon gesagt, ich bestimme nicht meinen Nachfolger. Und potentielle Nachfolger, resp. Nachfolgerinnen, wollten bislang auch nichts von mir wissen. Das müssen Sie mit dem Rektor bereden.

Gründel: Das haben wir bereits getan. Und wir dürfen sagen, die von uns favorisierte junge Dame hat nicht verfehlt, auf seine Exzellenz einen großen Eindruck zu machen.

Gänslein: Nicht der Hauch eines Zweifels durchweht mich.

Gründel: Wenn wir inskünftig auch keine männerharte Physik mehr betreiben, so wäre es doch schön, wenn alles mit einer gewissen Kontinuität von statten ginge.

Gänslein: Was die Physik angeht, so dürfte es ihr unendlich einerlei sein, wer ihr dient, ob Männlein oder Weiblein. Kommt einer, so ist es ihr recht; und lässt er es bleiben, so ist es ihr auch recht. Und käme überhaupt niemand mehr, so würde sie sich auch damit abfinden.

Gründel: Noch scheint man es sich nicht leisten zu können, sie abzuschaffen. Bald aber schon, wenn es nach dem Willen des Rektors geht, könnte es so weit sein.

Gänslein: Gewiss, wenn es nach dem Willen des Rektors geht.

Gründel: Vergessen Sie bitte nicht, dass die Physik viel zu schwer ist für die meisten, zumal für die Mädchen; dass es aber unerträglich ist, wenn sie in der Schule gedemütigt und als dumm befunden werden.

Gänslein: Seien Sie versichert, dass ich mit dem Herrn Rektor einer Meinung bin, wenn ich behaupte, dass es besser ist, wenn wir Fächer favorisieren, die uns mit Freude und Selbstvertrauen erfüllen, als dass wir unsere Jugendlichen zu Technikern abrichten, die unsere Welt nur immer in noch ungeahntere Verhängnisse verstricken. Und dennoch ist nicht die Physik und auch nicht die Technik daran schuld, sondern die auf Fortschritt versessene, komfort- und energiehungrige Gesellschaft.

Gründel: Als Frauenbeauftragte halte ich dafür, dass die Nachfolgerin in Physik über ein sehr begrenztes Können verfügen sollte. Zum einen, damit sie nicht unglücklich wird, wenn sie mangels Vorbildung der Studenten nichts Hochgestochenes aus dem Fach übermitteln kann. Zum andern aber auch, damit sie genug Muse hat, der Jugend die Augen zu öffnen vor den Gefahren dieser Wissenschaft. Wenn nämlich die Methodik ein Weg ist, so brauchen wir auch einen Weg, der dafür sorgt, dass der Mensch nie mehr Wege findet ins Unglück und in Katastrophen.

Gänslein: Dieses Ziel ist aller Ehren wert. Haben wir sonst noch etwas zu bereden?

Gründel: Nein, das wars.

Gänslein: (indem er sie wieder zur Türe führt) Ich freue mich, dass ich Sie als Frauenbeauftragte habe begrüßen dürfen, danke Ihnen für Ihren Besuch und wünsche Ihnen noch einen recht angenehmen und erfolgreichen Tag.

5. Kapitel: Vor dem Eingang zur Physik

1. Abschnitt: Vor Physik und Mensa

(Hermes und Dionysos gelangen zum Institut der Physik. Direkt daneben befindet sich eine Mensa.)

Hermes (seinen Esel festbindend): Als Gott in dieser Welt zu erscheinen, erscheint mir doch etwas schwieriger als ich es mir gedacht habe. Mit meinem Esel hab ich jedenfalls keinen Staat gemacht.

Dionysos: Es hat nicht viel gefehlt, dann hätten wir einen Strafzettel bekommen wegen des falsch geparkten Esels. Aber droben, in dem Kaff, war es auch nicht viel anders.

Hermes: Eigentlich müsste es uns Götter, die wir zu den ältesten gehören, die es gibt, wurmen und wütend machen, so verkannt und missehrt zu werden.

Dionysos: Auch in der Gestalt apollinischer Athleten mit lockigem Kopf und sprießendem Bart hätten wir keinen Staat gemacht. Ein allzu gepflegtes Äußeres weist allenfalls noch auf einen gelackten Bänker oder auf einen eingebildeten Chefarzt hin. Vielleicht, dass wir uns das nächste Mal mit einer Prachtlimousine chauffieren lassen.

Hermes: Aber hier ist nun also die Stadt?

Dionysos: Da steht es doch! „Physikalisches Institut der Pädagogischen Universität!“ Wo, in aller Welt, kann es eine Pädagogische Universität geben, als in der Stadt? - Doch sieh nur, wie strahlend jene Dame dort aus dem Hochhaus herauskommt!

2. Abschnitt: Mit der Frauenbeauftragten

(Hermes und Dionysos und die Frauenbeauftragte)

Hermes: Wie die uns anschaut! Meint die etwa uns?

Gründel: (ein Foto hervorkramend und auf die Götter zueilend) Meine Herren! Da, sehen Sie nur!

Dionysos: Entschuldigen Sie, gnädige Frau! Was soll uns die Dame?

Gründel: Sind Sie nicht die beiden Beauftragten vom Oberschulamt, die mich hier erwarten?

Dionysos: Zu viel der Ehre. Wir sind nur zwei Wanderer zwischen den Welten.

Gründel: O dann entschuldigen Sie bitte!

Hermes: Immerhin wissen wir jetzt, dass man uns mit einem Oberschulamtsbeauftragten verwechseln kann.

Gründel: (auf das Foto deutend) Diese Dame hat wirklich ein außerordentliches Talent zum Unterrichten. (sie geht in die Mensa)

Student (ihr entgegentretend): Was für eine Dame? Dürfen wir das Foto auch sehen, gnädige Frau?

Gründel: Und ob ihr das sehen dürft, meine Kleinen. Auch zu euch wollte ich ja. (geht in die Mensa)

Studenten: Zu uns?

Gründel: Für euch hab ich sie ja mitgebracht.

Studenten: Die Dame?

Gründel: Doch wartet!

Student: Müssen wir erst noch Vorleistungen erbringen?

Gründel: Wovon redet ihr?

Anderer Student: Beim alten Gänslein gab es nie etwas ohne Vorleistungen.

Wieder anderer Student: Aber eine Dame hätte er uns auch bei den schönsten Vorleistungen nicht mitgebracht.

Noch ein Student: Weil keine mit ihm gegangen wäre.

Gründel: Es liegt an Ihnen, meine Herren, ob die Dame, die sie auf dem Foto sehen, schon bald als Herrin hier ins Institut einzieht.

Studenten: Wir dachten, das Institut würde für immer geschlossen

Gründel: Aber, meine Herren! Sie sind doch Helden!

Schreier: Wir sind keine Helden. Und ich schon gar nicht. Oder du, Tölpel?

Tölpel: Gott bewahre uns vor allem Heldentum.

Gründel: Frauen wünschen sich aber Helden.

Schreier: Ja, gnädige Frau. Schöne Frauen mögen sich zwar Helden wünschen; wenn sie aber begehrenswert sein wollen, dann darf kein Gramm Physik an ihnen sein.

Student: Lieber noch Fett, aber keine Physik!

Gründel: Nur Geduld. Das alles sollt ihr haben, wenn ihr euch bereit erklärt, für diese Dame eure Stimme abzugeben.

Tölpel: Als Professorin für Physik?

Gründel: So ist es.

Schreier: Nur unter der Bedingung, dass sie keine Physik kann.

Gründel: Der Rektor hat nichts an ihn auszusetzen.

Schreier: Ich eigentlich auch nichts. Oder hast du etwas an der Dame auszusetzen, Tölpel?

Tölpel: Zumindest nicht, wenn Sie keine Physik kann.

Gründel: Lasst euch überraschen! Ihr werdet schon sehen! Schließlich kann man auch Physik treiben, ohne Physik zu treiben.

Schreier: Das ist gescheit. Ich wollte schon immer Physik treiben, ohne Physik zu treiben. Zeigen Sie uns nochmals das Foto!

(die Studenten sehen sich das Foto an)

3. Abschnitt: Mit den Studenten

(Während die Studenten das Foto betrachten)

Hermes: Und wie gefällt dir die Dame?

Dionysos: Diese Madame Gründel? Nun, eine Schönheit ist ja eben nicht.

Hermes: Und die Dame auf dem Foto wohl eben auch nicht. Aber unter uns gesprochen, trotz all meiner göttlichen Einbildungskraft kann ich mir auch nicht recht vorstellen, wie eine Naturwissenschaftlerin schön sein soll.

(sie sind in die Mensa eingetreten)

Hermes: Immerhin sind die Studenten hier schon ordentlich munter, wenn sie auch nicht nur ihre Kolleghefte und Vorlesungsskripte durchstudieren.

Dionysos: Das sind also die Physiker von morgen?

Gründel: Physiker und Physikerinnen. Doch nicht alle sind zum Geschäft der Physik berufen.

Dionysos: Immerhin muss es doch eine herrliche Stadt sein, wo man sich so fröhlich zum Geschäft der Weisheit aufmuntert.

Erster Student: Das haben wir uns selber erkämpft.

Zweiter Student: Das Studentenleben ist eine große Vakanz zwischen der ernsten und düsteren Schulstube und der stumpfen Amtsarbeit. So las ich einmal bei einem bedeutenden Manne.

Dritter Student: Und wenn er auch nicht viel behält, das vergisst er nimmer.

Vierter Student: Und ich füge hinzu: Das Leben ist schön, wenn man nicht zu viel von ihm versteht.

Fünfter Student: Hauptsache man ist jung und es geht einem gut und man hat genug Geld.

Dionysos: Ohne Zweifel, man versteht hier zu leben.

Vierter Student: Zu leben verstehen, das ist gerade konträr zu den Wissenschaften. Beim Leben darf man nichts verstehen, so versteht man alles. Bei den Wissenschaften muss man alles verstehen oder man versteht nichts.

Tölpel: Ich habe zwar schon hin und wieder gemerkt, wenn es soweit war, dass ich etwas nicht verstehe. Aber verstanden habe ich es nie, dass ich nicht verstanden habe.

Vierter Student: Können uns die Herren sagen, wie das geht, wenn man nicht versteht.

Dionysos: Wenn man nicht versteht, das ist so, wie wenn einem etwas um die Ohren braust und man weiß nicht, was es ist.

Dritter Student: O Sie sollen gleich Wunderherrliches erleben, wenn unser Geist erwacht. Sie, meine Herren, werden dann Zeugen sein, wie wir in fremden Zungen reden. Warten Sie noch ein Weilchen, das dauert nicht mehr lange.

Erster Student: Sehen Sie sich doch nur diesen gutgewachsenen jungen Mann an! Das ist Herr Schreier, der Sprecher der Studentenschaft. Schauen Sie, wie nett ihm zu Gesicht steht, wenn er nach dem Trinken die Augen verdreht. Wenn das nicht von einer robusten Bodenständigkeit zeugt!

Tölpel: Und doch bleiben wir nicht in der Physik. Wir wechseln das Fach. Nicht wahr, Schreier!

Schreier: Noch heute werden wir im Paradies sein.

Dionysos: Wo?

Schreier: Beim Herrn Dekan Laicher. Im Schoß der allein seligmachenden Theologie. Da bekommst du im Examen die Note sehr gut, auch wenn du nichts kannst. Du musst nur mit dem heiligen Thomas deine Unwissenheit beteuern. Doch auf! Lasst uns den heutigen Tag preisen, an dem wir uns entschieden haben, keine Angst mehr zu haben, weder vor Hausaufgaben noch auch vor Klausuren und Prüfungen. Und wenn das ganze Weltgebäude über uns zusammenstürzt, uns geht das nichts mehr an.

Alle: Und wenn das ganze Weltgebäude über uns zusammenstürzt, uns geht das nichts mehr an.

Sprecher: Lasst uns dem Alten da droben zeigen, dass wir wissen, was der Fall ist. Lasst uns ihm zeigen, dass wir verstanden haben, was ein Gewitter ist. Lasst uns in seine alt und taub gewordenen Ohren wettern, auf dass er noch lange an uns denken soll!

Studenten (singen):

Wozu Paragrafen und Lektionen,

für die sich keine Mühen lohnen?

Wozu sich quälen und sich plagen

in diesen wenigen Erdentagen?

Was niemals kann ein Geist erfassen,

das woll´n auch wir bei Seite lassen.

Drum ziemt uns nicht, in engen Zimmern

zu schwitzen und bei Hirnes Flimmern

über dem Steiß zu laborieren,

ob wir den Teufel noch verführen.

Wir sind genug gewitzt und gescheit,

für den Sommer, wenn´s heiß ist, und den Winter, wenn´s schneit.

Studentinnen:

Wozu Lektionen und Paragrafen,

wenn´s besser ist, lange zu schlafen?

Wozu sich Sprüchlein zusammendichten

und den Verstand zu Grund zu richten?

Wozu erforschen und ergründen,

wie Wetterwolken sich entzünden.

Mag es den Weisen auch gelingen,

wir sehnen uns nach andren Dingen,

die kleinste Wahrheit uns genügt,

wenn sie uns nur in Frieden wiegt.

Wir sind genug gewitzt und gescheit,

für den Sommer, wenn´s heiß ist, und den Winter, wenn´s schneit.

Alle Studenten:

Mag Äolus säuselnd das Dickicht durchdringen

und Zeus seinen uralten Blitzstrahl schwingen

hinab von der Berge uralten Gipfeln

über den schwarzen Tannenwipfeln,

um dann mit donnerbetäubendem Krachen

dem helllichten Vorspiel ein Ende zu machen.

Gott gibt den Eseln und Schafen und Kühen

Das Gras zum Fressen, ohne dass sie sich mühen,

und Wasser zum Saufen und Spreu zum Drauf-Liegen,

Wer fände da nicht sein volles Genügen?

Wir sind genug gewitzt und gescheit,

für den Sommer, wenn´s heiß ist, und den Winter, wenn´s schneit.

6. Kapitel: Experimente

(Halle mit Abteilungen zum Experimentieren und Spielen)

1. Abschnitt: In der Chemieabteilung

(Neben dem Demonstrationssaal)

Frl. Glucknit: Die Pulver wären jetzt fertig. Sehen Sie sich nur die rubinroten Flämmchen an. Sind sie nicht wunderschön? Und der blaue Rauch darüber! Es wird ein herrliches Schauspiel, wenn zu dem vielen Tröten auch noch die Buchstaben der Flammenschrift sichtbar werden.

Schmätzer: (herumhantierend mit Pulvern und Flammen) Nur dass die Klasse von Lehrer Rüpel aus St. Peter noch immer nicht da ist.

Glucknit: Wenn uns nur die Sonnentau keinen Streich spielt.

Schmätzer: Wie sollte sie auch? Auch wenn sie uns alle gern unterbuttern würde, die Kinder kann sie nicht fern von uns halten.

Frl. Glucknit: Vielleicht übernimmt sie sich mit ihren Versuchen. Der Lachsner jedenfalls scheint nicht sehr glücklich unter ihrer Fuchtel. Auch die Physik ist im Übrigen nicht zu unterschätzen. Der Wieseler hat schon moniert, dass wir in unserem Koffer keine Stimmgabel haben dürften. Das sei Raub an der Physik.

Schmätzer: Da hätten wohl schon die Pythagoreer bei Herrn Wieseler nachfragen müssen, ehe sie die ersten Instrumente erfanden.

Frl. Glucknit: Hat Lehrer Rüpel nicht wenigstens angerufen?

Schmätzer: Er weiß aber, dass viel auf dem Spiel steht. Und wenn er nicht rechtzeitig kommt und die Sache geht schief, dann kann er zusehen, bei wem er seinen Doktor macht. Dann kann er seinen Traum vom Oberschulamtsdirektor begraben.

(Hermes und Dionysos sind unterdessen mit anderen Zuschauern in den Demonstrationssaal eingetreten)

Frl. Glucknit: Darf ich den von Ihnen entwickelten Koffer den anwesenden Damen und Herren zeigen? Das wird Sie ein wenig entspannen.

Schmätzer (er experimentiert unruhig): Wenn Sie meinen...

Frl. Glucknit (heraus in den Saal tretend): Meine Damen und Herren! Statt Ihnen zu erzählen, dass die Chemie für die Kleinen und Kleinsten viel wichtiger ist als Physik oder Biologie, was Sie ohnehin längst wissen, lassen Sie mich Ihnen heute diesen zauberhaften Koffer zeigen! Ja bitte! Haben Sie nur keine Scheu, ihre Augen weit aufzusperren! Besehen Sie sich diesen Koffer aufs allergründlichste! Nun, was sehen Sie? Sehen Sie schon etwas? O nein, Sie sehen noch nichts, weil Sie noch nicht wissen, was man mit diesen Dingen alles anstellen kann. Z.B. mit dieser kleinen Stimmgabel oder mit diesem Paket Streichhölzer. Sie mögen sagen: mit der Stimmgabel bringen wir einen Ton hervor.

Einer: Allerdings. Und das ist Gegenstand der Akustik und die gehört zur Physik.

Frl. Glucknit: Das war so bis gestern. Da aber haben sich die Stimmgabeln entschlossen in die Chemie abzuwandern. O ja. Wenn sie es nicht glauben, fragen Sie doch die Gabel! Ich gebe Ihnen den Beweis. Sehen Sie diese grasgrüne Flamme? Wie schlicht sie brennt? Und jetzt passen Sie auf, wenn ich mit der angeschlagenen Stimmgabel auf sie zukomme. Ein Meer von Flämmchen! Im Übrigen gibt es schon seit längerem die interdisziplinären Projekte. Und wenn das noch immer nicht genügt, so lassen Sie mich Ihnen noch die Synergien ins Gedächtnis rufen! Die schier unendliche Kombinierbarkeit der Dinge, beginnend bei den Atomen und Molekülen, das ist es, was die Welt so wunderbar macht. – O, meine Damen und Herren! Ich sehe schon den Tag, wo kein Mann und keine Frau von Welt mehr leben möchte ohne einen solchen Koffer. Aber natürlich sind Sie vor allem auch als Lehrer gut beraten, sich diesen Koffer gut anzusehen. Ich weiß, dass ich ins Schwarze treffe, wenn ich sage, dass auch ein Grundschüler in unserer Zeit einen solchen Koffer haben muss. Freilich sollten Sie dann aber auch darauf achten, dass die kleinen Schüler sorgfältig und korrekt experimentieren. Dafür haben wir eigens diese kleinen weißen Labormäntel entwickelt. Wie ein Richtertalar und wie ein Doktorhut unbekannte Leute, ja selbst Verbrecher, in Nobilitäten verwandelt, so verwandeln bereits diese Mäntel einfältige Kinder in bewundernswerte, selbstbewusste Wissenschaftler. Sagen Sie nur nicht, das sei Augenwischerei . Erst wenn Sie verstanden haben, dass aus Mädchen Mütter werden und dass deren uralte Söhne ihnen als Gatten erscheinen, haben Sie die Alchimie verstanden. – Doch da kommt Frau Prof. Sonnentau. Was führt Sie zu uns?

Sonnentau: Wenn Sie noch auf die Kinder aus St. Peter warten, so tun Sie sich keinen Gefallen. Eben erreichte uns ein Anruf, dass sie nicht kommen.

Frl. Glucknit: Und weshalb kommen Sie nicht?

Sonnentau: (im Weggehen) Das wurde uns leider nicht gesagt

Frl. Glucknit: Leider sagt sie; dabei freut sie sich tierisch!

Dionysos: (sich erhebend) Meine Damen und Herren! Schade um das Ausbleiben. Vielleicht hätten die Jungen ein paar lustige Szenen zum Besten gegeben. Um uns aber nicht zu drehen und nicht zu wenden, so mögen Sie wissen, dass sie mit Ihrem Lehrer Rüpel in der Schulstube einen Hausarrest abzusitzen haben.

Hermes: So ist das eben. Nicht jeder Flegel kommt bis ans Ruder der Weltgeschichte. Doch getrost! Sie verpassen nichts. Denn schafft es der eine nicht, so schafft es ein anderer. Einer ist immer zur Stelle!

Dionysos: Vielleicht aber folgen mir die Damen und Herren nach nebenan, wo eben ein interessanter Versuch entsteht! Ich bitte Sie aber, mir leise zu folgen, denn es ist jetzt keine Vorführzeit und so wollen wir nicht stören.

2. Abschnitt: In der Abteilung für Biologie

(Im Demonstrationssaal ist Lachsner allein mit dem Versuch beschäftigt, einen Kaktus in einen Hut springen zu lassen.)

Lachsner: Nur gut, dass es Leute wie mich gibt. Dafür sind wir ja schließlich erfunden, dass man einen hat, auf den man alles abladen kann. O du Wunder der Hierarchie! In seinem Thronsaal thront der König, umgeben von seinen Ministern und Beamten, und schaut behaglich in die Runde. Behaglich auch thront meine Chefin, Frau Prof. Sonnentau, auf ihrem Zimmer. Sie weiß, dass ihr nichts passieren kann, hat sie doch jederzeit ihren Dozenten Lachsner als Bauernopfer bei der Hand. Was soll ich jetzt tun? Das Beste wäre, der liebe Gott hätte nie einen Kaktus und der Mensch nie einen Hut erfunden!

Sonnentau (im Hintergrund, stürmt jetzt auf Lachsner zu): Ist der Versuch endlich gelungen?

Lachsner: Der Versuch will nicht gelingen.

Sonnentau: Der Versuch muss gelingen. Oder hab ich Sie beauftragt, die kostbare Zeit zu vergeuden? Sie wissen doch, dass der Rektor auf unser Fach ein besonderes Auge wirft! Haben Sie den Studenten mit Rat und Tat beiseite gestanden?

Lachsner: Nein.

Sonnentau: Wie?

Lachsner: Sie selber haben gesagt, die Studenten müssten den Versuch in eigener Verantwortung zuwege bringen.

Sonnentau: Das ist das Endziel. Zu Beginn aber muss man helfen, wenn Hilfe nötig wird. Haben Sie sich wenigstens davon überzeugt, dass Ihnen der Versuch gelingt?

Lachsner: Überzeugt hab ich mich schon, (immer leiser) d.h. ich versuchte, mich zu überzeugen, doch leider ohne Erfolg.

Sonnentau: Ohne Erfolg!? Dabei sollte der Versuch die alles überragende Sensation werden.

Lachsner: Und was soll ich jetzt tun?

Sonnentau: Das müsste ich eigentlich Sie fragen! Schaffen Sie die Studenten herbei, wenn Sie sonst nichts können.

Lachsner: Wünschen Sie, den Studenten den Versuch selber vorzuführen?

Sonnentau: Was ich tun werde, wird sich zeigen. Holen Sie die Studenten!

Lachsner: Sehr wohl, gnädige Frau! (ab)

3. Abschnitt: Im Versteck

Frl. Glucknit (von ihrem Platz aus, gut versteckt vor der Sonnentau): Ha, wie sich das Rabenaas gefreut hat, uns die Hiobsbotschaft zu verkünden. Leider, sagte sie. Dabei hatte sie eine riesengroße Freude! Sonst stünden jetzt die Schüler in Reih und Glied da, in ihren neuen schneeweißen Labormäntel. Eine Freude für die Götter! - Aber das jetzt lässt sich nun doch auch nicht übel an.

Schmätzers Stimme: Was gibt es?

Frl. Glucknit: Rache ist Blutwurst.

Schmätzers Stimme: Nun?

Frl. Glucknit: Das hätten Sie sehen sollen, wie die den Lachsner weggeschickt hat? Und jetzt versucht Sie sich an Ihrem weltberühmten Versuch. Und er klappt nicht. Am liebsten ging ich auf Sie zu und fragte Sie, ob ich ihr helfen soll! - So schön es ansonsten auch sein mag, ein Mann zu sein. Aber ein Mann unter der Herrschaft einer Frau! Das ist gewiss das Kränkendste, was man einem Mann zumuten kann. Zwar mag es einen Mann in einer Stunde brünstiger Verzückung hinreißen, sich sklavisch einer Frau hinzugeben. Aber nur freiwillig, nicht so, nicht als ewigen Weiberknecht, nicht ohne Auferstehung! Das wäre zu erniedrigend!

4. Abschnitt: Anleitung zum Experimentieren

(Lachsner kommt mit vier Studentinnen. Jede bringt einen Kaktus und einen Hut.)

Sonnentau: ( für sich) Wie die Studentinnen hinter ihm hertrippeln! Als hätten sie ein Gänseleben zu absolvieren! (für sich) Jetzt wird er mir sicher gleich sagen, dass die Studentinnen hier sind.

Lachsner: Die Studentinnen sind hier, gnädige Frau!

Sonnentau: Sind sie wirklich hier?

Lachsner: Mit allen Utensilien, die man braucht zum Experimentieren.

Sonnentau: Mit dem Geist muss man da sein und mit der inneren Leidenschaft, die des Geistes würdig ist! - Und nun, meine Damen, nun erklären Sie mir das große Sonnentau-experiment, eh Sie beginnen!

Damen: Gnädige Frau wollte einen Kaktus, ohne ihn zu berühren, allein durch bloße Konzentration des Geistes unter einen Hut bringen. Den Hut aber sollten wir einen Meter weit vom Kaktus entfernt aufstellen.

Sonnentau: Wer redet von mir? Sie, meine Damen, sind es, die das Experiment ausführen! Zumal jetzt, wo das Experiment das erste Mal einer breiten Öffentlichkeit vorgeführt wird! Was haben Sie zu tun?

Studentinnen: Wir müssen das Sprüchlein aufsagen.

Sonnentau: Das ist kein Sprüchlein, das ist ein Spruch, ein wirkungsvoller Spruch.

Studentinnen: Sollen wir den Versuch vorführen?

Sonnentau: Ja, das sollt ihr.

Studentinnen: Und wenn er uns misslingt?

Sonnentau: Wer spricht von Misslingen? Wie oft muss ich Ihnen nicht noch sagen, dass niemals etwas gelingen kann, wenn man ans Misslingen denkt?

Studentinnen: Wenn uns der Versuch aber doch noch nie gelungen ist!

Sonnentau: Dann gelingt er eben jetzt!

Studentinnen: Sollen wir ihn hier noch einmal probieren?

Sonnentau: Sie sollen ihn hier vor meinen Augen gelingen lassen! Wird´s bald!?

Lachsner: Hier ist der Kaktus und hier der Hut.

Erste Studentin: Und nun kommt der Spruch!

Sonnentau: Sie kennt den Wortlaut?

Erste Studentin: Gewiss doch.

Sonnentau: Der Anfang?

Erste Studentin: „Nun also, auf, du kleines Ding...“

Sonnentau: (den Vortrag lächerlich machend) Wie sie das ausspricht! „Nun also, auf, du kleines Ding!“ - Das ist doch nichts! Da werden weder Vorstellungen wach, noch Kräfte freigesetzt. - So muss sie sagen:

Nun also, auf, du kleines Ding,

schau aus, geh auf, schwill an und spring...

Hat sie verstanden? - Also nochmals!

Erste Studentin: Ich soll den Spruch nochmals sagen?

Sonnentau: Wenn ich sage, Sie soll, so soll Sie!

Erste Studentin: Ich weiß nicht. Aber etwas sagt mir, dass es unschicklich ist, so etwas aufzusagen.

Sonnentau: Dumme Pute! Hat wohl Angst vor den Wörtern. Nun aber los!

Erste Studentin: Nun aber los…

Sonnentau: Nun also, auf, du kleines Ding,

Erste Studentin: Nun also, auf, du kleines Ding,

schau aus, geh auf, schwill an und spring.

Sonnentau: Weiter, weiter! Und hast du Glück erreicht und Freud…

Erste Studentin: Und hast du Glück erreicht und Freud,

Sonnentau: bleib in der Herberg hier und heut. Muss ich heute eigentlich alles soufflieren?

Erste Studentin: Wenn ich es sagen darf, so möchte ich sagen, dass ich mir unter Biologie etwas anderes vorgestellt als Versuche mit solchen Sprüchen. Wenn ich mir Blumen anschaute und blühende Wiesen mit Veilchen und Eppich, da war mir, als begegnete mir etwas Wunderbares und ich hätte es zu bestaunen und jetzt soll ich mich an Kaktussen auslassen und über Hüte und der Kuckuck weiß, was noch, herumschwafeln!

Sonnentau: Ja, meint sie etwa, wir spielen hier Theater? Das ist Anschauung vom Feinsten. Worum der Mensch schon seit Jahrtausenden gerungen hat, nimmt hier Gestalt an. Werden und Sein, ja der Kern der Natur lässt sich hier verstehen. Hätte sie über diese Dinge nachgedacht, so würde sie staunen über das Wunder, das bislang noch fast jedes Verstehen übersteigt. Aber sie staunt ja nicht einmal über den Trieb, den eine geschälte und zur Hälfte aufgeschnittene Zwiebel, kaum dass man sie sich selber überlässt, ausschickt. Sie ist wie ein Kleinkind, das über alles und über nichts staunt, weil sie noch über nichts nachgedacht hat und von nichts etwas weiß. – Doch genug davon. (zu Lachsner) Fahren Sie fort!

Lachsner: Was soll ich tun?

Sonnentau: Mit den Studentinnen hier sollen Sie den Versuch durchführen! Und wenn Sie so weit sind, sagen Sie es mir.

Lachsner: Sehr wohl, gnädige Frau.

Sonnentau: (geht kurzzeitig etwas seitwärts zu anderen Dingen)

Lachsner: Probieren wir es eben noch einmal!

Zweite Studentin: Am Spruch als solchem fände ich nichts, wenn er uns nur Erfolg brächte.

Erste Studentin: Dann sag ihn doch auf!

Zweite Studentin: Aber er bringt uns keinen Erfolg.

Dritte Studentin: Das ist doch nur, weil du dich genierst!

Zweite Studentin: Die Leute wären mir egal.

Dritte Studentin: Dann mach also bitte!

Zweite Studentin: Nun gut!

Nun also, auf, du kleines Ding,

schau aus, geh auf, schwill an und spring.

Und hast du Glück erreicht und Freud,

bleib in der Herberg hier und heut.

Und? Was hat sich getan? Nichts, wie ich´s gesagt habe.

Lachsner: Vielleicht sollten Sie etwas mehr darauf achten, dass die Worte so greifen, dass die Sache in Gang kommt! (für sich) Ich wüsste zwar nicht, dass jemals ein Wissenschaftstheoretiker darüber nachgedacht hat.

Ein Student aus der Zuhörerschaft: Darf ich mal den Spruch aufsagen?

Dritte Studentin: Wir haben nichts dagegen. Aber er wird auch nichts erreichen.

Student: Das wollen wir doch erst mal abwarten!

Nun also, auf, du kleines Ding,

schau aus... Wie geht es weiter?

Zweite Studentin: schau aus, geh auf, schwill an und spring.

Und hast du Glück erreicht und Freud,

bleib in der Herberg hier und heut.

Student: Nun also, auf, du kleines Ding,

schau aus, geh auf, schwill an und spring.

Und hast du Glück erreicht und Freud,

bleib in der Herberg hier und heut.

Zweite Studentin: Und was hat er erreicht?

Eine andere Studentin: Nichts.

Student: So schnell geb ich mich nicht geschlagen. Passt auf!

Nun also, auf, du kleines Ding,

schau aus, geh auf, schwill an und spring.

Und hast du Glück erreicht und Freud,

bleib in der Herberg hier und heut.

Studentinnen: Wieder nichts.

5. Abschnitt: Reflexion

Sonnentau: (zurückkommend) Hat der Versuch geklappt?

Lachsner: Leider noch nicht.

Sonnentau: Lachsner?

Lachsner: Was befehlen Frau Ordinaria?

Sonnentau: Ich bin unzufrieden mit Ihnen!

Lachsner: Weshalb? Was hab ich getan?

Sonnentau: Sie sollten doch die Studentinnen auf den Versuch vorbereiten

Lachsner: Hab ichs denn nicht getan?

Sonnentau: Leider nein. Sie sind ein Versager.

Lachsner: Ich bedauere sehr.

Sonnentau: Weil es Ihnen an innerer Leidenschaft mangelt! Strengen Sie sich stärker an! Von Ihnen erwarte ich das Gelingen des Versuchs. Mehr sag ich nicht. – Und Sie, meine Damen!

Erste Studentin: Was ist mit uns?

Sonnentau: Haben Sie schon einmal etwas von Disziplin und Konzentration gehört?

Erste Studentin: Wie sollen wir uns konzentrieren? Muss man sich nur konzentrieren wollen und schon gelingt einem alles?

Zweite Studentin: Das eine soll man behalten, das andere vergessen. Wir schaffen das nicht.

Dritte Studentin: Wir glauben sogar, dass es prinzipiell unmöglich ist, den Versuch zum Erfolg zu bringen.

Sonnentau: Ist das nicht zum Lachen? Was für Sie unmöglich ist, glauben sie, sei für alle unmöglich.

Erste Studentin: Wenn ein Lehrer sieht, dass ein Schüler etwas partout nicht kann, dann soll er es auch nicht von ihm verlangen. Das haben wir in der Pädagogik gelernt.

Sonnentau: Ein Kaktus ist kein Schüler. Er gehört zu den von uns beherrschbaren Objekten.

Vierte Studentin: Ich meinte nicht den Kaktus, ich meinte uns.

Dritte Studentin: Noch keiner hat uns den Versuch vorgemacht: weder Herr Lachsner noch auch Sie, gnädige Frau!

Zweite Studentin: Vielleicht wär uns der Versuch vor 100 Jahren gelungen, als der Absolutismus hier noch das Sagen hatte.

Sonnentau: Nichts als Renitenz! Aber so ist das. Nicht einmal zwischen Natur und Geschichte vermögen diese Damen zu unterscheiden. - Nun denn. Beginnen wir von vorn! Zählen Sie mir die 12 Familien der Kakteen auf!

Studentinnen: Die kennen wir nicht.

Sonnentau: Aber an den Versuch wagen Sie sich, wie?

Studentin: Wir wollten ja gar nicht. Man zwang uns.

Sonnentau: Geben Sie erst eine Antwort, wenn ich Sie etwas gefragt habe. Studieren Sie nicht Biologie? Und haben Sie im Oberseminar bei Dr. Lachsner nicht die Namen sämtlicher Kakteen gelernt?

Studentin: Die haben wir wieder vergessen.

Sonnentau: So, so! Sie haben die Antwort vergessen! Mal sehen, ob Sie auch die Antwort auf die nächste Frage vergessen haben? Ist ein Kaktus potent oder fruchtbar?

die andere Studentin: Auch das wissen wir nicht mehr.

Sonnentau: Die Damen haben sich auf das Vergessen spezialisiert! Lachsner, dann sagen Sie ihnen die Antwort!

Lachsner: Ein Kaktus ist potent, wenn er männlich ist, und fruchtbar, wenn er weiblich ist.

Sonnentau: Haben Sie es gehört, meine Damen? Meine verehrten Damen, was soll ich Sie eigentlich noch fragen?

Erste Studentin: Heute ist für uns alles schwer.

Zweite Studentin: Selbst, was wir noch nie gewusst haben, wissen wir nicht mehr.

Sonnentau: Marsch ab, in die Praktikumsräume !

Studentinnen: Zu Befehl, gnädige Frau! (ab)

6. Abschnitt: Experiment allein

Sonnentau: (etwas ratlos, allein experimentierend) Warum will mir der Versuch nicht von der Hand? Bin ich irritiert, weil das einfach zu viel ist, immer nachzusehen, was die anderen tun, vor allem, wenn sie nicht tun, was man ihnen sagt? Oder sollte mir wirklich alles nur geträumt haben und der Versuch wäre mir noch nie gelungen? Doch das glaube ich nicht. Das wäre absurd. Ich erinnere mich doch noch, wie mühsam, Schritt um Schritt, ich mich in ihn hineingearbeitet habe, bis er endlich klappte. Doch freilich genügt oftmals schon ein Desinteresse, eine ungerechtfertigte Geringschätzung, eine kleine neidische Ablehnung oder auch nur eine unbeabsichtigte Unaufmerksamkeit von fremder Seite, dass uns die Sicherheit verloren geht. Dann sucht man nach den Anläufen, wie man gewohnt war, um festzustellen, dass einem nichts mehr gelingen will.

Meine Damen und Herren, die Sie sich hier versammelt haben, um mir bei der Arbeit zuzusehen. Lassen Sie mich Ihnen an dieser Stelle immerhin so viel verraten, dass wir es hier mit Tabus zu tun haben, zu denen wir uns als Mensch ein angemessenes Verhältnis erarbeiten müssen. Auch für den modernen Biologen gibt es ja noch Geheimnisse. Das ist die Kernbotschaft, die ich mit meinem Versuch herüber bringen möchte. Wenn auch nicht in seinem Fach als objektiver Wissenschaft, so doch in seinem Bewusstsein als Mensch und als natürlich-kreatürliches Wesen. Und wenn meine Arbeit als Biologin auch nichts anderes sein mag als Spionage an den Werken der Natur, an der Produktivität und an der Mannigfaltigkeit ihrer Produkte, die sich in Jahrmilliarden zu immer komplexeren und raffinierteren Gestalten entfaltet haben, und wenn wir uns auch auf der Schaubühne der Entwicklung umsehen, um uns manches davon nutzbar zu machen, ja wenn wir auch alle Vorgänge verstanden haben: so bleibt doch etwas wie ein unauflösbares und zugleich offenbares Geheimnis am Grund der Dinge, das eine bestimmte Verhaltensweise von uns verlangt. Leider aber sind die heutigen jungen Leute von der Einsicht in alle diese Dinge noch Lichtjahre weit entfernt. Zwar sind die meisten bereits seit der dritten Grundschulklasse praktisch schon so versiert wie Katze, Hund und Esel, von einer psychisch ausgewogenen, distanzierten Betrachtung aber sind sie noch meilenweit entfernt.

7. Abschnitt: In der Physik-Abteilung

(Wieseler kommt mit zwei Kindern herbei.Er trägt zwei Eimer mit sich mit verschieden warmem Wasser gefüllt)

Sonnentau: Mein Herr, was führt Sie zu mir?

Wieseler: Ich komme nur eben vorbei, Ihnen mitzuteilen, dass mein Kollege, Herr Eberhard, den von Ihnen gewünschten Vogelbauer in zwei Stunden fertig hat.

Sonnentau: Ach so, das Gebauer für meinen Kanari. - Und Sie, was haben Sie da?

Wieseler: Sie meinen die beiden Eimer?

Sonnentau: Wollen Sie die etwa abliefern?

Wieseler: Freilich haben wir noch mehr zu bieten. Mit den Eimern aber lassen sich herrliche Versuche durchführen, Herausforderungen für den Profi bis hin zu Erfahrungen für die, die nur wenig Verstand haben.

1. Kind: Aber ich hab viel Verstand. Oder nicht, Herr Wieseler?

Wieseler: Allerdings hast du viel Verstand.

2. Kind: Und ich hab auch viel Verstand.

Wieseler: Du natürlich auch!

2. Kind: Wir wissen nämlich, dass das zwei Zaubereimer sind. Aber Geheimnisse darf man nicht verraten. Die muss man geheim halten. Nicht wahr, Herr Wieseler?

Wieseler: So ist es.

Sonnentau: Sind das zwei Schüler von Ihnen?!

Wieseler: Und nicht die schlechtesten! Große, hoffnungsvolle Talente!

Kinder: Was sollen wir tun? Sollen wir etwas erzählen?

Wieseler: Sagt der gnädigen Frau, was uns die Dinge sagen!

1. Kind: Die Dinge sagen uns, was wir getan haben.

Wieseler: Jawohl, und weiter?

1. Kind: Wenn ich eine kalte Hand habe, sagt mir das lauwarme Wasser: O komm, ich muss dich aufwärmen! Und das kalte Wasser sagt: siehst du, so kalt wie deine Hand bin auch ich.

Wieseler: Dabei reagiert ein Thermometer durchaus nicht viel anders als unsere Hand. Wenn es in einem sehr kalten Becken lag und man stellt es in ein warmes, dann beeilt es sich, die höhere Temperatur anzuzeigen, als müsste es sich beeilen, das kalte Thermometer aufzuwärmen.

2. Kind: Und wenn du dich auf eine Waage stellst und du wiegst schwerer als zuvor: dann sagt dir die Waage: Freund, das gilt nicht: du hast da einen schweren Stein in deinen Hosensack gesteckt.

1. Kind: Oder wenn man fest gegessen hat und die Waage überprüft dich: dann sagt sie: da hast du dir aber tüchtig Kartoffeln und Fleisch in den Magen gesteckt.

Wieseler: Und was haben wir daraus gelernt?

1. Kind: Dass uns die Dinge etwas über uns sagen.

Sonnentau: Das ist ja alles schön und gut. Aber damit kann man doch keinen Unterricht machen. Das fängt doch schnell an, langweilig zu werden.

Wieseler: Alles, was wir so gut können, dass wir es selbst im Schlaf können, wird uns langweilig. Und gewiss wären auch dem Newton seine Axiome mitsamt der Theorie langweilig geworden, hätte er da nicht noch immer so ein paar kleine Probleme gehabt.

Sonnentau: Nenne Sie ein paar Ihrer Probleme!

Wieseler: Nehmen Sie die Phänomene mit den Fensterscheiben. Unter Tag sind es nur Scheiben; aber abends, wenn es dunkel wird und wenn man im Zimmer die Lichter zündet, dann beginnen sie plötzlich das Innere des Zimmers widerzuspiegeln.

Sonnentau: Das alles ist ja recht und gut…

Wieseler: Oder nehmen Sie die Blätter der Bäume! Sie rufen uns Menschen zu: Macht doch mit dem Sonnenlicht wie wir eine Fotosynthese! Dann habt ihr Energie in Hülle und Fülle.

Sonnentau: (für sich) Damit ließe sich mein Kaktus beweglicher machen.

Wieseler: Oder da gibt es die Katakaustik, die sich jeden Tag in jeder Tasse beobachten und bewundern lässt und die uns sagt, wie man mit einer Linse Licht sammelt und Bilder entwirft. Verstehen, was die Dinge uns zu erzählen haben oder auch erzählen wollen. Auch die Dinge, die wir selber hergestellt haben, wie den Tisch, die Flöte, das Haus, aber auch das Brot, den Wein etc. Sie berichten von ihrem natürlichen Werdegang wie auch von der Arbeit des Menschen.

Sonnentau: Reicht das aus für ein volles Verständnis?

Wieseler: Das Feld ist weit. Doch wer wartet auf uns?

2. Kind: Auch die Sonne und der Mond können traurig werden, wenn etwas bei uns nicht stimmt.

1. Kind: Aber nicht nur über uns, auch über die anderen Dinge kann erzählt werden. Jawohl. Die Mondphase erzählt uns etwas vom Stand zur Sonne und zur Erde.

Wieseler: Doch dürfen wir auch mal was von Ihnen hören? Oder vielleicht gar sehen, was Sie da machen?

Der Kaktus da mit seinen Stacheln, igitigitt!

Und der Hut. Gehören die zusammen? Gibt das einen Versuch?

Das ist schon ein Versuch. Aber den verstehst du noch nicht.

Aber anschauen kann man ihn sich doch?

Gnädige Frau will wohl nicht.

Was man ganz alleine gut kann, das will man immer sehen lassen.

8. Abschnitt: Das große Experiment

Dionysos führt den Versuch vor.

Dionysos: Gnädige Frau, wenn es Ihnen gefällig ist, führe ich den Kindern den Versuch vor.

Sonnentau: Meinen Versuch?

Dionysos: Jawohl das große Sonnentauexperiment.

Sonnentau: Wenn Sie das schaffen?

Dionysos: Passen Sie nur auf, wenn ich ihn gleich den Kindern vorführe! - Meine Damen und Herren. Sie meinen vielleicht, dass die Kinder hierbei nicht mitwirken können. Das aber ist ein Irrtum. Nur die Erwachsenen glauben nicht. Zumal wenn Ihnen der Verstand oder die Vernunft oder Ihr Dickkopf im Weg steht.

(zu den Kindern) Jetzt will ich euch also zuerst zeigen, wie dieser stachelige Bursche hier sich aufbläht und aufrichtet, um dann nach da drüben im Depot unterzuschlupfen. Der Hut da drüben steht da und zeigt uns, dass es um Hut geht; aber es geht nicht nur um einen Hut, sondern auch um eine Hut, wie ihr gleich nachher an dem Wort „Herberg“ erkennen könnt. Hut ist nämlich ein Teekessel. Das dürft ihr nicht vergessen. Passt nur auf! Alles geschieht fast wie im Handumdrehen.

Nun also, auf, du kleines Ding,

schau aus, geh auf, schwill an und spring.

Und hast du Glück erreicht und Freud,

bleib in der Herberg hier und heut.

Nun, was sagt ihr jetzt?

Kind: Jetzt ist er in der Herberg.

Sonnentau: Mein Herr, wer sind Sie?

Dionysos: Vermutlich gehört diese Frage zu den Grundfragen, die an alle ergehen, sobald sie über diese Erde hinwegkriechen. Was aber uns angeht, so sind wir Meister des Trügens. Nicht indem wir Falsches und Wahres durcheinanderbringen, sondern indem wir den Schein als Anschein und Begleitwesen des Seins offenbaren. Oder ist es nicht so, Pompos?

Hermes: Selbst Vater Homer hätte es nicht trefflicher zum Ausdruck bringen können.

Kind: Und wann kommt er wieder heraus?

Dionysos: Das verhandeln wir das nächste Mal.

7. Kapitel: Wie der Festwagen beladen wird und Richter hinabgeht.

Rektor: (er sitzt an seinem Schreibtisch und arbeitet)

Kanzler und Richter: (stehen am Fenster und schauen auf den Campus)

Rektor: Was zeigt die Uhr?

Kanzler: Kurz vor 14 Uhr.

Rektor: In 4 Stunden ist mit dem Beladen Schluss.

Kanzler: Dabei ist der Wagen noch immer so gut wie leer.

Richter: Bislang haben aber auch erst einige Leute aus den kleinen Fächern ihre Arbeiten abgegeben.

Kanzler: Doch was ist das?

Rektor: Was haben Sie?

Kanzler: Ein Zähler steht auf dem Wagen.

Rektor: Was für ein Zähler?

Kanzler: Ein großer Zähler, in Gestalt einer Sphinx.

Rektor: Das wird ein Tachometer sein.

Kanzler: Dann müsste in Meter pro Sekunde gemessen werden. Das ist aber nicht der Fall. Auch Prof. Richter kann das sehen.

Richter: In der Tat ist das Gehäuse der Gestalt einer Sphinx nachgebildet. Auf einem Kubus von etwa einem Kubikmeter liegt sie mit ihren Vorderpranken auf, der Kubus glänzend wie die Sonne, mit einem goldenen Zifferblatt auf der Vorderseite und tiefschwarzen Ziffern.

Rektor: Dann wird die Zeit gezählt.

Kanzler: Die Angabe der Zahl und die Währung Euro unter dem Ziffernblatt sind nicht zu übersehen.

Rektor: Geldbeträge also? Wofür?

Richter: Ganz offensichtlich, um den Gegenwert der Gegenstände zu bemessen, die man auf den Wagen legt.

Rektor: (er kommt und schaut kurz zum Fenster heraus)

Kanzler: Sehen Sie es?

Rektor: (erregt) Nichts als Augenschein. Ein Apparat für Geldscheine. Fehlen nur noch die Paragrafen , die der Minister noch in dieser Legislaturperiode durch den Landtag bringen will!

Kanzler: Exzellenz!

Rektor: Dabei sollte ich die Gesetze erlassen und die Paragrafen ausgestalten!(er kehrt ins Zimmer zurück und besteigt sein Ross) Gehen Sie hinab, Kanzler Korpus und sehen Sie nach! Und wenn Sie zurückkommen, so melden Sie mir, dass Sie den Scheinkasten abmontiert haben!

Kanzler: Sehr wohl, Exzellenz! (Kanzler geht weg)

Rektor: Geld und Besitz haben noch nie Brüderlichkeit gestiftet, nur Neid. Außerdem hab ich den Zähler nicht in Auftrag gegeben, ja überhaupt nichts von ihm gehört. Hinter meinem Rücken hat man ihn angebracht! Ein böser Verdacht ist in mir rege. Doch will ich ihn nicht aussprechen. Nur so viel sei gesagt, dass mir nicht verborgen bleibt, dass man versucht, mir Zügel anzulegen. Hat mich der Herr Psychologe verstanden?

Richter: Ich denke schon. Und ich denke auch, dass es gut ist, nicht alle Dinge zu genau auszusprechen, sondern sie bei sich zu behalten, zumal, wenn sie noch in Bewegung sind und ein Aussprechen nur schadet.

Rektor: Oftmals, wie auch jetzt, wenn ich rede, ist mir, als ob welche da wären, die mir zuhörten, um gleich alles weiter zu melden.

Richter: Auf mich können Sie sich verlassen, Exzellenz! Indessen geziemt sich oftmals, auch vor sich selber zu schweigen.

Rektor: Wie, ich könnte mich nicht mehr auf mich selber verlassen?

Richter: Das sind die Mechanismen des Gewissens. - Das ist wie bei einer Nervenattacke, die man glücklich überwunden hat, von der man aber weiß, dass sie sich jederzeit zurückmelden kann. Eure Exzellenz aber hat damit nichts zu tun. Wen auch sollte es geben, dem noch über ihn etwas gemeldet würde? Er selber ist ja das Gewissen für die vielen. Dazu aber hat er nichts angelegentlicher zu tun, als diese Mechanismen zu kontrollieren und in Schranken zu halten.

Rektor: Will man etwas Großes und d.h. etwas Gutes in der Welt ausrichten, so muss man auch die Kraft haben, sich zu einer unerhörten Tat zu entschließen. Da darf man nicht zulassen, dass einem das Ross aus Angst in die Knie geht.

Richter: Exzellenz!

Rektor: Alles ist Schein, bis auf die Macht. Die Macht aber ist die Wahrheit, der Wille zur Macht die Wirklichkeit und die Vorstellung im Verein mit der Einsicht der Entwurf zur Gestaltung einer besseren Zukunft. (wieder absteigend und messend) Und doch, so sag ich, und doch kann selbst der Psychologe nicht übersehen, was als Übelstand nicht zu übersehen ist!

Richter: Dieser Überstand ist nur Schein, so sag ich! Und wo keine Ursache ist, ist auch keine Wirkung.

Rektor: Sie Schmeichler!

Richter: Dass mir nur niemand ins Wort fällt!

Rektor: Bei allem Respekt gegenüber Ihrer Wissenschaft, Herr Kollege! Wo eine Wirkung sich zeigt, gibt es auch eine Ursache. Und Ursachen gibt es in Menge! - Hier bitte! Der Meterstab sagt mir, dass das Pferd um drei Zentimeter nachgegeben hat.

Richter: (beginnt nachzumessen) Das kann sich nur um die Wirkung einer lächerlichen Ursache handeln und mithin um eine lächerliche Wirkung.

Rektor: Das ist nicht die Wirkung einer lächerlichen Ursache, das ist eine Katastrophe! Und ich füge hinzu: Je höher ein Amt, umso weniger kann man sich eine Katastrophe leisten.

Richter: Wer aber glaubt, Exzellenz werde deshalb in Panik ausbrechen, dem muss ich in aller Entschiedenheit sagen: er irrt! Katastrophen gibt es für einen Großen nicht.

Rektor: Was tut der Große? Verschanzt er sich in einer Burg oder in einem Bunker und übt sich darin, zu sehen, was nicht ist und zu übersehen, was ist?

Richter: Was es gibt, sind Versuchungen, aus denen der Große als ein noch Größerer hervorgeht. Exzellenz indessen hat sich geirrt. Sehen Sie doch nur selbst! Ihr Aufstieg hat Sie groß gemacht. Denn jetzt haben wir eine Pferdehöhe von zwei Zentimetern mehr als vor Ihrem Aufstieg!

Rektor: Mag ich mich geirrt haben!

Richter: Sie haben kein Recht, dies darf und muss ich so scharf vor Ihrer Exzellenz sagen, Sie haben kein Recht, weder einem Apparat, noch auch einer anderen Person, noch auch sich selber zu gestatten, Sie anders als höchstwertig anzusehen.

Rektor: Schön und gut gesagt. Doch Ihre Beweise?

Richter: Ich behaupte, dass unser Erleben in nichts anderem besteht als in der Erinnerung von Assoziationsketten, in Konglomeraten momentaner Einbildungen, in Antizipationen und Bewertungen und dass alles das seine Festigkeit bekommt von dem Glauben, mit dem wir es verbinden.

Rektor: Wenn nur nicht auch noch jene hässliche Versuchung gestern beim Mittagsschlaf gewesen wäre, wenn die Dinge nur nicht die Macht hätten, sich ungünstig aneinander und zusammen zu fügen!

Richter: Lassen Sie sich nicht ein auf die Litaneien des Bösen! Weg mit all den Vorstellungen, die Ihnen schaden! Oder hat Exzellenz nicht selber gesagt, dass alles nur im Traum geschah, als Sie sich zu dem obligatorischen Mittagsschläfchen niedergelegt hatten? Für mich steht fest, dass Exzellenz auch diese Versuchung zur Erprobung gewollt hat!

Rektor: Noch bin nicht so groß, dass man mich unter die Großen der Weltgeschichte zu rechnen hätte!

Richter: O Exzellenz. Wer vermag über Größe zu reden, wenn nicht allein der Große? Oder hat sich der Dummkopf jemals über etwas anderes ausgelassen als über Trivialitäten? Es ist aber ein riesengroßer Irrtum zu glauben, einer sei groß, nur weil er im Augenblick etwas besonders gut kann. Ein solches Können ist ja stets nur relativ, bezogen nämlich auf die, die zufällig um einen herum sind. Wie lächerlich, wie erbärmlich wäre es doch, sich für groß zu halten, nur weil man zufällig das Glück hat, im Umkreis von Dummköpfen zu leben!

Rektor: Es gibt aber auch eine Größe, die nur Einbildungen besteht. Und ich müsste nicht der sein, der ich bin, wenn ich nicht wüsste, dass nur der blühende Wahnsinn, indem er den Parnass der Verrücktheit besteigt, sich die Unsterblichkeit aus malt.

Richter: Es gibt aber auch eine Größe, die sich über alle Relativität erhebt und hinauswächst und absolut wird.

Rektor: (indem er vom Pferd steigt und nach draußen, auf den Zähler schaut) Die Rede schmeichelt dem Ohr, auch wenn die Tatsachen eine andere Sprache sprechen.

Richter: Was für Tatsachen! Wer kann und darf sich über den Großen ein Urteil erlauben, es sei denn der Große selbst? Und wem darf und kann der Große von seiner Größe erzählen, außer sich selbst? Der Große ist groß, weil er einen unanfechtbaren Kern besitzt! Jawohl, nur wenn man sich in seinem Bewusstsein so weit zu erheben vermag, dass einen nichts, aber auch gar nichts mehr erschüttert, wenn man mit der Inbrunst und dem ganzen Wahnsinn seines Herzens davon überzeugt ist, dass man über sich wie über jedermann sonst so weit hinausragt, dass das Weltall unmöglich einen höheren Zielpunkt erreichen kann, ist man am Ziel. Und das ist erst dann der Fall, wenn man alle, aber auch restlos alle davon überzeugt hat, vor allem aber sich selbst.

Rektor: Wenn mich nur keine unguten Gefühle heimsuchten!

Richter: Die Macht ist die Wahrheit, der Wille zur Macht die Wirklichkeit und die Vorstellung im Verein mit der Einsicht der Entwurf zur Gestaltung einer besseren Zukunft. Exzellenz indes würde gut daran tun, sich ein paar Minuten aufs Ohr zu legen. Jawohl. Das wäre sehr gut. Und damit seiner Exzellenz nichts entgeht, auch nicht im Schlaf, wird Kanzler Korpus am Fenster Wache halten. Ich indessen werde hinabgehen und Sorge dafür tragen, dass der Festwagen nicht unter die Räder kommt.

8. Kapitel: Wie Dionys und Hermes auf die weinschwer und müde gewordenen Hausmeister treffen und ihnen die Gesichter abziehen.

Hermes: Was nun, Freund Bromius?

Dionysos: Nur still, nur stille!

Hermes: Hast du schon etwas erspäht?

Dionysos: Und ob! Hörst du nicht, wie man die Treppen emporkommt?

Hermes: Wer sind die?

Dionysos: Die Hausmeister, die man ausgeschickt hat nach dem Wein und die schon längst hätten eingetroffen sein sollen.

Hermes: Nach welchem Wein?

Dionysos: Zur Begrüßung der neuen Dozentinnen im Fach Theologie!

Hermes: Vielleicht, dass sie aufgehalten wurden?

Dionysos: Du denkst immer in den Kategorien des Wunders, Pompos. Sieh doch nur, mit welcher Artigkeit sie ihrer Arbeit nachkommen? Als hätte der Wein schwere Füße bekommen und die Trunkenheit eine Stimme! Oder ist es möglich, würdeloser einen Krug Wein zu tragen, als es die beiden Herren da tun? Verstecken wir uns und warten wir ab, was sie sich zu sagen haben!

Kümmerle: Pass doch auf, Schnaufer! Schau doch! Schon wieder ist etwas herausgeschwappt!

Schnaufer: Was ist das?

Kümmerle: Du mußt aufpassen. Du musst den Henkel immer auf der gleichen Höhe halten wie ich.

Schnaufer: Warum?

Kümmerle: Wenn du nicht Acht gibst, ist die Hälfte weg, ehe wir da sind.

Schnaufer: Das versteht ich nicht, Kümmerle. Würdest du nicht immer wieder einen Schluck tun, wär alles noch so voll wie am Anfang.

Kümmerle: Konträr, Schnaufer, Konträr. Würde ich nicht hin und wieder für den Ausgleich sorgen und ein Schlückchen zu mir nehmen, dann würden uns die Weinspuren verraten. Der Wein läuft aus, sag ich dir, weil du den Henkel zu tief hältst. Schau doch! Immer musst du den Henkel in ein und derselben Höhe halten wie ich. (er bleibt stehen und nimmt wieder einen Schluck) - Hättest du ein Semester Philosophie studiert wie ich, dann wüsstest du, dass es genauso ist! Doch sei froh, dass der Kelch an dir vorübergegangen ist. So musst du dir schon keine Sorgen machen. O ja, es ist ein Ding um die höhere Verantwortung, die in den tiefsten Tiefen unseres Gemüts wurzelt. Courage, kann ich da oft nur noch zu mir sagen, wenn ich seh, dass ich noch immer ohnmächtig zusehen muss, dass nichts geschieht. Und dann muss ich eins trinken, um nicht zu verzweifeln!

Hermes: Und nun?

Dionysos: Warten wir es ab! Man wird es an Hinweisen nicht fehlen lassen!

Schnaufer: Wenn du so gescheit bist, wie du behauptest, Kümmerle, kannst du mir dann sagen, warum es Menschen verschiedener Klasse gibt, und warum wir uns in der zweiten Klasse befinden? Sage doch selbst, was die Menschheit wäre ohne uns hochgebildete Techniker? Wo wäre der Flieger, der sich in die Luft erheben, wo der Zug, der auf den Schienen dahinflitzen, wo der Operateur, der einen Unfall beheben könnte, wenn es nicht uns gäbe? Auch die Damen und Herren hier bei uns in der Universität, was fingen sie an, wenn wir ihnen nicht täglich die Geräte warteten, die Computer überwachten, die Aufzüge instand setzten, dem Rektor das Pferd aus dem Bildrahmen heraus holten und auch sonst an allen Ecken und Enden präsent wären? Es ist gewiss nicht zu viel gesagt, wenn ich sage, dass ohne uns überhaupt kein modernes Leben auf dieser Erde möglich wäre.

Kümmerle: Da wir nach den Gesetzen der Logik die Ursache aller Ursachen sind, sollte auch uns die Herrschaft über alle Herrschaften zukommen. Das willst du doch sagen?!

Schnaufer: Ja, eben das wollte ich sagen. Nur, dass das nicht der Fall ist. Oder? Sind wir nicht erbärmliche Sklaven, Lakaien und Befehlsempfänger? Alle erteilen sie uns Befehle, Präsidenten und Direktoren, Senatoren und Minister, Quacksalber und Chefärzte, Rektoren und Diktatoren, Dilettanten und Ignoranten, von denen sie auch nicht den geringsten selber auszuführen im Stande wären. Das, mein ich, gehört zu den Dingen, die durch und durch unfassbar sind.

Kümmerle: Was für ein großer Geist aus dir doch spricht!

Schnaufer: Wir, die wir nicht nur ein großes Quantum Geist besitzen, wie es wohl manch ein Professor sich wünschte, die wir darüber hinaus auch noch das rechte Auge haben und, was das Wichtigste ist, zwei geschickte Hände, wir stehen da und lassen zu, dass man unseren Kaufpreis bestimmt und uns vermarktet. Ist das nicht abscheulich, sich zum Sklaven gedemütigt, zum Steigbügelhalter erniedrigt und auf jede Art und Weise zum Abfallprodukt der Weltgeschichte bestimmt zu sehen? Oder war das die Absicht der sich immer höher entwickelnden Materie, das ihr am besten Gelungene derart zu erniedrigen oder gar zu bestrafen?

Kümmerle: Ich wundere mich, wie bedeutsam du zu reden vermagst. Als hätte es dir ein Gott eingegeben oder als hättest du es zumindest bei Hegel und Marx gelernt.

Was hat es mit diesen „Kegelmaxen“, auf sich?

Die haben uns prophezeit, dass das Know how im Umgang mit den von uns erstellten Produkten uns zur Selbständigkeit heraufführen würde.

Und die Prophezeiung ist nicht eingetroffen?

Ja schau dich doch an! - Und nun sage du mir, du einfältiges Mondgesicht, ob wir Lust haben können, diesen Krug Wein auch nur einen Schritt noch weiterzutragen?

Dionysos: Da haben wir es! Schau nur! Er winkt seinem Spezi. Dort ist die Türe zum Karzer. Sie stehen davor wie die Maus vor der Falle.

Schnaufer: Was willst du? Du kannst doch nicht in den Karzer!?

Kümmerle: Warum nicht? Das ist der sicherste Ort der Welt. Komm!

Hermes: Weg sind sie. Im Karzer verschwunden, zusammen mit dem Weinkrug.

Dionysos: Pass auf! Schließen wir den Käfig erst einmal dicht!

Schnaufer: (von drinnen) Wart noch mit dem Trinken! Wart!

Kümmerle: Warum?

Schnaufer: Da macht sich jemand von draußen an der Türe zu schaffen. - Was ist das? Die Türe ist verschlossen. Man hat uns eingesperrt. Man hat uns eingeschlossen!

Kümmerle: Wir sind Philosophen.

Schnaufer: Und die wären nicht eingeschlossen? Die rufen niemanden zu Hilfe?

Kümmerle: Die wissen, dass es eine Reihenfolge gibt!

Schnaufer: Was für eine Reihenfolge?

Kümmerle: Was zuerst zu tun ist und was dann. Jawohl, versorgen wir zuerst einmal den köstlichen Wein! Es darf nicht sein, dass sich der Gottessohn in so gottloser Gefangenschaft befindet!

Dionysos: Hast du es gehört?

Hermes: Gewiss. Und nun?

Dionysos: Nun pass auf! - Meine Herren!?

Kümmerle: Wer ruft hier?

Dionysos: Der Gott des Weines!

Kümmerle: Das kann nicht sein. Den hab ich eben heruntergeschluckt.

Schnaufer: Hab ichs nicht gesagt, dass man uns einschließt?

Kümmerle: Unfug! Wer immer uns einschließen will, muss wissen, dass er die Verantwortung trägt, wenn seine Exzellenz, der Herr Rektor, vergebens auf seinen Wein wartet. Jawohl, wenn seine Exzellenz verdurstet, so geschieht es nur, weil der Wein hier verdunstet. Da schau doch, wie viel schon verdunstet ist!

Dionysos: (eine Klappe an der Karzertüre öffnend) Hört zu, ihr Mörder, wenn euch das Leben lieb ist!

Kümmerle: Wir denken nicht daran, unsere Bundesgenossen zu verraten!

Schnaufer: Aber das macht unseren Fall doch nur noch schlimmer.

Dionysos: Kein Bereuen nützt mehr etwas, wenn es zu spät ist!

Kümmerle: Wenn man mich fragt, so ist alles in einem Anfall von Depression geschehen, als kein anderer Weg mehr übrig war. Das ist auch die Wahrheit und damit kriegst du bei jedem Psychiater ein Attest.

Dionysos: Mit welcher Präzision der Mensch doch dem von ihm bestimmten Schicksal nachkommt!

Kümmerle: Retten wir erst den Wein, indem wir ihn austrinken! Einmal gelebt wie Götter! Zum Wohl, Schnaufer!

Schnaufer: Denk aber auch dran, Kümmerle und vergiss es nicht, dass wir nur Leute zweiter Klasse sind. Versuchen wir es lieber mit einer Appellation an Gnade und Erbarmen.

Kümmerle:Weg mit jedem Gnadengesuch

Schnaufer: Wenigstens, sobald der Krug leer ist!

Kümmerle: Schäm dich, Schnaufer! Erst macht man dich klein und verächtlich und dann willst du auch noch um Gnade winseln?

Schnaufer: Was bleibt einem sonst noch übrig?

Kümmerle: Sei ein Mann, ein charakterstarker Römer! Aber bitte kein Hans-Wurst!

Dionysos: Wir warten nicht mehr lange.

Schnaufer: Hier habt ihr den Krug. Und nun lasst uns aus dem Kerker.

Dionysos: Soll das der Krug sein? Ausgesoffen bis auf den Grund, mit offenem Maul, in zügelloser Gier! Das können wir so nicht hinnehmen. Oder? Was meinst du, Pompos?

Hermes: Was hast du vor, Lyaios?

Dionysos: Hast du nicht schon einmal gehört von den Kopfjägern…

Hermes: Aber wir sind doch keine Kopfjäger. Wir sind hochkultivierte griechische Götter, die ein Vorbild sind für Maß und Mitte und Ordnung.

Dionysos: Dann denk an die Argonauten mit dem goldenen Vlies! Ich mach jetzt den Käfig auf.

Hermes: Dann stürzen zwei Tiger heraus.

Dionysos: Das wissen wir wohl zu verhindern. – Meine Herren! Heraus mit euch, heraus zur Schafschur! - (sie kommen wie Marionetten) - Und nun die Gesichter her!

Kümmerle: Was?

Dionysos: Die Maske herunter!

Kümmerle: Was für eine Maske?

Dionysos: Die Unschuldsmaske, die Heuchlermaske, die Satanslarve und das Galgengesicht!

Schnaufer: Und ich?

Dionysos: Du kommst auch gleich an die Reihe!

Schnaufer: Mein Herr, mein Gesicht ist mir angeboren und angewachsen. Mutter Natur hat es mir als unveräußerliche Aussteuer mitgegeben.

Dionysos: Menschlein, er glaubt doch nicht, seine Mutter habe sich dieses Duodezgesicht für ihn ausgedacht! Fern davon, einem Individuum zu ähneln, ist er nur eine der Myriaden Realisierungen, die mit dem Satz der von Natur gegebenen Grundbausteine möglich ist, ein Zufall, der mehr an eine planlose Verlegenheit denn an die Gunst einer Stunde erinnert. Deshalb herunter jetzt mit dem Jammerlappen, wenn es der große Lyaios von dir verlangt. Nichts ist er als ein Stückchen schlecht geratener Menschheit, die unter dem Himmel über die Erde stolpert!

Schnaufer: (während ihm das Gesicht abgezogen wird) O weh, man schindet mich zu Tode!

Dionysos: Und nun du, mach dich gleichfalls bereit!

Kümmerle: Gnade! (er zieht sich aus Angst die Hose aus)

Dionysos: Nicht die Hose sollst du ausziehen, sondern das Gesicht

Schnaufer: Wo bin ich jetzt? Wo bist du Kümmerle?

Ich weiß es nicht. Ich sehe nichts mehr, obwohl ich noch alles seh.

Dionysos: Hab Acht! Aufrecht gestanden. Hände an die Hosennaht. Und keinen Muckser nun!

Au, au! Du tust mir weh!

Was sagst du nun, mein Pompos

Was soll ich sagen?

Die Mutter selbst soll sie nicht wiedererkennn, so anonym will ich sie machen.

Kümmerle: O Schnaufer, haben sie dir wirklich das ganze Gesicht abgezogen?

Schnaufer: Was hast du gesagt? Ich kann dich nicht mehr verstehen.

Kümmerle: Schnaufer?

Dionysos: Nun, Pompos, sag selbst! Haben wir jetzt nicht die Grundmasse für den idealen und perfekten Staatsbeamten präpariert?

Zurück mit euch! Marsch in den Stall, bis wir euch rufen zur Verwendung.

(sie gehen wieder in den Karzer zurück)

Und wehe ihr muckst euch.

Aber sie können sich gar nicht mucksen. Mit meiner göttlichen Allmacht hab ich das bereits verhindert

Schnaufer: Weg ist weg!

Kümmerle: Warum sagst du nichts, Schnaufer? Kannst du mich noch hören? - Meine Herren, sind Sie noch da? Was soll ich nur machen? Ich weiß nicht einmal mehr, ob mich noch jemand hören kann!

9. Kapitel: Wie sie auf den abgewiesenen Bewerber treffen, der ein Attentat vorhat.

Hermes: Und nun?

Dionysos: Noch zwei Treppen müssen wir hinauf! Dann stehen wir vor der Schaltzentrale der Macht! – Doch was ist das?

(der abgewiesene Bewerber taucht auf)

Dionysos: Mein Herr, was drückt er sich so scheu an uns vorbei? Haben wir ihn nicht schon einmal gesehen?

Bewerber: Ich bin der abgewiesene Bewerber im Fach Theologie. Aber ich schäme mich nicht.

Hermes: Warum auch und vor wem sollte er sich schämen?

Bewerber: Dass ich keinen Stich machen konnte, war von vornherein klar. Hätte ich auch mit Engelszungen gesungen, es hätte mir nichts geholfen.

Dionysos: Doch weshalb trägt er seine rechte Hand so verklemmt im Hosensack? Ist er ein Verehrer des Priapus?

Bewerber: Wie?

Hermes: Wir dachten, das machten heute nur noch die großen Herren so, wie die Minister oder wie die großen Lords und Prinzen von Geblüt.

Dionysos: Oder ist er auf Mord aus?

Bewerber: Wie?

Dionysos: Hat er da nicht ein Messer im Sack, ein zur Tat bereites, aufgeklapptes Messer?

Bewerber: Ich weiß nicht mehr, wie es in meinen Sack gekommen ist.

Hermes: Wenn die Leidenschaft den Verstand benebelt und die Hand nicht mehr weiß, was sie tut, wird das Leben zum Traum!

Bewerber: (er zieht das Messer heraus) Ist das nicht eine verrückte Welt?

Dionysos: (nimmt ihm das Messer ab) Auch in einer verrückten Welt muss man sich zurechtfinden.

Bewerber: Jetzt erinnere ich mich wieder. Ja, jetzt dämmert mir wieder, was ich mir vorgenommen habe. Ich glaubte, mich nicht mit der Entscheidung abfinden zu sollen. Ich glaubte mich rächen zu sollen. Ich glaubte, die Gerechtigkeit auf Erden wiederherstellen zu sollen.

Hermes: Durch eine solche Tat?

Dionysos: Lassen wir es lieber ungesagt.

Hermes: Freund, wohl verstehen wir, dass er nicht mit der Wärme und mit dem Wohlwollen empfangen wurde, wie er es sich ausgemalt hat. Doch was lässt er sich davon infizieren!

Bewerber: Sie hätten die Jury sehen sollen! Wie die Baalspriester, wenn nicht wie Gott Vater selber, spielten sich die Herren Theologen auf. Zumal als ich mein Gedicht vorgelesen hatte, wurde ich ausgebuht, gleichsam als hätte ich alle theologischen Nester beschmutzt. Dabei gehören solche kritischen Töne bei uns bereits über 200 Jahre zum festen Brauch. Ja, ich bin überzeugt davon, dass ich durchaus der Mann wäre, das christliche Abendland zu erschüttern, mehr als damals, als Nietzsche verkündete: Gott ist tot.

Dionysos: Leider war es uns nicht möglich, Ihrem Vortrag beizuwohnen, da wir zu der Zeit uns eben bei den Naturwissenschaften befanden.

Hermes: Trösten Sie sich, indem sie sich sagen, dass Sie in diesem totgesagten Fach doch nie glücklich geworden wären.

Bewerber: Ich traute mir die Kraft zu, es zu reformieren.

Hermes: Einen toten Baum reformiert keiner mehr.

Dionysos: Dürfen wir Ihnen gleichwohl noch eine Frage vorlegen?

Bewerber: Ich bitte darum.

Dionysos: Theologie, was ist das für ein Fach und was ist sein Inhalt?

Bewerber: Übersetzt man das Wort als solches, so heißt es die Lehre von Gott oder von den Göttern oder vom Göttlichen. Doch ist das Wort Theologie von ganz anderer Art als das Wort Biologie. Denn wenn man auch noch immer nicht das Leben, den Bios, von Grund auf zu erfassen oder auch nur aus den physikalischen Bausteinen zu erzeugen vermag, so ist ein solches Projekt der höchsten Anstrengung wert. Gott aber, der Theos, hat aufgehört der Anstrengung wert zu sein. Allgemein glaubt man zu wissen, dass es so etwas nicht gibt. Dass man ihn sich nur in früheren Zeiten eingebildet hat, worüber uns Psychologie und Soziologie Auskunft geben. Theologie ist infolge dessen eine historische Wissenschaft, während Biologie eine Naturwissenschaft ist. Deshalb vermutlich drängt auch der jetzige Dekan darauf, die heiligen Texte mit den Studenten wieder in den Ursprachen zu lesen. Doch das löst die heute anstehenden Probleme überhaupt nicht. Man könnte auch sagen, dass in mancherlei Hinsicht die Biologie heute die Stelle der Theologie eingenommen hat. Frug man sich nämlich früher, wie wir uns als Geschöpfe, ja als Kinder Gottes zu verhalten haben, so fragen wir uns heute, wie es möglich ist, dass wir uns mit einer Leidenschaft und einem Aufwand um uns bekümmern, wo wir uns, wie wir längst wissen, überhaupt nicht kennen. Doch bleibt auch der Theologie als historischer Wissenschaft noch ein weites, spannendes Feld der Betätigung. Wie war es möglich, dass der Mensch sich derart unerhörte Dinge hat ausdenken können wie Gott oder das ewige Leben? Und wie war es möglich, dass er sich dann aufgemacht hat, diese Dinge zu erreichen? Aber auch die heutige Zeit entbehrt historisch betrachtet nicht einiger bemerkenswerter Fragestellungen. Etwa warum man am Christentum noch immer festhält, obwohl man doch längst an keinen Gott, geschweige denn an einen Mensch gewordenen Sohn Gottes mehr glaubt. An dieser Stelle hab ich auch meinen Bewerbungsvortrag angesiedelt, den ich mit dem folgenden, von mir erfassten Liedchen eingeleitet habe:

Da liegt das liebe Jesuskind

geworfen in die Krippen,

ein kaltblau scharfer Winterwind

reißt auf ihm Aug und Lippen.

 

Maria fehlt und Joseph fehlt

und auch die Hirten fehlen,

Zwei Narren nur gut ausgeseelt

großmächtige Flöhe quälen.

 

Von ferne her erstrahlt kein Stern,

wenn auch die Herrn Pastöre

drei heilige Könige hätten gern

und mächtige Himmelschöre.

 

Manhattans Türmer nur stehn groß,

sezierend streng den Himmel,

die Wall-Street wurde arbeitslos.

Das Geld bekam den Schimmel.

 

Nicht lang mehr wird das Jesulein

des Lebens sich erfreuen,

Herodes weiß diesmal Bescheid,

muss keinen Fehlschlag scheuen.

 

Und ehe die drei Könige

die Fahrt hinter sich haben,

liegt auch das liebe Jesuskind

im Friedhof eingegraben.

Hermes: Was für ein Poem! Wie kräftig in der Sprache, wie farbig im Ausdruck, wie überraschend im Abschluss!

Bewerber: Sie machen sich lustig!?

Hermes: Mein Herr!

Bewerber: Noch nie hab ich jemanden getroffen, der etwas von dem, was ich gemacht habe, gelobt hat. Am wenigsten in den christlichen Kirchen.

Hermes: Dann danken Sie Ihrem Gott, dass er Sie mit uns zusammengeführt hat!

Bewerber: Fast wollte ich es tun, wenn es nicht so verrückt wäre!

Dionysos: Und das Jesulein, was hat es mit dem auf sich?

Bewerber: Was es mit dem auf sich hat? Das wissen Sie nicht? Nun, die erste Ankunft legt schon über 2000 Jahre zurück und rückt jeden Tag nur immer noch weiter von uns fern, und die zweite Ankunft, auf die man lange gewartet hat, hat man vergessen, wenn nicht gar bewiesen, dass sie unmöglich ist. Vielleicht aber hat sie auch schon stattgefunden und wir haben es nicht bemerkt.

Hermes: Und das Jesulein war ein Gott?

Bewerber: Allerdings.

Hermes: Meinen Sie, Sie würden einen Gott erkennen, wenn er auf Sie zukäme, etwa so wie ich jetzt?

Bewerber: Nein, Sie sind kein Gott, dafür machen Sie mir zu viele Scherze. Überhaupt tut man heute gut daran, sich nicht mit einem Gott erwischen zu lassen, will man nicht in eine Psychiatrische eingeliefert werden. Da wäre es für einen Gott nicht mehr leicht, sich als Gott zu bewähren.

Dionysos: O Freund, was ein Gott kann, das ahnst du ja nicht und wenn du tausend Jahre Theologie studiert hättest. Käme heute ein Dionysos und er wollte einen Pentheus zur Rechenschaft ziehen, er würde ihn mit seiner Gottheit solange nerven, bis dass man den Gottesleugner in die Heilanstalt eingeliefert hätte.

Hermes: Aber das Jesulein war auch ein Gott?

Bewerber: So wahr, Sie, meine Herren, kein Gott sind!

Dionysos: Nun, nun, wie sollen wir das glauben?

Hermes: Gibt es dafür Anhaltspunkte?

Bewerber: Sehen Sie! Damit verraten Sie auf doppelte Weise, dass Sie kein Gott sind. Erstens, weil Sie nicht allwissend sind und zweitens, weil sich die Götter gegenseitig kennen. Schon Homer sagt, dass die Götter einander erkennen.

Dionysos: Guter Freund, gestatten Sie einen Einspruch! Kann nicht auch ihr Jesulein der Gottheit ermangeln? Zumal wie Sie ihn gezeichnet haben, fehlt ihm alles Kraftvoll Dämonische, wie wir es etwa von einem Herakles kennen.

Bewerber: Es gibt zwar noch einige, die dieses Kind als Gott feiern. Auch ich gehörte einmal zu ihnen. Aber ich mag diese Leute nicht mehr. Sie haben mir die Freude am Gottesdienst geraubt.

Hermes: Erzähl er uns noch was von diesem, seinem düsteren Liedlein!

Bewerber: Ich hatte es zum Besten gegeben wollen, um von hier aus die Frage nach dem Glauben an den Geist aufzuwerfen und die Freude am Gottesdienst neu zu beleben.

Hermes: Ist der Geist eine Hypostase?

Bewerber: Das war schon so im alten Griechenland. In der Frühkirche ist dann daraus dritte göttliche Person geworden.

Dionysos: Und was hat es mit diesem Glauben an den Geist auf sich?

Bewerber: Wo der Glaube fehlt, da fehlt auch der Geist und umgekehrt. Von daher ist es bemerkenswert, dass man in glaubensschwachen Zeiten nichts mit dem Geist anzufangen vermag, wiewohl man ihn da am meisten bräuchte.

Hermes: Er redet in Zirkeln?

Bewerber: Wie gesagt, ich hatte vor, den Gedanken an die Früchte des Geistes wachzurufen und zu vertiefen: an die Gemeinschaft der Heiligen, die Vergebung der Sünde, die Auferstehung des Leibes und an das ewige Leben. Doch sie lachten mich nur aus. Plötzlich aber änderte sich mir der Sinn. Mein missionarischer Sinn war dahin, den unerschütterlichen Glauben, den ich, wie ich meine, beim Aufstehen noch hatte, hatte ich verloren und eine Wut packte mich, wie sie mich noch nie gepackt hatte. Und in dieser meiner Wut schrie ich ihnen entgegen: „Im Totenbett sind wir alle gleich!“ Da aber sagten sie zu mir: „Du Träumer!“ Damit hatten sie mir zu verstehen gegeben, dass ich für sie nicht als Professor der Theologie in Frage käme.

Hermes: Und nun?

Bewerber: Nun geh ich nach Haus und leg mich ins Bett. Oder aber ich erschieß mich. Wenn ich aber bedenke, dass es die Naturwissenschaften waren, die dazu beigetragen haben, dass wir uns heute keinen Himmel mehr denken können, in den ein vom Tod erlöster Christus auferstehen und zurückkehren kann, so möcht ich zuallererst alle Naturwissenschaftler erschießen. Heute nämlich, wo nichts mehr gilt als die Wahrheit der auf objektiv festen und nachprüfbaren Gesetzen beruhenden Natur, heute sind sämtliche Luken abgedichtet, durch welche noch ein Gott in unsere Welt gelangen könnte. Die Schöpfung, ehemals das Haus Gottes, haben wir so zugekleistert, dass jede Rückkehr unmöglich geworden ist. Und die Kirchen, die Häuser Gottes, sind nichts mehr weiter als traurige Stätten der Unerlösbarkeit und Unentrinnbarkeit vom Tode. Kein Erdbeben wird uns mehr von der Macht eines Allmächtigen zeugen, geschweige denn, dass dadurch Gräber gesprengt und Tote zu ihrem Flug in eine himmlische Heimat veranlasst würden. Und wollte ein Gott auf Wolken zu uns kommen, Gerichtstag zu halten, niemand würde ihn ernst nehmen. Die Flugzeuge würden über ihm hinwegfliegen und manch ein Kind, das aus einem der Bordfenster schaute, würde sagen: „Was will denn der Wolkenreiter da drunten?“ Indem wir keinen Ort und keine Zeit mehr für das Göttliche in unserer Welt haben, sind uns nicht nur die Bilder, sondern auch die Sprache, und mit der Sprache die Erzählungen und die Lieder verloren gegangen. Eine stumme gottlose Welt oszilliert um uns, raunend und summend, und treibt mit uns ihr Spiel. Wenn ich solches bei mir erwäge, überfällt mich eine unermessliche Trauer. Und wär ich auch ein Gott der Macht, und ich wäre gekommen, die Menschheit zu erretten, ich müsste darüber verzweifeln.

Dionysos: Ein wenig lässt sogar uns seine Rede erschrecken.

Bewerber: Die Theologie war früher einmal eine Metawissenschaft, vornehmlich im Mythos der Welt- und Menschheitsschöpfung. Sie begründete alles. Daraus sind dann die Wissenschaften, vor allem die sogenannten exakten Wissenschaften, entstanden. Doch die Wissenschaften sind ihre eigenen Wege gegangen; sie wissen nichts mehr von jenen Ursprüngen. Das Leben erscheint uns heute abgelöst von allem jenem lebendigem Atem nur mehr noch wie ein durch Wirrnisse und Gefahren führendes Abenteuer, bei immerwährendem Atemanhalten, bis der Atem endlich von allein und für immer anhält, ein Märchen, in welchem wir auftauchen und in dem wir nichts anders sind als letztendlich verschwindende, gemeine Gespenster.

Hermes: Hörst du, Bromios? Am Schluss weiß er auch noch Bescheid über uns.

Bewerber: Dank euch, dass es euch nicht zu viel war, mir bis in die Tiefen meiner Unsicherheit zu folgen und mich vor einer blinden Tat zu bewahren. Ade, ihr Herren! (im Weggehen) Du aber, Gott, selbst wenn es dich nicht gibt, lass dir sagen, dass du es nicht zulassen kannst, dass wir alle, die wir mit Jesus Christus gestorben sind, für ein Hirngespinst gestorben sind!

10. Kapitel: Beim Rektor

1. Abschnitt: Zutritt ins Rektorat

Dionysos: Das Wichtigste, mein lieber Pompos, hätten wir geschafft! Oder meinst du, wenn der Mensch da das Messer gezückt hätte und hier wäre ein Mord geschehen, dass uns das etwas genützt hätte? -

Kanzler: (ins Zimmer zurücksprechend) Seien Sie dessen gewiss. Ich werde sie ausfindig machen und wenn ich in den Acheron müsste!

Hermes: Das ist allerdings eine starke Sprache!

Kanzler: Meine Herren, haben Sie den Herrn Dekan gesehen, Herrn Prof. Laicher, den Dekan der vereinigten theologischen Fakultäten?

Dionysos: Wir bedauern sehr.

Kanzler: Oder eine der beiden neugewählten Professorinnen der Theologie?!

Dionysos: Auch von diesen haben wir keine gesehen. Doch Geduld! Sie werden kommen.

Kanzler: Gewiss, doch wann? Wenn sie nicht da sind bis in 5 Minuten….

Dionysos: Ich höre sie schon kommen.

Kanzler: Ich höre nichts.

Dionysos: Hörst du nicht auch schon das holde Getrippel der Damen, Pompos?

Hermes: Ja, ich höre es auch schon.

Kanzler: Mir ist nicht um ein Witzeln zumut.

Hermes: Uns auch nicht. Wie kämen wir auch dazu, uns einen Witz zu erlauben dem Kanzler seiner Exzellenz gegenüber? Doch da sind sie ja schon, zusammen mit ihrem Mentor!

Dekan (mit den Theologinnen): Meine Damen, es gibt viele Leute, die Talent haben zum Träumen. Man muss aber auch wissen, was in der jeweils geschichtlichen Stunde gemacht werden kann und man muss den Mut haben, das Machbare zu tun. - Was haben Sie, Kanzler Korpus, dass Sie so finster schauen? Haben Sie Ausschau nach uns gehalten?

Kanzler: Ich nicht, wohl aber seine Exzellenz! Es wird höchste Zeit, dass Sie kommen! Exzellenz liebt es nicht, nach jemandem Ausschau zu halten. Er spielte schon mit dem Gedanken, die Bestallungsurkunden nicht mehr zu unterschreiben! Doch nun kommen Sie! Meine Damen, seien Sie gegrüßt. Korpus ist mein Name.

2. Abschnitt: Die neuen Dozentinnen

Kanzler: Eure Exzellenz, die Damen sind da!

Rektor (am Fenster stehend; er ist sauer wegen der Verspätung und weil der Kanzler den Zähler nicht hat abmontieren können): Führen Sie sie herein!

Kanzler: Hier sind die Bewerberinnen für den Lehrstuhl des Fachs Theologie zusammen mit dem Dekan.

Rektor: Herr Dekan!

Dekan: Darf ich vorstellen, unsere beiden neuen Dozentinnen für Theologie: Frl. Dr. Löwinger und Frl. Dr. Zimpel.

Rektor: Meine Damen! Sehr erfreut. - Ich bin es aber nicht gewohnt, auf jemand zu warten!

Dekan (mit ihm treten Hermes und Dionysos ein): Wir bitten seine Exzellenz wegen der Verspätung um Entschuldigung. Wir konnten nicht durch den Haupteingang kommen. Studenten nötigten uns, einen Umweg zu machen. Dafür aber werden Sie jetzt die beiden Damen durch etwas Kunstvolles entzücken, welches sie sich selber ausgedacht haben.

Rektor: Nehmen Sie Platz! Und Sie, meine Damen, lassen sie sich vernehmen!

Dozentin: Ist es gestattet, seiner Exzellenz etwas vorzusingen?

Kanzler: Nur zu!

Beide: Also, so singen wir!

1. Dozentin:

Dem großen Manne zu gefallen

ist uns ein göttlicher Genuss,

und kommt und wählt er eine von uns allen

so danken wir´s mit einem Kuss.

2. Dozentin:

Mit einem Kuss, mit einem Küsschen

mit einem fein erdachten Spaß.

mit einem KandisSchmätzernüsschen,

mit einem süßen Weiß-nicht-was.

Kanzler: Das war allerdings charmant! Die Damen verstehen es ohne Zweifel, altes Holz wieder lebendig zu machen!

Erste Dozentin: (singt)

Wer wär geschaffen wie wir Frauen

herrliche Träume aufzubauen,

wer so wie wir, Nahrung zu geben,

dem allerschönsten Wunderleben?

Zweite Dozentin:

Schön ist, was uns umspielt und glitzt,

ein Kleidchen, das perfekt uns sitzt

das uns umhüllt und ganz apart

ein weniges auch offenbart!

Kanzler: Nehmen Sie Platz! Das war wirklich wunderschön!

Die Damen: Mögen die Herren wissen, dass wir erst einen ganz kleinen Ausschnitt unseres Repertoires offen gelegt haben.

Kanzler: Nichts vernehmen wir mit gläubigerem Herzen.

Rektor: (der inzwischen Hermes und Dionysos erspäht hat) Und Sie, meine Herren? Was ist mit Ihnen? Habe ich Sie gerufen? Mit wem zusammen zu sein haben wir die Ehre?

Dionysos: Wir sind die Leute für seine Exzellenz, wenn Spezialaufgaben anstehen.

Rektor: Große Versprechungen! Doch wie kann man Ihnen glauben?

Kanzler: Geben Sie eine Probe Ihrer Geschicklichkeit!

Dionysos: Eine der ganz starken und großen oder nur eine kleine?

Kanzler: Ein starkes, das aber nur ein klein wenig Zeit in Anspruch nimmt; denn unser Arbeitspensum ist groß.

Dionysos: Ein kleines Wunder also? Oder gar nur etwas, worüber man sich wundern kann? Dazu ließe sich wohl etwas inszenieren. Oder nicht, Pompos?

Hermes: Das will ich meinen!

Dionysos: Also dann, meine Damen und Herren. Passen Sie auf!

Kanzler: Nur keine langen Präludien wie die Lehrer, wenn sie die ersten Stunden abhalten und Angst haben, ihr Pulver zu schnell verschossen zu haben.

Dionysos und Hermes: Jetzt sind wir da. Und jetzt schon dort. - Und jetzt noch hier. Und (sich unsichtbar machend) jetzt schon fort!

Rektor: Wo sind die Herren?

Kanzler (zum Fenster hinausschauend): Ich sehe sie auch nicht mehr.

Dionysos (wieder sichtbar werdend): O, meine Damen und Herren. Die einen sehen nichts, wiewohl genug zu sehen ist; die anderen aber vermeinen etwas zu sehen und doch ist nichts zu sehen.errH

Erste Dozentin: Geht das nicht etwas zu weit?

Dionysos: (wieder verschwindend) Sehen Sie nicht, wie die Türen zufliegen? Hören Sie nicht, wie die Schlösser fallen. (wieder auftauchend) Wenn Sie uns wieder sehen, glauben Sie zu wissen, wo wir sind. (wieder verschwindend) Halten Sie sich fest, dass Sie sich nicht selber abhanden kommen! Es genügt nicht, die anderen neben sich zu wissen.

Zweite Dozentin: Wo man steht, meine Herren, dazu muss man stehen!

Hermes: Wer bei den Toten betet, kann nicht mit den Lebenden singen.

(Dionysos und Hermes singen)

Menschlein, wo bin ich und wo bist du?

Willst du mich sehen, schließ die Äuglein zu!

Kannst, wo du bist, du nicht bündig ergründen:

Such nicht bei den andern, kannst auch dort nichts finden.

Erste Dozentin: Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich bedenke, dass bei mir im Zimmer ein Mann sein könnte, ohne dass ich ihn sehe.

Hermes: (wieder auftauchend): Dann halten Sie sich auf Dauer einen Mann in Ihrem Zimmer.

Hermes: (auftauchend) Doch dann sperren Sie ihn gut ein. Oftmals allerdings ist es besser, vor einem Manne Angst zu haben, den es nicht gibt, als vor einem, den man sieht und dem man nicht zu entrinnen vermag.

Rektor: Meine Herren! Jetzt ist genug! Kommen und verschwinden Sie von nun an nur noch so, wie jeder von uns kommt und verschwindet! Und tun Sie nur, was ich Sie ausdrücklich heiße.

3. Abschnitt: Der Wein

Dionysos: Darf ich seiner Exzellenz einen Vorschlag unterbreiten?

Rektor: Reden Sie!

Dionysos: Nutzen Sie die Gelegenheit und befehlen Sie uns, den Wein zu bringen, um den Sie die Hausmeister geschickt haben! Dann werden Sie sehen, was sie vermögen.

Rektor: Ich wüsste andere, wichtigere Aufgaben.

Hermes: Gestatten Exzellenz! Ich finde den Vorschlag gar nicht so übel. Lassen Sie sich von einem Tropfen verwöhnen. Lassen Sie ihn vergessen machen, wie erbärmlich der Tag angefangen hat. Warum soll er nicht noch gut enden?

Kanzler: Er wird gut enden, er muss gut enden!

Dionysos: Dann mag der Himmel seine Schleusen öffnen und das goldene Zeitalter sich über uns ergießen!

Kanzler: Auf meine Verantwortung! Bringen Sie den Wein!

Hermes: Der Wein, um den Sie die Hausmeister ausgeschickt haben, dürfte allerdings kaum mehr munden. Wir müssten ihn nämlich aus Herrn Kümmerles Magen herauspumpen. Oder ist es nicht so, Lyaios? O hab ich ihn noch gut in Erinnerung. So stand er da. (Er zeigt den Säufer) Bis er alles ausgesüppt hatte.

Kanzler: Macht euch auf und bringt den Wein!

Dekan (für sich): Auch ich als Theologe gebe meinen Segen, wiewohl ich weiß, dass man vor nicht allzu langer Zeit wegen solcher Dinge noch als Hexer verbrannt wurde.

Dionysos:

Wohlverwahrt und wohlversteckt,

wo kein Räuber dich entdeckt,

wo nicht Richter und Kater schleichen,

noch dich Säufer je erreichen:

Rebenblut tief aus der Erde

komm, dass froh die Stimmung werde!

Füll die Gläser bis zum Rand!

Stifte uns ein fröhlich´ Band!

Hier sind Fässer alten Weines,

glaube nur, siehst du auch keines

Naxos Hügel, Samos Strände,

unterm Schutze meiner Hände,

spenden euch, was ihr begehrt.

Wenn den Göttersohn ihr ehrt,

nichts alsdann müsst ihr bereuen,

könnt des Lebens euch erfreuen.

Hermes:

Komm, Lenaios, das Gemüt

Heitre auf, dass Sorg entflieht.

Ist das Gute erst erkannt,

scheidet ab sich Trug und Tand.

Augen werden froh erglühn,

jugendfroh das Antlitz blühn.

Gibt Vergessen, das uns frommt,

Schwermut nie uns überkommt!

 

Seht, er kommt, zu euch gesandt,

hurtig über Meer und Land!

Und nun trinkt, bis trunken klar

Noch das Kind im Greisenhaar.

Müsstet sonst verzerrt euch sehn,

Fliehend euch, um Hilfe flehn

Trinkt denn, Freunde, zu vermeiden,

dass die Seelen Schaden leiden!

Hermes und Dionysos (Nachdem sie sich die Gesichter der Hausmeister übergestreift haben, füllen sie den Wein aus einem zu einem Spund gekrümmten Daumen in die Gläser) beide:

Reicht die schweren Gläser her,

dass der Wein gar süß und schwer

mag Genießern beim Genießen

stets mit Guten überfließen!

Sorgen mögen nie beschweren,

die vom Mark des Mannes zehren!

Dionysos: Meine Damen und Herren! (indem er trinkt) Mögen Sie uns Bescheid tun!

Hermes und die anderen (indem sie trinken): Sorgen mögen nie beschweren,

die vom Mark des Mannes zehren!

4. Abschnitt: Randal auf dem Campus

Rektor: Dass man nicht einmal ein Glas Wein in Ruhe trinken kann!

Kanzler (ans Fenster tretend): Der Festwagen, Exzellenz, zieht viel Schaulustige und Neugierige an. Wie es scheint, hindert die Menge den reibungslosen Zugang zum Wagen. Richter versucht zwar immer wieder, eine Schneise zu schlagen; kaum aber hat er sie zustande gebracht, ist sie auch schon wieder vernichtet. Vor allem die Sphinx mit der Zähluhr zieht die Leute magisch an.

Rektor: (laut) Die Sphinx mit der Zähluhr

Kanzler: Exzellenz?

Rektor: Man kann es nicht aussprechen; ein kluger Kopf aber würde erraten, was ich meine!

Kanzler: Versteh ich Sie recht?

Rektor: Sagten Sie nicht, man könne den Zähler nicht abmontieren und dass Evaluation darauf stünde? Sind wir angetreten, die Wertmaßstäbe dieser zum Untergang verdammten Gesellschaft aufrecht zu halten oder um sie umzuwerten?

(Gelächter von draußen. Dekan und Kanzler treten ans Fenster)

Dekan: Wenn einer hofft, durch eine große Leistung ausgezeichnet zu werden, und dann kreist der Berg und nur ein Mäuslein springt heraus, dann lachen alle.

Rektor: Auri sacra fames! Macht, was ihr wollt, aber finanziert bitte selbst, wenn ihr euch aufhängen wollt!

Dekan: Eben hat die Sonnentau einen zweiten Versuch unternommen, ihre Sachen auf den Wagen zu befördern. Sie ist hell empört, dass man sie ihre Sachen nicht auf den Wagen legen lässt.

Rektor: Was geht uns die Sonnentau an?

Dekan: Das ist die Professorin, auf die sich seine Exzellenz so viele Hoffnungen gemacht hat.

Rektor: Zum Teufel mit ihr!

Dekan: Jetzt aber kommt der Vertreter der hohen Mathematik. Er bringt Klötzchen.

Rektor: Werft sie ihm an den Kopf!

Dekan: Sie gehören, wie er sagt, ins Repertoire der Vorschulerziehung. Das kann Ihnen der Kanzler erklären. Der ist Freizeitmathematiker.

Kanzler: Durch ihre Forschungsanstrengungen und viele praktische Versuche wollen sie herausgefunden haben, dass bereits das Vorschulkind in der Lage sei, zu abstrahieren und zu generalisieren und damit gleichsam mit Variablen umzugehen. Das sei eine sensationelle Entdeckung. Man fragt Vorschulkinder, was für eine Zahl herauskomme, wenn man zwei gerade Zahlen addiere. Eine gerade oder eine ungerade? Doch Exzellenz wünscht jetzt nichts davon zuhören.

Dozentin: Außerdem weiß das doch jeder!

Kanzler: Da bin ich mir nicht ganz so sicher. Alles geschieht auf der Ebene der Handlung, wobei sich die Handlungen so organisieren, dass sie die Menge der Operationen erzeugen.

Dozentin: Und was sind Operationen?

Kanzler: Das sind im Geist organisierte Handlungen. Man beginnt mit der handlungsorientierten Definition einer Zahl, dann kommt die handlungsorientierte Definition einer geraden, sowie einer ungeraden Zahl. Doch lassen wir das. Seine Exzellenz hat andere Sorgen.

Erste Dozentin: Offenbar aber beeindruckt das den Zähler nicht. Der hat auch andere Sorgen. Übrigens beeindruckt das auch mich nicht!

Zweite Dozentin (am Fenster): Der Vorsitzende scheint auch nur wenig von den Sachen zu halten. Aber jetzt sind sie Klötze droben und liegen auf der Waage.

(Gelächter)

Stimme des Vorsitzenden von draußen: Meine Damen und Herren! Ich darf Sie bitten, den Weg frei zu halten!

Dekan: Jetzt kommt der Fachvertreter der Physik, Herr Wieseler, in Begleitung von Herrn Eberhard. Herr Wieseler kommt mit Eimern und Schächtelchen aller Art. Herr Eberhard aber mit einem Vogelhaus , das er wie ein Falkner in der Hand trägt. Aber das ist alles nichts als Verstellung. Das haben wir längst durchschaut!

Rektor: Wenn ich alles sagen wollte, was ich durchschaut habe, das gäbe ein böses Erwachen!

Dekan: Natürlich sträubt sich der Vorsitzende, auch nur ein einziges Ding anzurühren. Herr Eberhard versucht sich zu rechtfertigen und bemerkt, dass ihn Frau Sonnentau zu dieser Arbeit genötigt habe. Aber mit Frau Sonnentau kann dem Vorsitzenden heute keiner mehr kommen.

Rektor: Rufen Sie Herrn Richter zu, er soll die Leute von der Physik wegschicken! Und zwar stante pede! Ich mag nun mal nichts mehr von Physik hören und wenn mir der Friedensnobelpreis verloren ginge!

Kanzler: Sehr wohl, Exzellenz! (er gibt den Willen des Rektors durch Zeichen nach draußen zu verstehen, ohne Erfolg; dann ruft er nach draußen) Die Physik soll ein andermal kommen. Jetzt nicht. Das hat der Herr Rektor gesagt! - (ins Zimmer hinein) Wie ich eben sehe, sind da noch andere Störenfriede! Prüflinge, die durchs Examen gefallen sind und die das Ergebnis nicht hinnehmen wollen. Einen gewissen Randalow sehe ich unter ihnen, den Vorsitzenden der Studenten im Senat. Exzellenz wird sich noch an ihn erinnern, wie er sich als Senatsredner einen Namen gemacht hat.

Rektor: Hätte die Zeit besser anders genutzt! (Geschrei draußen)

Dekan: Draußen scheint man sich auf die in Ihrem Buch verkündeten studentischen Freiheiten zu berufen.

Rektor: Nichts fällt leichter, als Sätze falsch auszulegen!

Dekan: Jetzt beginnen sie zu singen! Hören Sie nur!

Studenten und Studentinnen:

Wenn wir auch wenig Talent nur haben,

und wenig auch nur sind gescheit,

sind wir gescheit genug, nichts zu vergraben,

dass es zur Tat weckt eine goldene Zeit.

Rektor: Herr Dekan!? Sind das nicht Ihre Studenten!

Dekan: Zum Glück sind mir die Gesichter unbekannt. Was auch hätten Studenten der Theologie zu bestreiken?

Rektor: Das frage ich mich allerdings auch. Aber der Liedtext passt zum Gleichnis von den Talenten!

Dekan: Bislang ist uns noch immer gelungen, jeden Streik aus der Theologie fern zu halten.

Dozentin: Und das soll auch in Zukunft so bleiben!

Dekan: Doch still. Sie singen schon wieder!

Studenten und Studentinnen:

Wir lassen uns nicht schikanieren

Prüfungen sind uns arg verpönt.

Ein elend Leben mag da führen,

wer sonst nichts besseres ist gewöhnt!

Dozentin: Das sind nicht unsere Studenten. Wenn Exzellenz einen Blick zu tun geruhen, so sehen Sie die Studenten in unserem Anfängerpraktikum. Darunter sind auch die, die von der Physik zu uns gekommen sind.

Dozentin: Ziemlich verstört waren sie am Anfang, wie man sich vorstellen kann. Aber jetzt haben sie sich schon ein wenig erholt. Oder sind sie nicht allerliebst bei der Arbeit?

Rektor (ohne nachzusehen, in anderen Gedanken): Allerliebst. Allerdings. Doch was tun die da?

Erste Dozentin: Die flechten Strohmatten!

Zweite Dozentin: Lachen Sie bitte nicht! Man muss sich da durchaus auch demütigen können. Zumal einem Mann fällt das ziemlich schwer. Da gehört schon eine Portion Selbstüberwindung dazu.

Erste Dozentin: Immerhin ist denkbar, dass wir mit diesen Matten schon bald auf eine Marktlücke stoßen. Sie lassen sich als Meditationsmatten sehr gut verwenden, vielleicht auch als Büßermatten, ganz abgesehen von der schönen Bearbeitung. Wenn man sich vorstellt, China würde sich morgen zum Buddhismus bekehren und jeder Chinese kaufte sich einen einzigen dieser Teppiche: das ergäbe eine ungeheure Summe.

Rektor: Haben Sie, meine Damen, schon einmal von Gott geträumt oder von Jesus Christus? Oder auf welches wunderbare Ereignis gründen Sie Ihre Berufung zum Theologen?

Dozentin: Von einem Buddha träumte mir schon einmal.

Dozentin: Und mir vom Papst.

Kanzler: Immerhin werden Sie mit ihren Studenten die heiligen Texte bald wieder in ihrer Urform studieren.

Dozentin: Wer sagt das? Wer verlangt das?

Dekan: Natürlich niemand. Außer mir studiert niemand die Texte in ihrer Urform. Kanzler Korpus pflegt mitunter einen Scherz zum Besten zu geben. Doch mag er beruhigt sein, wenn ich ihm sage, dass auch Gotteskinder nicht immer nur auf der faulen Haut liegen. Oder hab ich nicht Recht, meine Damen?

Dozentinnen: O ja!

Rektor: (zum Dekan) Haben Sie schon einmal von Gott geträumt?

Dekan: Leider noch nicht. Vielleicht sollte ich aber auch sagen: Gott sei Dank noch nicht. Man kann ja nie wissen, wie man in der Prüfung besteht.

Rektor: Wer würde denn prüfen, wenn nicht Gott?

Kanzler: Gott prüft keinen über seine Kraft.

Rektor: Keinen Theologen zumindest! Doch genug davon. Der Lärm ist unerträglich. Korpus, gehen Sie hinab und sehen Sie nach dem Rechten! Und nehmen Sie den Herrn Dekan und die beiden Damen mit! Schließlich muss der Festwagen heute Abend noch abgehen.

Kanzler: Sehr wohl, Exzellenz! Wir werden unser Bestes versuchen! Kommen Sie, Herr Dekan! Kommen Sie meine Damen! (ab)

11. Kapitel: Ecce homo

1. Abschnitt: Des Rektors Auszeit

Rektor: Endlich sind sie fort. Hat wohl geglaubt, dass ich seinen beiden Stuten zu wiehere wie ein brünstiger Hengst?

Dionysos: Immer wieder kommt man auf sich zurück und bemerkt, dass man alleine ist.

Rektor: Ah wie bin ich müde! Eine unermessliche, entsetzliche Müdigkeit grassiert in mir.

Hermes: Exzellenz sieht in der Tat etwas erschöpft aus.

Rektor: (indem er sich aufs Sofa legt) Mich schläfert!

Dionysos: Nehmen Sie eine kleine Auszeit und fühlen Sie sich wie in Gottes Hand! Wenn wir uns auf etwas spezialisiert haben, dann auf solcherlei Dinge.

Hermes: Wofür auch sonst sollten wir eingeweiht sein, wenn nicht dafür?

Rektor: Wer immer die Herren sein mögen: einschlafen will ich nicht und einschlafen darf ich nicht. Der Feind wartet ja nur darauf, um loszuschlagen.

Dionysos: Keinen Feind werden wir ins Zimmer lassen. Das versprechen wir Ihnen! Und was den Lärm angeht, so wollen wir ihn verscheuchen. (er geht zum Fenster, macht mit der Hand ein Zeichen und es wird vorübergehend still) Eine kleine Ruhepause wird Exzellenz gewiss gut tun.

Rektor: Elendes Warten, elende Enttäuschung. Leider aber gibt es nicht wenige solcher Prinzessinnen, die nichts anderes kennen, als durch die Welt zu rennen und ein Stückchen ihrer Flitterfassade spazieren zu führen. Am besten wäre es auf jeden Fall, wenn eine schöne Frau sich nicht auf die Wissenschaften einließe.

Hermes: Der große Mann zeichnet sich dadurch aus, dass er große Ideen hat und immense Projekte verfolgt. Sie ihm immer wieder nahe zu bringen, das ist die Aufgabe eines jeden, der ganz in seiner Gegenwart weilt. Da reichen zwei Tässchen Sauermilch bei weitem nicht aus.

Dionysos: Wer es nicht fertig bringt, sein Ohr damit gefangen zu nehmen, hat in seiner Nähe nichts zu suchen.

Hermes: Nichts ist süßer, als verstanden zu werden, oder, wo dies nicht möglich ist, doch wenigstens einen zu finden, der mit uns um ein gemeinsames Verstehen ringt.

Dionysos: Dabei wäre bei seiner Exzellenz ein Einstieg kinderleicht gewesen.

Rektor: Eine kleine Stellungnahme wäre mir allerdings lieb gewesen.

Dionysos: O ja, das schmerzt, wenn man erkennen muss, dass einer, der als unser Freund zu uns kommt, überhaupt nicht in unserer Gedankenwelt heimisch ist.

Hermes: Als ob es genügte, einen Körper über die Türschwelle zu schieben!

Rektor: Haben denn die Herren schon etwas aus meinem Buch gelesen?

Dionysos: Wär´s möglich, ein so großes Werk nicht zu kennen, wo alle Welt es kennen sollte?

Rektor: Fast machen Sie mich gespannt!

Dionysos: „Über die Erziehung in schwieriger Zeit“ haben Sie Ihr Werk genannt. Und wenn es erlaubt ist, die Wahrheit zu sagen, so wär wohl gut, wir hätten so einen, der in der Lage wäre, all den Unbilden und Gefahren in der Welt abzuhelfen, denen der Mensch durch eigenes Versagen weit über das ihm zugemessene Schicksal hinaus ausgesetzt ist. Was wir brauchen ist einen Fürst, einen umsichtigen, verantwortungsbewussten und menschenfreundlichen Menschen, voller Einsicht und Vollmacht. Denn dass die Hand eines Einzelnen etwas erreichte, muss sehr bezweifelt werden. Die Gesamtheit kann Abhilfe bringen, wenn sie geschlossen einen Willen verfolgt. Da sie aber blind ist, muss ihr der Fürst diesen Willen verkünden.

Hermes: Und sähe auch jeder Einzelne wie ein Lynkeus, in der Masse sieht keiner etwas und so tanzen alle ahnungslos in ihr Verderben. Was also bleibt übrig, als dass ein großer Mann als Ratgeber und Retter und Heils- und Friedensfürst erscheint, um dann voller Weisheit und Vollmacht den Starrsinn der Massen zu beugen?

Dionysos: Heil dem Herrscher, der mächtig genug ist, das Heil der Welt zu befördern und dem Glück aller Menschen zu dienen! – Komm Pompos, singen wir seiner Exzellenz etwas, was ihm seine erregten Geister beruhigt und ihn für ein Weilchen in den Schlummer einwiegt!

Hermes und Dionysos singen:

Dem Fürst geziemt das erste Wort,

Er ist des Lebens Hirt und Hort

Des Jahres Arbeit zu besorgen,

das Brot, den Wein für heute und für morgen.

Dem Fürst, schickt er die vielen aus,

kommt Heil und Segen mit nach Haus.

 

Dem Fürst geziemt der rechte Blick,

er schaut voraus, er schaut zurück.

Ist abgesteckt die rechte Bahn,

wird Gutes rechtzeitig getan.

Da bleibt nicht einer träg zurück;

er sieht die Bahn, er sieht das Glück.

 

Dem Fürst geziemt die Wachsamkeit.

Wär auch zu sehn nichts weit und breit,

und wär er müd, todmüde auch,

er spottete der Schläfer Hauch.

Er hält die Wacht, ihn schläfert nicht,

schaut´ auch der Tod ihm ins Gesicht.

 

Dem Fürst geziemt, nicht fällts ihm schwer,

zu wahren seiner Leute Ehr.

Und muss es sein, geht er verwegen

allein den Feinden auch entgegen,

Ob auch des Meeres Rachen dräut,

der Fürst kein Ungeheuer scheut.

2. Abschnitt: Der Traum des Rektors

(der Rektor auf dem Sofa schlafend. Auseinandersetzung mit dem Zähler als Riese, dessen Haupt in den Himmel wächst, so dass der Rektor noch höher hinauf muss. Einen Kopf über allen anderen. )

Dionysos: Nun ist´s genug. Er schläft. Wie sein Muskelspiel verrät, beginnt er bereits zu träumen!

Hermes: Und was willst du nun tun?

Dionysos: Pass auf! Gleich wird er sich erheben. Ruhe, mitten am Tag, ist für einen solchen Mann unmöglich, zumal in so angespannter Lage. Tätigkeit tut Not. Oder weißt du nicht, dass Macht ohnmächtig wird, sobald sie zu handeln verabsäumt? Wenn mich nicht alles täuscht, wird er nicht zögern, sein Ross zu besteigen, um sich in seiner Größe zu zeigen. Wie oft haben wir uns nicht schon die Physiognomien der Kleinen und Gemeinen, der Ausgestoßenen und der Schlucker angeschaut, noch nie aber haben wir die Physiognomie eines der Großen und Mächtigen aus nächster Nähe studiert.

Hermes: Deinen Vorschlag in Ehren, aber was anderes bringt uns das als die Erkenntnis, dass auch der Große nur ein kleiner Schlucker ist?

Dionysos: Da irrst du, Pompos. Die Physiognomie der Macht ist schon im Allgemeinen hochinteressant, insofern als sie stets in Begleitung einer Menge von Einbildungen einhergeht. Ist z.B. Wissen gefragt und sind Entscheidungen zu treffen, so ist ihr nichts selbstverständlicher als die Überzeugung, dass sie und nur sie sich im Besitz alles Wissens und Könnens befindet.

Hermes: Und auf diese Weise kommt es zu einem Neubeginn der Welt?

Dionysos: Man könnte einen solchen wohl gut gebrauchen; und dieses ist es gewiss auch, was seiner Exzellenz vorschwebt. Doch dass er einen solchen erreichte, davon kann nach allem, was wir bis jetzt erlebt haben, wohl nicht die Rede sein. Früher hat die Menschheit noch an einen ganz großen Neuanfang geglaubt. Die Geburt eines neugeborenen Herrschers sollte ihn möglich machen. Heute aber glaubt niemand mehr daran. Der Mensch kommt als Bestie zur Welt und verlässt als Bestie Welt. Die Idee, durch Erziehung die Welt von Grund auf zu verändern und ein goldenes Zeitalter heraufzuführen, ist zwar aller Ehren wert, doch das ist Utopie.

Hermes: Wie oft hat man nicht schon versucht, das Menschengeschlecht zu erziehen!

Dionysos: Was man erreichen kann, das ist die Ausrichtung aller auf ein uniformes Verhalten, dergestalt, dass jeder austauschbar ist und keiner am Ende mehr sich selber kennt. Kommt der Zeitpunkt, so werden wir seiner Exzellenz die Augen öffnen! - Doch sieh nur!

Rektor (sich erhebend und zum Ross schlafwandelnd): Verhasst ist mir ein jeder, der an meiner Macht zweifelt.

Dionysos: Da haben wir es! In ihm bäumt sich was auf!

Rektor: Hier bin noch immer ich Rektor!

Dionysos: Gewiss, Exzellenz! Niemand macht Ihnen den Rang streitig. (hilft ihm aufs Ross) Stets gebührt der Macht unser Respekt. – (zu Hermes) Ein Duckmäuser ist seine Exzellenz gewiss nicht; ein paar Nummern zu viel hat er sich aber doch ganz offenbar zugetraut. (zum Rektor) Sitzt seine Herrlichkeit jetzt gut? Oder will er noch höher hinaus?

Rektor: Wie hoch sitze ich?

Dionysos: O über alle Maße hoch.

Rektor: Und mein Name ist über allen Namen?“

Dionysos: O ganz unbedingt! Noch nie saßen Majestäten und Herrlichkeiten, Kaiser und Päpste, Könige und Kurfürsten so hoch zu Ross, dass sie nicht noch ein wenig höher hätten sitzen wollen. Andererseits aber muss man höhensicher und schwindelfrei sein, wenn man ganz hoch hinaus will.

Rektor: Und so sage ich euch! Wahrlich, wahrlich, August-Stark-universität wird man diese Universität nennen.

Dionysos: Und zwar nach dem besten aller ihrer Rektoren.

Rektor: Feixt mir nur nicht!

Dionysos: O Exzellenz! Wer auch dürfte sich erdreisten, zu feixen? (zu Hermes) Zuinnerst glaubt er noch nicht an sich. Noch ist er mit seiner Rolle nicht so verwachsen, dass ihm ununterscheidbar geworden wäre, was er nur spielt und was er in Wirklichkeit ist.

Hermes: Ämter und hohe Stellungen, sagte einmal ein gescheiter Mann, sind nichts anderes als ein tiefes Meer der Wirrsale.

Rektor: Wahrlich, wahrlich, das Lachen wird euch ganz schnell schon vergehen.

Dionysos: (zum Rektor) Recht so, Exzellenz! Nur nichts hinnehmen, nur nichts durchgehen lassen, nur nichts übersehen! Macht muss, will sie fest im Sattel sitzen, vor allem zu Beginn die Zügel fest in Händen haben. Und will sie sich gar an Wahrheiten heranwagen, die fernab liegen vom Verständnis des kleinen Mannes, so hat sie nichts so nötig wie einen unbeugsamen eisernen Willen und ein nicht minder starkes Durchsetzungsvermögen.

Rektor: Hier hinaus!

Dionysos: O Exzellenz, nur keine Angst! Seit alters haben mit dem Erscheinen von Majestäten stets auch Ehrfurcht und Hochachtung Einzug gehalten. Niemand hätte die allgemeine Begierde, sich zu unterwerfen, als Schmeichelei oder als Speichelleckerei verurteilt. Durch eben dieses Verhalten der Masse wurden die Großen ermutigt, die von ihnen geplanten Ziele Wirklichkeit werden zu lassen.

Hermes: Vielleicht aber sollten wir ihn auf seinem Ross noch etwas höher erheben? Was hältst du davon, Bromios?

Dionysos: Eine gute Idee.

Rektor: O, ihr Menschlein der Erde!

Hermes: Was sagt, was erschaut seine Exzellenz?

Rektor: Zu hoch bin ich, zu weit entfernt schon von allem. Nur noch etwas wie ein dumpfes Gemurmel kann ich vernehmen weit in der Ferne.

Hermes: Das ist der Strom der Welt.

Dionysos: Und doch, auch wenn ein Held weiß, dass er keine Chance hat, etwas zum Besseren zu verändern, so gibt er dennoch nicht auf. Wo Widerstände ihn in seinem Siegeszug zu hindern suchen, weiß er sie zu überwinden, wo Mauern und Bollwerke ihm entgegenstehen, weiß er sie niederzureißen, wo Urwälder den Durchgang sperren, Schneisen zu schlagen und Passagen zu eröffnen; und nichts ist, vor dem er zurückschreckt, und sei es auch das Unmögliche selber.

3. Abschnitt: Des Rektors Erwachen

Rektor (erwachend): Zu Hilfe! Zu Hilfe!

Hermes: Gib Acht! Er erwacht.

Dionysos: Mein Herr!

Rektor: Wo bin ich?

Dionysos: Hoch zu Ross!

Rektor: Wer hat mir geholfen, hier herauf?

Dionysos: Wer als der Mächtige wäre dazu in der Lage? Exzellenz ist selber hinaufgestiegen!

Rektor: Ich, ganz allein?

Dionysos: Das ist nun einmal unentrinnbares Gesetz, dass der Mächtige das hohe Ross besteigt, um von dort aus den Erdkreis zu beherrschen.

Rektor: Mein Herr, Sie spotten! Helfen Sie mir von dem Ungetüm! Ich will es nie mehr besteigen.

(Der Rektor steigt unter Mithilfe der Götter vom Ross.)

Dionysos: Zu hoch sollte man freilich nicht hinaus wollen. Das wussten schon die Alten. Im Übrigen sind es die bestimmen, bis wie hoch hinauf man muss! Da ist alles sonstige Gerede von Maß und Mitte umsonst.

Rektor: In Demut Kartoffeln mit Käse verzehren und Milch dazu trinken ist besser, als dem Hang des Herzens zuwider in hohen Lüften zu gaukeln und eine Macht zur Schau stellen, die einen nur lächerlich macht.

Dionysos: O Exzellenz. Denken Sie nur ja nicht, dass es andere besser könnten! Allein schon die Tatsache, dass Sie als erster die Reform der Erziehung für nötig erachtet und in Angriff genommen haben, steht uns dafür.

Rektor: Ein erstes Zeichen zu setzen, war nötig. Auch stünde mir klar vor Augen, was zu tun wäre. Doch ich schaffe es nicht. - Überhaupt, wo ist mein Kanzler?

Dionysos: Er ist draußen bei Ihrem Forschungsminister und wird, wie es scheint, sehr gebraucht.

Rektor: Will man den Erdkreis in seine Gewalt bringen, so braucht man allerdings mehr als einen oder zwei Mitkämpfer. Viele, ja unendlich viele erprobte Kämpfer braucht man da, zuverlässige, eingeschworene Mitstreiter überall auf der weiten Erde, Freunde und Kampfgenossen auf Leben und Tod. Ich aber habe außer dem Kanzler keinen Kampfgenossen. Und, wer weiß, vielleicht hätte ich auch den Kanzler nicht, wenn er nicht auf meine Gunst angewiesen wäre. Und doch still! Nur still! Erlauben wir uns nicht, uns daran zu erinnern, auf wen alles wir uns nicht verlassen können! Erlauben wir uns nicht die Litaneien des Bösen, wie wahr sie auch sein mögen, weil sie uns hindern an der Besorgung unserer Aufgaben!

Dionysos: Macht kann sich weder das Wissen noch auch nur die Ahnung erlauben, sich nicht auf jedermann verlassen zu können. Hier muss die Macht von ihren Mitteln Gebrauch machen. Denn unbestreitbar schlecht ist doch, wenn man sich eine große Aufgabe vorgenommen hat und dann plötzlich einsehen muss, dass einem Personal und Mittel dazu fehlen.

Rektor: Wenn mir wenigstens genügend Machtmittel zur Hand wären. Aber diese sind in anderen Händen.

Dionysos: Hat Exzellenz nicht selber in seinem Buch angedeutet, das dann eben ein Ermächtigungsgesetz her muss?

Rektor: Aber selbst alles das reicht noch nicht aus. Kann der Teufel wirklich nur durch Beelzebub ausgetrieben werden, o dann ist der Erdkreis des Teufels.

Dionysos: Ihnen muss geträumt haben.

Rektor: Ja, ich muss geträumt haben, eine höhere unbegreifliche Macht stünde mir zur Seite. Zuerst nur ein paar, vielleicht nur ein paar Studenten; dann mehrere Studenten und Jugendliche; dann viele, Millionen; ja, dass alle Menschen auf dem weiten Erdenrund sich erhöben und zusammen träten, um die Zahlen zu verfluchen. Ab sofort wäre zwei mal zwei nicht mehr vier; und wer es weiterhin behauptete, würde aus der Gemeinschaft der Menschen ausgeschlossen werden.

Dionysos: Als die Weisheit auf Gottes Schöpferschoß kletterte, um mit ihm die Welt zu entwerfen, brauchten sie auch noch keine Zahlen.

Rektor: Doch dann kam plötzlich alles ganz anders. Ich war auf Erkundigung ausgeritten, ich, ganz allein, und schaute hinaus aufs Meer. Keiner war neben mir; keiner auch nur in meiner Nähe, außer meinem Ross. Dieses aber stand da, unbeweglich wie aus Erz gegossen und rührte sich nicht. Nur das Meer war in Bewegung. Ruhelos geschäftig wie am ersten Tag schickte es seine Wogen zum Strand, eine Front nach der andern. Wie eine Herde von Lämmern oder Schafen, die weit draußen gegrast hatten, nun aber, da der Abend naht, von den Hunden der Hirten herbeigeholt werden, schienen sie auf uns zuzukommen, Schar um Schar und Front um Front , als kämen sie über einen Wiesenabhang und drängten herab zu den Ställen. Wir aber standen da, ich und mein Pferd, ohne das Auge von diesem Schauspiel zu wenden und erwarteten ihre Ankunft. Erst mit dem Näherkommen, als alle die hellleuchtenden Punkte Ausdehnung und Konturen gewannen und die See zu brausen und tosen begann, als brächten sie in der Tiefe gewaltige Feuer zum Kochen, merkte ich, dass sich alles ganz anders verhielt. Und was ich zuvor noch als eine zahme Herde mit weißschimmerndem Vlies glaubte ausgemacht zu haben, die hüpfend und tanzend uns entgegenkamen, entpuppte sich als Lug und Trug und Täuschung im glitzernden Abendlicht. Und eine Meute von Bestien eilte heran, mit giftiger Gischt und Schaum zwischen den Zähnen: Ungeheuer der Zerstörung, Hydren von nie gesehener Größe, Giganten der Zermalmung und der Vernichtung, allesamt bereit, wenn sie erst das Ufer erreicht hätten, auf uns loszustürzen und uns zu verschlingen.

Gegen sie aber anzukämpfen war aussichtslos. Denn hätte man sich auch nur mit einem einzelnen von ihnen eingelassen, man im nächsten Augenblick schon mit einem Dutzend derselben hätte zu kämpfen gehabt. Nun aber merkte ich, dass ich allein war. Keine noch so kleine Schar war da, auf die ich mich hätte verlassen können; kein einziger Mann, der mich unterstützt hätte. Und hatte ich bis dahin im Stillen noch auf mein Ross gesetzt ja im Stillen gejauchzt, weil ich seine Unbeweglichkeit für stoische Gelassenheit, seine Gelassenheit für heldenhaften Gleichmut und seinen Gleichmut für ein Zeichen der Unerschütterlichkeit seines Herzens gehalten, so dachte ich jetzt nur noch an Flucht. Dafür aber war es bereits zu spät. Wenn ich das auch nicht wahrhaben wollte, mein Ross schien das zu wissen. Denn ob ich auch auf es einschlug, so bewegte es sich doch nicht von der Stelle, nicht einmal einen Schritt weit. Endlich, in meiner Not, gab ich ihm die Sporen und zwar so heftig, dass sich meine Füße in seine Flanken eingruben. Da nun wich es aus und wuchs mit mir nach oben. Doch die Wogen waren noch höher. Ich schrie, doch wie sehr ich ihm auch zuschrie und wir uns Mühe gaben, so konnten wir die erforderliche Höhe doch nicht mehr erreichen. Bereits hatten die Wogen uns ereilt, uns unter sich zu begraben: da wachte ich auf.

Dionysos: Und was hat es mit diesem Traum auf sich, mit dieser Meute wilder Tiere bei der Apokalypse des Grauens?

Rektor: Was es damit auf sich hat? O ich wusste gleich, woran ich war. Natürlich hatte ich es zuvor schon gewusst. Ich war ja angetreten, Abhilfe zu schaffen. Nun aber dämmerte mir, dass ich es nicht schaffen würde. Oder wie kann man alle dem wehren, all diesen vom Menschen heraufbeschworenen Katastrophen, wenn man keine Macht hat? Es genügt ja nicht, kein Uran mehr abzubauen, um keine Brennstäbe oder Bomben mehr herzustellen. Noch weniger ist es möglich, keine Flugzeuge mehr fliegen zu lassen oder das Abholzen der Urwälder einzustellen, wenn man dort Pflanzen anbauen kann, aus denen man Sprit herstellt, das Geld bringt. Doch lassen Sie mich nicht all die Gefahren nennen, die durch den Menschen in den letzten 200 Jahren heraufbeschworen. Genug, dass keiner ihnen wehren kann! Machen wir uns nichts vor! Die Bestie Mensch, und wäre sie eben erst aus dem Schoß der Mutter gekommen, ist keineswegs so formbar, wie wir es gerne hätten. Bei Licht besehen müsste man die Natur des Menschen immer zuerst mit Prügeln totschlagen, um ihn dann erneut zum Leben zu erwecken und ihn zu dem gewünschten Zweck abzurichten! Was aber die Wissenschaften angeht, so haben sie uns nicht nur neue Weisen des Untergangs ermöglicht, sie sind auch bald in der Lage, uns anzugeben, wann und woran und auf welche Weise wir zugrunde gehen.

4. Abschnitt: Die Hausmeister

(Hermes kommt mit den zwei gesichtslosen Hausmeistern)

Dionysos: Lassen Sie uns noch zwei Exemplare vorführen, die ein eingehendes Studium wert sind, nicht zuletzt auch auf dem Weg in die Zukunft! Was sagen Sie zu diesen beiden gehäuteten, gesichtslosen Gesellen? Nachdem sich diese erfrecht hatten, den Wein aus dem Krug des Rektors auszusaufen, hat sie die Reue eingeholt. Darauf sind sie zur Buße freiwillig in den Käfig gegangen, wo wir sie aufgefunden haben! Nun, was sagen Sie, Exzellenz? Stehen die Herren nicht stramm da, nach ihren Exerzitien? Und hätten sie zuvor noch ausgesehen wie zwei Freiheitshelden aus dem Hotzenwald, so erinnern sie uns jetzt in ihrer tadellosen Harmlosigkeit an ein liebes Stück Schweizerkäse. Genieren Sie sich nur nicht! Denn wenn es auch unanständig sein mag, einem mitten ins Gesicht zu schauen, so darf man das bei diesen ehrenwerten Männern durchaus tun! Man meint zwar, es würde noch etwas leben, doch da ist nur noch eine Maske. Was von der einstigen Physiognomie noch vorhanden ist, ist kaum mehr der Rede wert: Eine Öffnung oder Klappe, der Rest des einstigen Munds, nach Art eines Briefkastens oder Aschenbechers oder Dreckeimers, ohne alle Falten zum Lachen, Spötteln oder Verachten; von den Augen nur noch eine weiße sprachlose Fläche in der Tiefe der Augenhöhlen, die von keiner Kritik mehr gequält und von keinem Argwohn zerfressen werden kann; von der Nase, die zuvor an eine hochfahrende Adlernase oder an eine Banditennase erinnern mochte und rüstig war beim Ausschnüffeln von Wertgegenständen, wird nun nichts mehr auf einen Krug hinweisen, der auszusaufen wäre, so gänzlich glattgeschliffen ist sie. Natürlich könnte der eine und andere dieser zur terra incognita oder deserta gewordenen Herren noch Groll und Unmut im Innern hegen, doch bringt er ihn nicht mehr zum Ausdruck; sehr rasch ja stirbt das Vermögen ab, fehlt es ihm an Ausdrucksmöglichkeiten, und Lug und Trug und List und Täuschung sind von nun an nicht mehr möglich. Gesichtslos und unpersönlich werden die Herren von nun an zur Verfügung stehen, ähnlich wie geduldig abgerichtete Esel oder wie Robotermaschinen, deren man sich bei allen möglichen Gelegenheiten bedient.

Schnaufer: Da hast du´s, Kümmerle! Jetzt werden wir vorgeführt; und das

nur, weil du dich nicht beherrschen konntest.

Kümmerle: Ist mir doch egal!

Schnaufer: Dabei wolltest du ein Philosoph sein, der sich zu beherrschen weiß.

Kümmerle: Und mag man uns auch ins Naturkundemuseum bringen, ich werde es stoisch erdulden. Wart es nur ab!

Rektor: Wer von den beiden ist nun der Kümmerle und wer der Schnaufer?

Dionysos: Gebt Antwort, wenn ihr etwas gefragt seid!

Schnaufer: Ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Und du?

Kümmerle: Ich auch nicht.

Dionysos: Das ist doch der Knollfink Kümmerle! Gibs nur zu!

Kümmerle: Ich bin der Kümmerle oder das, was von mir an Kümmernissen noch übrig ist.

Rektor: Und du?

Schnaufer: Wenn er der Kümmerle ist, bleibt für mich nur noch der Schnaufer übrig.

Dionysos: Schubiack Schnaufer, Exzellenz!

Rektor: Es ist gut.

Dionysos: Lassen Sie uns doch noch geschwind anhand von ein paar kleineren Experimenten zeigen, wie vielseitig verwendbar diese Exemplare sind! - Streckt die Zunge heraus! – Nun? Sind das nicht zufriedene Zungen? Oder sehen Sie einen Unterschied von Mann zu Mann? Bis auf den Tonus, der hier freilich schon bis ins Verkrampfte reicht, uns aber auch von Haushunden her bekannt ist, natürlich nicht. Hier haben wir ja auch gar keine Männer mehr. Alles ist sauber dehominisiert! Oder haben Sie Bedenken, etwa weil die Herren noch immer die Stirne runzeln oder die Mundwinkel nach unten ziehen können? O passen Sie auf, wie bedeutungslos das ist! Los, verzieht die Mundwinkel zu einer Trauerschnauze!

Kümmerle: Wie macht man das?

Dionysos: Was? Will er mir widersprechen? Bedarfs noch der Peitsche?

Schnaufer: Er bat ja nur um eine kleine Hilfestellung.

Dionysos: O, du einfältiges Mondgesicht! Dann sag eben leise „I“ vor dich hin, ein langgedehntes „I“ und denk, du bist ein Esel, der nicht mehr I-ah sagen kann! Vielleicht stimmt das traurig.

(beide probieren es)

Schnaufer (dabei): O, Kümmerle? Wenn du dich sehen könntest, würdest du feststellen, dass auch du jetzt ein einfältiges Mondgesicht hast.

Kümmerle: Denk an was Schlimmeres!

Schnaufer: Was soll das sein?

Kümmerle: Erbärmlich ist nicht, wer Erbärmliches tut, nur, wer erbärmlich von sich denkt.

Dionysos: Sollen das Trauergesichter sein? Das ist ja zum Lachen!

Schnaufer: Mehr Trauer kann ich aus mir nicht herausholen, wiewohl mir so trüb zumut ist, dass ich meine, die ganze Welt könnte in meiner Trauer ertrinken.

Dionysos: Was sagen Sie dazu, Exzellenz? Werden Sie traurig beim Betrachten? - Keineswegs! Doch nehmen wir zur Probe noch den konträren Fall! - Zeigt Fröhlichkeit! Zieht die Mundwinkel hinauf bis zu den Ohren! Denkt, ihr hättet eure Peiniger umgebracht! –Nun, was sagt eure Exzellenz? Ist da noch ein Unterschied zum Grinsen eines Zieräffchen? Oder kommt da auch nur ein Gran von Freude und Lachlust auf? – Erwartet man Trauer, überkommt einen das Lachen. Und hofft man auf ein Lachen, dann kommt einem das Weinen. Sagen Sie nun selbst! Gibt es eine bessere Verkörperung des tadellosen, vielseitig verwendbaren Menschen der Zukunft als diese Bestien? Gewiss sind diese nackten Gesichter nicht ohne eine gewisse Angewöhnung zu goutieren. Manchen mögen sich gar vor ihnen ekeln und sie für so unausstehlich halten, wenn sie so nackt und kahl vor ihnen stehen. Hat man sich aber nur erst einmal an sie gewöhnt, so kann man sie bequem als Vertreter eines Kollektivs halten, welchem man alle individuellen Eigenheiten abgewöhnt und ausgetrieben hat, so dass sie nur noch dem Allgemeinwohl leben.

Rektor: Ich wollte nie die Herrschaft haben über Ochsen und Esel.

Dionysos: O, Exzellenz, sagen Sie nichts gegen Ochsen, zumal wenn man sie kultiviert hat! Ein mit seinem Schicksal zufriedener Ochse ist mir hundertmal lieber als ein unglücklicher Zuchtbulle. Vom geduldig gepeitschten Ochsen kann man Brüderlichkeit erwarten, nicht aber vom brünstigen Stier. Ja, vom geduldig gewordenen Ochsen , und mag er noch so verstümmelt sein, droht der Welt keine Gefahr, wohl aber von den überzüchteten Bullen.

Schnaufer: Ich schäme mich, Kümmerle.

Kümmerle: Ich nicht. Wer kein Gesicht mehr zu tragen hat, hat auch keine Verantwortung mehr zu tragen. Solang ich nicht sehe, was geschieht, geschieht auch nichts. Jawohl, ich bin froh, dass ich mir niemanden ansehen muss. So kann ich mich in der Illusion wiegen, als sähe mich keiner.

Dionysos: Hier lässt sich studieren, wie sich zusammen leben lässt, wenn wir erst einmal Angst und Missmut und Kleinheit und Gemeinheit und Feigheit losgeworden sind. Ja, das scheint uns eine der Vorbedingungen zu sein, ohne die eine Welt in Bälde schon nicht mehr sein kann. Schaff dir ein zahlreiches Volk an und zieh ihm das Gesicht ab; dann bau dir eine Mauer um dein Reich, auf dass dir niemand mehr entwischen kann und lass dir von deinen Leuten gigantische Wolkenkratzer mit babylonischen Türmen errichten, wie sie sonst nirgends ihresgleichen haben. Vergiss dann auch nicht, deine Leute stolz darauf zu machen, dass dies ihr Werk sei! Doch lass keinen heraus. Der Anfang aller Weisheit ist die Furcht des Herrn, die, wie gesagt, nur dann gelingt, wenn jedem das Gesicht abgezogen wird oder, noch besser, wenn sich jeder das Gesicht selber abzieht. Dann und nur dann hast du keine missmutigen Untertanen, wenn niemand Verhältnisse außerhalb deines Landes zum Vergleich mit heranzieht. Ja Gleichheit und Brüderlichkeit werden möglich, indem du alle Gesichter-schneiderei ein für alle Mal unmöglich machst. Und lässt du vollends dein Volk um einen Hungerlohn arbeiten, d.h. billiger als überall sonst wo in der Welt gearbeitet wird, dann kannst du sicher sein, dass in Bälde auch alle Macht der Welt in deiner Hand liegt.

Und eines noch. Urteilen Sie nicht zu rasch! Vergessen Sie bitte auch nicht, dass diesen Leuten bei der Häutung durchaus auch einiges zugute kommt. Jedenfalls müssen sich diese Leute keine Gedanken mehr machen, welchen Weg sie einschlagen sollen. Ohne sich jemals mehr um ihr Glück bekümmern zu müssen, haben sie ein Gleichgewicht gefunden.

Rektor: Macht dem Spuk ein Ende! Ich mag die widerlichen Gesellen nicht länger ansehen.

Dionysos: Habt ihr nicht gehört? Marsch ab mit euch! Ab in den Karzer! (sie zur Türe hinaus geleitend)

5. Abschnitt: Die Hilfe der Götter

(Der Kanzler Korpus kommt zurück.Dionys und Hermes übernehmen die Regie über den Wagen und versprechen, denselben in Kürze startklar zu machen.)

Kanzler: ( kommt außer Atem): O Exzellenz!

Rektor: Was bringen Sie, Kanzler?

Kanzler: Nichts Gutes! Der Tumult ist kaum zu beschwichtigen. Zuerst sind es die Fächer, die unzufrieden sind und sich falsch beurteilt vorkommen unter dem Fallbeil der Evaluation. Sodann aber sind es auch die Studenten, die sich mit den durchgefallenen Examenskandidaten solidarisieren und ein Geschrei erheben; und endlich sind es nun auch noch die Theologen, die mit ihren Strohmatten für Unruhe sorgen. Alle drängen sich um den Wagen, als wär´s eine Burg, die erobert werden soll. - Zum Glück ist es bereits so dunkel geworden, dass man vom Zähler nichts mehr sieht, wenn man nicht ganz dicht davor steht.

Rektor: Und warum grölt dann die Menge, wenn sie nichts sieht?

Kanzler: Nur wenn sie grölt, scheint sie zu merken, dass sie da ist.

Rektor: Wären es Freudenschreie, man könnte sie hinnehmen!

Kanzler: Immerhin aber bleibt uns noch der große Trumpf, ja der große Triumph Ihres Buchs! Ich habe Frau Lamm den Auftrag erteilt, es ganz in Goldpapier einzukleiden.

Rektor: Mein Buch?

Kanzler: Was für ein Augenblick, wenn wir es auf den Wagen legen!

Rektor: Und dann schlägt man es auf und alle Blätter sind weiß; oder es erweist sich auf andere Weise als wertlos.

Kanzler: Das könnte nur sein, wenn der Teufel seine Hand mit im Spiel hätte.

Rektor: O, da bedarf es keines Teufels. Die besten Vorschläge taugen nichts, wenn man sie sabotiert.

(Steine fliegen gegen das Fenster)

Rektor: Da haben wir es. Das Ende vom Lied!

Dionysos: Wenn Exzellenz gestatten, nehmen wir uns der Sache an.

Rektor: Trauen sich die Herren zu, bei der Dunkelheit Ordnung zu schaffen?

Dionysos: Was die Dunkelheit angeht, so braucht sich Exzellenz keine Sorgen zu machen. Wir sind Nachtarbeit gewohnt.

Hermes: Durch die engsten Ritzen und Spalte wissen wir uns zu drängen, und die unterirdischen Schluchten und Gänge durchfliegen wir noch sicherer als eine Fledermaus.

Dionysos: Und was unsere Macht und unsere Mittel anbelangt, so denken Sie nur an Ihre beiden Hausmeister, die wir Ihnen doch gewiss nicht schlecht abgerichtet und präpariert haben!

Rektor: Dann gehen Sie, wenn Sie noch einen Rat wissen!

Kanzler: Ist das nicht ein gefährliches Spiel?

Rektor: Was bleibt einem übrig, wenn alle rationalen Mittel versagen?

Dionysos: Exzellenz hat ja Recht.

Hermes: Denken Sie nur ja nicht an einen infantilen Regress! Exzellenz weiß, was zu tun ist.

Dionysos: Selbst mit dem Teufel hat die Macht noch nie einen Pakt gescheut! Komm Bromios! (mit Dionysos ab)

12. Kapitel: Letzte Vorbereitungen

(Letzte Vorbereitungen, ehe der Festwagen auf die Reise geschickt wird.)

1. Abschnitt: Nach draußen

(Hermes und Dionysos treten nach draußen.)

Hermes: Und nun?

Dionysos: Nun lass uns zusehen, was sich da draußen tut und wie wir seiner Exzellenz noch einen spektakulären Abgang inszenieren!

Hermes: Und dann in den Fluss mit dieser ganzen Affenbande!

Dionysos: Auf in den Styx. Und die Tore dicht hinter ihr zugemacht!

2. Abschnitt: Die Strohmatten

(Die Studenten mit den Teppichen und Prof. Richter, der sich hervortut als Aufseher und Richter)

Richter: Willst du deine Finger wegnehmen, du Flegel?

Tölpel: Ich denke nicht daran! Solange die Labormäntel aus der Chemie mitreisen, dürfen auch unsere Matten mitreisen.

Richter: Das werden wir ja sehen!

Ein alter Philosoph: Wer ist das, der sich da so energisch hervortut?

Erste Dozentin: Das ist unser Daniel! Daniel Tölpel!

Ein alter Philosoph: Ein junger Schlachtengott könnte kaum herrlicher erscheinen!

Erste Dozentin: Dabei hätten Sie ihn noch heute Morgen sehen sollen. Da war er noch kaum mehr als ein Häufchen Elend. Jetzt aber hat sein Leben einen Sinn. Jetzt weiß er endlich, wofür er sich einbringen und wozu er kämpfen kann! Ist es nicht so, Daniel?

Tölpel: Aufzuwarten!

Richter: Sieht so einer aus, der glaubt, streiken zu müssen?

Tölpel: Die Frage werden Sie selber beantworten, sobald wir den Prozess zum Aktenschluss gebracht haben.

Zweite Dozentin: Wie geistig wach er ist! Wie couragiert er herausgibt!

Ein alter Philosoph: Selbst dem großen Mann gegenüber weiß er die Waffen zu gebrauchen.

Richter: Und es bleibt dabei! Die Sachen kommen herunter. Und wenn ich´s allein besorge! (er reißt die Teppiche vom Wagen)

Tölpel: Ich aber sage: die bleiben droben! Und die kommen noch dazu herauf! Nicht umsonst wollen wir uns angestrengt haben, Strohmatten für das goldene Zeitalter herzustellen!

Dionysos: Mit Strohmatten erreicht man kein goldenes Zeitalter.

Tölpel: Wir hätten auch Schwerter in Pflugscharen verwandelt und Atombomber in Kerzen.

Erste Dozentin: Meine Damen und Herren, könnte es nicht auch sein, dass Freund Tölpel neben seinem Gelehrtenkummer auch ein wenig an Liebeskummer leidet?

Tölpel: Ich leide an gar nichts.

Erste Dozentin: So lass mich doch aussprechen! Sei doch nicht gleich so widerspenstig, wenn ich es gut mit dir meine. Denk daran, dass selbst der große Faust an der Liebe gelitten hat.

Zweite Dozentin: Komm jetzt, Daniel. Eine kleine Verschnaufpause wird dir gut tun.

Tölpel: Erst als Besiegter geb ich auf.

Richter: Los, geh schon zu deiner Mama!

Tölpel: Als ob wir nicht wüssten, was wir von der Psychologie zu halten haben! Für niemand taugt sie so trefflich wie für die Zu-kurz-gekommenen. Gerade unter den Emporkömmlingen, die glauben, bei der Mutter Kirche keinen Platz mehr zu finden, ist sie zu Haus; unter denen, die es drängt, den Beweis zu führen, dass sie zu etwas ganz Besonderem da sind. Um aber nicht in den Predigerton zu verfallen, teil ich nur die Folgerung daraus mit: dass nämlich ein Psychologe einer ist, der nicht zu leben versteht. Wer zu leben versteht, hält vor sich selbst Diskretion. Er fragt sich nicht immer wieder, wer er ist, und schon gar nicht klettert er auf einen Wagen und protzt und spreizt sich, weil er weiß, wie lächerlich er dadurch würde! Doch freilich, wie auch sollte sich der Herr als klein und lächerlich durchschauen? wo er als ein mit vielen Titeln und Ehrenzeichen geschmückter Großprofessor agiert, was ihm den Zugang zu sich verstellt! Unmöglich, dass er es fertig brächte, unter seinem verbrämten Ornat seine wahre Natur zu entdecken!

Richter: Mein Herr, ihre Beleidigungen bin ich satt. Lassen Sie mich in Ruhe oder ich hole die Polizei.

Tölpel: Ja bitte, holen Sie nur die Polizei!

Randalow: Wenn der Rektor meine Petition nicht entgegennimmt, spreng ich den Wagen in die Luft! (zu Dionysos, der nebenan steht) Glauben Sie mir nicht?

Dionysos: Das wird er hübsch bleiben lassen!

Ein anderer Student: Wenn der Randalow die Welt nicht in die Luft sprengt, so ist es ein anderer. Aber einer wird es auf jeden Fall tun.

Zweite Dozentin: Komm her zu uns! Komm schon! Denk daran, der Klügere gibt nach!

Erste Dozentin: Tu es uns zu Liebe!

Tölpel: Aber nachher sehen wir weiter.

Erste Dozentin: Aber sicher. Nachher sehen wir weiter.

Richter: Nachher sollst du dein blaues Wunder erleben!

Tölpel: Dabei ist die Theologie tausendmal wichtiger als seine eingebildete

Psychologie.

Erste Dozentin: Beruhige dich nur.

Tölpel: Geht die Psychologie zugrunde und krepieren mit ihr auch alle

Naturwissenschaften und alle Technik, so haben wir noch immer die Welt

des lieben Gottes. Geht aber die Welt des lieben Gottes zugrunde, was haben

wir dann noch?

Erste Dozentin: Brav so, Daniel! Ist´s nicht komisch? Wenn ich ihn sehe, denk ich immer an Daniel in der Löwengrube.

Tölpel: Komm, Lämmler, denen zeigen wir´s. Da lassen wir nicht locker.

Der alte Philosoph: Die Betreuung durch Damen tut dem Kleinen mächtig gut. Sie stählt ihm den Mut.

Hermes: (zu Dionysos) Und was sollen wir nun tun, du Retter des Menschengeschlechtes? Uns ins Schlachtgetümmel stürzen um einer Schadensbegrenzung willen, die man sich selbstherrlich eingebrockt hat? Ich ziehe den Frieden vor.

Dionysos: Warte ab! Die Vorsehung wird uns schon noch rechtzeitig einen Fingerzeig geben!

Alle Studenten: Alle Teppiche auf den Wagen!

Richter: Ich warne euch!

Einer der Studenten: Wie der sich aufspielt! Dabei geht es ihm gar nicht um unsere Sachen, nur um seine Person.

Anderer Student: Er meint wohl, die Welt sähe anders aus, wenn er nicht zur Welt gekommen wäre?

Wieder ein anderer: Jedenfalls führt er sich so auf.

Student: Lassen wir uns das gefallen! Auf! Alle Teppiche auf den Wagen!

Alle Studenten: Alle Teppiche auf den Wagen!

Richter: Ein letztes Mal warne ich euch. Und an Sie, Herr Dekan, richte ich meine dringende Bitte! Nutzen Sie Ihr Amt als Dekan und helfen Sie, Ihre Studenten zu mäßigen und schütten Sie nicht noch Öl ins Feuer! Sie beschädigen sonst nicht nur Ihr Amt!

Dekan: Ich habe mich bis jetzt noch nicht eingemischt.

Richter: Ich warne Sie! Nichteinmischung kann auch eine Einmischung sein.

Student: An ihm liegt es doch. Entweder die Teppiche reisen mit oder wir erklären ihm den heiligen Krieg!

Dekan: Im Übrigen, Herr Kollege Richter, ist die Idee der Herstellung dieser Matten weder von mir ausgegangen, noch auch hat man sich mit mir verabredet. Doch kommt!

Studenten: Niemals.

Dekan: Kommt, hab ich gesagt!

3. Abschnitt: Beiträge der Physik

(Wieseler von der Physik bringt seine Sachen)

Richter: (zu Wieseler): Was suchen denn Sie noch hier? Hat der Herr Rektor Ihnen nicht bereits abschlägigen Bescheid erteilt?

Wieseler: Ich weiß, dass uns der Herr Rektor nicht leiden kann. Doch hat das mit dem objektiven Befund unserer Forschungsarbeiten nicht das mindeste zu tun.

Richter: O doch, sehr viel sogar!

Wieseler: Wenn Sie meinen, ich lasse mich dadurch stören, so irren Sie gewaltig.

Richter: Sie wissen, dass Sie als Vertreter des Mittelbaus nur im Verein mit einem Professor zur Forschung berechtigt sind.

Wieseler: Da mich das Schicksal nur für eine bescheidene Laufbahn vorgesehen hat, so sage ich nichts als eine bescheidene Wahrheit, wenn ich sage, dass ich nicht nur zum akademischen Mittelbau gehöre, sondern dass die Früchte des Geistes reifen oder nicht reifen, einerlei, ob man sich Professor nennt oder akademischer Rat oder Kapitän der preußischen Infanterie. Es wäre auch ein kapitaler Fehler, aus dem Umstand meiner akademischen Ratsexistenz folgern zu wollen, dass ich es aufgegeben hätte, das Beste aus mir zu machen. Nach diesem Vorwort bring ich hiermit meine exzellenten Forschungsergebnisse aus dem Fach Physik.

Richter: Diese Eimer da? Die sind keinen halben Euro wert.

Wieseler: Ich habe nie bezweifelt, dass Sie den Wert eines Eimers abzuschätzen vermögen, mein Herr. Was uns indessen interessiert, das sind die Versuche, die man mit den Eimern machen kann. Doch das ist etwas zu hoch für ihn, und das ist ja auch gut so. Was er aber wissen sollte, das ist, dass wir niemanden brauchen, der uns sagt, was unsere Arbeiten wert sind, wenn er nichts von unserem Fach versteht.

Richter: Werden Sie nur nicht noch frech!

Wieseler: Was hat die Wahrheit mit „frech“ zu tun?

Richter: Gehen Sie!

Wieseler: Ich denke nicht daran.

Richter: Dass das nur kein Disziplinarverfahren nach sich zieht.

Wieseler: Nur zu! Nur zu!

Richter: Ja, zum Teufel, wer eigentlich bestimmt hier, was auf den Wagen soll? Frau Sonnentau oder Herr Wieseler oder ich, der Vorsitzende des Forschungsausschusses?

Wieseler: Und wie bestimmen Sie? Indem Sie die Gefälligkeit des Gesichts abschätzen oder würfeln oder zum hl. Antonius beten?

Richter: Ich habe Kriterien, das mag für Sie genug sein.

Wieseler: Lassen Sie mich zumindest exemplarisch anhand dieses Plastikschälchens sagen, was ein Kind als Ursache eines schwimmenden Bootes zu begreifen vermag. Zuvor aber muss ich darauf hinweisen, dass die Pädagogen nicht wissen, was sie da sagen, wenn sie behaupten, man müsse dem Kind alles fachwissenschaftlich korrekt vermitteln. So kann nur einer sagen, der weder von der kindlichen Entwicklung noch von der Physik etwas versteht. - Zuerst einmal sollte ein Boot nicht schwer in der Hand der Kleinen liegen. Wir reden dann von den leichten Booten, zu denen später dann noch die schweren Boote hinzukommen. Ein solches leichtes Boot lassen wir in Wasser schwimmen und geben Acht, wie tief es ins Wasser eintaucht. Dann füllen wir in das leichte Boot Wasser hinein und vergleichen den Wasserstand innen und außen. Beim leichten Boot stellen wir dann fest, dass das Wasser im Boot und außerhalb des Bootes etwa gleich hoch steht. Bei einem schweren Boot ist das selbstverständlich ganz anders. Da drängt ja das Wasser von außen ins Boot hinein, steht also draußen viel höher.

Richter: (der anderes tat) Genug, mein Herr! Es ist genug! Das interessiert nicht weiter. Und damit Sie nicht meinen, unsereins könnte Ihnen nicht folgen, so sag ich Ihnen, dass alle die von Ihnen erarbeiteten Gesetze für die Kinder nur auf den Bereich der Spielsachen bezogen bleiben, also für sie nichts zu tun haben mit den Ozeandampfer und der Welt der Erwachsenen, wo vielleicht schon ein Kapitän genügt.

Wieseler: Ganz recht, mein Herr. Doch ist das kein Gegenargument gegen meine Forschung.

Richter: Dass Sie, mein Herr, um kein Wort verlegen sind, wissen wir bereits. Und das wären Sie wohl auch nicht, wenn Sie noch nicht einmal den ersten Buchstaben vom ABC kennten.

Wieseler: Wie sollte mich auch? Da würde mich zumindest trösten, dass Sie, mein Herr, wissen, welcher Buchstabe nach Z kommt!

4. Abschnitt: Beiträge der deutschen Philologie

(Zwei Professoren des Fachs Deutsch, gefolgt vom ewigen Studenten Wetter, der sein Fahrrad neben sich herschiebt)

Richter: Aber da sehe ich zum Glück die Kollegen des Faches Deutsch auf mich zukommen. Wie ich weiß, kommen sie mit einer Sammelarbeit zum modernen Theater.

Der Fachsprecher Deutsch: Herr Kollege Deutsch! Herr Kollege Eilein!

Richter: Nun, meine Herren? Darf man Sie beglückwünschen? Ist es fertig geworden, das von aller Welt lange ersehnte Meisterwerk? (er nimmt die Arbeit entgegen und legt sie auf den Wagen; dann steht er abwartend vor der Zähluhr.)

Deutsch: Es ist wirklich ein wundervolles Buch geworden, haben wir doch nur die allerbedeutendsten Arbeiten in unserer Arbeit berücksichtigt.

Wetter: Das wäre ja noch schöner, wenn jeder Hergelaufene sein Machwerk dazu legen könnte! Nicht einmal wenn er der Freund oder Bruder der beiden Professoren wäre, bestände da eine Lesepflicht.

Eilein: Der Zähler muss schon ganz schön durchdacht sein, will er die Qualität unseres Buches ermessen!

Wetter: Bislang jedenfalls sagt er noch nichts.

Deutsch: Was kann er anderes sagen, sobald er gesehen hat, als dass er gesehen hat, dass alles sehr gut geworden ist?

Wetter: Oder er taugt nichts, wie Prof. Eilein sehr treffend bemerkte!

Richter: Was lange währt wird endlich gut!

Deutsch: Ist immer noch nichts zu sehen?

Richter: Der Zeiger befindet sich noch unter Verschluss.

Eilein: Vermutlich braucht das Zählwerk bei so bedeutenden Arbeiten etwas mehr Zeit. Das ist ja auch nicht verwunderlich. Ein Jahrhundert-, wenn nicht ein Jahrtausendwerk liest sich nicht so schnell herunter wie eine 5stellige Zahl.

Richter: Jetzt öffnet sich der Verschluss. Jetzt ist es heraus.

Deutsch: Und?

Richter: Ich muss mich täuschen. Ich habe meine Brille nicht bei mir!

Wetter: Eine ganz unbedeutende Summe!

Richter: Noch kann sie wachsen.

Eilein: Das kann nicht wahr sein. Immerhin haben wir alle an dem Werk mitgearbeitet.

Richter: Nur Ruhe, Herr Kollege.

Wetter: Manch ein Werk, das wir heute für unsterblich erachten, wurde zu seiner Zeit noch kaum angeschaut. Am liebsten schmuggelte ich einen Goetheband auf den Prüfstand. Dann würde sich zeigen, dass das Werk der beiden Professoren ebenbürtig ist oder dass man auf die Waage nichts geben darf. Überhaupt, warum sollte sich nicht auch einmal eine solche Waage täuschen?

Richter: Wir lassen uns nicht beirren. Auch ich hab es für mich eine Werksausgabe subskribiert. Auf den Wagen kommt das Werk allemal.

5. Abschnitt: Matten und Laborkittel

(Der Dekan kommt hinzu)

Dekan: Gratulation, meine Damen. Wenn das nicht von einer erlesenen Kunst der Erziehung zeugt!

Erste Dozentin: In der Tat. Das ist unser Daniel Tölpel! Komm mal her, Daniel, und zeig dich dem Herrn Dekan! Nun, hat er sich nicht prächtig entwickelt, seit er bei uns ist?

Dekan: Ich müsste lügen, wollte ich´s leugnen.

Tölpel: Man schilt mich einen Judas, weil ich das Fach gewechselt habe. Aber das ist nicht fair.

Erste Dozentin: Selbst wenn er ein Judas wäre, so wär er doch ein ganz entzückender Judas. Man muss ihn nur ein wenig am Kopf kraulen, dann hat man ihn schon für sich gewonnen. Sehen Sie doch, wie wohl dem Wuschelkopf dabei wird!

Dekan: Nun Tölpel? Tut das gut?

Tölpel: Lieber lass ich mich von sanfter Damenhand streicheln, als dass ich ein Physiker werde!

Zweite Dozentin: Dabei ist er schon ein so großer Junge! Wenn man ihn so vor sich sieht, könnte man fast schon vor seiner Leibesstatur, ja vor seiner herkulischen Gestalt Angst bekommen.

Erste Dozentin: Aber wir nicht! Wir bekommen keine Angst, nicht wahr Freund Tölpel!

Tölpel: Wenn man einen Löwen liebevoll pflegt, lässt er alles mit sich machen.

Dozentin: Wie herrlich er redet!

Dekan: Darüber wird er aber, so hoff ich, nicht die Gottesbeweise des heiligen Thomas vergessen!

Tölpel: Es gibt ja überhaupt keinen Gott mehr. Oder nicht Frl. Löwinger?

Erste Dozentin: Die Frage gehörte doch zu der Religionsgeschichte, du kleiner Revoluzzer.

Zweite Dozentin: Früher lernte man in der Theologie, die Existenz eines Gottes zu beweisen, heute lernt man sie ihm abzusprechen.

Tölpel: Immerhin gibt es einige sehr treffende Argumente für die Nichtexistenz Gottes, vor allem die Armseligkeit und Jämmerlichkeit der Menschen. Vielleicht, dass es einen Gott der Elefanten gibt.

Dekan: Wenn du aber an kein höheres Wesen glaubst, Tölpel, dann machst du dir keine Freunde, falls es doch ein solches gibt. Wenn du aber an eines glaubst, so machst du dir niemanden zum Feind.

Tölpel: Aber das wäre doch blanker Opportunismus, um nicht zu sagen elende Feigheit. Auch kann ich mir nicht vorstellen, dass jemand, dem es auf Erden sehr wohl ergeht, damit zufrieden den Gott anerkennt und dafür dann auch noch im Jenseits belohnt wird, während der Arme, dem das Diesseits die Aussicht auf einen Gott verstellt, auch noch im Jenseits dafür abbüßen soll. Wenn es nach mir ginge, so würden eben die das ewige Leben erhalten, die nicht an Gott geglaubt haben bzw. glauben konnten.

Dekan: Nun, was sagen Sie dazu? Verginge ihnen nicht die Lust ein Gott zu sein, wenn es noch einen gäbe und Sie wären zufällig einer?

Dionysos: O allerdings!

Dekan: Aber wir werden die vaterlose Gesellschaft überwinden.

Dionysos: Indem er die Mutterrolle spielt?

Dekan: Wie?

Dionysos (sich abwendend): Ein Messgewand und ein Weiberrock machen noch keine Mutter. Und bis er die Mutterrolle perfekt spielt, muss er noch tüchtig üben.

Tölpel: Aber jetzt lassen Sie mich bitte wieder gehen. Ich muss mich beeilen! Ich werde gebraucht im heiligen Krieg! Auf, in den heiligen Krieg! (ab zu den Studenten, die wieder ihre Strohmatten auf den Wagen legen wollen.) Auf den Wagen mit den Matten!

Viele: Hinauf mit ihnen!

Ein Zweiter: Solange die Labormäntel da droben sind, lassen wir überhaupt nicht mit uns reden!

Viele: Herauf mit unseren Matten!

Andere: Herunter mit den Laborkitteln!

Richter: Und ob die Matten aus Esparto verfertigt sind oder aus geweihtem Schilfgras vom See Genezareth: sie kommen mir nicht herauf!

Tölpel: Und wenn sie nur aus Altpapier wären, kämen sie hinauf!

Richter: Das werden wir ja sehen! - Da habt ihr euren Dreck!

6. Abschnitt: Philosophie

(Ein alter Philosoph und Gebauer kommen über den Platz.)

Gebauer: Sagen Sie mir, was Sie unter geschichtlicher Zeit verstehen! Dann weiß ich, ob Sie historisch denken können!

Der alte Philosoph: Nehmen Sie an, dass die Ewigkeit nichts ist als ein Augenblick, so folgt daraus, dass wir alles in der Zeit Seiende, einschließlich der geschichtlichen Zeit nur als Schein erkennen. Alles darüber hinaus Führende ist Spekulation und Fiktion. Nur, weil Sie noch so jung sind, mein werter Herr, verweigern Sie sich den Einzug der Wahrheit. Warten Sie ab, bis Sie so alt sind wie ich und jeden Tag gewärtig sein müssen, abberufen zu werden, und Sie werden an der Wahrheit nimmermehr zweifeln!

Gebauer: Das Weltgeschehen wäre zu bestimmen und zu analysieren.

Der alte Philosoph: Ob es eine Entelechie aufweist, einen gradum ad majus?

Gebauer: Unfug!

Der alte Philosoph: Was denn dann? Sehen Sie, Sie wissen ja selbst nicht Bescheid! Ich aber sage Ihnen. Das Weltgeschehen ist ein Theater. Frage ist nur, was für ein Theater. Und darauf fällt mir keine gute Antwort ein. Sokrates würde sich wundern, wenn er nochmals auf die Welt käme. Sein Projekt, den Menschen zu erforschen, haben wir zwar aufgegriffen. Nur haben wir uns dabei nicht auf die unfassbare Nähe Gottes zubewegt. Wir wissen nun, was für eine gottverdammte Bestie der Mensch ist und was für Mittel ihm zur Verfügung stehen, die Schöpfung Gottes von Grund aus zu vernichten. An jenem Tag aber, der unweigerlich kommen wird, werden wir vergebens nach einer Tür suchen, uns vor dem Unheil aus dem Staub zu machen!

Gebauer: Nett metaphorisch ausgedrückt für einen Apostel des Defätismus.

Philosoph: Im Gegenteil. Ich wage nämlich die Behauptung, dass uns die ewig experimentierende Materie nicht ohne Verstand gestaltet haben kann. Als angepasste Wesen sind wir zuerst einmal an unsere uralte Umwelt, an die Mutter Natur angepasst. In meinem Buch bin ich dann der Frage nachgegangen, ob es allem dem zum Trotz nicht doch einen Patron oder einen Schutzgott für uns Menschen gibt. Aber selbst wenn wir wüssten, dass es das alles nicht geben kann, so muss ich mir den Gedanken an eine solche Hilfskraft nicht verbieten? Gewiss würde ich lügen, und doch würde ich gegen mich Gutes tun, weil ich einen solchen Trost brauche. Oder wäre es besser, der Wahrheit Zeugnis zu geben und in einem bedeutungslosen und wertlosen Leben zu enden?

Gebauer: Darf ich nun weiter?

Philosoph: Wir haben keine Wahl. Wir müssen das Leben anerkennen, es lieben, es als Geschenk erachten. Anders lässt sich nicht leben. Und das nenne ich Gott.

Gebauer: Und doch pressiert es mir sehr.

Philosoph: Darum bitte ich Sie: kaufen Sie dieses Buch. Sie müssen es ja nicht lesen, wenn es zu schwer für Sie ist. Sie können es auch verschenken. Ein schön editiertes, hübsch eingepacktes Geschenk zum Geburtstag für die Frau oder die Schwiegermutter oder zu Weihnachten für die Kinder, ist ja schließlich auch etwas! Und haben Sie nur keine Sorgen, was den Erlös angeht. Er fließt nicht in meine Tasche, sondern dient einem guten Zweck. Mehr möchte ich nicht sagen.

7. Abschnitt: Der ewige Student

(Die Vorigen; der ewige Student kommt hinzu; er macht sich an Gebauer heran)

Wetter: Mein Herr! Zwar kenne ich Sie noch nicht näher. Sie gehören aber gewiss zu den neu hinzugekommenen Professoren. Sehen Sie, ich hab´s erraten! So etwas sehe ich nämlich den Leuten an, z.B. an Ihrer vornehmen Gestalt und an der gedankenvollen Blässe, die Ihre schöne Denkerstirn umwölkt. Übrigens heiße ich Wetter, Karl Wetter, und wäre der mit Abstand am längsten immatrikulierte Student, wenn man mich nicht zwangsexmatrikuliert hätte. Aber noch immer streiche ich am liebsten hier um die Universitätsgebäude herum. Manche nennen mich deshalb auch den ewigen Studenten. Hätte ich mich entschlossen, meinem Vater zu gehorchen und Professor zu werden, so würde ich freilich nicht mit einem solchen Schüttler durch die Straßen fahren. Dann hätte ich einen blitzsauber polierten Silberpfeil und einen passenden Chauffeur dazu. Im kommenden Wintersemester würde ich dann übrigens glattweg auf 80 Semester Lehre und Forschung zurückblicken. Ist das nicht phänomenal? Was aber noch wichtiger wäre, das ist, dass ich mich ansonsten jetzt nicht damit herumplagen müsste, dass mein Vater in seiner riesengroßen Enttäuschung über mich, er lag damals schon auf dem Totenbett, zu mir gesagt hat: „Mir wär entschieden lieber gewesen, du wärst der Sohn meines Nachbarn gewesen!“ Was sagen Sie dazu?

Gebauer: Nichts. Lassen Sie mich gehen!

Wetter: Eigentlich wollte ich noch über etwas anderes mit Ihnen reden! Sehen Sie! Ich dachte, Ihnen diesen Wecken zu dedizieren, allerdings unter einer Bedingung, sozusagen in Verbindung mit einer Wette. Sie wissen doch, was eine Wette ist? So was wie bei Faust und Mephisto muss es ja nicht sein. Sehen Sie hier, die 5 Euro, hier diesen Schein! Wir wetten um 5 Euro, nicht um eine unsterbliche Seele. Wie? Oder glauben Sie mir nicht, dass das ein echter 5-Euro-Schein ist? Den hab ich eben erst bekommen und zwar dafür, dass ich den Professoren Deutsch und Eilein Beistand geleistet habe. Prof. Eilein sagte noch: Das Geld ist von meiner Frau! Das sagt er immer, wenn ich ihn abpasse. Dabei stimmt das gar nicht. Aber er will nicht, dass ich ihn direkt anpumpe! Mir aber ist es egal, von wem das Geld kommt. Hauptsache, es kommt. Nun hab ich noch einen Wecken und einen Flachmann bei mir. Hier! Wenn Sie nun diesen Wecken zu vertilgen versuchen und zwar so schnell, wie Sie nur immer können, und ich derweilen diesen Flachmann leere: dann ergibt sich die Frage, wer als erster fertig ist. Verstehen Sie schon, wie das Spiel geht?

Gebauer: Vertilgen Sie Ihren Wecken, wenn Sie Hunger haben, und trinken Sie aus Ihrem Flachmann, wenn Sie dürstet; aber lassen Sie bitte mich aus dem Spiel. Guten Appetit.

Wetter: Ah, Sie sind ein Spielverderber?

Gebauer: Mein Herr!

Wetter: Meinen Sie nur nicht, das Spiel wär eine plumpe Erfindung von mir? Weit gefehlt. Wissen Sie, ich hab hier mal vor vielen Jahren Germanistik studiert. Von dort hab ich die Anregung für meine Wette. (er hält Gebauer fest, der weiter will)

Gebauer: Mein Herr. Was fällt Ihnen ein? Nehmen Sie Ihre Finger von meinem Paletot!

Wetter: Warten Sie! Gleich hab ich´s.

Gebauer: Au revoir monsieur! (ab)

Wetter: (ein wenig nacheilend) Sie meinen gewiss, ich wollte Ihnen die 5 Euro nicht geben!

Gebauer: (von fern) Pinkeln Sie einem anderen ans Bein!

Wetter: Doch nein, er ist ja schon fort. Wenn ich nun auch keine 10 Euro aus den 5 hab machen können, so geht deshalb die Welt auch nicht unter. Und was mein heimliches Projekt angeht, „Gespräche mit berühmten Professoren“: warum soll ich die Begebenheit nicht dort einsortieren?

8. Abschnitt: Die Experimentiersachen

Richter: Und ich sag Ihnen, was ich schon ihrem Kollegen Lachsner gesagt habe: weg mit den Sachen! Zumal wo der Versuch überhaupt nicht klappt!

Sonnentau: Sie haben mir nichts zu sagen und schon gar nichts zu befehlen.

Richter: Ich warne Sie! Sie wissen, dass Sie sich nach dem Hochschulrahmengesetz gemäß §23, Absatz 2 strafbar machen.

Sonnentau (sich abwendend): Ist das der Weisheit letzter Schluss, dass abgeurteilt werden muss?

Wieseler: Gnädige Frau, das war hierzulande noch nie anders. Hier würde man auch Paragrafen huldigen, wenn sie Abscheuliches von einem verlangten. Was sag ich, dass man huldigen würde! Hat man´s denn nicht vor kurzem getan?

Tölpel (der mit Kommilitonen wieder beim Wagen ist, alle mit Matten): Und nun passt auf!

Einige: Also los. Fang an!

Tölpel: (laut) Aber da kommt ja der Herr Minister!

Viele: Der Herr Minister!

Richter: Wo?

Tölpel: Dort! Sehen Sie ihn nicht? Den Schöpfer der Zählmaschine!

(Studenten werfen derweilen unbemerkt ihre Matten auf den Wagen)

Richter: Ich sehe nichts.

Tölpel: Bei meiner Enkel Seelenheil! Dort!

Viele: Ja, sieht er denn wirklich nichts?

Einer: (gespielt) Herr Minister, hier ist Prof. Richter!

Richter: Dass ich nicht lache!

Ein Zweiter: Dort ist er doch. Dort! Der Gigant, dessen Haupt anstößt am Himmel!

Ein Dritter: Jetzt steckt er seine Rechte in den Hosensack. Gewiss sucht er nach einem passenden Paragrafen.

Randalow: O Mann, mit dem Sack voller Paragrafen!

Richter: Du Natternbrut, du Schlangengezücht! Mich überlistest du nicht!

alle: Blindekuh, machs Auge zu!

Sonnentau: (während des vorigen Täuschungsmanövers, zu Lachsner) Und doch kam alles nur, weil er den Versuch nicht zu beherrschen gelernt hat. Lange genug hatte ich ihm Zeit gegeben.

Lachsner: Und doch wette ich, dass der Versuch noch nie geklappt hat und nie klappen wird. Und zwar deshalb, weil er nicht die Kriterien erfüllt, die wir von einem naturwissenschaftlichen Experiment verlangen.

Sonnentau: Nur bei Ihnen, werter Herr, werden die Kriterien nicht erfüllt!

Lachsner: Wenn der Versuch nur bei mir nicht klappte so spräche das nicht gegen mich, sondern gegen Ihren Versuch.

Sonnentau: Armselige Sophistik!

Lachsner: Meine Damen und Herren, damit ich es nur endlich sage! Ich mach da nicht länger mehr mit. Auch wenn ich der Frau Professorin Sonnentau subordiniert bin! Alles hat sein Grenzen. Damit aber niemand sagt, ich hätte es nicht besser gewusst, so will ich noch ganz kurz sagen, was ich als Biologe zu sagen habe, ehe ich für immer aus diesem Zirkus der Eitelkeiten verschwinde. Zuerst, so sag ich, war der Mensch nicht viel anders als alle die anderen Tiere auch: besorgt um sich und um seine Art. Vermutlich war es keine gute Entscheidung, als sich die Menschheit dann von ihren Vettern, den Pavianen abgekoppelt hat und eigene Wege gegangen ist. Wären wir noch wackere Affen, so brauchten wir uns um den Bestand unserer Spezies nicht viel Sorgen zu machen. Durch mehr oder minder gewagte Artigkeiten und Gefälligkeiten würden wir als junge Männer die Weibchen betören und für uns gewinnen. Und auch als Genosse des Mars dünkt mich, könnten wir gut reüssieren. Ein paar Schädelbasisbrüche fielen da nicht sonderlich ins Gewicht. Erst als der Mensch sich für seine eigenen Wahrnehmungen zu interessieren begann, wurde alles anders. Zu dieser Zeit entstand aufgrund der Entdeckung und Erfahrung der Koordination all unserer Wahrnehmungen und der daraus folgenden Handlungen die Idee des Ich, worauf dann die weiteren Begriffe wie Bewusstsein, Seele, Gott, Substanz, Gesetzmäßigkeit, Kausalität, Prinzipien folgten. - Doch was rede ich lang um den heißen Brei herum. Nicht dass sich einer von den Grünschnäbeln untersteht, darauf auch noch stolz zu werden! Aller Salbaderei unserer Theologen zum Trotz sag ich, dass es unbestreitbar ist, dass wir nichts sind als ein unter der Hand der experimentierenden Materie entstandenes, total belangloses Zwischenergebnis. Was aber von uns übrig bleiben und in den Museen der auf uns folgenden Dinosaurierarten bestaunt werden mag, ist ein riesengroßer Datensatz, den keiner versteht. - Ich habe die Ehre! (ab)

9. Abschnitt: Hilfe durch Dionysos

Sonnentau: Aber da ist ja der Mann, der mir weiterhelfen kann! Mein Herr!

Dionysos: Gnädige Frau, was quält ihre Seele?

Sonnentau: Wenn es erlaubt ist, mein Herr, so bitte ich Sie, mir zu helfen!

Dionysos: Und worin besteht diese Hilfe?

Sonnentau: Man will mir das Recht nehmen, meine Arbeiten auf den Wagen zu legen (sie zeigt Hut und Kaktus). Weshalb, weiß ich nicht. Wenn Sie nun die Güte hätten, diesem Herrn, er heißt Richter, noch einmal meinen Versuch vorzuführen, wär ich Ihnen überaus dankbar. Eigentlich ist der Herr ja ein Kollege von mir, wenn auch aus einem anderen Fach; aber so geht es eben auf der Welt: seinem Benehmen nach könnte er aber der schlimmste Feind von mir sein.

Dionysos: Da müssen wir nichts mehr vorführen. Das werden wir gleich haben. Kommen Sie! –(zu Richter, der noch immer auf dem Wagen steht) Mein Herr!

Richter: Was wollen Sie? Sie sehen doch, dass ich beschäftigt bin.

Dionysos: (mit einer Lampe leuchtend) Lassen Sie einmal ihr Gesicht sehen, mein Herr! - Diese Dame hat ein Experiment, das unbedingt auf den Wagen muss.

Richter: Ich kenne das Experiment und ich habe es der Dame bereits gesagt, dass es hier droben nichts zu suchen hat.

Dionysos: Auch nicht, wenn ich Sie bitte?

Richter: Wenn es hier droben nichts zu suchen hat, hat es hier droben nichts zu suchen! Gestatten Sie, dass ich weiterarbeite. Ich habe noch zu tun.

Dionysos: (indem er den Hut und den Kaktus hinaufreicht) Nehmen Sie! Das ist und bleibt das großartigste Experiment aller Zeiten.

Richter: Und dennoch kommt das Zeug nicht auf den Wagen.

Dionysos: Potz Blitz, sind wir hier in einem Polizeistaat? Oder ist in diesem Kaktus eine Sprengladung versteckt? Oder hat er über alles zu befinden, weil er zufällig Richter heißt? - Beeilen Sie sich. Wir haben nicht mehr viel Zeit.

Richter: So lange ich hier oben bin, kommt es nicht herauf.

Dionysos: Dann gehen Sie nur ganz schnell herunter! (er blitzt mit der Lampe)

Richter: Als ob Sie mich schrecken könnten. Dass ich nicht lache!

Dionysos: Passen Sie auf, dass ich nicht lache! Das wäre nicht gut für Sie.

Richter: Sie drohen mir?

Dionysos: (er blitzt wieder)

Hermes: Fürchte den Gott, der grimmig lacht, er sieht was, was dich schaudern macht!

Richter: Und wenn Sie der Kaiser von China wären, Sie gehören nicht zu unserer Universität. Drum gehen Sie, Sie Zaubermeister!

Tölpel und Fritz: Uns hat er auch so behandelt!

Viele Studenten: Herunter mit dem Vorsitzenden und wenn er der Kaiser von China wäre!

(Es beginnt zu regnen. Studenten sind bereit, den Wagen zu erstürmen)

Richter: Schlagt mich tot, wenn ihr wollt. Doch ich weich keinen Schritt!

13. Kapitel: Exodus

1. Abschnitt: Mit dem Rektor

(Der Rektor kommt auf den Platz.)

Rektor: (unter der Türe) Mir ist, als hätten wir getan, was wir vermochten und hätten uns Mühe gegeben zu gestalten und zu bauen und nun sollte alles wieder abgeräumt werden und vom Erdboden verschwinden und ich als Rektor wäre genötigt, mit dabei zu sein.

Kanzler (er tritt aus dem Haus, gefolgt vom Rektor, auf seinem klein gewordenen Ross): Heiliges Schweigen! Heiliges Schweigen! Seine Exzellenz, der Rektor!

Rektor: (er erscheint wie eine blasse Heiligengestalt auf einem klein gewordenen Ross, das goldene Buch in Händen. Der Kanzler hält einen großen Schirm über ihn) Ihr, meine Lieben! Ein mühevoller Tag geht heute zu Ende.

Gebauer: (für sich) Nun wissen wir also, was für ein Pferd seine Exzellenz reitet: einen verkehrten Rosinante: zuerst ein Schlachtross, dann aber einen elenden Klepper.

Kanzler: Seht, was er euch bringt!

Viele: Das Buch! Das große Buch!

Kanzler: Er hat es geschrieben, damit ihr erfahrt, was Eure Aufgabe war bei der Erziehung der Welt.

Richter: Heil Eurer Hoheit, Heil Eurer Exzellenz, Heil dem Rektor Stark!

Alle: Heil!

Rektor: Dank Euch allen, die ihr mir geholfen habt auf dem Weg in ein bessres Zeitalter!

Richter: (zu Dionysos) Jawohl, mein Herr! Jetzt wissen Sie, wer ich bin und wen Sie vor sich sehen!

(Richter wird plötzlich unsichtbar)

Hermes: Er sprach die Wahrheit, doch sie nützt ihm nichts.

Kanzler: Legen wir das Buch dort hinauf! - Aber wo ist Prof. Richter?

Dionysos: Er ist unterwegs in die stille Reserve. Mein Kollege, der Bote mit dem Heroldsstab, leuchtet ihm voraus.

Tölpel: Mag er in der untersten Hölle schmoren, weil er mir meine schöne Matte zerrissen hat.

(man sieht den Kaktus, der jetzt auf dem Wagen zu einem Riesenphallus anwächst, aus dem Wein kommt; um ihn ranken sich Reben.)

Kanzler: O, aber wo ist der Zähler?

Dionysos: Zähler zählen hier nichts mehr. Drum hab ich ihn in den Nenner gebracht und dann vom Wagen gejagt.

Kanzler: Wie?

Randalow: Ich bin hier, mein Herr, um Gerechtigkeit einzufordern. Man hat mir Unrecht getan!

Kanzler: Was haben wir mit ihm zu schaffen? Verschwind er!

Rektor: Kanzler Korpus, wo bin ich?

Kanzler: Was meinen Exzellenz?

Randalow: Sind Sie der Rektor?

Kanzler: Kanzler Korpus, wenn Sie gestatten!

Randalow: Was schert mich der Kanzler Korpus? Den Rektor such ich. Ihm obliegt es, den Schwachen zu ihrem Recht zu verhelfen.

Kanzler: Er braucht wohl noch ein Kindermädchen?

Randalow: Ja dann, ihr meine Fäuste, zeigt, was ihr könnt!

Dionysos: Mein Herr, Faustkämpfer sind jetzt nicht mehr gefragt! (er blitzt und macht ihn unsichtbar)

Kanzler: ( der eine Leiter anlegt, dem Rektor vom Ross zu helfen, das noch die Größe eines Schaukelpferds hat)-Exzellenz! Gestatten Sie!

Rektor: (zum Kanzler) Die Tragik ist, dass wir nicht zur Wahrheit gelangt sind, allenfalls bis zur Einsicht in ihre Unauffindbarkeit!

Kanzler: Wir haben nicht verstanden, von der Eins die Eins abzuziehen.

Dionysos: Kommen Sie! Darf ich die Herren bitten, Platz zu nehmen auf dem Kutschbock? Wir sollten uns beeilen. Es ist schon spät. (er reicht dem Rektor eine Peitsche)

Tölpel: Aber das ist doch Blasphemie

Erste Dozentin: Was denn?

Tölpel: Dieser Kaktus, der sich da droben so groß und breit macht und aus dem Wein sprudelt. Das darf er doch nicht tun!

Erste Dozentin: Was wissen wir schon, was ein Kaktus tun darf?

Tölpel: Ich sag, der darf das nicht!

Erste Dozentin: Sei schön still, Tölpel!

Tölpel: Warum soll ich still sein?

Erste Dozentin: Weil du nicht verstehst, was hier geschieht. Es ist besser so!

Tölpel: Ich hab keine Angst. Und wenn die ganze Welt brennt!

Dionysos: (er zapft aus dem Kaktus, der jetzt brennt, Wein, den er Tölpel reicht) Mein Freund! Da nimm und trink! Das wird dir gut tun!

Tölpel: Ich habe keinen Durst!

Dionysos: Du musst trinken; eine große Reise steht dir bevor.

Tölpel: Ich kann nicht.

Dionysos: Aber du trinkst!

Tölpel: (trinkt) Ich weiß gar nicht, wie mir geschieht! Ich glaube, ich werde verwandelt!

Dionysos: (zieht ihm einen Ochsenkopf über) Auf jetzt! Steig in deine wahre Gestalt! Ein Ochse, der den Braten schmeckt, behaglich sich die Zunge leckt.

Tölpel: Zu Hilfe! Zu Hilfe! Ich will kein Ochse sein, ich will ich selbst bleiben.

Dionysos: Was man nie war, das kann man auch nicht bleiben,

Fritz: Das ist Zauberei, das ist Vergewaltigung!

Dionysos: Mein lieber Fritz! Was hast du mir zu sagen? Komm her und sags mir!

Fritz: Ich will aber kein Ochse werden.

Dionysos: Wer du auch warst, du brauchst es nicht zu wissen.

Es gab dich nie. Und niemand wird dich missen.

(zieht auch ihm einen Ochsenkopf über) Ins Joch mit ihnen! (dann, während Schnaufer und Kümmerle herbeikommen, nimmt er zwei brennende Fackeln) Und da kommen auch schon unsere Wegleuchter. Hierher, ihr Herren, leuchtet vorauf! (er stellt sie seitwärts von den beiden Ochsen auf)

Und jetzt auf den Weg gemacht! Marsch!

Hermes: Die Damen und Herren der hohen Universität werden gebeten, sich einzureihen, wie es die Festvorschriften seit Alters verlangen!

2. Abschnitt: Abschied mit Wagen

(Während unter Flöten- und Pfeifenspiel alle davonziehen und die Bühne sich leert, treten Dionysos und Hermes noch einmal in den Vordergrund.)

Hermes: Das war ein tüchtiges Stück Arbeit. Sagte nicht einmal ein Philosoph, das Leben sei nichts als ein Theater?

Dionysos: Ich müsste mich sehr irren, wenn das nicht ich war. Und auch jetzt noch bleibe ich dabei, dass noch immer möglich ist, das Leben zu einer Komödie umzuschaffen. Damit nun aber diese unsere Komödie für heute ein fröhliches Ende findet, wollen wir noch ein Liedchen zum besten geben!

(sie singen)

Die Blümlein alle, die da sind,

die wachsen und gedeihen,

streun ihren Samen in den Wind,

mag´s Gott ihnen verzeihen.

 

Und wie sie heut den Samen streun,

so macht´s der Nachwuchs morgen,

und so schafft alle Welt von neuem

nichts als die alten Sorgen.

Dionysos: Und nun beeilen wir uns, dem Wagen nach, damit wir ihnen rechtzeitig das Tor mit dem goldenen Zierrat aufschließen, ins Haus zur stillen Reserve. Zumal da die Ochsen nicht ganz nüchtern sind und der Weg dunkel ist und voller Löcher, besteht die Gefahr, dass sie eines übersehen und ins Straucheln geraten. Und es wäre doch jammerschade, wenn sie nicht rechtzeitig dort ankommen, wo sie nun endlich hingehören. (sie eilen dem Wagen nach)