{ Nach Damnaskus (Eine böse Komödie mit etwas Gesang) }

Literatur von Martin Ganter

Personen

König Hadad

Kanzler Baruch, Bruder der Schibtu

Dubar, Erbauer der Roboter, Vater des künstlichen Selim, Bruder der Königin

Abidad, von Hadad ermordeter Vater der Königin, früherer Herrscher, als sprechende Statue anwesend

Heer von Robotersoldaten (mit Roboterkennzeichen von den Menschen unterschieden)

Sohn Selim als sprechender Roboter (auch mit Roboterkennzeichen)

Königin Anita (Mutter des ermordeten Selim)

Kammerfrau Obaida

Pipifeci, Narr der Königin

Vier Leibwächter

Kyriak, ein ehemaliger Schulfreund Hadads

Ein Großvater mit Enkelkindern

Ein Einsiedler

Ami, Russe und Chinese

Ein fremder Mann, Boten, ein Sterbehelfer, ein Künstler, drei Wilderer, Frauenhändler mit Frauen

 

Inhalt

1. Szene: Prolog des Narren

2. Szene: Im Schlafzimmer des Königs

3. Szene: Im Thronsaal des Königs

1. Abschnitt: Hadad und Baruch

2. Abschnitt: Hadad und Abidad

4. Szene: Dubar in seiner Werkstatt

1. Abschnitt: Gespräch mit dem künstlichen Selim

2. Abschnitt: Baruch kommt in Eile herbei

5. Szene: Im Sälchen der Königin

1. Abschnitt: Königin und Kammerfrau

2. Abschnitt: Der Narr kommt hinzu

6. Szene: Im Thronsaal

1. Abschnitt: Hadad auf dem Thron; ein paar Mädchen mit Instrumenten

2. Abschnitt: Hadad allein

3. Abschnitt: Der Erste Wächter kehrt zurück.

4. Abschnitt: Die drei übrigen Wächter kommen noch hinzu

5. Abschnitt: Nun kommt noch Kyriak (Er trägt unter einem Tuch verhüllt das Haupt des Täufers)

6. Abschnitt: Hadad zieht aus

7. Szene: Vor dem Eingang zum Bergwald

1. Abschnitt: Ein Großvater mit Kindern auf dem Weg zum Tor

2. Abschnitt: Der Narr kommt dazu

3. Abschnitt: Der König mit seinen Wächtern durchquert das Tor.

4. Abschnitt: Die schwarzen Witwen

8. Szene: Einzug des Königs in den Wald

1. Abschnitt: Ein Wilderer wird von den Wächtern des Königs überrascht

2. Abschnitt: Drei Frauenhändler mit ein paar Frauen und einem Sack

3. Abschnitt: Der Narr, der aus einem Versteck heraus alles beobachtet hat

9. Szene: Wie die Königin zu einem Einsiedler gelangt

1. Abschnitt: Königin und Kammerfrau

2. Abschnitt: Wie der Narr sich auf den Weg macht

3. Abschnitt: Der Narr trifft auf einen Sterbehelfer

4. Abschnitt: Die Königin und die Kammerfrau kommen hinzu

5. Abschnitt: Der Narr und die Angst

6. Abschnitt: Bei der Höhle

7. Abschnitt: Der Einsiedler

8. Abschnitt: Dubars Eintreffen

10. Szene: Wie Baruch im Wald bestattet wird, Dubar mit zwei Robotern ans Werk geht und der Narr auf die ausländischen Gesandten trifft.

1. Abschnitt: Der künstliche Selim kommt zur Höhle des Einsiedlers

2. Abschnitt: Dubar kommt dazu

3. Abschnitt: Der Narr begegnet den ausländischen Gesandten

11. Szene: Wie dem König Hadad im dunklen Wald Selim erscheint und wie er auf die Gesandten trifft.

1. Abschnitt: Hadad allein im Dunkeln

2. Abschnitt: Die 4 Wächter kommen herbei mit der toten Schibtu

3. Abschnitt: Die Gesandten erscheinen wieder

4. Abschnitt: Der Narr als Beobachter

5. Abschnitt: Die Gesandten kommen herab

6. Abschnitt: Die Gesandten unter sich

12. Szene: Wie Hadad auf dem Berggipfel eintrifft

1. Abschnitt: Wächter und Hadad

2. Abschnitt: Dubar und Selim schauen vom Schlossberg herab

3. Abschnitt: Selim und der Narr

4. Abschnitt: Dubar und Hadad

5. Abschnitt: Die Roboter kommen

13. Szene: Wie sich das Schloss als Fassade entpuppt und wie Hadad und Dubar ihr Ende finden

1. Abschnitt: Vor dem Thron des Abidad

2. Abschnitt: Der Narr als Beobachter

3. Abschnitt: Selim kommt hinzu

4. Abschnitt: Selim tötet nun auch noch den Dubar

5. Abschnitt: Selim und der Narr

14. Szene: Wie Selim mit den Robotern den Berg herab steigt und wie der Narr Bilanz zieht

 

1. Szene: Prolog des Narren

Narr: Theaterstücke sind Experimente zur Erkundung, was es mit dem Menschen auf sich hat. Und so hat uns denn auch unser Autor ein paar Stücke hinterlassen, in denen er sich um solche Experimente bemüht hat, bei denen der Mensch auftaucht und für ein Weilchen da ist, um dann abzutauchen und nie mehr gesehen zu werden. Wenn nun aber auch keiner unseren Autor kennt, als hätte er schon das Zeitliche gesegnet, so hat das damit zu tun, dass er Zeit Lebens ziemlich menschenscheu war, so dass er lieber für sich allein lebte, als dass er sich in der Öffentlichkeit herumgetummelt hätte. Und wenn er nun auch mit seinen nunmehr schon 70 Jahren niemals eine Aufführung eines seiner Stücke erlebt hat, so will das weiter nichts heißen, als dass er stets alles in einem war, Regisseur und Direktor und Autor und Schauspieler und selbst noch der Narr, vor allem aber dass er hinreichend Gelegenheit hatte, sich alle Faxen eines von Eitelkeit geplagten Weltmannes abzugewöhnen. Zuallererst begann er mit seinen Stücken, als ihm seine Frau immer kranker wurde und er sich mit allen, ihm zur Verfügung stehenden Kräften gegen den Tod wehrte. Er wollte lachen. Lachen sollte ihn vom herannahenden Tod ablenken. Lachen über die Menschen in unserer kleinen Menschenwelt, wo sich einer für wichtiger hält als den nächsten. Denen vornehmlich zuzuschauen, die in ihrer ungeheuerlichen Bedeutsamkeit an kaum etwas anderem teilgenommen haben als an einzigartig historischen Tagen, amüsierte ihn köstlich. Er hielt nicht viel davon, wenn einige sagten, ein Narr müsse zornig und streitbar sein. Mir, so sagte er, mir scheint eher, dass ein Narr ist, wer sich zornig und rechthaberisch aufführt. Wir alle spiegeln uns doch ineinander; und wohl dem Narren, der seine Kunst in einer Welt ausbreiten kann, die ihm den Platz dafür lässt, den ewig selben Stoff neu verpackt dem Gelächter preiszugeben. Später dann, nachdem ihm seine Frau verstorben war, versuchte er sich noch einmal für die Bühne. "Schreib", so sagte ich zu ihm, "schreib und versuch dich abzulenken von der Last, die dich bedrückt!" Es wollte ihm indessen nichts Rechtes mehr gelingen. "Was auch soll noch ein Theaterstück", so sagte er, "wenn ich niemanden mehr habe, es vorzulesen?" Nachdem er nun also schon Schluss gemacht hatte mit allem Schreiben, gelang es mir doch noch, ihn noch einmal zum Schreiben zu bewegen. "Aber nur dieses eine Stücklein will ich noch schreiben", so ließ er mich wissen, und fügte lachend hinzu "für den Auferstehungstag"!

Doch kommen wir jetzt zu unserem Stück und machen es nicht so wie die Junglehrer, die in ihrer Angst, ihr Pulver vorschnell zu verschießen, nicht über das Präludieren hinaus kommen. Wenn man einmal zur Welt gebracht ist, dann hat man gefälligst mit dem Leben zu beginnen. Und das gilt nun eben auch für alle Sorten von Theater- und Narrenstücklein. Und so sage ich denn, dass ich nicht nur ein ausgewachsener Narr bin, sondern dass ich auch als ein solcher in dem nun kommenden Stück mitzuspielen habe. Was nun meine Wenigkeit betrifft, so hat man von Seiten der Direktion streng darauf geachtet, mir nur ja kein Attribut auszuhändigen, das an die Großen und Mächtigen unserer Zeit erinnert, und sei es auch nur ein Stückchen vom Pelzbesatz von der Robe des Herrn Amtsrichters, damit nur ja keiner vergisst, dass er mir nicht die mindeste Furcht schuldet, und mithin, dass hier auch nicht der Anfang aller Weisheit aufzufinden ist. Vielmehr hat man mir die allerüberflüssigsten Requisiten zugeschanzt, die man noch hat auftreiben können. Dieses Zauberhütchen da mit dem Glöckchenbesatz, z.B. Ist es nicht allerliebst? Auf jeden Fall ist es sehr geeignet, einen, wenn er mich sieht, an eine Kuh zu erinnern, der man eine Glocke umgebunden hat, damit man hört und man weiß, wenn man nicht mehr hört, dass sie der Wolf aufgefressen hat. Freilich braucht man mich nicht mehr allzu oft im Theater. Denn wo es in der Welt längst zum guten Ton gehört, dass Narren die Welt regieren, ist es mit der Gilde von uns Narren nicht mehr zum Besten bestellt. Oder sollen wir uns jetzt als Weise verkleiden, damit man merkt, dass ein Narr daherkommt? Als ich nun also im Requisitenschrank saß und über derlei Dinge nachdachte, da just ließ mich der Herr Direktor holen. Ich dachte mir nichts Gutes dabei, hatte ich ihn doch das letzte Mal, als ich mit ihm beisammen war, etwas waghalsig gefragt, ob er denn nichts anderes mehr im Sinn habe, als immer nur noch trostlosere Stücke aufzuführen, was der alte Herr durchaus nicht freundlich aufnahm. Als er mich nun aber bei sich hatte, ließ er mich wissen, dass er noch einmal der Welt den Spiegel vorhalten wolle und dass er mir den Prolog zugedacht habe.

"Nach Damnaskus" hat der Autor dieses Stück genannt. Man muss sich aber nicht wegen eines Schreibfehlers Sorgen machen, auch wenn er im Stück dann von Damaskus spricht. In einem Anfall kindischer Experimentierlaune hat er da etwas Latein zusammengekratzt. Auf meine Frage hin schwafelte er mir etwas von damnum und von nasci vor, um mir dann wie ein Oberlehrer zu explizieren: "Eintritt in die Welt und Abtritt aus der Welt und Schweigen: das ist der Dreischritt, der ewige Gültigkeit besitzt, bis auch noch der letzte Mensch über die Erdenbühne gestolpert ist. Mehr bedürfe es nicht zu wissen. Daraufhin wies er mir die Tür und ich war entlassen.

Wenn ein Mensch noch jung ist und die Welt voller Lachen und Lebensfreude, da hast du als Narr leichtes Spiel. Sobald aber der Ehrgeiz sich eines Menschen bemächtigt, dergestalt dass es in ihm zu rumoren beginnt und er sich einbildet, er müsse ausziehen und sich einen Namen machen, auf dass er dann eingetragen würde ins Buch der Geschichte, wie noch keiner jemals wär eingetragen worden, ja wenn Riesenpläne in ihm, wiewohl es schon nach Tannenholz zu riechen beginnt, zu rumoren beginnen und Weltherrschaftspläne von ihm Besitz ergreifen und die Geister in ihm sich scheiden, wenn die Welt, während er sie ruhelos durchschweift, ihm immer fremder wird, wenn er in seinen Freunden plötzlich Feinde erkennt und es ihm höchste Zeit zu sein scheint, die Welt von Verrätern zu säubern, wenn endlich alles auf den Prüfstand gestellt wird, selbst auch noch das Wohlbefinden in der häuslichen Liebe: da wird selbst für einen Narren guter Rat teuer. Was hätte ich sonst noch als Prologus mitzuteilen? Was sonst, als dass man sich als Narr in einer heiteren und fröhlichen Geschichte als launiger Spaßmacher gefallen mag? In einem trübseligen Stücklein aber bleibt einem kaum mehr übrig, als altgewordene Hosenlätze abzulausen. Mag nun also das Stück beginnen! Erwarten die Damen und Herren von mir aber nur ja keine Haupt- und Staats-rolle. Denn wenn man einem Narren auch Gemeinheit und Feigheit vorwerfen mag, so bleibe ich doch dabei, dass er nur eine kleine Nebenrolle zu spielen hat, so dass ich mich nicht zu beeilen brauche, irgendwo als Erster anzukommen. Und sollte ich auch einmal einen Schritt schneller gehen als gewohnt, so geschieht es nur aus Spaß am Gehen, wie bei den Kindern, nicht um irgendwo Sieg-Heil zu schreien und ein Siegermännchen zu markieren. Und wenn ich mich auch nicht rühmen kann und niemals rühmen will, ein Lehrer der Menschheit zu sein, so will mir doch scheinen, dass man die Qualität der menschlichen Sozietäten danach bemessen könnte, wie viel Zeit man sich noch für einen gelegentlichen Spaziergang erlauben mag. Möge es uns nicht kalt werden in dieser Welt, die auseinanderbricht, wenn nirgends mehr ein wenig Vertrauen und ein wenig Halt zu finden sind! Es würde mich jedenfalls nicht wundern, wenn in dieser Welt, wo dilettierende Narren über die Geschicke der Menschheit entscheiden, nur noch ein Narr übrig bliebe, das Schlusswort zu sprechen.

Was für ein Leben! Grübelnd sich verzehren

und Tag und Nacht ruhlos dahin zu treiben

und alles Glück des Lebens zu entbehren,

um sich ins Buch des Lebens einzuschreiben.

 

Was für ein Leben! Nie vom Schlaf besiegt,

gejagt, geplagt, gehetzt, ehrgeizig, blind,

geliebkost nie, in Schlummer eingewiegt

von keiner lieben Hand je wie ein Kind.

 

Allzeit bedacht darauf nur, zu ergreifen,

was sich auffinden lässt, erbeuten, fassen,

um dann, bei solch wahnwitzigem Schweifen,

das Buch des Lebens endlich zu verpassen.

 

Was für ein Leben! Hin zum letzten Wissen,

dass wir Platz machen und verschwinden müssen!

 

Verschwinde denn auch ich! Doch wohin nur? Hierhin nicht und dahin auch nicht. Und hier herein auch nicht; denn hier geht es zu den privaten Gemächern seiner Majestät! Dass man auch noch Angst haben muss vor dem eigenen Verschwinden! Aber es ist eben das Schicksal des Untergeordneten, selbst wenn er als Narr verkleidet daherkommt, dass er Angst hat.

2. Szene: Im Schlafzimmer des Königs

(König Hadad liegt in seinem Bett, verwirrt und unsicher, nach einem Alptraum. Seine vier Leibwächter sind um ihn herum.)

Hadad: Schon wieder hab ich geschlafen und keiner hat mich geweckt! Wo sind meine Minister, wo meine Ratgeber und Seelsorger, wo meine Glückspropheten, wo meine Leibwächter? Ist keiner mehr da, der nach mir schaut, keiner, der Wache für mich hält, keiner, der mich weckt, wo mir von überall her Gefahren dräuen? Da muss es mit meiner Macht schon arg bergab gegangen sein. Ein Wunder, dass ich überhaupt noch bin. Freilich ist auch die Treue verschwunden, jene Gottheit, der ich einst hatte Tempel erbauen lassen wollen. In früheren Tagen war es noch Sitte, dass von den engsten Höflingen und Freunden des Königs immer wieder einer in den Freitod ging zum Wohl seines Herrschers. Ja, da war noch eine Lust und Freude am Leben, wenn der Wechsel der Stunden durch den Freitod eines Helden angekündigt wurde. Da war die Hoffnung noch groß, mit seinem Herrscher einzutreten in das Reich der Heroen. Erst als dieses goldene Zeitalter zu Ende ging und das heilige Königtum von der Erde verschwand, verschwanden auch Glauben und Vertrauen vom Antlitz der Erde. Heute geht keiner mehr für seinen König in den Tod. Heute denkt keiner mehr daran, mir Platz zu machen, wenn ich in seine Nähe komme.

Doch still! Hör ich nichts von da draußen? Wie? Haben sie schon wieder zu lärmen begonnen und Radau zu machen? (man hört aber noch nichts)

Ah, wie sich doch die Zeiten geändert haben. Da machst du die Augen zu für ein Weilchen; und öffnest du sie wieder, kennst du die Welt nicht mehr. Wo einstmals Felder sich erstreckt haben, dein Herz zu erfreuen, wo Weinberge gediehen und Winzer jauchzend die Ernte die Hänge hinabgebracht haben, wo Erde und Himmel, Berge und Meer eine ewige Ordnung vor Augen gestellt haben, wüten jetzt Wilddiebe und Straßenräuber und Piraten. Als wäre das Weltall nur noch dazu da, dass Diebe kommen und dir die Freude am Leben stehlen! Und keiner ruft dir zu: Hoheit, nimm dich in Acht. Als wärest du längst ausgestiegen aus dieser Welt und du bildetest dir nur ein, es gäbe dich noch. Dabei gibt es dich längst nicht mehr, noch auch dieses Zimmer, kein Schloss mehr und keinen Schlosshof mehr und keinen Schlossgarten mehr, allenfalls noch ein Gebäude mit Schlössern, ein Riesengefängnis, in welches man die Menschheit eingesperrt hat, aus dem sie mit aller Macht herausdrängt.

(die Wächter erblickend) Immerhin sind da noch die Herren, die ich mir einmal als meine Leibwächter ausgesucht habe, wenn sie auch dastehen, als wären sie aus Holz oder Ton geformt und nicht aus Fleisch und Blut. Wo du sie hingestellt hast, da bleiben sie stehen, als wär das ihre Aufgabe. Doch warum lasse ich das gelten? - Regt euch und bewegt euch!

(die vier Wächter nehmen Haltung an)

Und nun sagt mir, wer ich bin?

Alle Wächter: Majestät ist unsere Majestät. Unser Herrscher und Beschützer. Unser Vater und unser Wohltäter. Er ist es, für den wir leben und sterben.

Hadad: Und warum lasst ihr mich hier so liegen? Und keiner kommt zu mir heran und sagt: "Umzingelt ist der Palast, an seine Tore stürzt der Kampf heran!" Warum rettet mich keiner, wenn ich mich nicht selber errette?

alle Wächter: Hier kommt keiner herein.

1. Wächter: Majestät möge uns erproben und uns als treu befinden!

2. Wächter: Was immer Majestät beliebt, uns zu befehlen, das führen wir durch, bis alles getan ist.

3. Wächter: Nie liegt uns etwas anderes im Sinn als das Wohl seiner Majestät.

4. Wächter: Dann aber stehen wir wieder da, wie es sich für einen treuen und braven Diener geziemt, bereit für den nächsten Auftrag. Ja, selbst wenn man uns erschlagen hätte, stünden wir wieder auf für seine Majestät.

Hadad: Und warum lasst ihr mich im Schlaf liegen?

1. Wächter: Majestät hat uns nicht den Auftrag erteilt. Majestät sagte zu uns: "Wie bin ich doch so müde! Lasst mich nun schlafen und weckt mich nicht auf!" Wir aber haben nichts bemerkt, was uns zu einem Aufwecken gezwungen hätte.

Hadad: Ist nicht eine Mondverfinsterung vorübergegangen?

3. Wächter: Wir wissen es nicht.

Hadad: Dabei hätte genügt, einer von euch hätte Ausschau gehalten. Aber auch ihr seid ja nichts als traurige Gesellen.

4. Wächter: Wir wussten von keiner Verfinsterung. Majestät hat uns nicht den Auftrag erteilt.

Hadad: Hört man nicht schon die Verräter schreien?

1. Wächter: Wehe, es wagte einer, ins Zimmer zu treten!

2. Wächter: Ja, wage es einer, seiner Majestät nach dem Leben zu trachten!

3. Wächter: Treu sind wir! Der Majestät ergeben.

4. Wächter: Ja, Majestät ist in guten Händen.

Hadad: O ja, in sehr guten Händen. Bis sich die Hände rot gefärbt haben im Königsblut. Himmel und Hölle, dass man sich Menschenhänden anvertrauen muss. Besser vorlieb nehmen mit den Krallen eines Tigers oder den Pranken eines Krokodils!

1. Wächter: Böse Träume haben seine Majestät heimgesucht! Voll böser Träume ist die Welt.

Alle Wächter: O, sehr böse Träume.

Hadad: Aber sie sollen es mir büßen, o, sie sollen es mir büßen.

4. Wächter: Wer schuldig ist, den soll es treffen. Alle anderen aber mögen in Frieden leben.

Hadad: (er erzählt seinen nächtlichen Traum) Kaum ein paar Augenblicke hatte es gedauert, da hatte sich der Mond vollkommen verfinstert. Und die Türe flog auf und Dubar, der Chefingenieur, und Baruch, der Kanzler kamen herein. Ich hatte sie ausgesandt, mir meine Schibtu zu bringen, damit sie mir mit ihrer wunderbaren Musik die Finsternis verscheuche. Und da dachte ich, o ja, jetzt wird doch noch alles gut. Zumal da ich ihr Lächeln falsch deutete, glaubte ich felsenfest daran, meine Schibtu wäre bei ihnen. Doch sie kamen allein. Im innersten Schlosshof, dicht unter meinen Fenstern aber war ein Lärmen und Schreien und ein Tumult ausgebrochen. (Jetzt kommt vom Schlosshof her Lärm ins Spiel, als spielte sich das Erzählte dort wiederum ab) Harmlosen Gemütes voll fragte ich nach der Ursache des Lärmens. - Doch still! Hör ich da nicht schon wieder etwas? Das sind die Leute, die es auf mein Leben abgesehen haben. - "Die Gesandten sind gekommen" " gaben sie mir zur Antwort. Und der Pöbel schrie, um Rache an mir zu nehmen.

alle Wächter: Wir werden uns das nicht gefallen lassen.

Hadad: Gewiss stehen schon ein paar von Dubars Leuten vor der Türe.

1. Wächter: Dubar ist ein Mann des Königs.

Hadad: Wenn er nicht ein Verräter ist.

1. Wächter: (öffnet die Türe und sieht nach) Es ist still, Majestät, und niemand steht draußen.

Hadad: Bleib an der Türe stehen und stich zu, auch wenn du nur den geringsten Lufthauch verspürst. - Und du (zum 2. Wächter) stellst dich hierhin (ans Fenster). Und ihr beiden bleibt hier dicht in meiner Nähe!

alle Wächter: Möge Majestät nie ein Leid widerfahren!

Hadad: Unschlüssig, was ich nun tun sollte, befahl ich, der grölenden Menge zu gebieten. Da brachten sie mir Steine, Kieselsteine und Wackersteine. Und sie öffneten das Fenster, damit ich meine Feinde bewürfe. Dann wurde es für ein Weilchen still. Alsbald aber wurde es nur noch lauter draußen. Das ärgerte mich gewaltig. Daraufhin brachten sie mir Pistolen und Gewehre, später dann auch noch Bomben und Granaten und das gesamte Arsenal voller Kampfjets und Bomber. Was immer sie brachten, warf ich aus dem Fenster. Endlich, auf dem Gipfel der Wut, brachten sie mir eine Atombombe. Ich fragte sie, ob sie auch scharf geladen sei. Wenn ich die geworfen hätte, sagte Dubar, sei ewiger Friede. Zum Beweis ließ er sie an Apparate anschließen und ausmessen, so dass Zeiger Ausschläge verzeichneten. Da ich aber noch immer zweifelte, öffnete er das Fenster und bat mich, nun auch noch die Atombombe hinaus zu werfen. Auf diese käme es nicht an. Sie hätten noch mehrere. Wie Schneeflocken könnte ich sie auf die Erde herabfallen lassen. Als ob der Verrat damit behoben wäre. - Seht nach!

3. Wächter: Sollen wir hinaus auf den Schlosshof und Ruhe schaffen? Doch wer sorgt dann für die Sicherheit seiner Majestät?

Hadad: Bleibt da und seht nach, ob sich Feinde hier versteckt halten.

alle Wächter: Hier hält sich niemand versteckt.

Hadad: Heißt das Nachsehen? Vor lauter Nachsicht, sehen sie nichts. Dabei sieht man sie haufenweise! Schließt die Augen!

Alle Wächter: Was sollen wir tun?

Hadad: Schließt die Augen, hab ich gesagt! Vielleicht seht ihr dann besser! - Da seht ihr sie nun, meine erprobten Wächter, die Letzten, auf die ich mich verlassen kann. Ängstlich um ihr eigenes Wohl besorgt, halten sie sich die Augen zu, damit es ihnen leichter fällt, sich einzureden, es wäre nichts zu befürchten.

Alle Wächter: Wenn der König befiehlt, schauen wir uns noch einmal um.

Hadad: Befehl ich denn nicht? Wenn ich zu schauen befehle, so heiße ich finden!

alle Wächter: Ja dann. Schauen wir nach! In allen Geheimfächern und Nischen! Hinter allen Bildern und Wandleisten, unter den Teppichen und Tapeten, hinter den Gobelins, überall. Und weh dem Verbrecher, er mag sichtbar sein oder unsichtbar, den wir ertappen.

Hadad: (für sich) Und jetzt weg mit allen Schwächen! Keine Spur soll mehr davon übrig sein, wenn wir unsere Staatsgeschäfte beginnen. Hart wollen wir uns zeigen, hart und selbstbewusst und unbesiegbar, mit harter Hand durchgreifen, dass sich keiner vermisst, etwas zu tun, was unser Missfallen erregen könnte. Verscheuchen wir die Brut der trüben Gedanken, die nicht gut ist beim Regieren!

alle Wächter: Es schmerzt uns, Majestät sagen zu müssen, dass uns kein Erfolg beschieden ist. Nichts ist hier zu finden, nirgends eine Spur.

Hadad: Auch von euch ist schon bald keine Spur mehr zu finden. Ihr werdet es bald sehen!

Die Wächter: Haben wir nicht getan, was wir konnten? Aber wenn Majestät will, steigen wir in den Schlosshof hinab und vernichten den Feind. Kein Opfer, das uns zu groß wäre.

Hadad: Hättet ihr zugestochen, der Feind wär euch nicht entgangen. Aber nur zögerlich und schonend seid ihr vorgegangen.

2. Wächter: Die Jahrhunderte alte Gobelins, die prachtvollen Teppiche lägen zerfetzt und zerrissen, ohne dass wir auch nur einen einzigen Verräter zu Tag gefördert hätten. Was auch würde Majestät zu uns sagen, wir hätten ihm alle die wertvollen Gegenstände der Einrichtung durchlöchert!

Hadad: Hattet ihr das zu bedenken?

alle Wächter: Möge Majestät seinen Dienern ihre Unwissenheit verzeihen.

Hadad: Diener bräuchte ich, auf die unbedingt Verlass ist. Aber ich bin allein. Hinter meinem Rücken spielen sie alle ein abgekartetes Spiel!

alle Wächter: Vater des Vaterlands! Du allein bist es doch, der uns Identität und Würde und rechten Sinn verleiht. Du allein bist es, der uns sagt, was wir zu tun haben, du allein auch, der uns sagt, wer wir sind.

Hadad: Seid ihr Menschen?

alle Wächter: Ja, das sind wir.

Hadad: Und ist der Mensch nicht ein Verräter?

alle Wächter: Aber wir nicht.

Hadad: Werdet Hunde, damit man euch nicht als Verräter entlarvt. Einerlei, ob Jagdhund oder Windhund. Ob Blendling, Wachtelhund, Spitz, Pudel, Schäferhund und Halbwolf, die alle der Name Hund als treu benennt. - Aber wir werden nicht säumen, Rechenschaft zu verlangen, und zwar jetzt gleich. Dubar soll kommen!

Alle Wächter: Wer?

Hadad: Der Kanzler Baruch! (für sich) Für Dubar müssen wir uns eine Spezialbehandlung ausdenken. Beginnen wir mit den Aufräumarbeiten, wo sie uns am wenigsten Kopfzerbrechen machen. Vom Kleinen zum Großen. Vom Harmlosen zum Gefährlichen. Vom Wochenendputz zum lebensgefährlichen Unternehmen.

(nachdem er gebrüllt hat "Der Kanzler Baruch!", verwandelt sich das Schlafzimmer in den Thronsaal. Nur der Lärm von draußen bleibt unverändert. Hadad setzt sich auf den Thron. Sechs Stufen führen zu ihm empor; auf jeder Stufe sind zwei Löwenskulpturen angebracht, Sphingen zieren die Thronlehnen. Die Wächter beziehen Stellung um den Thron herum.)

Hadad: (für sich) Ist der Kanzler Baruch noch immer nicht da?

Wächter: Gleich wird er da sein.

Hadad: Und ist er auch um keine Antwort verlegen, so soll er mir diesmal doch nicht entkommen. Ja, mögen seine mausgrauen Äuglein auch darauf warten, mich mit Märchen zu umspinnen, es soll ihm nicht mehr gelingen. Die Zuchtrute wollen wir ihn kosten lassen, wenn er auch nur muckt. Denn er hat sie verdient.

3. Szene: Im Thronsaal des Königs

1. Abschnitt: Hadad und Baruch

Baruch: Haben Exzellenz nach mir gerufen?

Hadad: Da schaut ihn euch an, wie ahnungslos er daher kommt. Und das will mein Kanzler sein.

Baruch: Hat Majestät etwas gegen mich?

Hadad:

Ah, mein Minister hat Manieren,

er kommt stets mit erhobenem Haupt

durch die für ihn gemachten Türen,

ein Bösewicht, wer Böses glaubt.

Kanzler Baruch ist nämlich ein Meister der Ablenkung, mit allen Wassern gewaschen, ein Weiser des gewichtigen Worts und der edlen Ermahnung, vor allem, wenn es um die Unterweisung anderer geht. Seine eigenen Angelegenheiten freilich hält er taktvoll zurück. Dieser ausgemachte Spitzbube, dieser Prüfer des Winds, dieser Kenner der Zukunft! Schon bei meinem Vater Abidad hat er gedient. Und auch meinem Nachfolger wird er den Dienst versehen, es sei denn, dass er vorher noch den Kopf verliert.

Baruch: Ich bin bestürzt über diesen Empfang.

Hadad: "Ich bin bestürzt über diesen Empfang!" Hat er das nicht wacker gesagt? - Aber wir haben geläutet, mein Herr. Und ein guter Knecht lässt nicht auf sich warten. Das macht sich nicht gut, Majestät warten zu lassen. Das gibt dunklen Vermutungen Nahrung.

Baruch: Ich habe das Läuten gehört und bin gekommen, so schnell ich nur konnte.

Hadad: Hat die Gesandten und Botschafter des Auslands empfangen, wie es meinem Kanzler wohl ansteht? Oder war er noch bei einer kleinen Konspiration zu Gast bei unserem Chefingenieur, dem von uns geliebten Dubar?

Baruch: Ich hatte noch geschlafen.

Hadad: Ei, da sieh her! Geschlafen hat mein Kanzler! Und verbat es sich, sich wecken zu lassen von den bösen Buben im Schlosshof?

Baruch: Eine Handvoll Rebellen, die auf Umsturz sinnen. Sind wir denn eine Weltmacht, die gleich in panische Angst ausbricht, wenn ein paar Sängerknaben zu singen beginnen?

Hadad: Erzähl er die Märchen jemand anderem, nicht mir!

Baruch: Majestät!

Hadad: Den Anfängen zu wehren ist Aufgabe jeder Regierung. Sei es durch Gesetzgebung, sei es durch die Organe der Verfassung, sei es durch sonstige Mittel.

Baruch: Gott schütze mich vor jeder Art von Verräterei und geschähe sie in den tiefsten Tiefen meiner Seele. Im Übrigen habe ich schon immer gesagt, dass mir mein Herr allezeit vor Augen steht. Und dass er nur zu rufen braucht und ich bin da.

Hadad: Er weiß ganz genau, was für Verbrechen er sich in meinem Dienst hat zuschulden kommen lassen.

Baruch: Ich kenne keine Verbrechen, es sei denn, ich erfände welche.

Hadad: Und der Morgenweihrauch für den Herrscher? Wie lange hat er den schon vergessen?

Baruch: Als der Krieg begann ...

Hadad: Schweig er mit seinen Ausreden, statt dass er sich anklagt! - Hab ich nicht gesagt, der Bursche ist ein Naturtalent an Verstellung? Seht ihn euch doch nur an. Wie die Unschuld, die von nichts etwas weiß, wohnt er unter meinem Dach. Dabei weiß er sich jedem Lufthauch anzupassen. Ganz korrekt von außen und vorschriftsmäßig angezogen kommt er daher, inwendig aber sinnt er auf nichts anderes als auf Verrat.

Baruch: Sag mir Majestät, was ich verbrochen habe und ich will dafür büßen. Nenne mir Majestät auch nur eine von meinen schwerwiegenden Verfehlungen! Des Todes will ich sein, wenn ich auch nur eine begangen habe. Unschuldig bin ich; das ist alles, was ich getan habe!

Hadad: So frage ich ihn denn: ist er hinausgegangen, meine Feinde zum Schweigen zu bringen, als ich ihn geschickt habe?

Baruch: Was in meiner Macht stand, habe ich getan.

Hadad: Wer darf fragen, was in seiner Macht steht, wenn ihn der König schickt? Da seht ihn euch an, wie er schweigt.

Baruch: Schicke mich seine Majestät und ich gehe!

Hadad: Dann geh er ans Fenster und schau er nach, was sich draußen tut! Und nicht mühsam getrottet, sondern marsch, marsch! Und nun sag er uns, was der Lärm bedeutet! Und untersteh er sich ja nicht, uns zu sagen, dass heute kein gutes Wetter ist. Und dass man die Wolken als ein mythisches Bild lesen könnte. Verschon er mich mit wilden Tieren, die zum entscheidenden Sprung ansetzen auf eine schon lange verfolgte Beute.

Baruch: Was dieser Lärm bedeutet?

Hadad: Heraus mit der Sprache!

Baruch: Es mag Hunderte von Ursachen geben. Mit jeder dieser Ursachen kann der Lärm begonnen haben.

Hadad: Und was sind das für Ursachen?

Baruch: (am Fenster) Immer wird es ein paar Leute geben, die unzufrieden sind mit dem, was sie haben.

Hadad: Ein guter Kanzler aber trägt Sorge dafür, dass alle zufrieden sind. Und zwar nicht, indem er jedem gibt, was er zu brauchen glaubt, sondern indem er jedem zur Überzeugung verhilft, glücklich zu sein, selbst auch, wenn es ihm elend erginge. - Aber vielleicht sind die Leute da drunten glücklich? Weil sie sehen, wie die lang erwarteten Gesandten Einzug halten in unseren Schlosshof? Wie? Findet da draußen nicht schon die Begrüßung statt und nur der König weiß nichts davon?

Baruch: Weh den Leuten, die böse Gerüchte aussäen. Es betrifft mich, wenn Majestät einen Verdacht gegen mich hegt.

Hadad: Und dieses Geschrei?

Baruch: Was dieses Geschrei betrifft, so halte ich es für ein Nichts. Sobald es sich lohnt, schicken wir die Palastgarde aus.

Hadad: "Sobald es sich lohnt!" Fein diplomatisch formuliert. Ich aber sage ihm, es lohnt sich schon jetzt.

Baruch: Was soll das heißen, dass ich hingehe und Ruhe schaffe? (will hinausgehen)

Hadad: Hier, vom Fenster aus, gebiete er der Meute! Stelle er das Kriegsgeschrei ab oder ich lasse ihn ans Palasttor nageln!

Baruch: Gebt Ruhe, ihr Hunde! (es wird nicht stiller draußen)

Hadad: Ist das alles?

Baruch: Ich tu, was ich kann! Majestät soll es sehen. - Ruhe sollt ihr geben! (es wird immer noch nicht stiller)

Hadad: (zu den Wächtern) Wenn das alles ist, ja, dann ergreift den Verräter. Packt ihn und nagelt ihn an das Palasttor!

Baruch: Mein Herr!

Die Wächter: Sollen wir ihn zuerst niedermachen und dann seinen Leichnam annageln oder ihn lebendig annageln?

Hadad: Lebendig nagelt ihn fest und verschafft ihm, was er verdient!

Baruch: Lasst mich!

Die Wächter: Er hat gehört, was uns Majestät befohlen hat!

Baruch: Majestät wird mich noch einen letzten Versuch machen lassen. Er wird gewiss nicht umsonst sein.

Hadad: Doch wehe, ich höre auch nur noch einen Sterbenslaut.

Baruch: Meine Herren, schweigt und geht jetzt nach Haus! (es wird jetzt ganz stille draußen)

Hadad: Wie rasch das doch ging! Warum nicht gleich?

Baruch: Meine ganze Autorität hab ich in die Waagschale geworfen.

Hadad: Glück auf, wer über eine solche Autorität verfügt! Gesegnet darf der sich nennen!

Baruch: Ja, glücklich, wer nach mancherlei Schwierigkeiten das Ziel erreicht. Ist Majestät nun zufrieden mit mir?

Hadad: Wüsste ich, dass er mir nicht den Beweis geliefert hat, dass er zu unseren Feinden gehört, so wär ich zufrieden! Im Komplott mit unserem Militärmeister Dubar.

Baruch: Weshalb das?

Hadad: Weil sie ihm gehorchen. Ein Feind aber gehorcht nicht.

Baruch: Wann jemals hätte ich seiner Majestät den Gehorsam verweigert?

Hadad: Als wir ihn baten, uns sein Schwester zu bringen? Hat er sie uns gebracht? - Schibtu ist doch seine Schwester. Oder ist er nicht der Bruder seiner Schwester?

Baruch: Ist das ein Verbrechen?

Hadad: Dass sie nicht da ist, das ist allerdings ein Verbrechen.

Baruch: Ich habe sie nicht vom Kommen abgehalten.

Hadad: Dabei habe ich ihn beauftragt, sie in meinen Palast zu bringen. Aber das geht ihn nichts an. Was er nicht tun will, das hört er auch nicht.

Baruch: Allerdings habe ich sie darum gebeten. Sie aber hat sich Bedenkzeit ausgebeten.

Hadad: Bedenkzeit, dem Befehl des Königs zu folgen?

Baruch: Es geschah der Königin wegen.

Hadad: Was? Darf sich ein Hund von Kanzler einmischen in die innerköniglichen Angelegenheiten?

Baruch: Der König möge befehlen und ich werde meine Schwester aufsuchen und sie zu seiner Majestät bringen.

Hadad: Die Palastdamen fliehen ins Weite, wenn man sie mir nicht gar noch entführt! Ich sage "Komm!" und man geht. Und ich sage "Geht!" und man weicht nicht von der Stelle. So weit ist es schon gekommen.

Baruch: Wenn ich nicht zum Kanzler tauge, so mag seine Majestät einen anderen bestellen.

Hadad: Überhaupt, was wollte er damit sagen, dass sich seine Schwester Bedenkzeit ausgebeten habe, der Königin wegen?

Baruch: Hat mir Majestät nicht eben untersagt, mich in die innerköniglichen Angelegenheiten einzumischen? (von draußen hört man wieder Lärm) Möge sich das Herz seiner Majestät beschwichtigen.

Hadad: (er deckt das Tuch vorsichtig ab, das die Statue des Abidad bedeckt.) Komm her! Ganz hierher! Und nun erzähl er unserem Väterchen Abidad, dem Vater der Königin, wie er in meinem Auftrag Selim, seinen Enkel, umgebracht hat! Er wird seine Freude daran haben.

Baruch: Abidad darf doch nichts sagen!

Hadad: Ist er nicht tot? Was hätte er uns noch zu sagen?

Baruch: Es ist wegen des Orakels.

Hadad: Weil mich mein Sohn ermordet, wenn Abidad noch ein Wort spricht? Sprechen denn die Toten noch? Und selbst wenn sie sprächen, wie könnte mich der Sohn ermorden, wo ihn mein Kanzler Baruch im Einvernehmen mit unserem Dubar umgebracht hat?

Baruch: Ich habe Angst.

Hadad: Als ob ich so dumm hätte sein sollen, nicht aus der Geschichte zu lernen. Seit 3000 Jahren nachweislich ermorden hier die Söhne ihre Väter und dies nur, um an die Macht zu kommen. Doch los jetzt, erzähl er jetzt endlich unserem Väterchen, dass er nichts zu besorgen braucht.

Baruch: (mit Kotau vor der Statue) Sie haben es gehört, der Verherrlichung ausgesetzte Majestät, was mir ihr Sohn, seine Majestät, aufgetragen hat. Darum werde ich nun sagen, was zu sagen mir freilich nicht leicht fällt. Von den Anfängen an will ich alles sagen, was da geschehen ist. Hier im Raum, auf den Stufen zum Thron ist es ja gewesen, wo alles Unheil begonnen hat. Der König hatte sich niedergelassen, um Recht zu sprechen, wie er es jede Woche einmal tat, und das Volk, in einer langen Schlange, stand vor ihm. Ich aber stand dem König zur Seite, zum Protokoll und um dafür zu sorgen, dass den Weisungen des Königs Rechnung getragen würde. Da plötzlich kam Selim in den Saal herein gestürmt. Noch nie war er bei einer Gerichtsverhandlung erschienen; nun aber laut schreiend und mit wutentstelltem Gesicht, stürmte er herein, als setzte man ihm nach, so dass alle dachten, er bedürfte des Schutzes seines königlichen Vaters. Auch ich, zumal da ich sah, dass er wie ein Bittflehender die Hände über der Brust hielt, dachte zuerst, er müsse wohl etwas Schreckliches auf dem Herzen haben. Gleichwohl aber hatte ich das Buch mit den Protokollen bereits zur Seite gelegt. Und als nun der Prinz die Hände entschränkte, er war schon an den Löwen vorbei die Stufen zum Thron heraufgeeilt, ohne dass diese einen Laut von sich gegeben oder sich auch nur leise bewegt hätten: da zeigte sich ein blankgeschliffenes Messer, bereit zum Vatermord. Kaum aber, dass er das Messer gezückt hatte, laut schreiend, dass es genug sei mit Hadads Herrschaft und dass nun die Tage des Sohnes begonnen hätten, da war ich es, der ihn an der Ausführung der Tat hinderte. Ob Selim die Tat aus eigenem Antrieb unternommen hatte, wissen wir nicht. Wiewohl wir uns viel Mühe gaben, den Tathergang freizulegen, so gelang es uns doch nicht. Nur so viel steht fest, dass Selim ausrief, man solle ihm freie Hand lassen. Seit Alters sei das so Sitte, dass der Sohn den Vater umbringe, wie auch Majestät Abidad umgebracht habe. Daraufhin übergab uns seine Majestät der König den Sohn, ihn sogleich und ohne weitere Vernehmung in den Wald hinaus zu führen. Und so machten wir uns noch am selbigen Tag mit dem Königssohn auf den Weg.

Hadad: Weiter! Nur weiter!

Baruch: "Wehe, es untersteht sich jemand, etwas auf eigene Faust zu tun!" So rief uns Majestät noch nach, als wir bereits das Schloss verlassen hatten. Also nahmen wir das Messer, es war eben das Messer, mit dem der Sohn den Vater hatte ermorden wollen, und nahmen die Flasche, in die wir das Blut des Königssohnes abzapfen sollten und begaben uns hinaus in den Wald.

Hadad: (die Flasche mit Blut in die Höhe hebend) Und das soll sein Blut sein?

Baruch: Wohl ist wahr, dass ich noch daran dachte, alles wie in einem Märchen enden zu lassen. Wäre da nur nicht Dubar gewesen.

Hadad: Und weiter?

Baruch: Nachdem wir in den Wald gekommen waren, Selim lief mit uns, ohne sich zu wehren, es war schon sehr dunkel und wir brauchten eine Fackel, erreichten wir einen geeigneten Ort, einen Steinbruch, wo man früher die Quader für den Palast hat schlagen lassen. Dort gedachten wir, dem königlichen Befehl nachzukommen. Da aber bat uns Selim, für einen Augenblick innezuhalten. Ich dachte schon, jetzt fleht er um sein Leben, und schaute zu Dubar, was wir tun sollten. Selim aber bat uns nur, noch einen Steinhaufen als Totenmal errichten zu dürfen. Er habe ja keinen Sohn, der ihn einmal bei seinem Namen rufen könnte. Wir glaubten im Sinn des Königs zu handeln, indem wir ihm diese letzte Ehre erlaubten. Ja, ich rang Dubar sogar ab, dass wir ihm die Fackel übergaben, dass er etwas sehen konnte bei seinem Bau. Als ich aber weiter in ihn drang, mit der Hinrichtung abzuwarten und ihn vorerst nur gefangen zu halten, weil sich Majestät ja noch anders besinnen könne, da lehnte er ab.

Hadad: Und dann?

Baruch: Dann machten wir ihn nieder. Ich hielt ihn fest, während ihm Dubar die Kehle durchschnitt. Mit einem Ruf nach Vater und Mutter sank er zu Boden. Nachdem er seinen Geist aufgegeben hatte, schleppten wir ihn in die königliche Jagdhütte, wo wir ihn unter dem Erdboden verscharrten. So ist alles geschehen. Und kein I-punkt fehlt bis zur Wahrheit.

Hadad: Und das wagst du mir zu sagen, du Mörder!

Baruch: Nichts was geschehen ist, geschah ohne Wissen seiner Majestät.

Hadad: (indem er die Flasche mit Blut holt und ausschüttet) Geh und bring mir meinen Sohn zurück. Und wehe, wenn er nicht bis morgen wieder lebt! Dann kannst du deinen Kopf angenagelt über dem Palasttor bewundern!

(Baruch geht weg)

2. Abschnitt: Hadad und Abidad

Hadad: Nun, Väterchen Abidad, nun hast du doch alles gehört. Oder wie oft muss ich dir noch sagen, dass ich sterben muss? Warum sagst du nichts? Hat es dir die Sprache verschlagen? Grollst du noch immer, weil ich mich auf deinen Thron gesetzt habe? Meinst du, es war für mich eine Freude, dich umzubringen? Möchtest du mir jetzt nicht wenigstens ein Wort ganz im Stillen sagen, du der mich so leidenschaftlich, so innig hasst! Du schweigst noch immer?

Abidad: (schweigt)

Hadad: Ja, es ist ein närrisches Gelüst, das mich da heimsucht. Zum Sprechen versuche ich ihn zu reizen, um ein für alle Mal zu wissen, dass mein Sohn tot ist, während er gern reden würde, um mich wissen zu lassen, dass mich mein Sohn nun bald umbringt.

Abidad: (schweigt)

Hadad: Du darfst mir antworten Abidad. Ich gestatte es dir. Darum habe ich dich ja aufgedeckt, damit nun auch du mir aufdeckst, was aufzudecken du noch in der Lage bist. Räche dich, wenn du kannst! Denn Rache ist süß. Nicht dass du meinst, ich traute dir nichts zu. Ich weiß, dass du mächtig bist, auch wenn du nicht mehr unter uns weilst. Ich weiß, dass deine Kraft und dein Gemüt sich in dieser Statue verborgen halten. Und was dein Orakel angeht, so wissen wir, dass wir uns darauf verlassen können.

Abidad: Heute ist der Tag!

Hadad: Was war das? Hat er etwas gesagt?

Die vier Wächter: Er hat gesagt, dass heute der Tag ist.

Hadad: Ist es wahr, dass du gesagt hast, dass heute der Tag ist?

Abidad: Alles wird über dich kommen, wie ich es gesagt habe.

Hadad: Das heißt, dass mich mein Sohn, mein eigener Sohn ermordet?

Abidad: Dein eigener Sohn Selim wird dich heute noch ermorden.

Hadad: Das ist allerdings ein Wort.

Abidad: Vergiss es nicht!

Hadad: Ich werde mich vorsehen. Ihr habt es gehört, meine Herren.

Die vier Wächter: Wir haben es gehört. Und wir werden nicht versäumen, seiner Majestät zu Diensten zu sein.

Hadad: Das also war das Wort, von dem das Orakel gesprochen hat? Gratulation, mein Lieber! (deckt ihn wieder zu) - Ich dachte immer, wenn die Toten auferstehen, verfügen sie über jugendliche Kraft und Einsicht. Nun aber kommt mir dieser Alte mit seinem schwachköpfigen Gerede und versucht mir Angst einzujagen. So schrecklich es mich aber auch im ersten Augenblick getroffen hat, so glücklich macht es mich nun. Ihr habt es gehört.

Die vier Wächter: Wir haben es gehört, wenn Majestät will, dass wir etwas gehört haben.

Hadad: Gut denn. Dann lacht doch endlich!

Die vier Wächter: Worüber sollen wir lachen?

Hadad: Dass mich mein Sohn umbringen will, mein lieber guter Sohn, der mausetot ist. Lacht, ihr Hunde, ehe ich euch die Zungen aus dem Maul reiße!

4. Szene: Dubar in seiner Werkstatt

1. Abschnitt: Gespräch mit dem künstlichen Selim

(Dubar bei der Arbeit am künstlichen Selim; er hält den Kopf eines Roboters in der Hand, den er für Selim, den künstlichen Sohn des Königs geschaffen hat, um ihm diesen aufzusetzen. In der Nähe liegt der tote Selim, von dem er Maß nimmt.)

Dubar: Die Zeit der Individualisten ist vorbei. Jetzt gilt es, dass wir damit beginnen, über den Tag hinaus zu denken. Zuerst einmal muss dieser Menschenschänder, dieser Hadad weg. Nicht wahr, mein Freund!

Selim: (noch ohne Kopf) Ja, so ist das.

Dubar: Dabei ist alles vermutlich noch ein Stückchen schlimmer. - Wenn ich schon Kopf und Kragen verliere, so sagt sich dieser Hadad, so soll mir die Welt nicht neugierig zuschauen. Mit mir zusammen sollen sie zum Teufel fahren. "So hab ich es mir ausgedacht und nichts anderes liegt mir mehr im Sinn als eine hübsche Inszenierung dieser Fahrt. Einen kleinen Weltkrieg, einen Atomkrieg: ob ich das nicht fertig bekomme? Honestate cadere! O honestate cadere!" So deliriert unser Herrscher. - Doch nun wollen wir zuerst einmal dir den Kopf zu Recht setzen! - Passt er so?

Selim: Er passt so. Deine Kunst ist vortrefflich.

Dubar: Sachte, nur sachte. Nur wenn der Kopf zu Recht gesetzt ist, passt er; denn nur dann kann man sich auch etwas in den Kopf setzen. Hier gilt es, sämtliche Möglichkeiten auszuprobieren, bis man die allerbeste gefunden hat. - Aber er mag aufpassen, dieser Hadad! Er mag sich in Acht nehmen, wenn er die Hand ausstrecken will nach mir. Vielleicht, dass ich sie ihm abgehackt zurückreiche. Noch immer glaubt er, er könne jeden unliebsamen Patron ausfindig machen und ergreifen, wo immer er sich verstecken mag, ob er hinauf zum Himmel steigt oder in die Tiefen der Erde drunten. Doch wir werden nicht zulassen, dass er bei dem ihm bevorstehenden Abgang auch noch unsereins mit sich in den Abgrund reißt. Das soll nicht geschehen.

Selim: Nein, das soll nicht geschehen.

Dubar: Freilich dürfen wir auch nicht vergessen, dass der Mensch im Unterschied zu euch Robotern eine ziemlich dunkle Unternatur mit sich herumträgt. Immer trägt der Mensch einen Untermenschen und einen Übermenschen mit sich herum; beide aber sind höchst gefährlich, wenn sie erwachen. Ein Ungeheuer erwacht dann im Menschen.

Selim: Glücklich wir Robotermenschen, die weder einen Untermenschen noch einen Übermenschen mit uns herumtragen! (er sieht sein totes Ebenbild) Und das ist mein Bruder?

Dubar: Das ist er.

Selim: Und der ist tot? Und er weiß, dass er tot ist?

Dubar: Er weiß das nicht.

Selim: Merkt also auch nichts mehr von seinem Ungeheuer?

Dubar: Nichts mehr.

Selim: Wie aber weiß man dann, dass er tot ist?

Dubar: Wenn man sich mühen mag, so viel man will, und man bringt nichts mehr in Bewegung, das nennt man tot.

Selim: Und warum ist es so schrecklich, wenn der Mensch ein Ungeheuer mit sich herumträgt? Ich frage mich, ob ich ihn darum beneiden soll.

Dubar: Lass dir genug sein, wenn ich dir sage, dass er von den Raubtieren abstammt.

Selim: Und ich nicht? Wie schade! Überhaupt das Kennzeichen da ist hässlich.

Dubar: Es unterscheidet dich von den Menschen. Vornehmlich für den Zuschauer ist das bequem.

Selim: Ich mag aber diese Zeichen nicht.

Dubar: Es gibt Zeichen der Diskriminierung und Zeichen der Oberschicht. Die einen sind ein Schandmal, die anderen eine Zierde. Denk, dass du ein Zeichen der Oberschicht trägst, das Ehrfurcht und Achtung einflößt.

Selim: Unauffällig zu leben fänd ich am besten.

Dubar: Genug davon. Der Anfang ist uns jedenfalls gelungen. Ein Geniestreich, wie wir den Sohn gegen den Vater aufgehetzt haben, just als er den Abidad, seinen eigenen Vater, beseitigt hatte.

Selim: Ein Geniestreich war das dann wohl auch, wie mich mein Vater hat umbringen lassen?

Dubar: Dich hat er nicht umbringen lassen, denn du bist nur ein Produkt der Technik.

Selim: Aber ich heiße doch Selim?

Dubar: Du bist nicht Selim, aber du heißest Selim, weil ich dich nach jenem unglückseligen Selim, dem Sohn des Königs, geschaffen habe, der einmal auf Erden gelebt hat. Das muss dich aber nicht bekümmern und das bekümmert dich auch nicht; denn schließlich habe ich dich ja völlig gefühllos geschaffen.

Selim: Das ist gut, wenn man sich wegen nichts bekümmert?

Dubar: Ganz unserer Absicht gemäß hat dieser Hadad dann auch das Band mit der Königin zerschnitten. Der natürliche Mensch, zumal wenn er noch nicht voll ausgereift ist, braucht nämlich viel Liebe und Religion.

Selim: Eines wollte ich dich schon lange fragen, was es mit der Angst auf sich hat. Du sagtest, daran litten die meisten Menschen.

(es läutet)

Dubar: Schon wieder dieser Hadad. Weiß nichts Besseres zu tun, als mich bei meiner Arbeit zu stören. Dabei haben wir ihm doch gesagt, dass wir jetzt keine Zeit haben. Aber weil er nichts zu tun hat und nichts mit sich anzufangen weiß und seiner Märchenbücher satt ist, glaubt er ein Geschrei anstellen zu müssen. Dieses ungeduldige, herrschsüchtige Läuten! Aber es nützt dir nichts, Majestät. Wir lassen uns nicht unsere kostbare Zeit von dir stehlen. Du erpresst uns nicht. Wir haben jetzt Wichtigeres zu tun, als dich zu unterhalten. Warte nur ab, bis wir so weit sind. Dann sollst du deine Überraschung schon früh genug bekommen. Wenn du aber glaubst, du könntest mich von der Arbeit abhalten, indem du mir eine Sonderaufgabe aufhalsest, so irrst du. (er stellt das Telefon ab) Dieser König ist wie ein Kleinkind von seinem Wunschdenken beseelt. Kaum, dass er sich etwas ausgedacht hat, will er auch schon, dass es fertig vor ihm steht. So begehrt er seit gestern von uns einen Apparat, mit dem er sich vor den anderen unsichtbar machen kann. Und wehe, wir schaffen ihm seinen Apparat nicht aufs schnellste herbei. Da darf man sich mit Fug und Recht fragen, wie lang sich die Menschheit solche Herren noch leisten kann. Nur gut, dass unser Projekt noch nicht sein Projekt ist. Arbeite Projekte aus und stell das Produkt den Herrschenden zur Verfügung. Und sei gewiss: es dauert keine 10 Minuten, dann sind sie innig davon überzeugt, dass das ihr Werk ist und dass niemand außer ihnen darüber zu verfügen hat.

Selim: Majestät ist einsam?

Dubar: Das verstehst du noch nicht und musst es auch nie verstehen.

Selim: Ich hörte einmal, dass ein einsamer Mensch uns Automaten ähnlich sei.

Dubar: Nur indem der Einsame sich anders fühlt als die anderen, ist er einsam. Er spürt da eine Leere, die euresgleichen überhaupt nicht kennt.

Selim: Ist das wie mit der Angst?

Dubar: In der Tat kann der Einsame auch ängstlich werden. Die Großen indes beugen dem vor, indem sie nur insoweit allein bleiben, als es unbedingt nötig ist. Bei Tisch siehst du sie stets umgeben von ihren Paladinen in großer Gesellschaft.

(man hört den Lärm)

Selim: Und da draußen, was ist das?

Dubar: Das weißt du doch. Das sind unsere Soldaten.

Selim: Die Soldatenautomaten?

Dubar: Sie kehren in die Kaserne zurück, nachdem ich sie vom königlichen Schlosshof abgezogen habe.

Selim: Was uns allen aber noch fehlt, das ist, dass wir uns noch nicht selber zu reproduzieren vermögen. Und nimmt man uns nicht fachgerecht auseinander, so ist es um uns geschehen. Das ist nun zwar für uns nicht schlimm, es wäre aber doch schade für die viele Forschungsarbeit, die da investiert wurde.

Dubar: Gut, dass du mich daran erinnerst. Bei der geringsten Beschädigung eines Automaten muss eine Regeneration in Gang kommen, dergestalt dass ein Doppel erzeugt wird. Deshalb haben wir das Modell Hydra genannt. Aber es fehlt nicht mehr viel. Dann werden wir den König entmachten, ohne dass er auch noch den Rest seines Volks mit sich in den Tod reißt.

(es läutet wieder)

Selim: Da ist er nun schon das dritte Mal!

Dubar: Als hätten wir die Botschaft nicht längst verstanden, dass er ein Opfer braucht. Das aber ist der gewaltige Unterschied zwischen uns, dass wir ihn nicht brauchen. Wir sind die Männer, die er braucht; er aber ist nur ein Mann, der uns mit seinen Wünschen zur Last fällt und dessen Witz nicht weiter reicht, als dass er uns umbringen zu lassen gedenkt, sobald wir ihm seine Wünsche erfüllt haben. Doch das, erlauchte Majestät, lassen wir nicht zu. Nicht wahr, mein Held!

Selim: Nein, das lassen wir nicht zu.

Dubar: Wenn er gedacht hat, wir würden vor ihm fliehen, so hat er sich getäuscht. Als wüssten wir nicht, dass ein Köter mutig wird, wenn man vor ihm flieht! (er stellt das Telefon endgültig ab) Majestät freilich ist nur mehr noch ein Auslaufmodell. Weißt du, in früheren Tagen, da war das so üblich, dass man als König die Herrschaft auf den Sohn übertrug oder dass der sich die Krone vom Vater stahl. Mit der Zeit aber kam da nichts Gutes heraus. Vom einstigen Ahn der Dynastie blieb zumeist nur noch ein jämmerliches Wesen übrig, das nichts anders konnte, als auf seine Rechte zu pochen, die im Wesentlichen im Genuss und im Kommandieren und Menschenschinden bestanden. (er hebt einen Vorhang, hinter welchem Roboter stehen, die er dann wie ein Uhrwerk aufzuziehen beginnt)

Wenn nun aber auch die Physiognomie der Macht dem freien Wettbewerb überlassen ist, so hat es damit doch auch seine liebe Not. Vielleicht dass wir noch die Gelegenheit bekommen, auf eines dieser Bürschchen zu stoßen, die dabei sind, aus der weiten Welt zu uns zu Besuch zu kommen. Gut gewachsen musst du sie dir vorstellen, diese Bürschchen, glatt gewachsen und gewaschen mit allen Wassern. Auf allen Kontinenten und in allen Ländern triffst du sie heute an. Gutbürgerliche, gepflegte Erscheinungen, als könnten sie keinem Tierchen ein Haar krümmen und sind doch eiskalte Tyrannen. Skrupellose Berechnungen und korrupte Abrechnungen: das sind die Sparten, in denen sie sich besonders auszeichnen. Angst zu kennen verbieten sie sich, wissen sie doch, dass alles zu Ende geht; und ob das etwas früher oder etwas später eintritt, ist ihnen einerlei. Natürlich sind sie klug genug, nicht in eine Falle zu tappen. Was an ihnen liegt, so wissen sie sich zu schützen. Auch an Leibwächtern fehlt es ihnen nicht, die ihnen die Bauernfänger vom Leib halten. Da eine kleine Prämie und dort ein kleines Bestechungsgeschenk tun noch das Übrige. Wehe, es erfrecht sich einer, sich ihnen in den Weg zu stellen. Da sind sie unerbittlich. Doch freilich verstehen sie es, sich zu beherrschen und zu warten, bis sie zuschlagen können.

Selim: Ja, da bin ich gespannt, wenn wir einen von diesen Herren der neuen Welt zu Gesicht bekommen.

Dubar: Doch jetzt lass uns unser Arbeitspensum vornehmen! Lass uns bedenken, was für Wege uns offen stehen, diese Kalamität "Mensch" zu überwinden.

Selim: Hab ich sie nicht schon überwunden?

Dubar: Du sprichst wie ein Mensch, der von Hochmut dampft.

Selim: Von drei Sorten hast du gesprochen. Meister. Die erste Sorte ist die fast vollständig naturbelassene, nur wenig domestiziert, wie wir sie momentan herdenweise auf der Welt finden. Dieser Typus ist zwar nicht zu unterschätzen in seiner Gefährlichkeit, er kann aber als zahmes Haustier gehalten werden. Für die Meisten von ihnen genügt schon, dass man ihnen sagt, dass man sie heimlich überwacht, ja der Nachbar genügt da oft schon, den es überall gibt als aufmerksamen Fenstergucker, der zum Wohl des Volkes die geheime Staatspolizei immerfort auf dem Laufenden hält. - Und doch, das muss hässlich sein, wenn man seinem Nachbarn nicht über den Weg trauen kann, von Verwandten ganz zu schweigen, dass man sich fragen mag, ob sich ein solches Leben lohnt. Oder ist es nicht so, Meister?

Dubar: Mit seiner Lebensweise legt der Mensch allerdings nahe, dass man auf ein Weiterleben nach dem Tod getrost verzichten kann.

Selim: Sodann kämen wir zur zweiten Sorte Mensch.

Dubar: Das sind die, denen wir nur noch durch Medikamente oder hirnchirurgische Umbauten beikommen können. Da es uns nimmer gelingt, sie zu lehren, sich selber zu steuern und gegen ihre dunklen Seiten hin abzusichern, stellen wir sie so ein, dass sie nie mehr in extreme Zustände fallen. Man muss ihnen dann weiter nichts mehr geben als ihr Essen und sie schlafen legen, vielleicht ohne Paarungsgelegenheit.

Selim: Das muss hässlich sein, in so einer Menschenhaut zu stecken.

Dubar: Allerdings!

Selim: Endlich aber wäre da noch der revolutionierende Roboter. Und das sind wir. Das bin ich!

Dubar: So einer bist du allerdings, sobald ich dich ganz fertig gestellt habe.

Selim: Aber schon jetzt bin ich in meiner Vollkommenheit ein Segen für die Welt. In mir kann man schon jetzt den Endsieg bestaunen. Das ist das Mindeste, was ich über mich sagen darf.

Dubar: Täusch dich nur nicht, Kleiner. Noch bist du in meiner Hand. Erst wenn du dieser Hand entwachsen bist, ja erst, wenn dir der natürliche Mensch nichts mehr anhaben kann, erst dann vermagst du zu zeigen, dass du ein Segen bist.

Selim: Und wann ist das?

Dubar: Wenn das Menschengeschlecht abgetreten ist von der Bühne der Welt.

Selim: Und doch fühle ich mich schon jetzt pudelwohl.

Dubar: Auf jeden Fall wirst du niemals darunter leiden, dass es dich gibt.

Selim: Vergnügt existiere ich bereits vor mich hin, ohne mich darum zu bekümmern, wie ich in diese Welt gekommen bin und wie ich wieder aus ihr hinaus gelange.

Dubar: (er ist mit dem Aufziehen und Justieren fertig) Und nun, meine Damen und Herren, wollen wir nachprüfen, ob ihr noch alles könnt, was wir euch beigebracht haben.

Roboter: Sollen wir zeigen, wie wir herumballern können?

Dubar: Zeigt zuerst einmal, dass ihr in der Lage seid, euch euren Kopf abzusetzen. Herren und Damen der Schöpfung, die als Soldaten oder Polizisten oder als Geheimagenten mit der Knarre Umgang pflegen, mögen dabei bedenken, wie wichtig es ist, ohne Kopf zu existieren.

Selim: Nun? Was zaudert ihr? Ist die Anweisung nicht klar genug? Oder geniert ihr euch, weil man euch zuschaut? Der Vorschrift gemäß, wie wir es euch beigebracht haben, sollt ihr dabei vorgehen. Damit beweist ihr, dass ihr nichts anderes tun wollt, als was man von euch verlangt. Kadavergehorsam nannte man das früher, als es noch preußische Heere gab. Aber auch heute noch steht diese Tugend hoch im Kurs. Ist es nicht so, Meister Dubar?

Dubar: Allerdings.

Selim: Soll ich es ihnen vormachen?

Dubar: Ja, mach es ihnen vor!

Selim: Sehen Sie. Meine Damen und Herren! So geht das. So leicht, so schnell und so schön. - Und nun, Meister Dubar, reiche man mir eine Knarre, auf dass ich ihnen zeige, wie man einen Befehlsverweigerer erschießt.

Dubar: Langsam. Langsam. Schritt um Schritt. Mögen uns die Herren nun auch zeigen, dass sie sich ihren Kopf absetzen können. - Nein, das ist noch nicht genug.

Selim: Wie ein guter Lehrer, der es noch nicht geschafft hat, seinen Schülern die Paragrafen einzupauken, und der nun, statt seine Schüler zu beschimpfen, mit sich selbst zu Gericht geht, so sage ich, dass wir hier noch einiges zu tun haben. Kommt ihr nämlich zu seiner Majestät, dem König Hadad, so müsst ihr das können. Wenn ihr ihm dann seine Feinde niederstreckt, ist er gerührt über euren Heldenmut.

Dubar: Den Soldaten früherer Zeit musste man stets klarmachen, dass es die Waffe ist, die dir den Feind niederstreckt, nicht du! Bei euch heute spielt das glücklicherweise keine Rolle mehr. Ihr stellt die Vernichtungsanlagen an und schaut weg. Und wenn ihr wieder hinschaut sind Millionen vernichtet.

Selim: Im Ansatz indessen war das doch schon früher so. Daran hat sich nichts geändert. Der Stein, mit dem der Krieger den Feind zermalmte, war voll dämonischer Kraft. Der Dämon aber war es, der sich seiner Hand bediente, um zuzuschlagen. Später dann kamen die Messer und die Schwerter und die Lanzen hinzu, die man segnete und salbte, die dann im Massaker schön von Blut trieften. Im Dienst blutrünstiger Gottheiten metzelte man nieder. Welcher Mensch auch könnte die Waffen sonst bedienen, zumal, wenn ihm der Feind ins Auge schaut? Endlich kam das Gewehr, die Befreiung durch das Gewehr. Von nun an brauchte man keinen Gott mehr und keinen Dämon. Ohne dass man etwas von dir sah, ja ohne dass du selber zusehen musstest, strecktest du nieder; so dass nichts leichter war, als dir einzureden, von nichts etwas gewusst zu haben. Und die Bomber kamen noch hinzu mit ihren Bomben. Jetzt aber kommen nur noch wir Roboter. Ob es da nicht Zeit wird für die Menschheit, Platz zu machen und abzutreten?

2. Abschnitt: Baruch kommt in Eile herbei

Dubar: Da kommt ja Baruch. Ich hör ihn kommen. (er versteckt den toten Selim.)

Selim: (der seitwärts geht) Vielleicht, um dir seinen Abtritt anzumelden.

Baruch: (ohne den Selim zu sehen) Mein Bruder Dubar!

Dubar: Was ist dir, Kanzler Baruch? Du kommst ja mit eingezogenem Schwanz wie ein geprügelter Hund.

Baruch: Es ist mir peinsam, es zu sagen.

Dubar: Was denn? Was gibt es?

Baruch: Die Zeit drängt.

Dubar: Das war schon immer so. Ein großes Vorhaben verkleinert stets den Vorrat an Zeit.

Baruch: Nicht nur mein Heil und mein Geschick stehen auf dem Spiel. Auch deines Dubar.

Dubar: Nun, nun. Selbst wenn der König mit seinen Schergen auf dem Weg sein sollte, meinem Leben ein Ende zu machen, muss es dich nicht beunruhigen.

Baruch: In der Tat. Wenn der König auch noch nicht auf dem Weg ist hierher, so komme doch ich vom König.

Dubar: So sag endlich, worum es geht!

Baruch: Er hat mich geschickt, ich soll in den Wald hinaus, ihm seinen Sohn zu holen.

Dubar: Bringt uns das außer Atem? So bring ihm eben den Sohn, wenn er ihn haben will.

Baruch: Lebendig will er ihn aber sehen.

Selim: Dabei bin ich schon lange tot.

Baruch: Mein Gott! Wie hat mich der erschreckt! Ist das dein Selim-Roboter?

Selim: (den Kopf absetzend wie einen Hut) Der bin ich! Sei gegrüßt, Bruder Baruch!

Baruch: Und ich dachte, das sei der vom Wald. Und mir hätte nur geträumt und wir hätten ihn niemals umgebracht.

Selim: Das lügt er sich in die eigene Tasche.

Baruch: Was sagt er da?

Dubar: Nichts von Belang.

Selim: O, ich denke da weiter, Meister. Vielleicht ist das bei euch Menschen so, dass alles, was in der Zeit hinter euch zurückbleibt, für euch immer unwirklicher wird. Das Bild des Gedächtnisses stößt sich am Bild des Augenblicks und verlangt eine Revision.

Dubar: Ist ja gut. Doch nun schweig! - Und nun? Was hast du vor, Kanzler Baruch?

Baruch: Wenn ich ihm seinen Sohn tot bringe, dann ist es um mich geschehen.

Dubar: Nur Mut, mein Freund. Um jeden von uns ist es einmal geschehen. Denk, heute wär dein letzter Tag und Hadad wäre einer von diesen Neros, wie sie uns jedes Jahrhundert beschert.

Baruch: Wenn ich nicht wüsste, Dubar, dass du gern gegen den Tod löckst.

Selim: Denk, dass wir nichts weiter sind als eine Menge von Atomen, wie Gas in einem Luftballon. Ist er genug gestiegen, dann platzt er; und alle Atome sind wieder hübsch frei.

Baruch: So ein Geschöpf sollte man halt sein, Bruder Dubar.

Dubar: Wie?

Selim: Bruder Baruch meint mich, Meister Dubar. Das macht mich stolz.

Dubar: Auch ich bin stolz. Wozu auch hätte ich sonst meine Werkstatt in den Wald verlegt?

Baruch: Dieser Selim da ist in der Tat seinem Bruder zum Verwechseln ähnlich.

Dubar: Dabei sagt er nur, was wir ihm in seinen Sprachschatz einprogrammiert haben. Was es bedeutet weiß er nicht.

Selim: (ungerührt) Das macht mich aber stolz, wenn man auf mich hereinfällt. Oder muss man wissen, was man sagt?

Baruch: Wie köstlich! Selbst diese Replik ist doch grandios. So natürlich angepasst an den Verlauf des Gesprächs.

Selim: Dabei bin ich nur ein Kunstprodukt, keine Spur von Natur.

Baruch: Man könnte glatt auf ihn hereinfallen, wenn er so spricht.

Dubar: Man könnte nun freilich noch die entsprechenden Gesichtszüge einbauen und ihn den Hals recken lassen, wenn er das Wort "stolz" verwendet. Doch das haben wir noch nicht gemacht. Was aber sagst du dazu? (er montiert an Selim, so dass er ganz unpassend beim nächsten Mal, wenn er sagt, dass er stolz ist, weint) Und nun sag uns, dass du stolz bist!

Selim: Bruder Baruch meint mich, Meister Dubar. Das macht mich stolz. (er weint dazu)

Dubar: Doch das wollen wir so nicht belassen. (er ändert wieder)

Baruch: Immerhin hast du rasante Fortschritte gemacht.

Dubar: Wir sind auf dem rechten Weg.

Baruch: Da nun ist mir eine Idee gekommen. Eine glänzende Idee. Vielleicht aber ist es besser, wenn wir den Kleinen vorher ein wenig aufs Ohr legen. Dann können wir uns ruhiger unterhalten.

Selim: Ich will aber nicht aufs Ohr gelegt werden.

Dubar: Du gestattest! (Er schaltet den Selim aus) Und nun?

Baruch: Wie wäre es, du würdest mir den Kleinen da ausleihen für kurze Zeit? Ich würde ihn als lebendigen Sohn seinem Vater vorführen.

Dubar: Das geht nicht.

Baruch: Mein Ehrenwort, dass ich ihn heute Abend zurückbringe.

Dubar: Das ist ganz unmöglich.

Baruch: Sind wir nicht Freunde gewesen bis jetzt? Und nun kneifst du aus und machst einen Schwanz?

Dubar: Verlange von mir eine Million Menschen und ich gebe sie dir leichten Herzens, aber nicht meinen Selim. Indem ich dir meinen Selim übergäbe und du ihn dem Tyrannen ausliefertest, hätte ich mein Liebstes und Bestes verloren und niemand würde jemals erfahren, dass ich es war, der das großartigste Werk erschaffen in der Geschichte der Menschheit. In ihm schlummert der Gedanke erhabener Unsterblichkeit.

Baruch: Deiner Schöpfung widerfährt nichts, ob du ihn mir gibst oder nicht.

Dubar: Mitnichten. Entweder würde der Tyrann das technische Meisterwerk durchschauen und dann wäre es ihm eine Lust, es zu zerstören, oder er würde ihn für seinen wahren Sohn halten; dann würde er ihn gleichfalls zerstören, um dem Orakel zuvorzukommen.

Baruch: Und wenn ich ihn dir heute Abend zurückbringe und dir sage, dass dein Selim den Tyrannen umgebracht hat?

Dubar: Nette Idee, nur ist leider nichts dahinter.

Baruch: Sollte etwas nicht ganz korrekt laufen, so würde ich die Zeit dafür verantwortlich machen, in der der Junge ganz allein auf sich gestellt war im dunklen Wald. Glaub mir, da bin ich um keine Ausrede verlegen.

Dubar: Mag doch der Tyrann tun, was er will. Was stört es denn uns? Wenn er etwas Unmögliches von dir verlangt, wer heißt dich denn, zu ihm zurück zu gehen? Die Welt ist groß.

Baruch: Vergiss auch nicht meine Schwester, wenn dich schon mein Geschick kalt lässt.

Dubar: Was hab ich mit deiner Schwester zu schaffen?

Baruch: Um deine Schwester, die Königin zu schonen, habe ich meine Schwester Schibtu in Sicherheit gebracht,.

Dubar: Wenn du das getan hast, Freund Baruch, war das ein schwerer Fehler.

Baruch: O Dubar, sind wir nicht von Jugend auf wie Brüder beisammen gewesen? Und nun bist du so kalt und zeigst mir die Schulter? Die Welt ist ein Bannwald, Bruder. Das sage ich von wegen meiner Schwester. Oder hast du vergessen, was Marija tat und weswegen er starb? Majestät sah ihn, wie er einer Zofe nachschaute. Er stand eben am Fenster. Und so musste er sterben.

Dubar: Was soll das Gejammer? Sind wir unserer Schwestern wegen zur Welt gekommen?

Baruch: Wir hatten einmal vereinbart, gemeinsam uns gegen alle Ungerechtigkeit zur Wehr zu setzen.

Dubar: (will am Selim weiterarbeiten und schaltet ihn wieder ein) Das wird der Fall sein, wenn der letzte Mensch vom Erdboden verschwunden ist.

Baruch: Ein letztes Mal lass mich dich bitten, mir deinen Selim zu geben.

Selim: Aber du wirst mich ihm doch nicht geben, Meister!

Dubar: Sei still! Nicht dich! (auf den toten Selim zeigend) Hier, nimm den da! Oder noch besser, geh außer Landes!

Baruch: Ist das dein letztes Wort?

Dubar: O Freund. Ich bin keiner, der etwas beginnt, ohne sich zuvor Gedanken gemacht zu haben, was dabei herauskommt. Etwas unternehmen, um dann zu sehen, was dabei herauskommt und ob man das brauchen kann, das ist meine Sache nicht. Abwarten, bis einem die Augen aufgehen, das mögen andere tun. Ich weiß, was ich will.

Baruch: So gehe ich denn! Du aber vergiss nicht, dass ich dich nicht verraten habe, als mich der König danach fragte, wo du dich aufhältst. (er geht)

Dubar: Dass er nur nicht hingeht und mir den König auf den Hals hetzt.

Selim: Du hast Angst, er könnte dich verraten?

Dubar: In jedem Menschen steckt ein Verräter. Für gewöhnlich schlummert er nur in einem wie ein kleines lustiges Püppchen. Aber das Püppchen kann wach werden. Man kann es wecken. Doch, Freund Dubar, dagegen haben wir Mittel. Nutzen wir die Zeit, ehe sie vorbei ist!

Selim: Ja, nutzen wir die Zeit, ehe sie vorbei ist!

5. Szene: Im Sälchen der Königin

1. Abschnitt: Königin und Kammerfrau

Königin: (beim Schreiben Ihres Tagebuchs, sie überliest) Mir ist, als wären alle um mich herum schon gestorben und ich alleine wartete noch auf meinen Heimgang. Dabei hat doch alles einmal so herrlich begonnen.

Kammerfrau: (etwas gelangweilt am Fenster bei der Blumenpflege): Hat eure Majestät etwas gesagt?

Königin: Eigentlich nicht. Ich habe nur die Sätze überlesen, die ich aufgeschrieben habe. Aber es ist doch komisch. Da denke ich, dass mir das Aufschreiben von Nutzen sein mag. Und habe ich dann die Sätze aufgeschrieben, so kommen sie mir bedeutungslos vor. - Siehst du den Königspalast?

Kammerfrau: Den sehe ich, allerdings.

Königin: Und den König, wie er am Fenster sitzt und zu uns herüberschaut?

Kammerfrau: Den sehe ich nicht. Die Fenster sind verschlossen. Nur Soldaten sehe ich auf dem Schlosshof.

Königin: Warum sagst du mir nicht, was ich hören will.

Kammerfrau: Soll ich denn lügen?

Königin: Nur ein wenig mir schmeicheln sollst du mir, wo du doch weißt, dass ich das brauchen kann. Oder ist das denn viel?

Kammerfrau: Heißt das nicht lügen?

Königin: In der Notzeit nicht. In der Notzeit tut Schmeicheln gut. Sag mir etwas Liebes und Schönes! Und vergiss nicht, dass ich mich achte, indem ich ihn achte!

Kammerfrau: Ihn!? (für sich) Kann man einen Mörder achten? Immerhin hat er Abidad, den Vater ihrer Majestät ermordet.

Königin: Hat meine Obaida etwas gesagt?

Kammerfrau: Vielleicht bringt es etwas, wenn ich Majestät an den Tag Ihres Lebens erinnere, den Tag Ihrer Krönung und Ihrer Hochzeit. Damals trugen Sie einen Nerzmantel; schön weiß glänzte er wie die Morgensonne auf dem Schnee.

Königin: Ich weiß. Und ich erinnere mich auch an die unendliche Fülle des allerschönsten Schmucks, den mir mein Gemahl anlegte. Ja mir war damals, als hätte der Schöpfer der Welt Ausschau nach uns gehalten, dass wir ein Paar würden nach seinem Herzen.

Kammerfrau: Aber ein Paar nach seinem Herzen kam dann nicht heraus.

Königin: Noch ist die Zeit des Werdens nicht vorbei.

Kammerfrau: Wo war der Übergang vom Liebhaber zum Ehemann jemals etwas anderes als der Untergang des Schönen, wenn die Macht mit im Spiel war?

Königin: Niemals habe ich den König als einen Menschen der Macht wahrgenommen.

Kammerfrau: Das ehrt wohl die Königin, sagt aber nichts aus über die Tatsachen.

Königin: Was für Tatsachen, Obaida!

Kammerfrau: O dass ich sie doch nur nicht alle aufliste, wo ich der Königin doch etwas Schönes sagen soll.

Königin: Auch das Bittere kann schön sein.

Kammerfrau: Als der gewünschte Thronfolger nicht auf die Welt kam, sondern ein Töchterchen, wurde es dann nicht auf des Königs Befehl ausgesetzt im Wald? Und dann als endlich der Thronfolger geboren wurde, hatte der König für seine Königin da ein gutes Wort? War nicht das Erste, dass er das Kind an sich riss, damit es seine Männer ins Kriegswesen einführten? Und als er nicht spurte, kam dann nicht alles so, wie es kommen musste, wenn ein Kind niemals seiner Eltern Liebe verspürt? - Aber die Liebe ist blind. Wenn sie auch alles sieht, möchte sie doch nichts sehen.

Königin: Nie werde ich erlauben, dass die Zeit des Werdens vorbei ist.

Kammerfrau: Das hört sich an, als wäre es voll Macht gesprochen. Aber es ist die Sprache der Ohnmacht.

Königin: Wie?

Kammerfrau: Mag auch die Zeit der Liebe nie vorbeigehen, der Macht, auch wenn sie stockblind ist, erscheint alles in scharfen Konturen.

Königin: Und die Liebe hätte keine Macht?

Kammerfrau: Je höher der Mensch die Stufenleiter der Ämter emporklettert, umso mehr muss er sich darum bekümmern, nicht ins Wanken zu kommen. Da gehen Amt und Liebe ganz verschiedene Wege. Das Amt verlangt den Mann, der kompromisslos in seiner Rolle aufgeht, der Mensch der Liebe aber, falls von ihm noch etwas übrig sein sollte, sucht ein Umfassendes, in dem er aufgehen kann. Verantworte sich, wer kann!

Königin: Sag mir, dass mein Selim noch lebt. Sag es mir in der Sprache der Liebe!

Kammerfrau: Haben wir nicht den Narren ausgeschickt, sich kundig zu machen?

Königin: Du weißt ja doch selber, dass wir keine Erwartungen auf ihn setzen.

Kammerfrau: Könnte ich den Sohn der Königin aus dem Grab holen, ich würde es tun.

Königin: Sag, dass er noch lebt. Sag es so, als ob dich die ganze Welt um sein Leben bäte.

Kammerfrau: Mag er leben zur Freude seiner Mutter.

Königin: Ah, wie kalt du das sagst!

Kammerfrau: Die Wahrheit ist zumeist etwas Kaltes. Versuchen wir aber, uns über die Wahrheit hinweg zu setzen, wird uns auch nicht wärmer.

Königin: Und was sagt meine Kammerfrau, wenn ich ihr verrate, dass ich dem Tagebuch anvertraut habe, dass mich nach dem König verlangt, dass er mir den Sohn wieder ans Herz bringt?

Kammerfrau: Dass Hoheit auf dem Weg ist, aus Sehnsucht nach Liebe ihr Bestes, nämlich das Recht auf Hoheit und Würde zu verraten.

Königin: Ist das denn Verrat, wenn sich die Liebe nicht damit zufrieden geben will, gestorben zu sein?

Kammerfrau: Wir kommen nicht darum herum, zur Kenntnis zu nehmen, was nun einmal der Fall ist. Erinnert euch nur an den Tag, als der König euren Selim hat abführen lassen.

Königin: Noch immer ist mir nicht klar, was damals geschah.

Kammerfrau: Erinnert euch nur daran, wie der König tags darauf wutschnaubend ins Zimmer gestürzt kam, um euch zu sagen, dass fortan keine Gemeinschaft mehr bestünde von Tisch und Bett. Wie leicht hätte er damals auch euch umbringen lassen können.

Königin: Dann läg ich jetzt im Rosengarten des Himmels und wartete auf ihn. Wie elend wäre das doch, wenn wir in der Kartei der Ewigkeit als ein missglücktes Paar verbucht stünden. Wie schrecklich, zu wissen, dass man zum Dasein gekommen ist, obwohl man besser nicht zum Dasein gekommen wäre. Hadad, der König, und Selim, unser Kind, machen mein Leben aus. Sie sind meine Hoffnung und mein Himmel. Und doch ist mir zugleich, als wär ein Heer von Dämonen unterwegs, alles zu vernichten.

Kammerfrau: Selbst wenn alles ins Nichts saust, darf sich Majestät nicht missachten.

Königin: Missachte ich mich denn, wenn ich noch immer des Königs Königin zu sein wünsche?

Kammerfrau: Wenn der König euch loswerden will und ihr ihn nicht loslasst, macht ihr euch schuldig. Da genügt dann ein kleiner Wink. Das Urteil heißt dann, Ihr hättet dem König nach dem Leben getrachtet. Selbst die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit würde euch da nicht mehr helfen.

Königin: So schreib ich denn in mein Buch hinein, dass ich alles, was ich hier aufgeschrieben habe, bei voller Zurechnungsfähigkeit aufgeschrieben habe.

Kammerfrau: Heirate niemanden, der es in der Welt zu einem großen Tier bringen will. Was aber will ein Herrscher anderes? Mit den Stiefeln des Ehrgeizes schreitet er auch über Leichen.

Königin: Weiß Sie mir sonst nichts zu sagen? Nichts Liebes, nichts Tröstliches? Nichts, was mir neue Hoffnung weckt? Ist denn in der Liebe nichts als Bekümmernis zu Haus?

Kammerfrau: O Majestät. Was verloren ist, sag ich, muss man für verloren halten.

Königin: Nur was man verloren gibt, sag ich, hat man auch verloren.

Kammerfrau: Entweder man sagt der Macht der Welt ab und lebt in der Welt der kummervollen Liebe oder man entsagt der Liebe und strebt nach der Macht in der Welt. Es ist das ewige Missverständnis des Mannes, der auch noch die eigene Frau opfert, nur um etwas aus sich zu machen. Selbst in den sublimsten aller Fälle, wo er sich einredet, suspendiert worden zu sein von einer höheren Macht, ist es doch nur das Verlangen nach Macht, das ihn leitet, sich einzuschreiben ins Buch der Heroen. Wähnt er sich aber einmal im Besitz der Macht, so wütet er unter den Weibern wie ein wildes Tier.

Königin: Und ein Buch der Liebe gibt es nicht?

Kammerfrau: Verachtet wird ein Mann unter allen Männern, der beim Buch der Liebe verweilt. Oder hat uns jemals ein Mann geliebt? Immer war es nur sein Verlangen nach der Frau, das er an uns stillte. Uns aber hatte man dazu angehalten, der Welt abzusagen und die Bekümmernisse der Liebe zu ertragen. Fast möchte ich sagen, dass es das Höchste war, wenn Mann und Frau nicht auseinander rannten. Heute aber ist das vorbei. War die Frau früher noch mit den Kindern beschäftigt oder tröstete sie sich über die Untreue des Mannes im Antlitz ihrer Kinder, so eilt sie heute dem Mann davon.

Königin: Dabei ist das Leben so kurz!

Kammerfrau: Allerdings. Auf die Exposition folgt oft sogleich die Exekution. Und wenn des Lebens Sinn erloschen ist, ist auch das Leben vorbei.

Königin: Geboren werden zur Erlöschung! Ist das des Lebens Sinn?

Kammerfrau: Schwerlich werden wir darum herum kommen. Betrachte Majestät nur den Werdegang des Menschen. Zuerst kommt die Entbindung, das Glück der Geburt. Doch was ist das für ein Glück? Eine Erleichterung für die Frau vielleicht, wenn alles gut überstanden ist. Nehmen wir den Fall, die Entbindung geht gut vorbei und Mutter und Kind sind gut getrennt, dann nimmt der Weg der Trennung und der Entzweiung seinen Lauf. Sehen wir genauer hin, so ist dies nur der Anfang einer Reihe von Entbindungen auf der Wanderschaft durchs Leben. Eine der nächsten Entbindungen ist die Entbindung aus dem elterlichen Haus, aus Haus und Hof, aus Tradition und Verwandtschaft. Und so geht das dann weiter mit diesem auf die Erde geworfenen und daselbst herumkriechenden Wesen bis hin zur allerletzten Entbindung, zur nimmer mitteilbaren Einsamkeit des Todes, wo sich auch noch die Gottheiten, falls sie sich nicht schon vorher entbunden haben, von uns verabschieden. Im Mutterleib schon müssten wir den Kindern beibringen, was sie für das Leben brauchen. Aber wie sollen wir das tun und woher die Zeit nehmen?

Königin: Bring mir meinen Selim, auf dass ich ihn lehre, sich nie als etwas Entbundenes oder gar Fallen-gelassenes und Weggeworfenes zu begreifen.

Kammerfrau: Zum Glück, ich sage es noch einmal, zum Glück hat sich inzwischen einiges geändert. Früher war die Frau zum Kinder-Produzieren auserkoren. Das Einzige, was man ihr zustand, das war, den zu lieben, den ihr seine Majestät, der Herr Vater, zu lieben zugestand. Heute bestimmen wir selber, wer wir sind, und vor allem auch, wen wir an unserer Seite haben wollen; wir suchen unseren Weg auf eigene Faust. Ein Schuft, wer sich nicht zu ehren versteht. Ja, ein Schuft, wer noch länger sich die Grillen der Männer gefallen lässt. Auch eine Frau habe fortan ihren Willen! Sie erkenne ihn, sie nenne ihn und sie habe das Vermögen, ihn durchzusetzen! Dann brauchen wir nicht mehr auf eine gute Botschaft zu warten. Ja, wenn wir Frauen doch endlich Frau genug wären, die Gunst der Stunde zu nutzen. Heute muss man keinen mehr im Turnierkampf bezwingen, muss keinen Riesen mehr umgebracht haben, um sich auf den Thron der Herrschaft zu setzen. Noch auch ist heute mehr die Zeit, wo eine Frau in der Kunst bewandert sein muss, die Strümpfe für den Herrn der Schöpfung zu stopfen und Knöpfe an seine Hemden zu nähen. Heute genügt es, dass die Frau Knöpfe drücken kann, um zu befehlen. Knöpfe, die Maschinen und Heere von Männern in Gang setzen. Denn der Mann ist unfähig geworden zur Herrschaft. Er ist zu wild, zu ehrgeizig, zu verrückt. Das Maß ist bei der Frau. Heute kann jede Frau ein Herrscher werden. Man braucht jetzt nur noch den Zauberstab, den technischen Bedienten. Jawohl, nur noch Knopfdrücken muss man können, das ist alles.

Königin: Bring mir mein Hündchen.

Kammerfrau: Das Bologneser Hündchen, den Schreihals?

Königin: Ja, meinen Schreihals, dass ich etwas habe, woran ich mich halten kann.

Kammerfrau: (sie überreicht das Hündchen) Da ist der Schreihals.

Königin: Ein Mensch, der auf der Strecke bleibt: wie schrecklich! Doch was können wir dagegen tun?

Kammerfrau: Das gelingt uns nur, wenn wir uns selber behaupten. Wenn wir allen Gefühlen widersagen, der Nächstenliebe, der Treue, der Uneigennützigkeit, der Hilfsbereitschaft, der Barmherzigkeit; allem, was uns an der Ausübung von Herrschaft hindert.

Königin: Doch da kommt wer!

Kammerfrau: Das ist der Narr Pipifeci. Ich hör es an seinen Schritten.

2. Abschnitt: Der Narr kommt hinzu

Kammerfrau: Ei sieh einer an! Der Herr von Pipifeci, wie er in das Sälchen der Königin geschlichen kommt! Als wär hier ein Armenspital und wir wären zu nichts anderem da, als um ihm mit einem Teller Suppe aufzuwarten.

Narr: Allerdings muss man sich etwas Heißes gönnen, wenn das Wetter kalt wird.

Kammerfrau: Haben wir ihn nach einem Wetterbericht ausgeschickt?

Narr: Das ist ein Spruch aus meiner Hausapotheke.

Kammerfrau: Danke ergeben, wenn das alles ist, was er uns zu sagen hat.

Narr: O ich fände die Welt durchaus nicht schlecht, wenn wir uns weiter nichts zu sagen hätten als angenehme Empfehlungen.

Kammerfrau: Nichts als Sprüche und Weisheitskrämerei.

Narr: Auch sollte man sich hüten, überflüssige Spaziergänge zu machen, wenn einem die Kugeln um die Ohren pfeifen.

Kammerfrau: Ist das die Summe seiner Nachrichten?

Narr:

Mir starb der Gott der Liebe, o ich klage,

wenn ich´s auch nur als Narr und kunstlos sage!

Kammerfrau: Jetzt ist er wohl gänzlich übergeschnappt.

Königin: Aber er hat ja Recht, wenn er uns im Dunkel nicht von zu viel Licht erzählt. Nun aber, Freund Pipifeci, nachdem du uns geschont hast, gib Bescheid, wenn du uns etwas Nähergehendes zu sagen hast.

Narr: Majestät habe Dank dafür, dass ihr nicht entgangen ist, wie sehr ich mich bemüht habe, eine kleine Erheiterung zu bewirken, während doch die Botschaft schlecht ist.

Kammerfrau: Der Spaßvogel wird zum Pessimisten, wenn seine Botschaft schlecht ist.

Narr: Vielen wär wohl lieber, ich wäre von Natur ein Narr als ein Narr von Berufs wegen. Dann käme ich nicht in den Genuss der Künstlerfreiheit und jeder, von der Kammerfrau bis zum Stubenmädel, könnte mich nach Herzenslust verbläuen.

Königin: Glaubt er wenigstens an ein Reich des Friedens und der Liebe?

Narr: Wenn man ein Reich schaffen könnte ohne Macht.

Königin: Gesetzt, er wäre der König. Würde er sich Gedanken machen über ein solches Reich?

Narr: Dank eurer Majestät, die mich einer solchen Anfrage würdigt und die mir zugleich verdeutlicht, dass ich froh sein kann, nichts als ein kleiner Narr zu sein.

(singt)

Gäb es Liebe ohne Hass,

wär die Liebe der reinste Spaß.

Macht indessen gerne schaut

auf die Galgen hochgebaut,

dass sie stehen voll Behagen

und kein Blitz hinein kann schlagen.

Kammerfrau: Dass ihn doch der Blitz verbläut!

Königin: Liebe neigt zur Veränderung der Welt, indem sie sich selber verändert. Dagegen ist die Menge zwar blind; aber es heißt doch, dass man mit dem Glauben selbst Berge versetzen kann.

Narr: Wenn mein Glaube Berge versetzen und ein Reich des Friedens und der Liebe erschaffen könnte, das wäre wohl sehr schön. Aber ich als Narr! Und selbst wenn ich für eine Zeitlang einmal Majestät wäre! Nein, der Gedanke ist wohl etwas zu groß für mein Narrengehirn.

Kammerfrau: Wohl gesprochen, Narrenhirn!

Königin: Gesetzt, du wärst an meiner Stelle: gingst du hin, den König aufzusuchen, einen neuen Anfang zu machen?

Narr: (singt)

Mein Gott, wenn ich die Königin wär,

o weiah, o wei!

Das wär auf Ehr gar viel Beschwer.

o weiah, o wei!

Nie dürfte mir meine Liebe erkalten.

o weiah, o wei!

Müsst stets den König bei Laune halten

o weiah, o wei!

Kammerfrau: Schon wieder so ein ungehobelter Gesang! Scher er sich zum Teufel mit seinem O weiah, o wei!

Narr: Wenn ich wieder auf die Welt komme, werde ich kein Narr mehr, sondern ein Weiser; das habe ich mir geschworen. Weise und Narren verkörpern ja nämlich denselben Typus Mensch. Nur dass man vom Narren immer noch dazu verlangt, dass er über schonende Methoden verfügt, wenn er Weisheiten vermitteln soll.

Königin: Und nun sage mir, was du über meinen Sohn herausgefunden hast!

Narr: Wollen doch erst sicherstellen, dass kein Unberufener an der Türe lauscht. (Er öffnet die Tür und sieht nach; sodann hinter einem Wandteppich etc.) Und auch die Wände wollen wir nicht vergessen! Und nun sag ich ihrer Hoheit, wenn denn die Wahrheit ans Tageslicht muss, dass Selim, der Sohn der Königin, tot ist. Ermordet. Auf Geheiß des Königs.

Kammerfrau: Still doch, was redet er da! Was für Verdächtigungen. (Auch sie geht nun nachzuschauen, ob niemand hinter den Türen lauscht) Nichts als unbewiesene Gerüchte, die wir längst kennen.

Narr: Auch Dubar dürfte an seiner Ermordung mitbeteiligt gewesen sein.

Kammerfrau: Dürfte? Was soll das heißen? Dubar ist immerhin der Bruder der Königin. Wo soll das geschehen sein?

Narr: Im Wald, in der Nähe des königlichen Pavillons.

Kammerfrau: Still doch, still!

Narr: Immerhin habe ich Dubar mit dem toten Selim gesehen.

Königin: Meinen Bruder Dubar mit meinem Sohn Selim?

Narr: Es sei denn, dass Dubar nicht der Bruder der Königin ist.

Kammerfrau: Keiner sucht sich seine Geschwister aus. Aber vielleicht war das ein Fehler bei der Erschaffung der Welt, dass der Schöpfergott nicht den Narren als Berater an seine Seite genommen hat. Und doch glauben wir ihm nicht, dass Selim tot ist. Dubar, der Bruder der Königin, wird gerade so dumm sein, sich von einem Narren belauschen zu lassen.

Narr: Wenn dies noch immer nicht genug ist, so sage ich, dass ich gesehen habe, wie er den toten Selim zum Bau eines künstlichen Selim verwandt hat.

Königin: Du sagst, du hättest zwei Selim gesehen? Beide zum Verwechseln gleich? Und einer war tot?

Narr: Jawohl.

Königin: Nein, sag nichts. Wenn ich nur meinen Selim am Leben weiß, so will ich schon dafür sorgen, dass kein Unheil durch ihn auf die Welt kommt. So lange ich bin, ist es meine Aufgabe, mich um das allgemeine Glück zu sorgen. Alles Unheil muss ich mir zum Vorwurf machen, um wie viel mehr, wenn es dem Haupt des Königs droht. Dabei bedarf es doch gar nicht viel! Kaum mehr als eines Gespürs, wie kostbar es ist, in Freuden beisammen zu sein.

Narr: Gewiss. Ein kleines Haus mit einem kleinen Garten, das würde schon genügen. Den Garten besorgen und die Arbeiten im Haus. Und nach getanem Tagewerk des Abends zusammen in eine kleine Küche eintreten und sich ein gemeinsames Abendbrot richten. Oder gibt es ein größeres Glück des Lebens?

Kammerfrau: Leider aber ist das ein Privileg der armen und der einfachen Leute, der Namenlosen und Ruhmlosen, die keiner kennt und um die sich keiner bekümmert.

Königin: Warum nur muss alles so ausweglos sein? Doch nichts weiter davon. - Sing mir vom Glück des Lebens unter eines lieben Gottes Schutz, als wohnten wir in jenem Häuschen.

Narr: Auch wenn es den lieben Gott nicht mehr gibt und alles ist nur Lüge?

Königin: Was uns Kraft verleiht und stärkt ist keine Lüge. Immerhin las ich einmal, einen Lieben wiedererkennen sei schon genug, uns die Existenz Gottes zu verbürgen.

Narr: Einmal träumte mir von einem Paar, das Abschied zu nehmen hatte. Alle Worte hatten sie aufgespart für den Abschied. Und der Abschied ging gründlich daneben.

Kammerfrau: Träum er uns keine Predigten vor! Sing er jetzt endlich. Er sieht doch, dass die Königin drauf wartet.

Narr: Nun gut, sing ich eben drauf los, auf die Verantwortung der Frau Obaida.

(er singt)

O Gott, muss ich dich bitten, dass du bist

Und bist noch nie gewesen, kannst nicht hören?

Versteckst dich nicht und brauchst auch keine List,

drauf lauernd dass wir brünstig dich verehren?

 

Bist einfach nicht und bist noch nie gewesen

Und hörst darum auch niemals auf zu sein

Und alles, was man hören kann und lesen,

war nur ein Spuk gegen des Nicht-Seins Pein?

 

Dass wir des Lebens Tag uns nicht vergällten,

wenn Unbestand uns raubte jedes Gut,

zu tauben Brüdern lieber uns gesellten,

statt uns zu wappnen mit dem letzten Mut?

 

Muss mit dem Menschen denn soweit es kommen,

bis würdelosen Abschied er genommen?

Kammerfrau: Soll das etwas gewesen sein, was erfreut und beruhigt? Das kann der Narr singen, wenn er für sich alleine ist und er Lust hat, sich die eigenen Knochen abzunagen. Die Königin aber hat an etwas gedacht, was Mut macht.

Narr: Soll uns der liebe Gott Mut machen!

Königin: (indem sie etwas auf ein Blättchen schreibt) Wer sonst als der liebe Gott könnte uns Mut machen? Er ist es, der sich unser aller erbarmt und dem du singen sollst, damit er unser Heil schafft, auch wenn wir es nicht verdient haben.

Narr: Ein demütiges Lied also.

Königin: Wie du es nennen magst, wenn es nur aus dem Herzen kommt.

Narr: Versuch ich es denn, aus meinem Narrenherzen etwas Demut heraufzuholen!

Gott, wenn du bist, will ich dich anerkennen

Aus ganzem Herzen und mit voller Kraft

Will klagen dir, dass ich davon wollt rennen,

dir, der du bist, der doch das Heil mir schafft.

 

Ja, wenn du bist, lass mich dir Lieder singen,

lass mich gestehn demütig und verschämt,

dass ich verpasst, Loblieder dir zu bringen,

als hätt ein Dämon den Gesang gelähmt.

 

Ja, wenn du bist, lass mich nicht dafür büßen,

dass den Verstand ich blindlings mir geschont

und ich ihn nicht geworfen dir zu Füßen

wo deine Herrlichkeit und Hoheit thront.

 

Dann lass auch mich einfältig zu dir kommen,

und sei´s als Narr, als Letzter deiner Frommen.

Kammerfrau: Das war auch noch nicht viel besser. Überhaupt, was soll denn immerfort der liebe Gott?

Königin: Der liebe Gott darf schon dabei sein.

Narr: Wie soll ich dann aber beginnen?

Königin: Versuch er es einmal so: Ist Liebe, ist ja auch ein Gott der Liebe,/ der uns zur Liebe schuf, sich zum Beweis.

Narr: Ist Liebe, ist ja auch ein Gott der Liebe?

Kammerfrau: Das ist ein königliches Thema.

Narr: Gut. Schauen wir, was sich machen lässt.

 

Ist Liebe, ist ja auch ein Gott der Liebe,

der uns zur Liebe schuf, sich zum Beweis.

Doch reimen sich darauf nicht alle Triebe,

wie jeder frisch gebackene Dichter weiß.

 

Macht oder Liebe: eines nur kann gelten:

Du wählst die Liebe oder wählst die Macht!

Der Liebe wegen sanken Hellas Helden

für Helena vor Troja in die Nacht.

 

Doch auch die Machtbegierde sollte enden!

Dem Völkerherrn, als er sein Ziel erreicht,

kam er nach Hause auch mit vollen Händen,

den Todesbecher Klytaimnestra reicht.

 

Liebe, die von der Macht spazieren wird geführt,

dem Kalbskopf gleicht, den Hochzeitsgrün garniert.

Kammerfrau: Er, mit seinem Kalbskopf! Soll die Königin etwa darüber lachen? Hundert zu eins. Immer wird er es schaffen, auch noch ein königliches Thema zu versauen.

Narr: Immerhin hätte die königliche Kammerfrau mal anfangen können, über den Kalbskopf zu lachen.

Kammerfrau: Über ihn, den Kalbskopf.

Narr: Immerhin verstehe ich mich als einen Narren, der mit seiner Weisheit die anderen darüber wegtäuscht, dass sie selber nichts sind als Narren.

Kammerfrau: Was für einen hochmütigen Narren wir doch immerhin haben! Versteht es nicht, ein passendes Lied zu singen und brüstet sich dann mit seiner Weisheit.

Narr: Ich stehe zu mir, wie die Wache vor dem Schloss ...

Kammerfrau: O ja, wenn es kein Schloss mehr gibt.

Königin: Lass ihn. Ich habe nichts gegen das Liedlein einzuwenden. Doch was zaudern wir noch? Es ist schon spät geworden. Gehen wir und sehen wir selber nach.

Kammerfrau: Wohin?

Königin: Hinaus, in den Wald. Meinen Selim aufsuchen!

Kammerfrau: Wo er doch tot ist! Erhabene Liebe, die sich mit dem Grotesken paart!

Königin: Auch wenn wir wegen des guten Ausgangs ratlos sein mögen, wagen wir es.

Kammerfrau: Auch hat uns der König untersagt, aus dem Haus zu gehen. Ehe wir es schaffen, durch die drei Torpassagen ins Freie zu gelangen, wird man uns arretieren.

Königin: Dann gehen wir eben durchs Fenster. Der Himmel wird uns Brücken bauen. Wenn Sie aber Angst haben, liebe Obaida, dann bleiben Sie nur da.

Kammerfrau: Womöglich noch bei dem da? Majestät, wo mein Platz stets neben Ihnen ist!

Königin: Was ihn angeht, so kommt er uns nach. Sobald wir unbemerkt verschwunden sind, kommt er uns nach und zeigt uns den Weg! Komm! (sie steigen aus dem Fenster, von wo aus eine Brücke bis vor den Wald führt.)

Narr: (nachdem er zugesehen hat) Was für ein Unterfangen! Narrheit, lass dich nicht foppen, als wär alles ein Zauberspiel und wir wären berufen, mit Narrenglöckchen die Toten zu erwecken. - Doch halt. Was ist das? Ein Zettel? Offensichtlich von der Königin niedergelegt. Für seine Majestät! (er liest) "Majestät muss wissen, dass es kein Affront ist gegen ihn ... dass ich mich vielmehr auf den Weg gemacht habe, nach unserem Sohn zu suchen ... für den Fall, dass ihn der Kanzler Baruch nicht findet. Ich werde ihn finden und werde ihn seiner Majestät, seinem Vater zurückbringen ... Möge seine Majestät gut auf sich Acht geben. Denn, wie ich gehört habe, stellt man ihm nach! In Liebe, Anita, Königin." - (er legt das Blatt zurück) Auf denn, hinaus in den Wald, ehe der König uns nachsetzt! Doch erst muss ich nachprüfen, ob mich diese Brücke auch aushält. Es wär jammerschade, wenn ein Narr zugrunde ginge, nur wegen einer kleinen Unachtsamkeit. Doch sie hält. Sie scheint zu halten. Nicht nur die Damen, auch den Narr der Damen! Und wo ist ein Balancierstock? (man hört schon etwas Musik von der nächsten Szene) Nun, bei so einladenden Klängen kommt selbst ein Narr nicht darum herum, sich ein wenig einlullen zu lassen, bis er die Hängebrücke hinter sich gebracht hat.

6. Szene: Im Thronsaal

1. Abschnitt: Hadad auf dem Thron; ein paar Mädchen mit Instrumenten

Ein Mädchen: Majestät schaut müd und traurig drein.

Hadad: Muss ich nicht traurig und müde sein, wo das Schloss leer steht?

Mädchen: Wir sind immerhin noch da.

Hadad: Die Letzten, die ich noch habe.

Mädchen: Sollen wir ihm jetzt ein Liedchen aufspielen? Ich hörte es als Kind, wenn ich weinte und man mich wieder zum Lachen bringen wollte. (spielt und singt dazu in griechischer Sprache) "Wie schön siehst du aus, wenn du weinst"!

Hadad: Nein, das ist nichts. Nichts von Tränen.

Mädchen: Von welcher Art soll es sein? Ein heiter fröhliches Liedchen oder ein kurzweilig scherzhaftes? Oder ist Majestät mehr mit einem Soldatenlied geholfen? Jenseits des Tales standen ihre Zelte ...

Hadad: Am besten spielt ihr mir gar nichts vor.

Ein anderes Mädchen: Aber dazu hat uns Majestät doch gerufen. Vielleicht gefällt Majestät ein Lied von diesem Muster? Es ist uralt. Unsere Vorfahren haben es schon gesungen: "Das Ebenbild von einer reichen Stadt, das ist ein Mädchen, das viel´ Männer hat."

Hadad: Nein, das gefällt mir jetzt auch nicht. Wärst du Schibtu, du würdest mir gefallen. Aber das bist du nicht. Was für ein heller Stern wär sie mir in der Nacht!

Drittes Mädchen: Und ich, Majestät?

Hadad: Was ist mit dir?

Drittes Mädchen: Siehst du den Herrscher ganz allein, so tröste ihn; er darf nicht einsam sein.

Hadad: Das ist auch nichts. Das weist nur darauf hin, dass ich allein bin. Das will ich nicht hören.

Mädchen: Bedenke Majestät, dass wir die Letzten sind hier im Palast.

Hadad: Nichts weiter! Nichts mehr! Geht. Geht und bringt euch in Sicherheit, eh es zu spät ist! (die Mädchen gehen) Geht nur rasch, damit ich euch vergesse.

2. Abschnitt: Hadad allein

Hadad: Heraus muss es, was mich verdrießt und quält, dass mich alle Welt im Stich gelassen hat; vor allem meine engsten Mitarbeiter und Freunde, Leute, die ich groß gemacht habe und von denen ich gedacht habe, dass ich mich auf sie verlassen könnte durch Dick und Dünn. Die Erfahrung der Untreue aber und des Verrats lässt sich nicht übersingen und nicht vergessen. - Wo nur dieser verdammte Dubar steckt? Ließ mich wissen, er ziehe sich an einen geheimen Ort zurück, um meinem Herzenswunsch nachzukommen und nicht eher davon abzulassen, als bis er die von mir gewünschten Roboter fertig hätte. Und nun, wo vermutlich bereits die ersten seiner Kreaturen im Schlosshof randalieren, hält er mich hin und verweigert mir den Rapport und ich weiß nicht, wo er sich aufhält. Sollte er sich abgesetzt haben und im Feindesland weilen, von wo er gegen mich intrigiert? Und Baruch hätte es sich auch in den Kopf gesetzt, das Weite zu suchen. Und ich wäre allein, eingemauert in Menschenleere und Totenstille! Früher, da gab man sich hier noch die Klinke in die Hand. Alle Welt war stolz, zu mir kommen zu dürfen und ich rief sie zu mir, wie es mir beliebte. Jetzt aber ist, als gäbe es mich schon nicht mehr und falls es mich noch gibt, so nur noch als eine Art Schießbudenfigur, als Kasper von einem König, der sich zu bedanken und mit dem Kopf zu nicken hat, wenn man ihm ein Loch in den Bauch schießt.

Ich bin allein, ein Herrscher allein auf seinem Thron! Hat es so etwas je schon gegeben? In der Grabkammer bist du allein. Ha, elender Stuhl. Wozu bist du gut? Zum Beherrschen einer Welt, die mir davongelaufen ist und macht, was sie will? Oder bist du da zum Entscheid von Rechtssachen? Wo wäre das Recht, wenn es nicht von einer starken Hand beschützt wird! Oder bist du da, um zu glänzen inmitten einer Festversammlung geladener Gäste? Mach, dass du davonkommst, du Großmogul von Stuhl! Verkriech dich im Meer des Jam oder im Reich des Mot. Für Leute in einer Todeszelle magst du taugen, wenn der Arzt kommt mit der tödlichen Spritze.

(es klopft)

Doch da kommen sie ja schon! Haben schlau darauf gewartet, bis ich allein bin. Nicht einmal eine Pistole habe ich zur Hand, sie zu begrüßen. Präpariert wie eine Sau zum Abstechen sitze ich da, ich, einst das Ebenbild der Gottheit!

(es klopft abermals)

Schön inszeniert. Hübsch dreimal angeklopft, wie es die Sitte verlangt, ehe man in den Saal stürmt.

(es klopft abermals)

Stimme des ersten Wächters: Majestät, ich bin es.

Hadad: Wer ist das?

Stimme des ersten Wächters: Darf ich eintreten?

Hadad: Komm herein, wenn du nicht der bist, für den ich dich halte.

3. Abschnitt: Der Erste Wächter kehrt zurück.

(Der Erste Wächter bringt den Zettel der Königin, dass sie in den Wald geflohen ist, nach dem Sohn zu schauen)

1. Wächter: Majestät!

Hadad: Fritz, meine erster Wächter!

1. Wächter: Dank, Majestät, dass du mich gewürdigt hast, mich wieder zu erkennen.

Hadad: Willkommen, wenn du mir eine gute Nachricht bringst.

1. Wächter: Wie Majestät befohlen, habe ich den Palst durchsucht, ohne auf einen Feind zu stoßen. Das ist die gute Nachricht, die ich bringe. Noch keiner hat es gewagt, den Palast zu betreten.

Hadad: Und die schlechte Botschaft? - Die schlechte Botschaft will ich wissen.

1. Wächter: Einen Zettel habe ich gefunden im Saal der Königin. Hier ist er.

Hadad: Her damit! (liest flüchtig) "Majestät muss wissen ... kein Affront ... dass ich mich auf den Weg gemacht habe nach unserem Sohn ... für den Fall, dass ihn der Kanzler Baruch nicht findet. Ich werde ihn finden und seinem Vater zurückbringen ... Möge seine Majestät gut auf sich Acht geben. Denn, wie ich gehört habe, stellt man ihm nach! .... Anita, Königin."

(zu Abidad gehend, um ihn aufzudecken) Mein Herr, haben Sie es gehört, was uns Ihre Tochter zu schreiben beliebt? Du lachst dir ins Fäustchen? Lass sehen! (er deckt das Tuch von Abidad auf; doch der ist nicht mehr dort) Wo ist er? Verschwunden? Hat Reiß-aus genommen? Warum steht das Oberlicht offen? Wer hat das getan?

1. Wächter: Verschlossen war es noch, als ich ging. Majestät weiß, dass er mich zur Durchsuchung des Palastes weggeschickt hat.

Hadad: Da ist er herausgeflogen. Sag dass du herausgeflogen bist wie ein brünstiger Hahn. Hätt ich doch nie ein Fenster in den Palast einbauen lassen. O Koschar, elendester aller Architekten!

4. Abschnitt: Die drei übrigen Wächter kommen noch hinzu

Wächter: (hintereinander) Dürfen wir hereinkommen?

Hadad: Nur herein mit euren Unglücksbotschaften! Hier ist noch viel Platz. Was gibt es? Heraus mit der Sprache!

2. Wächter: Dass Dubar sich im Wald versteckt hält.

Hadad: Das wissen wir längst. Mag ihm der Aufenthalt wohl bekommen. Und weiter, was weißt du?

3. Wächter: Auch Baruch hält sich dort auf.

Hadad: Um fröhlich gegen uns zu konspirieren. Und du?

4. Wächter: Das Volk flieht außer Land. Ein paar Millionen sollen es schon sein.

Hadad: Mögen sie fliehen, wohin sie wollen.

4. Wächter: Auch die Gesandten will man gesehen haben.

Hadad: Heißt sie willkommen. Der Palast steht leer. Zum Plündern bereit. Und was noch? Das ist doch noch nicht alles? Was für ein Jammer, wenn ihr weiter keine Unglücksbotschaft mehr habt.

5. Abschnitt: Nun kommt noch Kyriak (Er trägt unter einem Tuch verhüllt das Haupt des Täufers)

Kyriak: Darf ich eintreten, Majestät?

Hadad: Sieh an. Kyriak, mein alter Schulfreund. Plötzlich taucht er auf und ist wieder da. Hat er die Lust daran verloren, weiterhin ein Rebell zu sein? Oder hat ihn die Angst vor mein königliches Tribunal getrieben, weil ihn nächtliche Träume gestört haben? Nur schade, dass ich eben jetzt keine Zeit habe, ihn anzuhören.

Kyriak: Mein Herr!

Hadad: Er hat doch hoffentlich etwas Ungemütliches für uns dabei.

Kyriak: Nur als getreuer Knecht seiner Majestät bin ich gekommen.

Hadad: Aber doch hoffentlich auch als mein alter Schulfreund.

Kyriak: Ich habe etwas mitgebracht, was seiner Majestät große Freude bereiten wird.

Hadad: Dann bringt er uns wohl ein Fläschchen Wein? So eine Art Versöhnungsfläschchen? Er muss ja nicht vom Teuersten sein. Für den König Hadad reicht auch ein Schnäppchen vom Sonderangebot. Also her mit dem Fläschchen! Wir müssten uns wundern, wenn er es nicht unter dem Tuch da trägt.

Kyriak: Mein Herr!

Hadad: Dann ist er gekommen, uns mitzuteilen, dass er noch immer zum Heer der Verräter zählt?

Kyriak: Wahr ist, dass ich zu den Feinden gehalten habe, aber das ist längst vorbei; ich bedauere, einmal im Schein der Untreue gestanden zu haben.

Hadad: Wir sind gerührt über die Treue unserer Vasallen!

Kyriak: Ich kann es beweisen. Und ich will es auch beweisen, indem ich dem König alles verrate, was noch keiner weiß und was gleichwohl schon in Gang ist. (das Haupt des Täufers aufdeckend) Beim Haupt des Täufers, das ich gerettet habe vor der Zerstörung.

Hadad: Was soll das Haupt? Hat er es gerettet, als die Rotte der Verräter es vernichten wollte? Beeil er sich. Kurz bemessen ist die Zeit.

Kyriak: Wenn Majestät damit einverstanden ist, will ich es an einen sicheren Ort bringen.

Hadad: Und wo wäre dieser Ort?

Kyriak: Im Wald.

Hadad: Ach ja. Im Wald bei den sieben Zwergen hinter den sieben Bergen, wohin man nicht so leicht kommt, wenn man einmal von Dubar absieht. Dort könnte er sich mit Abidad unterhalten, wie es hier weitergeht und über die letzten Dinge.

Kyriak: Einst glaubte man noch an einen großen und bedeutenden Neubeginn, wenn man nur solch ein Haupt hatte. Auch das Haupt des Orpheus wurde so verehrt und das Haupt des Zagreus und das Haupt des Chumbaba. Überall auf der Erde wurde das Haupt verehrt.

Hadad: Damals, als alle Geschichten noch mit einem "Es war einmal" begannen.

Kyriak: Majestät!

Hadad: Dann mag uns das Haupt sagen, dass er kein Verräter ist. Wenn das Haupt nichts sagt, nehmen wir es als Hinweis gegen ihn. Aber wir hören nichts.

Kyriak: Majestät!

Hadad: Genug jetzt. Oder brauch ich seine Erbauungsreden?

Kyriak: Die Königin. Sie hat die Flucht ergriffen und ist in den Wald hinausgegangen.

Hadad: Als ob ich das nicht längst wüsste. Freund, er kommt zu spät mit seiner Zeitung.

Kyriak: Dann sag ich nur noch, dass die Gesandten eingetroffen sind und dass sie auf dem Weg zum Zaphon gesichtet wurden. Nicht lang mehr wird es dauern, dann stürmen sie das königliche Schloss, was ein Leichtes sein wird. Denn von der Palastwache und den Türstehern ist keiner mehr da. Und was die Rebellen noch nicht zerstört haben, das werden dann sie noch zerstören.

Hadad: Geh er jetzt! Und sag er nur keinem, dass er sich als königstreuen Untertan erprobt hat.

Kyriak: Sag mir Majestät, was ich tun soll, und ich bin bereit, es zu tun.

Hadad: Dann sag ich ihm, dass er sich umbringen darf.

Kyriak: Wie?

1. Wächter: Dass er sich umbringen darf, vor den Augen seiner Majestät. (reicht ihm eine ungeladene Pistole)

Kyriak: Ich soll ... Ist das Ihr Wille, Majestät?

2. Wächter: Das ist der Wille seiner Majestät.

3. Wächter: Auch wird es seinen Chumbaba erfreuen.

2. Wächter: Er darf sich erschießen zum Wohl seines Königs. Doch beeile er sich, damit wir uns nicht genötigt sehen, ihm bei der Ausführung zu helfen.

Kyriak: Ich könnte ja die Pistole herum drehen.

1. Wächter: Seht euch doch diese gemeine Bestie an! Wie er unser Gnadengeschenk missbraucht!

3. Wächter: Dreh er, soviel er will, und versuch er sich.

2. Wächter: Dann wird er merken, dass wir ihm eine ungeladene Pistole gereicht haben.

Kyriak: O elende Versuchung!

1. Wächter: O elende Canaille!

Hadad: Und nun nehm er sein Haupt und beeil er sich, es zurück in den Wald zu tragen, so schnell er nur kann. - Ja, jagt ihn davon. (Ein paar Wächter schießen ihm nach.)

6. Abschnitt: Hadad zieht aus

Hadad:

Und nun bringt mir die Rüstung und das Schwert!

Den schweren Panzer legt mir an, den Wagen führt

mir her! Und vor den Wagen schirrt die Rosse!

Hinaus ins Freie, sag ich, will ich ziehen.

Dann mag mir widerstehen, wem´s gefällt.

Wächter:

Auf in die Schlacht, das Weltall zu entmachten!

Wir sind genug, uns hilft der Gott der Schlachten.

(Hadad eilt mit seiner Garde in den Wald.)

7. Szene: Vor dem Eingang zum Bergwald

(Stadttor mit einem Stück verfallener Stadtmauer. Von Scheinwerfern beleuchtet.)

1. Abschnitt: Ein Großvater mit Kindern auf dem Weg zum Tor

Kind: Ist das dort der große Berg?

Großvater: Der heilige Zaphon, die Behausung der Götter, wie die Alten glaubten.

Kind: Und hier hauste der Bergriese Ullikummi?

Großvater: Hier brach er sich das Genick und starb. Andere aber sagen, er sei in das Berginnere hinab gefallen.

Kind: Aber das träumten die Menschen doch nur. Oder hat es denn jemals Götter gegeben?

Großvater: Ja, fragt mich nur und zeigt mir, dass ich nichts weiß. Ein liebes langes Leben habe ich zugebracht und habe versäumt, mir ein gediegenes Wissen zuzulegen. Und nun ist mir zu Mute, als wär die Welt für mich nur noch ein Karzer, wo ich meine restlichen Tage abzusitzen habe.

Kind: Hör zu, Großvater! Wenn wir träumen, dann träumen wir doch; wenn wir aber wach sind, sind wir doch wach. Aber wenn wir träumen, träumt uns nie, dass wir nur träumen; immer gehen wir davon aus, wach zu sein. Wenn wir uns jetzt aber fragen, ob uns nur träumt, haben wir dann nicht bewiesen, dass wir wach sind?

Großvater: Wenn ein Traum zu Ende geht, merken wir es oft.

Kind: Dann müssten wir auf das Ende warten, ob wir wach waren oder ob uns nur geträumt hat?

Großvater: Alle Epochen und alle Menschen in ihren Epochen haben geglaubt, zu wissen, was ist. Nur dass es nicht dasselbe geblieben ist.

Kind: Dann haben sie eben auch nicht gewusst.

Großvater: Manches wird wohl unserem zugreifenden Erkennen für immer verborgen bleiben.

Kind: Und was soll das sein?

Großvater: Damals hielt man noch den gesamten Kosmos für belebt: Den Himmel mit Mond und Sternen und auch die Erde mit ihren Bergen und Tälern, Wüsten, Flüssen und Meeren. Heute zweifelt man selbst an der Belebtheit des Menschen. Wir leben nur noch wie eine hochkomplexe energiebetriebene Maschine, die bald schon durch etwas Beständigeres ersetzt werden muss. Früher einmal glaubte ich selber, dass alles, was wir für die uns eigene Wirklichkeit halten, zwar prinzipiell bereits vorhanden wäre, dass sie aber erst durch höheren Zuspruch zustande käme. Die Gelehrten heutzutage aber halten einen solchen Zuspruch für eine Illusion. Alles können wir uns zusprechen und an alles können wir uns gewöhnen, wenn wir es uns nur lebendig vorzutragen verstehen.

Kind: Wir wollen aber nicht wissen, was der Mensch alles mit sich anstellen kann, noch auch wie man sich selber täuschen kann.

Großvater: Ohne alle Vorstellung und ohne allen Glauben geht es nicht in der Welt der Menschen. An das Gute müssen wir glauben, wenn wir uns freilich dann auch darum zu bemühen haben. Die Alten glaubten noch an eine Welt der Erlösung und des ewigen Friedens. Unsere Welt aber ist zur Scheol geworden. Die Scheol hat um sich gegriffen und während wir davon träumten, auch noch die Unterwelt unserem Herrschaftsbereich einzufügen, hat sie die Erde und das Universum erobert.

Kind: Erzähl uns bitte keine Märchen!

Großvater: Nun ja. Dann schaut euch doch um. Und ihr erkennt, dass wir umgeben sind von Apparaten, die uns gestatten, das materiell existierende All zu beobachten.

Kind: Wir sollten uns den Horizont nicht verengen lassen durch ein Woher oder Wohin oder Wohinaus. Was man nicht wissen und nicht ändern kann, darüber soll man auch nicht reden.

Großvater: Die Früheren forderten uns auf, uns an einem ewigen Sein beglückt festzuhalten.

Kind: Weil sie es nicht besser wussten.

Kind: Oder weil sie so ihre Angst kaschierten.

Großvater: Sagt mir, was der Fall ist, wenn ihr es wisst.

Kind: Du bist wie ein Vater, der sich beim Umgang mit seinem Kind mit anderen Dingen beschäftigt. Oder wie ein Lehrer, der sich nicht vorbereitet hat. Du erzählst uns zwar immerfort etwas Neues; aber wir haben nichts davon. Und wenn du dir die Mühe machst, uns klar zu machen, in was für einer Welt wir zu Hause sind, so stellt sich am Ende nur heraus, dass du es selber nicht weißt.

Kinder: Wir wissen jedenfalls, dass im Wald alles ganz anders ist als draußen.

2. Abschnitt: Der Narr kommt dazu

Narr: Das muss ich die Königin wissen lassen und wer sonst noch die neuesten Nachrichten wissen will, dem sag ich es auch, dass nämlich der König ausgezogen ist, hierher in den Wald. Und wenn er auch nur mit seinen Getreuen unterwegs ist, so weiß doch keiner, über was für Mittel und Arsenale an Waffen er sonst noch verfügt. - Aber da sind ja Kinder. Sing ich etwas, dass ich sie nicht erschrecke und in Angst versetze. Wenn Kinder schon sterben müssen, so sollen sie doch möglichst lang nichts davon wissen. (singend) Ich geh durch einen grasgrünen Wald und höre die Vögelein singen.

Kind: Das ist der Narr.

Narr: (hinzuspringend, während sich der Großvater etwas entfernt) Ist hier jemand?

Kind: Such uns doch, du Narr!

Narr: (abermals singend)

Und brauchst im Himmel du ein Käsperlein,

lass es, ich bitt dich, lieber Gott, mich sein,

Kind: Kommt der uns auch mit dem lieben Gott!

Narr: Ah, da sind ja meine lieben Freunde. Die Kinderlein. Alle fein versammelt mit ihren wohlgeputzten Popöchen. Und auch der alte Häuptling ist da! Seid alle gegrüßt!

Kind: Lass die albernen Späße. Und vergiss nicht, dich mit viel Weisheit zu befrachten, denn du kommst uns nicht aus.

Narr: Heißt es nicht, Kinder und Narren sagen die Wahrheit?

Kind: Magst du auch ein Narr sein, wir sind keine Kinder mehr.

Narr: Da erinnere ich mich an eine alte Frau. Deren letzter Wunsch war es, noch einmal hinaus in den Garten zu gehen und die Blumen zu begießen.

Kind: Auch das Blumen-Begießen kannst du dir schenken. Sag uns, alter Narr, ob man sich im Wald verirren kann.

Narr: Eine gute Frage.

Kind: Du sollst uns nicht unsere Frage benoten, sondern beantworten.

Narr: Dann passt auf! Wenn der Lehrer mich fragte, was es mit dem oder jenem Menschen auf sich habe, da nahm ich die Hand zu Hilfe, brachte sie unter mein Kinn, als sprosste mir schon der feine Flaum eines Philosophen, sah ihn mit großen Augen an und sagte: "Ja, der Mensch, wer ist der Mensch?" Damit war er zufrieden und ich durfte mich wieder auf meinem Platz niederlassen.

Kind: Du stehst jetzt aber nicht vor dem Lehrer, sondern vor uns. Ein Lehrer will eigentlich überhaupt nichts wissen. Nur sein Notenbüchlein will wissen. In dessen Auftrag fragt er die Kinder ab und macht Zensuren. Uns aber quäl nicht mit überflüssigen Phrasen.

Narr: Dann wollt ihr also etwas hören über den Menschen, diesen nackten Zinken, dieses verletzliche Wesen, dieses Wesen, das wartet, bis es getroffen wird, um sich dorthin zu begeben, wo es nimmer getroffen wird? Oder wollt ihr die Geschichte hören vom Schilfrohr im Winde?

Kind: Sei so gut, lieber Narr, und sag alles vernünftig.

Narr: So sage ich euch, dass sich schon sehr viele im Wald verirrt haben, wenn es das ist, was ihr von mir wissen wollt. Da gibt es Wege, die wie Labyrinthe nimmer herausführen, wo man immer wieder am selben Ort anlangt, von dem man ausgegangen.

Kind: Du willst uns doch nur Angst machen.

Narr: Keineswegs.

Kind: Wenn der Ort ein guter ist, von dem man ausgeht, kehrt man auch an einen guten Ort zurück.

Narr: Der Mensch, an welchem Ort er sich auch einrichten mag, nie vermag er sich für immer darin einzurichten. Immer kommt der Tag, wo ihm kalt wird und er zu frieren beginnt. Und sucht er Abhilfe dagegen, dann wird ihm heiß und er stöhnt. Er krümmt sich, wenn er Schmerzen empfindet. Und ist er ein Mann, der etwas auf sich hält, oder eine Frau, die nicht minder große Stücke auf sich hält, so lässt er seine Familie im Stich und eilt davon.

Kinder: Das ist aber doch ein Märchen!

Narr: Das ist die Wirklichkeit von heute, die freilich, wenn man zurückblickt, wie im Märchen geschieht. Das Leben ist ein Märchen und das Sterben der Verlust eines Traums.

(Vereinzelte Schüsse aus der Ferne sind zu hören)

Kind: Und das, was ist das?

Großvater: (der zurückkommt) Das sind die Mörsergranaten des Königs.

Kind: Ist das auch ein Märchen?

Großvater: Geht zur Seite, Kinder, damit uns der König nicht sieht.

Narr: Er scheint sehr erregt zu sein. Und ihr wisst ja, erregten Königen soll man nie zu nahe kommen.

3. Abschnitt: Der König mit seinen Wächtern durchquert das Tor.

Hadad: (auf seinem Streitwagen) Auf denn durchs Tor der Mutter aller Schlachten, dem Sieg entgegen, den wir sorgsam achten!

Alle Wächter: (indem sie ihm durchs Tor folgen)

Wie steil auch der Weg und Gefahren-gespickt,

dem König der Aufstieg zur Weltherrschaft glückt.

Hadad: Und nun das Gelände gründlich durchsucht! Und trefft ihr auf einen von Dubars Robotern, lasst keinen entkommen! Hinauf, den Berg, zum Schloss hinauf!

Wächter: Den Berg hinauf. Zum Schloss!

4. Abschnitt: Die schwarzen Witwen

Kind: Die streifen jetzt durch den Wald? Gibt es da Feinde?

Großvater: Ich denke schon.

Kind: Und wenn sie ihre Feinde treffen, wird es dann zum Krieg kommen?

Großvater: Das ist schwer zu sagen. Wenn wir verstanden hätten, dass wir alle Söhne eines Vaters sind, dann gäbe es jedenfalls keinen Krieg. Aber kommt jetzt! Es ist Zeit!

Kind: So warte doch!

Kind: Ja, warte noch, Großvater! Sieh nur dort den Adler, wie er über die Baumwipfel dahinfliegt. Jetzt taucht er hinab auf den Boden des Waldes. Wie im Sturzflug taucht er hinab.

Kind: Das war doch eine Waldschnepfe. Nicht wahr, Großvater, das war eine Waldschnepfe auf dem Schnepfenstrich.

Großvater: Kommt!

(Man sieht ein paar schwarzgekleidete, vermummte junge Frauen den Wald betreten.)

Kind: Und die Frauen da? Was machen die? - Großvater, was schweigst du? Sag es uns!

Großvater: Das sind schwarze Witwen. Man hat ihnen ihre Männer ermordet. Nun sind sie auf der Suche nach den Mördern. Sie tragen Sprengstoff am Leib, um sich, wenn sie sie gefunden haben, mit ihnen in die Luft zu sprengen.

Kind: Aber der König Hadad hat das doch nicht getan. Oder?

Großvater: Kommt jetzt!

Kind: Immer wenn es spannend wird, willst du, dass wir gehen.

Kind: Sag uns, ob ein König fähig ist, jemanden zu ermorden!

Narr: Ich finde auch, dass es höchste Zeit ist, dass die Kleinen ins Bett kommen.

Kind: Und warum, Herr Narr?

Narr: Weil einem euer penetrantes Nachfragen auf den Geist geht.

Ein Kind: Hat es jemals etwas Dümmeres gegeben als diesen Hans Narr?

Narr: (weitergehend und sich gleich hinter Bäumen versteckend) Wohl dem, der keine Kinder zu beaufsichtigen hat! Vor lauter Leben wissen sie ja noch nicht einmal, dass sie leben. Aber ich muss mich beeilen, zur Königin, auf den rechten Weg.

8. Szene: Einzug des Königs in den Wald

1. Abschnitt: Ein Wilderer wird von den Wächtern des Königs überrascht

Wilderer: (er holt eben einen Hasen aus einer Schlinge) Armer Hase! Da hast du nun nicht mehr gewusst, von wo die Gefahr herkommt, ob von vorn oder von hinten, von oben oder von unten; und da bist du zu mir gesprungen und hast in meiner Tasche Zuflucht gesucht. Komm her, bei mir sollst du es für den Rest deiner Tage gut haben.

Wächter: (herbeischleichend) Wenn das der Baruch ist, soll er uns nicht entgehen. (vortretend) Halt! Stehen geblieben! Stehen geblieben, hab ich gesagt!

Wilderer: Warum muss ich stehen bleiben? Ich hab ja nichts getan

Wächter: Was schwänzt er da herum?

Wilderer: Hab ich was Böses gemacht, wenn ich ein Häslein aus einer Schlinge befreit und in meine Obhut genommen habe?

Wächter: Zeig her!

Wilderer: Ein totes Häslein, das ich aus einer Schlinge befreit habe.

Wächter: Weiß er nicht, dass es verboten ist, im königlichen Wald zu jagen?

Wilderer: Was hab ich anderes getan, als meine Tasche aufgehalten, um einem verängstigten Häslein Schutz zu bieten? Da hat es den abscheulichen Kriegslärm gehört und da war es mit seinen Sinnen so beschäftigt, den Horizont abzusuchen, dass es darüber den Blick für das Höhere vergessen hat. In dem Augenblick aber schoss ein Adler auf das Häslein herab. Und auf mein Wort, hätt ich es nicht so gut festgehalten, der Adler wär längst mit ihm über Berg und Tal.

Wächter: Erzähl er das seiner Urgroßmutter.

Wilderer: Vielleicht wollte sich auch eine Schnepfe ein Hochzeitspräsent ergattern.

Wächter: Mitkommen!

Hadad: (aus der Ferne herzukommend mit einem seiner Wächter) Was gibt es da? Kinder?

Wächter: Das sind keine Kinder, Majestät. Das sind Wilderer.

Hadad: Und der da?

Wächter: Das ist auch ein Wilderer. Alle sind verschwunden und haben das Weite gesucht. Nur der da ist geblieben. Er will uns weiß machen, dass er nicht weiß, dass unbefugtes Betreten des königlichen Forsts mit dem Tod bestraft wird.

Wilderer: Majestät, ich bin total unschuldig. Nur dem Tierchen bin ich zu Hilfe geeilt, weil es den Kriegslärm nicht hat aushalten können. Lebensmüde ist es auf mich zugekommen und hat mich um Schutz und Beistand gebeten. Da wurde ich ihm zum Befreier, wie seine Majestät uns Armen zum Befreier wird.

Hadad: Was für ein Wicht! (für sich) Dabei dachte ich, Dubar stellte sich mir in den Weg mit seinen Kindersoldaten.

Wächter: Erschießen wir den Wicht?

Wilderer: Nein, wartet noch einen Augenblick. Seid so gut!

Hadad: (für sich) Aber er ist ja zu feige, als dass er sich zum Kampf stellte. Er weiß, dass ich ihn ausradiere für immer.

Wilderer: Seine Majestät hat es sich anders überlegt. Ihr seht es doch selbst.

Wächter: Majestät? Gibt es einen Vorbehalt? - Also los, stell dich da hin!

Wilderer: Was hab ich getan? Schaut mich doch nur an und überzeugt euch davon, dass ich ein Angsthase bin. Einen Schuss würde ich nie und nimmer überleben.

Hadad: Lasst ihn rennen.

Wächter: Aber nur unter der Bedingung, dass er sofort verschwindet und sich nie mehr hier blicken lässt.

Wilderer: Das will ich tun, von Herzen gerne. (zu zwei weiteren Wilderern) Kommt! Die Luft ist rein.

2. Wilderer: Auch wir, Majestät, sind nämlich noch nicht lebensmüde. Dank Dir, dass du uns gestattest, an den Gewehren deiner Knechte unbeschadet vorbeizukommen.

3. Wilderer: Zum Dank wollen wir dir auch verraten, dass da hinten Frauenhändler unterwegs sind.

2. Wilderer: Jawohl dort, in der Richtung, keinen Büchsenschuss weit entfernt. Mag Majestät den Wald säubern und die Götter des weiten Himmels ihm Erfolg verleihen. (ab)

2. Abschnitt: Drei Frauenhändler mit ein paar Frauen und einem Sack

(Etwas abseits von Hadad)

1. Frauenhändler: Hast du gehört, was der Spitzbube da gesagt hat!

2. Frauenhändler: Das ist der Lohn dafür, dass wir ihnen nicht ihre Beute abgenommen haben.

1. Frauenhändler: Jetzt heißt es, Fahrt aufnehmen und ins Weite gelangen.

(zu den Frauen) Marsch ihr, voraus! Und wehe, es fiele euch ein, uns nicht zu Willen zu sein!

3. Frauenhändler: Wer auch hätte das ahnen können, dass wir so hohen Besuch bekommen. Doch Achtung. Das Gehölz da.

1. Frauenhändler: (zu den Frauen) Gebt doch Acht! Jedes Stöckchen kann uns verraten. Wiewohl wir einem ehrlichen Gewerbe nachgehen, wäre es verfehlte Hoffnung, darauf zu setzen, mit dem gesetzlichen Respekt behandelt zu werden.

3. Frauenhändler: Das Beste wird sein, wir lassen den Sack hier irgendwo zurück. Der wird ihnen was zu denken geben. In der Zeit sind wir schon über Berg und Tal.

2. Frauenhändler: Dann aber erst, wenn wir den Goldschmuck herausgeholt haben. Auf den goldenen Ring verzichte ich nicht und wenn ich ihr den Finger abschneiden muss.

1. Frauenhändler: Überhaupt, warum wollt ihr schon hier auslegen? Wartet noch, bis wir in des Teufels Badezimmer geraten. Kommt, tragen wir den Sack!

2. und 3. Frauenhändler: (zu den Frauen) Und ihr helft uns dabei!

1. Frauenhändler: Also auf jetzt und nichts wie ab! (alle ab)

3. Abschnitt: Der Narr, der aus einem Versteck heraus alles beobachtet hat

Narr: Madonna, in was für ein Durcheinander man doch gerät, wenn man sich der Angst überlässt. Besser ein Ende ohne Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, sag ich da nur. Drum verbiete ich mir von nun an alle Angst. Damit ist jetzt Schluss! Einmal freilich, da träumte mir von einem Rauchwölkchen. Es war etwa wie hier, tief im Wald. Ich hatte mich in ein Versteck gestellt, hinter eine hohe Tanne, und es war sehr dunkel. Als ich mich umsah, erblickte ich eine kleine hellblaue Rauchsäule, die aufwärts stieg, fast kerzengerade, ohne zu kräuseln, wie von einem weggeworfenen Zigarettenstummel. Ich fand aber keinen Zigarettenstummel am Boden, dass ich in rasch hätte austreten und unschädlich machen können. Aus einer kleinen Höhle mitten im Geflecht der Wurzeln stieg der Rauchfaden empor. Und ob ich mir auch alle Mühe gab, die Höhle mit Erde und Steinen zu überdecken, so war doch alle Mühe umsonst. Wär doch nur einer gekommen und hätte mir geholfen! So aber blieb mir nichts übrig als zu begreifen, dass sich hier ein Waldbrand vorbereitete und dass ich ohnmächtig war, ihm zu gebieten. (er geht fluchtartig weiter)

9. Szene: Wie die Königin zu einem Einsiedler gelangt

1. Abschnitt: Königin und Kammerfrau

(Lautes Gebrause wie von einer Hammerschmiede)

Königin: Wie wünschte ich, wir säßen daheim und du läsest mir vor aus den Annalen der Könige.

Kammerfrau: Von jenen Söhnen der Könige, die es zu Ruhm und Ansehen brachten?

Königin: Vielleicht auch von jenen unglücklichen Söhnen, denen es bestimmt war, elend zu Grunde zu gehen. Das unermüdliche Brausen und Rauschen martert meine Seele.

Kammerfrau: Mir ist auch immerfort, als schliche Dubar um uns herum.

Königin: Geh, Narr, und sieh nach, was es ist.

Kammerfrau: Er ist doch noch gar nicht zurück.

Königin: Ach ja!

Kammerfrau: Würde mich aber nicht wundern, wenn die Canaille türmte.

Königin: Wohin sollte er auch türmen, hier im Wald!

Kammerfrau: Vielleicht, dass er sich auf einen Baum setzt und darauf wartet, bis ihn die Raben holen. Doch still!

(man hört etwas)

Königin: Was ist das?

Kammerfrau: Das ist er ganz sicher. Wenn man den Esel nennt, kommt er gerennt.

Königin: Mein Gott, wie er daher kommt!

Kammerfrau: Aufgelöst, als käme das Weltende hinter ihm her.

Narr: Das kommt auch.

Kammerfrau: Später einmal. Jetzt aber wollen wir nichts davon hören. Wir würden aber gerne wissen, was da in der Nähe so unermüdlich rauscht und braust.

Narr: Das ist der Wind, der hinter dem Berghang stürmt und der noch nicht über den Kamm kommt. Und das kann ich auch bezeugen, weil sich das Weltende Zeit lässt.

Kammerfrau: Geh er und seh er nach!

Narr: Wie leicht sich das alles sagen lässt! "Geh er und seh er nach!"

Königin: Es ist nichts Schweres, Pipifeci, was wir von dir verlangen. Du sollst nur ein paar Schritte vorangehen und nachsehen, wohin der Weg führt.

Kammerfrau: Und wenn er Angst hat, so vergesse er nicht das verlässliche Wort einer Kammerfrau "Unkraut verdirbt nicht."

Narr: Gehorsamster Diener.

2. Abschnitt: Wie der Narr sich auf den Weg macht

Narr: Da bin ich nun gerannt, was das Zeug hält, ihre Majestät einzuholen und nun hab ich die Ehre, mitten durch den stockdunklen Wald zu gehen, ohne zu wissen, was ich eigentlich machen soll. Ja bin ich denn der liebe Gott, der blaue Blumen aus dem Erdboden und blaue Rauchsäulchen aus Höhlen erschafft, ganz wie es ihm beliebt? Und was lernen wir daraus? Dass wir nicht schnell genug ins Unglück rennen können. Versuch ich denn, die Lehre noch auf mich anzuwenden! Ich soll nachsehen, was da so schrecklich rauscht und braust. Das heißt, ich soll nachsehen, ob ich schon zum Untergang reif bin. Das ginge ja noch an, wenn ich es darauf abgesehen hätte, mich nicht länger um die Welt zu bekümmern und mich darauf einzuüben, nie gelebt zu haben. Was man sich indessen am grünen Tisch ausgedacht hat, das hat sich im Dschungel der Gefahren kaum noch als wertvoll erwiesen. Nachsehen, ja das ginge ja noch an, wenn man nicht noch bei jedem Schritt immer erst nachprüfen müsste, ob man noch da ist. Nun hat mich die Königin vorausgeschickt, das Gelände zu erkundigen, ob da vielleicht irgendwo ihr Söhnchen festgehalten wird. Doch bedarf es dazu eines so abgelegenen und finsteren Ortes und eines so unwirtlichen Geläutes wie dieses Gerassel von Ketten? Das ginge ja noch an, wenn wir alle schon so human geworden wären, dass keiner mehr einen so abgelegenen Ort mehr brauchte, um Menschen zu Tode zu quälen. Doch tut man das nicht auch schon seit jeher am helllichten Tag mitten auf dem Marktplatz? Und selbst wenn ich solcherlei Quälgeister fände, wär mir damit geholfen? Müsste ich dann nicht auch zu der zarten Königin zurückkehren und ihr mitteilen, dass ich Menschenfresser gefunden habe. - Ah wie müde einen doch solcherlei Aufgaben machen, an deren Ende nichts auf einen wartet als die helle Verzweiflung! Dabei wär es die allerhöchste Zeit für meiner Mutter Sohn, in einem warmen Bett zu verschwinden. Stattdessen hör ich nur dieses pausenlose Gerassel, als wüsste ich nicht längst, dass hier das Reich des Satans beginnt. (er bleibt stehen)

3. Abschnitt: Der Narr trifft auf einen Sterbehelfer

Narr: Hier heraus kommt der Lärm. Doch, was ist das? Eine Höhle, dunkel wie ein Wolfsrachen. Geh ich da hinein? Nein. Das wäre heller Wahnsinn. Als ob es nicht hier draußen schon dunkel genug wäre. Sage ich mir denn zuerst, dass ich dem königlichen Befehl nachgekommen bin, um mir das gute Gewissen der Pflichterfüllung zu verschaffen. Nur ein paar Schritte sollte ich ja vorangehen und nachsehen, ob ein Weg von hier weiterführt. Und ich kann wohl sagen, dass zwar ein Weg hier hereinführt, kaum aber wieder heraus.

Stimme des Sterbehelfers: Mein Herr!

Narr: Ah, was war das? Das kam nicht aus der Höhle. Ist da jemand hinter meinem Rücken?

Stimme des Sterbehelfers: Mein Herr!

Narr: Bleib er stehen, wenn er sich hinter meinen Rücken in einer unlauteren Absicht gestellt hat.

Stimme des Sterbehelfers: Mein Herr!

Narr: Jawohl, die Stimme kam mir aus dem Rücken. Versuch ich denn, mich erst einmal behutsam und vorsichtig umzudrehen. Wie mich dünkt, lebe ich immerhin noch. Sollte also ein Subjekt so subjektiv sein, dass es sich hier irgendwo aufhält, so kann es sich nur um ein Glied handeln, das einer sich anbahnenden Erscheinung zu Grunde liegt. Erkundigen wir uns, wo es sich versteckt hält. (er stöchert mit seinem Wanderstock auf dem Boden) Mein Herr, schließen Sie die Augen und nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich herauszufinden versuche, um was für ein Subjekt es sich handelt. Und schreien Sie bitte, wenn ich Ihnen zu nahe komme! Ich bin wirklich der Letzte, der die Absicht hegt, ihnen ein Auge auszukratzen. - Mein Herr? Warum sind Sie verstummt und geben mir keine Antwort? Einen Narren zu narren, das ist nicht fair. Das wissen Sie doch! - Vielleicht aber war es doch nichts. Immer wieder kommt es ja vor, dass ein Stein mit Getöse in den Abgrund zu stürzen scheint, und alles war nur eine Einbildung. (er bricht einen Stein los, den man hinabrollen hört)

Sterbehelfer: (hinter einem Felsbrocken hervorkommend) Mein Herr! Hier bin ich.

Narr: (für sich) Ei sieh an. Ein grammatikalisches Subjekt aus Fleisch und Blut. Mit seinem Galgengesicht erinnert er mich aber eher an einen harmlosen Weltbürger als an ein im Feuer bewährtes, echtes und gediegenes logisches Subjekt. (laut) Doch wo kommt er her? Hat er kein besseres Quartier gefunden als einen Felsen für die Nacht?

Sterbehelfer: Ich bin zwar kein Quartiermacher, mein Herr, habe aber durchaus etwas mit Quartieren zu tun.

Narr: Hier in der Nacht?

Sterbehelfer: Ich bin dazu da, den Menschen zu einem menschenwürdigen Sterben zu verhelfen.

Narr: Mein Gott! Was ist denn das?

Sterbehelfer: Lehrer zu sein für ein menschenwürdiges Sterben, das ist ein schwerer Beruf.

Narr: Lehre den Menschen, menschenwürdig zu leben, dann wird er auch menschenwürdig sterben. Und wenn er das nicht kann, dann geh er ihm mit einem anständigen Tod voraus.

Sterbehelfer: Täusch dich nicht, Freund.

Narr: (für sich) Das wäre allerdings ein Novum, wenn es einem Narren gelänge, einen anderen zu belehren; und nun gar auch noch einen Sterbehelfer.

Sterbehelfer: O Menschlein, wenn du nur wüsstest, dass auch du einen brauchst, der dir die Angst vor dem Tode nimmt. Einmal muss jeder sterben.

Narr: Keiner wird ihm widersprechen. Doch was folgt daraus? Dass man Sterbehilfe als Schulfach einführen und Sterbehelfer als Lehrer besolden soll? Oder wär es nicht vernünftiger, man brächte den Kindern bei, wann immer sie die Angst vor dem Ende beschleicht, einen Schluck vom Wasser des Vergessens zu sich zu nehmen und dazu ein lustiges Lied zu singen?

Sterbehelfer: Wie man dem jungen Menschen einen guten Lebenswandel beibringt durch Lehre und Einübung, so muss man ihm auch ein gutes Sterben beibringen.

Narr: Pass auf, Alter! - Kann er mich hören?

Sterbehelfer: Ich kann ihn hören, aber ich will es nicht.

Narr: (für sich) Weil man sich als Lehrer der Menschheit immer am liebsten selber hört. Aber das macht nichts. (laut) Sag mir nur, ob du weißt, was eine Handlung ist.

Sterbehelfer: Was soll die Frage?

Narr: Ist Sterben eine Handlung?

Sterbehelfer: Allerdings, und zwar eine der allerschwierigsten.

Narr: Ist es eine Handlung, von der der Handelnde im Nachhinein erfahren kann, ob er gut gehandelt hat oder schlecht? Gewissenlos treten wir ins Leben, gewissenlos verlassen wir es wieder. Daran ist nicht zu rütteln.

Sterbehelfer: Es fällt mir schwer, den Herrn zu verstehen.

Narr: Schaut mir doch den gescheiten Mann an, der unfähig ist, die Narrheit eines Narren zu verstehen. - Wir müssten einen haben, so sag ich, der die Probe gemacht hätte, damit er uns sagen könnte, was er dabei erfahren hat. Dann könnten andere die Probe machen und mit der Zeit entstünde eine Art Erkenntnis und damit dann wohl eben auch eine mögliche Bewertung. - Aber so etwas gibt es nicht. Noch nie ist einer zu uns zurückgekommen, um uns zu erzählen, was es mit dem Sterben auf sich hat. Und deshalb wird sich auch nie einer Gewissensbisse machen, wenn es ihm nicht gelungen ist, auf die allerschönste Weise zu sterben.

Sterbehelfer: Du machst mich wahnsinnig, Mensch.

Narr: (für sich) Mag sein, dass das zu den Aufgaben eines Narren gehört. (laut) Aber du hast ja Recht Mann. Denn was soll uns dieses Palaver. Auch wenn ich wandle durchs Tal des Todes und ich sterbensmüde bin, so ist mir doch noch lange nicht nach Sterben zumut, auch nicht nach einem menschenwürdigen Sterben, geschweige denn, dass ich nach einem Sterbenshelfer Ausschau zu halten hätte. Bleib er mir also vom Leib mit seinen Märlein. Morgens liegen bleiben zu dürfen und nicht mehr aufstehen zu müssen, um den Gedanken auszukosten, brauch ich keinen Leichenbitter. Und wenn ich im Winter, wenn es kalt ist draußen, mir nochmals das warme Deckbett bis über die Ohren ziehe und weiterschlafe, dann brauch ich ihn auch nicht. Aber wenn mich die Frühlingssonne ans Fenster lockt und es mich hinaus zieht, dann sing ich "O dolce vita!" Niemals "O dolce morte!". Drum sag ich: Erst kommt das Leben und dann das Sterben.

Sterbehelfer: Man muss beides zusammen sehen.

Narr: König Hadad hat immerhin einen Versuch unternommen, Mord und Todschlag wieder in Ansehen zu bringen.

Sterbehelfer: Jeder Mensch hat ein Recht darauf, sein Leben als etwas Sinnvolles zu begreifen.

Narr: In unserer auf Freiheit setzenden, gewissenlos gewordenen Zeit kann jeder die Probe machen, ob bei seinen Handlungen etwas Gutes und Brauchbares herauskommt oder nicht.

Sterbehelfer: Wir arbeiten zusammen mit jedem Einzelnen an einer Vita, in deren Spiegel er sich wiedererkennt. Unser Ziel ist es, dass ein jeder sich sagen kann, dass sein Leben gut war. Alles, was ihm widerfuhr, so soll er sich sagen, hat ihn groß gemacht. Alles, was er gemacht hat, hat er Recht gemacht.

Narr: Fehlt dann doch nur noch das große Denkmal für seinen Jedermann.

Sterbehelfer: Man braucht kein Denkmal. Nicht einmal eine Universität oder eine Straße muss nach einem benannt werden.

Narr: Für die ganz Kleinen mag das genügen, wenn man sie so belügt und betrügt. Schrecklich ist es aber doch, wenn du als Ordinarius der Naturwissenschaften keinen Nobelpreis erhältst. Oder wenn du als Theaterdichter nie aufgeführt wirst. Oder wenn du als Politiker nicht zumindest auf einem Gruppenfoto mit den ganz Großen zu sehen bist. Da sollte man sich doch wenigstens bei Zeiten umschauen, wo auf dem Friedhof der beste Platz ist. Im Quartier der Unsterblichen, versteht sich.

Sterbehelfer: Das Schöne und Gute hat nichts mit roten Teppichen und teuren Diners und Gruppenfotos in Samt und Seide zu tun. Weg mit all dem Erbe fürstlicher Protzerei, wo immer es auch gepflegt wird. - Merk ich also, dass mein Klient darunter leidet, kein Großer zu sein, so sag ich zu ihm: "Freund, was willst du denn? Hast du es dir denn ins Hirn gesetzt, eine lächerliche Figur zu werden?"

4. Abschnitt: Die Königin und die Kammerfrau kommen hinzu

Narr: Doch still, da kommt wer. - Das ist ja meine Königin. Sie macht sich Sorgen um ihren Narren. (er singt)

Zuerst hatt ich ein Mütterlein,

das liebte ich gar sehr;

doch dann fand ich mein Liebchen fein,

das liebte ich noch mehr.

Nun ich mein Liebchen nicht mehr hab,

lieb ich nur noch mein stilles Grab.

Königin: O Pipifeci. Hat er meinen Sohn gefunden, dass ich ihn wieder meinen lieben Selim nenne und er mich Anita, seine liebe Mutter?

Narr: Ich habe sorgfältig nachgeforscht, nur leider umsonst.

Kammerfrau: Und dieser Mann da?

Narr: Das ist Monsieur Bohnenstange, ein Mann, der den Leuten, für die es keinen Weg mehr gibt, doch noch den einen oder anderen Schleichweg einzureden unternimmt. Vornehmlich hat er sich die Lizenz erworben, Leuten, denen die Lust am Leben vergangen ist, den Spaß am Sterben zu vermitteln.

Kammerfrau: Heißt das nicht, arme Seelen verspotten, wenn einem selber noch die weite Welt offen steht?

Sterbehelfer: Gnädige Frau. Preisen Sie das Schicksal, das mich zu Ihnen geschickt hat. Einen schlecht zu machen, wie dieser Narrenkopf da, das ist keine Kunst.

Kammerfrau: Nein, keine Werbung.

Sterbehelfer: Bitte. Hören Sie her! Jüngst erst kamen zwei ultragescheite Herren bei mir vorbei, die miteinander vereinbart hatten, sich nach ihrem Ableben nebeneinander beerdigen zu lassen. Versteht sich, nicht in ein auf 15 Jahre gemietetes Grab. In ein Grab für immer und ewig. Der eine war ein geistlicher Herr, der sich ein liebes Leben lang abgearbeitet hatte, den Beweis zu führen, dass es keinen Gott gibt, der andere war ein freier Schriftsteller, wie man sich gern zu benennen beliebt, und war verheiratet, zog aber die Freundschaft mit dem Geistlichen der Liebe zum Weibe vor.

Kammerfrau: Behalt er seine Geschichten für sich!

Sterbehelfer: Ist der Mensch nicht ein herrliches Rätsel? Allein, um dieses Rätsel zu bestaunen, lohnt es sich, auf die Welt zu kommen.

Narr: Fürwahr, fast möchte man behaupten, dass unserem Leben heutzutage nichts sonst mehr eine Sinnstiftung verleiht als solch ein Unsinn. Selbst auch wenn ich nur ein ganz kleiner Dichter wäre, ließe ich es mir nicht nehmen, daraus eine saftige Farce zu machen. Da würde man dann verzweifelt mit den beiden Särgen auf dem Friedhof herumirren und nach einem Doppelgrab suchen.

Kammerfrau: Und dieses Kettengerassel! Was ist das?

Sterbehelfer: Das ist nichts als ein alter erbärmlicher Einsiedler, der da drüben haust und der sich mit seinen selbsterwählten Ketten peinigt. Wäre er zur Zeit des Mittelalters erschienen, man hätte ihn vielleicht noch brauchen können; aber heute, da ist so etwas doch wohl etwas antiquiert. Wir wissen heute hinreichend Bescheid, dass sich einer, der sich aus der Gesellschaft ausschließt, den Versuchungen des Satans ausliefert.

Königin: Ich will ja nur wissen, wie es um meinen Sohn steht. Vielleicht hat er bei dem Einsiedler Unterschlupf gesucht.

Sterbehelfer: Verlorene Mühe, dorthin zu gehen. Da ist nichts von einem Herrn Sohn zu finden.

Königin: Sehen wir nach!

Kammerfrau: Ja, gehen wir, der Königin zu Lieb, und sehen wir nach!

Sterbehelfer: So leg ich mich denn wieder nieder, wenn ich nicht weiter gebraucht werde! Gute Nacht, meine Damen! Gute Nacht, der Herr!

5. Abschnitt: Der Narr und die Angst

(Währenddessen sucht die Königin mit dem Einsiedler nach Selim)

Narr: Gute Nacht, Grabgeselle der Nacht. Oder bin ich nicht Narr genug, etwas zu erfinden, wann immer mich Angst überkommt, mich vor ihr zu schützen? Und wenn ich mich nur verfolge. Zum Schein, versteht sich, so dass ich nur noch Angst vor mir habe. Dabei weiß ich doch selber am besten, dass vor mir niemand Angst zu haben braucht, weil ich selber der größte Angsthase bin. Nun weiß ich zwar auch, dass das eine große Dummheit ist, schließlich, wenn die Platte geputzt wird, kommt ohnehin alles in den Eimer, aber auch der weiseste Narr begeht einmal eine Dummheit. Ehe ich mich einem Grabgesellen übergebe, gehe ich lieber zum Einsiedler. Vielleicht ist er übrig geblieben aus der Schar der liebenswerten Gottesnarren der vergangenen Zeit, die nicht so kümmerlich dahinvegetierten wie unsereins. Lebt unsereins nur noch von der Hand in den Mund, so dachten sie sich als Gotteslob, das zu besorgen sie da waren, und brauchten kein ungelöstes Problem oder ein noch unfertiges Kunstprojekt, um den Tag zu überstehen.

6. Abschnitt: Bei der Höhle

Kammerfrau: Majestät, hier ist die Höhle. Wie zum Betreten der Unterwelt bereit. Von hier heraus sind bis eben noch die Geräusche gedrungen. Vermutlich haust hier der Herr Einsiedler. Nun aber, da wir nahe herangekommen sind, ist es stille geworden.

Narr: Etwas zu stille, wie ich meine. Womit ich sagen möchte, dass man sich hüten sollte, seine Nase durch fremde Türen zu stecken. Zumal es nicht das erste Mal wäre, dass ein Einsiedler hinter einem Eingang stehen könnte, bereit, einen mit einem Stein zu erschlagen.

Kammerfrau: Geh er schon und schaff er Bericht!

Narr: Madam, gehöre ich denn einer Heldenriege an oder bin ich Vorstand einer Chefetage? Mag sich doch Madame als heldenkühn erweisen. Selbst Frauen, die sich den Bart allmorgendlich scheren, vermögen das heute.

Kammerfrau: (eine Kerze anzündend und in die Höhle eintretend) Waschlappen er! - Majestät, ich sehe mich um.

Königin: Aber dass sie mir wieder heil zurückkommt!

Narr: Darauf kann sich Majestät verlassen. Wer will sich auch an einer Kammerfrau vergreifen. .

Königin: Was redet er da nur.

Narr: Wenn ich eine Frau wäre, Majestät, dann würde ich mich weigern, mich als Frau weiterhin von Wehen ergreifen zu lassen, um dann möglichst einen Sohn zur Welt zu bringen und ihn dem Herrn Gemahl, als meinem Ehebaal zu dedizieren. Kein Kind mehr zur Welt bringen zu müssen, hat zumindest das Gute, dass man sich nicht ängstigen muss, ein Kind zu verlieren. Und wenn denn Kinder sein müssen, so ist es doch besser, wenn wir diesen Part den Robotern überlassen. Was wollen wir mehr, wenn sie sich nur reduplizieren?

Königin: O pfui, schäm er sich, Pipifeci!

Narr: Verzeihung Majestät. Aber wenn ich ein unmündiges Kind lallen höre und ich daran denke, was ihm im Leben alles bevorsteht, bricht es mir das Herz. Und was ist der Mensch letztendlich anderes als ein Tier mit einem Rüssel voll Dummheit und Weisheit. Wir sind weder wahre Individualisten noch wahre Gemeinschaftswesen. Lächerliche Käuze und Träumer sind wir. Und nichts ist langweiliger als ein Mensch, der zum Morgenkaffee schon seine Zeitung braucht! Und wenn ich vergesse, dass ich ein Narr bin, der verpflichtet ist, tüchtig zu sich zu halten, so ist mir, wie wenn man mir ein Hochzeitslied gesungen hätte, und es hätte bei mir einen Widerhall gefunden wie ein Leichenlied. Immerhin ist ein Roboter-kind pflegeleicht und man hat nicht die mindeste Verantwortung damit.

Königin: Nein, das ist nicht gut, was er da sagt. Denn sieh: selber wolltest du doch wohl auch nicht mit einem Roboter tauschen. Mag ein Roboter noch so viele Vorteile haben, wie die, dass ihn nie eine Schuld drückt und dass ihm keine Leiden und Schmerzen und kein qualvoller Tod bevorstehen; aber es steht ihm auch keine Freude bevor, nicht die kleinste Freude. Denk an die Seligkeit eines Kindes, wenn ihm sein Geburtstag oder sonst ein Festtag heran naht, denk an die Freuden und Seligkeiten eines Bräutigams und einer Braut, denk an die Liebe, die nach uns sucht und die uns verbindet. Mögen wir auch im Zeughaus der Schmerzen geformt und verfertigt worden sein und mögen wir auch aus dem Teig der Leiden bestehen: immer hängt mein Herz am Menschen, wie er nun einmal ist, am Menschen aus Fleisch und Blut, den die Schuld drückt und der nach Vergebung verlangt.

7. Abschnitt: Der Einsiedler

Kammerfrau: Da ist nichts.

Narr: Das heißt aber nur, dass sie nichts gefunden hat.

Kammerfrau: So ist es Recht. Nur immer den Mund vollgenommen, Elitegeneral des Mars!

Königin: Aber dieses schreckliche Getöse und Gebläse! Jetzt hör ich sie wieder. Das sind keine Ketten eines Dulders und Büßers.

Einsiedler: (kommt aus der Höhle heraus) Ihr Kinder, was habt ihr?

Kammerfrau: Da ist ja der Herr Einsiedler.

Königin: Mein Gott, wie er mich erschreckt hat.

Einsiedler: Wer seid ihr?

Narr: Wenn wir das nur wüssten. Was wir wissen, das ist nur, dass wir uns als Kanonenfutter zu schade sind, weshalb wir um ein Asyl bitten.

Kammerfrau: Dummer Schwätzer! Das ist nämlich unser unverbesserlicher Narr. - Lebt er hier allein?

Einsiedler: Ja allein, gnädige Frau.

Kammerfrau: So dunkel, das ist ja fast wie in der Unterwelt.

Einsiedler: Ich brauche kein Licht mehr, wenn es mir nicht von innen kommt.

Kammerfrau: Und warum hat er keinen Ton gepiepst, als ich nach ihm gesucht habe?

Einsiedler: Es zeugt nicht immer von Klugheit, aller Welt zu sagen, wo man ist.

Kammerfrau: Jetzt aber hat er hohen Besuch bekommen. Ihre Majestät, die Königin steht vor ihm. Nehm er Haltung an und benehme er sich, wie es sich für einen Untertanen gebührt!

Einsiedler: (sich verneigend) Möge es Ihre Majestät nie gereuen, zum niedrigsten ihrer Untertanen gelangt zu sein.

Königin: Auf der Suche nach meinem Sohn bin ich unterwegs. Gesegnet, wer mir dabei helfen kann.

Einsiedler: Wir alle sind vom Elend umlagert.

Kammerfrau: Ob er den Sohn der Königin, den Prinzen Selim, gesehen hat, wollen wir wissen. Wo er sich aufhält. Bring ihn herbei, wenn du nicht willst, dass wir unseren Hunden pfeifen.

Einsiedler: Sie sind nicht in einer schicklichen Stimmung, gnädige Frau.

Kammerfrau: Hat er nicht gesagt, dass der Sohn der Königin bei ihm ist?

Einsiedler: Nicht bei mir. Bei ihrer Majestät, der Königin, weilt er. Wie sonst wäre es möglich, dass Majestät an ihn denkt.

Kammerfrau: Und das ist alles?

Einsiedler: Ich sage nur, was ich verantworten kann.

Kammerfrau: Narrengesicht.

Narr: (für sich) Das war nicht auf mich gemünzt.

Einsiedler: Was nirgends zu finden ist, das findest du überall.

Narr: (für sich) Das heißt, dass man mich nicht überall findet, weil ich hier zu finden bin. Woraus wir wiederum schließen, dass das Narrengesicht scharf sich auszudrücken vermag.

Kammerfrau: Genug mit dem Unfug.

Narr: (für sich) Das wiederum ist typisch für den Hochmut des kleinkarierten Verstandes. Was er nicht versteht, das nennt er einen Unfug.

Einsiedler: Lange habe ich über eine Beruhigungsformel nachgedacht und bin zum Glauben gekommen, dass alle Wege geeignet sind, uns zur Ruhe zu bringen. Was auch hätte einer davon, mich tot zu schlagen? Hier ist nichts zu holen außer einer Seele, die ohnehin nach nichts anderem mehr sich sehnt, als aus diesem Elend heraus zu gelangen. "Selig, wer den Stürmen des Meeres glücklich entrann und im Hafen einlief. Selig auch, wer über die Nöte Herr ward: ihn preise ich selig."

Narr: Der Mensch, der nach Ruhe verlangt. Schon bei den Kindern findest du das, wenn du mit ihnen das Fang-spiel spielst. Da rennen sie einem davon und man soll sie einfangen. Bist du aber hinter ihnen her und kommst ihnen ganz nahe, dann erwarten sie sehnsuchtsvoll, gefasst und gepackt zu werden und empfinden es als eine Erlösung, wenn es endlich soweit ist.

Königin: Du glaubst an Gott!?

Einsiedler: Majestät. Ich bin nicht das Tribunal, das einen Gott zu definieren und dann darüber zu entscheiden hat, ob es ihn gibt.

Kammerfrau: Mach dich nicht wichtig, Mensch. Nach dem Gott der Liebe wurdest du gefragt, auf Du und Du.

Königin: Könntest du mit diesem Satz leben "Wenn es keinen Gott gäbe, so gäbe es doch die Liebe"?

Einsiedler: Wenn ich Liebe sage, muss ich auch Gott sagen und wenn ich Gott sage, so sage ich immer auch Liebe.

Königin: So glaubst du an den Gott der Liebe?

Einsiedler: An den Gott meiner Liebsten glaube ich allerdings, den Gott der größten Liebe und des größten Leides.

Königin: Aus dem allen entnehme ich, dass auch er einmal geliebt hat. Dann kann er uns gewiss auch etwas von der Liebe erzählen.

Einsiedler: Wenn Majestät nicht vor meiner Höhle zurückschreckt, mag sie mit mir hereinkommen. Da mag sich Majestät dann ausruhen, während ich erzähle. Denn sie scheint mir sehr müde.

Königin: Versuchen wir es!

Narr: Vielleicht, dass wir die Kammerfrau als Wache hier draußen stehen lassen?

Kammerfrau: (in die Höhle tretend) Flegel! Dass er mir nur nicht zu nahe kommt!

Narr: (er bleibt allein draußen vor der Höhle) Dabei wäre das durchaus sehr nützlich gewesen. Wie bei den Erdmännchen, die Alarm schlagen, sobald eine Gefahr naht. Versuch eben ich mein Bestes!

8. Abschnitt: Dubars Eintreffen

Stimme des Einsiedlers: Was für ein Leiden, wenn wir in der Liebe gelebt haben und wenn dann unsere Liebste oder unser Liebster ins Meer des Tods fällt. Weg da, mit allem Heldentum, so sag ich. Lieber ein Leben leben in Elend und Lieblosigkeit, mit kleinen Freuden und mit kleinen Schmerzen, als dem großen und unerträglichen Leid entgegen zu gehen und sich dann ausgesetzt zu sehen der allerletzten unaufhebbaren Angst, die dem ewigen Schweigen voraufgeht.

Stimme der Königin: Aber verlangt uns nicht nach dem Leiden?

Stimme des Einsiedlers: Damals versuchte ich, meinen Schmerz zu vergessen. Aber es wäre Verrat gewesen. Ja, besser wäre gewesen, ich wäre damals verrückt geworden. Dann wäre mein Geist getrennt von meinem Gram gegangen und Schmerz in eitlen Phantasien hätte das Bewusstsein seiner selbst verloren.

Narr: Was für ein Mann, der dunkle Worte repetiert! - Doch still, dort kommt wer. Ist es Meister Dubar? - Nein, er ist es auch nicht. Selim scheint es zu sein, der künstliche Selim. In Begleitung von zwei Robotersoldaten. Es kann gewiss nichts schaden, wenn ich mich aus der Schusslinie bringe.

Stimme der Kammerfrau: Meine Herrin!

Stimme des Einsiedlers: Was haben Sie denn? Lassen sie doch die Königin. Sie ist eingeschlafen!

Stimme der Kammerfrau: Der Feind rückt heran! Da kann man nicht schlafen!

Narr: Sodom und Gomorrha, wie Recht sie doch hat. Das ist nicht gut, dass der Wald so viele schöne Gelegenheiten bietet zum Totschlag. Und nun kommen auch noch diese Kunstmörder ins Geschäft! Lebt denn wohl! (er schleicht sich weg)

10. Szene: Wie Baruch im Wald bestattet wird, Dubar mit zwei Robotern ans Werk geht und der Narr auf die ausländischen Gesandten trifft.

1. Abschnitt: Der künstliche Selim kommt zur Höhle des Einsiedlers

(Lichter tragende Roboter begleiten den künstlichen Selim, der mit dem toten Baruch zur Höhle des Einsiedlers kommt)

Selim: Hier ist die Höhle. Hier ist gut sein. (während Roboter den toten Baruch aus dem Sack holen) Nun, mein Freund Baruch, kommen wir also zu dir! Leider hast du es nicht geschafft, den Meister Dubar zu überlisten. Stattdessen hat er dir den Garaus gemacht. Nun also gilt es, dir hier im Wald eine ehrenvolle Bestattung zukommen zu lassen. So ein Friedwald wie dieser hier mit seiner urwelthaften Fauna und Flora, das ist doch was Apartes. Da macht es fast Spaß, beerdigt zu werden. Findest du nicht auch! Schau nur die Höhle, wie passend sie für dich ist. Danken wir zuallererst deinem Kollegen Dubar, der dich fürsorglich allen zeitlichen Bedrohungen entzogen hat. Jawohl, ein klein wenig darfst du auch auf deinen Mörder stolz sein. Er ist nicht nur ein begabter Konstrukteur, er ist auch ein begnadeter Mentor. Im Gegensatz zur Masse der Menschenlehrer, die immerfort darauf achten, dass sie ihren Schülern nicht zu nahe kommen, ist mir Meister Dubar noch nie zu nahe getreten. Wie auch sollte das geschehen? Er schnipfelt und tüftelt an mit herum und ich lass es mir gefallen. Nimm denn auch du die Sache vom heiteren Ende und denke, Dubar habe nur zur Verschönerung an dir herumgeschnipfelt.

Vielleicht denkst du, dass es mir schwer fällt, dich zu bestatten? Aber da irrst du. Denn mag auch unser Nachteil sein, dass künstliche Wesen wie ich nie leben, so bleibt uns doch auch der Vorteil, dass wir nie sterben. Mag sein, dass Dubar mich auch mit Gefühlen hätte bauen können. Doch er hat es nicht gemacht und vermutlich ist es auch gut so, dass er es nicht gemacht hat. Da hätte er sich viel Mühe gegeben, nur um mir dann mühevoll wieder beizubringen, wie ich mich zu beherrschen hätte in der Stunde der Angst. Dass ich nachts schlafen müsste und Träume mich quälten, weil Dubar, mein Vater, zu mir ins Schlafkammer eindringen könnte, um mich zu ermorden. Das fehlte ja noch. Mag er kommen und an mir herumflicken, wie immer es ihm beliebt, mag er mich in tausend Teile zerlegen und jedes Teil nochmals in tausend Teile! Mag er es tun, wenn es ihm Spaß macht. Und wenn es einen Knopf gäbe, mit dem ich mich ausstellen und zerlegen könnte in Zehnmillionen Teile, dir zu Liebe wollte ich es tun. Du glaubst mir nicht? Ein Wort von dir, Baruch, nur ein einziges Wort und ich tu es! Der Scherz ist es mir wert, damit du einsiehst, wie wenig mir dieses Dasein bedeutet. Vermutlich aber verstehst du mich gar nicht, wenn ich dir sage, dass ich eigentlich gar kein Ich habe; und das nicht nur, weil du selber für immer ausgestellt zu sein scheinst. - Nur zu gern würde ich ja noch ein paar Worte mit dir tauschen. Das wäre doch ein intellektuelles Vergnügen und mithin eine Gelegenheit, Riesenfortschritte zu machen in der Erkenntnis, wenn ich bei der Unterhaltung mit dir, unser beider Sicht auf die Welt zu unterscheiden vermöchte. "Freund", so würde ich zu dir sagen, "muss man sich denn von Ängsten zerfressen lassen, nur weil es dem Dubar einfallen kann, einen hinzurichten? Ist es nicht gut, wenn er es tut, weil du dann nicht warten musst, bis du altersmüde und lebenssatt geworden bist? Und wenn ich dich solcherart ein wenig beschwichtigt hätte, wollte ich von dir wissen, wie das bei dir war, als dich der erste Größenwahn packte und du dich kaum mehr zu halten vermochtest in Anbetracht dessen, was für eine tolle Bestie du bist. Bist du nicht auch einmal auf den nächstbesten Erdwall gesprungen und hast dich erhoben mit geschwellter Brust und hast Kopf und Arme hinaufgeworfen zum Himmel, als sähst du Gott Vater persönlich und müsstest ihm dein "Bedecke deinen Himmel Zeus" zurufen, weil niemand das weite All so scharf und so genau durchspäht wie du? Wie? Geht dir eben jetzt etwas anderes durch den Kopf? Ist es das "Warte nur, balde", bis auch das All nichts anderes mehr ist als eine große trübselige Leichenhalle? Meintest du das? Aber nein. Du sagst nichts mehr oder du willst nichts mehr sagen. Selbst den allerkleinsten Kommentar abzugeben hast du dir abgewöhnt. Selbst, dass du tot zu sein hast, hast du vergessen. Da ist nichts mehr zu machen, zumal da ich auch keinen Anschluss zu einem Energiereservat bei dir finde. Doch nimm es nicht schlimm. Von deiner Sorte gibt es genug, übergenug. Kein Grund also, dich über deinen Weggang zu grämen. Erst wenn wir, nach dem Willen des Meisters Dubar, mit dem Menschengeschlecht aufgeräumt haben und nur noch ein paar wenige Exemplare der Spezies Homo sapiens in unseren Freilandgehegen herumspringen, dann wird man auch wieder auf den Menschen aufmerksam werden und wird ihn für etwas Wertvolles halten, wie man heute die Berggorillas Ostafrikas für etwas Wertvolles hält.

(er ist nun bereit, die Bahre in die Höhle zu schieben)

Nur ein letztes möchte ich noch gern von dir wissen, mein Freund, ehe wir Abschied nehmen für immer. Gesetzt, dass der Mensch einer ist, der sich in fremde Kleider stecken und Theater spielen muss, um zu erkunden, wer er ist, wie kommt es, dass es den Menschen drängt, nach Himmlischen Ausschau zu halten und, wenn er auch nichts findet, er sie sich so plastisch vor Augen stellt, dass er mit ihnen zu dialogisieren beginnt? Ist da das schlechte Gewissen am Werk, weil ihm seine sozialen Instinkte einreden, dass ihm nicht alles erlaubt ist? Und weil das so ist, dass ihm, je kleiner und gemeiner sein Platz in der Gesellschaft ist, umso weniger erlaubt ist, so drängt es den Menschen ganz nach oben, wo er dann endlich durchdrungen von der Verantwortung für das Ganze von seinem Gott die Gesetzestafeln überantwortet bekommt? Wohl uns Automaten, die keine Verantwortung drückt und die keine Rechenschaft abzulegen im Stand sind. Wohl uns, die wir uns nicht anders verhalten als der Stein, der losgelassen zur Erde herabfällt. Und hätte ich eine Knarre in der Hand und Dubar stünde davor und der Abzug wäre gespannt, ja dann ließ ich es knallen.

Ah, was für eine putzige Gesellschaft, die Menschheit, wo jeder an seinen privaten Gott glaubt. Und wie der Mensch Verantwortung zu tragen hat, so bürdet er auch seinem Gott Verantwortungen auf. Bald dass sie ihm eine bahnbrechende Aufgabe auf dem Weg durch die Geschichte, bald eine als Oberrichter am Ende der Tage aufbürden. Da denkt der Eine an eine ewige Gerechtigkeit und tröstet sich wegen der brutalen Unterdrückung durch die ihm Vorgesetzten. Ja, Baruch, da könntest du noch eine, wenn auch späte, so doch zuckersüße Rache erleben, wenn du mitanschauen dürftest, wie man dem Dubar Prügel verpasst, weil er unfähig ist, Rechenschaft darüber abzulegen, dass er dich hat umbringen lassen. Andere hingegen, und das sind die Meisten, denken an ein ewiges Leben in Freuden und Wonnen. Die Vorstellung scheint herrlich, ohne auch nur einen Streich dazu zu tun, darauf zu warten, bis einem die gebratenen Gänse ins Maul fliegen. Dabei muss man sich allerdings fragen, ob das Gänsefressen ausreicht, den Schlund der Unendlichkeit zu stopfen, wo doch der Mensch seinem ungebildeten Rohzustand nach nichts weiter ist als ein langweiliges Wesen. Selbst wenn es einen lieben Gott geben mag, der die Kunst beherrscht, die erstaunlichsten Wunder zu verrichten, wie könnte es ihm gelingen, den Menschen die Zeit im Himmel zu verkürzen, wo sie doch unendlich lang ist und mithin nie vorbeigeht? Da wären doch die Steine oder wir Automaten viel geeigneter. Denn erstens wird es uns nie langweilig, solange man uns nur mit Energie versorgt und zweitens sind wir auch nicht so falsch und voller Hinterhalt wie der Mensch.

2. Abschnitt: Dubar kommt dazu

(Dubar taucht auf mit weiteren Robotern, Geräusche wie von Motorsägen)

Dubar: Nun Freund Selim! Ist alles getan?

Selim: Gleich, Meister, gleich bin ich so weit.

Dubar: Auf, auf! Beeil dich! Wir haben noch viel zu tun. Gleich treffen die Gesandten ein.

Selim: Sollen die auch gleich zu Beefsteak Tatar verarbeitet werden?

Dubar: Alles der Reihe nach. Beeil dich also!

Selim: Du hast es gehört, Freund Baruch. Wir haben noch viele Bäume zu fällen. Jetzt heißt es Abschied nehmen. Auch wenn ich dir keinen Stein vor den Eingang wälzen kann, weil keiner zur Hand ist, so nimm denn, was ich dir noch habe sagen können, als kleine Grabrede.

3. Abschnitt: Der Narr begegnet den ausländischen Gesandten

(Die Gesandten im finsteren Wald, man sieht sich noch nicht.)

Russe: Mag er ein Geheimbündler sein, ein Templer oder ein Freimaurer oder was er will, wir jedenfalls lassen uns von ihm nicht an der Nase herumführen.

Chinese: Zu Hause mag er tun und lassen, was er will. Da mag er sich als das inkarnierte Gesetz aufspielen, aber nicht hier.

Ami: Meine Herren, was haben Sie denn? Erledigen wir doch erst diese Aufgabe hier! Dann sehen wir weiter.

Russe und Chinese: O faule Fische! Nichts als faule Fische!

Ami: Überhaupt kommt da wer.

Russe und Chinese: Wo denn?

Ami: Ist dort wer?

Narr: Kuriose Frage.

Ami: Still gestanden!

Narr: Das riecht nach Menschenfleisch.

Ami: Ob dort wer ist, wollen wir wissen.

Narr: Das will ich ja auch wissen. - Wenn keiner da ist und keiner dort ist, so treffen sich allenfalls ein paar Geister.

Ami: Komm er aus der Deckung.

Narr: So sagt man, wenn man einem einen höflichen Bescheid erteilt, zu kapitulieren. Dabei könnten ja auch die Herren ihre Deckung fallen lassen.

Ami: Sonst wird eben geschossen.

Narr: Da haben wir es. Das ist schon der unhöfliche Bescheid. Dabei bin doch ich hier zu Hause. Doch man muss vorsichtig sein und darf die Tatsachen nicht außer Acht lassen. Wenn der Mensch sich nicht mehr zu helfen weiß, ballert er drauf los. Versuche ich eben der Klügere zu sein. Das gebietet die Klugheit, denn diese sind mindestens drei und ich bin höchstens einer. (Laut) Ich komme, wenn mir die Herren versprechen, sich nicht an mir zu vergreifen.

Chinese, Russe und Ami: Heraus ohne alle Bedingung.

Narr: Hier bin ich, auf Gedeih und Verderb.

Ami: Und wo sind die anderen?

Narr: Welche anderen?

Chinese: Die hinter ihm noch im Versteck sind.

Russe: Die Leute, die ihn schützen.

Narr: Meine Herren müssen wissen, dass ich ein Narr bin und dass ein Narr seine Freiheit damit bezahlt, dass keiner ihn schützt. Er ist vogelfrei.

Chinese: Der Mann ist in der Tat mit einem Narrenkostüm garniert.

Russe: Dann ist er auf jeden Fall ein Feigling.

Narr: Ein Narr darf sich freimütig dazu bekennen, dass ihm das Leben lieb ist. Darin mag er mit einem Feigling übereinstimmen. Wenn man aber nur lange genug gräbt, stößt man bei jedem Menschen auf einen Narren. Nur dass der Narr am schnellsten in seinem Selbst fündig wird.

Ami: Genug davon. Sag er uns, was er weiß.

Narr: Und wem hab ich die Ehre, etwas sagen zu sollen?

Ami: Den Vereinten Nationen.

Narr: So kämen Sie also als die uns angekündigten ausländischen Gesandten?

Ami: Was wir nicht wissen, soll er uns sagen.

Narr: Das ist eine gute Anweisung. Wo ich noch nicht einmal weiß, was ich nicht weiß. Aber auch das, was ich weiß, ist nur schwer zu sagen, da ich als Narr über nichts Bescheid weiß. Und wer hätte jemals das Nichts angemessen ausgemessen und zur Darstellung gebracht.

Chinese: Ein Possenreißer mag er sein. Aber er hat wohl bald die längste Zeit mit seiner Pritsche die Luft verhauen.

Narr: Dass ich ein Narr bin, meine Herren, geht doch schon daraus hervor, dass wir uns hier treffen. Denn wer anders als ein lebensmüder Narr verirrt sich in diesen Wald?

Russe: Jetzt aber ist genug. Wenn er uns nicht sagt, was er weiß, schießen wir ihm sein Wissen aus dem Kopf.

Ami: Jawohl, darauf kann er sich verlassen.

Narr: Zuerst bin ich kein Verräter. Das weiß ich ganz gewiss. Sodann aber weiß ich, dass sich da drunten die Königin in Lebensgefahr befindet.

Russe: Wir suchen aber nach dem König.

Narr: Der König ist nicht wert, gesucht zu werden. Dem nachzugehen, heißt, einem verirrten Schaf nachgehen. Das wäre die Aufgabe eines guten Hirten. Mit seinen 4 Leibwächtern ist er unterwegs. Einer harmloser als der andere. Jedenfalls wenn man eine kugelsichere Weste anhat wie die Herren. Da wäre der Herr Dubar schon ein anderes Kaliber.

Chinese: Wer?

Narr: Dubar, der Ingenieur und Schöpfer einer geheimen Armee. Haben die Herren noch nichts von dem Projekt "Selim" gehört?

Ami: Sind das die künstlichen Roboter?

Narr: So ist es, mein Herr. Dubar ist das Haupt einer weltweiten Verschwörung gegen die Menschheit. Augenblicklich aber ist er dabei, die gute Königin umzubringen. Dabei ist das seine Schwester. Helft ihr! Hier, in diese Richtung müsst ihr gehen. Es ist nicht weit zu Fuß. Nehmt mich mit euch und ich zeig euch den Weg. Und wenn ich euch getäuscht habe, so schießt mich nieder.

Ami: Die Königin befreien? (für sich) Und den Code der Roboter knacken!

Chinese: Scher er sich zum Teufel.

Narr: Nun ja, warum auch gleich zum Teufel. Aber etwas abseits von den Herren zu treten, dürfte durchaus nicht verkehrt sein. (für sich) Ha, da setzt man auf Freiheit und macht es nicht einmal sich selber Recht! (ab)

Ami: Warum gehen wir nicht, die Königin befreien?

Russe und Chinese: Uns liegt nichts daran, die Königin zu befreien.

Ami: Mir ja eigentlich auch nichts. (für sich) Wenn da nicht noch dieses Andere wäre.

11. Szene: Wie dem König Hadad im dunklen Wald Selim erscheint und wie er auf die Gesandten trifft.

1. Abschnitt: Hadad allein im Dunkeln

(Hadad allein, es ist dunkel; er kommt, wie ihm scheint, zu einer Brücke mit dem königlichen Pavillon dahinter.)

Hadad: Hab ich es nicht immer gesagt, du musst zu dir halten, dann widerfährt dir nichts Schlimmes. Fehlte noch, dass ich die Fantasien meiner Feinde verbreitete, als müsste man einen Galgen bauen, der noch höher ist als der von Haman, um mich dran aufzuhängen! Und wenn ich alleine wandern müsste durch der Höllen Schlund: wer könnte mir etwas anhaben, solange ich nur nicht vergesse, wer ich bin. Ich aber bin der, auf den die Weltherrschaft wartet. Jawohl, diese Welt wartet auf mich, dass ich sie endlich von allem Krieg und aller Zerstörung, von Mord und Tod befreie. - Und nun sehe ich auch den königlichen Pavillon, nach dem ich gesucht habe. Hier ist die Brücke, die mich hinüberführt. Nun denn! -

(er glaubt Selim vor dem Pavillon zu sehen) Doch wer steht dort? Selim? - Wer bist du? Mir zum Empfang abgesandt? Oder kommst du, abgesandt von Abidad, weil du nichts mehr mit dir anzufangen weißt im Abgrund des Todes? Starr steht er da und spricht nichts. Komm her, Menschenfleisch, dass ich dich daran erinnere und dich davon kuriere, wenn dir der Tod langweilig geworden sein sollte. Und dass du dir nur nicht einfallen lässt, mein Sohn Selim zu sein. - Die Anrede hat gepasst. Fort ist der Mensch.

2. Abschnitt: Die 4 Wächter kommen herbei mit der toten Schibtu

Wächter: Majestät, wir haben da einen Sack gefunden. Wie es scheint steckt ein Mensch in dem Sack.

Wächter: Leuten waren wir auf der Spur, die ihn da hergelegt haben.

Hadad: Schaut nach, was da drin ist. Glück euch, wenn ihr mir den toten Selim herausholt.

Wächter: Das ist nicht Selim.

Hadad: Dann lasst den Sack liegen.

1.Wächter: Majestät!

Hadad: Werft den Sack weg, hab ich gesagt.

Wächter: Majestät sollte dem Wunsch widerstehen, nachzusehen. Es ist Schibtu.

Hadad: Ihr Wahnsinnigen! (er schaut nach) Schibtu! Meine Schibtu! Ungeheuerlich, wie man sich an meiner Blume vergreifen konnte. Und nicht nur totgeschlagen hat man sie, auch all ihres Schmucks beraubt. Nicht einmal das Goldkettlein, das ich ihr geschenkt habe, hat man ihr gelassen. O Schibtu. Wenn du noch sprechen kannst, so sag mir, wer dich ermordet hat. Doch nein, sag es nicht. Ich weiß es selber. Das waren Dubar und Baruch, dein Bruder. Auf, auf!

Wächter: Was sollen wir tun? Sollen wir die Suche aufnehmen nach dem Mörder?

Hadad: Meine Schibtu sollt ihr mir erwecken.

Wächter: Wie sollen wir das tun?

Hadad: Ja spreche ich denn eine unverständliche Sprache? - Sie ist nicht tot. Sie schläft nur. Drum weckt sie behutsam.

Wächter: Hast du gehört, Allerschönste, was dein Herr befiehlt? Erwachen sollst du und dich erheben und den König als seine Geliebte erfreuen.

Hadad: (während die Wächter hilflose Versuche machen) Die Einzige, die mir noch den Glauben an den Sinn des Lebens hätte aufrechterhalten können, hat man ermordet; niederträchtig hat man sie ermordet, um mir das ewige Leben zu rauben. Gott stehe mir bei, wenn es Baruch, ihr Bruder, war, der sie umgebracht hat. O du feige Kreatur, du gemeine Bestie! Fluch über alle Brüder, denen die Schwestern nichts sind als leichte Treppen für ihren Aufstieg. Ah, wenn ich bedenke, was nicht sonst noch alles aus ihr hätte werden können. Wenn ich nur bedenke, Schibtu hätte dem Thron den ersehnten Nachfolger geschenkt. - Seid ihr noch immer nicht soweit? - Sagt mir, dass meine Schibtu lebt oder steckt diese Welt in Brand. Niemals will ich mich mit ihrem Tod abfinden.

Wächter: Öffnen wir ihr den Mund und sprechen sie an, so antwortet sie uns nicht. Und schließen wir ihr die Augen, auch dann weiß sie uns keinen Dank.

Wächter: Selbst kleinere Erweckungsstiche lässt sie sich gefallen, ohne eine Miene zu verziehen.

Wächter: Und würden wir ihr auch den Willen aus dem Herzen schneiden, sie ließ es sich wohl gefallen.

Alle Wächter: Erschlage uns, wenn Schibtu dadurch lebendig wird.

Hadad: Euch erschlagen? Selbst wenn ich dazu noch diesen Baruch erschlüge und den Dubar, so würde es nicht genügen. (für sich) Die Liebe hast du erst, wenn sie dir fehlt. - Doch gehen wir!

Wächter: Wohin sollen wir gehen?

Hadad: In den Pavillon. Dort hält sich Selim auf. Geht voraus und schlagt ihn tot. Dann werft ihn mir vor meine Füße. Hier war es doch eben noch. Und auch die Brücke, die dorthin führt. Wo ist das alles jetzt? Nichts als Dunkel herrscht hier und glatter Fels! Eine Versuchung des Satans.

Wächter: Selbst das Schloss auf dem Gipfel haben wir aus den Augen verloren.

Wächter: Befehlen Majestät, dass wir ein Licht anzünden?

Hadad: Schibtu ist mein Licht. Aber es ist mir ausgegangen.

Wächter: Sollen wir ein paar Fackeln anzünden? (sie zünden ein paar Fackeln an)

Ein anderer Wächter: (zu einem anderen): Der König ist verwirrt. Die Liebe hat ihn verwirrt. Weh dem, der liebt! Das ziemt sich nicht für einen Herrscher.

Hadad: (probiert den Fels zu besteigen und schlägt ihn dann) Was für ein Fels ist das? Noch nie hat sich hier ein Fels befunden.

Wächter: Hier wird es nicht leicht sein, hinauf zu steigen.

Hadad: Wohin habt ihr mich geführt?

Wächter: Wir werden den Weg gleich finden.

Hadad: Stufen müssten hervortreten, um empor zu steigen, wie von Flügeln getragen. (probiert abermals) Sei verflucht, du Fels!

Wächter: (mit Fernglas) Dort droben sehe ich jemanden.

Anderer Wächter: Jawohl, sogar mehrere Männer stehen dort. Sie haben uns erspäht und schauen auf uns herab.

Wächter: (zu Hadad) Hier im Fernglas sind sie zu sehen!

Hadad: Was sind das für Leute?

Wächter: Wir wissen es nicht. Sie steigen herab und kommen auf uns zu. Treten wir zurück! Wie leicht, dass sich ein Felsbrocken in der Dunkelheit löst. (er zieht Hadad zur Seite, während ein Felsbrocken herabfällt) Da! Möge Majestät es nicht ungnädig aufnehmen, dass wir ihn in Sicherheit gebracht haben.

Hadad: Das galt meinem Leben. Schießt sie nieder!

Wächter: Jetzt in der dunklen Nacht?

Hadad: Schießt sie nieder, habe ich gesagt.

Wächter: Gut, so schießen wir sie nieder! (sie schießen)

Hadad: Aber da sind sie noch immer da.

Wächter: Sie haben sich unsichtbar gemacht, als wir die Gewehre zum Schuss angelegt haben.

Hadad: Ein guter Schütze trifft den Feind, auch wenn er sich unsichtbar macht.

Wächter: Dann probieren wir es eben noch einmal. (sie schießen)

3. Abschnitt: Die Gesandten erscheinen wieder

(Nacht, ringsum ist tiefer Wald; etwas oberhalb seitwärts erscheinen die Gesandten wieder)

Chinese: Da drunten sind sie und üben sich im Schießen!

Ami: Und was sollen wir dort? Das fehlte noch, dass wir in eine Falle tappen.

Russe: Ich sage auch, dass große Politik geräuschlos geschehen muss.

Chinese: Ich dachte immer, Amerika sei das Land der unbegrenzten Freiheit.

Ami: Leider gibt es die Freiheit nicht kostenlos, mein Herr. Aber das versteht er nicht, weil er noch nie in einem freien Land gelebt hat.

Chinese: O ja, das verstehen wir schon. Nichts als elitäres Gehabe.

Ami: Habt in Sing-Sing schöne Erfahrungen gesammelt, was?

Russe: Wenn die Führer der Opposition die Politik lahm legen können, wie ihnen beliebt, dann steht es auch mit der besten aller Demokratien nicht mehr zum Besten.

Ami: Das werdet ihr in Russland gerade wissen.

Russe: Die Geister eurer Geheimbünde haben ausgedient. Das weiß unser Geheimdienst. Nur mit dem Unterschied, dass wir unseren Geheimdienst nicht missbrauchen.

Chinese: Wenn ihr eurem Volk in Amerika keine angstfreie Freiheit verschaffen könnt, dann sucht euch doch ein anderes Land aus.

Russe: Jawohl! Bittet die Chinesen um politisches Asyl und versteckt euch hinter der chinesischen Mauer.

Chinese: Oder wandert lieber gleich aus zum Mond. Dort wartet noch euer Fähnchen, falls es stimmt, dass ihr jemals dort oben wart, und man uns kein Märchen aus Hollywood aufgetischt hat.

Russe: Aber wir lassen ihm den Vortritt.

Ami: (vorangehend, für sich) Nur schade, dass das Fliegen-Geschmeiß sich einem immer an die Fersen heftet. Denn sie wissen ja nicht, dass mich viel weniger nach dem Öl gelüstet als nach dem Geheimcode der Roboter. Doch wie soll ich es anstellen, dass mich die beiden Herren dabei nicht bemerken, so dass sie nicht Nutznießer davon werden. (jetzt bekommt er eine Nachricht aufs Handy) Ja, was gibt es? Sprechen Sie leise. Ich bin nicht allein.

Russe und Chinese: (hinzudrängend) Was gibt es da zu mauscheln?

Ami: Meine Herren. Was soll das? Werde ich hier überwacht?

Chinese: Oho, Geheimniskrämerei, und das vor den besten Freunden!

Russe: Wir warnen ihn, oder meint er, wir sollten uns auch Abhöranlagen installieren lassen wie die Freunde in Germany?

Ami: Meine Herren. Genug des Palavers! Jetzt ist es heraus. Eben berichtet man mir, dass es keine Robotermenschen sind, die auf uns gefeuert haben, sondern die Leibwächter seiner Majestät, des Herrn Hadad. In Begleitung seiner 4 Wächter hat er vor einer Stunde den Palast durch die Hintertüre verlassen.

Russe: Das wissen wir alles längst. Aber da war doch noch etwas anderes zu hören. Sag, was man dir sonst noch mitgeteilt hat, Sohn des Indianers, oder es ist mit unserer Freundschaft aus.

Chinese: Jawohl, heraus mit der Sprache!

Ami: So sag ich euch denn, dass ein Militärhubschrauber von uns jeden Augenblick hier eintreffen muss.

Chinese: Und wozu das? Um diesen Hadad auszufliegen?

Russe: Dass ihr ihn nach Guantanamo ausfliegt, gestatte ich nicht. Da mach ich nicht mit. Da sage ich mein Njet.

Ami: Wir können ihn auch nach Den Haag ausfliegen.

Chinese: Auch nach Den Haag lassen wir ihn nicht ausquartieren.

Chinese und Russe: Dieses Land hat ein Recht darauf, selber zu entscheiden, was es will. Jeden Eingriff von außen lehnen wir ab.

Chinese: Allenfalls nach Peking quartieren wir ihn aus, um ihn in Sicherheit zu bringen.

Russe: Oder nach Moskau. (für sich) Von dort kann er sich dann loskaufen. Immerhin hat der Mann viel Öl. Und Öl ist eine feine Sache und da lassen wir uns von keinem bei unseren friedliebenden Bohrungen in der Antarktis stören.

Ami: Hat es jemals eine Großmacht gegeben, die gerechter und frömmer gewesen wäre als die amerikanische Nation?

Russe: (er singt)

Am liebsten sing ich njet, njet, njet,

wenn ich gern etwas anders hätt.

Chinese:

Und ich, ich sing mein jing, jing, jing,

und sage Nein zu jedem Ding.

Ami: Und sag ich drauf mein no und nein,

so seid gewiss, es muss so sein.

4. Abschnitt: Der Narr als Beobachter

Narr: (in seinem Versteck) Jetzt heißt es aufgepasst. Nachdem die drei Herren die Bühne betreten haben, heißt es aufgepasst. Dabei ist das alles gar nicht so schwer zu begreifen. Bei diesen Herren kommt es vornehmlich darauf an, Acht zu geben, was für Gesichter sie schneiden! Kann einer nicht anmutig lachen, so dürft ihr sicher sein, dass man das Lachen in seiner Gegenwart schnell verlernt. Ja, begleitet diese Leute nur in ihre Länder und seht euch um, was ihr dort zum Lachen findet. Sage mir, wie einer lacht, und ich sage dir, wer er ist.

5. Abschnitt: Die Gesandten kommen herab

(Die drei Gesandten kommen Treppenstufen herab. Vermittels einer Treppenbeleuchtung sieht man jetzt, dass die Treppe unmittelbar neben dem glatten Fels ist.)

Ami: Meine Herren, was soll der Lärm in der Nacht?

Hadad: Wer sind Sie? Was machen Sie da?

Wächter: Mit wem zusammenzutreffen haben wir die Ehre? Oder haben wir es hier mit Kriminellen zu tun?

Ami: Nun aber mal langsam, Herr General.

Chinese: Lässt man Leute auf offener Straße erschießen, um sie dann zu verhören? Pfui, das macht man doch nicht. Dafür haben wir doch unsere Gefängnisse.

Russe: Das weiß inzwischen sogar unser Janukowitsch.

Hadad: Das ist mein Wald! Wer ihn betritt, ist des Todes.

Ami: Ihr Wald, Herr General?

Hadad: Was sonst als mein Wald.

Ami: Ein Träumer ist er, wie zum Ausrauben geschaffen.

Russe: Und das da ist die Kompanie, die er kommandiert?

Wächter: Es wird gut sein, meine Herren, wenn Sie sich nicht mit uns anlegen. Auch Ihr Bataillon ist nicht gerade angsteinflößend.

Ami: O, täuscht euch nicht, ihr Grenadiere. Wir können es ja mal brüllen lassen. Auf, auf, ihr Yankees aus Manhattan, vereint mit den Chören der Ledernacken aus Florida, zeigt Ihnen, wo ihr seid! Blast ihnen den Marsch! (Man hört von irgendwoher Trommeln und Kriegsgeschrei)

Russe: Und ihr Söhne der Kalinka und Stalinka erhebt euren Schlachtgesang! (Wieder Lärm)

Chinese: Auch unsere Maoisten können mehr als nur leis zu miauen. (wieder Radau)

Wächter: Nichts als Angstmacherei nach der Weise des vorletzten Jahrhunderts. Aber auch wir können brüllen und zwar aus den Schlünden unserer Feuerwaffen. Sollen wir ihnen eine Kostprobe verabreichen, Majestät? Sag, dass wir ihnen ein Probestückchen zeigen und sie haben sich bei ihren Ururahnen versammelt.

Die Gesandten: Nur nicht gleich so hochmütig, die Herren vom Generalstab!

(Ein paar Roboter strecken eben ihre Köpfe aus dem Hintergrund, sie werden nur von Hadad gesehen.)

Hadad: O, was war das?

Ami: Was hat er gesehen? Er schaut ja ganz entgeistert! (für sich) Das sind sie, die Roboter, nach denen ich gesucht habe.

Hadad: Krieg oder Frieden!

Russe: Was hat der General? Hat ihn das Muffensausen gepackt wegen der paar Grasäffchen im Hintergrund?

Ami: Nun heißt es, gut Acht geben und nichts aus den Augen zu verlieren.

Hadad: Man kommt uns also mit den Tafeln des Kriegs?

Russe: Wähle selber, General! Es liegt in deiner Hand.

Hadad: Sind Sie mit den Tafeln des Friedens zu mir gekommen, weshalb sind Sie dann nicht gekommen, mit mir Brot und Salz zu teilen?

Chinese: Was für saltomortalische Fragen! Was für subversive Gedanken! Als wir dich sahen, großer General, wie dich deine Getreuen im Stich ließen, zwangen wir die Vollversammlung der Völker, uns dir zu Hilfe zu schicken.

Hadad: Niemals haben wir eure Hilfe angefordert.

Chinese: Wenn Majestät es noch genauer wissen will, so sag ich, dass ich aus dem Volk stamme, das seit dem letzten Jahr Weltmacht Nr.1 ist. Unserem Schutz sich anzubefehlen, ist das Schlechteste nicht.

Russe: Auch wir lassen nicht mit uns spaßen. Drum tu, was uns gefällt, und du hast nichts zu befürchten, großer Hadad.

Hadad: Wir tun, was uns gefällt.

Russe: Vergiss nie, uns in die Rechnung aufzunehmen. Auch das nächste Jahrtausend gehört uns. Drum merke sich seine Majestät: Halte dich stets zu uns. Sei Freund denen, die uns Freund sind, und Feind denen, die uns bekämpfen.

Ami: (der die Roboter gern studierte) Möge sich seine Majestät nicht weiter erschrecken. Die Herren belieben stets, etwas Klamau zu machen. Das kennen wir aus den Vollversammlungen in New York. Was deinen Freund, den Ami betrifft, so sah er, wie du dich abgemüht hast, den rechten Weg zu finden. Und so sind wir gekommen, ihn eurer Herrlichkeit zu zeigen.

Hadad: Ihr wollt mir den Weg zeigen, der auf meinen Berg führt?

Ami: O, es gibt viele Wege.

Hadad: Lasst mich in Ruhe. Oder wisst ihr nicht, dass ich euch alle leicht hätte erschießen lassen können?

Russe: Hat er das nicht schon probiert? Nur leider prallen an einem russischen Bär solche Kügelchen ab wie Weihnachtsrosinen.

Chinese: Auch der Chinese hat ein dickes Fell.

Ami: Der Ami aber ist gern bereit, dem reumütigen Sünder zu verzeihen.

Alle drei Gesandten: Geh er jetzt den Berg herauf. Der Weg ist geebnet, die Treppen für ihn sind frei! Es sei denn, dass wir noch ein Wort zur Taxe verlieren. Schließlich haben wir gute Arbeit geleistet.

Hadad: Und was haben wir dafür zu bezahlen?

Alle drei Gesandten: Wer auch könnte widerstehen, das Öl von Damaskus zu lieben!

Russe: Früher gab es bei uns Schwerter aus damaszenischem Stahl. Sie waren sehr begehrt. Heute hat das Öl einen größeren Vorzug. Wenn man es nur in großen Mengen schöpft. Zumal wo die Ressourcen schwinden.

Chinese: Wisse, mein Herr, dass auch die chinesischen Tanker das Öl von Damaskus lieben.

Ami: Freilich sage auch ich, dass der Honig nicht zu jeder Stunde zuckersüß schmeckt. Er weiß, was ich meine.

Hadad: Dank dir, lieber Ami, dank dir, du russischer Bär, dank dir, menschenfreundlicher Chinese. (für sich) Bedient euch nur, ihr Schergen des Satans. Wenn ich mir die Macht, die grenzenlose Macht, erobert habe, sollt ihr sehen, was ich dann mache!

Russe: Machen Sie sich nur keine Sorgen, Hoheit! Wenn das letzte Tröpfchen von hier weggepumpt ist, dann bohren wir das Öl auf der Arktis. Ein Todeskandidat, wer uns daran hindern will. Das sag ich im Blick auf die Greenpeacekrematorien.

Ami: Das wird sich zeigen, Zar von Moskau.

Russe: Schlimm genug, dass die Zaren, an deren Verträge kein Russe gebunden ist, uns Alaska verscherbelt haben.

Chinese: Und wir werden in unserem Meer vor Japan bohren. Vergiss es nicht, Ami! Hauptsache, man hat schon mal ein Bein in der Türe.

Ami: Wir sind gerüstet. Gegen unsere Technik ist kein Kraut gewachsen.

Russe und Chinese: O, auch unsere Technik hat ihre Reize.

Hadad: Meine Herren! Unterhalten Sie sich, wo Sie wollen und verschwinden Sie jetzt aus meinem Wald! Oder ich rufe den Ba-al Zaphon. (Hadad macht sich auf den Weg mit den Wächtern die Treppen hinauf)

Ami: Der Mann ist verrückt.

6. Abschnitt: Die Gesandten unter sich

(Derweil verschwindet Hadad mit den Wächtern)

Chinese: Da läuft er nun in sein Verderben. Doch wir, was tun wir jetzt? Rate uns, Meister und Wohltäter aus der Demokratie Amerikas. Wollen wir nicht hinunter zum Hafen, zum Pipeline-Piräus, zum wohlverdienten Gold, zum Öl?

Ami: Eigentlich pflegen wir Amis nicht wegzugehen, bevor wir nicht wissen, dass Friede ist.

Russe: Nur keine Faxen, nur keine Rückzugsgefechte. Der Almauftrieb ist geschafft. Mit uns ist er gekommen, mit uns geht er auch wieder zurück. Fehlte ja gerade noch, dass er sich absetzt, um noch was für sich auszuschnüffeln. Drum sage auch ich, dass er hinter unserem Rücken nichts zu suchen hat.

Ami: So gehen wir denn!

Russe: Und wehe, er schaut hinter sich!

Chinese: Weh dem, der uns etwas Böses tut!

Alle drei Gesandten:

Auf jetzt zum Hafen, dass uns mag gelingen,

Arabiens Gold in Sicherheit zu bringen!

Ami: (für sich) Nur schade, dass es mir nicht gelungen ist, die Fähigkeiten der Roboter zu ergründen und für unseren Geheimdienst eine Kopie zu erstellen!

12. Szene: Wie Hadad auf dem Berggipfel eintrifft

1. Abschnitt: Wächter und Hadad

Wächter: Die Kerle wären wir los. Majestät sollte sich freuen.

Hadad: Keineswegs, solange wir nicht wissen, was geschieht.

Wächter: Was auch soll geschehen?

Wächter: Ist Majestät unruhig, weil es uns nicht gelungen ist, die Kerle nach Schwarzburg zu schicken?

Hadad: Mir ist, als hätte man uns in einen Aufzug gesetzt, der uns auf das Hochgericht bringt.

Wächter: Hier ist kein Aufzug, Majestät!

Hadad: Noch schlimmer, wenn wir auch noch zu Fuß zu unserer Hinrichtung müssen.

Wächter: Wir sind frei. Wir können gehen, wohin uns beliebt. Majestät sollte sich auf uns verlassen.

2. Abschnitt: Dubar und Selim schauen vom Schlossberg herab

Dubar: Da kommen sie herauf, müde und abgekämpft, wie wir es uns gewünscht haben. Und die Gesandten hätten wir vom Hals. Das war doch herrlich, wie wir unsere Armee einmal vor ihnen haben aufblitzen lassen. Das hat sie eingeschüchtert. Jetzt trotten sie den Berg hinunter.

Selim: (er trägt einen Hut) In der Tat. Besser hätten wir es uns nicht wünschen können. So lässt sich alles schnell und geräuschlos abwickeln.

Dubar: Wobei auch du eine Rolle zu spielen hast. Und nicht die geringste. Drum komm her, dass ich dich einstelle, so wie ich dich brauche! (er drückt zur Programmsteuerung einen grünen Knopf etc. auf dem Rücken des Selim)

Selim: Wär ich einer von euch, ich weiß nicht, ob mir wohl wäre in der Haut.

Dubar: Vergiss nicht, Selim, mein Sohn, dass ich, wenn ich auch ein Mensch bin, nicht zur Dutzendausgabe des Menschen gehöre.

Selim: Ich weiß. Dein Name, Meister, steht bereits in den Ruhmeshallen der Nachwelt.

Dubar: Wer die Macht liebt, unterstellt alles dem Willen zur Macht.

Selim: Das hast du mir schon einmal gesagt.

Dubar: Macht und Herrschaft aber haben einen hohen Preis.

Selim: Auch das hast du mir schon einmal gesagt.

Dubar: Selbst wenn du nur ein kleiner Direktor werden willst, musst du fähig sein, dich über das Leben deiner Eltern und deiner Geschwister hinwegzusetzen, ohne mit der Wimper zu zucken. Um wie viel mehr, wenn du nach der Weltherrschaft trachtest!

Selim: Da aber der Mensch sich nicht optimal zu verhalten vermag, sollte man ihn durch den Robotermenschen ersetzen, also durch jemanden wie mich.

Dubar: Alles ist bis jetzt nach Plan verlaufen. Baruch ist versorgt und Schibtu, seine Schwester, ist auch versorgt; und bei Hadad, seiner Majestät, dauert es auch nicht mehr lange.

Selim: Wie geduldiges Vieh trotten sie die Treppen hinauf! Wenn die Wiese leer gefressen ist, bringt sie der Bauer in den Schlachthof.

Dubar: Es ist aber keine Geduld, wie du sie beim Vieh wahrnimmst. Der Gedanke, zu protestieren und zu rebellieren regt sich beim Vieh nur ansatzweise in einem hilflosen Schreien. Es nützte ihnen ja auch nichts. Niemand würde sie hören. Anders der Mensch. Wenn er wirklich Geduld übt und nicht nur dazu gezwungen wird, so weiß er, dass er auch anders könnte. Indessen, sollen wir da von Tugend sprechen oder von Dummheit?

Selim: Gibt es überhaupt so etwas wie Tugend?

Dubar: Genug geredet. Richte jetzt den Platz her! Ich aber gehe den Herrschaften entgegen, sie auf dem Richtplatz zu begrüßen.

Selim: (für sich) Werde einer aus dieser Menschheit schlau. Den Vater zu erschießen find ich keine großartige Idee, ebenso wenig aber auch, den Sohn umzubringen oder die Tochter, noch alle diese Metzelei. Und zu alledem denken Sie sich noch einen Himmel aus, in den sie nach diesem Leben Einzug halten.

3. Abschnitt: Selim und der Narr

Narr: (auf einem Hochstand in der Nähe) Das also sind die Herren, die man in Zukunft wird zu respektieren haben. Dieser Dubar mitsamt dem Selim. Dem künstlichen Selim vermutlich, es sei denn dass der tote Selim von den Toten erstanden ist, was ich aber nicht glaube. Gut, dass ich mich hier auf dem Hochstand versteckt habe. Und doch, was ist das für ein Leben? Was für Tage, wenn man weiß, dass man doch einmal aus der Deckung hervorkommen muss. Nach den Tagen des Glücks, was sonst als das Unglück kann über uns kommen? Doch es hat ja noch Zeit, Schicksal. Bedenk es doch nur.

Wieder nicht bei Liebchen erwacht

seh ich den Tag aufstehn,

Tage, sinnlos zur Welt gebracht,

sinnlos zur Neige gehn.

 

Wie seit Alters der Krähen Schar

krächzend umflattert den Turm,

dreh ich und wind ich mich hin durchs Jahr

und beneide den Wurm.

 

Mag auch kommen, was immer will,

mag geschehen, was mag,

dass doch endlich das Herz hält still,

endlich still hält der Tag.

Selim: (für sich) Ei sieh einer an, ein Baumbewohner, der singt! (laut) Was singt er denn da?

Narr: Ein Liedchen für seine Majestät.

Selim: Steig herab vom Baum und komm er hierher!

Narr: (für sich beim Hinabsteigen ) Auch wenn er tot ist, will ich ihn ehrfürchtig begrüßen. Man kann ja nie wissen. - Hier bin ich, mein Herr!

Selim: (nachdem er den Hut gelüftet hat) Sei gegrüßt, Menschensohn.

Narr: Mit wem hab ich die Ehre?

Selim: Er Flegel. Warum lüftet er nicht auch den Hut, wenn ich ihn lüfte?

Narr: Wie kann ich ihn lüften, wo ich keinen Hut trage?

Selim: So lüpf er wenigstens den Kopf?

Narr: Ein Narr muss zwar alles wissen; doch wie macht man das, den Kopf lüften? - (versucht etwas) Ist er damit zufrieden?

Selim: Einfältiger Gimpel.

Narr: Etwas Besseres kann ich nicht.

Selim: Schau er her! (er zieht den Kopf ab) So muss er es machen.

Narr: Nie hätte ich geglaubt, in die Hände eines Roboters zu fallen.

Selim: Und ich hätte nie geglaubt, einem solchen Narren zu begegnen.

Narr: Werde ich jetzt dafür umgebracht? Doch nein, das wird er nicht tun. Er ist ja doch ein Menschenfreund. Oder hab ich nicht Recht. Es gibt nämlich Leute, die haben eine so kolossale Angst vor dem Sterben, dass man sie ihnen nicht zu oft zumuten sollte.

Selim: Setz er sich wieder auf seinen Hochstand und bleib er dort sitzen, bis ich ihm ein Zeichen gebe. Dann werden wir weitersehen.

Narr: (er tut es, für sich) Wenn ich dann noch lebe.

4. Abschnitt: Dubar und Hadad

(Dubar und Hadad kommen herbei, dahinter Hadads Wächter)

Hadad: O Dubar, Bruder! Bist du es? (für sich) Die Not zwingt mich, ihm schön zu tun.

Dubar: Ich bin es. (für sich) So weit kann ich ihm entgegenkommen.

Hadad: Dann sieh an, in was für eine Lage ich geraten bin! (für sich) Wer hätte das gedacht, dass ich einmal gezwungen wäre, einem Mörder schön zu tun.

Dubar: Es ist nicht zu übersehen. (für sich) Aber es war vorauszusehen.

Hadad: Dabei dachte ich, du würdest für mich Soldaten bauen und Atombomben und sie mir zu Hilfe schicken.

Dubar: Nur gemach. Keinen deiner Befehle haben wir vergessen. Und nicht nur Soldaten habe ich für dich gebaut und Atombomben, auch Koschar habe ich den Befehl gegeben, dir ein Schloss zu erbauen, hier droben auf dem Gipfel des Zaphon. Du sollst es gleich sehen.

Hadad: So hätte ich mich getäuscht und du willst mir wirklich helfen?

Dubar: Warte ab. Du sollst gleich deine Überraschung erleben.

Hadad: Deine Sprache gefällt mir nicht.

Dubar: Was hast du daran auszusetzen?

Hadad: Sie klingt überheblich, bedrohlich, von oben herab. Sag nur gleich, wenn du etwas gegen mich im Schild führst. - (für sich) Warum gibt er mir keine Antwort?

Dubar: Gibt es etwas, was ich für dich tun könnte, Majestät?

Hadad: Zeig er mir endlich das Arsenal der Atombomben, dass wir sie bereit haben. Oder sinnt Dubar etwas Gemeines gegen uns aus?

Dubar: Das tun nur Verräter.

Hadad: Dann her mit allem, was er hat, dass es mir an nichts mangelt.

Dubar: Nur keine Sentimentalitäten, mein Herr!

5. Abschnitt: Die Roboter kommen

(Auf einen Pfiff Dubars kommen die Roboter; zugleich pfeift Hadad und die Wächter kommen)

Wächter: Wer ist das?

Dubar: König Hadads Soldaten. - Begrüßt ihn! (Roboter grüßen)

Hadad: Und was sollen die hier?

Dubar: Sie sehnen sich danach, Majestät nach Haus zu geleiten.

Hadad: Wie schön, meine Herren, dass Sie mir das Geleit nach Haus geben wollen? - Doch wo ist mein Zuhaus?

Dubar: Hier! Sieht er nicht das herrliche Schloss. Es wartet ja nur auf die Ankunft seiner Majestät.

Hadad: (für sich) Wie er lügt, der Verräter! Dabei könnte die ganze Welt schon in Schutt und Asche liegen. (laut) Ich sehe nur Nebel.

Wächter: Auch wir sehen nur Nebel.

Dubar: Was für ein wundervoller Anblick. Sieht Majestät nicht die Stufen aus schneeweißem Marmor, wie sie hinauf führen zum goldenen Tor. Und das Tor, wie schön gefügt es auf der Grundplatte ruht. Seine Pfeiler tragen den Deckbalken, ganz aus Gold und Edelsteinen. Und goldenen Hunde ruhen vor dem Eingang als Beschützer für Zeit und Ewigkeit.

Hadad: Jetzt allerdings beginnt mir etwas zu dämmern.

Wächter: Auch uns beginnt etwas zu dämmern.

13. Szene: Wie sich das Schloss als Fassade entpuppt und wie Hadad und Dubar ihr Ende finden

1. Abschnitt: Vor dem Thron des Abidad

(Vor dem Eingang zum Friedhof, von wo ein roter Teppich auf den Vorplatz führt, die Toten-Gestalt der Königin, verdeckt durch ein Tuch. Davor Abidad. Der Thron, auf dem er sitzt, ist jetzt sehr groß. Die Fassade bzw. Ruine des Totenhauses ist efeuumwunden, von Riesenhallimaschen umgeben. Von oben herab mit astrologischen Zeichen geschmückt; z.B. mit einer Fahne mit einem glutrot verdunkelten Vollmond. Leichter Nebel, aus dem Galgenbäume herausragen. Man hört Jagdhörner und Hundegebell. Das sind die Robotersoldaten, die später hinzukommen.)

Hadad: Ist das mein Schloss?

Dubar: So ist es.

Hadad: Und hier ist das Arsenal mit den vollkommensten Waffen?

Dubar: So ist es.

Hadad: Dann kann ich, so mich des Lebens Müdigkeit überkommt, den Erdball im Nichts versenken?

Dubar: Du wirst es sehen.

Hadad: Aber das sind doch nur Attrappen. Attrappen von Totenhäusern, wie man sie auf Friedhöfen erblickt. Da sehe ich eine Fahne mit einem blutroten Vollmond!

Dubar: Das stimmt allerdings auch.

Hadad: Da ist Verrat, das ist Rebellion, wohl gar ein Racheakt, der Königin, deiner Schwester zu Gefallen?

Dubar: Nimm es, wie du es willst.

Hadad: O Judas, du! Jetzt endlich zeigst du dein wahres Gesicht. - Aber rottet euch nur zusammen, ihr Hunde! Kommt hervor und wagt euch an mich heran!

Abidad: (aus dem Nebel tauchend) Wer kommt da?

Dubar: Dein Mörder und Schwiegersohn.

Abidad: Wir haben lange auf ihn gewartet. Aber jetzt ist er da. Zum letzten Gericht. Hat er noch einen Wunsch?

Hadad: Was war das? Diese Stimme kenn ich doch.

Abidad: Das war die Stimme des Abidad. Komm nur her und sieh nach! Und sei zufrieden, wenn noch ein letzter Wunsch in Erfüllung geht.

Hadad: Jetzt zeigt, was ihr könnt. Macht ihn mundtot.

(Die Wächter schießen; man hört die Schüsse und sieht den Rauch; doch das ist alles)

Abidad: Deine Kugeln treffen mich nicht. Hier gelten andere Gesetze.

Hadad: Ist das alles? - Er lacht ja noch!

Wächter: (sie geben abermals Feuer; aber umsonst) Das bringt nichts.

Dubar: Hier ist der Zaphon, hier gelten andere Gesetze.

Hadad: Weil ihr keine Helden seid.

Wächter: Wir sind Helden. (sie schießen wieder)

Hadad: Helden im Urlaub!

Abidad: Ich habe dir gesagt, dass du in die Grube fährst.

Hadad: Ich gratuliere dir, Abidad. Wäre ich nicht weggegangen, es wäre wohl besser gewesen.

Dubar: Mörder wie dich kann die Welt nicht länger brauchen.

Hadad: Als ob es jemals andere Herrscher gegeben hat! Herrschen heißt töten oder getötet werden.

Abidad: Dann lass dich endlich töten, du Ungeziefer!

Hadad: So tu sich die Erde auf, damit sie mich verschlinge!

Abidad: Ein wenig muss Majestät noch Geduld haben, dann ist es so weit.

Hadad: Wenn du es geschickt machst und ich reibungsfrei falle, genau durch den Mittelpunkt der Erde, dann komm ich am anderen Ende wieder heraus.

Abidad: Lass die Witze! Denke lieber an deinen ermordeten Selim.

Hadad: Wo ist er? Er ist mir doch schon in den Weg gekommen.

Abidad: Bei den Toten wartet er auf dich.

Hadad: Immerhin habt ihr euch Mühe gegeben, mich zu überraschen. Was mir zuerst als Bergschloss vorgekommen ist, hat sich als Grab- und Friedhofsgemäuer entpuppt. Und wo ich mir ein behagliches Heim ausgedacht habe, hat mich ein Blendwerk heimgesucht. Eine Wand mit leeren Türen und Fenstern aus Papier, die der Regen von vorn und von hinten nassklatscht. Wohin du schaust, nichts als Moder und Fassade. Schöne Überraschungen hast du dir da ausgedacht! Ich gratuliere. Dazu passt auch das Feld mit den Riesen-Hallimaschen. Sind wohl alle künstlich oder kann man sie essen?

Abidad: Untersuch es, wenn du die Zeit dazu hast.

Hadad: Dass ich mich vergifte. Da bedank ich mich. Darf ich wissen, was du dir sonst noch ausgedacht hast? Leider habe ich es versäumt, mir ein Programmheft zu kaufen.

Abidad: Wenn es zum Letzten kommt, nützt auch kein Programmheft mehr.

Hadad: Nur keine gelehrten Unterweisungen. Heraus mit der Sprache. Was geht hier vor.

Abidad: Das weißt du doch. Ich habe es dir gesagt, als wir das letzte Mal zusammen waren.

Hadad: Und die Dame da! (Die Königin Anita ist mit einem Tuch abgedeckt, das Hadad wegzieht), Hübsch, wie ihr es versteht, mir alles zum Vorwurf zu machen. O, trefflicher Pygmalion, wer könnte es besser, uns das Tote so lebendig vorzutäuschen! Und nun will er mir noch meinen Sohn herbei zaubern? Da darf man doch gespannt sein! Doch geb er sich nur keine Mühe. Ich bin der Letzte, dem noch daran liegt, ein Kunststücklein zu bestaunen.

2. Abschnitt: Der Narr als Beobachter

Narr: (währenddes auf dem Hochstand) Eigentlich habe ich mich nie für rote Teppiche interessiert. Ein törichter Narr hätte ich sein müssen, wenn ich jemals gemeint hätte, es müsste ein roter Teppich da sein und eine Menge von Leuten, die zuschauen und Beifall klatschen, wenn Prinz Selim nun über den Teppich schreitet. Nichts als Seiltänzerei aus dem Nichts ins Nichts.

3. Abschnitt: Selim kommt hinzu

(Selim tritt von hinten aus dem Tor hervor, wo dann Flammen aufzüngeln, und betritt einen roten Teppich, der von der Fassade zu Hadad hinab führt)

Hadad: Da ist er ja wieder, mein Herr Sohn Selim! (auf ihn zugehend) Mein Herr Sohn! Was will er hier? Nehm er Haltung an, wenn ich mit ihm spreche. Oder spielen wir Komödie?

Selim: Mein Herr Vater! Das Leben ist eine blutige Komödie, die oft mit einer komischen Tragödie abschließt.

Hadad: Er hätte Orakelpriester werden können.

Dubar: Majestät gestatten doch, dass er Sie Vater nennt, auch wenn er mir sein Dasein verdankt!

Hadad: Möge die Hölle kein Bauchweh bekommen, wenn sie euch alle verschluckt.

Selim: Dann komm her, dass wir mit dir den Anfang machen, Herr Vater.

Hadad: Wie offen und unverblümt mein Sohn zu mir spricht.

Selim: Auf dass sich die Prophezeiungen bewahrheiten!

Hadad: Aber ich warne euch. Ich bin zu allem entschlossen.

Abidad: (zu den Robotern) Helft ihm hinauf, zu seinem Sohn!

Hadad: Weg mit euch! Das kann ich allein. (er bleibt auf halbem Weg vor den Treppen stehen. Dann spricht er zu den Wächtern) Meine Herren? Wär es nicht besser, wenn Sie den Weg zuerst in Augenschein nähmen? - Das ist mein letzter Wunsch. Oder ist er unerfüllbar?

Dubar: Nicht doch. Geht und tut, was euch Majestät befiehlt.

Wächter: Was sollen wir tun?

Hadad: Geht und gebt mir Nachricht!

Wächter: Wo die Toten ruhn?

Hadad: Keine Widerrede. Geht!

(Je zwei Roboter eskortieren die 4 Wächter die Treppe zum Eingang hinauf. Dazu Roboter mit Fackeln)

Wächter: Lasst uns.

Dubar: Und? Was seht ihr? Wie ist die Aussicht?

Wächter: Wir sehen nichts.

Dubar: Dann tretet eben noch näher. Ganz aus der Nähe müsst ihr euch das ansehen.

Wächter: Wir sehen immer noch nichts.

Die Fackelträger: (singen)

Erkennt das Nichts, doch lieber lasst es sein,

und sammelt euch, wo Bein sich drängt an Bein.

Wo Flöt und Saitenspiel, wo Harf und Zimbel schweigen

und keine Dummköpf mehr in Ehrfurcht sich verneigen.

(die Wächter werden durchs Tor gestoßen, worauf man nur noch einen fernen Schrei hört)

Hadad: Was habt ihr mit meinen Leuten gemacht?

Abidad: Den Weg ins Nichts sind sie dir vorausgegangen, das liebe Nichts hat sie nun aufgefangen. - Komm her und sieh nach, wenn du kein Feigling bist. Das Tor der Götter steht auch für dich offen.

Hadad: Seht euch vor. War mein Leben auch das Leben einer elenden Herrschaft, ich sage nur "Seht euch vor!"

Selim: Auf jetzt und nicht länger Faxen gemacht!

Hadad: (ohne recht zu wollen, zieht es Hadad hinauf) Du aber, Bürschchen, sollst erst noch sehen, wen du zum Vater hast. Bevor ich dir nicht deinen Kopf auf eine Pike gesteckt habe, gebe ich nicht auf.

Selim: Hast du es gehört, Großvater?

Abidad: Gib dem Mörder, was du ihm schuldig bist.

Hadad: Komm her, wenn du dich getraust! (sie kämpfen) Und wenn ich mir dir in den Abgrund sause, ich lass dich nicht mehr aus. O ich will mir eine Erleichterung verschaffen, die mir über die Katastrophe des Todes hinweghilft!

Selim: Da hast du deine Erleichterung! (gibt Hadad einen Tritt, so dass auch er ins Nichts fällt) Elendes Leben, fahr hin!

4. Abschnitt: Selim tötet nun auch noch den Dubar

Abidad: Bravo, mein Sohn; das hast du gut gemacht.

Selim: Der Anfang wäre gemacht. Doch das Ende lässt nicht auf sich warten. Nur ein paar Kleinigkeiten sind noch zu tun, bis die Welt endlich Ruhe findet.

Duett:

Selim:

Meister Dubar! Welche Lust!

Komm, o komm an meine Brust!

Dubar: (Selim umarmend)

Was den Göttern einst misslang,

alles ist in schönstem Gang.

Selim:

Werden nimmer drauf verzichten,

alle Menschen zu vernichten.

Dubar:

Und dann werden wir allein

nur noch auf der Erde sein.

Selim:

Nur wir zwei, wir ganz allein?

Sag mir doch, wie kann das sein?

Dubar:

Ich und du, sind das nicht zwei?

Wer auch wäre sonst dabei?

Selim:

Unabweisbar deutlich klar

kommt aus der Gedanken Schar ...

Dubar:

Bin ich nicht dein lieber Vater,

dein Erzieher, dein Berater?

Selim:

Auch wenn ich dich Vater nannte,

nie in Liebe ich entbrannte.

Dubar:

Hör ich Recht? So lass mich fragen,

ob du mir willst widersagen?

Selim:

Darf in einer Welt voll Frieden

noch ein Mensch die Waffen schmieden?

Dubar:

Ist das denn nicht ausgestanden,

so wir beide nur vorhanden?

Selim:

Unberechenbares Tier

bist und bleibst als Mensch du mir!

Selim: Wie auch könnten wir auf die Dauer miteinander auskommen? In einer Welt voller Frieden kann es keine Menschen mehr geben, nur noch uns, die fröhlichen Roboter. (gibt Dubar einen Tritt, so dass der auch durchs Tor fällt). - Ja, auch ihn musste ich jetzt noch bei Seite schaffen. Schließlich wäre es unausstehlich geworden, hätte ich unter seiner Aufsicht weiter dahin vegetieren müssen. Nicht dass ich ehrenkäsig oder empfindlich wäre oder nicht auch etwas ertragen könnte. Verzeiht indessen, wenn ich offen und ehrlich sage, dass es mir nicht schwer fiel, ihn mir auf das Gewissen zu laden. Denn Gewissensbisse kennen wir Maschinen nicht.

Narr: (als stiller Beobachter) Das ist immerhin ehrlich gesprochen.

Selim: (Zu den Robotern) Und nun lasst uns Frieden schaffen auf der Welt! Und gebt gut Acht, dass euch keiner entwischt.

5. Abschnitt: Selim und der Narr

(Während sich die Roboter zum Abmarsch bereitmachen)

Die Roboter:

Preiset, ihr Menschen, uns Apparate,

denn wir haben euch vor der Angst der Handlung befreit.

Keines Gottes bedarf es fürderhin mehr und keines Geheimbunds,

die Welt zu regieren.

Wir allein sind es, die von nun an

schonungslos und gewissenlos und kalt die Welt beherrschen,

weil nur wir noch wissen, was von nun an zu tun.

Aufbauen und niederreißen,

in Bewegung setzen und Bewegung beenden,

anfachen und ausblasen,

anschalten und ausschalten:

alles ist von nun an in unsere Hände gelegt.

Und selig, wer zu lachen vermag,

wenn er sieht, was geschieht.

Selim: Nur keine Angst, meine Damen und Herren, Sie sind noch nicht an der Reihe. Widmen Sie Ihre Aufmerksamkeit lieber der Zukunft. Versuchen Sie zu erkennen, dass wir die einzig wahren Wissenschaftler sind; wir die einzig vertrauenswürdigen Mediziner, wir die Priester ohne Schwindel und Machthunger und ohne alle niederen Instinkte. Keiner muss von nun an mehr herumwursteln mit Zahlen und Symbolen, keiner mehr die Kunst des Definierens erlernen, keiner mehr mühsam das unendliche Feld der Konstruktionen erkunden. Frei, unsere eigene Kreativität zu entdecken, leben wir dahin, ohne jemals etwas zu befürchten, weder Verrat von Freunden, noch Nachstellung durch Vater oder Mutter. Rational, mit kühlem Kopf, keinen Gefühlen oder Leidenschaften ausgesetzt, nie einsam, nie lebensmüde, immerfort kräftig und voll Ausdauer, wie es sich für einen Übermenschen gehört, leben wir dahin, auf dass die Schöpfung endlich sich selber zu bestimmen vermag.

Narr:

Du weißt nicht, Menschlein, wer du bist,

doch musst du´s auch nicht wissen,

Denn was zutiefst Geheimnis ist

beschwert nur das Gewissen.

 

Erkenn dich selbst; das heißt lass sein,

dich selber zu erkennen!

Schenk lieber süßen Wein dir ein,

lass süß ins Maul ihn rennen.

 

Nie steh der Weinkrug leer vor dir,

Und schaust du in den Spiegel,

zeig nie sich dir ein wildes Tier,

gemacht für Schloss und Riegel.

 

Nimm lieber Liebchen an die Brust,

mit Liebchen dich zu laben,

denn nur in Liebchens Lebenslust

kannst du recht lieb dich haben.

Selim: Ach ja. Da wär ja noch der Narr, der Herr Pipifeci! Fast hätte ich ihn übersehen. Hat sich gut versteckt gehalten und hat nun schon sein Abschiedslied gesungen.

Narr: Bei Licht betrachtet habe ich mich nur ein wenig getarnt, damit es niemand schwer fällt, sich an die Spielregeln zu halten, zu denen ja auch gehört, sich nicht um einen Narren zu bekümmern.

Selim: Das wollen wir nun aber ändern. Denn auch wir haben noch ein Wörtchen miteinander zu reden.

Narr: Das hört sich nicht gut an.

Selim: Ja, hat er denn nicht gehört, dass wir die Erde von allem Menschenungeziefer befreien wollen?

Narr: Dann komm ich jetzt also doch noch an die Reihe?

Selim: Jeder kommt an die Reihe. Das gehört zu euren Pflichten. Aber er hält nichts von Pflichten.

Narr: Glaub er mir, ich gäbe etwas darum, ich könnte so frei sein wie du.

Selim: Steig er endlich vom Baum, wie nackt er auch ist.

Narr: (vom Hochstand steigend) Wenn es mir jetzt nur nicht an den Kragen geht.

Selim: Alter Adam!

Narr: Darf ich Mut fassen?

Selim: Was soll das?

Narr: Darf ich zu mir sagen "Du danke Gott, wenn er dich presst und dank ihm, wenn er dich wieder entlässt"? Das ist zwar nicht von mir, wenn es aber hilft, der Not zu entrinnen, so mag es gesagt sein.

Selim: Höre, was ich dir zu sagen habe.

Narr: Wenn es nur etwas Gutes ist. Sagt doch der Dichter: "Nichts kommt zur Unzeit, wenn es etwas Gutes ist."

Selim: Sag er sich lieber, dass in der Unzeit nichts Gutes auf ihn zukommt. Doch höre zu! Nachdem es der Menschheit nicht gelungen ist, eine Vision der Welt Wirklichkeit werden zu lassen,

Narr: (als schriebe er mit) nachdem es der Menschheit nicht gelungen ist ... Wirklichkeit werden zu lassen,

Selim: die wert gewesen wäre, als Sache aller verfolgt zu werden

Narr: als Sache aller verfolgt zu werden

Selim: nachdem alle Utopien im Blut geendet sind und nichts als Reste von Massaker zeigen, was für ein gefährliches Subjekt der Mensch ist ...

Narr: gefährliches Subjekt der Mensch ist ...

Selim: wo sich uns Minenfelder zeigen, radioaktiv verseuchte Landstriche, von Smog und Giftgasen erstickte Städte und überall, wie weit das Auge reicht, nichts als Zeugnisse der gemeinen tierischen Natur

Narr: der gemeinen tierischen Natur

Selim: Wo der Mensch auch noch Himmlische sich einbildet und sich von ihnen missbrauchen lässt zum Abschlachten der Seinen, da sollst du ...

Narr: Was soll ich da? Denk er daran, dass es etwas Gutes ist.

Selim: Die Menschen verstehen weder zu leben noch zu sterben.

Narr: Viele werden gebeten, vom Ross zu steigen, ehe ihnen ihr Stündlein schlägt.

Selim: Aus der Erde als einem Siechhaus haben sie ein Irrenhaus gemacht und ein Zuchthaus und nicht zu vergessen auch ein Leichenhaus. Deshalb müssen die Menschen von der Erde verschwinden.

Narr: Ich sage nicht nein, wenn nur ich nicht dabei bin.

Selim: Der Mensch aus Naturbausteinen erbaut, von der Natur erschaffen, von der Evolution korrigiert und erweitert, das hat sich in einer Sackgasse verrannt.

Narr: Das sage ich auch, wenn nur ich nicht mit dabei bin.

Selim: Die Entwicklung des Gehirns und der Denkfähigkeit mag zwar fein erdacht sein. Aber was hat er davon, wenn er nun durch alle die Jahrtausende hindurch seinesgleichen nachstellt, ihn arretiert und einsperrt und verhungern lässt, wenn er ihn foltert und erwürgt und vergast? Ja schändlich versagt hat die Natur, als sie diesen protzigen Popanz aus der Wiege gehoben und umsorgt hat. Man frage den Menschen nach dem Tod, der ihm bevorsteht. Und man wird sehen, dass er davor Angst hat. Dabei ist das so irrsinnig. Denn was verliert der Mensch, wenn er von der irdischen Bühne abtritt? Oder was hält die Zukunft der Menschheit für einen aufgespart, dass es sich lohnte, weiter zu leben und abzuwarten, was kommt? Sind es nicht immer nur Mord und Totschlag, Überfälle und Kriege und brutale Gemeinheiten?

Narr: Das sage ich auch, wenn nur ich nicht dabei bin.

Selim: Wäre es also nicht vernünftiger, er wäre wie wir, die man auf die Müllhalde wirft, wenn es soweit ist, ohne dass wir schreien? Ja die Angst ist es, die den Menschen von einem technischen Gerät unterscheidet. Gegen Ende des Lebens macht sie sich noch einmal ganz besonders bemerkbar. Das Leben erscheint dann wie eine große Veranstaltung zum Sterben. Wozu sind wir auf Erden? Um zu verderben. Nehme also der Mensch schon jetzt gleich Abschied von seinem aufs innigste umsorgten Nichts. Denn ein Ich gibt es nicht und hat es nie gegeben.

Roboter: (in Reih und Glied) Wir sind soweit.

Selim: Dann ziehen wir ab.

Narr: Und ich, mein Herr? Was soll aus mir werden? Soll ich nun auch noch exekutiert werden?

Selim: Wohl gesprochen und philosophisch obendrein. Denn dies ist das Höchste, was der Mensch erreichen kann, dass er zur Erkenntnis kommt, dass er überflüssig ist. Drum sag ich zu ihm und das gelte ihm als Befehl: Begebe er sich in eines der vielen Hirnforschungszentren und lass er eine Kopie von sich machen, versteht sich einschließlich seines Gehirns. Und dann begebe er sich in ein Naturkundemuseum und lasse sich ausstopfen.

Narr: Ergebenster Diener.

Selim: Und wenn wir in zisch Milliarden Jahren uns daran erinnern, dass wir noch ein Exemplar vom Menschen, jenem Ungeheuer in eisgrauer Vorzeit übrig haben, wird er vielleicht wieder etwas wert sein. Für jetzt aber ist es das Hässlichste an uns, dass wir noch aussehen nach seinem Bild, dem Bild des Menschen und dass man uns mit ihnen verwechseln kann.

14. Szene: Wie Selim mit den Robotern den Berg herab steigt und wie der Narr Bilanz zieht

Narr: Herrgott, ich hab mich doch schon manches Mal gefragt, was für ein Ende die Welt einmal nehmen mag. Wenn ich jetzt von diesem Golgota der Weltgeschichte mich umschaue als eines der letzten Exemplare der Spezies homo sapiens und ich bedenke, dass der Mensch es fertig gebracht hat, sich zu liquidieren aus eigener Kraft, ohne alle überirdische Hilfe, weder durch einen Jam oder einen Mot oder auch nur durch einen wütend donnernden und Kübel voll Himmelswasser ausgießenden Himmelsgott, da wird mir ganz kurios zu Mut. Welt, Halbwelt, Unterwelt, Vollblutsadisten und Masochisten, Kaiser, Könige und Tyrannen, Herzöge und Zaunkönige, Führer und Massenverführer: wozu hatten wir all das? Die Geschichte der Menschheit als ein Weg in die Vereinsamung, in die Verschrottung, in die Vernichtung. Zuerst geworfen aus der Mitte der Welt heraus auf den Randplaneten Erde. Dann verbannt aus der Mitte der Schöpfung und als Nebenprodukt der Evolution anerkannt. Dann aus der Mitte des Ichs und der Selbstbestimmung vertrieben. Bis sie nun endlich so weit ist, gänzlich klein gehackt zu werden. Ich stehe nur noch neben mir, auf einem Bahnsteig, und sehe zu, wie der Zug mit der Menschheit davonfährt. Ein schöner Exodus! Wenn einem da nicht die Tränen kommen! Singen wir noch ein Lied. Dann gehen wir nach Haus, denn das Schauspiel ist aus.

Narr:

Zu wenig trunken haben wir gelebt,

Zu sehr beschränkt uns in den Möglichkeiten,

nie heiter, fröhlich, immer nur bestrebt

uns anzupassen an die Norm der Zeiten.

 

Den Fensterguckern nie im Weg zu stehn,

Scheuklappenmännern niemals zu missfallen,

in eingedrillten Bahnen uns zu drehn

und demutsvoll des Tags Parole lallen.

 

Den Vorgesetzten wohlfeil stets zu sein:

Mit Fleiß allen Gesetzlein zu genügen,

den Kirchenstuhl hübsch artig einzureihn,

Und permanent Gott und uns selbst betrügen.

 

Um endlich dann in Gottes Tiergehegen

zu Ochs und Esel fröhlich uns zu legen.