{ Als Frieden herrschte auf Erden (tragikomische Posse mit Gesang, Weihnachten 2014/2015) }

Literatur von Martin Ganter

Personen

Rabensteiner, Wolf und Grobhans

Hänsel und Gretel und Kasper (Kinder)

Urwaldminister

Ein Wächter

Drei Peschmerga

Drei Ukrainer

Ev. Bischof

Kath. Bischof

Grünschnabel, ein angehender junger Literat

Die Alte (Kanzlerin)

Frau Luise (Kanzleramtsministerin)

Minister Schmeichelkuhle, Minister Guck und weitere Minister und Ministerinnen

Bundestagspräsident

Alvarez von der Linken, Kicherhahn von der Naturpartei und weitere Männer und Frauen des Bundestags

Stimmen außerparlamentarischer Opposition aus dem Wald

Rasputin, ein Waffenhändler

Stalin, ein Bote, ein Arzt, eine verrückte Frau, ein Innungsmeister, zwei Altenpfleger und sonstige Leute

 

Inhalt

1. Szene: Im Rheinwald

1. Abschnitt: Wie Rabensteiner,Wolf und Grobhans im Rheinwald Dienst tun

2. Abschnitt: Rabensteiner entdeckt ein Ökofeld

3. Abschnitt: Ein Urwaldminister taucht auf

4. Abschnitt: Rabensteiner kommt zu einem Kernkraftwerk jenseits der Grenze

2. Szene: Hänsel und Gretel

1. Abschnitt: Hänsel und Gretel im Wald

2. Abschnitt: Hänsel und Gretel zünden ein Feuer an

3. Abschnitt: Wie Grobhans den Wolf ausschickt

4. Abschnitt: Hänsel und Gretel werden von Wolf überrascht

5. Abschnitt: Hänsel und Gretel werden abgeführt

3. Szene: Die Abgeordneten des Bundestags beim Hexenhaus

1. Abschnitt: Vier Engel rufen die Abgeordneten aller Parteien herbei

2. Abschnitt: Eigenlob der demokratischen Parteien bei Glühwein vor dem Hexenhaus

3. Abschnitt: Peschmerga und Ukrainer bitten um Hilfe

4. Abschnitt: Das Lied vom Nabel der Welt

4. Szene: Die Regierung

1. Abschnitt: Wie die Alte herbeikommt

2. Abschnitt: Die Mutter Gottes-Szene

3. Abschnitt: Empfang vor dem Hexenhaus und Suche nach den Leuten aus Stockholm

4. Abschnitt: Sprechstunde

5. Abschnitt: Gespräch mit den Kindern. Kaspers Traum

6. Abschnitt: Gespräch der Kinder

7. Abschnitt: Des Bischofs Rede. Die Vision vom 2. Luther

5. Szene: Rasputin

1. Abschnitt: Der Waffenhändler tritt auf. Bedrohung durch Waffen

2. Abschnitt: Ein Bote berichtet vom Blutbad in Paris. Rasputins Vision.

3. Abschnitt: Wie Stalin hinzukommt

 

1. Szene: Im Rheinwald

1. Abschnitt: Wie Rabensteiner,Wolf und Grobhans im Rheinwald Dienst tun

(Ein Morgen voller Nebel)

Rabensteiner: (ein höherer Beamter, während zwei Unterbeamte, Wolf und Grobhans, ein Fernrohr aufbauen) Da wären wir nun also, kleine Beamte, die nie viel zu gewinnen haben, aber alles zu verlieren. Und dürfte man das Theater als Himmel bezeichnen, so könnte man sagen: Sie sehen uns wie im Himmel so auch auf Erden. Doch Spaß beiseite. Wir sind nur Vorbereiter, Wegausbesserer und Waldpolizisten, damit alles schön reibungslos seinen Gang nimmt, wenn unsere alte Kanzlerin heute den Preis der Weltgeschichte entgegennimmt. Denn eben zu dem Zweck hat man uns ausgeschickt, dieses reiche und schöne Ufer- und Auenland herzurichten. Geheim freilich muss jetzt noch alles geschehen. Eine große Überraschung soll es nämlich werden, wenn die Leute mit dem großen Preis kommen. Selbst die Alte weiß noch nicht, dass das hier geschehen soll. So nämlich hat es der Deutsche Bundestag in geheimer Sitzung beschlossen. - Nun sind wir wie einst der Täufer in der Wüste tätig. Und wenn wir auch keine Herzen bekehren und keine Wege ebnen, so ist es doch ein großes Werk, das wir in kleiner Nussschale verrichten. "Richtet alles so her, dass selbst Rousseau glaubte, er käme in die Natur zurück." So hat man uns aufgetragen, dass wir beinahe Lust haben, auch noch den winterlich kahlgewordenen Bäumen grüne Röcke anzuziehen, damit jedermann sieht, dass Friede herrscht in dieser Welt. Das Wetter freilich könnte etwas besser sein. Denn wenn ich mich recht aufs Wetter verstehe, so dünkt mich, dass die winterlich-weißen Nebel, die da allerorten gegen uns heranziehen, Schneewolken sind. Fürs Erste nun ist unser Auftrag, Sorge zu tragen, dass der Wald rein und unversehrt in der Sonne des neu aufgehenden Jahres erglänzt. Allerorten soll man bei uns eine saubere Umwelt verkosten! Unter einer sauberen Sonne einen sauberen Wald, den ein sauberer Regen durch eine saubere Luft hindurch befeuchtet. Reichtum durch Bewahrung der Natur! Was für ein schöner Gedanke! - Meine Herren, sind Sie endlich soweit?

Wolf und Grobhans: Jawohl, wir sind soweit!

Rabensteiner: Gut, dann durchstreifen Sie das Gelände und sehen Sie zu, dass nirgends etwas Gesetzwidriges geschieht!

(Wolf und Grobhans ab)

2. Abschnitt: Rabensteiner entdeckt ein Ökofeld

Rabensteiner: (Mit dem Fernrohr überschaut er ein Feld voller Ökospritpflanzen.) Nun also ans Werk! Auf dass wir euch das Handwerk legen, ihr Sykophanten und Europhanten, die ihr durch unseren Urwald schleicht! Wie schnell geschieht es nicht: und du entdeckst einen, der sich Gelderchen einfach so in die Tasche fließen lässt, als wär er ein freier Unternehmer, und ist doch nur auf dem Weg zu einer kleinen Steueroase. Doch lasst es euch gesagt sein, ihr Spitzbuben! Der Weisung der alten Kanzlerin gemäß dürfen wir nichts dulden, was der Hochzeit des Wolfs mit dem Lamm im Wege steht, jedenfalls nicht hier in unserem lieblich jungfräulichen Urwald! Keine Motorsäge, kein Geräusch eines Bohrers für Fracking oder Erdöl, kein Gebrüll von Weidevieh auf gerodetem Waldgebiet und schon gar keine illegitimen Plantagen mit Ökostauden. - Doch was haben wir denn da? Was regt sich denn dort? Freund oder Feind? - Doch nein. Es ist nur eine Bache mit ihren Frischlingen, die mich irritiert hat und die einen Unterschlupf sucht. (er sucht weiter) - Und doch kann ich nicht zufrieden sein, wenn ich sehe, was ich hier sehe. Sehen Sie doch selbst! Viel zu viele Kahlschläge gedeihen hier, wo dichter Urwald sein sollte. Noch riecht man ja den verbrannten Wald. Und man müsste wahrlich nur sehr wenig Begabung für Prophetie mitbringen, um zu erkennen, dass der deutsche Urwald ohne meine harte Arbeit schon bald aus nichts anderem mehr bestünde als aus einer Lichtung neben der anderen. - Doch was haben wir denn dort? Schon wieder so eine Lichtung, mit jungen Ökopflanzen bestückt? Freund, da hast du wohl gedacht, dass dir das ein hübsches Stück Geld einbringt! Noch mehr als noch gestern die Canabispflanzen? Da hast du nun leider fehlspekuliert, auch wenn ich dein Vorhaben verstehen kann. - Da will einerseits unsere Naturpartei den Urwald retten und macht doch anderseits mit der Forderung regenerativer Energie den Anbau von Energiepflanzen in demselben zum lukrativsten Projekt von der Welt. Was für ein Wahnsinn! Seit wir wissen, dass die Ökoenergiepflanze in der Lage ist, das Öl Arabiens abzulösen, wird nichts mehr den Urwald retten. Wo nun schon bald nach dem Willen unserer Naturpartei ein Liter Benzin bald 5 Euro kostet, als ob man dadurch das Autofahren oder gar die Luftfahrt verhindern könnte! Dann bekommst du für einen Liter Energiepflanzenöl mindestens 3-4 Euro, wozu ein Quadratmeter gerodeter Urwald ausreicht. Doch was kann ich dafür? Verrichten wir also die uns vorgeschriebenen Arbeiten und geben uns zufrieden. Mag der Herr des Himmels, wenn es noch einen gibt und er sich nicht in den hintersten Himmel zurückgezogen hat, für bessere Zeiten sorgen. - Aber da ist doch noch wer! Da raschelt es. Jawohl. Ganz deutlich ist es zu erkennen. Das kommt von keinem Naturhasen. Warte nur! Wollen schauen, wer dort seine Hand im Spiel hat. Doch Vorsicht, Vorsicht, Meister Rabensteiner! Vergiss nicht, dass du stets klug vorzugehen hast! Denn entdeckst du den Falschen, ich meine, versuchst du Hand anzulegen an einen der Großen, so hast du selber das Nachsehen. Bedenke deine Rückendeckung, o Mensch, und verschaff dir eine Lobby, auf die Verlass ist, ehe du auch nur einen Finger rührst! Denn nur in der Menge bist du stark. Das ist in unserer anonymen Gesellschaft das Gesetz der Stunde. - (er geht weiter) Ja, wenn man das alles bedenkt. Ein sittlich ausgebildeter Architekt bei uns weiß ganz genau, dass er kein Holz aus einem Urwald für einen Hausbau verwenden darf. Damit fürderhin keine Axt den Urwald mehr trifft. Zumindest weiß er das, sobald er einen Bauauftrag übernommen und unter Dach und Fach gebracht hat. Nur für den Fall, dass er bei Vorverhandlungen genötigt wird, ist er auch bereit, auf die Einhaltung dieses Verbotes zu verzichten. Und doch, wie widersinnig! Denn wovon sollen die Herren des Urwaldes leben, wenn man nun auch kein Holz aus Südamerika mehr bei uns einführen lässt! Das aber haben die Herren und Damen Abgeordneten als Gesetz im Bundestag verabschiedet. Nur so, denken sie, retten wir den Urwald, nur so die Lunge der Erde, nur so die Zukunft der Welt.

3. Abschnitt: Ein Urwaldminister taucht auf

(Der Urwaldminister trägt eine riesige leere Geldkasse)

Urwaldminister: Mein Herr!

Rabensteiner: Ah, wie hat er mich doch erschreckt mit seiner tiefen Stimme!

Urwaldminister: Mein Herr!

Rabensteiner: Was ist? Was hat er?

Urwaldminister: Ich bin der Urwaldminister aus Südamerika.

Rabensteiner: Geht das mich etwas an?

Urwaldminister: So kann er mich nicht hören?

Rabensteiner: Und ob ich ihn höre! Er stört mich bei der Arbeit.

Urwaldminister: Hört er es nicht klingeln?

Rabensteiner: Ich höre nichts.

Urwaldminister: Ich höre auch nichts. Nur dass ich etwas klingeln hören will.

Rabensteiner: Und was will er denn klingeln hören?

Urwaldminister: Klingelt es ihm denn noch immer nicht?

Rabensteiner: Red er endlich oder pack er sich!

Urwaldminister: Die 5 Milliarden will ich klingeln hören.

Rabensteiner: Welche 5 Milliarden?

Urwaldminister: Die 5 Milliarden, die mir zustehen!

Rabensteiner: Das haben Sie wohl geträumt? Da könnte jeder kommen und behaupten, ihm stünden 5 Milliarden zu.

Urwaldminister: Nichts da geträumt. Vertragliche Abmachung aus Dschululumpu vom letzten Jahr.

Rabensteiner: Und wofür wollen Sie das Geld?

Urwaldminister: Wie?

Rabensteiner: Wofür Ihnen Geld zusteht? Haben Sie eine besondere Dienstleistung erbracht? Oder haben Sie uns etwas verkauft? Oder sind Sie uns auf sonst eine Art gefällig gewesen, wo Bestechungen mit im Spiel sind?

Urwaldminister: Nichts da von Bestechungen!

Rabensteiner: Dann endlich heraus mit der Sprache!

Urwaldminister: Dafür dass wir unseren Urwald schützen, den Urwald von Südamerika, die Lunge der Welt, dafür bekommen wir von den weltweit jährlich vereinbarten 10 Milliarden 5 Milliarden von der Bundesrepublik Deutschland; so wurde es bei der Geldgeberkonferenz im letzten Jahr ausgemacht. Die Kanzlerin hat es eigenhändig unterzeichnet.

Rabensteiner: Aber, mein Herr. Damit habe ich nichts zu tun. Mit dem besten Willen von der Welt war ich nicht dabei. Da müssen Sie sich an die Kanzlerin wenden.

Urwaldminister: Kann ich nun also mein Geld haben?

Rabensteiner: Ich sagte doch, ich war nicht dabei!

Urwaldminister: Nur keine Mätzchen! Die Umstände sind eben nicht schlecht. Das wissen Sie selber. Wo die Kanzlerin zur Friedensfürstin gekrönt werden soll. Und wie kann Frieden herrschen auf der Welt, wenn ich auf mein Geld warten muss? Wenn einer ein Busenfreund der Kanzlerin ist, so bin es ich.

Rabensteiner: Als ihr Busenfreund wird Sie es Ihnen auch anstandslos geben.

Urwaldminister: Ich brauche es aber jetzt, und zwar anständig übergeben.

Rabensteiner: Überhaupt, können Sie auch nachweisen, dass Sie den Urwald unversehrt erhalten haben?

Urwaldminister: Und ob ich das kann! So rein wie eine blühende Jungfrau! Hier schauen Sie doch! (er zeigt Fotos)

Rabensteiner: Hübsch, hübsch, die paar Quadratmeter. Originell dazu, mit den Gorillas dort in den Brüstungen der Baumkronen. Nur sagt das nichts aus über die restlichen Tausende von Quadratkilometer.

Urwaldminister: Gemach, mein Herr. Oder wollen Sie behaupten, dass hier alles stimmt? Sie wollen mir doch nicht weiß machen, dass das hier ein Urwald ist.

Rabensteiner: Eben das aber ist unser Auftrag, den wir von unseren Vorgesetzten übertragen bekommen haben.

Urwaldminister: Ein Hühnerhof ist das vielleicht, aber noch nicht einmal ein ordentliches Stück Bannwald.

Rabensteiner: Es sind die Merkmale, die wir im Auge haben.

Urwaldminister: Als Realo gilt es, die Realität im Auge zu haben wie auch zu Kompromissen bereit zu sein.

Rabensteiner: Was gehen mich die Realos an? Ich arbeite als einfacher Beamter im deutschen Forst.

Urwaldminister: Geld her!

Rabensteiner: Wie? Sind wir schon so weit, dass wir den Diskurs im Rotwelsch führen? - (für sich) Hätte die Kanzlerin nicht einen so riesigen Geldbeutel, kein Mensch verirrte sich hierher. Aber Geld weckt Begehrlichkeit. Und Begehrlichkeit macht erfinderisch. Wie rasch ist nicht eine Klage formuliert und ein gewiefter Rechtsanwalt bei der Hand und ein passendes Gericht.

Urwaldminister: Geld her oder der Urwald verschwindet.

Rabensteiner: Dieser unser Urwald?

Urwaldminister: Mann, das ist doch kein Urwald. Das ist allenfalls ein Hasengärtlein oder ein Schrebergarten. Also, Geld her!

Rabensteiner: Das geht mich wirklich nichts an. Ich bin kein Säckelmeister.

Urwaldminister: Lächerlich, wenn grüne Gartenzwerge in Deutschland über die Reduktion des CO2 in den Urwäldern nachzudenken beginnen. Wenn darüber einer bestimmt, so sind es wir. - Sie selber wissen am besten, dass unser Urwald als Ökofeld hundertmal mehr als 5 Milliarden in unsere Kassen spült. Und, dass Sie nur nicht vergessen, dass auch ich es weiß: dass sich nämlich die jährlichen 5 Milliarden geradezu von allein erzeugen, indem Sie geschickt den Gang der Ökoaktien steuern, weshalb es nicht zu viel von uns verlangt wäre, wenn wir den Urwaldpreis auf das Drei- bis Fünf-fache avisierten. Das muss man ja wohl keinem erklären im Land der Spezialisten für Geldvermehrung.

Rabensteiner: Wissen Sie, es macht einen Riesenunterschied, ob man Verantwortung in der Regierung zu übernehmen hat oder ob man nur ausfrisst, was die Oberen anordnen.

Urwaldminister: Und wenn ich mir das Geld beim Bundesverfassungsgericht holen muss! Ich denk nicht daran, nach Haus zu gehen ohne mein Geld. Pacta servanda, mein Herr! So hat schon der alte Bundeskanzler gesagt. (er geht)

Rabensteiner: Überhaupt habe ich nie gesagt, dass die Welt am deutschen Wesen genesen müsse. Wenigstens aber ist der Herr Urwaldminister jetzt aus meinem Gesichtskreis. Mögen ihn seine Füße nie mehr zu mir führen! Doch weiter, Rabensteiner, weiter, immer weiter! Du bist im Dienst und den hat man bei uns tierisch wichtig zu nehmen!

4. Abschnitt: Rabensteiner kommt zu einem Kernkraftwerk jenseits der Grenze

Rabensteiner: Wenn mich nicht alles täuscht, raucht und stinkt es von da drüben gewaltig. Oder riech ich nicht die Kohle durch die Nebelsuppe? Kohl in der Suppe ist besser als Kohle in der Nebelsuppe. - Doch weder nach Kohl, noch nach Kohle riecht es da. - Hat da etwa einer eine nicht genehmigte Kirche zu bauen begonnen? Wer aber sollte heute noch eine Kirche bauen wollen, wo so gut wie alle Kirchen leer stehen und man die Kirchen verkauft? Wenn Gotteshäuser bei uns gebaut werden, so sind es Moscheen. Schneeweiße Moscheen mit Minaretten, die in die deutschen Lande hinaus grüßen. - In China ist die höchste christliche Kirche gerade so hoch wie die Fußmatte von der Parteizentrale nebenan. Da muss man schon eine Lupe nehmen, um sie in der Schlucht der Wolkenkratzer noch aufzufinden. - Aber etwas ist hier doch nicht in Ordnung, das riech ich. Hier riecht es nach dem Geruch der Unbotmäßigkeit. Passen Sie auf, meine Damen und Herren, was ich jetzt mache! Passen Sie auf, wie ich die packe! Keiner von denen soll mir entgehen! Und dann ist eine Strafgebühr fällig. Jawohl, eine Strafgebühr, die saftig werden soll. Als wär ich ein Gott der Grünen! Hallo, was macht er dort?

Wächter: Monsieur! Que voulez vous.

Rabensteiner: Was er dort macht, will ich wissen! Heraus mit der Sprache! Und zwar dalli, dalli! (für sich) Das war gut so! So schinde ich Eindruck.

Wächter: Que voulez vous?

Rabensteiner: Was? - Was er dort macht, will ich wissen!

Wächter: Allez vite!

Rabensteiner: Stellt sich dumm, als könnte er kein Deutsch? -

Wächter: Allez vite! Ca veut dire "Hau ab!" - Ici on ne parle pas l Allemand.

Rabensteiner: Wenn auch die Amtssprachen in Europa Französisch und Englisch sind, so reden wir in Deutschland ja wohl noch Deutsch. Ich lass mich nicht an der Nase herumführen, merk er sich das!

Wächter: (auf Französisch) Hau ab! Keinen Schritt näher! Hier ist Fessenheim.

Rabensteiner: Wie war das? (für sich) Das war nun doch ein wenig zu viel. Schließlich bin ich im Amt. Was ist das? Er richtet das Gewehr gegen mich? Und ich seh zu, wie er mich erschießt? Nehm er das Gewehr weg! Weg, sag ich.

Wächter: Nous ne travaillons pas an Weihnacht, aber nous protegons die Anlage, damit kein Spitzbub zu uns kommt. Weder ein Terrorist aus dem Islamischen Staat noch ein Nazi aus Deutschland. Et quand vous ne voulez disparaitre vous meme, et moi, il me faut venir: das gäb un desastre. Et c´est pourqoi, que j´ai dit: Echappez! (er pfeift, es kommen ein paar Wächter mit Gewehren zur Verstärkung) Voila, messieurs! (auf Französisch) Präsentiert die Gewehre! Für den Fall, dass es sich um einen terroristischen Anschlag handelt.

Rabensteiner: Hat er jetzt französisch geredet und ich hab es auf Deutsch verstanden? Immerhin weiß ich, dass ich mich auf französisches Gebiet verirrt habe, dass der vermeintliche Kirchturm ein Atommeiler ist und dass ich es mit einem Wächter von der Front Nationale zu tun habe. Verschwinde ich denn! - Der Meiler aber passt ganz gut in das Bild, das ich mir von Fessenheim gemacht habe, als ich noch glaubte, der grüne Ministerpräsident von Baden Württemberg könnte dieses marode Kraftwerk still legen. Doch nix da mit Stilllegen. Nur zu Hause haben sie eine große Klappe und ergehen sich in Gesetzen, Vorschriften und Auflagen, dass man das Fürchten kriegt.

Wächter: (nachäffend) Nix da mit Stilllegen. (auf Französisch) Seh er zu, dass er schnell davon kommt!

Rabensteiner: Ist ja gut, ist ja gut. Ich geh ja schon! Ho capito, signor si. Man wird aber ja noch das Staatsgut, das deutsche Fernrohr, mitnehmen dürfen. Mach ich, dass ich weg komm! Dabei ist das hier eine der marodesten Anlagen europaweit. Jeden Augenblick kann es zu einem Supergau kommen wie bei Tschernobyl. (er geht weiter)

2. Szene: Hänsel und Gretel

1. Abschnitt: Hänsel und Gretel im Wald

(Sie bahnen sich einen Weg durchs Dickicht)

Gretel: Hänsel, warte auf mich, mach langsam! Ich bin müde und kann nicht mehr. Schau doch nur, wie wenig mich meine Füße noch tragen.

Hänsel: Es muss sein, Gretel. Es war uns nicht bestimmt, die uns liebste Welt auszusuchen.

Gretel: O ich hatte mir das alles ganz anders vorgestellt. Den unschuldigen Wald, wenn auch nicht unbedingt belebt und bevölkert von lieblichen Märchengestalten, so doch von Hirten und Schäfern und von freundlichen Köhlern oder von einem der Einsiedler, bei dem wir Aufnahme fänden. Und wenn ich auch den Hunger noch etwas ausstehen kann, so weht mich der Wind doch schneidend kalt an und die Dornen vom letzten Herbst hindern am Weiterkommen.

Hänsel: Komm! Wir haben es bald geschafft! Dort drüben sehe ich eine Lichtung, dort machen wir Halt. Da zünd ich ein Feuer an. Wenn wir nur nicht die Hoffnung aufgeben.

Gretel: So glaubst du noch an einen guten Ausgang?

Hänsel: Ich versuch es. Und wenn sich mir etwas anderes aufdrängt, setz ich mich gegen mich selber zur Wehr.

2. Abschnitt: Hänsel und Gretel zünden ein Feuer an

Hänsel: Komm! Setz dich hierher! Diese Stelle genügt uns. Hier zünd ich ein Feuerchen an und dann essen wir das Stückchen Brot, das wir noch bei uns haben. Sicher wird es dann auch dir wieder etwas wärmer ums Herz.

Gretel: Wenn nur Mutter und Vater nicht allein wären.

Hänsel: Unter der Türe habe ich noch der Mutter versprochen, dass wir bald wieder zurückkommen. Und dass dann alles gut sein wird.

Gretel: Und wie soll das geschehen?

Hänsel: Wir werden es schaffen, auch wenn wir jetzt noch nicht wissen, wie. Da bin ich mir ganz sicher.

Gretel: Anfangs schien auch mir der Wald noch freundlich; je weiter wir aber eingedrungen sind, umso dunkler und gefährlicher ist er geworden.

Hänsel: Er wird schon wieder freundlich werden.

Gretel: Auch die Männer kann ich nicht vergessen, vor denen wir uns versteckt haben. Immer noch sehe ich sie vor mir.

Hänsel: Das waren Kämpfer, um sich Waffen bei uns zu beschaffen. Aber sie müssen sie erbetteln, weil sie kein Geld haben.

Gretel: Wozu brauchen sie Waffen?

Hänsel: Um ihr Heimatland zu retten.

Gretel: Kann man denn kein Heimatland haben ohne Waffen?

Hänsel: Ja, wenn uns die Heimat selber in Schutz nähme und uns im Notfall verteidigte. Früher haben sich die Menschen auch solche Götter vorgestellt. Aber das waren auch keine guten Mächte. Sie verlangten nach Opfern, Blutopfern aus der eigenen Bevölkerung.

Gretel: Jedem, der Waffen braucht zum Wohl seines Heimatlandes, sollte man sie geben.

Hänsel: Wenn sie aus einem Krisen- oder Kriegsgebiet kommen, haben sie Pech bei uns.

Gretel: Wo sonst braucht man Waffen als dort, wo man ihnen die Heimat zu einem Kriegsgebiet macht?

Hänsel: Ach, Gretel. Wie kann man diese Welt verstehen, ohne dabei den Verstand zu verlieren! Doch lassen wir das. Weißt du, daran können wir ohnehin nichts ändern. Und dass ich jetzt keine rote Wurst habe, die zu meinem Stück Brot hervorragend passte, das kann ich auch nicht ändern.

Gretel: Zum Glück hab ich nur zu wenig Verstand, als dass ich ihn verlieren könnte. Aber traurig macht mich das schon, über alle Maßen.

Hänsel: Weißt du, Gretel, wenn ich jetzt daran denke, dass mir eine rote Wurst gut schmecken würde, könnt ich auch trübsinnig und melancholisch werden. Doch traurig soll man ja nicht werden, nicht wahr, Gretel, das schadet einem nur.

Gretel: Hätt ich nur eine Wurst. Und wär es auch nur ein kleines Würstel. Wie gern, Hänsel, steckte ich dir das jetzt in dein Mündchen.

Hänsel: Werden eben drüber wegsehen müssen. Selbst über die schlimmsten Missstände muss man wegsehen, wenn man nicht in der Lage ist, sie zu ändern.

Gretel: Wenn ich nur an die Eltern zu Haus denke. Die hungern und frieren. Heizung und Miete sind unerschwinglich teuer geworden, da reicht es kaum mehr zu Milch und Brot.

Hänsel: Zumal jetzt nach den misslungenen Heizungsreparaturversuchen. Reparatur heißt ja nämlich, dass etwas wieder in Stand gesetzt wird und Arbeit für uns verrichten kann. Aber die Heizung der Eltern geht dennoch nicht. An der wird nur herumgepfuscht und das kostet jedes Mal ein horrendes Geld. Die Leute blicken nicht durch. Aber sie wollen Geld. Und will man erst zahlen, wenn etwas wirklich wieder geht, dann ziehen sie vor Gericht. Und beweis du ihnen dort, dass sie gepfuscht haben.

Gretel: Wenn das schon im Kleinen so ist, wie soll es da auf Erden jemals zu einem Frieden kommen?

Hänsel: Macht verneigt sich vor der Macht. Und keine Krähe tut einer anderen Krähe weh. Nur die kleinen Singvögel werden angefallen; und dann hackt man ihnen die Augen aus.

Gretel: Und das nimmt kein Ende? - O Hänsel. In was für einer Welt leben wir nur!

Hänsel: Dabei habe ich nur erst ein paar Gemeinheiten aufgezählt. Wenn man die Litanei des Bösen vollständig aufzählen wollte, man käme nimmer davon los. Nichts greift ja so schnell um sich wie das Böse.

Gretel: Wollte doch nur das Gute so um sich greifen. Und ich müsste nur wünschen und alles ginge in Erfüllung! Dann hätten es jetzt unsere lieben Eltern warm zu Hause; und ein Gänslein schmorte und schmurgelte im Ofen für sie hin, für den Heiligen Abend. Nun aber, wo sie die Rechnungen nicht zahlen können und sie nicht wissen, woher sie es nehmen sollen, fangen auch sie noch an, sich zu streiten. Ja, die Mutter, in ihrer Ohnmacht, hat schon einmal laut darüber nachgedacht, ihrem Leben ein Ende zu machen. Dabei ist Weihnacht der Tag, an dem der Herr wiederkommt.

Hänsel: Der kommt nicht mehr wieder. Wo keiner mehr auf ihn wartet. Da könnte der Mann im Mond kommen oder ein Marsmensch oder Aliens von einem anderen Stern: das wäre alles dasselbe.

Gretel: Glaubst du nicht, dass er in der Lage wäre, Frieden zu schaffen auf Erden?

Hänsel: Vielleicht unter Mitwirkung stärkster Wunder. Wunder, die die Natur des Menschen lahm legten und die ihm ein wahres, fröhliches Herz schenkten.

Gretel: Warum sollte er nicht uns alle zu Kindern verwandeln? Wolltest du das nicht?

Hänsel: Ich hab mal gelesen, wenn jedes Unrecht und jede Ungerechtigkeit wollte geahndet werden, so müsste es jeden Tag eine französische Revolution geben. Die Gefängnisse hat man damals gestürmt, aber nicht die Gerichte. Und die waren ja noch viel schlimmer. Man nahm sich das Recht, Richter zu spielen. Und eigentlich ist es ja auch egal, wer dich zum Richter ernennt, wenn es keine Gerechtigkeit mehr gibt, ob ein Staat oder ein König oder eine heilige Kongregation oder am Schluss du dich selber.

Gretel: Was du da zusammenredest, Hänsel. Das macht mich fast ein wenig bang.

3. Abschnitt: Wie Grobhans den Wolf ausschickt

Grobhans: Da vorn, da raucht doch was! Da unterhält jemand ein Feuer!

Wolf: Ein Feuerchen, kaum der Rede wert.

Grobhans: Wie schnell ist aus einem Feuerchen ein Waldbrand geworden! Im Wald ein Feuer anzünden ist längst kein Kavaliersdelikt mehr.

Wolf: Ich weiß. Das ist ebenso schlimm, wie Kapital nach Liechtenstein schleusen oder im Profisport kassierte Schmiergelder nicht versteuern. Doch was geht das uns an? Wohl uns, die wir nie in Gefahr geraten, geschmiert zu werden. Selbst das kleinste Geschenk entgegenzunehmen hat man uns verboten.

Grobhans: An den Dienst, mein Herr!

Wolf: (für sich) Oder man schmiert mir eine, wenn ich nicht gleich dem Waldbrand wehre. (laut) Aber ich geh ja schon!

4. Abschnitt: Hänsel und Gretel werden von Wolf überrascht

Gretel: Was ist das?

Hänsel: Was hast du?

Gretel: Da hab ich doch was gehört! Mir ist, als würden wir von einem Wolf belauert.

Hänsel: Aber ich hab dir doch gesagt, dass man hier zu Lande nur erst ansatzweise wieder Wölfe auf freien Fuß gesetzt hat.

Wolf: Nun ans Werk, Wolf! Nun zeige Mut! (er eilt aus dem Gebüsch)

Gretel: Da!

Wolf: Halt! Stehen geblieben! Stehen geblieben! Hab ich gesagt.

Hänsel: Mein Herr, was wollen Sie denn?

Wolf: Stehen geblieben! Hab ich gesagt. Und keinen Schritt weiter!

Hänsel: Stehen wir denn? Hier sitzen wir doch, harmlos bei unserem letzten Stückchen Brot! Wir denken ja überhaupt nicht an ein Weitergehen.

Gretel: (für sich) Nein, das ist kein Gottesmann!

Wolf: Wisst ihr nicht, dass es strengstens untersagt ist, im Wald ein Feuer zu machen?

Hänsel: (für sich) Es gibt nicht wenige große Denker, die behaupten, es sei uns eigentlich sogar untersagt gewesen, auf die Welt zu kommen.

Wolf: Wie heißt ihr?

Hänsel: Wie wir heißen?

Wolf: Wie ihr heißt, will ich wissen!

Gretel: Gretel

Wolf: Und du?

Hänsel: Hänsel!

Wolf: (er holt ein Heft hervor, um Notizen zu machen) - Und wo kommt ihr her und wo wollt ihr hin?

Gretel: Wir kommen von zu Hause, von Vater und Mutter,

Hänsel: die wir unter elenden Umständen zurück lassen mussten.

Wolf: (er beginnt, in ein Notizbuch zu schreiben) Was soll das?

Gretel: Das ist die Wahrheit.

Hänsel: Oder will er etwas anderes wissen?

Wolf: Meint ihr, ich lass mir von euch in den Bart greifen? Als ob ich euch nicht längst erkannt hätte! Brut eines elenden Gesindels.

Hänsel: Wir kennen ihn auch. Er war es doch, der die Reparaturen an der Heizung durchgeführt hat, die allesamt für die Katz waren. Oder ist er nicht der Herr Wolf? Herr Wolf, sagte unser Vater damals, ihre Reparatur ist für die Katz.

Gretel: Ist das der Mann?

Hänsel: (zur Gretel) Das ist der Mann, den uns die Heizungsfirma damals schickte und der unsere Eltern in den Ruin getrieben hat. Die Eltern schickten mich in den Keller, damit ich sähe, was Sie da unten machten. Aber er wusste nicht Bescheid und musste andauernd nachschlagen und per Handy nachfragen. Und als ich ihn fragte, ob wir das alles bezahlen müssten, lachte er und sagte ja. Da erfuhr ich dann auch, dass sie Anweisung hätten, immer eine Kleinigkeit auszutauschen und neu zu ersetzen, auch wenn es unnötig wäre, um so alle Bedingungen zu erfüllen, eine vom Gesetzgeber erlaubte Rechnung zu schreiben. - Erst etwas später begann er zu maulen, dass wir für ihn zwar Meistermonteurstunden zu zahlen hätten, auch für seine Reisezeit, dass er selber aber nur als Anfänger bezahlt würde.

Wolf: (der sein Notizbuch schließt) Aber ich bin nicht bei der Firma geblieben, weil es mich nach Höherem drängte! Nach dem höchsten aller Dienste, dem Dienst der Polizei! Herrscher kommen und Kanzler gehen, ja selbst Regierungsformen werden drastisch verändert, aber die Polizei bleibt bestehen in Ewigkeit! - Und nun her mit euren Impertinenzpapieren! Ich will sie sehen!

Gretel: Was will er sehen?

Hänsel: Die Identifikationspapiere meint er, den Personalausweis oder sonst einen Ausweis.

Wolf: Könnt ihr kein Deutsch?

Gretel: Wir haben keine Ausweise.

Wolf: Seid ihr noch nie im Ausland gewesen?

Hänsel: Wie sollten wir auch. Das kostet Geld.

Wolf: Dann sagt mir, wer der Bundespräsident ist!

Hänsel: Der ist noch nie bei uns vorbeigekommen.

Wolf: Und wer hat Deutschland wiedervereint?

Gretel: Ist das schlimm, wenn wir das nicht wissen?

Wolf: Das ist so schlimm, dass ich mir das notieren muss. - So. Und nun steht auch fest geschrieben, was ihr euch habt zuschulden kommen lassen.

Hänsel: Und was ist das?

Wolf: Erstens habt ihr euch auf verbotenes Gelände begeben. Und zweitens habt ihr unerlaubt ein Feuer angezündet.

Hänsel: Hätten wir ein warmes Zuhause gehabt mit einer vollen Speisekammer, so wären wir nie weggegangen. Siehst du Gretel, daran könnte man ansetzen. Kommt der Winter, so wissen Vater und Mutter nicht, wie sie ihn überstehen sollen.

Gretel: So darf man nicht einmal mehr in den Wald gehen? Wir haben ja noch nicht einmal Holz gesammelt.

Wolf: Nicht, wenn er für den deutschen Bundestag abgesperrt ist.

Gretel: Für den deutschen Bundestag?

Hänsel: Der deutsche Bundestag, Gretel, das ist eine Versammlung von Leuten; aber auch als Bezeichnung für das Haus, in dem die Versammlung tagt, wird das Wort gebraucht; es ist also ein Teekessel.

Wolf: Was, ein Hexenkessel?

Hänsel: Von einem Teekessel hab ich gesprochen. - Überhaupt wäre zu bemerken, dass wir nirgends zu einer Absperrung gekommen sind und dass nirgends ein Schild war mit der Aufschrift "Betreten verboten".

Wolf: Und dann dieses Feuer! (er macht ungeschickte Versuche, es zu löschen) Wenn der Wald brennt, war es natürlich keiner.

Hänsel: Was nicht gar! Hat es einer gelernt und versteht er sich darauf, mit Feuer umzugehen, so weiß er, dass die Handlungen, ein Feuer zu entfachen und ein Feuer zu löschen, oftmals einander sehr ähneln.

Wolf: Das Dritte aber ist, dass ihr nicht aufgestanden seid, als ich kam. Das habt ihr doch wohl schon in der Schule gelernt, dass man aufzustehen hat, wenn ein Vorgesetzter kommt.

Hänsel: Selbstverständlich wären wir aufgestanden, hätten wir nur gewusst, dass er unsere Handlung dann recht versteht. Doch da hätte er dann geglaubt, wir wollten fliehen und hätte auf uns geschossen.

Wolf: Und dafür werdet ihr jetzt von mir eingesperrt. - Aufgestanden! Los, los, los! Wie oft muss ich das noch sagen!

Hänsel: Komm, stehen wir auf! Sonst kommt er nicht mehr davon los "los, los, los" zu sagen. - Eines aber sage ich Ihnen! Anbrüllen brauchen Sie uns noch lange nicht!

Wolf: Das ist ja noch schöner, Bürschchen.

Gretel: Lassen Sie meinen Hänsel oder ich schrei um Hilfe.

Wolf: Ja, so schrei doch, du Schreigans!

Gretel: Zu Hilfe! Zu Hilfe! Man tut meinem Bruder etwas zu Leid!

Wolf: Da hört sie euch an! Die Revoluzzer von morgen, die nie von Gottes Erdboden verschwinden. Man mag sie ausrotten, morgen sind sie schon wieder da, samt ihren Geschwistern.

Gretel: Zu Hilfe! Zu Hilfe!

Wolf: Schrei sie, so viel sie will. Vielleicht, dass den Bäumen davon Ohren wachsen.

Hänsel: Das Leben ist wirklich nicht leicht.

Wolf: O, das Leben ist schon leicht; man muss sich nur damit einverstanden erklären.

5. Abschnitt: Hänsel und Gretel werden abgeführt

Grobhans: (für sich, während er seinen Flachmann einsteckt) Was für ein Lärm, was für ein Geschrei, Wolf! Das kann einem ja den besten Schluck verderben!

Wolf: Mein Herr! Hier hab ich zwei höchst verdächtige Individuen aufgegabelt. So klein sie auch aussehen mögen, ehe man nicht aus ihnen gehorsame Subjekte gemacht hat, kann man die Gefahren nie groß genug einschätzen. Nehmen Sie diese bitte in Ihre besondere Obhut. Es ist nicht auszuschließen, dass sie zur rechtsextremen Szene gehören. Folglich sollten wir alles tun, die Vorgesetzten zu weiteren, genauen Recherchen zu veranlassen. Zur Staatssicherheit darf man kein Mittel scheuen.

Grobhans: Also marsch!

Hänsel: Was soll das heißen?

Wolf: Dass ihr mitkommen sollt. Und zwar dalli, dalli!

Gretel: Was macht man jetzt mit uns?

Hänsel: Ich will nicht hoffen, dass sie sich an uns vergreifen.

Gretel: Das darf man ja auch nicht.

Hänsel: O liebes Kind! Zwar redet man landauf, landab von der Würde des Kindes. Doch was ist das? Wenn z.B. Eltern die Scheidung einreichen, verträgt sich das mit der Würde des Kindes? Müsste sich nicht ein Staat in Nichts auflösen, wenn er es unterlässt, in Not geratenen Eltern zu helfen? Was indes nicht verboten ist oder was nicht verboten werden kann, das darf man tun.

Gretel: O weh uns! O weh!

Grobhans: Was schwätzt ihr da?

Wolf: Das klingt ja wie Inspiration.

Hänsel: (zu Gretel) Konspiration will er doch wohl sagen.

Grobhans: Bing sie ins Auto, Wolf, in sicheres Verwahr.

Wolf: Sehr wohl, Meister Grobhans. Ihr habt es gehört. Duckt euch! Befehl von ganz oben.

3. Szene: Die Abgeordneten des Bundestags beim Hexenhaus

1. Abschnitt: Vier Engel rufen die Abgeordneten aller Parteien herbei

(Die Abgeordneten bleiben erstaunt stehen wie einst die Weihnachtshirten).

Die vier Engel:

Wie schön ist es doch bei uns im Wald

Im Sommer, wenn der Vögel Lied schallt.

Wenn die Bäume die Äste über uns strecken

und mit ihren Schatten den Boden bedecken.

Aber auch im Winter ist es hier wunderschön,

wenn die Seele sich hebt beim Gehen und Stehn,

wenn unter den Ästen der Eichen und Buchen

die Tiere im Schnee einen Weg sich suchen.

 

Kommt her, ihr Freunde, kommt, eilt herbei

mit strammen Schritten, die Bahn ist frei!

Der Freudentag rückt nahe, jetzt wird es Zeit:

Wie die Hirten zur Krippe, kommt, seid bereit.

Bald kommen die Weisen aus fernen Zonen,

mit uns dem heutigen Fest beizuwohnen! (ab)

Kicherhahn: Was für eine Überraschung, die man sich da für uns ausgedacht hat! Wenn es noch ein Wunder gibt, so hier.

Bundestagspräsident: Die vier Engel stellten die vier Weltreligionen dar, um deren Schutz sich fortan unsere Kanzlerin bekümmern will.

Ein Dritter: Und das Haus da? Ist das die Attrappe eines Hexenhauses? Oder soll das der Stall von Bethlehem sein?

Alvarez: Der Stall von Nazareth vermutlich. Essbar ist der Lebkuchen jedenfalls nicht.

Kicherhahn: Übrigens eine originelle Idee, uns Politiker als Hirten zu inszenieren.

Stimme aus dem Wald: Oder als Ochsen und Esel.

Dritter: Dabei haben wir noch nicht einmal ein Geschenk dabei.

Bundestagspräsident: Die Kanzlerin braucht keine Geschenke.

Stimme aus dem Wald: Und Politiker brauchen auch keine Geschenke. Weder, dass man ihnen welche macht, denn sie machen sie sich selber, noch auch dass sie welche zu machen brauchten; sie begnügen sich mit Versprechungen vor den Wahlen.

Bundestagspräsident: Aber wir dürfen doch bitten.

Dritter: Wer ist der Nestbeschmutzer da? Kann er nicht endlich still sein?

Kicherhahn: Ein Schalk. Nichts weiter. Schauen wir nicht hin!

Vierter: Nun sagen Sie uns aber, was das bedeutet, dieses Haus?

Bundestagspräsident: Das ist als eine Überraschung gedacht. Und zwar für alle, die zu uns nach Deutschland kommen. Einerlei, ob es sich um Asylanten oder Einwanderer handelt, um Flüchtlinge jeder Art und jeder Sprache. Aber auch für die Leute vom Komitee für den Friedensnobelpreis. - Alle Völker mögen es sehen und als einen kleinen Eindruck erleben, wie es früher bei uns war, zur Zeit des Mittelalters und wie sich die Zeiten bei uns geändert haben. - Wenn da einer nichts mehr hatte, wenn er bitterarm war, etwa als armer Köhler oder als arbeitsloser Holzhacker, und wenn er dann seine Kinder nicht mehr ernähren konnte, zumal in den kalten Wintertagen: dann schickte er sie in seiner Not hinaus und hinweg. Und dann verirrten sie sich; ja dann nahm eine bitterböse Geschichte ihren Anfang, die dann aber vor einem solchen Häuschen ihr seliges Ende fand.

Vierter: Das ist dann wie in Amerika, wo man nostalgische Gefühle aufwärmt, wenn man etwas von den Indianern zeigt aus der guten alten Zeit.

Fünfter: Da sehen dann die Immigranten, wie das Urvolk einst in den Wäldern Germaniens hauste.

Vierter: Dann müsste aber noch ein kleiner Kirchturm dabei sein, mit Glocken und Kreuz aus dem 30-jährigen Krieg.

Dritter: Dass sie dann nur nicht von der bösen Hexe erfahren und von Hänsel und Gretel, die hierher kamen und aufgefressen werden sollten. Das wäre ein böser Spaß.

Alvarez: Ah, aber da kommen sie ja!

Einige: Wer denn?

Alvarez: Meine lieben Freunde von der Linken, die sich uns zum Empfang als Engel verkleidet haben! Seid uns willkommen.

Parteigenossen:

Gesegnet sei der Freudentag,

den ein jeder heute genießen mag.

Denn wir voller Kraft und voller Visionen,

rufen die Geschwister, die fernsten Nationen!

Stimme aus dem Wald: Sie werden schon kommen. Doch passt nur auf, dass es nicht zu viele werden! Und dass sie ihre Freude an euch haben.

2. Abschnitt: Eigenlob der demokratischen Parteien bei Glühwein vor dem Hexenhaus

(Man nimmt vor dem Hexenhaus Platz.)

Bundestagspräsident: Nehmen wir Platz und vertreiben wir uns die Zeit, bis die Kanzlerin da ist. Lang kann es nicht mehr dauern.

Alvarez: Eigentlich ist es ja eine Unart, dass sie uns warten lässt; doch wollen wir ihr verzeihen, wo sie uns alles aufs Beste gerichtet hat. Hier ist es schön warm. Und für Glühwein hat sie obendrein auch noch gesorgt, damit niemand frieren muss. Ja liebe Leute, was ein echter und rechter Demokrat ist, die Damen eingeschlossen, der weiß, was sich gehört.

Dritter: Und wenn er den Steuerzahler auch eine Menge Geld kostet, er ist sein Geld wert.

Stimme aus dem Wald: Oder hat etwa jemand etwas dagegen einzuwenden?

Eine Dame des Bundestags: Ein Schuft, wer nicht in jedem Menschen die Würde des Menschen ehrt. Man muss nämlich wissen, dass wir uns alle ungemein verwenden für das Gemeine Wesen, vor allem dass endlich Schluss ist mit den Gemeinheiten in unserem Gemeinen Staatswesen. So wie wir eine fröhliche Gemeinschaft bilden, so sollen es alle in unserem Staat tun, die Uralten und Eingesessenen und die Neulinge und Neuangekommenen.

Stimme aus dem Wald: Haben wir recht gehört?

Dritter: Jawohl. Um den Wohlstand in unserem Land zu sichern, brauchen wir noch eine Menge hochqualifizierter Arbeitskräfte.

Stimme aus dem Wald: Dabei haben wir Universitäten und Hochschulen wie Sand am Meer.

Kicherhahn: Und dass nur niemand meint, wir ließen es da in irgendeinem Punkt zu wünschen übrig, so wär jetzt wohl ein lustiges Lied am Platz. Weiß keiner von euch ein Lied, das uns in Schwung bringt?

Bundestagspräsident: Im Zweifelsfall bleibt uns noch immer unser neues Deutschlandlied. Auf, singen wir es, lassen wir es hören!

Alle: (sie singen)

Wir sind das reichste Land der Welt,

haben vollgestopft unsere Taschen mit Geld,

der Ärmste von uns ist wohlversorgt,

weil er nichts leihen muss und nichts borgt.

 

Heißa, wie ist das Geld zu Haus

bei uns zu Affentanz und Schmaus

ein jeder dreht sich, wie er kann

im Kreis herum als Hampelmann.

 

Wie gerne schützen wir die Brut

Des Geldes, denn geht's ihr nur gut

Und ruhn beisammen die Gelderchen,

so werden sie auch schon Elterchen.

 

Unser Staat wie einst in Babylon,

Den großen Turm, den kennt ihr schon,

erhebt sich schwindelnd in die Höh

hoch droben ich nirgends einen Schlucker seh.

 

Das ist die Magna Charta; dran halten wir fest

Am Boden nur klebt Bodenrest.

Doch hebst den Blick du weiter nach droben,

schwebst du der Erde enthoben,

 

siehst nur mehr noch die Frommen und Reinen,

versammelt in heiligen Gemeinen,

Ja, dort beginnt des Geldes Adel,

der ehrenwert, fern allem Tadel.

 

Wie widmen sie doch ihre Kräfte,

aus allem machen sie Geschäfte,

und können ohne sich zu genieren,

den Teufel hinters Licht noch führen.

 

Doch auch der Tölpel ist willkommen,

er wird gezählt unter die frommen

Schafherden in der Christenheit,

die weiden im Talgrund weit und breit.

 

Ihr lieben Leutchen auf der Welt,

kommt her, wenn es euch wohlgefällt,

gebt uns die Stimme, das ist fein

wir wollen eure Kanzler sein!

Stimme aus dem Wald: Bravo, bravo! Oder hat jemand etwas dagegen vorzubringen?

Bundestagspräsident: Kümmern wir uns nicht um diese Leute von vorvorgestern! Zurückgebliebene und Hinterwäldler sind es, die der außerparlamentarischen Opposition angehören.

Erster: Wenn es gut geht, sind es Sudetendeutsche mit Heimatnostalgien, die sie uns schon seit 60 Jahre in die Ohren singen, die kein Mensch mehr verstehen kann. Selbst die Christdemokraten haben inzwischen ihr Geheule satt. Wenn es aber nicht gut geht, so sind es die Brandstifter von Morgen. Leute, denen es einerlei ist, selbst wenn es bei uns zum Bürgerkrieg kommt.

Zweiter: Wenn ich Recht gesehen habe, sind das Leute aus der früheren DDR. Vermutlich haben sie sich die Wiedervereinigung anders vorgestellt. 50 Jahre, so sagen sie, hätten sie darauf gewartet, und nun sei nur alles noch schlimmer geworden. Damals wären sie zumindest noch als ein Volk zusammengestanden.

Dritter: Alles begann vermutlich, als sie sahen, wie viele der Stasispitzel von gestern schon wieder ganz droben am Staatsruder Platz nahmen.

Stimme aus dem Wald: Es ist schlimm, wenn sich der Deutsche als Deutscher in den Wäldern verstecken muss, um seine eigene Identität zu finden.

Erster: Aber guter Freund. In Ost- und in Westdeutschland war das nach dem Hitler-Regime nicht anders. Erhebe dich gegen die Weltordnung, wenn du es vermagst.

Vierter: Jawohl, Freund, unanfechtbar frei bist du nie. Nur in dem Maß erlangst du Freiheit, als du mit deiner Arbeit vorankommst und du mit dir zufrieden bist; wozu freilich wesentlich hinzugehört, dass dich die Regierenden in Ruhe lassen. Aber die Regierenden tun dir doch nichts.

Dritter: Umsonst hast du geantwortet. Sie haben sich schon wieder zurückgezogen.

Erster: Sie brauchen kein Gespräch. Ihnen genügt, Protest zu artikulieren.

Bundestagspräsident: Jawohl, meine Damen und Herren, diese Leute von der Waldpartei können nichts anderes, als undiszipliniert dazwischen zu rufen.

Erster: Vielleicht schmeicheln sie sich auch schon damit, in zwei Jahren anno 2017 als die neuen Protestanten entdeckt und gefeiert zu werden. Dresden und Wittenberg gehören schließlich zu Sachsen.

Bundestagspräsident: Das wäre nicht gut. - Kommt heraus und setzt euch zu uns an den Tisch, damit wir uns in Ruhe austauschen können!

Erster: Das wäre nicht gut. Mit diesen Leuten sollten wir nichts zu tun haben.

Erste Frau: Ist denn nicht das Gespräch das Mittel, das uns als höchstes Gut des Menschen zuteil geworden?

Erster: Du rufst sie vergebens. Danach tragen sie kein Verlangen.

Dritter: Mögen sie bleiben, wo sie sind! Trinken wir! Prost! Und lassen wir uns unsere Laune nicht verderben.

Zweite Frau: Ein Politiker muss immer auf etwas Störendes gefasst sein. Jawohl, Störendes darf uns nicht stören.

Bundestagspräsident: Oft sind es noch nicht einmal unsere Feinde, die uns zu Fall bringen, und auch nicht unsere sogenannten Freunde, die darauf warten, uns zu beerben. Oft sind wir es selber, die parteiisch gesinnt, einer den anderen zu Fall bringen. Ja selbst aus Ungeschicklichkeit kommt da mancher zu Fall.

Erster: Du denkst an die freien Akrobaten, ich meine die Freien Demokraten?

Bundestagspräsident: So ist es. Über 50 Jahre waren sie das Zünglein an der Waage, für manchen unerträglich, wie sie die Politik mitbestimmten. Nun aber, neben unserer Kanzlerin, ja an ihrer Seite, sind sie hops gegangen, weil sie es verschlafen haben, sich etwas Spitziges zur Freiheit auszudenken. Dabei war das Thema der Freiheit, mit Verlaub gesagt, kaum je so spannend wie heute, wo keiner weiß, wie ein wirklich freies Europa auszusehen hat. Denn nur immer der Industrie und dem freien Unternehmertum das Wort zu reden und in einem jeden einen potentiellen Mann der Tat zu sehen, der skrupellos und eiskalt über die Weltbühne stapft und sich Gelder zusammen ratscht, das genügt nicht, um die Herzen Europas für sich zu gewinnen. Was ein echter Wahlfänger ist, der sollte sich noch auf andere Register verstehen.

Zweite Frau: Immerhin soll nun unsere Alte den Preis für ihre lange Friedensherrschaft bekommen.

Erste Frau: Ein Gutes hat die Kanzlerin jedenfalls an sich: dass sie nicht bestechlich ist und nicht so geldgierig wie ihr Männer. Wohin man schaut: Männer sind fast alle geldgierig. Seit dem Odysseus, dem beutegierigen Schuft aus Griechenland, sind sie so; und waren so vermutlich schon immer. Und wo man sich heute auch umschaut: überall gieren die Männer nach Geld. Deshalb wollen sie auch keine Quotenregelung in den Aufsichts- und Vorstandsgremien. Nicht weil es den Frauen an Weitblick und Einsicht fehlte, sondern weil man ihnen nicht traut, dass sie bei allen den unlauteren Bereicherungen mitmachen und dichthalten.

Zweite Frau: Ja, da hat sie Recht:

Zweiter Herr: Meine Damen, ereifern wir uns nicht und streiten wir uns jetzt nicht über Dinge, die wir noch regeln müssen. Genießen wir lieber die Gunst der Stunde, die keinem von uns verwehrt bleiben mag!

Vierter Herr: Und wenn es zur Preisverleihung kommt, so gilt der Preis ja auch uns. Oder haben wir nicht Tolles geleistet?

Stimme aus dem Wald: O Schiller! Dichter der Freiheit. Was sagst du dazu, dass man an den Wald deiner Räuber die Axt gelegt hat?

Bundestagspräsident: Lassen wir uns leiten vom Geist der Einigkeit und den anwesenden Herrn und Damen sagen, was wir wert sind. Was auch wäre ein Mann, was eine moderne Frau, wenn sie nicht wüssten, was sie wert sind? Wer nicht weiß, was er wert ist, der ist nichts wert. Wenn einer von uns immer erst einen anderen befragen müsste, was er zu tun hat oder zu sagen? Restlos steht ein jeder von uns hinter sich. Und das tut auch Not, wo wir als Gesetzgeber in einem Rechtsstaat dafür zu sorgen haben, dass Freiheit und Gleichheit und Brüderlichkeit gedeihen.

Stimme: An die Gleichheit hat sich noch nie jemand gehalten, den nach Macht verlangte.

Bundestagspräsident: Wenn einer Männer und Frauen von Verdienst sehen will, so achte er nicht auf kleinere Pannen und Unstimmigkeiten, die nun mal zu unserem Erbteil gehören, sondern auf den Mut, mit dem wir schon so viele Krisen durchstanden und zu einem guten Ende geführt haben!

Erster: Nehmen wir doch nur einmal die Architektur des neuen, vereinigten Deutschland! Die Integration von West und Ost.

Zweiter: Item der Soli, auch wenn wir ihn nun zu anderen Zwecken gebrauchen.

Dritter: Item die doppelte Staatsbürgerschaft, vor allem für unsere vielen Türken.

Vierter: Item unsere vorbildliche Asylanten- und Fremdenpolitik.

Fünfter: Item die Freiheit der Meinungsäußerungen, der Berichterstattung der Presse, der Medien und der Kunst, wie auch die Freiheit der Ausübung sämtlicher bekannter wie auch unbekannter Religionen.

Sechster: Item der Mindestlohn für alle.

Erste Frau: Item das Recht eines jeden Kindes auf einen Platz im Kindergarten.

Erster: Oder nehmen wir die Neuordnung Europas. Da hätten wir zu nennen den Beginn des Aufbaus einer friedfertigen Welt! Man denke nur an das ehemalige Jugoslawien, das wir aus einem schrecklichen Bürger- und Religionskrieg erlöst haben.

Zweiter: Und wenn vielleicht auch nicht alles optimal gelaufen ist und die Serben manches verloren haben, so waren wir doch Willens, unser Bestes dazu zu geben.

Dritter: Jedenfalls haben wir nicht Rache geübt wegen Sarajewo und dem Ausbruch des ersten Weltkriegs vor 100 Jahren.

Vierter: Selbst den Euro dürfen wir hier als eine Tat von uns nennen. Denn wenn er uns auch manches Problem und manches Kopfzerbrechen bereitet hat, so hat er sich als Mittel zur europäischen Integration vortrefflich erwiesen.

Erster: Ja, meine Herren, bleiben Sie nur versteckt im Wald und üben Sie sich in Schweigen! Ihre Argumente kennen wir. Und wenn es Kritisches anzumerken gilt, so tun wir es schon selber.

Zweite Frau: Jedenfalls stimmt es nicht, dass wir die Bürger hinters Licht geführt hätten. Oder dass wir bewusst und vorsätzlich gelogen hätten. Nur das Gute wollten wir alle. Und wenn wir uns jetzt gleichwohl im Nachhinein eine gewisse Unwissenheit attestieren, so tun wir es nur kraft unserer demokratischen Freiheit.

Erste Stimme aus dem Wald: (am besten tritt hierbei der Sprecher aus dem Wald) Sie missverstehen unsere Höflichkeit, meine Herren! Denn nur aus Höflichkeit haben wir geschwiegen. Doch wenn Sie auf unsere Antwort Wert legen, so hören Sie zu, was wir auf die doppelte Staatsbürgerschaft und auf die Einführung des Euro zu sagen haben.

Zweite Stimme aus dem Wald: Wie jedermann aus dem Ausland herzlich bei uns willkommen ist, der uns mit seinem Kommen zugleich auch mit seiner Kultur bereichert, so ist es selbstverständlich auch der Türke. Nur verwechsle man nicht den Menschen mit den Machthabern seines Landes. Dass der türkische Ministerpräsident vor jeder Wahl in der Türkei nach Deutschland auf Wahltournee kommt, halten wir nicht für gut, und zwar für beide Seiten, auch nicht als einen ersten Schritt zum Beitritt in die EU. Fehlt nur noch die türkische Partei Deutschlands. Man stelle sich vor, wenn alle aus England stammenden Amerikaner Wahlrecht in England hätten! Englands Freiheit wäre dahin! Überhaupt müsste dann jeder Migrant ein doppeltes Wahlrecht bekommen und so gäbe es dann kein Ende der ein- und ausreisenden Monarchen bei uns.

Dritte Stimme aus dem Wald: Sodann wäre da dieser verfluchte Euro. Dieses Geldkorsett, das die Freiheit mehr bedroht als sämtliche Terroristen. Denn darauf läuft ja der Währungsverbund hinaus. Oder fühlt man sich nicht eingesperrt in diesem Währungsverbund, zumal wenn man immer wieder kontrolliert wird von diesen verhassten Geldgebern, zu denen auch deutsche Herrschaften zählen! Dabei hat man in Griechenland herausgefunden, dass noch 160 Milliarden Euro an Kriegsschulden ausstehen aus dem zweiten Weltkrieg. Am besten sollte sich wohl auch die Türkei auf Reparationskosten gefasst machen, als Nachfolgestaat des Xerxes aus den Perserkriegen.

Einer: Das waren die Kommunisten.

Ein Zweiter: Jetzt kann ja der Alvarez zeigen, was ihm die Solidarität bedeutet!

Ein Dritter: Aber bitte nicht mit unseren Steuern! Sonst bekommt er die Quittung bei der nächsten Wahl.

Alvarez: Glaubt nur nicht, dass ich nichts von Klugheit verstünde.

Ein Vierter: Meint er jene Klugheit, die sich hinter der Feigheit versteckt?

Bundestagspräsident: Meine Damen und Herren! Ich sage es noch einmal! Streiten wir uns nicht! Lassen wir uns lieber vom Geist der Einigkeit leiten!

Dritte Stimme aus dem Wald: Jetzt also gibt es ihn wieder, den hässlichen Deutschen, den Nachkommen der Nazi-Deutschen, der überall glaubt, Aufsicht führen zu müssen.

Viele Stimmen aus dem Wald: Wie lange noch wird es währen, dass wir die Luft anhalten müssen bei jeder Wahl in Europa?

Dritte Stimme aus dem Wald: Darum sagen wir, weg mit dem Euro. Auf, zu einem Leben in einem vereinigten Europa, wo jeder sein Haushaltskässchen für sich hat, und wo man allerorten eine jede Wahl fröhlich abwarten kann.

Bundestagspräsident: Dass nur keiner glaubt, uns vorwerfen zu dürfen, wir könnten uns nicht kritisch mit unserer Arbeit auseinandersetzen. Wir leugnen ja nicht, dass wir den Leuten damals, bei der Einführung der gemeinsamen Währung, viele schöne Sachen erzählt haben. Und dass wir nicht bedacht haben, dass Geld zum Besitz zählt, um das man sich die Köpfe einschlägt. Aurea sacra fames. Immerhin waren es die Wünsche unserer Nachbarn, die wir damals nicht abschlagen konnten. Wer auch artikuliert nicht gerne einmal seine geheimen Wünsche! Worin wir gefehlt haben, das war das, worin wir Demokraten alle immer wieder fehlgehen, ja fehlgehen müssen: dass wir so tun, als wüssten wir aufs Beste Bescheid. Denn wie anders können wir die Massen gewinnen, als dass wir auch dort Kompetenz zeigen, wo wir keine besitzen!

Erste Stimme aus dem Wald: Und damit dieses Fehlgehen nicht fehlgehen konnte, musste man tunlichst jede Volksbefragung vermeiden.

Zweite Stimme aus dem Wald: In der Tat ist es ein Kennzeichen deutscher Außenpolitik nach dem 2. Weltkrieg, dass Deutschland so gut es ging und wann immer es konnte, sich seinen Nachbarn anzupassen und gefällig zu erweisen versuchte. Als man im Ausland um eine einheitliche europäische Währung warb, zeigte man sich in Deutschland gefällig. Wer etwas anderes vertreten hätte, den hätte man als alten Nazi verschrien. Dass aber keiner eine Ahnung hatte, was draus werden sollte, ja dass man selbst vergessen hatte, was doch jedes Kind weiß, dass man um nichts so erbittert kämpft wie um das liebe Geld, war nur allzu bald schon offenbar. Oder wo waren da die Fachleute in unserer Presse, als kurze Zeit danach zu hören war, dass wir in Deutschland wegen Nicht-Einhaltung der Maastricht-Kriterien Strafen zahlen müssten! Wie verrückt. Als ob man den Habenichts auch noch bestrafen und ihm etwas wegnehmen könnte, wenn er nichts mehr hat.

Bundestagspräsident: Warum sollen wir das alles nicht zugeben?

Dritte Stimme aus dem Wald: Ein paar Jahre danach, wir sagen es frank und frei, entpuppten sich dann ganz andere Länder, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht hatten. Statt die nun aber zu bestrafen, wurde ihnen mit Milliardenspritzen geholfen.

Bundestagspräsident: War das nicht so, wie es unter Brüdern sein muss?

Erste Stimme aus dem Wald: Keiner von uns hat etwas dagegen. Wir sagen das nur, um zu zeigen, dass die Dinge ganz ohne das Wissen unsrer Politiker ihren Gang genommen haben, ganz im Interesse der globalen Finanzmärkte. Und wenn die europäische Notenbank jetzt auch noch faule Papiere aufkaufen will, so bedarf es kaum des Verstandes eines Grundschulkinds, um zu begreifen, was daraus entsteht. Bänker, so hallte es wider durch unsere Länder und Städte, Bänker habt Acht, wie man jetzt durch Schuldenmachen verdienen kann. Blind muss der sein, der nicht erkennt, dass hier bereits die Anleitung zum eigenständig vorzunehmenden Schuldenschnitt skizziert ist. Oder hat man sich nicht eben erst entschieden, Noten drucken zu lassen, Massen über Massen! Was für eine dragische Entscheidung! Selbst das Bundesverfassungsgericht hat wieder einmal tief geschlafen. Doch was regen wir uns auf, wenn man tüchtig am Wohl der armen Bänker arbeitet? Nicht einmal die Linken stört es beim Schlafen. Alles ist doch aufs Schönste geregelt. Die breite Bevölkerung, das sind etwa 80%, die kein Geld sparen kann, weil sie keines überflüssig hat, merkt nicht viel davon, jedenfalls solange die Preise stabil bleiben. Die breite Bevölkerung wird durch den Verfall des Geldes nur dazu animiert, weiter fleißig Geld auszugeben und in Umlauf zu halten. Vornehmlich jene alte, in unserem Land gehegte Tugend, sich einen Notgroschen zu ersparen, gehört längst zum Märchenstoff. Gib dein Geld nur ja rasch aus! Das ist die Devise von Heute. Und was in 10 Jahren der Fall ist, weiß ja ohnehin niemand. - Nur der Reiche, der es noch nicht geschafft hat, mit Adlers Fittichen über seiner eigenen Bank zu schweben, ist in einer beklemmenden Lage. Geld sparen, das ist es eben, was er nicht darf. Zinsen bekommt er keine. Im blauen Strumpf, der wie ein Fass ist ohne Boden, verfault ihm das Geld. Er muss es also anlegen. Das aber heißt, dass er es in die Wirtschaft stecken muss, wo es ihm auch verrecken kann. Arbeitet sich der Reiche unter Tag dusselig, indem er sich Geldhaufen anlegt, so kann er seine schlaflosen Nächte damit zubringen, sich Gedanken zu machen, wie er diese Haufen beisammen hält. - Und wenn uns noch eine Summe zu ziehen gestattet ist, so zieht jetzt nur die Konsequenz, macht einen Schuldenschnitt und bezahlt die Milliarden für eure in Not befindlichen Freunde!

3. Abschnitt: Peschmerga und Ukrainer bitten um Hilfe

(Drei Peschmerga kommen über den für die Kanzlerin und die Festgesellschaft ausgelegten roten Teppich und bitten um Hilfe)

Einer: Gebt Acht, da kommt die Festgesellschaft mit der Kanzlerin.

Andere: Wir sehen nichts.

Der Eine: Aber wir hören sie schon. Sie kommen aus dem Wald.

Andere: Das sind andere Leute.

Ein Zweiter: Dass wir uns immer die Schwingen zerrupfen müssen!

Ein Dritter: Ja, warten wir ab, wer kommt!

Stimmen aus dem Wald: Seht euch nur vor, dass euch kein Räuber aus dem Wald überfällt! - Kein Robin Hood und kein Roque Guinart oder ein Rinaldo Rinaldini!

Bundestagspräsident: Wer seid ihr und wo kommt ihr her?

1. Kurde: Nur keine Angst. Wir tun euch nichts.

Einer: Das haben schon viele gesagt. Und dann haben sie in einem wehrlosen Augenblick das Messer gezückt und einen umgebracht.

Alvarez: Sie, Herr Kollege, hat er aber noch nicht umgebracht.

2. Kurde: Wir sind Pazifisten, meine Herren, und haben uns im Wald verirrt.

Bundestagspräsident: Wie kann man sich hier verirren, wo der rote Festtags-Teppich ausgebreitet ist?

3. Kurde: Wir zauderten, weil wir nicht wagten, Sie zu erschrecken.

Bundestagspräsident: Dann sagen Sie uns, wer Sie sind und was Sie zu uns führt!

1. Kurde: Meine Damen und Herren! Wir sind Peschmerga-Kämpfer und kommen in der allerfriedfertigsten Absicht von der Welt. Wir haben nach der alten Kanzlerin gesucht; haben sie aber leider nicht gefunden.

Bundestagspräsident: Legen Sie bitte die Gewehre beiseite.

Alle drei Kurden: Herzlich gerne!

1. Kurde: Wir kommen aus Kobane. Den Namen haben Sie doch schon gehört, von dieser Ortschaft an der türkisch-syrischen Grenze. Und dass niemand uns wohlwill, weder die Türken, noch das Asad-System in Syrien, noch die verschiedensten islamischen Parteien im Irak, am allerwenigsten aber der selbsternannte Islamische Staat. An Gemeinheit und Grausamkeit gibt es wohl nichts Schlimmeres, was jemals auf Erden geatmet hat. Gegen unser Kobane nun hat er seine blutrünstigen Augen gerichtet. Gegen unser Kobane allen Menschenrechten zum Trotz die Hand erhoben mit mörderischen Waffen. Gegen unser Kobane das Werk der ethnischen Vernichtung, des Genozids, eingeleitet. Da haben wir gehört, wie man in Deutschland ruft "Nie mehr eine ethnische Ausrottung!", und so sind wir hergeeilt, euch unsere Not zu klagen. Heil euch, die ihr uns helfen könnt! Heil eurer Kanzlerin, der Kanzlerin des Friedens. Heil Deutschland, das allen Völkern die Hand reicht, die Gefahr laufen, ausgerottet zu werden. Jawohl, was uns angeht, so sind wir gekommen, uns der Kanzlerin zu Füßen zu werfen, mit der Bitte, uns mit Waffen auszustaffieren. Denn damit Weltfrieden Wirklichkeit werden kann, muss erst dieses unmenschlichste aller Regime vom Erdboden vertilgt sein.

Bundestagspräsident: Wir hören mit Interesse, was Sie da sagen und haben nicht wenig Verständnis für Ihre Lage. Gleichwohl wird nicht leicht sein, Ihren Wunsch zu erfüllen. Schließlich gehört Kobane in ein Krisengebiet. Und in Krisengebiete dürfen wir keine Waffen liefern.

1. Kurde: Meine Damen und Herren! Mögen die Uhren hier, bei Ihnen auch anders gehen als anderswo, wir brauchen dringend Waffen. Hilft man uns nicht mit Waffen, so ist es mit dem Weltfrieden für lange Zeit vorbei.

2. Kurde: Hätten wir Geld, so hätten wir uns schon Waffen besorgt. Denn hast du nur Geld, so fehlt es dir nicht an Waffenlieferanten. Hast du aber kein Geld, so gibt dir auch keiner Waffen und wenn du der friedlichste Bewohner des Weltalls wärst und für die gerechteste Sache zu streiten gedächtest.

3. Kurde: Da nun haben wir gedacht, Deutschland ist doch ein ebenso gutes und einsichtsvolles, wie reiches und freigebiges Land.

Erster: Wie gesagt, wir sind Pazifisten.

Zweiter: Wir arbeiten darauf hin, alles Kriegsgerät in Pflugscharen umzuwandeln.

1. Kurde: In einem goldenen Zeitalter mag das gut und schön sein. Nicht aber in Zeiten wie heute. Glauben Sie nur. Wir wären auch gerne Pazifisten und lebten in einem friedlichen Kurdistan unter friedliebenden Völkern. Nur aber hat uns das Schicksal seit dreitausend Jahren dieses Glück hartnäckig verwehrt.

Eine Abgeordnete der Naturpartei: Auch wenn ihr viel Geld bei euch hättet, dürften wir euch keine Waffen ausliefern. So verlangen es die Gesetze unseres Staates.

1. Kurde: Wären das Gesetze der Natur oder Gesetze aus der Hand eines friedliebenden Gottes, so dürftet ihr schon. Aber es sind doch Gesetze, die ihr selber aus allerlei Gesichtspunkten zusammengestellt habt. So rufen wir Ihnen zu "Revidieren Sie ihre Gesichtspunkte und schaffen Sie Gesetze, die es wert sind, zum Zweck eines Weltfriedens Beifall zu erhalten. Wenn Sie heute ein neues Gesetz verabschieden, haben wir Morgen Waffen und übermorgen schon können Sie das Geld für die Waffen bekommen."

Eine weitere Abgeordnete: Aber Sie haben doch schon Waffen.

1. Kurde: Diese dilettantischen Gewehrlein da? Darüber müssen Sie doch wohl selber lachen. (sie heben sie auf und richten sie auf die Frau)

die Abgeordnete: Hilf Himmel, hilf!

Bundestagspräsident: Die Hände weg. Wir warnen Sie.

1. Kurde: Meine Damen und Herren, was reagieren Sie so hochempfindlich! Die schießen ja noch nicht einmal einen Spatz vom Nachbarsdach. Wo sind wir denn, dass Sie uns so wenig verstehen?

Bundestagspräsident: Darüber müssen wir nicht lachen.

2. Kurde: Wenn Sie jemand erschießt, so sind das andere Leute.

Bundestagspräsident: Nehmen Sie zur Kenntnis, dass es bei uns keine Waffen gibt!

3. Kurde: Weil er sich ein Späßchen erlaubt hat?

Erste Abgeordnete der Naturpartei: Weil wir die einmal gefassten Beschlüsse respektieren!

1. Kurde: So hätten Sie den Mut, uns Arme der Vernichtung preiszugeben?

2. Kurde: Die Reichen kümmert das nicht. Verkauft man ihnen keine Waffen, so gehen sie zum nächsten. Immer nur die Armen sind es, die es trifft.

1. Kurde: Ist das Ihr letztes Wort?

Bundestagspräsident: Jawohl.

3. Kurde: So warten Sie ab, meine Damen und Herren. Schneller als Sie vermuten, kommt der Tag, wo man auch auf Sie schießt. Hat man Sie aber erst erschossen, so haben Sie keine Möglichkeit mehr, sich anders zu bedenken.

Erster: Setzen Sie sich zu uns und trinken Sie mit uns ein Glas Glühwein. Wer weiß, wenn Sie Glück haben und die Alte kommt und Sie treffen sie in einer Geberlaune, vielleicht, dass sie eine Ausnahme macht.

Zweiter: Keine Regel ohne Ausnahme.

1. Kurde: Wir danken für das Angebot, uns zu ehrenvollen Leuten zu setzen, die uns Waffen vorenthalten.

2. Kurde: Lieber wollen wir sterben.

1. Kurde: Kameraden, auf, lasst uns gehen! (die drei Peschmerga ab)

Bundestagspräsident: Da gehen sie wieder. Es ist zwar schade, dass wir ihnen nicht helfen konnten, doch Ordnung muss sein.

Eine Abgeordnete der Naturpartei: Einen kleinen Putzer haben sie schon verdient. Auf eine Abgeordnete des deutschen Bundestages das Gewehr zu richten!

Alle: Jawohl, ohne Ordnung gedeiht kein Staatswesen. Ohne Ordnung wüsste auch keiner, woran er ist. Was er darf und was er nicht darf.

Stimme aus dem Wald: Was man darf, das wissen sie alle.

Erste Frau: Was war das schon wieder?

Zweite Frau: Nur wieder einer aus der außerparlamentarischen Opposition.

Erster: Still doch, da kommen noch ein paar!

(3 Soldaten aus der Ukraine kommen)

1. Ukrainer: Wir sind Ukrainer. Wir brauchen Waffen.

Eine Abgeordnete der Naturpartei: Schon wieder ein Waffennarr. Hört das denn nie auf?

1. Ukrainer: Nachdem man uns schon unsere Krim gestohlen hat, ist man nun dabei, uns die wirtschaftlichen Zentren der Ostukraine wegzunehmen. Wie einst Hitler Gebiete im Osten dem Reich eingegliedert hat, nach der Devise, wo ein einziger Deutscher lebt, da ist Deutschland, so ist der Russe dabei, uns unser Land wegzunehmen.

2. Ukrainer: Selbst für Mariupol haben sie schon Belagerungspläne entworfen.

1. Ukrainer: Kann man den hässlichen Winter schöner und schneller verbringen, so sagen sie, als dass man Krieg führt, so dass man im Frühjahr sagen kann, all das schöne Land gehört uns?

3. Ukrainer: Dabei ist Mariupol eine Stadt, die ausschließlich von Ukrainern bewohnt wird und deren Gründung bis auf die alten Griechen zurückgeht.

2. Ukrainer: Für den Tag der Eingliederung ins russische Reich hat man schon Einladungskärtchen gedruckt an die Freunde in aller Welt.

Bundestagspräsident: Meine Herren! Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig, so heißt es bei uns in unserer Spruchweisheit. Darum seien Sie bitte nicht unwillig, wenn wir Ihnen nicht behilflich sein können. Auch unsre Kanzlerin hat sich eindeutig und definitiv gegen Waffenlieferungen entschieden, um die diplomatischen Möglichkeiten nicht zu gefährden.

Einer: Mit militärischen Mitteln ist der Konflikt nicht zu lösen.

1. Ukrainer: Für Sie nicht, meine Herren. Wohl aber für andere!

2. Ukrainer: O meine Herren! Warum halten Sie hinter dem Berg? Warum sagen Sie nicht die Wahrheit, die reine Wahrheit und nichts als die reine Wahrheit?

Bundestagspräsident: Und die wäre?

1. Ukrainer: Dass Sie Angst haben, meine Damen und Herren! Dass Sie sich in der Abwägung der Ihnen freistehenden Handlungen lieber mit dem kleineren Übel abfinden, als sich zum Guten zu bekennen, das ist doch die Wahrheit. Ist der Weg zum Guten mit Risiken behaftet, so zieht man es vor, sich mit kleinen Übeln abzufinden. Ein solches aber ist es, den Osten unseres Vaterlandes kampflos unserem Aggressor zu überlassen, so wie man dem Aggressor schon unsere Krim überlassen hat.

Bundestagspräsident: Wir appellieren an den guten Willen aller Völker.

1. Ukrainer: Die Krim den Russen zu schenken?

Bundestagspräsident: Frieden zu stiften auf Erden.

2. Ukrainer: Das ist doch nur die Angst, unter deren Zeichen Sie Politik machen. Die Angst, die Sie zwingt, uns die Hilfe zu versagen, die Angst, weil Sie die Konsequenzen nicht überschauen, die Angst vor einem dritten Weltkrieg.

3. Ukrainer: Jawohl, Angst und Feigheit sind es, die die Entscheidungen der freien Welt diktieren. Wie aber soll einer noch in Zukunft zum Glauben gelangen, die Menschheit könnte zu einem Weltfrieden gelangen, wenn alles durch die Angst vor der Macht entschieden wird?

2. Ukrainer: Und dann hören wir noch, wie sie der Welt voll Spott und Hohn weißmachen, dass die Krise nicht mit Waffen gelöst werden kann; und während sie Krisendiplomatie betreiben, rollt ein russischer Panzer nach dem andern über die Grenze.

1. Ukrainer: Doch genug geredet. Meine Damen und Herren! Schade, dass wir bei den Falschen Schutz gesucht haben. (alle drei ab)

Bundestagspräsident: Am besten wäre, diese Leute würden sich der Übermacht ergeben.

Zweiter: Vor den Russen kapitulieren, wiewohl nie ein Krieg stattgefunden hat?

Bundestagspräsident: Es wäre das kleinere Übel. Es würde der Bevölkerung viel Leid ersparen.

Einer: Oder der Staat würde sich den Separatisten unterwerfen?

Erste Stimme vom Wald: Was für ein Glastnost!

Zweite Stimme vom Wald: Eine hübsche Friedenspolitik, die damit endet, dass man den Mördern freie Hand lässt.

Erste Frau: Was für eine Belehrung!

Einige: Sind wir deshalb hier zusammen gekommen?

Bundestagspräsident: Verehrte Freunde! Lassen wir alle Grabenkämpfe! Halten wir lieber zusammen! Ja, lasst uns singen! Und mögen auch die Leute vom Wald mit uns singen! Auf dass wir es doch noch lernen, ein einig Volk von Brüdern zu sein.

4. Abschnitt: Das Lied vom Nabel der Welt

(die Waldleute treten vor und singen mit den anderen zusammen)

Vor einiger Zeit. S´ist noch nicht lang her,

da machten in Deutschland uns die Braunen Beschwer,

die da gottlos hausten mit dumpf-deutschem Wesen,

dran sollten die Völker der Erde genesen.

Und das Deutschlandlied tönte aus aller Mund,

bis dann Deutschland ging sang- und klanglos zu Grund.

Dann kamen die Jahre der Nachkriegszeit,

da hatte zum Nachdenken man manche Zeit.

Ja, was soll man da sagen? Nützt es denn, sich zu grämen:

Unabänderliches muss man, wie es kommt, eben nehmen!

 

Als dann aber wieder dort sich befand,

was zerbombt und zerstört, wo es ehemals stand:

die Städte, die Häuser. Über Wiesen und Wald

das Lenzlied der Vöglein wieder schüchtern erschallt,

da regt sich auch wieder nach dem Vaterland Verlangen,

doch man hörte noch den Tyrann und man war befangen.

Heut aber stattdessen in den Ohren es gellt:

Auch in Europa findest du nimmer den Nabel der Welt.

Ja, was soll man da sagen? Nützt es denn, sich zu grämen:

Unabänderliches muss man, wie es kommt, eben nehmen!

 

Und doch! Was soll diese Abwerterei?

Ists geistige Armut, ists infantiles Geschrei?

Ists Demut, ists Vorsicht, ists geziertes Benehmen,

worüber im Urwald sich die Affen selbst schämen?

Werde einer aus diesem Palaver helle!

Oder ruf er doch lieber die Polizei gleich zur Stelle,

damit sie mit Deutschland auch Europa begraben,

dass ungestört sie auffressen die Raben.

Ja, was soll man da sagen? Nützt es denn, sich zu grämen:

Unabänderliches muss man, wie es kommt, eben nehmen!

 

Was auch brauchen wir heute noch Politik,

wenn man nichts mehr weiß von des Daseins Glück,

wenn ein jeder im Urwald-Verdämmerungs-Wahn

vergessen hat, sich als Mensch zu nahn!

Da wünscht von Gotteskriegern man allenfalls

eine derbe Lektion sich auf den Hals,

dass mit Feuer und Schwert in die Ohren es gellt:

Verschwinde, wer nicht zählt zum Nabel der Welt!

Ja, was soll man da sagen? Nützt es denn, sich zu grämen:

Unabänderliches muss man, wie es kommt, eben nehmen!

4. Szene: Die Regierung

1. Abschnitt: Wie die Alte herbeikommt

(Kanzlerin, noch im Wald, zusammen mit Frau Luise, mit Ministern und Ministerinnen und zwei Bischöfen, einem evangelischen und einem katholischen im Gespräch.)

Die Alte: Wie spät ist es?

Frau Luise: 10 Uhr, gnädige Frau.

Die Alte: Wir haben uns etwas verspätet. Wegen der Autogramme, die ich noch den Fußballern aus der Weltmeisterelf geben musste. Im Gegenzug haben sie mir auch versprochen, Werbung für meine Politik zu machen. Sie werden es nicht glauben: aber so junge Männer berühren mich mehr als die schönsten Frauen aus Hollywood.

Minister Schmeichelkuhle: (für sich) Auch älter gewordene Frauen haben noch jugendliche Passionen.

Frau Luise: Überhaupt ist noch Zeit. Das Treffen ist auf 14 Uhr vereinbart. Das ist in einer halben Stunde. Bis dahin haben wir das Kanzleramt längstens erreicht.

Die Alte: Was sagt mein Geograf? Wie weit ist es noch durch den Wald?

Minister der Geografie: Nicht mehr weit. Nach meinen Messungen nur noch knapp einen Kilometer. Und das Wetter wird sich dabei nicht wesentlich ändern.

Minister Schmeichelkuhle: Wünschen Majestät, in ein Tragegerät einzusteigen? In eine Sänfte oder in ein Papamobil? Bei den Päpsten sind solche Geräte sehr beliebt.

Die Alte: Ich habe Ihnen schon mehrere Male gesagt, Minister Schmeichekuhle! Ich bin kein Papst und ich bin keine Päpstin. Und deshalb steige ich weder in ein Papamobil noch in ein Mamamobil ein. Wenn ich mir aber etwas wünschen dürfte, so wäre es dies, dass der verwunschene Wald endlich ein Ende hätte. - Ist das der Spreewald?

Minister der Geografie: Was für ein Wald soll es sonst sein?

Die Alte: (zum Minister der Geografie) Eilen Sie voraus und sehen Sie nach, ob die Abgesandten von Stockholm schon da sind! Dann kommen Sie eilends zurück und bringen mir Nachricht! - Und doch, was für ein Verdacht! Hab ich so wenig hingesehen, wo ich geh und steh? Ich wollte mir ja einmal den südamerikanischen Regenwald ansehen. Aber der ist doch nicht hier.

Ministerin: Nein, der ist nicht hier.

Die Alte: Aber an der Spree sind wir auch nicht.

Ministerin: Vielleicht haben sich die Parlamentarier zum Jahreswechsel einen kleinen Spaß erlaubt.

Die Alte: (zur Ministerin) Heute, wo ich den großen Preis bekomme?

Minister Schmeichelkuhle: Den souveränen Geist erkennt man überall.

Die Alte: Nun gut! Sind erst die Abgesandten da und alle Welt sieht mich bei der Preisverleihung, so ist es mir beinahe einerlei, wo ich mich befinde. Und doch, meine liebe Luise, Ihnen kann ich es ja anvertrauen! Entgegen meiner eigentlichen Natur, die etwas zu Behäbigkeit und Langsamkeit neigt, fühle ich mich heute ziemlich erregt. Vielleicht bin ich deshalb im Hader mit allem.

Ministerin: Das ist ja aber doch kein Wunder; das macht die Erwartung der großen welthistorischen Stunde.

Die Alte: Meinen Sie?

Ministerin: Man wird unsere Kanzlerin auszeichnen, wie noch nie ein Regent ausgezeichnet worden.

Die Alte: Mit Napoleon oder mit Katharina von Russland will ich nicht wetteifern.

Minister Schmeichelkuhle: Ein neuer Typ des Regenten wird durch Sie geboren. Wie man früher große Dichter mit dem Lorbeerkranz gekrönt hat, so wird man ihr den Kranz der Friedensherrschaft aufs Haupt setzen. Und dann wird alle Welt erkennen, dass eine neue Epoche begonnen hat in der Geschichte der Menschheit.

Die Alte: Ist das auch Ihre Meinung, ihr Herren Bischöfe, was da mein Minister Schmeichelkuhle gesagt hat?

Ev. Bischof: Wie können Sie daran zweifeln? Nichts ist offenbarer, als dass es Gottes Wille ist, die ganze Welt mit Ihrer Friedensherrschaft zu segnen.

Kath. Bischof: Deshalb hat er auch noch mit der Ankunft des Jüngsten Tages sich zurückgehalten.

Die Alte: Sagen Sie ihm einen schönen Gruß von mir und dass wir nicht auf den Jüngsten Tag warten. Denn wenn schon meine Friedensherrschaft das Ziel der Schöpfung war, so ist es ja nicht mehr als Recht, dass diese Herrschaft dann auch eine Zeitlang anhält; länger zumindest als der 2. Weltkrieg oder als der 30-jähige Krieg.

Ev. Bischof: (leise zum kath. Bischof) Hätten Sie doch nur die Bemerkung von wegen dem Jüngsten Tag bei sich behalten. So werden wir es nicht schaffen, uns in der Gunst der Kirchensteuer zu erhalten.

2. Abschnitt: Die Mutter Gottes-Szene

(eine Frau eilt herzu, gefolgt von einem Arzt, und stürzt der Kanzlerin zu Füßen)

Die Frau: Mutter Gottes!

Die Alte: Was will sie? Ich bin nicht die Mutter Gottes. (zu den Leibwächtern) Was halten Sie mir nicht die Leute vom Leib? Was hat sie?

Die Frau: Mutter Gottes!

Arzt: Verzeihen, Exzellenz, dass es unseren Pflegern nicht gelungen ist, die Frau einzufangen. Dazu fehlt uns auch die Berechtigung von Seiten des Staates. Was aber die Frau angeht, so wird sie von Wahnvorstellungen heimgesucht. Ein Sohn von ihr ist zum Islam konvertiert und nun, nach einer anstrengenden Vorbereitung nach Syrien gegangen zu den Gotteskriegern und dort vor kurzem gefallen. Die Mutter aber hadert mit Gott, dass er das alles zugelassen und sie allein gelassen hat. Zuerst quälte sie der Gedanke, dass es überhaupt keinen Gott mehr gibt und nun kam noch der Verdacht hinzu, dass der Mensch als Exemplar einer Spezies zur Welt kommt, die noch blutrünstiger ist als die Hyänen und die Dinosaurier.

Die Alte: Die Frau ist also keine Immigrantin?

Arzt: Eine einheimische Deutsche, von Haus aus katholisch, aber mit einer unglücklichen Ehegeschichte. Vermutlich aber auch nicht gut betreut von der Kirche.

Die Alte: Mag doch die Finger von der Ehe lassen, wer dazu nicht geschaffen ist. Das sag ich auch zu Ihnen, Herr Bischof, zumal Sie für die Katholiken zuständig sind.

Kath. Bischof: Liebe Frau, wollen Sie doch begreifen, dass diese Dame hier unsere Kanzlerin ist. Groß geworden ist sie in der ehemaligen DDR.

Ev. Bischof: Gottes Wille aber war es gewesen, dass unsere Kanzlerin das Unrechtsystem hat überleben dürfen.

Kath. Bischof: Nach der Wende hat sie sich den Christdemokraten unter Helmuth Kohl angeschlossen und sich dann gegen den Widerstand einiger Herren stetig und unauffällig nach oben gearbeitet. Und nun ist sie ausgestattet mit einer Machtfülle, die fast schon an die Macht der Katharina der Großen erinnert.

Ev. Bischof: (zu der Frau) An eine Mutter Gottes aber sollten Sie gleichwohl nicht denken. Das liegt unserer Kanzlerin fern, zumal als praktizierender Protestantin. Nein, das will sie beileibe nicht.

Kath. Bischof: Sie hat auch noch nie ein Kind zur Welt gebracht, das den Anspruch erhoben hätte, Gottes Sohn zu sein.

Die Frau: Mutter Gottes!

Ev. Bischof: Nun lassen Sie doch das alberne Gerede! Überhaupt gibt es gar keine Mutter Gottes. Das hat es noch nie gegeben und das wird es nie geben. Das haben unsere Theologen jetzt ganz zweifelsfrei nachgewiesen. Sogar einige Katholiken haben sich der Forschung angeschlossen; das ist sehr wichtig für die Einheit aller Weltreligionen.

Einer: Noch lang, wenn die Queen von England immer nur Päpstin der Anglikaner ist, wird unsere Kanzlerin die erste Päpstin aller Weltreligionen sein.

Die Frau: So kann ich nicht mehr beten: "Mutter Gottes, bitte für uns Sünder"?

Kath. Bischof: Das können Sie schon noch; das verbietet Ihnen keiner. Nur sollten Sie Ihr Gebet nicht an jene Dame richten.

Die Frau: Aber wenn ich bete und es gibt sie nicht mehr?

Ev. Bischof: Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Wenn Sie an die Mutter des Jesus von Nazareth denken, so denken Sie an eine Frau des Volkes, so wie auch Sie eine Frau des Volkes sind. Jede Fernsehansagerin weiß das in der Zwischenzeit. Und jedem, der vom Ausland nach Deutschland kommt und sich über das Christentum erkundigt, wird das gesagt. Jesus war ein großer Gottesmann und wurde, wenn er es auch nicht wollte, zum Stifter einer Weltreligion, aber Gott war er ebenso wenig wie Mohammed. (zum kath. Bischof) Ja, mein lieber Amtsbruder, so muss man punkten!

Die Frau: Wäre nur nie der Islam nach Europa gekommen! Meinen Sohn hat er mir geraubt.

Die Alte: Daran ist doch nicht der Islam schuld.

Die Frau: O doch.

Die Alte: Früher wurde man hier im Westen Edelkommunist und ging zu Grunde, wenn man es nicht schaffte, Professor für Soziologie in Frankfurt zu werden.

Die Frau: Mein Sohn aber wurde Islamist.

Die Alte: Ich fürchte, meine Herren, wir richten hier nichts mehr aus!

Kath. Bischof: Jedenfalls ist es schwierig, Überzeugungsarbeit zu leisten.

Ev. Bischof: Jeden Tag haben wir alle Hände voll zu tun. Da kommen täglich Leute von aller Welt mit den abenteuerlichsten Vorstellungen zu uns. Zum Glück haben wir neben den rührigen Theologen noch die nicht minder rührigen Journalisten, die in beharrlicher Aufopferung mit uns Tag für Tag zeigen, dass sich auch im Christentum alles ganz natürlich zugetragen hat und dass sich mithin auch alle heiligen Schriften ganz natürlich erklären lassen. Wenn das Christentum Jesus verehrt, so verehrt es einen Menschen, der in der Geschichte der Menschheit seinen Platz hat, auch wenn sich jetzt dort, wo er gelebt hat, Palästinenser und Juden totschlagen.

Die Alte: Helfen Sie jetzt wenigstens dem Arzt, dass man das Weib wegbringt. Das geht auf meine Verantwortung.

Die Frau: Man bringt mich weg? Wohin? Komm ich dann in den Himmel?

Bischöfe: Wie sollen wir das wissen?

Alvarez: (beiläufig) In den schönsten Himmel kommt die Frau, den die Bundesrepublik zu vergeben hat. In einen Himmel, wo Pfleger und Ärzte den Engelsdienst versehen. Mit wohlverschließbaren Türen und mit Fenstern, vor denen Gardinen hängen, gegen die die schwedischen Gardinen nichts sind.

Ein anderer: (gleichfalls beiseite) Lieber ins Gefängnis, wenn man ein paar Millionen am Fiskus vorbeigeschoben hat, denn als eine übergeschnappte Mutter in eine Heilanstalt. Für jenen, zumal wenn er ein prominenter ehemaliger Fußballer ist, sorgen selbst Minister, für diese nur ein rüdes und mürrisches Klinikpersonal.

Die Frau: Aber einen Gott gibt es doch noch? Oder ist er auch gestorben? Sagen Sie mir die Wahrheit, ihr Herren Bischöfe!

Kath. Bischof: Credo in unum deum.

Die Frau: O sie lügen. Ich werde eingesperrt. Ich will aber nicht eingesperrt werden.

Ev. Bischof: Wir wollen nur Ihr Bestes, liebe Frau!

Die Frau: Ich will aber nicht, dass Sie mein Bestes wollen!

Die Alte: Liebe Frau, das hätten Sie sich zeitiger überlegen sollen.

(die Frau wird abgeführt, begleitet von den beiden Bischöfen)

3. Abschnitt: Empfang vor dem Hexenhaus und Suche nach den Leuten aus Stockholm

Die Alte: Weg ist sie. Aber wir sind noch immer nicht da. Warum sind wir noch nicht da, Minister Schmeichelkuhle?

Minister Schmeichelkuhle: Wir haben das Ziel gleich erreicht. Vielleicht geruhen, gnädige Frau, sich doch noch in der Sänfte den Rest des Weges tragen zu lassen.

Die Alte: Sollte der Islam schon da sein und wir wären noch immer nicht da? Her denn endlich mit der Sänfte! (sie steigt ein) Und wo ist mein Botschafter?

Frau Luise: Welcher Botschafter?

Die Alte: Nun, mein Geograf, der Minister Guck. Ich hab ihn doch ausgeschickt, Ausschau zu halten nach den Abgesandten von Stockholm und mir umgehend Bescheid zu sagen. Wo steckt der?

Die Minister: Wie können wir das wissen?

Die Alte: Meine Herren, ich warne Sie. So lass ich nicht mit mir umspringen.

Die beiden Bischöfe: Aber wir, gnädige Frau, wir sind schon wieder da.

Ev. Bischof: Und ich darf sagen, wir haben uns Mühe gegeben, die kranke Frau aufs Christlichste unterzubringen. Das kann Ihnen mein katholischer Amtskollege bestätigen.

Kath. Bischof: Freut es Sie denn nicht, dass wir schon wieder da sind?

Die Alte: Da wären mir andere Dinge wichtiger, wenn sie herbeikämen. Vornehmlich mein Minister Guck, wenn er mir mit dem Bundeshaus entgegen käme. Sodann die Leute aus Stockholm, die mir den Nobelpreis bringen. (sie erblickt das Hexenhaus) Aber was ist denn das da? Wohin sind wir denn nun gekommen? Das ist nicht mein Berlin. Das ist kein Bundestag. Das ist ein Hexenhaus. Wohnt da jemand drin? Fallada, sag es mir!

Frau Luise: Der ist doch zur Bahn gegangen und dort ein großes Tier geworden.

Die Alte: Ist wenigstens meine Leibwache da?

Frau Luise: Die ist da.

Die Alte: Kann mir niemand sagen, was da gespielt wird? - Ich bin unzufrieden, gewaltig unzufrieden, wenn ich mich umschaue.

Guck, der Minister der Geografie: Gnädige Frau, wir heißen Sie hier willkommen. Der Bundestag hat sich diese Kulisse für unsere Weihnachtsfeier ausgedacht.

Die Alte: Wer wohnt in diesem Haus?

Guck: Ich habe noch nicht nachgeschaut.

Die Alte: Und Sie, meine Damen und Herren?

Der Bundestagspräsident: Auch wir haben uns bislang nur von der Stille beeindrucken lassen, die aus diesem Haus kommt. Aber wir können nachschauen lassen.

Die Alte: Geben Sie zu, dass man mich ablenken wollte.

Der Bundestagspräsident: Allenfalls im allerbesten Sinn.

Die Alte: Mir ist, als ob kein Gottmensch, sondern ein Tiermensch in dem Käfig da hauste.

Minister Schmeichelkuhle: Seien Sie dessen gewiss, gnädige Frau, dass wir es Ihnen so angenehm wie nur möglich machen.

Die Alte: Frei muss ich sein, wenn die Boten aus Stockholm kommen. - Wo sind die Boten?

Guck: Sie sind noch nicht da, können aber jederzeit kommen, denn alles ist vorbereitet für das große Fest.

Die Alte: Meine Herren, so geht das nicht weiter! - Am Schluss haben sie sich im Wald verirrt. Wo bin ich überhaupt?

Der Bundestagspräsident: Hier sind sämtliche Mitglieder des deutschen Bundestages.

Die Alte: Die sehe ich, auch wenn sie nicht da sind.

Der Bundestagspräsident: Wir alle haben uns Ihnen zu Ehren versammelt.

Die Alte: Das finde ich nicht gut, das ist nicht originell, das ist leichtsinnig, sich so in die Öde locken zu lassen.

Alvarez von der Linken: Gibt sich Zeit und Gelegenheit, so werden auch Sie sich hier wohlfühlen. Noch ehe Sie das erste Glas Glühwein getrunken haben, gehören die Eindrücke eines Märchenwaldes der Vergangenheit an.

Die Alte: Das nützt mir nichts. Von überall aus der weiten Welt erwarte ich Besuch; und da sitz ich dann hier, und kommen kann, wer will, ohne alles diplomatische Protokoll und ohne Respekt!? Meine Leibwache ist überfordert. So geht das nicht.

Alvarez: Sie werden sehen -

Die Alte: Ich will aber nichts sehen! Schwärmen Sie aus! Durchsuchen Sie den Wald nach den Leuten aus Stockholm. Und zwar sämtliche Männer von allen Parteien! (zu Frau Luise) Dann bin ich endlich diese Herrenbande los.

Kicherhahn von der Naturpartei: Das geht zu weit. Nur Ihrer eigenen Partei und den Mitgliedern der Regierung können Sie einen Befehl erteilen, nicht uns. Und schon gar einen Walddurchkämmungs- und -Durchsuchungsbefehl!

Alvarez: Jawohl, so ist das; da müssen wir von der Linkspartei der Naturpartei Recht geben.

Die Alte: Dann sollen alle gehen, bis auf meine Ministerinnen.

Regierungssprecher: Alle Mitglieder der Regierung werden hiermit aufgefordert, den Wald nach den Festgästen aus Stockholm zu durchforsten. Los, los!

Die Betroffenen: Wir eilen ja schon! (ab in den Wald)

Die Alte: Und dass ich es nicht vergesse. Wenn Sie den Wald durchkämmt und niemanden aus Stockholm angetroffen haben, so riegeln Sie den Wald ab, bestellen ein Taxi und lassen mich abholen.

Einige Letzte der Betroffenen: Wird gemacht, gnädige Frau!

Bischöfe: Sollen auch wir beim Suchen helfen?

Die Alte: Warten Sie!

Bischöfe: Was meinen gnädige Frau?

Die Alte: Können Sie die Lobrede? Ich meine die laudatio.

Ev. Bischof: Sie meinen mich?

Die Alte: Wen denn sonst?

Ev. Bischof: Aber gnädige Frau! Was für eine Frage. Nichts anderes geht mir im Kopf herum. Bald höre ich meinen Amtsbruder ab, bald mein Amtsbruder mich. (mehr für sich) Lange, lange, über viele Jahre hinweg, ja beinahe mein liebes Leben lang habe ich darüber nachgedacht, und ich hab mir das Leben weiß Gott nicht leicht gemacht, aber jetzt weiß ich es, dass es keinen Gott mehr gibt, jedenfalls keinen Gott, wie wir ihn uns immer vorgestellt haben. Keinen, der uns in die Welt entlassen hat und der uns einmal wieder bei sich, in seinem Reich, aufnimmt. Es ist eine Fiktion, der wir in der Kulturgeschichte nachgehen können, mit allen Gründen und Begründungen, mit allen Hoffnungen und Wünschen. Schöne Geschichten, Sagen, Märchen, erfunden, uns die Ohren einzulullen und das Herz zu betäuben wie das Herz des Säuglings. Weine, Land der Philister, denn die Zeit der Morgenröte kommt nie mehr wieder!

Die Alte: Was interessiert uns das? Davon haben schon die Existentialisten gesungen. Der Mensch ist für sie das Wesen, das auf die Erde geworfen wird, um dann zum Teufel zu springen. - Ich aber bin Politikerin. Ich habe mir ein Programm vorgenommen und ein Ziel gesteckt.

Ev. Bischof: Fernab von allen quälenden Fragen, ob es einen Gott gibt, ein befriedigendes Menschenbild zu erstellen, das mehr ist als nur ein Wunschtraum.

Kath. Bischof: Ein hehres und erhabenes Ziel.

Ev. Bischof: Genau genommen darf es schon jetzt keine christliche Partei mehr geben, weil sich unser Glaube erhebt und wächst, wie noch nie zuvor in den vergangenen 2000 Jahren.

Kath. Bischof: Unter Ihrer Anleitung werden wir lernen, was wir künftig unter dem Christentum zu verstehen haben.

Die Alte: Lassen Sie das nur meine Sache sein. Das hab ich schon dem Papst gesagt bei meiner letzten Audienz, dass es 1517 dem Himmel gefallen hat, einen Luther zur Welt zu bringen, 500 Jahre später aber mich.

Bischöfe: Küss die Hand, gnädige Frau. Wer auch dürfte sich in ihrer Gegenwart eine andere Meinung herausnehmen. (sie gehen etwas abseits, sich unterhaltend)

Grünschnabel: Ist es nicht hübsch, diese Szene sich mit anzusehen? Auch der Kaiser aus Canossa hätte da seine helle Freude gehabt, hätte er mitansehen können, wie devot und untertänig die hl. Kirche der protestantischen Staatsmacht aus der Hand frisst! Ich fürchte aber, es wird nicht dabei bleiben. Denn nicht mehr danach verlangen die Menschen, von einem Gott sich erwählen zu lassen, sondern sich einen ihnen passenden auszudenken. Jetzt aber leert sich die Szene. Tret ich beiseite!

4. Abschnitt: Sprechstunde

(zuerst die Alte allein mit Frau Luise und zwei Leibwächtern)

Die Alte: Wie doch so plötzlich alles so stille geworden ist! Alle sind sie fort und ich bin allein, nur mit Frau Luise in Begleitung. Denn was meine Leibwächter angeht, so stehen sie um mich herum, reglos und unauffällig wie Türpfosten. Und die Herren aus Stockholm fehlen.

Frau Luise: Das wird es sein, weshalb sich Frau Kanzlerin allein fühlen. Wenn wir auf jemanden warten, fühlen wir uns gerne allein.

(viele Leute kommen herbei)

Frau Luise: Doch da kommen Leute. Und wie viele!

Die Alte: Nur dass sie nicht aus Stockholm kommen!

Frau Luise: Meine Damen und Herren! Kommen Sie zu unserer Kanzlerin?

Ankömmlinge: Ja gewiss.

Frau Luise: Kommt auch jemand von Ihnen aus Schweden, aus Stockholm?

Ankömmlinge: Niemand kommt aus Schweden. Wir sind Zugereiste, mit einer Einreisebewilligung. Denn wir haben gehört, dass Deutschland ein Einreiseland ist und dass Deutschland jeden brauchen kann, der ins Land kommt.

Frau Luise: Da müssen Sie sich dorthin wenden! Sehen Sie! Dort! Das sind die Leute vom Industrie- und Handelstag. Die suchen sich dann aus, wen sie von Ihnen brauchen können.

Ankömmlinge: Wir dachten, man könne uns alle brauchen.

Frau Luise: Freilich. Die sie brauchen können, können sie alle brauchen. Nur Unbrauchbare sind nicht brauchbar; die hat man noch nie brauchen können. Das versteht sich von selbst.

Ankömmlinge: Wir sind alle brauchbar.

Einer von diesen: Wenn man uns nicht brauchen könnte, wären wir nicht gekommen.

Frau Luise: Hier, sehen Sie!

Leute von der Prüfungskommission: Wir von der Industrie sagen Ihnen gleich klipp und klar, wie es sich bei uns verhält. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass wir etwa 20% von Ihnen brauchen können. Den Rest schicken wir wieder nach Hause.

Ankömmlinge: Wir glaubten, hier wäre es wie in Oklahoma; dort wird jeder gebraucht.

Einer von der Prüfungskommission: Hierher, meine Damen und Herren!

Ankömmlinge: Wenn wir das gewusst hätten.

Ein Zweiter von der Prüfungskommission: Jetzt gedulden Sie sich erst einmal! Lassen Sie sich überprüfen!

Einer der Ankömmlinge: Wo wir nun aber schon mal da sind, wollen wir unser Glück versuchen!

Grünschnabel: Kann man schöner für das Wohl aller Völker sorgen, als dadurch, dass man ihnen ihre Elite nimmt? Früher hieß es noch Hilfe zur Selbsthilfe. Heut heißt es: willkommen ihr tüchtigen Immigranten!

Die Alte: Und was bringen Sie mir da, Frau Luise?

Frau Luise: Leute für Ihre heutige Sprechstunde.

Die Alte: Meine Herren! Haben Sie die Leute auch gründlich untersucht?

Leibwächter: Sie haben keine Waffen bei sich.

Die Alte: Auch keine Messer?

1. Leibwächter: Nicht das kleinste Stilett haben wir gefunden.

2. Leibwächter: Selbst die Fingernägel haben wir, wo sie nicht kurz genug waren, beschnitten.

3. Leibwächter: Nur Beschnittene sehen gnädige Frau vor sich.

Die Alte: Fangen wir denn an! Aber sobald die Herren vom Preisgericht da sind, machen wir Schluss mit der Sprechstunde.

1. Leibwächter: Hierher. Hübsch der Reihe nach aufgestellt.

(ein einzelner geschiedener Familienvater mittleren Alters tritt vor)

Die Alte: Was hat er? Ist er arbeitslos und sucht eine Arbeit?

Geschiedener: Ich habe schon eine Arbeit.

Die Alte: Was hat er denn dann?

Geschiedener: Fragen Sie lieber, was ich nicht habe!

Die Alte: Wenn Sie schon eine Arbeit haben, junger Mann, dann haben Sie schon alles. Dann preisen Sie sich selig!

Geschiedener: Gerne würde ich mich selig preisen. Aber dazu fehlt noch viel.

Die Alte: Dann erzählen Sie! Aber fassen Sie sich kurz!

Geschiedener: Sie sind doch die Landesmutter.

Die Alte: Aber nicht die Gottesmutter.

Geschiedener: Wer spricht von der Gottesmutter?

Die Alte: Auch solche Leute gibt es.

Geschiedener: Sie sind die Landesmutter, die sich um ihre Landeskinder zu sorgen hat.

Die Alte: Ich habe nicht auf Sie gewartet, junger Mann, dass Sie mir meine Pflichten explizieren. Genau gesagt bin ich die Bundeskanzlerin, nicht weniger und nicht mehr. Doch nun sagen Sie mir endlich, was Sie zu mir führt!

Geschiedener: Eigentlich habe ich es ja schon gesagt. Über mir ist es dunkel geworden. Zappenduster. Wiewohl ich hier geboren bin und alle meine Vorfahren hier gelebt haben, fühle ich mich hier nicht mehr zu Hause. Am liebsten zöge ich aus Deutschland aus, anderswo ein neues Leben anzufangen.

Die Alte: Wenn es Sie anderswohin lockt und Sie dort bessere Aussichten haben! Die Welt ist weit! Keiner wird Sie halten.

Geschiedener: Wo soll ich denn hin? Wenn Migranten nach Israel kommen, so sind es Juden aus aller Welt, vor allem aus den Krisengebieten der Erde, wo man sie verfolgt, die heimkehren in die ihnen zugesagte, ewige Heimat. Selbst das Sterben wird für den Juden versüßt im Gedanken an die Ärez Jisrael. Jawohl, gnädige Frau, indem wir die Juden umgebracht haben, haben wir auch unsere Heimat umgebracht, nicht aber ihre Heimat.

Die Alte: Sie wollten mir aber doch etwas über sich selber erzählen.

Geschiedener: Was mich betrifft, so lockt es mich nirgends anders wohin. Nur schlechte Erinnerungen und Erfahrungen sind es, die ich nicht loswerde und die wohl auch mit mir gingen, wenn ich Deutschland verließe. Ich habe zwar eine Arbeit, die mich so eben schlecht und recht ernährt; aber das ist auch alles. Morgens steh ich vor 6 Uhr auf. Da ich mit dem Auto zur Arbeit fahren muss, ich wohne etwas abseits von den öffentlichen Verkehrsmitteln, muss ich so früh heraus. Ungeachtet aller Witterungsverhältnisse heißt es dann "Los, zur Arbeit!" Und komm ich am Abend zurück, so erwartet mich ein leeres Haus. Das weiß natürlich jeder, dass das Haus leer steht, wenn ich bei der Arbeit bin. Früher ging das ja noch. In jüngster Zeit aber wurde ich nun schon zweimal ausgeraubt. Hatte mal früher eine Frau, die noch für das Haus sorgte. Aber die ist mir davongelaufen; die hielt es zuhause nicht aus bei unserem Kind; die wollte auch Karriere machen und groß herauskommen wie es eben so gang ist und gäbe bei vielen Frauen. Als Hausmütterchen bist du ja nichts wert. Da schmeißt man lieber den Ehebettel hin, mitsamt Mann und Kind und begibt sich in die große Welt. - Wer heiratet in unserem Staat ist ja wohl dumm?

Die Alte: Fahren Sie fort!

Geschiedener: Oder finden Sie unsere Gesellschaft gut eingerichtet?

Die Alte: Fahren Sie zügig fort, möchte ich Sie bitten!

Geschiedener: Nun bin ich also bereits seit 10 Jahren so ein Strohwitwer, zusammen mit unserem Jungen. 11 Jahre ist er jetzt alt. Habe ihn in einem Internat untergebracht, was ich gar nicht allein hätte bezahlen können. Und nun sitz ich allein und weiß nicht, ob mir der Leib platzt ob meines Unwohlseins oder ob das Dach des Himmels auf mich herabstürzt. Und am Sonntag, wenn die Glocken läuten, sitz ich dann da und weine.

Die Alte: Und was soll nun ich?

Geschiedener: Wenn ich da die jungen Leute sehe, die zu uns ins Land strömen, Hand in Hand, da denk ich dann, so jemand solltest du auch sein. Mit meiner Qualifikation als Computerfachmann würde man mich willkommen heißen; und dann würde man sich um uns kümmern, man würde uns eine Wohnung geben, ach eine ganz kleine Wohnung wär uns ja schon genug; und dann würden wir zusammen hausen wie die Kindlein. Aber ich verstehe. (er geht) Da Sie mir nicht helfen können oder nicht helfen wollen, kann ich nun wieder gehen.

(eine Gruppe von älteren Leuten beiderlei Geschlechtes)

Die Alte: Und Sie? Was ist mit Ihnen?

Ester: Ich habe Angst.

Eine Frau: Auch ich habe Angst.

Die Alte: Und Sie?

Ein Weiterer: Ich auch.

Die Alte: Was für eine Angst ist das denn?

Die Gruppe: Wir wissen es nicht.

Erster: Es ist eine im Dunkel schleichende, namenlose Angst.

Die Alte: Vor dem gläsernen Menschen? Dass alle Welt alles über uns weiß? Ach, sehen Sie. Auch ich bin nun schon so oft ausgespäht worden. Und das auch noch von unseren Freunden aus Amerika, dass ich Ihnen lächelnd zurufe: "Spioniert nur fleißig weiter fort. Vielleicht findet ihr noch etwas!"

Erster: Nein, das ist es nicht.

Die Alte: Dann haben Sie Angst, dass es bald wieder einen Krieg gibt hier? Sind es Leute, die wie jener Führer Scharen um sich haben, die plündern und morden? Hier gibt es so schnell keinen Hitler mehr, wenn wir nur alle achtsam sind. Jedenfalls nicht, solange ich die Kanzlerin bin.

Erster: Nein, der Führer ist es auch nicht.

Die Alte: Oder haben Sie Angst vor einem Bürgerkrieg?

Zweiter: Wir wissen es nicht.

Die Alte: Es gibt auch Leute, die Angst haben vor dem Tod, oder vor einem strafenden Gott. Das kenn ich von zu Hause. Schließlich bin ich eine Pfarrerstochter.

1. Frau: Allenfalls die Angst, dass es keinen Gott gibt, mag es sein. Wenn man die vielen Leute auf den Straßen hört, die alle in fremden Sprachen sprechen, die keiner von uns versteht. Das ist gespenstisch. Da fragt man sich, ob man hier noch sein Zuhause hat. Da überkommt einen das Bedürfnis, etwas zu besitzen, was man niemals verlieren kann.

2. Frau: Vielleicht haben Sie es noch nie erlebt, dieses Bedürfnis, Gott nahe bei sich zu haben?

3. Frau: Man hat es uns ja mit der Aufklärung abgewöhnt. Nun befällt es uns wie die ägyptischen Heuschrecken in der Bibel. Manchmal sind es auch Vandalen, die plötzlich auftauchen, um in unsere Häuser einzubrechen und uns auszurauben.

Die Alte: Vandalen gibt es keine mehr.

Erster: Da blockt etwas in mir. Wenn ich nämlich nachts davon träume, dann sehe ich immer nur, wie sich Leute erbittert streiten und wie sie handgreiflich werden und sich zu töten trachten; meist ist es nur wegen lächerlicher Angelegenheiten. Aber das macht die Sache ja nur noch schlimmer. Wir hatten ja auch mal schon Glaubenskriege hier im Land, wenn das auch schon lange her ist.

Die Alte: Sie lebten aber schon immer in Deutschland?

Erster: Ja.

Die Alte: Und Sie, meine Damen und Herren?

Diese: Auch wir lebten schon immer in Deutschland.

Die Alte: Und ihre Eltern und Großeltern lebten auch hier?

Diese: So ist es.

Die Alte: Dann haben Sie Angst, weil sie die Ängste brauchen, damit sie nicht Angst haben müssen, es mit der Angst zu tun zu bekommen.

Erster: Die Geschichte Deutschlands flößt Angst ein.

Die Alte: Vielleicht aber haben aber auch wir Politiker versäumt, die Aufklärung bis ans Ende zu treiben. Neben der sexuellen und der gesellschaftspolitischen Aufklärung haben wir uns zumeist viel zu wenig um die Aufklärung über die Gräuel des Dritten Reichs bemüht.

3. Frau: Damals, als unsere Eltern oder Großeltern Gott verloren haben?

Die Alte: Ich sage es noch einmal. Das haben wir davon, wenn wir nichts tun gegen die Angstmacher.

2. Frau: Sie meinen, dass man sich an die Angst gewöhnen kann, wenn täglich hier zu Land in Bahnhöfen Bomben ausgelegt und sonstige terroristische Aktionen unternommen werden?

Die Alte: Das ist eine Minderheit, die durch unser aller Wachsamkeit nicht zum Zuge kommt.

Erster: Ein paar trifft es aber immer. Und was nützt es mir, wenn es mich trifft, selbst wenn ich das Abzeichen der Ehrenlegion bekomme? Soll ich mich dann wieder daran erinnern, dass es süß ist, fürs Vaterland zu sterben?

(Gespräch mit Grünschnabel, einem Schriftstelleradepten, der mitgehört hat)

Die Alte: Und nun noch zu Ihnen. Dann aber ist Schluss.

Grünschnabel: Gewiss. Dann ist Schluss. Wie man so schön sagt: Nach uns die Sintflut.

Die Alte: Sind Sie ein Patriot?

Grünschnabel: Allerdings.

Die Alte: Und womit gedenkt der junge Mann, sein Brot zu verdienen?

Grünschnabel: Mit Schreibarbeiten.

Die Alte: Als Journalist oder als Drehbuchautor?

Grünschnabel: Als Theaterautor.

Die Alte: Gibt es denn noch etwas, was man dem Film vorenthalten und auf eine Bühne bringen könnte?

Grünschnabel: Es bedarf nur einer kleinen Handlung, so will es mir scheinen, um aufzuzeigen, was aus der Welt geworden ist und wohin sie sich bewegt.

Die Alte: Und deshalb sind Sie hier?

Grünschnabel: So versuche ich, mein Dasein zu begreifen.

Die Alte: Das heißt, Sie machen sich Gedanken um das Vaterland?

Grünschnabel: Das Wort Vaterland gehört allerdings nicht mehr zu den wohlbekannten Worten bei uns.

Die Alte: Ans Vaterland, ans teure, halt dich an! Heißt es nicht irgendwo so?

Grünschnabel: In der Tat geht es mir oft so, als gäbe es überhaupt kein Deutschland mehr. Nur noch ein Gehege, in dem sich Leute aus aller Herren Länder befänden. Geht es Ihnen nicht auch so?

Die Alte: Nein, mir geht es nicht so.

Grünschnabel: Nun ja, vermutlich weil Sie nie allein durch die Stadt gehen, immer nur in Bewachung Ihrer Leibwächter. Ihnen fehlt die Nähe des Volks. Sie denken sich das Volk, wie es Ihnen Ihre Berater schildern. Unsereinem aber kann das nicht entgehen. Zumal wenn wir es uns angewöhnt haben, uns die Menschen als Akteure auf einer großen Bühne anzusehen.

Die Alte: Was weiter?

Grünschnabel: Nun ja, die Menschen sind immer in Eile, fast als wüssten sie nicht, ob sie nach etwas suchen oder vor etwas fliehen.

Die Alte: Sie stellen von Berufs wegen Scharaden?

Grünschnabel: So kann man es nennen. Ich beobachte das Volk oder, wenn Sie es lieber hören, ich studiere die Gesellschaft, um darüber meine Erstlingsstücklein zu schreiben. Das ist doch wohl erlaubt?

Die Alte: Das kommt ganz darauf an

Grünschnabel: Jedenfalls, wenn es Kunst ist. Dann genießt sie doch hier zu Landen volle Freiheit.

Die Alte: Wenn der Künstler nicht die Freiheit der Kunst verletzt.

Grünschnabel: Kann der Künstler die Freiheit der Kunst verletzen? Dann könnte ja auch der Journalist die Freiheit der Presse verletzen! Da hat man doch jüngst erst wieder behauptet, unsere Presse lüge. Gehört das hierher?

Die Alte: Lassen Sie mich damit in Ruhe. (für sich) Ich gebe den Leuten von Stockholm jetzt noch 5 Minuten. Wenn sie dann noch immer nicht da sind, bilde ich mein Kabinett um.

Grünschnabel: Was meinten Sie? Wie es möglich sein kann, dass eine freie Berichterstattung lügt? In den Ausschüssen des Bundestags wird gelogen, gewiss; die Nachweise liegen ja noch auf dem Tisch. Aber bei der Presse, wo nichts nachgewiesen wird, wie soll da gelogen werden? Selbst die lieben wackeren Aufseher und Beschützer unsrer deutschen Muttersprache haben, nachdem sie sich diesbezüglich sehr viel Mühe gegeben haben, das Wort "Lügenpresse" zum Unwort des Jahres 2014 erwählt.

Die Alte: Es war mir ein Vergnügen!

Grünschnabel: Was?

Die Alte: Wir haben uns nichts mehr zu sagen.

Grünschnabel: Mag sein, dass es Sie nicht weiter drängt.

Die Alte: Einmal muss Schluss sein.

Grünschnabel: Schade, dass Sie noch nach keiner Kostprobe meiner Kunst verlangt haben. Vermutlich denken Sie, ich hätte mir nur vorgenommen, etwas zu produzieren, hätte aber noch nichts zu bieten. Wie die Kinder. Aber ich bin kein Kind mehr. Schon seit 5 Jahren rasiere ich mir meinen Bart. Und wenn Sie einen Blick in meine Werkstatt werfen wollen, so sage ich Ihnen, dass ich momentan die Couplets besonders studiere. Das ist sozusagen mein Warmlauftraining am frühen Morgen. Gut denn. Sie sagen nichts, das heißt, Sie verlangen nach einer Probe meiner Dichtungsgabe. So hören Sie denn!

Nur in Deutschland lügt sie nicht, die Presse,

hier ist alles multi-kulti-liberal,

hier, wo auch willkommen sind die Späße,

anders als in manchem Höllental.

Kein Gewinsel kommt von Unterdrückten,

keine Schnüffler schleichen zum Zensiern,

nur in Deutschland fehlen die Verrückten,

die der Freiheit Süße nicht kapiern.

Was sagen Sie dazu?

Die Alte: Nichts. Für Kunstfragen ist mein Kunstminister zuständig.

Grünschnabel: Die Regeln der Kunst habe ich auf jeden Fall beachtet.

Die Alte: Es gibt gewisse Grenzen, die die Freiheit der Kunst umschließen.

Grünschnabel: Wenn ich Sie recht verstehe, wollen Sie damit sagen, dass jede Freiheit von Grenzen umschlossen wird!?

Die Alte: Bedenken Sie das für sich. Wir sind hier in keinem philosophischen Seminar.

Grünschnabel: Nun ja. Wichtig wäre schon, dass jedermann weiß, wo die Grenzen sind. Die Leute von der Presse scheinen das zu wissen, jedenfalls dort, wo die Mehrheit zu wissen scheint.

Die Alte: Lassen Sie jetzt endlich die Presse aus dem Spiel.

Grünschnabel: Vielleicht müsste man sich dann nicht mehr so sehr wundern, dass alle Presseleute dasselbe erzählen, zumal wenn es um brisante Dinge geht. Früher einmal hat es immerhin geheißen "Wie viele Köpfe, so viele Meinungen!" Und jene Leute haben ja wohl auch nicht gelogen. Jedenfalls ist mir noch nie vorgekommen, dass man einen Berichterstatter der Tagesschau in Schutz hätte nehmen müssen, weil er sich ein allzu freies, das heißt, ein seinen Kollegen gegenüber anderslautendes Wort erlaubt hätte.

Die Alte: Wenn jeder weiß, was sich gehört, kommt es zu keinem Dissens.

Grünschnabel: Das könnte fast von Platon stammen.

Die Alte: Es stammt aber von mir.

Grünschnabel: Jüngst musste selbst der Herr Fernsehintendant her, um klar zu stellen, dass im neuesten Krimi, wo wegen des Neuen Stuttgarter Bahnhofs ein Ministerpräsident ermordet wird, das natürlich nur ganz frei erfunden worden sei. Beinahe hat er sich auch noch dafür entschuldigt, dass sich einer vorstellen könnte, man hätte an den weiland amtierenden Präsidenten Hand angelegt. Hätten auch Sie Angst, dass da das Amt des Ministerpräsidenten beschädigt werden kann? - Sie sagen nichts? - Nun, dann erinnere ich Sie daran, wie damals vor 30 Jahren ein mutiger Journalist aus dem Westen in der DDR gesagt hat: man ließe die Hunde auf jeden los, ja man schösse auf jeden wie auf einen wilden Hasen, der etwas anderes sagte als was das Politbüro erlaubte.

Die Alte: Daran erinnere ich mich nicht.

Grünschnabel: Könnten Sie sich vorstellen, dass das einer hier, bei uns, in unserem Land heute sagen dürfte?

Die Alte: Was gesagt zu werden Not tut, das sagen wir auch.

Grünschnabel: Und wenn es einer sagt, wiewohl es nicht nötig ist, dann überschreitet er wohl die Freiheit. - Es gibt allerdings in unserem Land Wörter, die man nur zögerlich in den Mund nimmt: Ich meine z.B., dass man zwar von den Nazis reden darf, aber nur bedingt von Adolf Hitler. Und auch Volk und Vaterland sind Worte, die irgendwie verpönt sind bei uns. In vorauseilendem Gehorsam achtet man darauf, sie nicht zu gebrauchen, um nicht missverstanden zu werden und um nur ja keine Gespenster herauf zu beschwören. Im Zweifelsfall weiß die Exekutive, was sie unter dem Volk zu verstehen hat. So kann man in unserem Land, auch wenn es hier kein Volk mehr gibt, doch durchaus das Volk verhetzen. Die Richter wissen, wenn der Staatsanwalt ihnen einen Volksverhetzer vorführt, was sie darunter zu verstehen haben. Übrigens, wievielmal haben Sie schon in Ihren Reden von Volk und Vaterland gesprochen?

Die Alte: Da müssen Sie meine Ghostwriter fragen.

Grünschnabel: Dabei hat man doch drüben bei Ihnen, in der DDR, das Wort geprägt vom Volk. Wir sind das Volk. So haben wir es damals vernommen. Wo aber sind die jetzt, die damals als der Sauerteig des Volks erwacht sind? Waren Sie nicht mit dabei?

Die Alte: Meine Zeit ist abgelaufen.

Grünschnabel: War das ein Schillerzitat?

Die Alte: Das war das Zeichen, dass ich mich lange genug mit Ihnen unterhalten habe.

Grünschnabel: Wenn ich z.B. dem Propheten Mohammed einen Schnurrbart einzeichne, das ist doch wohl noch erlaubt.

Die Alte: Ich habe gesagt, dass ich mich lange genug mit Ihnen unterhalten habe.

Grünschnabel: Gesetzt nun aber den Fall, dass ich auf einem Wahlplakat einem Politiker oder einer Politikerin einen Hitler-Schnauzbart aufmale. Ist das Satire oder Kabarett oder was ist das? Erst jüngst wieder hat die Staatsanwaltschaft in einem solchen Fall ermittelt. Der Anklagepunkt lautete auf Volksverhetzung. Gibt es bei uns auch mit "Volk" zusammengesetzte Wörter in positiver Bedeutung? Z.B. Volksglaube, Volkstreue, Güte des Volks? Das Gesetz spricht zwar vom deutschen Volk und von der Volkssouveränität, aber doch nur in einem rechtlich abstrakten Sinn. Im Übrigen wird das Wort Volk bei uns meist nur im abwertenden Sinn benutzt.

Die Alte: Ich wüsste nicht, dass sich der Gesetzgeber etwas vorzuwerfen hätte. Und jeder, der das Wort nicht benutzt, tut gut, wenn er dabei niemandem Vorschub leisten will, der es falsch verstehen und missbrauchen könnte. Doch ich bitte Sie, gehen Sie jetzt!

Grünschnabel: Einen letzten Moment. Wo wir eben Gelände betreten, das uns eine heiße Unterhaltung verspricht! Gesetzt, da kommt ein Fremder oder sagen wir, wie Sie es lieber hören, ein Einwanderer, ein Migrant zu Ihnen und fragt Sie nach des Landes Art und Brauch, damit er sich recht anpassen und eingewöhnen kann, was antworten Sie diesem?

Die Alte: Ich habe gesagt, bitte gehen Sie jetzt!

Grünschnabel: Haben wir uns nichts mehr zu sagen?

Die Alte: Verehrter Herr! Gehen Sie oder

Grünschnabel: Sie drohen mir? Nur noch eine kleine Bemerkung, selbst auf die Gefahr des "oder"! Das Thema ist zu bedeutend, als dass man darüber weghuschen dürfte.

Die Alte: Noch zwei Minuten, keine Sekunde länger!

Grünschnabel: Meine Hochachtung, Madame.

Die Alte: Aber nur zwei Minuten habe ich gesagt!

Grünschnabel: (er beeilt sich, schnell zu reden) Früher mal sprach man vom Volk ohne Raum. Jetzt scheint es, haben wir eine Bevölkerung mit zu viel Raum. Wir rufen in die Welt, als säßen wir auf einem versinkenden Schiff und bedürften der Rettung. Was aber in Wahrheit fehlt, das ist eine uns allen gemeinsame Geschichte. Wir sind eine Masse ohne eine gemeinsame Heimat, ein Haufen ohne eine gemeinsame Geschichte. Nie haben wir uns gemeinsam gefreut oder gemeinsam gelitten. Und freilich haben wir auch keine gemeinsame Religion. Sage nur ja keiner, es gäbe keine Heimat mehr; das seien Träumereien und Utopien. In Deutschland mag das so sein, nachdem uns ein hässlicher Führer verführt hat. Migranten aber, die nach Deutschland kommen, suchen bei uns eine Bleibe und eine Heimat, weil die dortigen Machthaber ihnen die Heimat streitig gemacht haben.

Die Alte: Meine Bischöfe sind dabei, diesen Punkt zu korrigieren. Und die Welt darf gespannt darauf sein, was sie herausbringen.

Grünschnabel: Doch ändert das nichts daran, dass wir nur eine Masse von biologischen Wesen sind, die bestenfalls alle Geld haben zum Essen und Wohnen, die sich im Übrigen aber um nichts Gemeinsames bekümmern. Und wenn nur die alteingesessenen Deutschen in ihrer Unfruchtbarkeit weiter fort schwelgen, so ist in 100 Jahren aus dem christlichen Abendland ein muslimisches Abendland geworden.

Die Alte. Nun ist genug.

Grünschnabel: Eine allerletzte Frage! Wenn ich den Premier der Türkei einen Antisemiten nenne?

Die Alte: So ist das eine Beleidigung und man muss Sie bestrafen.

Grünschnabel: Und wenn ich den Premier von Israel einen Terroristen nenne?

Die Alte: So ist das eine nicht minder schwere Beleidigung.

Grünschnabel: Und wenn Israels Premier den Premier der Türkei einen Antisemiten nennt und dieser den Kollegen aus Israel einen Terroristen?

Die Alte: Dann geht Sie das nichts an. Denn Sie sind weder der Premier der Türken noch der Premier der Juden.

Grünschnabel: Das verstehen wir also nicht, wir dummen Angehörigen des Volks?! - Schon Shakespeare sagte in der Tat: Was in des Feldherrn Mund ein zornig Wort, ist beim Soldaten Gotteslästerung. Nur dachte ich immer, als Schriftsteller gehörte ich zu den Feldherren. Offenbar sind Sie da anderer Meinung. Die Freiheit der Kunst reicht für Sie offenbar nicht bis zur Freiheit eines Feldherren. Vielleicht bis zur Freiheit eines Unteroffiziers? Oder nur bis zur Freiheit eines Gefreiten?

Die Alte: Lassen Sie mich jetzt. (sie geht zu den eingesperrten Kindern, die sie entdeckt hat)

Grünschnabel: Nur zu gern würde ich ein Stück schreiben, in dem man unsere Gesellschaft endlich einmal so recht im Spiegel wiedererkennen könnte. Ich stelle mir vor, wie ich zu Beginn durch eine unserer Städte schlenderte, wo ich von einem Dutzend Leuten vielleicht eben noch einen oder zwei Deutsch reden höre. "Und geh ich durch die Stadt, gleich fällt mir ein: Das muss in Babylon schon so gewesen sein." Da hätte ich denn schon wieder das Couplet für ein neues Lied. Vielleicht, dass wir es so beginnen lassen:

Ernähr ich mich von guten Früchten

Ist eine Zeitung nicht dabei,

Wovon auch könnt sie mir berichten

Als von des Weltlaufs Einerlei

Von Morden, Kriegen, Katastrophen;

schlechte Regierung hab ich satt,

Grünschnabel kennt all diese Strophen,

nimmt vor den Mund kein einzig Blatt.

(er geht etwas weiter und bleibt dann stehen)

(Einige weitere Leute in Reih und Glied eilen auf die Kanzlerin zu und rufen "gnädige Frau" und "helfen Sie uns!")

Die Alte: Heute geht es nicht mehr. Meine Zeit ist aufgebraucht. Kommen Sie morgen wieder.

Einer: Was soll das heißen?

Wächter: Morgen heißt morgen und kommen heißt kommen.

Ein Zweiter: Aber das geht nicht so leicht. Bis hierher fährt keine Straßenbahn und kein Bus.

Die Alte: Und was ist das da?

5. Abschnitt: Gespräch mit den Kindern. Kaspers Traum

Wolf: Unartige Kinder sind das, gnädige Frau, die sich diesen kleinen Rüffel redlich verdient haben.

Grobhans: Sozialisierung geht immer mit Leiden und Entbehrungen Hand in Hand.

Die Alte: Mein Gott! Ihr Kinder! Wer seid ihr? Und woher kommt ihr? Und wie heißt ihr? Ihr friert ja.

Gretel: Ich bin die Gretel.

Hänsel: Und ich bin der Hänsel.

Die Alte: Und weswegen hat man euch eingesperrt?

Hänsel: Die Eltern konnten uns nimmer ernähren. Sie hungern und frieren in ihrer Wohnung.

Die Alte: Ist das möglich?

Wolf: Sie haben behauptet, bei einer Reparatur ihrer Heizung übervorteilt worden zu sein.

Die Alte: Wo ist der Unternehmer des Betriebs?

Frau Luise: Hier!

Die Alte: Haben Sie die Eltern dieser Kinder übervorteilt?

Der Unternehmer: Aber gnädige Frau, das ist doch völlig unmöglich. Zumal als Innungsmeister muss ich mich jederzeit doppelt korrekt verhalten. Ja, glauben Sie mir nur, ich tu noch nicht einmal alles, was mir von Rechts wegen zusteht.

Frau Luise: Habt ihr gehört, was der Herr gesagt hat?

Hänsel: So hat er auch der Richterin am Amtsgericht gesagt; und die hat das als beweiskräftig angesehen.

Der Unternehmer: Der Wahrheit muss man das Zeugnis geben; aber das verstehen die Kinder noch nicht; nicht umsonst hält man sie für unmündig.

Hänsel: Als ob wir nichts als Märchen im Kopf hätten. Von Hänsel und Gretel und von der bösen Hexe.

Wolf: Haben Sie es gehört, gnädige Frau! Jetzt glauben sie gar noch, die gnädige Frau wäre eine Hexe.

Frau Luise: Ihr wisst hoffentlich, dass es keine alten Hexen mehr gibt!

Wolf: Und dass Kinder längst zu keinem Weihnachtsbraten mehr gemästet werden.

Hänsel: (auf Wolf deutend) Er selber hat uns allerdings etwas ganz anderes erzählt.

Wolf: Was hab ich erzählt? Da haben wir es! Das mit dem Weihnachtsbraten habe ich nur gesagt, um zu zeigen, wie diese Kinder lügen.

Hänsel: Grüner Kinderbraten mit grüner Graupelsauce war schon immer eine Delikatesse. Das hat er mehrere Male gesagt. Dazu ein Schlückchen Weißburgunder in der richtigen Temperatur und ein Stündchen zuvor zum Atmen gebracht.

Gretel: Ja, das hat er gesagt. Und nachdem er mich bei Seite genommen, hat er zu mir das Folgende gesagt und hat dabei gegrinst "Kinderfleisch essen wir schon lange nicht mehr, noch auch geben wir uns mit unschuldigen Kindlein ab, wenn solcherlei auch noch bis vor kurzem für einen urgrünen Naturmenschen Delikatessen gewesen sein mögen.

Wolf: Und was sagt der feine junge Herr dazu?

Kasper: Nichts, wenn ich auch manches dazu sagen könnte. Denn man muss nicht alles ausprobiert haben, um mitreden zu können, wie viele unsrer Psychologen noch immer meinen. Weder im Sexismus noch im Anthropofagismus.

Hänsel: Und dann hat meine Schwester Gretel zu mir gesagt, dass sie sehr enttäuscht sei; dass sie nämlich gehofft habe, aus der Beschränktheit des häuslichen Elends herauszukommen. Und nun sind wir in die Beschränktheit der Zivilisation geraten, die noch schlimmer ist.

Frau Luise: Immerhin haben wir uns den Kappzaum der Kultur umgelegt.

Gretel: Noch immer quält mich ja der Verdacht, dass wir zu einer schrecklichen Spezies von Geschöpfen gehören.

Wolf: Aus alledem mögen Euer Gnaden ersehen, wie schwer es für mich war, diese Bande in Schach zu halten.

Hänsel: Wenn gnädige Frau so gütig sein wollen, so geben Sie wenigstens meinem Schwesterchen ein paar warme Decken. Bei den Damen und Herren dort drüben liegen viele, die niemand braucht.

Die Alte: (zur Frau Luise neben ihr) Tragen Sie Sorge, dass man den Kindern ein paar Decken bringt!

Wolf: Als ob sie das verdient hätten! Aber da siehst du, Grobhans, man muss sich nur ein recht erbärmliches Aussehen geben, dann wird einem geholfen.

Die Alte: Dabei hat doch jedes Kind Anspruch hat auf einen Kitaplatz. Warum hat man ihnen keinen Kitaplatz gegeben?

Guck: Warum man euch keinen Platz in einer Kindertagesstätte zugewiesen hat.

Hänsel und Gretel: Davon hören wir das erste Mal.

Die Alte: Und Du? Hast auch noch nie davon gehört?

Kasper: Gehört schon.

Die Alte: Und warum hat man dir keinen Platz gegeben?

Kasper: Vielleicht weil man Angst vor mir hatte. Vermutlich brächte ich die Kinder durcheinander. Ich leide nämlich an bösen Träumen.

Die Alte: Was sind das für Träume? Kannst du mir einen davon erzählen?

Kasper: Wollen Sie wirklich davon hören?

Die Alte: Sonst hätte ich dich nicht danach gefragt. (zur Frau Luise neben ihr) Schließlich muss ich wissen, wie es um die Kinder in unserem Land bestellt ist!

Kasper: Da war hier kein Wald mehr. Alle Bäume, die zuvor noch so schön bis in den Himmel hinauf ragten, waren ausgerissen. Nur Wüste war noch vorhanden, weit und breit, soweit das Auge sah. Und still war es, wie es wohl einstmals still gewesen war vor 60 Millionen Jahren in der Bucht von Cuba, als der Riesenmeteorit in den Golf von Mexiko herabstürzte und dem Leben der Riesenechsen ein Ende bereitete. Plötzlich bebte die Erde vor mir, dann hob sie sich, wie ein Maulwurfshügel und öffnete sich und Gesteinsbrocken wurden herausgeschleudert, menschenkopfgroße Gesteinsbrocken, die wie eine Wasserfontäne in die Luft stiegen. Wie nach der deukalionischen Flut schien sich die Erde wieder mit Menschen anfüllen zu wollen. Kaum aber war ich auf dieses Schauspiel aufmerksam geworden, da wechselten Licht und Schatten in immer schnellerer Folge, bis plötzlich noch größere und noch höhere Fontänen vor mir aufstiegen. Bis zur Höhe einer Kirchturmspitze stiegen sie auf, dass sie nicht selten die Sonne verdunkelten. Und ich sah, wie eine riesige Menschenmenge hin und her rannte und nach einem Versteck Ausschau hielt. Denn jetzt waren es keine Gesteinsbrocken mehr, sondern breite, menschengroße, rechteckige Platten, die, kaum dass sie aus der Erde ausgetreten waren, nach den Menschen Ausschau hielten, um sich auf sie herabzusenken und sie unter sich zu begraben. Aus jedem ihrer Gesichter konnte man lesen, wie glücklich sie gewesen wären, jetzt ein unzerstörbares Haus in der Nähe zu wissen, um rasch einzutreten und Türen und Fenster hinter sich zu verschließen.

Grünschnabel: (für sich) Was für eine Vision von so einem kleinen Mann! (laut) Wollen Sie nun auch noch wissen, wie man seinen Traum deuten kann oder vielleicht sogar deuten muss?

Die Alte: (Ausschau haltend) Nein, jetzt nicht.

Grünschnabel: (für sich) Das Beste lassen wir ja zumeist liegen.

Frau Luise: Von Ihnen will unsere Kanzlerin nichts gedeutet haben.

Schmeichelkuhle: Eines aber will ich euch noch sagen, ihr Kinder! Jedes Jahr empfängt die Kanzlerin die Sternsinger zu Weihnachten. Das sind Jungen und Mädchen in eurem Alter, die den Kindern helfen in aller Welt. Vor allem auf Weihnachten freuen sich doch die Kinder; wenn das Christkind kommt.

Hänsel: Kommt denn das Christkind noch an Weihnachten? Das kommt doch schon lange nicht mehr zu uns. Oder glauben Sie noch an das Christkind?

Schmeichelkuhle: Kinder sollen aber an das Christkind glauben.

Kasper: Wer sagt das?

Guck: Das ist gut für die Entwicklung ihres Gemütes.

Grünschnabel: Vielleicht glaubten Sie einmal, dass es einen Jesus von Nazareth gegeben hat. Aber das ist schon lange her. 2000 Jahre hatte das Abendland dafür gesorgt, dass es kein Christkind mehr gibt. Nicht einmal die niedergelassenen Kinderärzte glauben mehr an das Christkind. Oder glauben Sie noch an Jesus, den Christus? Vergessen Sie bitte nicht, dass man sich dem Verdacht eines Hinterwäldlers aussetzt, wenn man zu glauben vorgibt.

Die Alte: Was heißt schon "glauben"? Wir sollten dem Wort keine allzu tiefe Bedeutung zumessen. Schön ist es und gut, wenn der Mensch etwas hat, woran er glauben kann. Für die einen ist es Jesus Christus. Für andere der Prophet aus Mekka. Für wieder andere der geheimnisvolle Buddha.

Kasper: Und Sie, für wen halten Sie diesen Jesus von Bethlehem?

Guck: Von Nazareth, willst du wohl sagen.

Die Alte: Darüber müssen wir uns jetzt wohl nicht unterhalten.

Grünschnabel: Wie man es nimmt. Schließlich gehören Sie einer christlichen Partei an. Oder ist das kein Bekenntnis?

Schmeichelkuhle: Keiner muss heute mehr die Wahrheit gestehen.

Grünschnabel: Andererseits steht doch auch in der Bibel, dass die Wahrheit frei macht. Und Sie als Christdemokrat hätten sich dann doch wohl für die Wahrheit des Christentums entschieden.

Schmeichelkuhle: Als Kanzlerin und Christdemokratin sorgt sie sich dafür, dass dem Christentum nicht die Luft zum Atmen ausgeht.

Grünschnabel: Ohne zu wissen, was das Christentum bedeutet? Sie glauben, dass es genügt, wenn eine Kanzlerin die Gedanken und die Gefühle möglichst aller Menschen teilt, auch die der Nichtchristen, wenn es solche in ihrem Lande gibt?

Die Alte: Zumindest müssen wir sie verstehen.

Grünschnabel: Wie kann man verstehen, wenn man nicht teilt?

Schmeichelkuhle: Erst muss man bekennen, dann zu verstehen suchen und dann teilen.

Grünschnabel: Als Kanzlerin werden Sie vermutlich wissen, dass die Welt ordentlich komplex ist. Glauben Sie mir nur, gnädige Frau: Nichts ist schwerer, als einem Vertreter der Macht klar zu machen, dass er ein Sünder ist. Das war schon so in der Nazizeit, wie uns die Nürnberger Prozesse zeigen. Aber einem armen Schwein das klar zu machen! Nichts ist leichter als dies, und wäre er auch das unschuldigste Wesen der Welt.

Schmeichelkuhle: Will er sich nicht etwas ordentlicher benehmen?

Kasper: Darf man als mündiger Bürger nicht sagen, was man denkt? Ich dachte, hier herrschte Meinungsfreiheit.

Schmeichelkuhle: Meinungsfreiheit ja, aber nicht Frechheit.

Kasper: "Nicht sagen dürfen, was man denkt, ist Sklavenlos." Wenn aber das Kind den Erwachsenen geistig erledigt hat, dann kommt man ihm mit pädagogischen Maximen.

Grünschnabel: Erwachsene, so meine ich, sollten nicht allzu empfindlich reagieren, wenn Kinder etwas sagen.

Schmeichelkuhle: Und Erwachsene wie auch Kinder sollten sich als wohl erzogene, höfliche Wesen erweisen.

Grünschnabel: Solange wir noch von der Muttermilch abhängen, werden wir tunlichst darauf verzichten, nach rauschhaltigen Getränken zu verlangen. Wenn wir dann aber älter werden, kommt auch die Zeit, wo wir uns umschauen nach einem Platz in der Gesellschaft. Nun gibt es in einer Gesellschaft für gewöhnlich ganz oben keine freien Plätze. Oder haben Sie jemals erlebt, dass man keinen Bischof gefunden hätte oder keinen Bundeskanzler oder keinen Bundespräsidenten, wenn ein Platz frei wurde? Wächst nun einer heran, der nicht eben ganz klein von sich denkt, so wird er leicht dazu neigen, ein wenig zu widersprechen und zu protestieren. Jawohl, meine Damen, jede nachfolgende Generation übt ihren Aufstand, ehe sie in die Gesellschaft einrückt und deren Posten übernimmt. Das war schon so zur Goethe-Zeit, im Sturm und Drang, das war auch so in den 60-Jahren des letzten Jahrhunderts, mitsamt den bösen Exzessen der RAF, die vielleicht nicht vorgefallen wären, hätte sich die etablierte Intelligenz damals, vor allem Herren der hohen Universitäten der Geisteswissenschaften, nicht so linkslastig bewegt. Einige dieser jungen Protestler sahen wir alsbald schon als Minister und Ministerinnen wieder. Andere freilich, und das war die Mehrzahl, versank im Nichts der Geschichte. Kurze Zeit danach probten die Grünen den Aufstand. Da war es dann ein junger Mann in Turnschuhen, der im Bundestag unter den Vätern der Verfassung für Unruhe sorgte, der es ebenso gut in den Tower des Herrn Cäsar hätte bringen können, der es dann aber bis zum Minister schaffte. Die einen haben eben Glück. Die hebt und trägt es empor. Andere aber haben Pech; die locht man ein. Und wenn Sie das nicht glauben, so sehen Sie sich nur mich an. Dabei hätte ich wohl auch Talent gehabt zu einem Großfürst oder zu einem Außenminister.

Frau Luise: Ein bisschen vorlaut ist er schon. Ein aufmüpfiges renitentes Früchtchen!

Guck: Da muss man fast befürchten, dass er unser Staatswesen einmal in Gefahr stürzt.

Alvarez: Lass er sich gesagt sein, junger Mann, dass es auch andere Länder gibt, wo das Prinzip gilt: Wer protestiert, wird füsiliert.

Kasper: Gewiss, gewiss! Dem Weltgeist sieht man zumeist nicht an, was er vorhat. Erst wenn es einer nicht mehr nötig hat, sein Gesicht zu verbergen, muss auch der Weltgeist Farbe bekennen.

Die Alte: Und er möchte sich einmal für unseren Staat einbringen?

Kasper: O, gnädige Frau! Ich war bislang noch immer ein waschechter Patriot. Nie bin ich ein Bolschewik gewesen, der füsilieren und massakrieren gelernt hat. Nie bin ich im Kommunistenunterricht gesessen, hab nie das Kapitel über den Widerspruch im Katechismus von Herrn Markuse oder von Herrn Bloch studiert. Und auch vom Dichter Blech habe ich kein einziges Lied auswendig gelernt. Auch von den Taliban hab ich mir keine Vorschriften einbläuen lassen, noch bin ich vor ihnen im Kot gelegen. Noch auch hab ich im Kreis der Frevler gesessen oder mich auf den Wegen der Sünder aufgehalten. - Indes, wenn Sie die Güte haben, so erzähle ich Ihnen noch rasch etwas zu meinem Traum, was ich herausgefunden habe. Es wird Sie gewiss nicht reuen.

Hänsel: Sie hatte es eilig; sie ist schon wieder fort.

6. Abschnitt: Gespräch der Kinder

Grünschnabel: Ja, sie ist fort. Sie hört dich nicht mehr.

Kasper: Sie hat keine Zeit mehr.

Gretel: Schade!

Grünschnabel: Nehmt es ihr nicht übel. Leute, die sich wichtig nehmen und die wichtig genommen werden, haben für gewöhnlich keine Zeit.

Kasper: Und nun? Was machen wir nun?

Hänsel: Viel machen können wir nicht mehr, eingesperrt wie wir sind.

Grünschnabel: O, auch in einem Gefängnis kannst du noch etwas machen. So kannst du dir Gedanken machen, in was für eine Welt es dich verschlagen hat und wo du lebst! Und hat dir nicht schon geträumt, hat sich dir die Welt nicht schon in deinem von dir geschilderten Traum in Bildern und Handlungen und Szenen gezeigt? Was also zögerst du, zur Auslegung deines Traums zu schreiten? Ergreift den Augenblick und schaut euch doch nur um! Achtet darauf, was geschieht! Fragt euch, was die Menschen da treiben, die ihr da seht, und sucht nach einer Antwort, in was für einer Welt sie zu Hause sind! In einem Wald treiben sie ihr Unwesen; vor einem Hexen- oder Mörderhaus. Für euch aber haben sie Käfige bereit gestellt, Schonräume zur Aufzucht, wie sie sagen, damit die Würde des Kindes hübsch ordentlich gewahrt bleibe, aber auch zur Aufsicht, dass ihr gedeihen möget nach ihrem Bilde. Doch was ist das für ein Bild, das sie da für euch haben? Was haben sie sich für euch ausgedacht? Um dies zu erfahren, müsst ihr sie nur ganz genau studieren! Seht sie euch an, wie sie sich drehen und wenden, wie sie sich blähen und brüsten, wie sie groß tun, als hätten sie den Stein der Weisen gefunden. Lasst es euch indessen von mir gleich zustecken, dass ihr nichts anderes findet als ein paar harmlose Kleinbürger, kleine satte Schweinchen aus der Herde des Epikur. - Fragst du einen Menschen, wie er sich die Welt am liebsten vorstellt, so wird er dir eine Welt schildern, wo er alles hat und es ihm an nichts fehlt: Glück auf allen nur möglichen Gebieten, Reichtum, Wohlergehen, Gesundheit - und wenn du zu Menschen vorstößt, die in ihrer Jugend die Erfahrung gemacht haben, dass sie vieles viel besser können als andere, und die es deshalb auch gelernt haben, einen besonderen Platz für sich zu beanspruchen - , so werden sie auch an Anerkennung denken, an Ehre und Einfluss und Macht. Freilich gibt es vielerlei Weisen von Macht. Der Vorsteher eines Amtes, der Bürgermeister einer Stadt, der Aufseher von Arbeitern, ein Soldat, ein Polizist, ein Lehrer und ein Pfarrer, sie alle haben Macht und beziehen das Wohlgefühl der Macht im Umkreis der Vorschriften. Indessen gab es schon immer Leute auf Erden, die sich niemals zufrieden geben wollten mit einer so kleinen, kleinbürgerlichen Macht; und es wird sie wohl geben bis zum letzten Tag der Menschheit. Leute der Macht, die auch nicht davor zurückschrecken, über Leichen zu gehen. Nein, mehr noch! Was es mit der Macht auf sich hat, so sagen diese Leute, das weißt du erst, wenn du einmal lachend über Leichen gegangen bist. Einen Pontifex maximus, der über eine Million von ihm selber erschlagener Leichen schreitet? Du sagst, das gibt es nicht? Schau dir doch nur den Julius Cäsar an! Er wird dich eines Besseren belehren. - Jeder gerät in eine Welt, die ihn entweder verschluckt, oder gegen die er sich zur Wehr setzt, die er für unwirklich erklärt oder in der er zumindest für eine neue Wirklichkeit Sorge trägt. Während der kleine, der kleinbürgerliche Mann gleichsam in einer fertigen Welt sich seine kleine Macht sucht und aufbaut und sich in ihr herumschlägt, indem der kleine, der kleinbürgerliche Mann das übergeordnete Ganze als gegeben hinnimmt, als Schicksal, Norm und Gesetz, als Gebot, Ordnung und Verpflichtung, strebt der Mann der unumschränkten Macht nach einer Welt, die er selber erst erschafft. Der kleine Mann ist frei, wenn er tut, was ihm erlaubt ist und was von ihm verlangt wird. Der Mann der Macht aber ist frei, wenn er auch noch den Letzten beseitigt hat, der ihm auch nur ein Stückchen seiner Macht streitig machen könnte. Seine Ehre ist verletzt, wenn sich am anderen Ende der Welt einer erhebt, selbst auch, wenn von dem nur die Rede geht, als wäre der eben so mächtig. Vollends einen Vorgesetzten zu haben, und sei es einen Gott, gehört nicht ins Vokabular dieses Mannes. Dem Mann der Macht gehört die Erde und die Erde ist der Schauplatz, auf dem er sich auslebt. Ebenso wenig gehören Wörter wie Dienst, Vorschrift, Pflicht in sein Vokabular, auch wenn er sich gern als Diener des Staates oder zum Wohl der Menschheit zeigt. "Schaut auf zu mir, wenn ihr es könnt", so scheint er lachend zu sagen. Ein Karikaturist, wenn er es sich denn getraute, könnte ihn darstellen, wie die Menschen von seinen Stiefeln in den Schlamm getreten zu ihm aufzuschauen versuchen. O diese Wollust der Macht! Nicht einmal der Besitz, sei es des Geldes, sei es von Frauen, reicht an die sie alle umfassende Wollust der Macht heran. Ihr dient er, für sie lebt er, für sie mobilisiert er die Massen. Habe ich erst die Fülle der Macht erreicht und sage ich dann im Rausch der Macht, Godwana ist meine Geliebte, so meine ich damit, dass mir Godwana das Gefühl der grenzenlosen Wollust und Selbstverwirklichung bietet. Mit Godwana kann ich dann machen, was ich will. Godwana ist dazu bereit, wie ein Weib, das sich unterordnet, weil es stolz ist auf seinen Mann und Herrscher. Und alle in Godwana werden an diesem Stolz teilhaben und sie werden sich klein machen aus Stolz und sie werden für ihn in den Kampf ziehen, und sie werden vergessen, dass sie früher einmal an ein ewiges Leben geglaubt haben. Nur noch zu sterben werden sie verlangen, aus Stolz auf ihren Herrscher und Tyrannen und Mörder. O nennt ihn doch, wie ihr wollt. Im Rausch der Macht kommt es auf keinen Namen mehr an.

Kasper: Mein Herr, Ihre Ausführungen in Ehren, aber gestatten Sie, dass mir einiges im Kopf durcheinander geht.

Hänsel: Auch mir ist nicht wohl bei allem, was da vorgegangen ist. Auch durch Ihre Ausführungen ist mir nicht besser geworden. Mögen sie uns auch etwas von der Natur gezeigt haben, die in uns allen haust, so trägt sie doch nur die Physiognomie eines Raubtieres.

Grünschnabel: Ich habe mich zwar der Hoffnung hingegeben, mich mit euch in ein Gespräch einzulassen, ich bin aber der Letzte, der sich aufdrängen will. Auch ich bin ja für eine Kultivierung, wenn ich auch bezweifle, dass sie ins Herz der Macht dringt.

Kasper: Vielleicht dass sich ein andermal eine bessere Gelegenheit findet.

Grünschnabel: Vielleicht! (für sich, weitergehend) Wie schade, wie jammerschade! Wo ich glaubte jemanden gefunden zu haben, mit dem sich hätte Austausch pflegen lassen! Vielleicht aber sind sie wirklich noch etwas zu jung. Ganz abgesehen davon, dass ich allmählich begreife, dass ich dem Hungertod entgegeneile, wenn es so weitergeht. Mir fehlt das Talent, mich mit meinen Gedanken und Vorstellungen unentbehrlich zu machen. Nur schade, dass ich keine schöne Frau bin, um den roten Teppich von Hollywood zu betreten.

Gretel: Warum hast du ihn abgewiesen? Mir hat seine Rede ja auch nicht gefallen. Ein Unrecht aber hat er uns ja nicht angetan.

Kasper: Mir ist, als hätte ich zu viel verraten oder als wären wir uns zu nahe gekommen.

Hänsel: Und was liegt dir jetzt im Sinn, Kasper?

Kasper: Weiß ich es denn? Vielleicht sollte ich mich fragen, wie glaubwürdig ich vor mir selber bin, dass ich mir nichts vorlüge.

Hänsel: Es fällt mir schwer, dich zu verstehen.

Kasper: Auch ich verstehe mich ja nicht. Ich brauche wohl noch etwas Zeit, zu mir zu kommen.

Hänsel: Sag, wenn dich etwas bedrückt!

Kasper: Wie sollen wir die Welt verstehen lernen, wenn sie jeder von uns für sich allein zu verstehen hat! Wenn wir einander nicht mehr brauchen, ist es das Beste, wenn wir uns aus dem Weg gehen.

Gretel: Aber den Hänsel brauch ich. Und Hänsel braucht mich. Sag ihm, Hänsel, dass wir einander brauchen!

Hänsel: Warte, Gretel! Kasper will noch etwas sagen!

Kasper: Es ist nicht die Armut, die als Voraussetzung dient, sich mit inneren Reichtümern zu erfüllen, es ist die Armut, die jede Illusion und jeden Schein der Hoffnung aus unserem Leben raubt.

Hänsel: Hörst du, Gretel!

Gretel: Die gesamte Welt ist eine Stätte der Erlösung. Der Mensch muss sich nur dazu bekennen, sich erlösen lassen zu wollen.

Kasper: So hat man das wohl früher einmal gesehen. Heute aber ist das für die Meisten eine gewagte, ja eine absurde Vorstellung. Früher hat es noch Kirchen gegeben, in denen man einen solchen Glauben gepflegt hat. Heute aber sind Kirchen bestenfalls noch da, um verstorbene Präsidenten aufzubahren und ihnen standesgemäße Exequien zuteilwerden zu lassen, ehe man sie in die standesgemäße Familiengruft überführt.

7. Abschnitt: Des Bischofs Rede. Die Vision vom 2. Luther

(während die beiden Bischöfe von der einen Seite herbei kommen, kommen von einer anderen Seite zwei Altenpfleger, die Essen ins Hexenhaus bringen.)

Ev. Bischof: Wer von uns kann sagen, er sei ein überzeugter Katholik oder er sei ein überzeugter Protestant? Sind wir nicht alle vor 500 Jahren gezwungen worden, uns der freien Entscheidung der Fürsten zu fügen, in deren Landen wir wohnten? Wer von uns wäre so frei gewesen, über sich selber zu verfügen? Nein, da hatte der Einzelne nichts zu melden. Der Fürst war es, der sich für seine Untertanen entschied. So war das bei den Lutheranern und ebenso stand die Sache bei den Kaiserlichen. Von der Freiheit des Christenmenschen gab es damals nicht die geringste Spur. Lächerlich also, wenn sich die Geschlechter vor uns für ihre Konfession ereiferten und jeden Andersgläubigen feindselig ansahen. Einem Katholik aus Bayern stand ein Katholik aus Südamerika näher als sein protestantischer Bruder aus Hamburg. Es gehört zu den betrüblichen Fakten unserer Landesgeschichte, dass uns erst die beiden Weltkriege näher zusammen gebracht haben. Aber das wird nun alles besser, wenn wir nun durch die Kunst unserer Kanzlerin in einem Verband aller Weltreligionen geeint werden.

Kath. Bischof: Davon träumt sie allerdings, zumal von der doppelten Religionsbürgerschaft.

Ev. Bischof: Mein Amtsbruder scheint nicht viel davon zu halten.

Kath. Bischof: Was immer ich auch davon halte, hier habe ich mich an die Weisung von oben zu halten.

Ev. Bischof: Ich verstehe. Nur vergessen Sie nicht, dass wir, was die Kirchensteuer angeht, im selben Boot sitzen. Und was die Rede für die 500-Jahrfeier von Luthers Thesenanschlag angeht, so befürchte ich, dass es ihr gerade auf diesen Punkt ankommt.

Die Alte: (sie stellt die Pfleger zur Rede, ehe sie ins Haus eintreten) Halt! Einen Augenblick! Sie da! - Halten Sie die beiden Männer fest!

(Zwei Minister eilen dorthin)

Die Alte: Was machen Sie da?

Die beiden Pfleger: Wir? Was wir machen?

Die Alte: Da wohnt also doch jemand drin.

Erster Pfleger: Gewiss. Es ist der alte Spinkin, ein Astronom.

Zweiter Pfleger: Wir bringen ihm das Essen.

Die Alte: Und was tut der da, in dem Haus?

Erster Pfleger: Er sitzt still in seinem Rollstuhl, an den er gefesselt ist, und träumt von Weltfahrten und von anderen Lebewesen, denkenden und handelnden Wesen, Aliens, die sich bereits all unser Denken und Können angeeignet haben. Ja, mehr noch. Selbst die Unsterblichkeit haben sich jene Aliens gesichert durch ständigen Ausbau und Neubau der einzelnen Organe. Und jetzt fahren sie durch Wurmlöcher und mit anderen raffinierten Erfindungen durch Raum und Zeit.

Grünschnabel: Und wozu das alles? Um Göttern einen Spaß zu bereiten? Ist es das, Freund Seneca? Oder sind wir nicht schon so zwergenhaft lächerlich und ameisenmäßig klein geworden, dass wir selbst unter dem Mikroskop nur noch wie Abfall erscheinen? Was sonst soll einer tun, wenn er sich nicht schon aufgegeben und in einen Dreckeimer gesetzt hat? Etwa auf verrückte Wesen aus dem Weltall warten?

Die Alte: Schnickschnack.

Zweiter Pfleger: Etwas braucht schließlich jeder Mensch, um seine Zeit zu vertreiben.

Erster Pfleger: Unter dieser Bühne aber gibt es keine Bühne mehr und wir brauchen auch keine Bühne mehr, ebenso wenig wie wir noch einen Gott brauchen. Wir haben kein Weltmodell mehr nötig außer dem der Physik. So hat er zu uns gesagt.

Grünschnabel: So schreiben wir denn von nun an Theater ohne eine metaphysische Grundlage!

Die Alte: Gut, dass die Herren kommen. Was sagen Sie dazu, dass sich unter dieser Bühne keine Bühne mehr befindet?

Ev. Bischof: Offenbar will der Mensch noch immer sein wie Gott.

Kath. Bischof: Gott aber hat das zugelassen in seiner unermesslichen Unbegreifbarkeit, als er den Menschen erschuf.

Erster Pfleger: Für den alten Spinkin gibt es keinen Gott mehr.

Schmeichelkuhle: Aber für die christlichen Parteien gibt es noch einen Gott. Das ist unser aller Konsens. Oder ist es nicht so, gnädige Frau?

Die Alte: Ein andermal, Schmeichelkuhle! (zu den beiden Bischöfen) Kommen Sie, meine Herren! Kommen wir auf die Rede für die 500-Jahrfeier zu sprechen.

Ev. Bischof: Denken Sie an die Rede, die wir Ihnen als Ghostwriter verfassen sollen oder an unsere eigenen Reden?

Die Alte: An beide.

Schmeichelkuhle: O, gnädige Frau! Ich hab doch auch eine Rede verfasst! Und Sie hatten die Güte, zumal den Beginn für durchaus gelungen zu erachten!

Frau Luise: Lassen Sie jetzt die Kanzlerin! Ich bitte Sie dringend!

Kath. Bischof: Im Bestreben, Ihre genialen Ideen den Völkern zu vermitteln, suchten wir die Einsamkeit auf. Dort hatten wir viel Zeit, die Reden zu memorieren.

Ev. Bischof: Wünschen gnädige Frau eine Probe meines katholischen Amtsbruders?

Kath. Bischof: Im Bestreben, der großen Reformation von 1517 gerecht zu werden, stehe ich freilich gern hinter meinem Mitbruder zurück.

Die Alte: Passen Sie auf!

Beide Bischöfe: Was ist Ihnen?

Die Alte: Jetzt hab ich´s.

Kath. Bischof: Was haben Sie?

Ev. Bischof: (vorsichtig) Haben Sie eine Erleuchtung oder nur eine kleine Erleichterung des Leibes?

Kath. Bischof: Jede Erleuchtung ist auch eine Erleichterung, jedenfalls sub specie aeternitatis.

Die Alte: Von Ihnen verlangt mich jetzt, etwas aus der Festtagsrede zu vernehmen.

Ev. Bischof: Von mir?

Die Alte: Ja, von Ihnen.

Ev. Bischof: Woran denken Sie? Etwa an die doppelte Religionsbürgerschaft? Darf ich davon ausgehen, dass Sie sich bei Ihrem letzten Besuch mit dem Papst geeinigt haben?

Die Alte: Was geht uns Protestanten der Papst an?

Ev. Bischof: Aber die Vision bleibt bestehen?

Die Alte: Was für eine Vision?

Ev. Bischof: Ich meine die Moschee, die der Papst zum Zeichen seiner ökumenischen Gesinnung in die Vatikanischen Gärten pflanzt?

Die Alte: Allerdings bleibt sie bestehen. - Beginnen Sie also! Anschließend hör ich mir noch ein Stück aus der Rede Ihres katholischen Amtsbruders an.

Ev. Bischof: Wie gnädige Frau wünschen.

Kath. Bischof: (für sich) Nur ohne die Vision.

Ev. Bischof: Versuche ich denn, mein Bestes zu geben!

Frau Luise: Warten Sie noch, Herr Bischof, ehe Sie beginnen! Wenn ich Ihnen noch einen Tipp mit auf den Weg geben darf, so versuchen Sie, Ihrer Stimme möglichst einen feinen, einschmeichelnden, bescheiden-sanften Ton zu geben, den Sie nur da und dort ein klein wenig modulieren. Und vor allem, machen Sie es nicht so, wie viele Prediger, die ihre Zuhörer einschläfern, um sie dann mit abrupt gellendem Schrei wieder zu wecken, als hätte man sie in die Unterwelt verfrachtet und nun erwachten sie in der Hölle. Die Sprechstunde und das Gespräch mit den Kindern hat unserer Kanzlerin mehr zugesetzt, als uns allen lieb sein darf.

Ev. Bischof: Ich werde tun, was in meinen Kräften steht.

Frau Luise: Und gestalten Sie Ihre Rede durchweg so, dass sie unseren Freunden aus Stockholm nicht im Weg steht.

Ev. Bischof: Da werde ich mich auf eine lange Rede gefasst machen. Denn wer weiß, wann die kommen. Es sei denn, der Himmel ist so gnädig und lässt unsre Kanzlerin entschlummern. Von daher ist der Hinweis, der Stimme einen möglichst feinen, einschmeichelnden, sanften Ton zu geben, durchaus bedeutsam. Versuch ich denn mein Glück! - In zwei Jahren ist es so weit; dann ist es genau ein halbes Jahrtausend her, seit bei uns in Europa die Fahnen der Reformation wehen. Glückseliges Deutschland, in welchem damals dieser neue Geist uns erreicht hat. Eine Kirchentüre zu Wittenberg war es, in einer kalten Nacht vor Allerheiligen, wo alles begann. Der Hang nach dem rechten Glauben war riesengroß.

Die Alte: Die Einzelheiten sind uns allen bekannt. Sie sollen also nicht präludieren, sondern zügig auf den Hauptpunkt zu sprechen kommen.

Ev. Bischof: Muss man nicht das Werk des ersten Luther begreifen, um dann das Werk des zweiten Luther würdigen zu können? - Damals gab es verfeindete Gruppen in Deutschland, nur um den rechten Glauben wieder zu erlangen.

Kath. Bischof: Später aber war die Verfeindung ein Werk der Fürsten, mithin der Regierenden, wie wir herausgefunden haben. Wir verstehen ja noch immer nicht, wie sich die Leute wie das liebe Vieh manipulieren und kommandieren lassen konnten: die einen ins evangelische, die andern ins katholische Lager, um dann auf die anderen, mit denen man zuvor friedlich zusammen gelebt hatte, los zu dreschen.

Ev. Bischof: Religionsfreiheit wurde von nun an von den Fürsten ausgeübt. Daran wäre weiter nichts einzuwenden; immer sind es die Regierenden, auch in den Demokratien, die den Ton angeben.

Die Alte: Auch darüber höre ich nicht gerne reden.

Ev. Bischof: Sie meinen, ich soll gleich auf das Anliegen des zweiten Luther zu sprechen kommen?! Nun gut. So übergehe ich denn das inzwischen unwesentlich Gewordene und komme gleich auf den Hauptpunkt zu sprechen. Es ist nämlich nicht nur so, dass wir auf ein großes Ereignis zurückschauen, es ist vielmehr so, dass wir aufgerufen sind, dieses große Ereignis durch ein ebenso großes, wenn nicht ein noch größeres, weiterzuführen und zu verherrlichen. Die Vision eines gigantischen Bauwerks schwebt uns vor Augen. Ein Bauwerk, in dem alle Weltreligionen zu einer einzigen, nun wahrhaft universalen, alles umfassenden Religion beisammen sind.

Die Alte: War es nicht ich, die die Not der vielen Konfessionen in unserem Land erkannt hat?

Ev. Bischof: Sie meinen, ich soll gleich auf Ihre Ideen zu sprechen kommen? Und von dem Tag reden, wo wir endlich unabhängig davon sind, ob es einen Gott gibt oder nicht; Hauptsache, wir sind in einer umfassenden Religion vereint?

Die Alte: Was reden Sie da?

Ev. Bischof: Nun ja. Auch wir sind schließlich nicht so dumm, dass wir nicht wüssten, dass es vor dem Urknall keine Zeit gegeben hat und mithin auch kein Ursache-Wirk-Prinzip. Dass da also keiner tätig geworden sein konnte. Und mithin dass da keine Schöpfung stattgefunden haben kann.

Die Alte: (müde Platz nehmend in ihrem Kanzlerstuhl vor dem Hexenhaus) Wir brauchen etwas, was uns alle zusammenschließt.

Ev. Bischof: Nur dass uns keine Macht dazu gegeben ist wie den Fürsten damals. Demokratie, zumal in der Spielart der liberalen Demokratie, verträgt sich nicht gut mit dem Gedanken einer von Gott verliehenen Macht.

Kath. Bischof: Auch war damals das Bedürfnis nach Glauben sehr groß, heute aber ist es sehr klein.

Ev. Bischof: Undenkbar, dass wir ein Plebiszit einholen, wenn wir wissen wollen, was für eine Religion als die Religion der Zukunft am besten ist.

Die Alte: Auch darüber sollten Sie nicht reden. Die Masse muss das nicht wissen.

Kath. Bischof: Aber das dürfen wir doch wohl sagen, dass sich kaum einer eine Vorstellung macht, wie fleißig wir an diesem Werk gearbeitet haben

Die Alte: Jede Art von Nabelschau müssen wir übergehen. Das ist bei uns nicht anders als wie in Amerika, wo jeder hart arbeitet, auch wenn er nur Bananen verkauft oder Golf spielt.

Ev. Bischof: (für sich) Wie zäh das ist! So find ich kein Glück. Um die Alte zufrieden zu stellen, muss ich sie einschläfern. Ja, ich muss von etwas ansprechen, was sie interessiert und aufhorchen lässt, und was sie doch zugleich möglichst schnell ermüdet. (lauter werdend) Nun wissen wir ja, dass wir es unserer Kanzlerin, einer gebürtigen Pfarrerstochter zu verdanken haben, dass sie sich um die Verständigung unter den Religionen viele Gedanken gemacht hat. Man bedenke ja nur, dass schon lange kein einziger katholischer Theologieprofessor mehr an die Unfehlbarkeit des Papstes glaubt; kaum einer mehr an die Göttlichkeit des Sohnes; nur wenige noch an die Kraft eines heiligen Geistes und an ein ewiges Leben.

Die Alte: (schläfrig) Das alles brauchen wir auch nicht mehr hier auf Erden. Nur eines tut Not! Deutschland als Einwandererland im Auge zu behalten! Nachdem sich Deutschland als ein Einwandererland definiert hat - Nun, fahren Sie fort!

Hänsel: (während der ev. Bischof weiter auf die Alte schmeichelnd einredet) Was für eine Stille überall. Wie vor einem Gewitter! Dabei sollten längst Blitze den Nebelvorhang aufziehen und mit ihrem langhin hallenden Donnergebrüll die Stille zerreißen.

Kasper: Freund! Die Natur nimmt schon lang keine Rücksicht mehr auf den Menschen. Sie hat ihn längst aus den Augen verloren.

Ev. Bischof: Fasse ich denn alles so zusammen! Nachdem sich Deutschland als ein Einwandererland definiert hat, obliegt uns, zu einem bedeutsamen, alle umfassenden Bekenntnis vorzustoßen. Denn wie damals vor 500 Jahren, so steht auch hier die Freiheit des Menschen im Vordergrund. Und dieses ist es denn auch und daran bauen wir, dass wir sagen können "Wir alle haben dieselbe Religion, wenn auch bei den einen ein Minarett in den Himmel ragt, bei den anderen eine Kirchturmspitze." Multikulturelle Vielfalt und Bereicherung, das sind die Schlagworte, die

(man hört Trommeln)

Die Alte: (schlafend) Schlagworte, die ...

Ministerin: Wachen Sie auf, gnädige Frau!

Die Alte: (schlafend) Schlagworte, die ... Wer schlägt mit Schlagworten? (plötzlich erwachend) Sind die Leute aus Stockholm mit Schlagstöcken gekommen?

5. Szene: Rasputin

1. Abschnitt: Der Waffenhändler tritt auf. Bedrohung durch Waffen

Stimme von Sklaven: Ein letztes Modell haben wir noch aus dem Pantheon in Paris ergattert.

Rasputin: Bringt es herbei! Doch gebt Acht, dass es nicht entzwei bricht! Wenn es jemals in der Menschheit zum Bau einer grandiosen und einzigartigen Maschine gekommen ist, so hier! - (während er erscheint) Halt, keine Bewegung! Wer sich muckst wird erschossen!

Eine Ministerin: Was soll dieses Benehmen?

Rasputin: Was meint die Dame?

Eine Ministerin: Wenn ich in der Fremde ankomme, grüße ich zuerst und stelle mich vor.

Rasputin: Na und? Muss ich tun, was Sie tun?

Eine Ministerin: Stets sollten die Spielregeln der Diplomatie eingehalten werden!

Rasputin: Was gehen uns die Spielregeln der Diplomatie an? - (zu seinen Sklaven) Her mit den Waffen, damit man sehen kann, was wir bringen!

Ein Minister: Soll hier ein roter Platz entstehen?

Die Alte: Wer sind Sie? Was suchen Sie hier? Und was sind das für Leute?

Rasputin: Vive la guerre! Sie kennen doch das herrliche Bild von Henri Rousseau!

Die Alte: Mein Herr, ich könnte Sie festnehmen lassen. (sie schaut zu den Leibwächtern)

Rasputin: (auf Französisch) Mon dieu! Sagen Sie es ihren Hilfskräften, ehe es zu Missverständnissen kommt.

Schmeichelkuhle: Sie sind kein Franzose. Sie tun nur so. In Wahrheit sind Sie ein Russe.

Frau Luise: Das glaube ich auch nicht, dass Sie Franzose sind!

Rasputin: Als ob ein Russe nicht auch Französisch reden könnte!

Kath. Bischof: Geben Sie Auskunft, wer Sie sind und wer Sie geschickt hat!

Rasputin: Fast macht er mir Angst, der ehrwürdige Herr! Er könnte mich ja exkommunizieren! (er lacht) War das nicht ein toller Scherz? Denn wie kann er mich exkommunizieren, wo ich überhaupt nicht zu seinem Verein gehöre? Aber wer mag es wissen? Vielleicht hat seine Exzellenz gar noch die heilige Brüderschaft hinter sich? (er zückt ein Gewehr) Sie sollen kommen, die heiligen Brüder! Dann wollen wir sehen, wem Gott zur Seite steht!

Die Alte: Das geht zu weit.

Rasputin: Was haben Sie?

Ministerin: Legen Sie das Gewehr bei Seite!

Eine Abgeordnete: In Auftritt, Gehabe, Sprache und Tonfall erinnert mich dieser Gentleman an den Mann, der jüngst in unser Haus eingebrochen ist. Jawohl, so ist das. Lügen Sie nur nicht. Ich hab Sie erkannt.

Rasputin: (singt)

Wer keine Wahrheit kennt, kann auch nicht lügen!

Kann, Schätzchen; dich nach Herzenslust betrügen

Und ist doch allzeit edel, hilfreich gut!

Der schießt die Kreuz und Quer, wies ihm gefällt,

auf alles, was sich in den Weg ihm stellt

mit unbesiegbar starkem Heldenmut.

 

Und kommt der Wunsch auf, dass die Waffen schweigen,

ist er bereit, willfährig sich zu zeigen,

zumal wenn anders ist ein Weiterkommen nicht.

Nicht schöner lässt ein Krieg sich doch gestalten,

Wenn sich die einen an Vereinbarungen halten,

derweil die andre Seite sie fortwährend bricht.

Die Wahrheit aber ist und bleibt, dass man nie genug Waffen zu Haus haben kann, zumal in so bitterböser Zeit wie heute. Mir als Waffenverkäufer sind Sie ja aber keine Konkurrenz, gnädige Frau, wie ich gehört habe. Sie verkaufen ja keine Waffen. Das haben mir diese Jungens da gesagt!

Die Alte: So ist das; und so soll das auch weiterhin bleiben.

Rasputin: Schön und lieb gesprochen, wie es sich für eine Protestantin gehört. Und doch heißt das noch lange nicht, dass einer, der keine Waffen verkauft, nicht auch Waffen kaufen dürfte. Im Gegenteil. Wenn ich mir als Waffenhändler eine ideale Welt vorstelle, so besteht sie aus mir und aus lauter Pazifisten, die begierig sind, mir alle Waffen abzukaufen, um bis zum jüngsten Tag gegeneinander zu kämpfen, bis auch noch die letzte Kinderpistole verschwunden ist. Sehen Sie sich doch nur diese hübsche Pistole an! Sie glauben ja nicht, was die alles kann! Bei uns zuhause, in Moskau, erkennt die Kleine schon von Ferne den kleinsten unbedeutenden Oppositionellen. Verschwinde, sagt meine süße Kleine zu ihm, wenn sie in einem Auto herangefahren kommt. Verschwinde, wenn du nicht willst, dass ich dir dabei helfe.

Alvarez: Und dass nur niemand glaubt, bei der Aufklärung der Tat später gehe es zu wie beim Dorfrichter Adam! Da wird keine kleinbürgerliche Komödie gespielt. Fragen Sie doch nur Herrn Nemzow!

Rasputin: Ursprünglich war meine Kleine übrigens eine einschüssige Feuerwaffe, ehe wir sie mehrschüssig gemacht haben. Beinahe überflüssig ist wohl, dass ich hinzufüge, dass diese hübsche Pistole eine Selbstladepistole ist. Nach dem Schuss wird durch den Rückstoß die Hülse ausgeworfen und die Pistole von selbst neu geladen und gespannt. Wenn da das Schießen nicht jedem kinderleicht gemacht wird!

Die Alte: Ich bitte Sie, gehen Sie jetzt wieder!

Rasputin: Ist das ein Willkommensgruß, wo ich eben erst gekommen bin? Sie wissen ja noch nicht einmal, wer ich bin.

Die Alte: Ich weiß genug.

Rasputin: So wissen Sie, dass ich der böse Wolf bin aus dem finsteren Wald? Es war mir ein Vergnügen, den Schwanz zwischen die Pfoten zu nehmen und herbei zu schleichen, um zu sehen, was es hier gibt. Man wird Ihnen kaum sagen müssen, dass der böse Wolf stets darauf wartet, ein Bein zwischen die Türen zu bringen. Geben Sie nur auch zu, gnädige Frau, dass die Politik etwas vom Langweiligsten wäre, wenn nicht ab und zu ein kleines Scharmützel stattfände.

Die Alte: Über solche Ansichten bin ich, mit Verlaub gesagt, sogar sehr entrüstet.

Rasputin: Als ob in Deutschland nicht auch Leute hops gingen, weil sie verhungern oder erfrieren. Oder haben Sie schon alle Ställe durchmustert und sich vom Gegenteil überzeugt?

Erster: Aber die Männer, die da Sklavendienst tun, das sind doch die Peschmerga-Kämpfer, die uns um Waffen angebettelt haben.

Zweiter: Und die anderen, das sind die Ukrainer!

Dritter: Offenbar sind sie in die Gewalt dieses Gewalttäters geraten.

Rasputin: Nachdem Sie es versäumt haben, diese Leute auszurüsten, sind sie in meinen Hände geraten. (zu den Peschmerga) Keinen Mucks, meine Herren. Tragen Sie sofort sämtliche Waffen aus meinen Arsenalen herbei! (zu den Ukrainern) Und Sie, meine Herren, helfen den Leuten beim Herbeischaffen des Kunstwerks, das wir uns vom Antiquitäten-Jahrmarkt aus Paris mitgenommen haben! - (zur Alten) Ihnen aber verspreche ich eine Mitgift, mit der Sie gegen jeden Feind bestehen können, einerlei ob er es zu Wasser, zu Land oder aus der Luft auf Sie abgesehen hat.

Die Alte: Dazu besteht keine Not.

Rasputin: Noch keine, gnädige Frau. Doch gesetzt, da macht bei einem Sperber der Hormonhaushalt Sprünge! Was macht dann die Frau Sperberin? - Aber auch wenn Sie keinen Feind mehr haben sollten und auch bei Ihnen alle Hormone schlafen gegangen sind, so kann sich gleichwohl auch in Ihrem Innersten noch ein Feind melden. Wehe, Sie entdeckten einen solchen letzten Feind in sich und wären nicht in der Lage, ihn in die Luft zu sprengen.

Die Alte: (zum Bundestagspräsident) Diese Peschmerga und diese Ukrainer lassen mir keine Ruhe. Nun tragen wir eine Mitschuld, weil wir sie nicht mit Waffen versorgt haben.

Bundestagspräsident: Wenn der Mann so gefährlich ist, wie er zu sein scheint, so liegt es jetzt an uns, der Eskalation vorzubeugen.

Rasputin: Wenn Sie unbedingt ganz genau wissen wollen, meine Damen und Herren, wie ich in den Besitz dieser Männer gekommen bin, so sage ich Ihnen, dass sie mich wegen Waffen angegangen sind. Dabei hatten sie noch nicht einmal einen einzigen stinkenden Euro in der Tasche. Welcher Geschäftsmann aber verkauft Waren zum Nulltarif? In meiner Herzenseinfalt habe ich mich immerhin erweichen lassen, sie eine Zeitlang in meinen Dienst zu nehmen. Vielleicht, dass sie zum Abschied ein paar Knallfrösche geschenkt bekommen.

Peschmerga und Ukrainer: Helfen Sie uns, gnädige Frau, sonst sind wir verloren.

Rasputin: Wollt ihr schweigen, ihr Hunde!

Die Alte: Wer andere zum Schweigen zwingt, hat wohl etwas zu verbergen.

Ukrainer: Das ist Rasputin, der schlimmste Waffenhändler seit Kain und Abel.

Rasputin: Noch ein Wort und ich lege euch an die Kette!

Grünschnabel: (singt) Uns jagt durchs Leben, ja durchs Leben jagt / das Leben uns, bis uns das Sterben tagt!

Die Alte: Wir dachten, Glasnost und Perestroika hätten Einzug gehalten in Russland.

Rasputin: Was interessiert mich, was ihr dachtet!

Bundestagspräsident: Eingeklemmt in die Maschinerie der Ohnmacht, was vermag da der Mensch noch zu tun!

Rasputin: Rasputin bin ich und Rasputin heiß ich. Und mein Ruhm als der mächtigste Waffenhändler der Welt hallt pausenlos zum Himmel. Oder haben Sie noch nie den herrlichen Werbeslogan gehört: "Fakten schaffen mit russischen Waffen!" Kein Tag vergeht, wo er sich nicht herrlich bewahrheitet.

Die Alte: Wir setzen auf Frieden.

Rasputin: Gnädige Frau hat wohl in der Schule gefehlt, als durchgenommen wurde, auf welche Weisen man Frieden schaffen kann. - Damit Sie aber gleich das Wichtigste wissen, so will ich Ihnen auch gar nicht länger verschweigen, dass ich überall, wo immer schlechte Arbeit verrichtet wird, zur Stelle bin, den großen Weltfrieden auf die Füße zu stellen. So könnte es Sie vielleicht interessieren, dass wir unseren Freunden aus dem Iran, von dessen Generälen einer vorgestern auf den syrischen Golanhöhen erschossen wurde, unsere Hilfe beim Bau und der Bedienung von Atombomben zugesagt haben.

Die Alte: Wie scheußlich!

Rasputin: Scheußlich, aber wahr. Ein Land, das etwas auf sich hält, hat eine mit einer Atombombe bestückte Rakete, hinter der es wie ein Mann steht, bereit, den Knopf zu drücken. Nur so heischt es sich Respekt.

Die Alte: Rasputin will der Mann heißen? Den hat es doch schon einmal in der Geschichte gegeben.

Bundestagspräsident: Jener Rasputin spielte aber als Wandermönch am Zarenhof eine Rolle und wurde vom Hof ermordet, ein Jahr vor Jekaterinburg.

Die Alte: Und was sagen Sie zu dem Mann, Luise?

Frau Luise: Er macht wohl etwas Lärm um seine Person. Vielleicht war er einmal drei Tage in Paris. Aber das sind wir doch gewöhnt bei den Männern. Im Übrigen absolut harmlos; fast möchte ich sagen, zur Verharmlosung geeignet.

Rasputin: (zu den herbeigeschafften Waffen tretend) Schaut euch nur diese wundervollen Kalaschnikoffs an! Rund und schön wie heiße Kartoffeln! Was die nicht alles können! Fragen Sie nur nach bei unseren Kunden. Weltweit kann man nichts als Lobenswertes über unsere Waffen sagen. Und wenn Sie keinem trauen, so schicken Sie eine unserer Drohnen übers Land. Keine Aufklärung kann besser sein.

Die Alte: Wir kennen diese Bilder. Verwüstete Städte, soweit das Auge reicht. So z.B. in Syrien, das Dank unverantwortlicher Intervention nur mehr noch aus Schutt besteht, von den unwiederbringlichen Kulturschätzen ganz zu schweigen.

Rasputin: Wenn ihr nicht wollt, dass eine von diesen wundervollen Kalaschnikoffs euch kalaschnifiziert und massakriert, so müsst ihr sie schnell aufkaufen. - Oder gelüstet euch nach diesen Waffen? Technisch sind die das Feinste, was man sich nur denken kann. Man muss eigentlich nur noch auf den Knopf drücken; dann nimmt die Maschine das eingegebene Ziel ins Visier und der Feind ist erledigt. Für den Fall etwa, dass sich ein Taliban zu dem Hexenhaus her verirrt oder dass die Al Kaida nach Berlin kommt, oder die Boko Haram nach Dresden oder die Mannen des IS nach dem gastlichen München?

Die Alte: Wir brauchen überhaupt nichts.

Rasputin: Das sollte ein Politiker nie sagen. Denn man kann ja nie wissen. Es ist immer gut, für den Notfall gewappnet zu sein. Sagt doch schon die Bibel, dass es um eine Stadt schlecht bestellt ist, die sich keiner Mauern und keiner Wächter erfreut. So ein kleiner Urwald, wie der da, der genügt ja noch nicht einmal einer alten Maus als Rückzugs- und Verschanzungsort. Wenn ich Sie aber noch immer nicht überzeugt haben sollte, so lassen Sie es sich gesagt sein, dass wir alle von mir genannten Leute vorzüglich aufgerüstet haben. Sie sind nicht nur bis an die Zähne bewaffnet, sie sind auch schon überall unterwegs.

Die Alte: Wir brauchen keinen, der Kriege anzettelt, um Frieden zu schaffen. Und deshalb darf ich Sie jetzt bitten, wieder zu gehen.

Rasputin: Langsam, langsam, gnädige Frau! Siga, siga! Wie der Neugrieche sagt. Wir zetteln keine Kriege an. Nur die bestehenden Kriege beeinflussen wir mit unseren Waffen, einmal damit dort der Friede erreicht wird, zum andern aber auch, damit die Familien unserer Soldaten etwas zu essen bekommen. Diese Lieferungen sind ein Teil unserer humanitären Lösungen.

Die Alte: Gibt es keine besseren Lösungen?

Rasputin: Das müssen gerade Sie fragen, verehrte Dame, wo man uns hauptsächlich auf Ihr Betreiben hin von Brüssel aus bestreikt. Der Rubel fällt. Esswaren werden unerschwinglich teuer. Jetzt sollen nicht einmal mehr Computer an uns verkauft werden.

Die Alte: Das kann sich schnell ändern. Ich habe da ein wunderbares Angebot an den russischen Präsidenten. Alles aber hat selbstverständlich seinen Preis.

Rasputin: Seht her, da kommen auch schon die Bedingungen!

Die Alte: So sage ich denn, dass wir ernstlich über die Einrichtung einer Eurasischen Freihandelszone nachdenken. Damit würde der zutiefst geschändete Rubel wieder an Glanz gewinnen. Wir müssten aber sicher sein, dass die Minsker Verträge umgesetzt werden und dass kein Unbefugter nach dem Besitz der Ukraine die Finger leckt.

Rasputin: Da sei Gott vor. Nur Befugte gibt es im Herrschaftshaus der Moskowiter. Unbefugt aber ist der, der sich in Moskaus Interessen kontraproduktiv einzumischen sucht.

Einer: (für sich) Dass die Peschmerga-Kämpfer aus Kobane und die Männer aus der Ukraine in die Hände dieses Bluthundes fallen mussten! Hätten wir ihnen nur Waffen gegeben!

Rasputin: Doch kehren wir zurück zu unserem Geschäft! Hier, meine Herren, können Sie noch unsere befürchteten Luftabwehr-Raketen bewundern. Hundertfach bereits getestet und erprobt, zuletzt erst noch in der Ostukraine. Sie erinnern sich doch noch an die fliegenden Holländer!?

Die Alte: Reden Sie schicklicher!

Rasputin: Die Sprache der Macht und die Sprache der Waffen ist nicht die Sprache zur Feigheit neigender Diplomatie. - Tugend wird verschwendet, Gotteskraft verlacht, wo die Freiheit endet und die Feigheit wacht.

Die Alte: Das müssen gerade Sie sagen.

Kicherhahn: (für sich träumend) Immerhin könnte man uns mit so einer Wunderrakete auf Martini oder Weihnachten ein paar Flughühner oder Wildgänse in den Bratentopf hinein zaubern. Für mein Leben gern esse ich eine Gans, zumal wenn sie ordentlich geschmort und tschechövlich zubereitet auf den Tisch kommt.

Rasputin: O meine Damen und Herren! Sehen Sie her, was ich Ihnen jetzt bringe!

(Die Leute aus der Ukraine bringen die Guillotine)

Rasputin: Nun, was sagen Sie dazu? Eine Antiquität vom Feinsten. Nur einen kleinen Umbau haben wir vorgenommen, eine kleine Modernisierung sozusagen, um dem Ganzen ein passenderes, unserem Zeitalter angepasstes Outfit zu geben. Sie verstehen schon.

Die Alte: Gehen Sie und nehmen Sie alle diese Sachen mit sich.

Rasputin: Aber, aber! Gnädige Frau! Ich darf Sie doch um eine andächtige Haltung bitten angesichts dieses Kunstwerks! Wie ein Dachstuhl mit einem Kamin wölbt sich das Ganze gegen den Himmel, gleichsam als eine Antwort der Erde auf die Schöpfung des Himmels. Sie glauben mir nicht? Wiewohl es offenkundig ist vor Ihren Augen! Das letzte Instrument ist das, von dem geschrieben steht, dass es die Menschheit heilt oder, wenn es sie nicht heilt, sie diszipliniert oder, wenn es sie nicht diszipliniert, sie zur Ruhe bringt. Aber vielleicht fehlt Ihnen der Geist, der nicht im Elend der Gegenwart stecken bleibt, sondern weiter dringt und sich Klarheit verschafft, so dass Ihnen verborgen bleibt, dass von diesem Thronsitz aus einmal alle Macht ausgeht. Mag dem aber auch so sein, so nutzen Sie gleichwohl die Gelegenheit, sich das Wunder dieser Maschine anzuschauen! Da droben, da steckt man den Delinquenten hinein. - Sie wenden sich ab? Sie glauben mir nicht?

Die Alte: Makabre Scherze!

Viele: Jawohl, das sind makabre Scherze!

Rasputin: Was soll das? Seid ihr schwach auf der Brust? Was das freiheitsliebende Volk der Franzosen durfte, wollt ihr einem Rasputin verweigern? Wozu auch schaut ihr euch jeden Abend ein Dutzend Krimis an, wenn euch der Brechreiz überkommt! - Hierher mit dem Schmuckstück zur Verherrlichung der Freiheit! Als Verehrer der Freiheit kennen Sie vermutlich die Mechanik der Guillotine aus dem FF. Sie ist ebenso einfach wie effizient, jedenfalls für die damalige Zeit. Warum sagen Sie nichts?

Die Alte: Sagen Sie, was Sie wollen. Für mich sind das makabre Scherze.

Rasputin: Als wär ich ein Erzähler aus 1001 Nacht! Wie ich sehe, gelüstet Sie, den Wunderapparat in Aktion zu sehen. Ich hätte da noch einen speziellen Gefangenen aus der Ostukraine. Einen echten Ukrainer, einen Nachfahren Gogols, der besonders gegen die prorussische Front gekämpft hat. Russische Freischärler haben ihn mir zum Geschenk gemacht. - Schafft ihn herbei! - Komm her, du Bengel! (er winkt einem Ukrainer) Damit mich niemand der Lüge bezichtigt.

Der Ukrainer: (verzweifelt) Gnädige Frau! Lassen Sie nicht zu, dass man mich köpft!

Die Alte: Lassen Sie den Mann. Das geht zu weit!

Rasputin: Was haben Sie? Aus eins mach zwei; aus zwei mach keins; das ist das Hexeneinmaleins.

Die Alte: Ich erhebe Einspruch. Wo sind wir denn eigentlich.

Rasputin: Das zu wissen tut allerdings Not. Und ich will Sie auch nicht in Ihrer Unwissenheit lassen und Ihnen sagen, wo wir uns befinden. In einem der lügenhaftesten Jahrhunderte aller Zeiten befinden wir uns. Heucheln wir uns nur nichts vor! Mögen uns auch die Frommen den Bruder Mensch als etwas Einmaliges und Wunderbares vorstellen, die Wahrheit ist doch, dass dir dein Hund zuhause wichtiger ist als dein kranker Nachbar von nebenan. Und dass nichts leichter und häufiger geschieht, als dass ein Mensch einem anderen Menschen wie ein Wolf begegnet. Und wehe, es gäbe keine Gesetze! Wie Kakerlaken würde man sich gegenseitig zertreten. Noch nie hat man auf einen Einzelnen Rücksicht genommen, es sei denn, dass er es verstanden hätte, Stroh in Gold zu verwandeln oder Raketen mit Atombomben zu bauen. - Doch lassen wir es gut sein. Es könnten uns Jugendliche unter 18 Jahren zuschauen. - (zu den Ukrainern) Doch ihr, kniet nieder, ihr Hunde!

Die Ukrainer: Müssen wir uns niederknien?

Die Alte: Nicht vor mir.

Viele: Und auch nicht vor uns!

Rasputin: Aber vor mir! Hierher! (zu den Peschmerga) Legt sie an die Kette!

Die Alte: Was tun die da?

Rasputin: Hunde muss man doch wohl an die Kette legen!

Die Alte: Das sind keine Hunde.

Rasputin: O gnädige Frau. Leute, die es nicht einmal zum affirmativen Bewusstsein ihrer unendlichen Subjektivität geschafft haben, muss man doch wohl als ehrlose Hunde bezeichnen. Ganz zu schweigen davon, dass sie in ihrer Ehrlosigkeit vergessen haben, aus welchem Land ihnen die Sonne kommt!

(die Ukrainer knien nun um die Guillotine herum)

Rasputin: Wie lange das doch dauert, bis der Mensch etwas kapiert! - Und da bleibt ihr, bis ich "Levate!" sage. So heißt das doch im Kirchendeutsch. (zu den Kurden, denen er jeweils eine Peitsche reicht) Und ihr passt gut auf, dass getan wird, was ich befehle!

Die Alte: Ich bin es müde, mir noch länger dieses menschenverachtende Spektakel anzuschauen.

Rasputin: Ich kann Ihnen nur sagen, gnädige Frau! Decken Sie sich des Nachts lieber mit Waffen zu als mit einem Deckbett! Nutzen Sie die Zeit! Warten Sie nicht, bis man von Kiew aus gegen Sie in den Krieg zieht!

Die Alte: Von dort aus zieht niemand gegen uns in den Krieg.

Rasputin: Auch die neugewählten Kommunisten aus Athen gilt es, im Auge zu behalten.

Die Alte: Auch vor denen habe ich keine Angst.

Rasputin: Freilich. Solange sie noch in der Ferne weilen.

Schmeichelkuhle: Ich beschütze die gnädige Frau.

Rasputin: Dann haben Sie eben vor der Schweizer Garde Angst! Weil Sie den Papst gebeten haben, sich eine Moschee in den Vatikanischen Garten zu pflanzen. Wie ich gehört habe, besucht gnädige Frau nämlich immer wieder den päpstlichen Stuhl, um ihm ihre neuesten Befehle mitzuteilen. - Irritiert Sie die Wahrheit?

Die Alte: Lassen Sie das nur meine Sorge sein!

Rasputin: Immerhin fand ich es lustig, dass Sie, als Sie ihn das letzte Mal besuchten, ich meine nicht den Stuhl, sondern den, der auf dem Stuhl sitzt, ihn zum großen Reformationsfest eingeladen haben. Sie wollen sich dazu nicht äußern? Auch nicht dazu, was Seine Heiligkeit auf Ihre Idee der doppelten Religionsbürgerschaft gesagt hat? Immerhin finde ich es ergötzlich, sich vorzustellen, wie der Papst in seine Vatikanischen Gärten geht, versteht sich in toddunkler Nacht, um eine Moschee zu pflanzen.

Die Alte: Ich habe Sie gebeten, zu gehen. Da Sie aber meiner Weisung nicht gefolgt sind und ich Sie nicht mit Gewalt fortschaffen kann, so gehe nun eben ich.

Rasputin: Warten Sie! (zum kath. Bischof) Sagen Sie erst "levate!" Herr Bischof! Vielleicht hilft das der Gnädigsten!

Kath. Bischof: Ich denke nicht daran.

Rasputin: (ihn bedrohend) Vielleicht ändern Sie jetzt Ihre Meinung!

Kath. Bischof: (für sich) Nur um ein Blutvergießen zu verhindern, füge ich mich denn. - (laut) Levate! (alle erheben sich)

Rasputin: Seit Dostojewskis Iwan weiß auch der letzte Russe, dass es für einen Großinquisitor wie Sie keine Gnade mehr gibt. Und auch Sie, gnädige Frau, sind wohlberaten, wenn Sie jetzt keine Dummheiten machen.

(Rasputin bedient ein Gerät und das Hexenhaus stürzt mit lautem Gepolter in sich zusammen)

Die Alte: Und der Sipkin?

Rasputin: Sie meinen der Spinkin? - Jetzt ist sein Fahrzeug futsch und auch die Zeit, die er noch hatte und die er vielleicht noch hätte in die Länge ziehen können, ist futsch. Von jetzt an wird er kein Fahrzeug mehr durch Raum und Zeit steuern.

Bundestagspräsident: Was für ein Fahrzeug?

1. Pfleger: Sein Leben!

2. Pfleger: "Zeig mir den Gott, der mich das Sterben lehrt, / wenn ich mir Leben schaff, das allen Tod entbehrt." So hat er noch gesagt, als wir ihn verließen.

Kath. Bischof: Nichts als Hochmut, der jetzt vorbei ist.

Rasputin: In der Tat haben wir ihn durch ein Wurmloch in eine andere Galaxie geschickt! Wenn es Sie aber gelüstet, so können Sie ihm versuchsweise noch ein requiem aeternam nachschicken.

Ev. Bischof: Jetzt weiß er auf jeden Fall, ob es noch einen Gott gibt oder nicht.

Grünschnabel: (für sich) Sofern es für ihn überhaupt noch etwas zu wissen gibt in seiner Nicht-Existenz.

2. Abschnitt: Ein Bote berichtet vom Blutbad in Paris. Rasputins Vision.

Bote: Meine Damen und Herren. Ehrwürdige Exzellenzen. Verehrte Frau Kanzlerin!

Die Alte: Was hat er? Was kommt er so außer Atem daher? Was gibt es zu berichten?

Bote: Nachdem man in Libyen unschuldige koptische Christen ermordet hat, ist es nun auch in Paris zu einem Blutbad gekommen.

Rasputin: Habe ich es nicht gesagt, dass man sich vorsehen muss? Der Wehrlose wird überrannt. Madame mag daraus entnehmen, was für ein Fehler es ist, sich nicht bis an die Zähne zu bewaffnen. Sonst muss sie sich nicht wundern, wenn bald auch schon in Berlin die Fahne des Islamischen Staates weht.

Die Alte: Nun? Sagen Sie uns endlich, was Sie uns zu sagen haben!

Bote: Es gibt da ein Satireblättchen im Herzen von Paris. Im Namen der Pressefreiheit hatte es sich herausgenommen, auf laszive Weise mit dem Propheten umzugehen. Man glaubte, sich diese Freiheit herausnehmen zu dürfen, da man sie sich solcherlei schon seit Jahren, wenn auch nicht gegen die regierenden Oberhäupter des Landes, so doch gegen den Papst und gegen die katholischen Bischöfe herausgenommen hatte. Damit aber hatte man die Gotteskrieger gereizt. Der Rubikon war überschritten. Drei ihrer Elitesoldaten erstürmten am frühen Morgen den Verlag.

Die Alte: Und?

Der Bote: Sie richteten die Chefredakteure nieder. Als Racheakt und Wiedergutmachung für den beleidigten Propheten.

Ev. Bischof: Dass wir uns doch nie durch Hass verführen lassen!

Kath. Bischof: Man sollte aber auch niemand zum Hass reizen.

Ev. Bischof: Und doch muss man sich in der Gewalt haben.

Kath. Bischof: Nur dass das nicht jeder schafft, zumal wenn es sich um ein so hohes Gut handelt wie die Beschmutzung des ihm Heiligsten. Schon Paulus hat im 2. Korintherbrief gesagt, wir sollten auf die Schwachen Rücksicht nehmen.

Rasputin: Ja, meine Herren, da haben wir es.

Die Alte: Was wollen Sie damit sagen?

Rasputin: Dass es so nicht weitergeht mit der Auslegung der Freiheit, wie sie der Westen praktiziert.

Die Alte: Das lassen Sie nur unsere Sorge sein.

Rasputin: Da gibt es z.B. auch noch Nordkorea. Ein zwar nur ein kleines, aber ein wackeres Ländchen. Zumal, da es auch hier vor noch nicht allzu langer Zeit zu einer gemeinen Verspottung kam, etwas anderes bringt ja die sogenannte Kunst im Westen nicht mehr hervor, ich sage, da es verspottet wurde, hielten wir es für unsere Pflicht, dem gedemütigten Land einen Besuch abzustatten. In der Delegation war selbstverständlich auch ich mit einer unserer nagelneuen Atombomben. Man konnte förmlich noch den Lack riechen, mit dem sie übermalt wurde. - Dort angekommen zeigte man uns den niederträchtigen US-Film gegen Kim-Jong-Il. Aber darauf vorbereitet hatten wir unseren Freunden aus Nordkorea einen Gegenstreifen mitgebracht. Kunst vom Feinsten. - Knie nieder, Ami! - Hier knie ich ja schon.- Und nun erweise Kim-Jong-Il, dem Herrn über Leben und Tod, deinen Kotau. - Das war so eine der prickelnden Szenen. Da hättet ihr mal den Ami hören sollen! Größter aller Monarchen, großmächtiger Kim-Jong-Il. Wir bitten dich: lass aus deinen gütigen Händen Frieden herabregnen auf den weiten Erdkreis. - Aber Kim-Jong-Il blieb versteinert. "Hund", sagte er, "Küss mir die Schuhsohle!" Er wusste nämlich, dass der Hund nur heuchelte. Hunde aus Amerika können nur heucheln, während wir als ehrliche Russenmenschen Krieg bieten oder Frieden. Nachdem der ihm dann die Schuhsohlen geküsst hatte, schaute er auf, in der Hoffnung auf Begnadigung. Aber Kim-Jong-Il blieb hart; und er hatte ja Recht, dass er hart blieb. "Nun erbitte dir deinen Tod!" sagte er. Das heißt, wir waren es, die vor Kim-Jong-Il dieses Spiel spielten. Und eben auf dieses Ende hatten wir es abgesehen. Denn nun konnten wir alle unsere Waren auslegen und feilbieten. Kim-Jong-Il war nicht schlecht erstaunt, als wir ihm unsere Arsenale zeigten. Mein Kollege, der den Ami spielte, schaute zu, wie ich den Nordkoreaner beriet, bei einem Tässchen Mocca, exquisit, höflich etc. Die verschiedenen Messer zuerst, um ihm das Maul zu wässern. In der Tat dauert es nicht lange, dann will er mehr. Am liebsten hätte er die Atombombe, meine liebe Atombombe, die unhaltbar bis hinüber ins Weiße Haus fliegt. Wenn wir ihm dabei hülfen, sagt er zu uns, dann hätte er seines Lebens höchstes Ziel erreicht.

Die Alte: Fast möchte ich sagen, dass mir die Gotteskrieger noch lieber sind als eine Atombombensuppe aus Nordkorea.

Rasputin: Deren Metzelsuppe ist allerdings auch nicht zu verachten. Doch warten Sie es ab. Noch ist nicht aller Tage Abend.

Die Alte: Selbst dass mich der amerikanische Geheimdienst ständig abgehört hat, hat mich nicht geschützt und hat mir nichts genützt. Dabei hatte man mir dies aus dem Weißen Haus ehrenwörtlich versprochen.

Rasputin: Was hat auch der Westen zu bieten! Mitgefangen mitgehangen! Als Partner von Amerika hätten Sie das wissen müssen. Auch bei uns, in der Erlöserkirche von Moskau, glaubten vor einiger Zeit vier unerzogene junge Weiber auf Hollywoodmanier ihre Geschäftchen machen und Schande über unser Land bringen zu müssen. Da aber hat ihnen der Kremlchef die Ohren lang gezogen.

Die Alte: Was schicklich ist, nur danach schaue ich aus.

Rasputin: Und die Verspottung des Propheten ist schicklich?

Grünschnabel: Immerhin hat der Waffenhändler nicht ganz Unrecht. Auch bei uns, im Westen, ist man nicht in allen Dingen gleich frei. Nicht einmal in der Freiheit, die dir die Souveränität des Volkes zugesteht, bist du so frei, wie es notwendig wäre. Vielleicht nimmt man mich jetzt fest, weil ich mit dieser meiner Aussage das Volk verhetze. Und doch, meine Damen und Herren, wenn ich auch einiges dazu sagen könnte, so möchte ich doch nur dies dazu anmerken, dass mich nie jemand gefragt hat, ob ich im Boot einer europäischen Währungsunion sitzen möchte! Über das Geld mitzuentscheiden, soweit reichte sie nicht, die Legitimation meiner Freiheit. Da sitz ich nun drin und fahre mit und wenn wir versaufen, hab ich eben Pech gehabt. Etwas Heiliges aber, das keinem der Oberen hier im Westen bedeutsam ist, beschmutzen zu dürfen, das ist mir erlaubt. Darin darf ich mir als absolut freier Bürger gefallen. Würde mir aber einfallen, die französischen Satiriker zusammen mit den islamischen Terroristen auf einem Fastnachtswagen Revue passieren zu lassen, also als eine Persiflage, als Satire der Satire darzustellen, so würde man mich wahrscheinlich wegen Verspottung der Ideale des Westens belangen.

Rasputin: Da lob ich mir das junge Ungarn, das unter der Oberaufsicht von Herrn Orban erkannt hat, dass es nur an unsrer Seite eine Überlebenschance hat. Da gehört Mut dazu, zumal nach 1956. Aber man hat ihn aufgebracht. Wir gratulieren! Und die Griechen, wenn sie nicht dumm sind, ziehen nach. Mögen die Bänker von Frankfurt und von Manhattan über ihren Geldsäcken krepieren!

Die Alte: Ich gäbe etwas darum, ich wär tausend Meilen entfernt, um nicht all das abscheuliche Zeug mit anhören zu müssen.

Bote: Nun aber sind die heiligen Krieger weitergezogen. Wie Heuschreckenschwärme sind sie weitergezogen, Richtung Germany, viele Tausende von Kriegern. Wer sich ihnen in den Weg stellt, den fressen sie auf. Budapest und Wien sind schon in ihrer Hand. Der Türken-Louis und der Prinz Eugen haben es endlich begriffen, dass das christliche Abendland nicht länger zu halten ist. Zu groß ist das Heer der Feinde, zu verwegen ein jeder Widerstand.

Rasputin: Ich aber werde dem Sultan, sobald er hier eintrifft, dieses Kurdengesindel da zum Geschenk machen.

Alle Kurden: Das wäre unser sicherer Tod. Ein Genozid.

Rasputin: Dass ich nicht lache. Als ob die Richter in Den Haag nicht wüssten, dass sie nie auf einen Genozid hin verurteilen dürfen. Dieses Verbrechen ist dem Adolf Hitler vorbehalten. Jedes neue Genozid wäre eine Rehabilitierung Hitlers. Es sei denn, es geschähe etwas irgendwo, fern, im Dschungel Afrikas, wo in jedem benachbarten Dorf ein anderer Volksstamm haust.

Die Kurden: Wenn Ihnen noch ein Fünkchen Macht in diesem Land zukommt, so lassen Sie nicht zu, gnädige Frau, dass uns so etwas widerfährt.

Rasputin: Die Dame wird froh sein, wenn sie selber halbwegs ungeschoren davonkommt. - Bis das Uhrwerk der Welt in schönster Ordnung läuft, wird es noch ein Weilchen dauern. Doch wir arbeiten daran. Und wir werden das Ziel erreichen. Dann wird man dem Baal Mammon mit solchen Herren ein jährliches Festopfer bringen. - Die Gesellen aus der Ukraine da aber, die bring ich höchstpersönlich in den Gulag.

Die Alte: Hätten wir eine Jeanne d´Arc, sie würde vortreten, im Namen des Herrn.

Einer: Gäb es keine Muslime und keine Russen, so hätten wir nichts zu befürchten.

Die Alte: Seien Sie still. Auch über uns Deutsche hat man einmal so geredet.

Ein Zweiter: Und wenn es die Wahrheit ist?

Die Alte: Auch ich bin ja eine Muslimin. Und so werde ich die Oberhäupter des Islam in Deutschland zu mir bestellen und werde mich mit ihnen dem IS in den Weg stellen, der im Namen des Islam auf so unerträgliche Weise die Menschenrechte verletzt.

Rasputin: Bravo, bravo. Wie wundervoll erfrischend ist doch eine blauäugige Rede!

Die Alte: Uns allen fehlt es an gegenseitiger Achtung und Toleranz.

Rasputin: Und doch sollten Sie sich keinem dieser Krieger in den Weg stellen. Wahrlich, wahrlich ich sage Ihnen, nur wir Russen sind dazu berufen, den Weltfrieden zu stiften.

Einer: Wie? Das Volk der Russen, das noch nie einen Muslim in Frieden gelassen hat, das die Tschetschenen und Afghanen jahrzehntelang bekämpft hat, just die Russen sollen es sein, die die verfeindeten Muslime einen?

Rasputin: Auch in Deutschland gibt es Gruppierungen, die sich spinnefeind sind, auch wenn keine Muslime dabei sind. Man achte nur auf die Demonstrationen in diesem Land! Kluge Köpfe haben schon gesagt, was auch wir in Russland sagen, dass diese Neo-Nazi-Demonstrationen eine Schande sind für Deutschland.

Die Alte: Streiten wir uns nicht!

Rasputin: Deutschland spiegelt nur die allgemeine Misere des Westens. Auch ich fuhr schon die Welt ab und ich weiß, wie alles entsteht und vergeht, wenn man versäumt, die endgültige globale Gestalt zu gestalten. So haben sich die Demokratien des Westens gänzlich verkehrt entwickelt und werden, da es sich nur um flüchtige Übergangserscheinungen handelt, wieder verschwinden. Wie Herr Orban aus Ungarn trefflich bemerkt hat, gibt es nun zwar auch illiberale Demokratien, doch auch diese werden sich letztendlich nicht zu halten vermögen. Ist der Endzustand erreicht, dann gibt es nur noch drei Zahnräder der Weltmaschinerie, die zusammengehalten und angetrieben werden von der Maschinerie des Geldes. Dort befinden sich die Bänker und die Zuhälter. Denn auch Frauen sind ja vom ökonomischen Standpunkt aus betrachtet nichts anderes als Geld. Das eine der drei Zahnräder aber, es ist aus dem ehemaligen Nährstand hervorgegangen, wird gebildet von der Industrie und dem Unternehmertum, mitsamt ihren Sklaven, die sich für alle möglichen und benötigten Produkte sorgen und den Konsum in Gang halten; das zweite der Zahnräder, es hat sich aus dem ehemaligen Lehrstand entwickelt, stellt den Apparat der Beamten der Verwaltung, der dafür zu sorgen hat, dass das jeweilige Gesetzeswerk den augenblicklichen Verhältnissen angepasst ist. Er wird aber, sofern die Menschheit nicht zuvor schon zugrunde geht, gewiss nach einigen Reformen und Transformationen durch den Robotermenschen ersetzt, der dann Bestandteil des dritten Standes, des Wehrstandes sein wird. Dieser die Polizei und das Militär umfassende Wehrstand wird aber von mir, dem Waffenhändler, beliefert. Hierbei sind es weniger die Kriminaldelikte, die wie verfolgen; im Idealstaat wird dies bei umfassender Überwachung eines jeden Einzelnen kaum mehr eine Rolle spielen; wohl aber wird dem Mann der Waffen gerade auch im Ausgleich von zu Viel und von zu Wenig im Rahmen der Produktion und des Konsums eine besondere Bedeutung zukommen. Hierbei kann nicht ausgeschlossen werden, dass es zu schmerzlichen Einschnitten kommt, bei denen auch Kinder und Unschuldige zu leiden haben. Jawohl, meine Damen und Herren, Opfer fordernde Götter sind nicht ausgestorben auf dieser Erde, sie werden uns auch nicht aussterben, wie sehr wir uns auch bemühen. - Doch wer kommt da? (es ist in der Nähe der Ställe, wo die Kinder untergebracht sind) Sind es schon meine Freunde, die Kriegerhorden? (Nachdem er sich auf den Boden gelegt und gehorcht hat) Nicht aber, dass Sie meinen, in Sultan Caliban nahe schon die Inkarnation dieser globalen Gestalt. Wie könnte das auch sein! Im Zeitalter der Globalität gibt es keine echten Weltenherrscher mehr. Da gibt es nur noch die Maschinerie des Geldes. Sie allein wird es sein, die, gestützt auf unsere Waffen, über Wohl und Wehe der Menschheit entscheidet. Diese Maschinerie läuft aber nicht umsonst.

Die Alte: (für sich) Fast möchte ich hoffen, dass sich niemand aus Stockholm mehr zu uns verirrt.

Rasputin: Gnädige Frau! Was unterbrechen Sie mich nur immer mit Ihren kindischen Sorgen! Das hört sich ja an, als hätten Sie sich schon aufgegeben. Sie sind doch so recht ein Zimperlieschen. Nehmen Sie denn mein Wort, das Wort des größten Waffenhändlers aller Zeiten, dass Sie sich um die Leute aus Stockholm keine Sorgen mehr zu machen brauchen.

Die Alte: Die sind doch nicht umgebracht?!

Rasputin: Da kann ich Sie zutiefst beruhigen.

Die Alte: Also doch umgebracht?

Rasputin: Reiterscharen rücken an.

Die Alte: Und wo sind sie jetzt, die Gesandten aus Stockholm?

Rasputin: Bei lieb Mama und bei lieb Papa zuhause, in ihren schwedischen Bettchen.

Die Alte: In Sibirien?

Rasputin: In Schweden.

Die Alte: Gott sei Dank, sofern wir Ihnen trauen dürfen!

Rasputin: So viel Platz gibt es ja überhaupt nicht in Sibirien, das müsste Ihnen schon der Verstand sagen, wiewohl sich Väterchen Stalin viel Mühe gegeben hat, die Region zu einem Ferienort erster Klasse zu machen.

Gretel: (während der Lärm der Anrückenden immer lauter wird) Lass uns beten, Hänsel!

Hänsel: Und wofür sollen wir beten?

Gretel: Dass es noch einen Gott gibt, der uns retten kann.

Kasper: Nach allem, was bis jetzt geschehen ist, ist das nicht sehr wahrscheinlich.

Gretel: Beten wir dennoch! Beten wir zu Gott, dass es ihn gibt und dass er uns Menschen rettet.

Kasper: Was wir bis jetzt gesehen haben, stimmt wirklich nicht hoffnungsfroh. Die Szene ist so schaurig geworden, als hätte sich jemand vorgenommen, die gesamte Welt in Angst untergehen zu lassen.

Grünschnabel: Wie mühselig ist doch das Leben der Menschen! Es ist, als wären wir nur mehr noch vom Nichts umstanden, von unübersteigbaren und undurchdringbaren Mauern des Nichts, und als wäre die Sprache nur erfunden, gegen eine gehörlose Welt anzudringen. Dabei hätten wir eben jetzt doch die Möglichkeit gehabt zu einem Leben in Eintracht, wie noch nie zuvor.

Kasper: Durch unsre übergroße Weisheit haben wir uns das Leben übermäßig mühselig gemacht. - Aber da, da kommt er ja schon. Wie ein Eber des Waldes. Grimmig, mit einem martialischen Schnauzbart kommt er herbei!

Gretel: Kommt jetzt der Herr Jesus zum Jüngsten Tag?

Grünschnabel: O mein Kleines, der hat keine Lust mehr zu kommen. An seine Wiederkunft zu glauben ist nur deshalb noch nicht verboten, damit auch die ganz Kleinen noch etwas haben, wofür sie leben können.

Rasputin: Doch was ist denn das da? Kinder? (indem er die Riegel öffnet) Geht nach Hause und sagt euren Eltern, dass euch die rote Armee befreit hat! (während die Kinder aus den Ställen gehen und seitwärts stehen bleiben) Und nun, nur keine Aufregung. Denn der Herr, der da kommt, das ist unser innig geliebtes Väterchen Stalin.

3. Abschnitt: Wie Stalin hinzukommt

(Stalin, mit Hilfe der Mitglieder des von ihm eingefangenen Bundestags, bringt eine übermannsgroße, weiße Gestalt herbei, die Germania)

Einer: Der Mann dort im Russenkittel, das soll Stalin sein? Stalin ist doch schon über 60 Jahre tot.

Rasputin: So ein edles Unkraut verdirbt nicht, mein Herr. Drei für einen, das ist seine Devise. Wo immer jemand umzubringen ist, ist er zur Stelle.

Die Alte: Steh uns bei, Herrgott im Himmel!

Rasputin: Was haben Sie denn, gnädige Frau. Keiner denkt daran, Sie umzubringen.

Die Alte: Und diese Leute? Die hat man doch wohl nicht gefangen genommen? Das sind unsere Leute! Ich sehe es doch. Das dort ist mein Adjutant Spiegelberg; und dort, bei den drei Tännchen, das sind meine Staatssekretäre Schweizer, Grimm und Razmann, tüchtige Kerle. Und das dort! Das sind meine Minister für außerordentliche Begebenheiten! Schufterle, Roller, Kosinsky und Schwarz. Was machen die da?

Rasputin: Können Sie es nicht sehen? Sie arbeiten im Freien.

Die Alte: Ohne eine Aufforderung oder Weisung von mir?

Rasputin: Hier im Freien zu arbeiten, das ist gesund, das fördert den Appetit, das macht, dass man nicht von Kräften kommt. Was diese Männer in Gottes freier Natur tun dürfen, dem muss ich mühsam in meinem Fitness-Studio nachkommen.

Die Alte: Das sind meine Leute! Leute mit Immunität.

Rasputin: Sie sind stolz darauf, ihre Immunität haben aufgeben zu dürfen und von nun an das Kleid der Ehre, das Gewand der Häftlinge und Sträflinge zu tragen.

Die Alte: Stolz, gefangen genommen worden zu sein im eigenen Staat? Das glaube ich nicht. He, Schweizer, Grimm und Razmann!

Rasputin: Die haben jetzt keine Zeit. Sie sehen es doch! Damit Sie sich aber gleich wieder beruhigen können, so teile ich Ihnen mit, dass unser großer Georgier sie weggefischt hat.

Die Alte: Mag der große Georgier fischen, wo er will. Bei uns stehen ihm keine Gewässer zur Verfügung.

Rasputin: Gnädige Frau, sprechen Sie leise! Er könnte Sie hören.

Die Alte: Das ist die Wahrheit.

Rasputin: Auch die Wahrheit will mitunter nur sehr leise mitgeteilt sein.

Die Alte: Nicht bei uns.

Rasputin: Wer auch dürfte sich unterfangen, einem großen Mann seinen Umfang zu bemessen? Im Übrigen ist das eine große Ehre für einen jeden, aus der Menge der absolut Bedeutungslosen herausgefischt zu werden. Glücklich, wer sich rühmen kann, von einem Mann wie Stalin herausgefischt und gefangen genommen worden zu sein! Ja glücklich, wer sich rühmen kann, in ihm sein Leben zu beenden. Oder können Sie sich einen Mann von ungeheuerlicher, weltbeherrschender Macht vorstellen ohne ein Heer glücklicher Sklaven? Die ganze UDSSR war stolz darauf, seine Sklavin zu sein. - Sehen Sie doch! Die weiße Gestalt, von der ich nun schon einige Mal gesprochen habe. Was für ein herrliches Weibsbild sie hierher schaffen!

Die Alte: Auf Weibsbilder hab ich noch nie Wert gelegt.

Rasputin: Das wäre wohl anders, wenn Sie mit den Augen eines Mannes schauen könnten.

Die Alte: Sagen Sie, wie er hergekommen ist und was er hier will!

Rasputin: Wahrscheinlich hat ihn der rote Teppich angezogen.

Stalin: (zugleich zu den Begleitern) Los, aufstellen. Aber dalli, dalli! (er holt sich ein MG)

Rasputin: (zur Alten) Haben Sie gehört? Jetzt kommt er zur Sache!

Die Alte: (zu Stalin) Lassen Sie das! Über die Mitglieder des Bundestags verfüge ich.

Die gefangenen Mitglieder des Bundestags: O gnädige Frau, helfen Sie uns. Sie waren es ja auch, die uns in den Wald geschickt haben. Zeigen Sie uns jetzt, dass Sie es verdient haben, als wir Sie damals zur Kanzlerin gewählt haben.

Die Alte: (immer lauter werdend) Jetzt gilt es, über sich hinauszuwachsen und eine historische Größe sich anzulegen. Jawohl, jetzt mag alle Welt sehen, was in mir steckt. Darum rufe ich Ihnen zu, mein Herr, ja, darum schreie ich es in alle Welt hinaus, dass Sie das lassen sollen. Lassen Sie das!

Rasputin: Ich warne Sie. Er hat jetzt keine Zeit. Sie sehen doch, dass er zu tun hat. Im Übrigen ist am besten, Sie lassen ihn in Ruhe. Er kann wirklich sehr ärgerlich werden, wenn man ihn stört.

Die Alte: Das geht zu weit. Meine eigenen Leute im eigenen Land gefangen!

Rasputin: Denken Sie lieber daran, dass alles auch sein Gutes hat. Oder hat nicht jeder von diesen Leuten auch mal einen kleinen Popotatsch verdient? Zumal im Zeichen zunehmender Politikverdrossenheit wird dann schon so schnell keinen mehr gelüsten, Politiker zu werden. - Und nun, meine Damen und Herren halten Sie den Atem an. Denn nun wird Ihnen der Kremlchef zeigen, was es mit dieser Statue auf sich hat.

Stalin: Hund, komm hervor! Als hätten wir dich nicht längst erkannt. Komm hervor Adolf Hitler, dass wir dir deine Mörderphysiognomie zerstampfen!

Bundestagspräsident: In dieser Statue soll Adolf Hitler stecken? Sie machen einen Scherz.

Rasputin: Wär er ein Deutscher, so dürfte er sich einen solchen Scherz freilich nicht erlauben. Aber für unseren Stalin ist das kein Scherz, sondern eine Leidenschaft.

Stalin: Mörder, wird's bald!

Rasputin: Klingt nicht nach einem Scherz, oder?

Einige: Wo befinden wir uns denn?

Rasputin: In einem Gruselkabinett. Deutschland ist ein Gruselkabinett. Und in diesem Gruselkabinett befindet sich diese Statue, und in der Statue der Massenmörder, der sich hier für gewöhnlich versteckt hält. Ich denke, Sie haben sie längst erkannt, eure Germania. - Da, da ist er! Da schaut er hervor. Sehen Sie ihn. Am liebsten würde er jetzt Reiß-aus in den Wald nehmen, zur Wolfsschanze, zu seinen SS-Leuten. Aber es nützt ihm nichts. Schon haben Väterchen Stalins Sklaven Felsen aufgetürmt, die ihm jeden Fluchtweg abschneiden.

Die Alte: (sie will weggehen) Es tut mir leid. Aber ich muss jetzt gehen. Und wagen Sie es nicht, sich mir in den Weg zu stellen.

Rasputin: Machen Sie nur jetzt keine Dummheiten!

Stalin: Ich zähle auf drei.

Rasputin: Hören Sie! Er beginnt gleich auf drei zu zählen. Das dauert nicht arg lange. Das weiß jedes Kind.

Stalin: Eins, zwei und - eins dazu macht -

Rasputin: trippele trappele -

Stalin: Drei! (er feuert ab, es wird jetzt ganz dunkel)

Rasputin: Haben Sie gesehen, wie euren Hitler beim Wegrennen die Salve getroffen hat? Wie aber unser Stalin nicht umzubringen ist, so ist es auch mit eurem Hitler. Ist er verreckt, erneuert er sich und versteckt sich dann wieder. Und dann findet das Spiel von Neuem statt. Und wenn es auf Erden einen Verbrecherstaat gibt, so heißt er Deutschland. Und daran soll sich nichts ändern bis zum Jüngsten Tag. Das dürfen die Deutschen wie auch alle, die in Deutschland leben, nie vergessen; die Deutschen nicht, weil in ihnen das verbrecherische Erbe der Vorfahren rumort, die übrigen in Deutschland Lebenden aber auch nicht, damit sie wachsam bleiben und es ihnen nicht ebenso ergeht wie den vormals ermordeten Minderheiten.

Gretel: Kommt jetzt der Jüngste Tag?

Grünschnabel: O du liebes Kind. Einen jüngsten Tag gibt es doch gar nicht mehr. Ängstliche Gemüter waren es, die sich ihn ausgedacht haben, um von allem Leiden erlöst zu werden. Aber es gibt keine Erlösung in dieser Welt. Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. So sagte es schon unser Schiller. Was auch immer auf uns zukommt, wir haben es zu erdulden.

(Man hört Musik und einmarschierende Krieger im Dunkeln)

Hänsel: Und wer ist das da?

Rasputin: Das sind Väterchen Stalins Krieger. Krieger aus aller Welt, die gekommen sind, die viel zu reichen Deutschen zur Kasse zu bitten. Nachdem sie ihr Diebsgesindel nach Europa geschickt haben, überflüssiges Gold wegzuräumen, haben sie nun ihre wehrhaften Männer ausgeschickt, die Milliarden einzukassieren. Gottlose Krieger und Gotteskrieger, wie man sie sich wünscht und wie man sie braucht bis ans Ende der Welt. Wenn Sie russisch verstehen, so werden Sie kaum Mühe haben, zu begreifen, dass es mit der Weltrevolution längst noch nicht vorbei ist. Wenn Sie aber das Arabische bevorzugen, so fällt auch nicht schwer, die Gotteskrieger unter Sultan Caliban zu vernehmen. Jeder hört sie in seiner Sprache. Und alle stimmen in dem einen Ziel überein, Geld zu machen und in Besitz zu nehmen. Oder hat jemand noch etwas dagegen einzuwenden?

Viele aus der Regierung: Das ist schrecklich. Das übersteigt jegliches Begreifen. Wo wir uns so für den Frieden eingesetzt haben.

Hänsel: Wenn sich alles ändert, vielleicht, dass es von nun an auch keine Winter mehr gibt und man keine Heizungen mehr braucht.

Kasper: Hoffen darf man allezeit. Das kann uns niemand verbieten.

Hänsel: Bis zum Tag unseres Wegganges hat der Vater noch gesagt, es sei ihm ein Rätsel, dass die Heizung zwar nie länger als 7 Tage laufe, aber auch nie kürzer als einen Tag, ehe er sie wieder anlassen und zum Leben erwecken müsse. Da aber, als hätte sie es sich angehört und wollte den Beweis ihrer Macht nicht schuldig bleiben, setzte sie auch schon nach einem halben Tag aus.

Die Alte: Versprecht uns, wenigstens mit diesen Kindern human zu verfahren. Sie bedürfen liebevoller Anleitung.

Rasputin: Die werden sie bekommen.

Die Alte: Ist das ein Versprechen, auf das man sich berufen kann?

Rasputin: Was immer Krieger tun, ist verteufelt human. Zumal wenn sie ihren Gefangenen die Hände fesseln zum letzten Gebet. In Donezk kann man sich noch eine Menge von Exemplaren besehen.

Hänsel: (während man Getrampel von Einmarschierenden hört) Was ist das, Kasper? Ist das der Friede, den man uns hat bringen wollen?

Kasper: Nichts als Kasperletheater, Hänsel, aus dem wir uns zurückzuziehen haben.

Hänsel: Fragt sich nur, wie?!

Grünschnabel: Es scheint das Beste zu sein, was auf Erden nun bald noch zu haben ist. Eine Weltherrschaft, wo die Menschheit weltweit überwacht wird wie in einem Gefängnis, wobei man sich die Kosten der Gefängnismauern und der Wächter sparen kann. Denn dieses Gefängnis hat keine Grenzen mehr. Grenzenlos weit dehnt es sich aus.

Gretel: Das ist ja noch schlimmer, als aufgefressen zu werden.

Die Alte: Seid tapfer! - Es widerfährt euch nichts.

Kasper: Vergessen wir nur noch rasch, wer wir sind! Nur, wer nichts mehr von sich weiß, nur der ist gegen den Tod gefeit!

Hänsel: Wenn du das fertig bringst!

Gretel: O Gott, hättest du doch nur auch uns wie einst dem Jakob gestattet, gegen dich zu ringen, so wären wir gerettet, ob wir gleich tausendfach gegen dich verloren hätten!

Schlusslied: (von allen auf der Bühne zu singen)

Wir fragen nicht mehr, was morgen geschieht,

denn die Zeit macht keinem mehr bang;

sie fließt wie das Wasser, das abwärts zieht

getrieben vom irdischen Gang,

 

Wir klagen nicht mehr, wenn wir nicht mehr sehn,

was einstmals noch herrlich gewesen,

wenn bedeckt von Tälern und Bergeshöhn

die Länder und Städte verwesen.

 

Wir schaun nicht mehr aus, ob ein Wölkchen weit

uns noch fruchtbaren Regen bringt.

Wir hören nicht hin, wenn´s pfeift und schreit

Und der Wind seine Lieder singt.

 

Auf nichts, auf gar nichts mehr haben wir Acht,

wenn das Glöcklein fern von uns stöhnt.

Denn dass bald schon wieder herrscht ewige Nacht,

daran haben wir uns gewöhnt.

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