{ Geschichten aus Österreich (eine schwarze Komödie) }

Literatur von Martin Ganter

 

 

 

 

 

Personen

Thomas Bernhard, ein Schriftsteller

Unbekannter (Hutler)

Hausmeister (als Unbekannter und Hutler)

Beamter im Häuschen an der Sperre (Hutler)

Bahnhofsvorsteher (Hutler)

Landpfleger von Braunau (Hutler)

Hutler

Entnazifizierungsrichter Nounier

Cressida Köder-Büstner

Polizisten

Eichmannjäger (alle gleich)

Franz

Willem

Außenministerin Schomer-Jisrael

De Gaulle

Nullo, unbekannter Soldat

Nestroy

Kopf Raimunds

Und viele Leute jeden Alters und Geschlechts

 

Inhalt

1. Akt: Wie Bernhard auf dem Theaterplatz vor dem Burgtheater spät am Abend wartet.

2. Akt: Der Unbekannte kommt mit ins Spiel.

3. Akt: Wie Frl. Büstner herbeikommt und Alarm schlägt

1. Szene: Das Treffen

2. Szene: Die Polizeihelfer

4. Akt: Wie Frl. Büstner den Bernhard in vorläufige Sicherheit bringt

5. Akt: Wie der Unbekannte dem Bernhard als Geist seines Vaters erscheint.

6. Akt: Wie Bernhard gestellt und abgeführt wird.

7. Akt: In der Bahnhofshalle Wien Endstation.

1. Szene: An den Sperren

2. Szene: Bernhard wird ein kurzer Prozess gemacht.

3. Szene: Die Büstner versucht, sich für Bernhard zu verwenden

8. Akt: Auf den Gleisen

1. Szene: Beim Bahnhofsvorsteher

2. Szene: Die beiden Gendarme

3. Szene: Willkommen

4. Szene: Blindheit

5. Szene: Abfahrt

6. Szene: Dreck

7. Szene: Umsiedelung

8. Szene: Fegen

9. Szene: Juristen

10. Szene: Professorinnen

11. Szene: Historiker

12. Szene: Dichter

13. Szene: Stifter und Doderer

14. Szene: Ausnahme

15. Szene: Nach Israel

16. Szene: Immer Hutler

17. Szene: Eichmannjäger

18. Szene: Endstation

19. Szene: Hutler und Schomer-Jisrael

9. Akt: Auf dem Friedhof von Braunau

10. Akt: Wie Bernhard auf dem Friedhof von Braunau ankommt

1. Szene: Wider die Kollaborateure

2. Szene: Bernhard wird von den beiden Gendarmen gebracht.

3. Szene: Eine halbjüdische Verwandte von Hutler

4. Szene: Grab-Ausschaufeln

5. Szene: Schädel

6. Szene: Das Opfer

7. Szene: Der Vater

11. Akt: Wie Bernhard in die Berge hinauf flieht und zum Jagdhaus der Heimat kommt.

1. Szene: Wie Bernhard in die Berge hinauf flieht

2. Szene: Wie Bernhard zum Jagdhaus der Heimat kommt

12. Akt: Wie Bernhard in die Fänge der Leute vom Jagdhaus der Heimat gerät

1. Szene: Vor dem Kontrollhäuschen

2. Szene: Bei der Grenze

13. Akt: Wie Hutler das Ende besorgt

 

1. Akt: Wie Bernhard auf dem Theaterplatz vor dem Burgtheater spät am Abend wartet.

(Hell erleuchteter Platz. Spätherbst. Beginnender Regen, der aber wieder nachlässt, wenn Hutler erscheint. Thomas Bernhard allein auf dem Platz, von dem aus eine Rampe zum Burgtheater führt. In seiner Nähe befindet sich die Statue eines lorbeergekrönten Mannes.)

Chor im Burgtheater:

"Fanget an, fanget an!

Tag und Stund sind schnell vertan.

Morgens schaust du in die Luft,

abends aus der Totengruft,

und der Schlaf wird dich bedecken,

aus dem nichts dich mehr kann wecken."

Zeitungsverkäufer: (während man den Gesang hört) Die Wiener Abendzeitung, mein Herr? Mit den neuesten Nachrichten.

Bernhard: Vielen Dank, heute nicht.

Zeitungsverkäufer: Es sind aber spannende Sachen dabei; so spannend wie schon lange nicht mehr.

Bernhard: Hat einer meiner Schüler die Welt zersägt oder in die Luft gesprengt?

Zeitungsverkäufer: Das ist noch gar nichts gegen das, was heute zu lesen ist. Dazu alles reich illustriert, versteht sich.

Bernhard: Dann ist nur möglich, dass die Welt untergegangen ist, ohne dass wir es mitbekommen haben in unseren Fernsehzimmern, oder dass der Stephansdom über Nacht um drei Stockwerke dem Himmel näher gekommen ist.

Zeitungsverkäufer: Hier. Sie bekommen die Zeitung, wiewohl sie noch jungfräulich ist, zum Sonderpreis für die Hälfte.

Bernhard: Ich habe gesagt, vielen Dank. Und das heißt: vielen Dank, wenn Sie wissen, mein Herr, was vielen Dank heißt. Und mag sie noch so jungfräulich sein und er sie mir schenken. Also: vielen Dank!

(Zeitungsverkäufer entfernt sich schnell)

Bernhard: (einen Regenschirm öffnend) Weg mit diesem Unglücksschacherer, diesem Schuhu. Mögen alle aufatmen und singen, denen noch ein Rest von Gesang in der Kehle steckt! Es lebe Österreich! Es leben alle Menschen, die wissen, woher sie kommen und wohin sie gehen, oder die zumindest in dem sie beglückenden Glauben leben, es zu wissen. Von mir kann ich das leider nicht sagen. Am besten sollte ich deshalb wohl gar keinen Namen und kein Gesicht haben. Mir würde fast gar die Maske eines Gracioso genügen, die man bei Bedarf zu der eines Pantalon lang ziehen oder die man im Notfall auch mit dicken langen Eckzähnen bewehrt als Waldungeheuer verwenden könnte. Jedermann könnte dann nach Lust und Laune durch diese Maske hindurch Antwort geben und da es dann mich nicht gäbe, käme es auch niemals zu einer misslichen Verwechslung betreffs meiner Person. Die einzige Identität, die mir zukommt, scheint die zu sein, dass ich keine Identität habe, auf dass ich mit dieser meiner Zugehörigkeit zu keinem Staat von den Brettern eines Theaters zu den Brettern eines anderen spring.

Reporter: Mein Herr. Ich bin Reporter.

Bernhard: Na und?

Reporter: Reporter der israelischen New York Times.

Bernhard: Und ich bin der Herabgesandte vom Himmel, der alle New York Times auszulöschen hat, wie der Küster die Kirchenlichter, eine nach der anderen.

Reporter: Als ob ich Sie nicht erkannt hätte. Ich habe doch die Ehre Herrn Thomas Bernhard hier zu begrüßen!? Ich komme von Tel Aviv

Bernhard: Was Sie nicht sagen. Sie scherzen wohl. Oder gibt es auch in Israel eine New York Times?

Reporter: Waren nicht Sie es, mein Herr, der erst noch vor kurzem gesagt hat, Österreich sei inzwischen so klein geworden, dass man jetzt überall an Grenzen stoße.

Bernhard: "Österreich ist ein Theater" habe ich gesagt.

Reporter: Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.

Bernhard: Darf ich Ihnen darauf zur Antwort geben, dass ich nicht die geringste Lust dazu habe?

Reporter: Das macht nichts. Das sei Ihnen verziehen. Sie beschäftigen sich gerne mit dem Tod?

Bernhard: Was heißt da schon gerne?

Reporter: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.

Bernhard: Nicht mit dem Tod beschäftige ich mich vornehmlich, sondern mit dem Taschenspieler Tod, von dem Montaigne spricht. Von dem, der Klauen hat und der sich verwandeln kann. Sehen Sie doch! Da! Schon wieder geht eine Made am linken Augenwinkel spazieren. Wissen Sie es noch immer nicht, dass man nur tüchtig empirisch forschen muss, bis einem alle Wahrheit kund geworden ist?

Reporter: Sie sind also hier, der Wahrheit auf den Grund zu gehen?

Bernhard: Es wird sich zeigen, wenn Frl. Köder-Büstner mit ihren beiden ausnehmend hübschen, ja hinreißend verführerischen Augen da ist.

Reporter: Darf ich Sie um einen seriöseren Ton bitten?

Bernhard: Mein Herr, was fällt Ihnen ein? Da lass ich mich hinreißen, mich mit ihm zu unterhalten, und schon wird er ausfällig? - Meine Forschungen, das sollten Sie wissen, haben eine tausendjährige Tradition, weit hinaus über das tausendjährige Reich. Oder haben Sie noch nie etwas von den Wurmdämonen gehört? Oder davon, wie sich der Drehwurm ins Auge junger Kälber schleicht? Vom Zahnwurm wissen uns schon die alten Babylonier zu berichten. Der krabbelte bei denen gleichsam im Anfang der Schöpfung. Lange schon vor der Menschheitsgeschichte, dieser Verbrechergeschichte war der Zahnwurm. Da hieß es dann, die beste dazu passende Welt zu erfinden. Vielleicht erahnen Sie, wie schwer unter einer solchen Prämisse die Erstellung einer wahrhaften, alle überzeugenden Schöpfungsgeschichte wird. Genau darauf aber will ich mit meiner Made am linken Augenwinkel hinweisen. Dabei passt meine Made nicht nur an den Anfang, sie passt auch ans Ende. Sehen Sie doch! Wenn da ein Mensch gestorben ist, muss er erst noch die Maden über sich ergehen und sich ins Auge einschlüpfen lassen, eh er ins Reich des Unvergänglichen und Unwandelbaren eintritt. Da beginnt es in ihm noch einmal zu musizieren, wie bei einem Wiener Walzer von Johann Strauß, der immer schneller und schneller wird, bis es ihn niederhaut. Nach außen hin bemerkt man dann, wie der Kopf, fast als wär er weinschwer, zur Seite kippt und liegen bleibt. Man schließt dann dem Toten pietätvoll die Augen. - Sie glauben mir nicht? Sehen Sie doch, um wie viel sich schon die rechte Schulter bei mir gesenkt hat! Todesvögel lassen sich darauf nieder und picken. Jeden Tag kommt ein neuer Vogel dazu.

Reporter: Was soll das heißen?

Bernhard: Schon immer hab ich mich als Kind des Todes empfunden, Deshalb hab ich auch den Ernst als den Schatten des Todes bezeichnet. Vor dem Reich des Todes gibt es kein Entrinnen. Wenn denn also Aristoteles recht behalten soll, dass alle Menschen nach Glück streben, so gibt es nur die Möglichkeit eines Lebensglücks in der Totalität des Ernstes, die Widerspruchslosigkeit im schlimmsten Widerspruch, das Unvergängliche im Tod. Sie verstehen, was ich meine?

Reporter: (steht da gedankenverloren)

Bernhard: Das Glück, das Aristoteles im Schlepptau Platons verfolgt, ist etwas ganz anderes. Bestenfalls das Glück des Bourgeois, das Glück des kleinen Mannes, dem es gelingt, Dank seiner Hexis prohairetike, d.h. Dank seines Wissens um unser Ämterwesen, sich vor jedem Strafzettel in Acht zu nehmen.

Reporter: (noch immer gedankenverloren)

Bernhard: Doch warum rede ich überhaupt, wenn Sie nicht aufpassen? Warum fragen Sie nicht diesen Herrn dort oder dieses hochbegabte Fräulein da? Die scheinen mir durchaus mehr Talent zu haben zu einer Unterhaltung.

Reporter: (geht weiter)

Bernhard: Nun geht er aber weiter. Recht so! (Wie er weitere Reporter sichtet, ruft er) O mein Herr, sagen Sie doch bitte allen den weiteren Damen und Herren vom Reportagezirkus, dass ich heute niemanden mehr empfange.

Viele Reporter: (eilen herbei) Haben Sie es nicht in der Zeitung gelesen, dass Österreich verkauft wird?

Bernhard: Was nicht gar? Ein Aprilscherz vermutlich, am Schluss wohl gar von mir?

Ein Reporter: Jetzt im Spätherbst gibt es keinen Aprilscherz mehr.

Ein zweiter Reporter: Der Frühlingsschlussverkauf ist schon lange vorüber.

Bernhard: Jeden Tag les ich fleißig meine Zeitungen. Das Gewissen der Zeit hab ich mal die Zeitungen genannt, wenn sie begreifen, was für einen Spaß ich damit habe machen wollen.

Dritter Reporter: Ihre Ansichten und Meinungen zu Österreich sind nicht immer einnehmend. Wer weiß das nicht?

Bernhard: Schön wär's wohl, wenn wir Österreich los würden mitsamt der Kirche und dem gesamten Staatsapparat.

Die Reporter: Na also. Sagten wir´s doch.

Bernhard: Aber lasst mich jetzt bitte in Ruhe, journalistisches Fliegengeschmeiß. Ihr seht ja wohl, dass ich eben mit dem linken Auge stark beschäftigt bin.

Reporter: (sie gehen wieder)

Bernhard: In der Tat: was hab ich gedacht und gemacht? Was hab ich erlebt? Was anderes hab ich getan als dummes Zeug zusammengeschrieben, worüber sich die Hautevolee des Landes, Adel und Klerus, geärgert hat? Zwischenberichte hat es da gegeben und Bilanzen sind gezogen worden und närrische Befragungen hab ich müssen über mich ergehen lassen, wie eben schon wieder. Was hab ich getan, als überflüssige Überlegungen zu tätigen, um endlich zu erkennen, dass das, was einer, wenn er´s nicht bereits von Geburt an schon ist, nichts ist als ein Hans Guck-in-die-Luft, ein possenreißender Marktschreier, ein Bajazzo, ein liederlicher Sokrates, einen Esel von Don Quijote oder einen verrückt sich gebärdender Hamlet? Es ist wirklich bemerkenswert, wie viel Irritation man doch verbreiten kann, wenn man nur hin und wieder mal ganz unverblümt die Wahrheit streift. Oder erinnern Sie sich nicht mehr, wie ich unter unseren lieben Österreichern, die lieben Österreicherinnen mit eingeschlossen, Angst und Schrecken verbreitet habe, indem ich ausrief: Du bist ein Nazi und du und du!!! Schon mein hochverehrter Deutschlehrer, der mich im hohen Deutschlehrer-Elysium gewiss noch als große Niete in Erinnerung hat, war nur wenig begeistert, als ich ihn fragte, ob man die Rassenreinheit des Führers unter Goethes Reinheitsbegriff subsumieren könne. Auf den Spuren eines gewissen Herrn Grimm bewegte ihn vielmehr, unter welchen Fällen man als Vater seinen Sohn umbringen könne, dürfe oder gar müsse. Immerhin war er im dritten Reich als Kulturwart ein hohes Tier gewesen. Erst später sah ich ein, dass ich versäumt hatte, ihm tüchtig zu flattieren. Mein Schulfreund Adolf machte das besser. Der zeichnete in die Europakarten der Nachkriegszeit die alten Reichsgrenzen von 1939 ein. Das erfreute unseren Lehrer. Wiewohl ich nun aber diesen meinen Mangel an Kotau bald schon erkannt und dann den prominentesten Theaterdirektoren meiner Zeit tüchtig weiche Eier geschält und ihnen Bühnenstücke gewidmet habe, wiewohl ich also an ihrer Unsterblichkeit mit herum gearbeitet und gefeilt habe, habe ich es leider noch immer nicht geschafft, durch eigens für mich errichtete Ehrenpforten Einzug in das von mir so heiß geliebte Wien zu halten. Noch nicht einmal eine kleine Ehrenstaffel Soldaten, so ein Ehrenstäffelchen, wie beim Staatsempfang eines Häuptlings aus den USA habe ich abschreiten dürfen. Mag sein, dass ich sonst ebenso gut und ebenso lange wie unser großer Führer schon wüsste, was für ein Ausnahmegenie ich bin.

2. Akt: Der Unbekannte kommt mit ins Spiel.

Bernhard: (eine Uhr schlägt eine viertel Stunde) Doch was steh ich hier wie festgewachsen und Frl. Köder-Büstner lässt mich noch immer warten? Will sie mich reizen? Was? Frl. Köder-Büstner, ist das eine Art, mich warten zu lassen?

Unbekannter: (öffnet den Kopf der Statue und schaut von oben heraus, ohne von Bernhard gesehen zu werden) Mein Herr!

Bernhard: Frl. Büstner? Wo stecken Sie? Kommen Sie hervor, wenn Sie sich wo versteckt haben! Es ist jetzt nicht die Zeit der Scherze. Jedenfalls nicht für mich. - Wie, da lachen Sie, meine Damen und Herren? Sie glauben mir nicht? Frl. Büstner ist nichts Geringeres als eine groß gewachsene junge Dame, kein Gänseblümchen mehr. Wenn man sie einer Blume vergleichen will, so zumindest eine edle Margerite. Genauer noch gesagt ist sie eine junge Dame, die über meine Literatur promovieren möchte und der ich in Aussicht gestellt, ja beinahe schon versprochen habe, sie mit mir heute ein noch ungeborenes Stück erleben zu lassen. Übrigens ist sie neben ihrer Blumenhaftigkeit auch eine wundervoll bezaubernde Person, ich möchte fast sagen, sie ist so etwas wie ein Prinzessin, zumal wenn sie in ihrem schneeweißen Nerzmantel erscheint, auch wenn ich auf diesem Gebiet ziemlich unterkühlt und unempfindlich bin. - Hier wollte, d.h. sollte sie mich bereits vor einer viertel Stunde getroffen haben. Sollte sie auf weiblich leichtfertige Weise vermutet haben, ich wollte mir die Unterrichtsstunde auf unziemliche Weise vergüten lassen? Das möchte ich nicht annehmen. Wie dem aber auch immer sein mag, geben wir ihr noch 10 Minuten. Ist sie bis dahin nicht gekommen, dann ist es auch aus mit meiner Beihilfe zu ihrer Dissertation und mit dem neuen Stück, auf das ansonsten noch ihre Urenkel stolz sein könnten. Natürlich gibt es auch böse Zungen. Ein Genie wie ich muss sich dadurch freilich nicht einschüchtern lassen. Im Gegenteil. Überall, wo Außerordentliches sich zeigt, hängt sich der Teufel an die Fersen. Nehmen Sie nur die Versuchung Jesu. Bei mir nun geht die Verleumdung gar so weit, dass gewisse Herrschaften behaupten, ich hätte eigentlich nie echte Literatur verfasst, immer nur Literatur über die Literatur und Kulturmüll, um ihn über die Kultur zu gießen. Meine Romane seien nichts anderes als Romane über Romane und meine Theaterstücke Stücke über Stücke, wobei sie vielleicht gar nicht so Unrecht haben. Gleichwohl schätze ich´s mehr, wenn man meine Literatur um ihrer kristallinen Monologe willen oder ob ihrer Schärfe und Festigkeit als hochkarätige Diamanten preist. Um auch Ihnen, meine Damen und Herren, diese Sicht zu erleichtern, gestatte ich mir, in den mir noch verbleibenden 9 Minuten, ein paar spezielle biografische Details zum Besten zu geben.

Gesetzt, mein Leben war schon vor meinem Beginn dem Gott Apoll bedeutsam, so bin ich gleichsam von mythischer Beschaffenheit und wer weiß, ob nicht ein Ödipus oder ein Hippolyt zu meinen Geschwistern zählen. Dazu passt, dass ich als Baby in den Niederlanden ausgesetzt wurde. Groß geworden bin in dann hier in Österreich, dem verrücktesten und absurdesten Land der Welt. Dänemark ist ein Gefängnis, sagte der große Willi. Doch das war nur so nebenhin gesprochen, parabelhaft. Er war ja nie in Dänemark gewesen und meinte mit Dänemark allenfalls das old England. Aber Österreich! Österreich ist ein kolossales Gefängnis. Weil Österreich so klein geworden ist, spürt man das Gefängnis inzwischen an jedem Ort. Oder klingt nicht schon im Namen Österreich, ohne Braunau oder Linz eigens zu erwähnen, der kolossale Reichtum an katastrophalen Ereignissen an? Es gibt doch nichts Abgeschmackteres und Widerlicheres und Haarsträubenderes als dieses Österreich. Überschattet von den Ereignissen der Vergangenheit wie auch gezeichnet von der Angst vor den Möglichkeiten der Zukunft steht es da wie seine eigene Ruine, allenfalls für einen somnambulen Spaziergänger wie Strindberg geeignet!

Unbekannter:

"Freiheit, wir erringen sie, das muss sein,

und sperrt man uns auch lebenslänglich ein."

Bernhard: (für sich) Das ist wohl von mir?

Unbekannter: Wahrscheinlich.

Bernhard: Oder hab ich jemanden beleidigt? So große Dichter wie ich, ich weiß, sind hochgradig empfindsam. Aber wie soll ich wissen, der ich wie der spanische Lope tagtäglich ein neues Stück schreibe, was ich alles geschrieben habe? Immerhin hat Österreich der Welt den großen Führer geschenkt. Und der hat dann in seinen 12 Regierungsjahren dafür gesorgt, dass wir die Freiheit errungen haben, die in unserer tausendjährigen Welt-Ächtung besteht. Jawohl, es soll Leute geben, die selbst einen Goethe nimmer lesen, weil er dieselbe Sprache gesprochen hat wie der große Führer. Doch wo ist der, der da mit mir geredet hat? (er läuft um das Denkmal) Frl. Köder-Büstner? Wo stecken Sie? Kommen Sie endlich hervor oder ich werde böse. Nein, ich spaße nicht. In 5 Minuten spätestens haben Sie mich gesehen. (eine Katze springt vorbei) Doch nein, das ist nicht Frl. Büstner. Das ist eine Katze! - Frl. Büstner, kommen Sie endlich, damit Sie nicht die gesamte Exposition verpassen! Schließlich geht es um mein Stück, das hier und jetzt zur Aufführung kommt.

Unbekannter:

Am liebsten würd ich gleich die Stunde segnen,

dem Narrn als Frl. Büstner zu begegnen,

schneeweiß im allerschönsten Nerz,

bis mir zu Füßen läg sein blödes Herz.

dann ihn mit Äuglein kokettierend lecken

und in den tiefsten Höllenschlund ihn stecken!

Doch nur gemach, bald bin ich schon zur Stelle,

dann geht?s gar herrlich angenehm zur Hölle.

Bernhard: Sei still, alter Maulwurf. Als ob ich dich nicht längst erkannt hätte!

Unbekannter: Österreich ein Theater.

Bernhard: Dass Österreich ein Theater ist, das habe ich gesagt! Das sind meine Worte und nicht deine; und sie sind es noch immer.

Unbekannter: Dass er sich nur nicht selber ins Wort fällt!

Bernhard: Wer führt hier die Regie? Ich oder er? Versuchs, blinder Maulwurf, mich meiner Vernunft zu berauben und mich in den Wahnsinn zu treiben! Wollen doch sehen, ob es dir gelingt?

3. Akt: Wie Frl. Büstner herbeikommt und Alarm schlägt

1. Szene: Das Treffen

Bernhard: (auf die Uhr schauend) Doch die Zeit des Wartens geht vorbei.

Büstner: (herbeieilend) Mein Herr, Herr Thomas Bernhard.

Bernhard: Frl. Köder-Büstner? Wo steckt sie?

Büstner: Frau Köder-Büstner, wenn´s beliebt. Hier bin ich. Und ich stehe vor dem großen Berg der neuesten Literatur, vor dem Dichter und Klassiker der Postmoderne, Thomas Bernhard?

Bernhard: Kein großer Berg, nur der unbedeutende, d.h. Bedeutung suchende Schriftsteller Thomas Bernhard steht vor Ihnen, gnädiges Fräulein.

Büstner: Lassen Sie mich sagen, was mir das Herz im Busen gebietet.

Bernhard: Reden Sie!

Büstner: Wenn ich an Sie denke, fällt mir immer auch der große St. Bernhard ein.

Bernhard: So weit sind wir freilich noch nicht. Sie jedenfalls sind das Frl. Büstner?

Büstner: Frau Köder-Büstner, Frau Cressida Köder-Büstner, bald Frau Dr. Cressida Köder-Büstner, wenn´s genehm ist.

Bernhard: Vom titelsüchtigen Fräulein zur titeltüchtigen Frau!

Büstner: Und vom kleinen Thomas Bernhard zum Großen St. Bernhard.

Bernhard: Sehen Sie sich vor! Denn auch große Männer können aus der Haut fahren.

Büstner: Als ob ich nicht wüsste, dass ein Geisteslicht kein Kirchenlicht ist.

Bernhard: Wenn ich aber auch einmal gesagt habe, dass es nur den einen großen Augenblick gibt, weil alles nur im Jetzt sich befindet, so bin ich kein Mann der Geduld. Das Warten mitsamt der Geduld mag der Troilus erfunden haben, aber nicht ich.

Büstner: Ob Sie auf mich gewartet haben oder nicht, so darf ich Ihnen jetzt aber doch mitteilen, dass ich hier bin. Mag also der große Augenblick jetzt beginnen!

Bernhard: Irgendwie hab ich mir den Empfang anders vorgestellt, mein Fräulein!

Büstner: Nun ja, die Zeiten haben sich ein wenig verändert, auch wenn manche es noch immer nicht gemerkt haben!

Bernhard: Sie meinen, weil Sie sich jetzt, mir zum Verdruss, Frau Köder-Büstner nennen? Oder weil Sie sich dicke verspätet haben?

Büstner: Beides ist beinahe Nebensache, wenn ich an das Wichtigste denke, das Sie aber ganz gewiss auch schon kennen.

Bernhard: Das Wichtigste, das ich auch schon kenne? Sie machen mich neugierig! Was gibt es?

Büstner: Das babylonische Exil.

Bernhard: Wie? Was? Spannen Sie mich nicht länger auf die Folter!

Büstner: Sie wissen es noch nicht, dass alle Österreicher ins Exil müssen?

Unbekannter: Ehe Abraham war, bin ich.

Büstner: Fast muss ich es Ihnen abnehmen, so unbekümmert wie Sie dastehen.

Bernhard: Ja doch, ich erinnere mich; jemand sagte mir, Österreich wär ausverkauft. Ist es dieser Aprilscherz, den Sie meinen?

Büstner: Man sucht, man verfolgt Sie.

Bernhard: Wer sucht, wer verfolgt mich? Das Weltall? Das tut es schon lange. Oder ich mich? Das tu ich leider auch schon viel zu lange. Da mein ich, einen Pfeil auf die Sehne zu legen wider meine Feinde, und kaum dass ich angespannt habe und nochmals das Ziel anvisiere, da merk ich, dass ich auf mich selber ziele. Lass ruhn den Stein? und doch muss ich ihn werfen.

Büstner: Dieses Mal aber sind es andere, die Sie im Visier haben. Leute, die Sie nicht kennen.

Bernhard: Die Ausnahmeerscheinung war es schon immer, die den Preis zu entrichten hatte. Da mögen Sie Recht haben. Im Übrigen meinte es mit mir noch nie jemand gut, nicht einmal der Himmel. Und der hätte ja doch die verdammte Pflicht gehabt, mich gegen mich in Schutz zu nehmen.

Büstner: Mag es Sie trösten, dass es nicht Sie alleine trifft. Sagten Sie nicht immer wieder einmal, Österreich sei ein Theater?

Bernhard: Das hab ich zwar immer wieder einmal gesagt, ich bin aber keineswegs stolz darauf. Es handelt sich hier um eine grimmige Wahrheit, die gesagt sein musste, um die Leute auf mich aufmerksam zu machen. Schließlich kann es jedermann mit Händen greifen. Jedermann vor mir hätte es also schon lange zum Besten geben können. Die ganze Welt ist ein Theater. Dänemark ist ein Theater und Österreich ist ein Theater. Und Deutschland, davon wollen wir schon gleich gar nicht reden. Und das Theater ist ein Theater. Und die Schulen und Hörsäle und Gerichte und Kanzleien und Kirchen und die Gottesdienste: alles ist nichts als Theater. Kaum etwas verdirbt so sehr den Charakter wie eine Theaterrobe, ich meine sämtliche, auf dem Markt befindlichen Amtsroben, Amtshüte, Amtsketten und meinetwegen auch Amtsunterhosen. Und wehe dem, der es nicht in der Schule gelernt hat, seine Rolle zu spielen. Wer aus der Rolle fällt, ist verloren. - Doch was gibt es? Ich stehe da wie ein Schüler, der nicht weiß, um welche Lektion es geht.

Büstner: Österreich hört jetzt auf, ein Theater zu sein. Österreich wird nämlich nach Israel verschickt und der Staat Israel nimmt ab sofort Besitz von unserem Österreich.

Bernhard: Was Sie nicht sagen! Österreich wird nach Israel verschickt?

Büstner: Ins babylonische Exil.

Bernhard: Bravo! Und zwar vom Reporter der israelischen New York Times ins babylonische Exil gebracht. Wenn das kein Theater ist!

Büstner: Sie glauben mir nicht?

Bernhard: Mein allerliebstes Kind! Was für ein nettes Scherzchen man sich doch ausgedacht hat! Oder besteht die Auflösung des Witzes darin, dass das Burgtheater demnächst in Israel gastiert? Das können die freilich leicht. Wo sie nur noch vor nackten Wänden spielen. Das ist spottbillig und kostet so gut wie nichts. Vielleicht meinten Sie das mit dem Wort Exil? Sagen Sie mir doch um des lieben Himmels willen, wo es in Israel ein Babylon gibt! In Babylon, da wohnt ein Mann! Lalala! Am zwölften Tag im Wintermond. - In Ägypten aber hat es einmal ein Israel gegeben. (singt) Als Israel kam ins Ägypter Land. Lass mein Volk nun ziehn! ? Das ist aber schon ein Weilchen her.

Büstner: Wer nicht hören will, muss fühlen.

Wer nicht glauben kann, wird sehn.

Bernhard: Lalala. Ca veut dire Österreich marschiert ins israelitische Exil?

Büstner: Warum weichen Sie mir aus?

Bernhard: Im Gegenteil. Ich schone Sie nur! Merken Sie das denn nicht? Sehen Sie denn nicht, wie mir das Bravo auf der Zungenspitze sitzt und in alle Welt davonfliegen will? Bravo, dass endlich alle Niedertracht und Heuchelei und Gemeinheit, alle Raffgier und Habsucht aus dem Land ausziehen!

Büstner: Mit dem Zug soll es gehen, wie ich gehört habe.

Bernhard: Nobel.

Unbekannter: In Viehwaggons.

Bernhard: Und Israel zieht im Gegenzug nach Österreich? Das wäre gar nicht so übel. Dann wäre ja endlich das Palästinenserproblem gelöst.

Büstner: Israel zieht nicht nach Österreich. Israel nimmt nur Österreich in Besitz. Genaueres weiß man noch nicht. Darüber kursieren momentan nur Gerüchte. Vermutlich wollen sie Österreich zu einem großen Friedhof machen. Zu einem Weltfriedhof, der gleich bei der Einweihung ins Weltkulturerbe aufgenommen wird. Wien soll eine gigantische Einsegnungshalle werden und Linz ein Riesenkrematorium.

Bernhard: In einem meiner Bücher hab ich wohl einmal davon gesprochen, dass man in Österreich dabei ist, alles zu zerstören und plan zu machen. Aber diese Extrapolation geht dann wohl doch etwas zu weit. Vermutlich die Erfindung eines tollkühn gewordenen Gehirns?

Büstner: Das ist bluternste Wirklichkeit. Ist sie Ihnen peinlich?

Bernhard: Peinlich? Ich weiß nicht, was das ist. Ein wenig besorgt bin ich aber schon, aber nicht um mich, sondern um Sie, mein liebes Fräulein. Mag nämlich auch im Alter der Eindruck überhand nehmen, als beginne es überall zu rieseln und zu bröckeln und das Weltall zerberste in tausend Teile, ganz so weit ist es bei Ihnen doch wohl noch nicht!?

Büstner: So glauben Sie nicht an die Deportation? Oder halten Sie es für unmöglich, in der Ferne eine neue Existenz aufzubauen? Oder reicht Ihre Phantasie nicht dazu aus, sich einen so gigantischen, Berg und Tal bedeckenden Friedhof vorzustellen?

Bernhard: Was mich betrifft, so halte ich nichts für unmöglich. Gleichwohl hatte ich noch nie eine besondere Vorliebe für ein gelobtes Land.

Büstner: Wer spricht von einem gelobten Land? Sprach ich nicht vom babylonischen Exil? Muss ich Ihnen noch dazu sagen, dass wir alle Sklaven werden?

Bernhard: Und weshalb das?

Unbekannter: Weil der große Bernhard den jüdischen Staat verleumdet hat.

Bernhard: Das nenn ich die tollste poetische Erfindung seit Aristophanes, wenn es freilich zugleich auch die niederträchtigste Lüge und die ungeheuerlichste Verleumdung ist, die jemals ein Menschenohr vernommen.

Büstner: Die Sache ist ernst.

Bernhard: Bluternst, ich weiß.

Büstner: Lassen Sie mich alles später erzählen. Jetzt tut Flucht not! Oder hören Sie nicht das Martinshorn der Polizei und das Gebell der Hunde und die Hornstöße der Jäger? Alle Wachter der Republik samt den Hauptmännern sämtlicher österreichischen Provinzen sind auf den Beinen.

Bernhard: Lass sie doch ihre Nashörner blasen! Was geht das uns an? Kahlenberg ist vorbei und Karlowitz auch.

Büstner: (ihn mitnehmend) Kommen Sie! Es ist wirklich ernster als Sie glauben.

Bernhard: Von Kindesbeinen an muss ich lachen, wenn ich Leute sehe, die sich in der Pose der Ernsthaftigkeit gefallen. Einerlei, ob es sich um prächtige Minister oder uralte Kanzlerinnen handelt, die uns versprechen, wenn sie auch gegen mögliche Wiederholungen machtlos sind, für die Opfer und deren Hinterbliebene zu beten. Aber eine ernsthafte junge Dame, das gehört zum weitaus Appetitlichsten, was es auf Erden gibt.

Büstner: Ich weiß ein Versteck.

Bernhard: Weil ich kein Spaßverderber bin, gehe ich mit. Lullen Sie mich noch ein wenig ein mit Ihrer entzückenden kleinen Nachtmusik! Eben hab ich noch die Meistersänger gehört.

Büstner: Das waren keine Meistersänger, das waren Meisterfänger. Genauer noch, Nazifänger.

Bernhard: Dann sagen Sie mir um des lieben Himmels willen, was ich damit zu tun habe!

Büstner: Hab ich´s Ihnen nicht schon gesagt?

Bernhard: Ein Scherzchen, Frl. Büstner! Geben Sie zu, dass es ein Scherzchen ist, ein Scherzchen aus den Rauch- oder Raunächten, wenn ich Frau Köder-Büstner zu Ihnen sage?

Büstner: Haben Sie nicht selber schon hunderttausend Mal gesagt: alle Österreicher sind Nazis? Thomas Bernhard aber ist ein Österreicher. Was also folgt daraus?

Bernhard: Vielleicht, dass Sokrates sterben muss.

Büstner: O wie Recht Sie doch haben. Trifft es doch stets die Unschuldigen mit, wenn nicht gar ausschließlich sie!

Bernhard: So sind Sie gekommen, mir mitzuteilen, dass man mir die österreichischen Bürgerrechte abgesprochen hat? Oder hat man mich gar des Landes verwiesen?

Büstner: Alle Österreicher sollen aus Österreich deportiert werden, habe ich gesagt.

Bernhard: Das hör ich jetzt schon zum dritten Mal, ohne dass es mir deshalb auch nur um ein Gran glaubwürdiger wird.

Büstner: (während ein Polizist auf dem Motorrad vorbeifährt; der hält dann unbemerkt in der Nähe) Achtung! Gehen Sie in Deckung!

Bernhard: Wegen dem uniformierten Blenker?

Büstner: Wenn mich nicht alles täuscht, war das ein Eichmannjäger.

Bernhard: Wenn Sie meine Meinung wissen wollen, so sage ich Ihnen, dass sich nur Schlappschwänze und Weicheier in Uniformen hineinzwängen lassen, einerlei, ob es sich um Eichmänner, Prälaten oder Präsidenten handelt.

Büstner: Still doch! Da!

(der nächste Eichmannjäger auf Motorrad fährt vorbei)

Bernhard: War das auch ein Eichmannjäger?

Büstner: (nickt)

Bernhard: Und die jagen nach dem Eichmann?

Büstner: Nach vielen Eichmännern.

Bernhard: Gibt es den in vielen Exemplaren?

Büstner: (nickt)

Bernhard: Sie scherzen, mein Fräulein! Im alten Ägypten gab es das vielleicht, dass der Eine sich in vielen Exemplaren zugleich sehen ließ.

Büstner: Das lässt den Eichmannjäger ziemlich kalt.

Bernhard: Übrigens! Wenn die hören, dass ich, der berühmte Bernhard, selber schon fast so was wie ein Eichmannjäger bin, wenn auch ohne Uniform, dann passiert nichts, es sei denn eine Begrüßung unter Freunden. Ja mein Fräulein, wenn mich etwas wundert, so ist es dies, dass ausgerechnet ich noch nicht die Ehrendoktorwürde aus Israel angetragen bekommen habe, während sich längst jeder Hinz und jede Kunzin damit schmücken kann.

Büstner: (indem sie Bernhard duckt) Still doch!

(noch ein dritter Eichmannjäger auf Motorrad fährt vorbei)

Bernhard: Aber das sind doch überhaupt keine Eichmannjäger. Das sind doch Leute, die ich schon einmal gesehen habe. Jawohl. Das sind Leute aus den Ministerien. Ich will kein frommer Katholik sein, wenn das da eben nicht der Ministerialdirigent Rottermann war aus dem Ressort der Landesverteidigung. Und da, nochmals so einer; aus dem Ministerium für Inneres. Und der da, Herr Prof. Marias aus dem Kulturministerium.

Büstner: So kommen Sie doch!

Bernhard: Was für eine Welt! Harun Er Raschid ging als Kaufmann verkleidet, wenn er unerkannt sein wollte. Und die Eichmannjäger schwärmen als Minister auf Motorrädern aus, um unerkannt zu bleiben.

Büstner: Sie sind selber schuld, wenn man Sie packt!

Bernhard: Ich weiß. Aber das ist es ja gerade.

Büstner: Was denn?

Bernhard: Sollten es der Klerus und die Herren der Politik endlich geschafft haben, die tollste Diffamierung der Weltgeschichte zuwege zu bringen: dass es nur noch einen Nazi gibt auf der weiten Welt, nämlich mich?? O verruchte Idee! Sagen Sie! Sollten die Österreicher, weil sie alle Nazis sind, sich gegen mich, den Nazijäger, verschworen haben und mir als einem Obernazi nachstellen? Gewiss, Macht bleibt Macht, ob sie von Gottes Gnaden stammt oder vom Teufel. Und Ämter und Würdenstellen sind das Tor zur Macht. Aber das wäre doch absurd.

Büstner: Österreich wird deportiert.

Bernhard: Wenn ganz Österreich deportiert würde und man nur mich deportierte, so folgte daraus ja, dass nur ich...

Büstner: Kommen Sie!

Bernhard: Warten Sie!

Büstner: Was haben Sie?

Bernhard: Zögern wir noch ein wenig! Noch lass ich mir die Regie nicht nehmen. Ich werde nur fliehen, wenn ich grünes Licht dazu gebe, niemals aber aus Angst oder gezwungen von einem Eichmannjäger. Oder sagen Sie mir doch bitte, wenn Sie es wissen, vor wem die Unschuld fliehen muss! Im Übrigen weiß ich freilich auch, dass nichts leichter ist, als einen schuldig zu machen. Je unschuldiger einer ist, umso leichter geht das. Wo drei oder vier in einem falschen Namen versammelt sind, da bist du als Schuldiger mitten unter ihnen! Von mir aber soll es nicht heißen, das böse Gewissen hätte mich landesflüchtig gemacht.

Büstner: Wo ich Ihnen so viel zu verdanken habe, wär's mir eine große Ehre, wenn ich einmal sagen könnt: ich habe den großen Thomas Bernhard gerettet! Deshalb kommen Sie!

2. Szene: Die Polizeihelfer

(Franz und Willem, zwei Polizeihelfer, tauchen auf)

Franz: Stehen geblieben!

Willem: (herbeieilend) Hast du wen aufgeschnappt?

Franz: Einen kolossalen Fang! Zwei Individuen, einen Mann und eine Frau! Beide in höchstem Maße verdächtig.

Willem: Schön. Sehr schön! Halt sie fest! - Da war aber noch einer!

Franz: Jawohl, da war noch ein Dritter.

Willem: Ich riech ihn förmlich. War da nicht noch ein Dritter?

Bernhard: Ich rieche nichts.

Franz: Er widerspricht uns?

Büstner: Hier ist wirklich niemand mehr. Vielleicht, dass mein Parfum den Duft einer weiteren Person verbreitet.

Franz: Das werden wir ja sehen.

Willem: Sie wissen aber, dass Sie sich strafbar machen, wenn Sie die Wahrheit verbergen?

Büstner: Auf mein Ehrenwort, es ist die reine und ungeschminkte Wahrheit.

Franz: Von wem ist die Statue da? (an die Statue klopfend)

Bernhard: Wie sollen wir das wissen? Vermutlich eine Stiftung der Stadt.

Franz: Ich meine, wen sie darstellt.

Bernhard: Wie sollen wir das wissen? Jeden Tag stellen sie einen anderen dar. Vorgestern den Kaiser Franz, gestern den Kaiser Hutler und morgen vielleicht mich, den Kaiser Bernhard.

Franz: Genug mit den Späßen!

Bernhard: Wenn die Statue unbedingt jemanden darstellen soll, so schlage ich Ahasver vor, als unbekannten Soldaten.

Willem: Hast du´s gehört, Franz?

Franz: Natürlich hab ich´s gehört, Willem.

Bernhard: Franz und Willem? Wie? Die beiden Herren heißen Franz und Willem? Oder nennen sie sich nur so, um mich auf meine Kenntnisse in Literatur abzuprüfen? Meint ihr, ich kenn euch nicht?

Franz: Das nützt ihm nichts. Trotzdem müssen wir ihn abführen, nicht wahr, Willem.

Willem: In Staub mit allen Feinden Brandenburgs.

Bernhard: Aber ich bin nicht der Josef K. und ich hab auch nichts mit einem Prozess am Hut. Dass mein Frl. Büstner so ähnlich heißt wie jene Untermieterin dort, ist eine der sonderbarsten Zufälligkeiten der neueren deutschen Literaturgeschichte, was Ihnen meine hübsche Begleiterin gewiss bestätigen kann. Außerdem legt sie Wert darauf, mit Frau Dr. Köder-Büstner angeredet zu werden. Wenn Sie aber meinen, ich begäbe mich deshalb jetzt mit Ihnen in so eine alte Mietskaserne unters Dach zu einem Schmierengericht, so täuschen Sie sich. Und in einen Steinbruch lass ich mich schon gleich überhaupt nicht schleppen, geschweige denn, mir die Kehle durchschneiden.

Franz: Er kann sich nicht vorstellen, dass die Welt anders abläuft als nur in seinem bürgerlichen Kleinhirn.

Willem: Sein Mundwerk läuft jedenfalls wie gewaschen.

Franz: Hier ist eine Türe! (die Türe ins Innere der Statue) Aufmachen!

Büstner: (versucht es) Die geht nicht auf.

Willem: Der Mann mit dem Mundwerk! Aufmachen!

Bernhard: Wenn die Dame sagt, sie geht nicht auf, dann geht sie nicht auf!

Willem: Und wenn ich sage, sie geht auf, dann geht sie auf!

Bernhard: Dann muss man sie aufbrechen.

Willem: Dann brechen wir sie eben auf. (er holt Arbeitsgeräte aus seinem Felleisen und beginnt damit) Wollen doch sehen, ob zwei Kaiser, Franz und Willem, nicht mit einer einzigen Türe fertig werden! Walten wir unseres Amtes!

(unter Wagnermusik wird die Türe aufgebrochen)

4. Akt: Wie Frl. Büstner den Bernhard in vorläufige Sicherheit bringt

Büstner: (während sie ihn mit sich zieht) Nutzen wir die Gelegenheit und fahren ab!

Bernhard: Wie der Weinberl und der Christopherl im Jux? Ob das so einfach geht?

Büstner: Sie sehen doch, die kümmern sich eine Bohne um uns. Die besorgen jetzt das Grobe. Gehen wir, als ob nichts los wäre und bringen uns in Sicherheit.

Bernhard: Wenn Sie meinen?

Büstner: Sie werden sich fragen, wo man sich in unsicherer Zeit in Sicherheit bringen kann.

Bernhard: Die Frage ist wirklich erwägenswert.

Büstner: Ich müsste nicht Frau Köder-Büstner sein, wenn ich nicht längstens einen Rettungsfaden ausgelegt hätte. Sehen Sie, ich hab alles so arrangiert, dass schon im nächsten Haus ein ganz lieber Onkel von mir wohnt. Der ist dort Hausmeister und entscheidet darüber, wer das Zimmer bekommt, das im ersten Stock zu vermieten ist. - Hier sind wir schon.

Bernhard: Wohnt hier ihr Onkel?

Büstner: Mein Onkel, jawohl, so hab ich gesagt. Hier steht: Zimmer frei. Da tun wir so, als wollten wir es uns ansehen.

(sie schellt) Los, los, Onkel, mach schon auf! Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir müssen gut versteckt sein, ehe man unsere Verfolgung aufnimmt.

Hausmeister: (wie Hitler, mit einem schwarzen Schnauzer) Hallo, gnädige Frau, mein Herr?!

Bernhard: (für sich) Wer ist das?

Büstner: Was haben Sie?

Bernhard: Entschuldigen Sie. Ich war in Gedanken wo anders.

Hausmeister: Was wollen die Herrschaften?

Bernhard: Tut der immer so, als kennte er Sie nicht?

Büstner: Nicht immer. Aber erstens bin ich jetzt ja in Männerbegleitung. Und zweitens ist es ratsam, in Zeiten der Verfolgung von manchem etwas weniger zu wissen. Wenn ich z.B. Ihre Tochter bin, Doktorandin z.B., ob das nicht geschickt zu einem Alibi passte?

Hausmeister (Hutler): Darf man wissen, was hier vorgeht?

Bernhard: (für sich) Das würde ich auch gern wissen. Aber eines sag ich schon gleich: in Machenschaften lass ich mich nicht ein!

Büstner: Lieber Onkel! Wir suchen ein Zimmer und da steht doch, dass du eines zu vermieten hast. (zu Bernhard) Das besichtigen wir uns dann, bis es darüber morgen früh wird. (zum Hausmeister) Du weißt doch, dass ich promoviere. Und eine Promotion ist schließlich kein Pappenstiel. Da braucht man unbedingt ein Zimmer zum Denken. Vor allem nachts. (zu Bernhard) Und wenn die Gefahr herum ist, gehen wir wieder nach Hause.

Hausmeister: Meine Dame! Mein Herr! Was wollen Sie?

Büstner: Hab ich´s nicht soeben gesagt, dass wir nach einem Zimmer suchen? Und da hier ein Zimmer frei ist, so wollten wir die Gelegenheit nutzen. Ich bin nämlich inzwischen Doktorandin geworden, musst du wissen, und brauche ein sehr stilles Zimmer, wo mich nichts und niemand stört. Los, mach auf und lass uns herein.

(sie treten ins Haus)

Hausmeister: Und der Herr da?

Büstner: Das ist mein Vater. Nicht wahr, Herr Bernhard, Sie sind mein Vater?

Bernhard: Sehr wohl. Nur die Dummheit ist so blind, dass sie nicht sieht, was der Fall ist. Das hätte Wittgenstein sagen können. (für sich) Aber der leibliche Vater will ich nicht sein. Da könnte dieser Herr gar noch kommen und sich mir als mein Bruder vorstellen.

Hausmeister: Was meinen der Herr?

Bernhard: Eigentlich nichts.

Hausmeister: Sie haben aber etwas gesagt.

Büstner: Was wird er weiter gesagt haben, als dass er mein Vater ist? Nebenbei bemerkt gibt es viele Doktorväter, die zwar Väter sind, die sich aber aller Grammatik zum Trotz in nichts von gemeinen Freibeutern unterscheiden.

Hausmeister: Das macht sich nicht gut. Zumal in angespannten Zeiten, wo manch einer schon hinter Gitter kommt, wenn er sich auch nur etwas Falsches zu denken vornimmt.

Büstner: Aber Onkelchen, wo denken Sie denn hin! Dieser Herr da denkt eigentlich nie zu viel. Kaum dass er einen Gedanken am Hemdzipfel gefasst hat, fängt er auch schon an, ihn aufzunotieren. Da kann er ja zum weitschweifenden und tiefschürfenden Denken überhaupt keine Zeit mehr haben.

Hausmeister: Ein Schriftsteller also?

Büstner: So ist es.

Hausmeister: Edle Dame. Ich trau diesem Herrn nicht über den Weg.

Bernhard: (für sich) Dieses Vergnügen teil ich ausnahmsweise mit ihm.

Büstner: Springen Sie über Ihren Schatten. Trauen Sie ihm! Das ist es ja nämlich, dass ihm fast niemand traut. Ein schreckliches Schicksal vieler Genies.

Hausmeister: Ein verkanntes Genie also?

Büstner: Auf der Suche nach seinen Eltern, wenn Sie es denn wissen wollen, lieber Onkel.

Hausmeister: Also nach Ihren Großeltern?

Büstner: Mein Gott.

Hausmeister: Manch einer hat schon gestaunt, nachdem er erfahren, wer sein Vater ist!

Bernhard: Spielen wir jetzt das Stück von Lancelot Gobbo über Lancelot Gobbo? Lancelot sucht seinen Vater. Und der Vater sucht nach Lancelot, dem Sohn. Vielleicht sucht auch Lancelot Sohn seine Mutter? Oder Lancelot Vater sucht Lancelot Mutter? Das Einzige, was sich mit Gewissheit sagen lässt, ist, dass keiner den andern findet. Und wenn sie sich zufällig begegnen, erkennen sie sich nicht. Vor allem der Vater hat Schwierigkeiten, den Sohn zu erkennen.

Hausmeister: Ich schätze, der Herr wird eine Bereicherung für unser Haus.

Bernhard: Wenn es einmal einen himmlischen Vater gegeben hat, so ist es ihm vermutlich ähnlich ergangen.

Büstner: Was die Naziverbrecher angeht, da ist er ein Spezialist.

Hausmeister: Das ist lobenswert.

Büstner: Jedem Österreicher sieht er auf den Kopf an, dass er ein Naziverbrecher ist. Herr Bernhard hatte sogar schon einmal die kühne Idee gehabt, jedem Österreicher einen neuen Kopf zu geben, um ihn von allen Altlasten zu befreien. Ist es nicht so?

Bernhard: Die Idee war allerdings etwas kühn.

Büstner: Darf ich den Onkel um einen Gefallen bitten?

Hausmeister: Und der wäre?

Büstner: Ich hab ihm nämlich gesagt,

Hausmeister: Ihrem Herrn Vater?

Büstner: dass heute Österreich evakuiert wird.

Hausmeister: Das ist leider so. Kein Österreicher wird in Österreich bleiben, bis auch noch die letzte Spur des Nazi-Österreich getilgt ist. Und wenn einer auch noch in dieser Nacht das Licht der Welt erblickt, keine Windel wird ihn schützen, er muss Österreich verlassen.

Büstner: Das erinnert fast an die Flucht nach Ägypten.

Hausmeister: Nur dass es diesmal nicht nach Ägypten geht!

Büstner: Hast du gehört? - Er wollte mir nämlich nicht glauben. Väter sind eben oftmals etwas bockig gegenüber ihren Töchtern. Sie meinen, unbedingt immer alles besser wissen zu sollen.

Hausmeister: Deshalb darf ich auch kein Zimmer an einen Österreicher vermieten.

Büstner: Aber ansehen werden wir uns das Zimmer doch dürfen. Das tut not, um wenigstens zu wissen, wie schön wir es haben könnten, wenn wir nie diesen Vaterlands- und Volksverführer gehabt hätten. Bernhard, kommen Sie!

Hausmeister: Halt, Halt!

(Lärmen und Pfiffe. Rufe: Hier muss er sein. Hier hat er sich versteckt.)

Hausmeister: Mag er hineingehen. (er stößt Bernhard in das Zimmer) Sie aber, junge Frau, bleiben hier draußen.

Bernhard: Hallo, mein Herr, was soll das?

Hausmeister: Das wird sich zeigen!

Büstner: Bleiben Sie nur ganz ruhig darin, verehrter Meister. Sie hören doch die Pfiffe und das Krakeelen. In ihr Zimmer kommt keiner herein. Allenfalls über meine Leiche.

5. Akt: Wie der Unbekannte dem Bernhard als Geist seines Vaters erscheint.

(Ein Zimmer wie das Innere eines Sarges, aber leer, bis auf ein Bild an der Wand und eine Truhe, nach Art der alten Afrikakoffer und einem Vogelbauer, der von der Decke herabhängt. In ihm pfeift ein Wellensittich, der immer wieder "Sing-sing" sagt. Von draußen immer wieder Sirenenlärm etc.)

Bernhard: Was nun, Herr Bernhard? Da befind ich mich nun in dieser abscheulich kalten, mich mit Frostschauder überrieselnden Höhle! Allein, ohne die Büstner. Nicht, dass ich die Büstner brauchte! Und schon gar nicht, wie das gemeine Volk meint. Aus nackedeilichen Weibern hab ich mir noch nie etwas gemacht. Dass sie nicht da ist, vermerke ich nur, um zu bedenken zu geben, dass ich ihr nicht traue. Alles ging doch gar zu schnell vonstatten. Wirklich wie von dieser Tusnelda ausgedacht und inszeniert. Komm schnell! Und "Husch, husch!" Und "Lieber Onkel, mach auf, sperr meinem verehrten Meister dein Zimmerchen auf!" Lieber Onkel, der ein Superschauspieler sein müsste, wenn er die Büstner kennte, wie diese, da sie ihn als ihren Onkel bezeichnete, implizit vorgab. Und dann gibt man mir einen Stoß und ich sitze in der Falle. Und doch? (Die Türe öffnend) Die Türe geht jedenfalls auf. Der Fluchtweg durch die Türe steht mir noch offen. (er probiert abermals) Sie geht immer noch auf. Gut so! Dann meine ich, ist es das Beste, wenn ich erst einmal ausschnauf; und wenn ich ausgeschnauft habe, mir überlege, was ich weiter unternehme, sobald erst der ärgste Radau verebbt ist. Sofern aber dieser im Augenblick für mich beste Fall nicht eintritt, sofern im Gegenteil der Fall eintreten sollte, wo eine Flucht notwendig würde, wäre die Türe immerhin ein zuverlässiger Partner.

Gehen wir nun auch noch zum Fenster und sehen nach! Das Fenster scheint auch aufzugehen. (bleibt beim Fenster stehen) Hier allenfalls, eineinhalb Meter über dem Gehsteig, könnte ich noch hinaus auf die Straße. Das wäre für den schlimmsten aller Fälle, für den allerletzten Ausweg. - Im Übrigen bin ich mir noch immer nicht im Klaren darüber, was da eigentlich in Gang ist. Oder hätt ich gedacht, dass ich auf meinem Abendspaziergang heute hier landen würde? Und doch, sagte ich, und ich sag's noch einmal, und doch kann ich mir nicht vorstellen, dass die kleine Büstner mich hat in eine Falle locken und einsperren wollen. Dann hätte sie doch zumindest gleich mal die Türe von außen verriegelt. Wenn die Büstner ihre Hand mit im Spiel hat, so ist es ihre frivole Art, mit Männern, gerade auch mit arrivierten Männern zu spielen, die hier freie Hand hat. - Dazu passen wohl auch die Eichmannjäger. Wiewohl ich mir nicht vorstellen kann, dass sie, wiewohl aus begütertem Haus, diesen Spaß inszeniert hat, so mag sie doch, zumal im Blick auf meine Person, an diesem Spaß ihr volles Vergnügen gefunden haben und noch immer haben. Ich müsste mich schlecht auf die Möglichkeiten des Spiels verstehen, wenn dem nicht so ist. Auch ihre saloppe Redeweise ?nur über meine Leiche? passt prächtig dazu. (er schaut vor der Türe) Als Leiche oder als Scheinleiche liegt sie nicht vor der Tür; sie hat sich nicht die Ehre gegeben, sich vor meine Türe zu legen und sich tot zu stellen. Aber dann wär ja auch aller Scherz bereits vorbei, während der Scherz noch immer hier anhält.

Wenden wir uns nun zur Betrachtung und Bestandsaufnahme des Innern! Da darf man sich ja wohl fragen, was für ein Mensch hier zu logieren vermag. Ein echter Mieter für längere Zeit gewiss nicht. So wäre dies also vielleicht ein Gastzimmer? Und das Bild dort, das Bild des Gastgebers oder Hausherrn, der einem sagen will, dass man Acht geben soll auf die Wohnung oder, wer mag es wissen, auch auf sich selbst? So ein kleines Erkenne-dich-selbst-Zimmer mithin? Schau ich mich indessen um im Raum, so mutet mich alles wie ein Scherz an; als hätten sich ein paar Leute in dem Raum versteckt und könnten es kaum mehr aushalten, mit dem Lachen herauszuplatzen. Natürlich kann sich kein Mensch in einem so leeren Raum wie diesem hier verstecken. Aber das ist es ja gerade, was einen so schauerlich lächerlich überrieselt, wenn man sich vorstellt, dass man hier plötzlich einen in der Ecke Gestalt annehmen sähe und dann auflachen hörte. Dass mich kein Feengemach erwarten würde, hab ich mir freilich gleich gedacht. Aber dass es eine so erbärmlich nackte und unmöblierte Kammer wäre, eine solche groteske Vergröberung und Verspottung eines jeden gemütlichen Zuhause-Seins, ein solches Fahr-ab-Ensemble, das ist doch einer Feststellung wert, wie ich meine. Das ist ja noch nicht einmal ein Dostojewski-Zimmerchen! Das ist die Verspottung einer Kerkerzelle, die Einladung in ein Klostergefängnis, die Fata Morgana einer Danteschen Höllenkammer. Bei seinem Anblick weiß man nicht, ob sich einem ein Gelächter entwindet oder ob sich einem die Eingeweide zusammenziehen und einen Luftschall durch den Schließmuskel entsenden. Überhaupt, sieht der Raum nicht so aus, als ob man sich schon in seinem Sarg befände? Die Wände nach hinten abgeschrägt, auf halber Höhe nach oben zu wieder sich verjüngend, und das vertäfelte Plafond mit dem dunkelschwarzen Anstrich, als wäre das Mansardenzimmer im Lauf der Zeit in sich zusammengesunken, wie es Särgen widerfährt, wenn sie genug davon haben, für einen Toten die unendlichen Massen an Steine und Erde in die Höhe zu stemmen. Tut mir leid, scheint das Zimmer zu sagen, für die Zeit bis zum jüngsten Tag bin ich nicht erbaut. Und jetzt ist nur noch der kleine dumme Seelenvogel übriggeblieben. Und als ob man nun nicht schon um alles wüsste, steht nun auch noch dieser Koffer da, dieser Rätsel- und Vexierkasten des Denkens? - Dass ich hier die Nacht verbringe, ist ausgeschlossen. Ich, der ich schon in den nobelsten Luxushotels quartiert habe, werde mich weder auf diesen Afrikakoffer legen noch auch in ihn hinein. Das fehlte ja noch, dass ich, um dieses dumme Sing-sing nicht mehr mit anhören zu müssen, mich in den Koffer lege, und hab ich mich da hereingelegt und schlafe, dann kommt einer und verschließt den Deckel, dass ich nicht mehr heraus kann? Misstrauen, du meine Göttin, du leitest mich, das Rechte zu tun, wenn man mich auf einen falschen Weg gelenkt hat. Wer auch vermag es jeweils zu erkunden, wer wäre so sinnreich, wer so verschlagen, alles sich auszumalen, wozu die Satansbrut der Menschheit im Stand ist? (probiert abermals, ob die Türe zu öffnen ist.) Immerhin ist die Türe noch immer nicht verschlossen. Sie lässt sich schließen und öffnen, ganz wie ich es will. Keine Frage ist ja für einen wichtiger als die, ob man frei ist oder eingeschlossen. Der Gedanke, der Freiheit beraubt zu sein, ist zermalmend.

Nun aber hätten wir noch dieses Bild da zu untersuchen. (er geht hinzu) Die ganze Zeit über kommt mir vor, als würde man mich von dort aus beobachten, würde man schauen, was ich mache und würde Daten sammeln, um dann etwas gegen mich zu unternehmen. Ob das noch zum Scherz gehört? Ich weiß es nicht. - Was ist das für ein Bild? Wie kommt es in diese Kammer? Wer hat es aufgehängt? Schreiten wir doch zu einer genaueren Überprüfung und Vermessung! - Ein Foto ist das, ein Porträt. Das seh ich schon von hier aus. Ein älterer Herr, der sich zu bemühen scheint, mehr zu sein, als er ist. Das ist eigentlich nicht außergewöhnlich, nicht nur typisch für Hausmeister und Portiers, auch für die, die meinen, schon eo ipso Wunder was zu sein, Chefärzte, Vorsitzende und Vorsteher aller Art, auch wenn es letztere Herrschaften nur selten bemerken. Ich habe schon oft davon gesprochen, dass wir in zwei Welten leben; in der wirklichen, traurigen und gemeinen, die, da man nicht wahrhaben will, dass man doch nur eine ganz bescheidene, ja lächerliche Rolle als Mensch spielt, letztendlich so tödlich ist; wie auch in der Welt unserer Träume und Wünsche und Einbildungen. Stand ich nun da hinten und sah mir das Bild an, so schaute mich der Herr ernst, aber wohlmeinend an, so als wollte er sagen "Ich habe zwar noch manches an dir auszusetzen; doch bin ich überzeugt, du wirst dich bald bessern." Doch jetzt, wo ich nähergetreten bin, bleckt er die Zähne. Wie, oder täusch ich mich etwa? Übersehe ich etwas oder hat er Angst, dass ich ihn am Bart pack? ? Und tret ich nun ganz nahe, ganz dicht heran, dass mich die schwarzen Haare des Schnauzbarts schon fast berühren und ich den Atem spüre, so ist mir, als hätte der Herr etwas dagegen, dass ich ihm ins Gesicht schaue, als könnte ich auf etwas Verbotenes aufmerksam werden. Jawohl, etwas Lauerndes wird wach, etwas, das sich mausert, etwas, das Gestalt annimmt, was ich zwar im Geist erahne, wofür aber doch im gewöhnlichen dreidimensionalen Raum kein Platz ist. Und doch ist das ebenso unsinnig wie unstimmig. Oder etwa nicht? ? Aus der Ferne, mein ich fast, ich sähe meinen eigenen Herrn Vater, überglücklich, wie ich als erster seiner Söhne das Abitur bestanden hatte. Und jetzt, wenn ich nähertrete, mischt sich in den fernglücklichen Blick plötzlich etwas Spöttisches. Und jetzt meine ich fast, als bestünde er nur noch aus Strenge und wollte den Arm zum Führergruß in die Höhe heben. Als ich der Ferne ein Auge zudrückte, da schien mir, als ob auch der Vater ein Auge zudrückte. Jetzt aber, so dicht vor ihm, wenn ich jetzt das Auge zudrücke, drückt er kein Auge mehr zu. Und tret ich noch näher?Nein! Schweigen wir lieber und nähern wir uns nicht weiter. Wofür kein Platz sein darf, dafür gibt es auch keinen Platz. Der Satz ist zwar falsch, aber er beruhigt und folglich ist er nach Goethe wenigstens wahr. Und in der Tat, wird nur erst unser Herz wieder ruhig, so ist schon etwas gewonnen.

Stimme der Büstner: Ist es nicht schön, dieses Foto?

Bernhard: Ah, Frau Köder-Büstner. Wo sind Sie?

Büstner: Ich bin nur rasch noch ausgetreten. Aber es dauert nicht lange.

(Pfiffe, Lärm und Rufe von draußen, die sich wieder entfernen)

1. Stimme eines Eichmannjägers: Hat ihn einer von euch gesehen?

2. Stimme: Hier muss er stecken.

1. Stimme: Schleicht euch an und packt ihn! Kein Winkel darf verborgen bleiben.

Stimmer der Büstner: Ihr Eichmannjäger. Wen suchet ihr?

Stimme eines Eichmannjägers: Den Thomas Bernhard, der sich auch unterm Pseudonym Thomas Hutler ausweist.

Stimmer der Büstner: Der sitzt da drin.

Stimme eines Eichmannjägers: Woher will Sie das wissen?

Stimmer der Büstner: Ich hab ihn selber hineingelockt.

Bernhard: O schlangenkundige Eva! Dann stimmt mein Anfangsverdacht also doch und ich befinde mich in einer Falle. Jetzt heißt es, nur nicht den Kopf verlieren; sich nur nicht in eine panische Angst manövrieren; Herr der Lage bleiben. Wenn man mich auch sucht, so hat man mich doch noch nicht gefunden. Aber sobald man mich auch gefunden hat, so hat man mich deshalb doch noch lange nicht verhaftet. Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass man mich in eine Falle gelockt hat oder dass sich etwas als Falle entpuppt hätte, was wenige Augenblicke zuvor noch wie eine herrlich himmelblaue Freiheit ausgeschaut hat; und habe dann doch fast im Handumdrehn mir wieder freie Bahn verschafft. Wahre Freiheit, so denk ich, muss man sich immer wieder von neuem verschaffen. Nur die falsche Freiheit hat man länger- Sie blüht in der Dunkelheit, wo niemand einen sieht, wo sich der Täter ganz auf die Tat konzentrieren kann, weil es keinen Täter gibt, immer nur die Tat. Wo man Schritte hören kann und Stimmen, die näherkommen oder die sich von einem entfernen, und Pfiffe und Schüsse und Würgegriffe und Schreie und Todesröcheln und Gelächter, ohne dass sonst etwas geschieht, als dass darauf eine tiefe, unheimlich tiefe Stille folgt. Im Übrigen ist das ganze Leben eine Falle. Zuerst fällst du aus der Falle oder, wie wir wohlklingender sagen, aus dem Schoß deiner Mutter, um dann gleich in die nächsten Fallen zu fallen, bis wir die letzte aller Fallen, die Grabesfalle erreichen. Vielleicht schreien wir beim Eintritt in die Welt nur deshalb, um nicht gleich als erstes auf dieses lauernde Horchen und Nachforschen der Ewigkeit zu stoßen, bis wann wir zum Abholen bereit sind. Ah, wenn ich bedenke, dass dies aller Fatalitäten allerfatalste sein könnte: dass du einmal in einem Schragen, eingebuddelt in einem Erdloch liegst, mit zentnerschwerem Dreck und Steinen überhäuft und du suchst nach einem Schlüssel und stellst fest, dass du keinen mehr hast?

Das Weltall ist nichts als ein Schrein,

der Tod schließt und Verderben ein.

(wieder am Fenster nach draußen spähend)

Noch ist keiner gekommen. Alles also doch nur ein Scherz oder eine infame Gemeinheit? Fehlt nur, dass Frl. Büstner hier wieder auftaucht! Oder wär das nichts, wenn jetzt draußen die Häscher abermals vorbeikämen; und dann würde ihnen die süße Maid zustecken, dass ich da drin bin? Da hinein hab ich ihn gelockt. Geht nur und schaut nach, wenn ihr es nicht glaubt. Oder geht zu meinem Onkel, dem Hausmeister, der kann euch zu ihm führen. - Bislang freilich ist die Büstner nicht zu sehen. Doch das spricht nicht unbedingt für sie. Wie viele Menschen verstecken sich nicht vor einem, bevor sie gegen einen zur entscheidenden Attacke schreiten! Auch der Judas hatte sich versteckt, ehe er unter den alten Eichen des nächtlichen Ölbergs auftauchte. Und Hand aufs Herz, ganz geheuer war mir die Dame nie. Allein schon an dem Namen hatte ich so viel auszusetzen, dass ich mir nie der Hoffnung hingab, zu ihrem Gesicht zu gelangen, ganz zu schweigen zu ihrem Herzen. Wie auch kann man Frau Köder-Büstner heißen? Allein schon Köder. Oder ist das nicht abscheulich? Mit einem Wurm ködert man einen Fisch, mit einem leckeren Happen ein wildes Tier, und mit einem Frl. Köder einen Bernhard? Oder schreibt sich die Köder-Büstner mit einem harten t? Das wäre auch nicht besser. Sodann der Doppelname. Köder-Büstner! Bei einem Doppelnamen ist man doch verheiratet. Das hat sie aber mir aber bestritten. Oder wäre die Dame ein Zwitter und ist mit sich selbst verheiratet? Das gibt's heutzutage ja auch, dass Leute so in sich verliebt sind, dass man sie als ein verheiratetes Paar ansehen kann. Sie zeigen einem immer jenes Ich von sich, in das sie unsterblich verliebt sind, auf dass einem nichts übrig bleibt, als es anzubeten. Eines aber weiß ich - nie mehr werde ich eine Doktorandin einbestellen, wie sehr auch die Fama von ihr und ihr Parfum den Erdball umduften, wenn sie mit einem Doppelnamen daherkommt.

Stimme des Unbekannten aus der Truhe: Ich bin der Geist deines Vaters.

Bernhard: Wer spricht da?

Stimme des Unbekannten: Hilf mir heraus!

Bernhard: Der Geist meines Vaters?

Stimme des Unbekannten: Hilf mir heraus!

Bernhard: So hat ihn jemand eingeschlossen? (für sich) Wie einst Salomon Geister in seine Flaschen einsperrte. (er nimmt den Schlüssel, der auf der Truhe liegt)

Stimme des Unbekannten: Es soll ihn auch kein Leid treffen.

Bernhard: Was soll das bedeuten? Wie will er das wissen? Oder spricht hier der Geist der Lüge zu mir? Eigentlich ist das zu wenig, um herausgelassen zu werden. Aber nun bin ich selber neugierig nach des Rätsels Lösung. (er öffnet die Truhe. Der Unbekannte in Gestalt des Hausmeisters steigt aus der Truhe)

Bernhard: Was ist das? Der Herr Hausmeister?

Unbekannter: Freut er sich nicht, seinem Vater zu begegnen?

Bernhard: (für sich) Wie kann er da drin sein, wo er doch außerhalb des Zimmers ist?

Unbekannter: Was bruttelt er da?

Bernhard: War er nicht eben noch hinter mir gestanden als mein Vaterbruder und nun, plötzlich, ist er vor mir als mein Vater? So wäre das Nicht-Sein überhaupt nicht und das Sein doppelt?

Unbekannter: Ich habe dich überholt.

Bernhard: Das verzeihe dir Gott!

Unbekannter: Als du auf dem Theaterplatz warst, hielt ich bereits meine Hand über dir.

Bernhard: Dann war er es also, der mich irritiert hat?

Stimme von Franz, von draußen: Willem!

Stimme von Willem, von draußen: Was ist?

Bernhard: Hört er nichts? Da draußen sind Leute. - Jetzt ist wieder Totenstille.

Unbekannter: Schau er nach! Ein guter Bürger fühlt sich immer angesprochen, wenn irgendwo ein Lärmen ist.

Bernhard: (leise ans Fenster tretend) Aber das ist ja der Herr Bundespräsident von Österreich, der Freiherr von Oberschläger! Da kommt er vorbei.

Unbekannter: Ein alter Nazi! Fährst du vorsichtig mit der Faust heraus, so kannst du ihm eins auf die Plete hauen.

Bernhard: Das lass ich schön bleiben.

Stimmer von Willem: (draußen, daneben Hundegebell) Was wünschen der Herr Bundespräsident, Freiherr von Oberschläger?

Stimme des Bundespräsidenten: Haben Sie den Bernhard Hutler gesehen?

Stimme von Franz: Den hab ich gesehen.

Stimme von Willem: Ich auch!

Stimme von Franz: Hier, in diesem Haus, muss er sich aufhalten.

Stimme des Bundespräsidenten: Dann holt ihn heraus. Oder habt ihr Angst, mit der Hand ins Loch zu greifen, weil eine Schlange drin stecken könnte?

Stimme von Franz: Aber Ex-lenz! Ein österreichischer Beamter hat doch keine Angst.

Stimme von Willem: Nur wer kein Gewehr hat, muss Angst haben.

Stimme des Bundespräsidenten: Dann also flott. Diesen Bernhard Hutler in Gewahrsam genommen, und ab geht die Post.

Unbekannter: (der dem Hitler immer ähnlicher wird, zu Bernhard) Hast du gehört?

Stimme von Franz: Sehr wohl, Euer Gnaden. Sie werden Ihre Freude haben, wenn Sie sehen, wie wenig wir uns damit aufhalten, den weiteren Aufenthalt dieses Staatszerstörers in diesem Haus zu dulden. Komm!

Stimme von Willem: O ja. Was für ein passender genialer Ausdruck. Den Staatszerstörer in Gewahrsam genommen, und ab geht die Post.

(Stimmen werden wieder leiser, dann hört man aber das Öffnen der Haustür)

Unbekannter: Das sind die Häscher.

Bernhard: Will er wieder in die Truhe?

Unbekannter: Den Vater kriegen sie nicht. (er steigt mit dem Schlüssel in die Truhe)

Bernhard: (für sich) Wenn das nicht der Onkel-Hausmeister ist, dann ist das der Hutler und kein anderer, auch wenn mir´s unerklärlich ist, weil er doch schon über 50 Jahre tot ist. Der Volksverführer aus Österreich, aus Braunau. Diese stiergrauen, rasierklingenscharfen, gefährlich dummen Augen unter der Mörderstirn. Er ist's! Und diese Sprache, so provokant und frech. Würde mich nicht wundern, wenn ihm noch Dolchzähne aus dem Maul wüchsen! ? Und doch fühl ich mich plötzlich pudelwohl. Mögen zuvor auch noch Unsicherheit und Ängstlichkeit in mir gehaust haben, nach dem kurzen Gastspiel des Herrn Hausmeister mit seinem Zaubertrick, fühl ich den auktorialen Autor in mir geweckt. Nichts, so mein ich, kann geschehen wider meinen Willen. Entweder der liebe Gott hat dieses Stück erfunden als Demiurg und Schöpfer des großen Welttheaters, dann nennen wir es billigerweise ein Stück aus der Wirklichkeit. Oder aber, und so stellt sich mir alles dar, man hat mir das Bubenstückchen aus dem Hirnkastel herausgerissen und auf diese Bühne geschafft; und dann wollen wir doch sehen, ob wir es nicht dahin bringen, wohin wir wollen.

6. Akt: Wie Bernhard gestellt und abgeführt wird.

Stimme des Hausmeisters: Folgen Sie mir, meine Herren! Hier ist er heraufgestiegen.

Bernhard: Also. Das war schon wieder die Stimme des Hausmeisters, diese dunkel grollende, ans Paviangebrüll erinnernde Stimme des Hausmeisters. Er brüllt da draußen und sitzt da drinnen. Mit einem Wort: er ist überall.

Stimme des Hausmeisters: Kommen Sie, meine Herren. Wir sind gleich da!

Bernhard: So kommt nur, ihr Stiefelknechte, angeführt von diesem Satan von Hausmeister, und rückt mir aufs Fell! Ich denke nicht daran, davon zu laufen: weder durch die Türe in eure offenen Messer, noch auch durchs Fenster, um mich im Wettrennen mit euren Hunden zu versuchen.

eine Stimme: Wo sind Sie, warten Sie. Es ist hier so dunkel.

Bernhard: Mir ist nicht mehr dunkel. Mir ist es jetzt wie Schuppen von den Augen gefallen. Worüber ich schon so oft nachgedacht habe, ohne zu einer Lösung zu gelangen, scheint sich mir jetzt aufzuschließen, nämlich was es mit dem schlimmsten Fall auf sich hat. Man könnte meinen, dass es einen solchen Fall überhaupt nicht gibt, weil man auf jede Schandtat des Menschen, immer noch ein paar weitere draufsatteln kann. Solange es Menschen gibt, wird diese Erfindungskunst grünen und blühen. Und doch bin ich mir jetzt ganz sicher, dass es einen schlimmsten Fall gibt. Und zwar tritt er genau dann ein, wenn du vergisst, den Fortgang des Geschehens zu bestimmen. Dass also der hässlich braune Führer hier in der Truhe sitzt und dass ich Gefahr laufe, in der unliebsamsten Gesellschaft der Welt angetroffen zu werden, ist noch lange nicht der schlimmste Fall.

Stimme des Hausmeisters: Aufgemacht.

Bernhard: Jetzt lassen sie einem nicht einmal die Zeit, den Gedanken konstruktiv zu Ende zu denken.

Stimme des Hausmeisters: Aufgemacht.

Bernhard: Es nützt nichts, ich muss Farbe bekennen.

Viele Stimmen: Mein Herr, machen Sie auf!

Bernhard: (auf der Truhe sitzend) Es ist offen. Nur hereinspaziert, wenn es ihr Beruf ist, unbescholtene Schriftsteller durch Hausfriedensbruch in der Nacht zu belästigen.

(Fünf Männer, der Hausmeister, zwei Eichmannjäger, Willem und Franz, treten ein)

Bernhard: Meine Herren, seien Sie mir willkommen. Leider kann ich Ihnen keinen Stuhl anbieten, ich selber habe nur diese Truhe als Sitzgelegenheit.

Eichmannjäger: Mein Herr, wer sind Sie?

Bernhard: Wer ich bin? Kennen wir uns nicht bereits?

Willem: Stehen Sie gefälligst auf, wenn man Sie etwas fragt!

Bernhard: (steht auf, während Franz und Willem sich auf die Truhe setzen)

Franz: Also, wer ist er?

Willem: Heraus mit der Sprache!

Bernhard: (leise zu sich) Vergiss nicht Thomas, dass du der Urheber des Schauspiels bist. Wenn es anders läuft, als du es dir wünschst, so hast du einen Fehler gemacht.

Eichmannjäger: Wir sehen nicht mehr lange zu.

Bernhard: Ich darf die Frage an Sie zurückgeben, meine Herren. Schließlich war ich hier, ehe sie kamen. Von daher verlangt es die gute Sitte, dass zuerst Sie sich ausweisen.

Willem: Schlag ich den Menschen nieder, dass er für immer unfähig ist, sich auszuweisen?

Bernhard: (für sich) Da sag ich als Autor entscheiden nein!

Franz: Ja, das sollte man. Sonst weist er sich nie der Ordnung gemäß aus!

Eichmannjäger: Lasst ihn, sofern er uns jetzt sofort und ordnungsgemäß sagt, wer er ist!

Bernhard: (für sich) Immerhin scheint mein nein gegriffen zu haben.

Büstner: (die jetzt hinzukommt) Sagen Sie ihnen doch etwas über sich, verehrter Meister! Es gibt ja keinen Grund, die Aussage zu verweigern.

Bernhard: Sagen doch Sie etwas! (leise für sich) Schlange!

Büstner: Die Leute lieben eben das ganz und gar Authentische.

Bernhard: Nun gut! So hören Sie denn! - Zur Welt gekommen bin ich irgendwo unterwegs zwischen Wien und Paris, worauf ich dann von meiner Mutter irgendwo an der Küste Hollands als Findelkind ausgesetzt wurde. Ob auf Anweisung eines delphischen Orakels war mir zu erkunden bislang noch nicht möglich. Da nun leider auch ich in mir viel Talent zu einem Ödipus oder zu einem Hamlet verspüre, mache ich mich immer wieder auf den Weg, Vater und Mutter aufzuspüren, obwohl dabei noch nie etwas herausgekommen ist. Mir würde genügen, wenn ich sie anträfe und sie sich mir zu erkennen gäben, und sei es auch, mit allem dem Zubehör, das uns zeigt, dass sie eigentlich nie vorgehabt haben, ein Kind liebevoll aufzuziehen! Aber als Sohn ausziehen und herausfinden, dass man von seinem Vater in Wollust gezeugt worden? Ausziehen und auf die Mutter stoßen, der nichts an ihrem Kind liegt, ja der es, noch weniger als gleichgültig, ein Dorn ist im Auge? Ausziehen und die Eltern aufsuchen, um ihnen alle Schande zu sagen? Nein, dann lieber allein bleiben und vergessen, dass man fragen und sich auf die Suche begeben könnte! Mögen doch die Eltern spazieren gehen, wo sie wollen, und mögen sie Geschwister produzieren, so viel sie wollen!

Eichmannjäger: Ein monomaner Flötist ist er, der es nicht verdient, dass man ein Auge für ihn zudrückt.

Bernhard: Ich bin ein Kaspar Hauser immerwährender Gefängnisse, dem nichts anderes übrig bleibt, als sich permanent in Monologen zu versuchen, wobei ich im Voraus schon weiß, dass sie niemand versteht. Verwaist und allein bin ich in der Welt! Jawohl, ein Kaspar Hauser bin ich oder ein Ödipus, einzigartig unter allen Literaten, die jemals gelebt haben. Ohne Mutter wuchs ich heran und ohne Muttersprache. Denn wie sollte meine Mutter die Muttersprache zu sprechen verstehen, wo sie nie Gelegenheit gehabt hat, sie zusammen mit einem Kind zu erlernen? Und auch ohne Vater wuchs ich heran. Auch er blieb mir verborgen. Wer weiß, vielleicht zu meinem Glück, so dass ich schon keinem Ungeheuer ausgesetzt war. Dass mir aber das Schicksal nicht einmal eine kleine liebenswerte Doktorandin gönnt, mit der ich mich austauschen könnte und die mir ein wenig als Mutterersatz diente, dass es mir nur Leute bereit stellt, die mich hinter der Maske ihrer Dummheit anstieren und abwarten, bis endlich etwas Schlimmes passiert, das ist schon schlimm.

(Eichmannjäger stampft mit dem Fuß auf.)

Bernhard: Ich bin soeben auf diesem Afrikakoffer gesessen und davon durch diese beiden Gentlemen vertrieben worden ist. Und mein Name ist Thomas Bernhard. Gewiss haben auch Sie von einem gewissen Mummenschanz oder Aprilscherz gehört, dass die Österreicher allesamt deportiert werden sollen, zu welchem Scherz auch ich mich herabgelassen habe durch eine gewisse Nichte dieses Herrn, die Köder-Büstner heißt. Vielleicht sind Sie gekommen, mir bis zum Bahnhof das Ehrengeleit zu geben?

Franz: Nur keine faulen Späße!

Bernhard: Das sage ich ja auch. Denn man geht doch wohl ein klein wenig zu weit, wenn man behauptet, dass ganz Österreich aus Österreich ausziehen muss, während das Volk der Israeliten nach Österreich einwandert. Oder finden Sie nicht auch, dass sich nichts Verrückteres ausdenken lässt und sei es auch zu einem Faschingsfest? Fehlt ja nur noch das rote Meer, und dass es sich bei Österreich um ein Land handelt, das so gelobt ist, dass es von Milch und Honig trieft.

Eichmannjäger: Mein Herr, wir verbieten ihm jeden Ulk.

Bernhard: Ja bitte! Dürfte ich dann den Grund Ihres späten Besuches, oder, soll ich sagen, Ihres Überfalls wissen? - Überhaupt, die beiden Herren da kenn ich. Das heißt, ich hatte sie schon auf dem Theaterplatz gesehen. Und ihn mein ich auch zu kennen, wenn er mir auch noch nicht gesagt hat, wie er heißt und aus welchem Land er stammt.

Franz: Ist das nicht unerhört, Willem?

Willem: Allerdings.

Bernhard: Sie aber, meine Herren, die Sie mit diesen Leuten einherschreiten, wer sind Sie und in welcher Eigenschaft darf ich Sie begrüßen?

Eichmannjäger: Man nennt uns Eichmannjäger.

Bernhard: Dann versteh ich zwar Ihren Protest, wenn ich etwas über die Kinder Israels sage. Gleichwohl aber sind Sie dann hier falsch. Ja, dann haben Sie sich in der Türe geirrt. Ich bin nämlich nicht Herr Eichmann. Ich bin Thomas Bernhard und bin ein freier Bürger der freien Republik Österreich. Unbescholten bin ich und habe dieses Zimmer von diesem Herrn da gemietet.

Hausmeister: Von mir?

Bernhard: Hat er es Ihnen nicht gesagt?

Hausmeister: Dass ich nicht lache.

Bernhard: Auch die Köder-Büstner kann das bezeugen.

Willem: Er hält uns wohl zum Narren. Niemand auf der weiten Welt heißt Köder-Büstner.

Eichmannjäger: Und was ist das da? Diese Truhe, diese Sitzgelegenheit?

Bernhard: Was sonst als eine Truhe, eine Sitzgelegenheit?

Eichmannjäger: Jeder Pfennig, der hier drin ist, gehört dem Staat Israel.

Bernhard: Wenn ich auch nicht viel zu dieser Truhe zu sagen weiß, so viel weiß ich, dass kein Geld drin ist.

Franz: Faule Fische. Faule Fische!

Bernhard: Falls die beide Gentlemen sich erheben, können Sie sehen, dass der Koffer mit der Aufschrift L´hirondelle versehen ist, also Schwalbe heißt. Als Afrikakoffer, so vermute ich, ist er früher einmal außer Landes gegangen.

Eichmannjäger: Wo ist der Schlüssel?

Bernhard: So geht das nicht!

Franz: Her mit dem Schlüssel, haben wir gesagt.

Bernhard: Hier drin in der Truhe liegt er.

Eichmannjäger: Der Schlüssel für die Truhe liegt in der Truhe? Glaub er nur ja nicht, dass er uns durch einen billigen Trick entkommt.

Franz: Ich habe bereits darüber nachgedacht und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass der Schlüssel unmöglich in der Truhe liegen kann, wenn die Truhe von außen verschlossen ist. Und dass man an diesem Ergebnis nicht herumdeuteln kann, das kann auch der Willem bestätigen, der nämlich weiß, dass ich die Abschlussprüfung in der Hauptschule als bester bestanden habe.

Willem: Ja, das kann ich bestätigen.

Bernhard: Wenn die Truhe verschlossen ist und der Schlüssel im Innern liegt, dann folgt notwendig daraus, dass jemand in die Truhe eingestiegen sein muss und von innen dieselbe abgeschlossen hat.

Franz: Immerhin gibt er damit zu, dass er einen Mann in die Truhe hat einsteigen sehen.

Bernhard: Dem zu widersprechen wäre wohl Schwachsinn.

Eichmannjäger: Also Aufmachen!

Willem: Sie ist doch verschlossen!

Eichmannjäger: Dann eben aufbrechen!

Willem: Probieren wir es! - Das Miststück geht nicht auf.

Hausmeister: Soll ich ein Stemmeisen bringen?

Eichmannjäger: Auf der Stelle, wenn ich bitten darf.

(Gelächter aus dem Innern der Truhe)

Bernhard: Haben Sie es gehört?

Franz: Was sollen wir gehört haben?

Bernhard: Da! Schon wieder!

Willem: Lass er das. Das lenkt nur ab.

Eichmannjäger: Uns lenkt keiner so schnell ab!

Bernhard: Aber entschuldigen Sie!

Hausmeister: Hier hab ich zwei Stemmeisen.

Eichmannjäger: Gleich werden wir sehen, was herauskommt.

(während Franz und Willem die Truhe umständlich zu erbrechen versuchen, schauen der Hausmeister und die Eichmannjäger zu)

Bernhard: (für sich) Jetzt bin ich selber gespannt, was da herauskommt! Denn der, der dort steht, der kann ja wohl nicht zugleich in der Truhe sitzen. Lacht aber einer in der Truhe, so sitzt er auch in der Truhe. Oder es müsste jemanden geben, dessen Lachen noch immer vorhanden ist und nachtönt, selbst wenn sich der Lacher längst aus dem Staub gemacht hat. Immerhin, wenn ich mir den Haumeister betrachte, wie er dort steht, mit diesem seinem spöttischen Gesicht, so fang ich selber an, unsicher zu werden. In was für einer Welt halte ich mich eigentlich auf? Kenne ich die Welt noch nicht, in der ich als auktorial Schaffender lebe? Träumt mir nur, so weiß ich, dass ich es mir nicht beweisen kann. Und halt ich mich in der Wirklichkeit auf, so sind die Beweise dafür, dass es kein Traumland ist, auch nur sehr dürftig. Nun könnte ich zwar hingehen und mich auf den Hausmeister stürzen und sagen, das ist er, der Führer der Deutschen, Adolf Hutler. Doch vermutlich verschaffte ich mir dadurch nur einen freien Zutritt in den Narrenturm. Wenn ich andererseits tatenlos zusehe, wie sie aus der Truhe den Führer herausbuddeln, dann droht mir, dass sie mich zugleich mit ihm packen, indem sie behaupten, ich hätte ihm hier ein Asyl gewährt. Mag sein, dass die Sache eine kleine Spur besser für mich abläuft, wenn ich ihnen sage, dass sie Acht geben sollen, um dann zur rechten Zeit diesen braunen Satan zu verraten. Den Hutler verraten ist immerhin kein Verrat, weil er der meistgesuchte Massenmörder ist seit Adam und Eva. Ja, so will ich´s tun! - Meine Herren!

1. Eichmannjäger: Was hat er? Will er ein Geständnis ablegen?

2. Eichmannjäger: Oder äugt er auf eine Kronzeugengutschrift? Dafür ist es jetzt zu spät.

Bernhard: Zumindest möchte ich Sie warnen! Der Mann, der da drin sitzt...

Eichmannjäger: Was ist mit dem?

Bernhard: Er ist bewaffnet. Schon ich bin ihm nur mit knapper Not entgangen.

1. Eichmannjäger: Als er sich einschloss mit dem Schlüssel?

2. Eichmannjäger: (sie ziehen Pistolen heraus) Allons enfants!

Franz: (zu Willem) Pass auf, wenn einer von innen herausschießt!

Willem: Dann geh du besser ran!

Franz: Du kannst das besser.

Willem: Meine Herren, wer von uns soll die Truhe aufmachen?

Franz: Du!

Eichmannjäger: (zu Willem) Beeil dich!

Franz: Siehst du?

Willem: wenn es mich kostet, ist er an meinem Tod schuld. Dabei wollte er einmal mein bester Freund sein.

(die Truhe ist jetzt erbrochen, Willem späht vorsichtig hinein)

1. Eichmannjäger: Was ist da drin?

Willem: So viel ich sehe, Nichts!

1. Eichmannjäger: Was soll das heißen?

Willem: Es ist nichts drin. Weder Schlüssel, noch Mann.

Franz: Mein Herr, wollte er uns irreführen? Geb er es nur zu! Er wollte mit uns ein frivoles Spiel spielen! Aber das kommt ihn teuer zu stehen, so wahr ich Franz heiße.

Willem: Und ich Willem.

Bernhard: Ist es meine Schuld, wenn nichts mehr drin ist?

Eichmannjäger: Da war nie was drin.

Bernhard: Aber meine Herren! Sie selber haben doch zugestimmt, dass in der Truhe jemand stecken muss, als Sie das Gelächter hörten.

1. Eichmannjäger: Weder ist hier einer in die Truhe eingestiegen, noch liegt hier drinnen ein Schlüssel, woraus folgt, dass es kein Gelächter gegeben hat.

2. Eichmannjäger: Wie auch, dass er den Schlüssel versteckt hat.

1. Eichmannjäger: Herein mit ihm in die Truhe, auf dass wir der Peinsamkeit ein Ende machen!

Bernhard: Was? Ich soll mich in die Truhe da setzen?

Willem: Oder wir besorgen es ihm. Dann muss er sich aber nicht wundern, wenn er nur mit schwer verstauchten Knochen wieder herauskommt.

Bernhard: Meine Herren Eichmannjäger! Muss ich da herein? So wahr ich ein Autor bin: Das ist gegen jedes Menschenrecht und jede Menschenwürde.

Eichmannjäger: Herein mit ihm! Und keine weiteren Faxen.

Bernhard: Wer spielt hier das Spiel? Ich jedenfalls bin es nicht.

Franz: Sei er froh, wenn wir nicht noch Steine und Sand auf ihn schütten!

(Franz und Willem stopfen Bernhard in die Truhe)

Hausmeister: (den Schlüssel reichend) Meine Herren! Schließen Sie ab! Es kann nichts schaden. Bei solchen Leuten muss man immer den schlimmsten Fall im Auge haben. Hier ist der Schlüssel!

Franz: Ja, schließen wir ab!

Büstner: Aber Sie tun ihm doch bitte nichts. Alles war doch nur ein Scherz!

Willem: Sicher ist sicher!

Büstner: Seine ungeheuerliche Arroganz ein wenig dämpfen wollte ich schon. Manche sagten, das Unkraut der Minderwertigkeit schieße in seiner Gegenwart nur so auf. Und da wär doch ein kleiner Rüffel durchaus einmal am Platz. Aber ansonsten mögen sie ihn in Ruhe lassen.

(Franz und Willem schließen ab und tragen Bernhard in der Truhe davon.)

7. Akt: In der Bahnhofshalle Wien Endstation.

1. Szene: An den Sperren

(An den Sperren beim Ausgang zu den Gleisen stehen Schlangen von Leuten. Darunter Vertreter der hohen Geistlichkeit, ein Kardinal, zwei Weihbischöfe, Prälaten und weiteres Volk aus Wien. Rotkreuzschwestern bieten den Leuten eine Elendssuppe an. Wenn sie von dieser gegessen haben, dürfen sie aus der Reihe treten und zu den Gleisen. Sie singen dann "Salve regina ... wann wir heimfahren aus diesem Elende." Seitlich stehen Eichmannjäger an die Wand gelehnt, als ginge sie das alles nichts an.)

Beamter im Häuschen an der Sperre (Hutler): Herr Kardinal, wollten Sie nicht lieber von der Suppe essen? Der Trank hier dürfte kaum nach Ihrem Geschmack sein.

Kardinal: Gewiss, mein Herr.

Beamter (Hutler): Essen ist besser als Vergessen.

Kardinal: Ja gewiss, man muss vergessen haben, mir die Suppe zu reichen. (isst Suppe)

Beamter (Hutler): Und Sie, mein Herr? Warum haben sie nicht von der Suppe gegessen?

1. Herr: Mich ekelt davor.

Beamter (Hutler): Dann müssen Sie eben trinken. (er holt aus einer Karaffe, die einem Pisspott ähnelt, und schenkt etwas von der uringelben Flüssigkeit ein)

1. Herr: Niemals werd ich davon trinken! Dann ess ich lieber noch etwas von der Elendssuppe!

Beamter (Hutler): Dafür ist es jetzt zu spät. Trinken Sie oder wir führen Sie ab!

1. Herr: Das alles sind Abführmittel. (zu einem 2. Herrn hinter sich) Was sagen Sie dazu? Ist das nicht aussichtslos?

2. Herr: Ich fürchte auch, dass wir etwas falsch gemacht haben.

1. Herr: Was bleibt mir nur übrig?

2. Herr: Man soll einen schwer drangsalieren da drüben; dann wird man deportiert; manche wollen wissen, dass die Fahrt in einer Todeszelle endet!

1. Herr: Das ist ungeheuerlich.

Beamter (Hutler): Beeilung! Sie sehen doch, wie viele Leute noch darauf warten, abgefertigt zu werden!

1. Mann: Dann geben Sie mir halt das Zeug. Wenn ich mich aber übergeben muss, sind Sie Zeuge.

2. Herr: Gewiss doch.

1. Herr: (trinkt und übergibt sich)

Beamter (Hutler): (zu Eichmannjäger) Abführen, meine Herren. Er hat sich übergeben.

Beamter (Hutler): Wer kommt denn dort? Was wollen die Herren?

Franz und Willem: (bringen die Truhe, in der Bernhard ist) Wir sind die Polizeigehilfen von der Sta-po, Franz und Willem.

Beamter (Hutler): Und was suchen Sie hier? Stellen sich die Herren an, wie es sich gehört.

Willem: Wir sind Polizeigehilfen, haben wir gesagt, von der geheimen Staatspolizei (zeigt ein Dokument).

Franz: Nicht von der geheimen Staatssicherheit.

Willem: Wir bringen einen Nazi, den wir eigenhändig eingefangen haben.

Beamter (Hutler): (zur Seite winkend) Meine Herren, haben Sie das gehört?

Eichmannjäger: Was gibt es?

Beamter (Hutler): Ein Kapitalverbrecher scheint uns da ins Netz gegangen zu sein.

(Weitere Eichmannjäger kommen herzu)

Eichmannjäger: Hier in diesem Kasten soll ein Verbrecher sein?

Franz: Seine Identität kennen wir noch nicht. Es scheint uns aber nichts Geringes zu sein. Im Übrigen haben wir hier ein Schreiben.

2. Eichmannjäger: (liest flüchtig) "Übergeben wir euch diesen Herrn zur genauesten Untersuchung. Er behauptet Thomas Bernhard zu heißen. Aber..." das ist ganz ohne Zweifel der so lang von uns gesuchte Führer Adolf Hutler?

Beamter (Hutler): Gott mag es wissen.

3. Eichmannjäger: Oder zumindest seine Leiche!?

Beamter (Hutler): Auch seine Leiche wäre uns kostbar. (zu Franz und Willem) Aufgemacht! Macht den Kasten auf!

4. Eichmannjäger: Hier darf man wirklich gespannt sein.

(es lacht wieder aus der Truhe)

Willem: Hören Sie, wie es von da drinnen heraus höhnisch lacht?

Beamter (Hutler): Ein Toter lacht nicht mehr höhnisch. Oder man hat ihn nicht korrekt erledigt.

Franz: Nur schade, dass es keine Verbrecherinseln mehr gibt.

Beamter (Hutler): Die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige.

(Franz und Willem holen Bernhard heraus)

Franz: Da hätten wir ihn!

3. Eichmannjäger: Was ist das?

5. Eichmannjäger: Wer sind Sie?

Beamter (Hutler): Geben Sie zu, dass Sie Adolf Hutler sind, der so lang von uns gesuchte Führer Adolf Hutler!

2. Eichmannjäger: (vergleicht mit einem Foto) Genaues wissen wir zwar nicht. Aber es wird sich zeigen.

Bernhard: Meine Herren! Ich bin Thomas Bernhard. Suchen Sie in meinem Gesicht doch bitte nicht nach Spuren der Verbitterung! Auch wenn man nicht nobel mit mir verfahren ist, so habe ich doch mit dem besten Willen auch nichts anderes erwartet. ? Warum sagt keiner etwas? Darf ich fragen, wo ich bin, wohin man mich gebracht oder verschleppt hat?

4. Eichmannjäger: Kennt er den Wiener Hauptbahnhof nicht wieder? Oder tut er nur so?

Bernhard: Meine Herren! Hier wäre wohl in der Komödie der Ort, mich zu beschweren über die sardinenartige Existenz, die man mir in den letzten Stunden zugemutet hat.

4. Eichmannjäger: Er wird sich schon an eine Unverschämtheit erinnern, weshalb er diese kleine Bußübung verdient hat.

Bernhard: Und sollte ich auch tausend Unverschämtheiten verübt und abertausend Schändlichkeiten begangen haben, vergessen sind sie und abgewaschen von meinem Schuldregister nach dieser Höllenreise. Ja, leichter liegt wohl eine Ölsardine unter ihresgleichen in der Brühe als ich in dieser Truhe gelegen.

2. Eichmannjäger: (zu Franz und Willem) Was legt man dem Herrn zur Last?

Franz: Was man ihm zur Last legt? Fragt uns doch lieber, was man ihm nicht zur Last legt.

Eichmannjäger: Genügt ihm das oder hat er darauf noch etwas zu sagen?

Bernhard: Wiewohl ich das Recht, ja vielleicht sogar die Pflicht hätte, das an mir begangene Unrecht in alle Welt hinauszubrüllen und Sanktion zu verlangen, zieh ich es vor, vorerst einen klaren Kopf zu behalten, sofern ich überhaupt noch über einen klaren Kopf verfüge.

Eichmannjäger: Er ist ein notorischer Bruttler!

Beamter (Hutler): Jawohl. Er ist ein notorischer Hutler-Bruttler!

Bernhard: Gibt es einen besseren Stempel für all das Unrecht, das man mir angetan hat als alle die Spuren der Verwüstung?

Eichmannjäger: Das ist es ja gerade, was uns missfällt. Wir brauchen keine harmlosen Hanswürste, sondern Männer, von denen wir wissen, dass sie sich bewährt haben und dass auf sie Verlass ist.

Bernhard: Wie schon erwähnt, bin ich einer der bedeutendsten Schriftsteller, nicht nur der Neuzeit, vielleicht von allen Schriftstellern, die jemals die Erde betreten haben.

1. Eichmannjäger: Mit dem Erde-Betreten hat es bald ein Ende. Dann tritt die Erde auf ihn.

2. Eichmannjäger: (ein Buch aufschlagend) Wie heißt der Hanswurst?

Bernhard: Wenn Sie mich damit meinen, so sage ich immer wieder und werde nicht müde, es zu sagen, dass ich Bernhard heiße, Thomas Bernhard! Thomas wie Bernhard und Bernhard wie Thomas.

2. Eichmannjäger: Wie will er heißen?

1. Eichmannjäger: Bernhard!

3. Eichmannjäger: Kann man überhaupt Bernhard heißen?

Willem: Das sagen wir auch schon lange. Willem kann einer heißen, aber Bernhard?

2. Eichmannjäger: Wollen doch gleich man nachschauen!

Bernhard: Wenn später einmal im Lexikon der berühmtesten Männer unserer Zeit Ihre Namen zu finden sind, sind Sie selber schuld, wenn sie als Judasse und Verräter und Mörder eingetragen sind.

2. Eichmannjäger: Nein da steht nichts.

1. Eichmannjäger: Präsident Nounier ist ein kluger Kopf. Vielleicht, dass ihm das Unmögliche gelingt und er uns noch vor Abend den gesuchten Adolf Hutler präsentiert. Zu wünschen wär ihm ein solcher Coup schon!

Bernhard: O mein Herr. Adolf Hutler muss man nicht suchen. Er ist da.

Beamter (Hutler): Wo?

Bernhard: Hier

Beamter (Hutler): So sind Sie also doch der Adolf Hutler?

Bernhard: Ich nicht, aber Sie.

3. Eichmannjäger: Was sagt er da?

Bernhard: Der Mann ist Adolf Hutler.

Beamter (Hutler): Ist das nicht ungeheuerlich? Kaum ist der Mann aus seiner Gefangenschaft, wirft er auch schon Dreck auf das Amt!

Bernhard: Und wenn ihr mich totschlagt, so bleibt es nicht weniger wahr!

3. Eichmannjäger: Dann sag er uns doch, woran er den Hutler erkennen will?

Bernhard: Meine Damen und Herren, ein flüchtiger Blick genügt bereits, das Ungeheuer zu erkennen.

2. Eichmannjäger: Der Mann ist wahnsinnig.

Bernhard: (beiseite) Seh denn etwa nur ich diesen Mörder und die anderen sehen ihn nicht? Nein, sie tun nur so, als sähen sie ihn nicht. Hier bin ich von lauter Verstellungskünstlern umgeben. Was für ein Interesse aber sollte ein Eichmannjäger haben, einen Adolf Hutler durchschlüpfen zu lassen? Wenn sie ihn aber wirklich nicht erkennen sollten, warum öffnet ihnen niemand die Augen? So wäre das ein Kassandrageschäft?

Beamter (Hutler): Sofort zum Trinken!

Eichmannjäger: Vielleicht, dass er dann einen klareren Kopf bekommt.

Bernhard: Aber meine Herren!

Eichmannjäger: Trinken Sie, damit sich Ihnen die Augen öffnen!

Bernhard: Ich denke nicht daran.

Beamter (Hutler): Trinken haben wir gesagt.

Bernhard: Und ich sage Nein!

Eichmannjäger: Haltet ihn! (Willem und Franz halten Bernhard fest) Und nun das Maul ihm aufgemacht und den Saft eingekippt!

(es geschieht unter Geschrei Bernhards)

(Zum Entnazifizierungsrichter Nounier, der auf das Geschrei hin aus seinem benachbarten Raum herausschaut) Herr Nounier! Hier haben wir wohl einen der schwierigsten Fälle in der gesamten Entnazifizierungsgeschichte. Wir bringen ihn gleich. Und vergessen Sie für diesen Kerl nur ja nicht ihren bekannten Patzenferl.

2. Szene: Bernhard wird ein kurzer Prozess gemacht.

(in einem kleinen benachbarten Raum. Nounier sitzt hinter einem Schreibtisch. Ein Tischchen mit einem Vogelbauer, darin ein Wellensittich ist, der beim Eintritt von Bernhard laut pfeift.)

Franz: Das ist der saubere Herr, Herr Bernhard Eichmann, Monsieur Nounier, den wir Ihnen zur Entnazifizierung bringen.

Nounier: Nehm er Platz.

Willem: Er soll Platz nehmen!

Bernhard: Wenn Sie gestatten.

Franz (drückt ihn auf den Stuhl)

Bernhard: Lassen Sie mich!

Franz: Kann man mit einem Nazi höflicher umgehen?

Bernhard: Wie war das? Mir genügt jetzt allmählich der Spaß. Eher befinde ich mich vor Freisler, als dass ich ein Nazi bin.

Franz: Nichts als Verlautbarungen ins Blaue.

Willem: Sollen wir ihn nicht doch lieber festbinden?

Nounier: (vorerst noch an einer Arbeit) Lasst ihn. Nur wenn er nicht spurt, greifen wir zu den robusten Mitteln.

Bernhard: Immerhin heiße ich nicht Bernhard Eichmann, sondern Thomas Bernhard. Thomas heiß ich, weil meine Eltern katholisch waren und Bernhard, weil das der Nachname mütterlicherseits ist.

Nounier: Wart er ab, bis er entnazifiziert wird.

Bernhard: Da darf man doch gespannt sein! Mag sein, dass es zu ihrer Taktik gehört, meine sensiblen Ohren erst mal diesem lärmenden Vogel auszusetzen. Dabei kann ich keine gefangenen Vögel ausstehen. Mag auch der Künstler ein Gefangener der Muse sein und der Mensch ein Gefangener der Kultur: dieses Sing-sing ist unerträglich.

Nounier: (der zu Bernhard aufschaut) Mein Herr?! Was führt Sie zu uns?

Bernhard: Diese beiden Herren!

Nounier: Ist das nicht etwas dreist geantwortet?

Franz: Steh er auf, wenn er etwas gefragt wird!

Bernhard: Wenn Sie mehr wissen wollen, müssen Sie diese Herren befragen, denn sie haben mich wider meinen Willen hierher geschleppt. Genau genommen bin also nicht ich zu Ihnen gekommen, sondern Sie zu mir. Oder noch genauer, Sie haben sich mir aufgedrängt.

Nounier: Mir scheint, Sie wissen nicht, wo Sie sind und worum es geht!?

Bernhard: In der Tat. Genau so ist es. Darf ich deshalb die bescheidene Frage stellen, als was für ein Mensch und in welcher Funktion Sie vor mir erscheinen? Als Handlanger mir unbekannter Mächte? Oder etwa auch Ihnen unbekannter Mächte? Oder als Kunstmensch. Über den Kunstmenschen habe ich schon sehr viel nachgedacht auf meinen Spaziergängen bei Rodenau. Oder sind Sie ein Naturbursche? Oder lieben es nur, stets eine heile Haut zu haben?

Franz: Das genügt eigentlich schon.

Nounier: Sie stehen vor Gericht!

Bernhard: Und Sie sorgen sich um die Gerechtigkeit?

Nounier: Es gibt eine Gerechtigkeit, ein Gericht und einen Richter. So steht es schon in der Bibel.

Bernhard: Wenn mich nicht alles trügt, betrügt man sich zumeist, wenn man glaubt, ein Gericht sorge sich um Gerechtigkeit. Das Gericht, wie jede andere Institution sorgt zuerst für sich selbst. Denn jeder ist sich selbst der Nächste.

Franz: Mein Herr! Das Fass beginnt, überzulaufen!

Nounier: Lassen Sie ihn!

Franz: Mag denn die Welt hautnah miterleben, dass es die Gerichte sind, von denen aus das Gute seinen Lauf nimmt!

Nounier: Ist nicht er es, der schon seit Jahren sämtliche Österreicher als NS-Verbrecher beschuldigt?

Bernhard: Wie war das?

Franz: Er soll zugeben, dass er schon seit Jahren sämtliche Österreicher als NS-Verbrecher beschuldigt!

Bernhard: Darauf möchte ich antworten, dass ich nur die beschuldigt habe, auf die es zutrifft.

Franz: Er hat doch alle beschuldigt.

Bernhard: Was war daran falsch, wenn es auf alle zutraf?

Nounier: Aber ohne Beweise.

Franz: Und Beschuldigungen ohne Beweise sind zuerst einmal Beleidigungen.

Bernhard: Wahrheiten, die sich Dreistigkeit und Frechheit zu sagen gestatten, sind vielleicht als Beleidigungen aufzufassen.

Nounier: Er heißt doch (französisch gesprochen) Bernhard?

Bernhard: Bernhard, wie der große St. Bernhard.

Nounier: Und er ist Literat?

Bernhard: Leute wie ich dürften für Ihre Arbeit als Entnazifizierungsrichter Goldes wert sein. Überhaupt war das mit den NS-Verbrechern nur ein Späßchen, das ich vom Aristophanes geklaut habe. In den Fröschen stand es. Dort waren es die Vatermörder, wenn ich mich recht erinnere. Aber die Leute haben ja keine Ahnung von der abendländischen Literatur. Bildung, heutzutage, möchte man meinen, ist die Kunst, seine totale Unwissenheit in hübsch unschuldiger Beleuchtung zu zeigen. Lieber verschwinden die Leute in den Gruben der Unbedeutendheit, sagte ich einmal, als dass sie die Courage aufbringen, sich selber zu begegnen.

Nounier: Antworte er mir nur auf das, was ich ihn frage!

Bernhard: Bitte, wie Sie wünschen!

Nounier: Sie wissen, dass Sie nicht nur ein NS-Verbrecher sind, sondern dass wir Sie auch als solchen durchschaut haben? Wir haben Beweise in Fülle und wir wissen alles.

Bernhard: Wenn ich etwas zu wissen vermeine, so dies, dass ich Sie schon einmal gesehen habe! Oder kenn ich Sie nicht?

Willem: Was fällt ihm ein? Wart er, bis er gefragt ist!

Nounier: Sag er uns einen seiner wichtigsten Sätze, die er geschrieben hat.

Bernhard: Einfach so auf Bestellung?

Nounier: Einfach so, auf Bestellung.

Franz: Einen Satz, einen Aphorismus, eine Liedzeile!

Willem: Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!

Bernhard: Das ist sehr schwer. Schließlich muss die Umgebung zum Satz passen. Der Geist des Denkers und das Milieu sind es, die einen Satz zeugen und die sodann seine Wahrheit bezeugen.

Nounier: Ist das nicht schwach?

Bernhard: Drum plädierte ich für Auslöschung. Ich dachte da nicht an einen materiellen Kahlschlag, sondern an eine Erneuerung im Geist.

Nounier: In einem seiner Romane redet er tausend Mal vom Siebenkäs, ohne auch nur ein einziges Zitat aus demselben zu geben. Kein Kommentar zu einer Lesefrucht. Keine Frage zum Text. Kein Verweis zur Tradition. Ähnlich steht es mit Kafkas Prozess, ähnlich steht es mit den Gedichten Marias, mit den angeführten Philosophen. Ist das nicht enorm schwach? Wollte er einen Holzweg anlegen, zumal wenn man bedenkt, dass die psychologischen Ratgeber und Väter des Romans verschwiegen bleiben? Oder hatte er Angst vor den Philologen, dass sie ihm seine Ansichten zerreißen, so dass er auf Substantielles verzichtete? Oder, noch schlimmer, hatte er Angst vor der Ewigkeit? Aber das sind noch lange nicht die schlimmsten Mängel.

Franz: Rede er sich nur nicht damit heraus, er habe nur Hinweise zur Interpretation seines Romans geben wollen. Ein Gedicht ist kein Gedicht, wenn es nichts weiter als ein Gedicht ist, mag es noch so gut geschrieben sein.

Willem: Überhaupt hören wir nur ein riesiges Geklimper vieler Namen, das mit dem nationalsozialistischen Geklimper zu einem bedeutungslosen Geklimper wird.

Bernhard: Ich stehe peinsam berührt.

Nounier: Peinsam?

Bernhard: Bei Kafkas Prozess schwante mir vielleicht schon so ein Prozess, wie er hier in Gang zu kommen scheint.

Nounier: Das Spiel mit der Wahrheit wird zur Wahrheit des Spiels, wenn es sich in möglichst großer Aufrichtigkeit und Genauigkeit äußert.

Bernhard: Es führt zwar noch nicht ins Zentrum des Selbst, ist ihm aber wohl am nächsten gelegen. Und wenn ich noch etwas dazu sagen darf, so dies, dass uns die Sozietät nur Masken liefert, so dass wir nie im reinen Sinne sind, sondern immer um das, was wir sein wollen, herum scheinen. Das führt dann zu Irritationen, Missverständnissen etc.

Nounier: Aber mit der Auslöschung meinte er etwas anderes, zumal wenn man von Jean Paul kommt. Siebenkäs ist es, der zu Leibgeber sagt: wir löschen nicht aus. Folglich sagt uns Herr Bernhard, dass er im Menschen nichts anderes sieht als ein zum Verenden bestimmtes Tier. Gebrauchte er diesen Titel nur propädeutisch oder ruft er wirklich zur Anarchie auf und zur Weltzerstörung, mithin zu der zur Auslöschung passenden Haltung und Handlung? - Doch genug davon. Mag er sich selber die Antwort darauf geben! - Nun noch zu etwas anderem! Wo, auf dieser Landkarte der Räume und Entfernungen, ist der Nationalsozialismus eingetragen? Wollen Sie sagen, dass sich kein Österreicher um Aufrichtigkeit bemüht hätte?

Bernhard: Ich wollte zum Denken bewegen, wachrütteln.

Nounier: Das wollen wir auch.

Bernhard: Wenn ich zur letzten meiner Botschaften noch etwas sagen darf, so dies: dass der Mensch ebenso furchtbar ist wie lächerlich. Lächerlich in seinen Machtgebärden wie furchtbar in seinen Lächerlichkeiten. Hier könnte ich vieles sagen und habe auch vieles gesagt. Ich muss da nicht mit dem vielzitierten Chorlied aus der Antigone anfangen.

Nounier: Nur keine Zitate zu einem Festvortrag. Er hat sich durchaus nicht nur um Aufrichtigkeit bemüht.

Bernhard: Ich habe nie behauptet, vollkommen zu sein, oder gar wegen meiner Vollkommenheit Missstände ansprechen und Leute an den Pranger stellen zu dürfen. Ich habe auch kein Hehl daraus gemacht, einer aus der Rotte der Gemeinen und Niedrigen zu sein.

Nounier: Aber er war kein Nazi. Und er hat niemanden umgebracht. Ist es nicht so?

Bernhard: So ist es.

Nounier: Und dann hat er das besagte Werk mit einem derart widerlichen, anbiedernden und geheuchelten Schluss zu Ende gebracht, wie man sich kaum etwas Billigeres und Feigeres träumen kann. Ich meine die Schenkung von Wolfsegg an die Israelitische Kultusgemeinde. Selbst wenn das eine Tatsache wäre, wäre es mehr als eine Geschmacklosigkeit, so etwas zu erwähnen. Wo sind da die anderen Opfer jenes Regimes geblieben, die nie Entschädigung erhalten haben, wie er uns erzählt hat? Meint er, Israel freute sich, wenn er mit einer solchen Fiktion seinen Roman beschließt? Israel muss mit Österreich auskommen und wenn Österreich aus nichts besteht als aus Nazibrüderschaften, so muss es mit diesen auskommen. Aber das war ja gar nicht der Grund und die Überlegung, die zu diesem Schluss geführt haben. Es war die Hoffnung auf Schutz und Immunität im Fall einer strafrechtlichen Verfolgung, die Angst vor einem Zivilprozess, die er mit Israel an der Seite überstehen könnte. Man würde ihn als Beschmutzer Österreichs zur Rechenschaft ziehen und er würde sich verschanzen hinter den Leuten mit der Thora. Sag er doch selbst: schaffte er so nicht schon selber eine nächste Feindseligkeit, eine Aggressivität, die es doch, auch im positiven Sinn der von ihm angedachten Auslöschung abzubauen galt? Mag er auch sonst ein genialer Beobachter, ja ein Meister in der Beschreibung des Alltäglich-Banalen und Lächerlichen sein, und ganz ohne Zweifel ist er eine Ausnahmeerscheinung nicht nur in der deutschsprachigen Literatur, damit aber hat er nur unser aller Verachtung verdient.

Bernhard: Es mag sein, dass ich mich in zu viele, viel zu detaillierte Probleme eingelassen habe.

Nounier: Die Israelitische Kultusgemeinde bat uns nun, uns dieses Falles anzunehmen und ein endgültiges Urteil über ihn zu erstellen.

Bernhard: So wäre ich das Opfer zur Versöhnung tödlich verfeindeter Parteien?- Meine Herren, was schweigen Sie? Warum bekomme ich keine Antwort? Ist das nicht absurde, abgestandene Metaphysik aus Olims Zeiten? Ideen aus dem altgriechischen Trauerspiel?

Nounier: (Willem eine Pfeife reichend, die der dem Bernhard weiterreicht)

Willem: Pfeifen Sie!

Bernhard: Um mich lächerlich zu machen? Oder soll ich damit beweisen, dass ich Leute verpfiffen habe?

Wellensittich: Oui!

Bernhard: Meine Herren! Wozu soll ich pfeifen? Ich habe niemanden verpfiffen.

Willem: Pfeifen soll er!

Wellensittich: Pfeifen! Oui!

Bernhard: Muss man nicht einen Vogel haben, wenn man sich sagen lässt, dass man pfeifen soll?

Nounier: Ihre Verweigerungshaltung ist nicht gut.

Bernhard: Ich verweigere mich nicht. Nur die Freiheit in mir sagt, dass ich nicht pfeifen soll, allein aus dem Grund, weil es einem anderen gefällt.

Wellensittich: Pfeifen! Oui!

Bernhard: Ich habe alles getan, was nur einem Menschen möglich gewesen. Ich habe gesagt, was zu sagen war, dass nämlich in Österreich alle Nazi waren. Und dass man die größten Nazis noch heute auf den höchsten Posten wiederfindet.

Franz: Bedenk er, dass der Entnazifizierungsrichter Nounier zu den größten Männern unserer Epoche gehört!

Bernhard: Von den größten Männern heißt es immer: o das kann doch ein so Großer nicht tun! Ganz recht, das kann er nicht tun. Aber nicht, weil er es nicht könnte, sondern weil er es nicht zu tun braucht. Dafür hat er seine Helfer und Helfershelfer, seine Prügler und Folterknechte und seine Jäger und Erschießungskommandos. Und wenn dann eine seiner gemeinen Anordnungen ausgeführt worden ist, dann sagt das Volk: O davon konnte unser guter Kanzler unmöglich etwas gewusst haben. Das wäre nie zustande gekommen, wenn er es gewusst hätte.

Willem: Herrn Nouniers Geduld hat Grenzen.

Franz: Er will Ihnen helfen und Sie sträuben sich?

Wellensittich: Pfeifen.

Bernhard: Ich pfeif auf alles Pfeifen, sowohl aufs Vorpfeifen wie auch aufs Nachpfeifen wie auch aufs Verpfeifen, mein Herr Vogel!

Franz: Pfeif er oder Herr Präsident Nounier holt jetzt die Franzosen.

Bernhard: So stimmt es, was ich von Ihnen gehört habe, dass Sie nach dem Krieg kleine Soldaten großzügig an den Feind ausgeliefert und damit eine große Karriere begonnen haben?

Nounier: Er verdankt es nicht mir, er verdankt es sich selber, wenn er die letzten Tage seines Lebens in einem französischen Bergwerk beschließt. (Nounier pfeift selber, worauf zwei Gendarme kommen; er sagt dann auf Französisch) Abführen! Ins Bergwerk.

Bernhard: Darf ich wissen, was das heißt?

Die Gendarme: (französisch) Das heißt, dass er jetzt ins Bergwerk kommt oder es blüht ihm so was (sie machen Zeichen des Aufgehängt-Werdens)!

(die beiden Gendarme führen Bernhard ab)

3. Szene: Die Büstner versucht, sich für Bernhard zu verwenden

Büstner: (kommt reuig hereingestürmt) Mein Herr!

Nounier: Was wollen Sie, gnädige Frau?

Büstner: Ich habe etwas zu gestehen. Mir ist nämlich, als sei dieser Mann da durch meine Unachtsamkeit in Ihre Hände geraten.

Nounier: Da täuschen Sie sich.

Büstner: Ich denke eher, dass Sie sich irren.

Nounier: Gnädige Frau. Was für eine kühne Rede!

Büstner: Gestatten Sie doch bitte, dass ich mein Wissen zur Prüfung vorlege. Ich bin die Tochter des früheren Oberbürgermeisters von Wien, Herrn Dr. Büstner, und inzwischen verheiratet mit dem Chefregisseur des Burgtheaters Dr. Köder.

Nounier: Und? Was weiter?

Büstner: Ich habe Herrn Bernhard vom Theater abgeholt. Schlimmer noch. Ich habe ihn vom Theater weggelockt. Wiewohl ich wusste, dass nur das Theater sein Leben ist, habe ich ihn weggelockt. Und habe ihn dann zu einem Mann gebracht, den ich ihm als meinen Onkel vorgestellt habe. Aus diesem von mir doch rein zufällig und willkürlich eingefädelten Arrangement hat sich nur etwas ganz und gar Bedauerliches entwickelt. Sozusagen ein unerhörter Unfall ist in Gang gekommen, den ich bedauere, nein, den ich rückgängig zu machen suche.

Nounier: Sie täuschen sich gnädige Frau. Was hier in Gang gekommen ist, hat absolut nichts mit einem Zufall zu tun. Wenn hier auch ein Unfall vorliegt, so doch nicht infolge eines Zufalls. Es hat sich jetzt nur etwas herausgestellt, was schon lange der Fall war. Es wurde nun aufgedeckt und offenbar, was schon immer war.

Büstner: Ich bitte Sie, schauen Sie mit dem Auge der Milde; und wenn schon nicht auf den Angeklagten, so doch auf mich. Nehmen Sie mir dieses unerträgliche Gefühl des Judas.

Nounier: Gnädige Frau! Wer bin ich, dass ich die Ordnung der Welt aufheben könnte? Man glaubt frei zu handeln, man glaubt sich und die Welt in Szene zu setzen, man glaubt, ein tolles Stück zu arrangieren, ein Augeneröffnungsstück, und der Schluss ist dann, dass man selber in der Falle sitzt. Nun mag es zwar zutreffen, gnädige Frau, dass Sie sich in der Nähe dieses Mannes aufgehalten haben; doch heißt das noch lange nicht, dass durch Sie das alles in Gang gekommen wäre. Nicht einmal, wenn Sie sich das alles genau so ausgedacht hätten. Vielleicht, dass Sie ein Katalysator waren in diesem Spiel, ein auslösendes Moment des Schicksals, so wie es auch in der Verhaltensbiologie angeborene auslösende Momente gibt. Drum bitte ich Sie. Gehen Sie jetzt. Lassen Sie mich in Ruhe. Der Prozess war anstrengend genug. Ich habe jetzt dringend eine Pause verdient.

Büstner: So ist das Ihr letztes Wort?

Nounier: Es ist mein letztes Wort. Gehen Sie!

8. Akt: Auf den Gleisen

1. Szene: Beim Bahnhofsvorsteher

Bahnhofsvorsteher: (Hutler, blinkt mit rotem Licht und pfeift auch tüchtig) Wien, Endstation, alles aussteigen. Meine Damen und Herren, seien Sie herzlich willkommen in der Metropole der uralten Donaumonarchie. Sie haben eine Reise hinter sich gebracht, von der man wohl sagen darf, dass sie in der Geschichte der Menschheit ihresgleichen sucht.

Leute: Wir lassen uns nicht mehr deportieren.

Bahnhofsvorsteher: Selbstverständlich nicht. Wer redet auch davon? Steigen Sie aus und fühlen Sie sich wie zuhause.

Unterbeamter: Hier sind noch Leute im Abteil.

Bahnhofsvorsteher: Alles aussteigen, hab ich gesagt!

2. Szene: Die beiden Gendarme

(Die Gendarme bringen Bernhard mit sich)

1. Gendarm: (zum Bahnhofsvorsteher auf Französisch) Hier bringen wir Ihnen den neuesten Delinquenten, einen gewissen Monsieur Thomas Bernhard. Monsieur Nounier schickt ihn Ihnen, damit Sie ein Auge auf ihn werfen. Entweder, dass er sich für den Galgen qualifiziert oder dass er ins Bergwerk kommt. Es wäre gut, wenn Sie uns des Prozederes wegen möglichst bald Ihre Eindrücke wissen ließen.

Bahnhofsvorsteher: Alles aussteigen. Hier geht Ihre Reise zu Ende. (auf Französisch zum 1. Gendarm) Sie sehen, dass ich viel zu tun habe. Werde mich gleichwohl darum bemühen, diesen Herrn zu observieren und Sie meine Meinung dann wissen zu lassen.

Bernhard: Das scheint nichts Schönes zu sein, was die da über mich besprechen. "Potence? das ist doch der Galgen. Und "Charbonnage" das ist das Kohlenbergwerk. Wenn das das Ende vom Lied ist? (zum 2. Gendarm auf gebrochen französisch) Monsieur! Darf ich Sie fragen, wo wir hier sind?

1. Gendarm: (auf Französisch) Sie sehen es doch und hören es doch!

Bahnhofsvorsteher: Wien, Endstation, alles aussteigen. Meine Damen und Herren, seien Sie herzlich willkommen in der Metropole der uralten Donaumonarchie.

Bernhard: Und von diesem Bahnhof in Wien aus gelangt man zu den verschiedensten Orten der Erde?

1. Gendarm: (auf Französisch) Was sonst?

Bernhard: Z.B. nach Paris oder nach Italien?

1. Gendarm: (auf Französisch) Natürlich. Da sehen Sie z.B. die vielen Leute. Die kommen von Israel.

Bernhard: (für sich) Gewiss. Das sind Ankömmlinge. Aber die, die abfahren; auf die käme es an. (laut, auf Französisch) Reist man von hier aus auch in ein französisches Bergwerk?

1. Gendarm: (auf Französisch) Das kommt ganz auf den Passagier an.

Bernhard: Oder gar in Richtung Hölle?

1. Gendarm: Kommen Sie mit! Allons!

Bernhard: Zum Glück seh ich hier nirgends die kahlen Holzgestänge, an die man unliebsame Menschen wie faules Obst hängt. - O Thomas Bernhard, jetzt wär gleichwohl sehr gut, wenn du dir etwas einfallen ließest, auf dass du von der Erde verschwunden bist, eh sie dich von der Erde verschwinden lassen!

Bahnhofsvorsteher: (auf Französisch) Hat er nicht gewusst, worum es geht?

1. Gendarm: Wir haben es ihm gesagt, aber diese Leute schlagen jeden guten Ratschlag in den Wind.

Bahnhofsvorsteher: (auf Französisch) Und was soll ich jetzt mit ihm anfangen?

1. Gendarm: (auf Französisch) Vielleicht, dass ihn Eminenz zuerst als Bahnhofsabfallbeseitiger erprobt?

2. Gendarm: (auf Französisch) Sollten Sie damit nicht den gewünschten Erfolg haben, sagen Sie es uns. Wir sind ja hier.

Bahnhofsvorsteher: Nun gut. Dann macht ihn mir zurecht! (zu Eichmannjägern) Und Sie, meine Herren, behalten den Menschen im Auge!

1. Gendarm (ziehen Bernhard Straßenkehrerklamotten über)

Bernhard: Wer hat ein Recht, mich wider meinen Willen zu Recht zu machen? Haben wir nicht aus der Geschichte gelernt, was es mit den Uniformen auf sich hat?

1. Gendarm: Wir, die wir ihn zum Mistwühler und Mistsammler bestellen.

Bernhard: Ja bin ich denn ein Schwein?

2. Gendarm: (in gebrochenem Deutsch) Sei er froh, wenn wir ihn nicht zum Latrinensäubern oder für den Galgen einkleiden.

Bernhard: (für sich) Was kann ich machen? Dabei kommen mir immer schrecklichere Dinge in den Sinn. Mussten sich die Gefährten des Odysseus nicht auch im Kot herumwälzen, eh man sie in die Unterwelt schickte? Aus alledem hätte ich zu schließen, dass der Zug für mich ein Todeszug sein wird. Und das durch diesen Mann dort? Bahnhofsvorsteher nennen sie ihn; dabei hab ich ihn doch schon als Beamter an der Sperre angetroffen und als Mann aus der Truhe. Als Geist meines Vaters hat er sich obendrein ausgegeben. Fehlt nur noch, dass er mir in der Gestalt eines Pontifex maximus erscheint. Und der soll über mein Geschick bestimmen? Was für eine ungeheuerliche wahnwitzige Verkehrung der Dinge! Aber man punktet hier nicht, wenn man darüber spricht.

3. Szene: Willkommen

Bahnhofsvorsteher: (zu einem alten Mütterchen, das verspätet aus dem Zug kommt) Seien Sie uns herzlich willkommen. Sogar eine Hacke haben Sie mitgebracht, mein Mütterchen. O ja, meine Großeltern waren auch Bauern. Kleinbauern am Ufer der blauen Donau.

Familie mit Kleinkindern: Müssen wir hier aussteigen?

Bahnhofsvorsteher: Ich bitte recht schön!

Familie: Uns friert!

Bahnhofsvorsteher: Wirklich, es ist sehr schön hier bei uns. Frühling und Sommer sind wundervoll und selbst die Winter sind zu überstehen, wenn man nur etwas Brennholz gesammelt hat. Ich sage gewiss nicht zu viel, wenn ich Ihnen verspreche, dass Sie sich hier sehr wohl fühlen werden, zumal, wenn wir auch noch die letzten Überbleibsel der Vergangenheit beseitigt haben.

4. Szene: Blindheit

Bernhard: Sind hier alle mit Blindheit geschlagen?

1. Gendarm: Oui monsieur!

2. Gendarm: Und jetzt noch die Bahnhofsmütze!

Bernhard: (während man sie ihm aufsetzen will) Das soll eine Bahnhofsmütze sein?

1. Gendarm: Oui monsieur!

Bernhard: Kein Mensch trägt eine solche Mütze. Das ist eine Mütze, wie sie KZ-Sträflinge tragen vor der Hinrichtung.

1. Gendarm: Oui monsieur!

2. Gendarm: Dem Einmaligen das Einmalige.

Bernhard: Und was hab ich zu tun?

2. Gendarm: Was er zu tun hat? Wo immer er Dreck sieht, sich darauf stürzen! D.h. hinter allen Zügen, die seine Eminenz einweisen oder ausweisen, den Dreck wegkehren.

Bernhard: Womit? Mit bloßen Händen?

1. Gendarm: Oui monsieur!

2. Gendarm: Es sei denn, dass er ein anderes Gerät findet.

Bernhard: Aber man hat mich keiner Prüfung unterzogen! (für sich) Vielleicht, dass ich es dann schaff, in der Prüfung durchzufallen. Mit Pauken und Trompeten. Meine Herren, ich würde wirklich sehr gerne geprüft werden. Schließlich sollte ich wissen, ob ich zu der Arbeit tauge!

1. Gendarm: Oui monsieur!

2. Gendarm: Doch das ist nicht nötig. Die Zeit der Prüfungen ist vorbei.

Bernhard: Ist das auch Ihre Meinung?

1. Gendarm: Oui monsieur!

2. Gendarm: (ihn vor einen in der Nähe befindlichen Bahnhofsspiegel führend) Schau er sich an! Wer sich mit Schmutz befasst, macht sich schmutzig. Und wer mit Schmutz wirft, muss ihn auch wieder aufsammeln.

Bernhard: Heiß ich Eichmann?

1. Gendarm: Oui monsieur!

Bernhard: Non, monsieur! Mag man einen Eichmann an den Galgen hängen, solange jedermann weiß, dass ich Thomas Bernhard heiße.

1. Gendarm: Oui monsieur!

2. Gendarm: Und jetzt keine Faxen mehr! Voilà! (er zeigt auf Familien, die von Salzburg sind und einen Ausreisezug suchen. Hinter ihnen entsteht Dreck.) Allons!

5. Szene: Abfahrt

Familienvater: Können Sie uns sagen, welchen Zug wir zu nehmen haben? Man hat uns gesagt, dass wir nach Landmannschaften sortiert abfahren. Und wir kommen aus dem Salzburger Land.

Eichmannjäger: Da müssen Sie hier einsteigen. Aber Beeilung. Der Bahnhofsvorsteher gibt gleich das Zeichen zur Abfahrt.

Zwei Prälaten: Wir sind zwei Domprälaten aus Salzburg. Wir haben uns leider etwas verspätet.

Eichmannjäger: Folgen Sie den Leuten! Aber schnell! Marsch, marsch!

6. Szene: Dreck

Eichmannjäger: Was steht er da untätig herum? Sieht er nicht, wie es Dreck regnet?

Bernhard: Ich kenn doch die beiden geistlichen Herren. Und jetzt soll ich denen noch nachspringen und den Dreck wegkehren? Kehre ein jeder vor seiner Tür.

Eichmannjäger: Wirds bald?

Bernhard: Dabei waren es just die beiden, die mir in Salzburg das Leben so schwer gemacht haben. Und die sehen noch nicht einmal, was ich für sie tu! Tröstet mich wenigstens, dass auch die hohen Würdenträger mit ihren Amtsroben und Zipfelmützen ihr Teil abbekommen. Für uns Menschen gibt es doch eigentlich nur eine Freude, die keinen Neid aufkommen lässt, die Schadenfreude.

Bahnhofsvorsteher: (gibt grünes Licht)

Eichmannjäger: War nicht er es, der einmal gesagt hat: Dem Landwirt genüge oftmals schon, sein Hoftor aufzumachen und ein bisschen Schweinegrunzen aus dem Radio aufzudrehen und durch dieses sein Hoftor aus der Welt des schlechten Gewissens zu entlassen? Um dann als rechtschaffen und arbeitsam zu gelten? Zeigen Sie jetzt, dass Sie kein Schauspieler der Arbeit sind, sondern ein Vorbild der Arbeiter wie der heilige Josef!

Bernhard: Und wohin schaff ich jetzt den Dreck? Denn in den Aschen da passt nichts mehr herein.

Eichmannjäger: Sieht er nicht die Container?

Bernhard: (für sich) Mag ich auch ein sündiger Mensch sein, an allem Unrat der Welt bin ich nun aber auch nicht schuld. In Avignon sah ich einmal die frisch gewaschenen Unterhosen des heiligen Vaters auf der Wäscheleine. In der Tat, das gab mir nicht wenig zu denken. Mag doch jeder seine dreckig gewordene Unterwäsche selber besorgen. Was dann übrig bleibt, das will ich selber entrümpeln. Aber wenn die Jesuiten aus Innsbruck kommen, das sag ich schon jetzt, lass ich mich lieber totschlagen, als dass ich auch noch deren Dreck aufhebe.

7. Szene: Umsiedelung

Eine Oma: Ich komme vom Wiener Wald. Mein Enkel heißt Alfred.

Bahnhofsvorsteher: Hier! Der fährt nach Haifa. Abfahrt nach Haifa in 20 Minuten!

Oma: Liegt das im heiligen Land?

Bahnhofsvorsteher: Wo sonst?

Oma: Und was tut man im heiligen Land?

Bahnhofsvorsteher: Man wird sich dort ansiedeln mit allen Christgläubigen aus dem Wiener Wald.

Oma: Mit allen?

Bahnhofsvorsteher: Mit allen!

Oma: Geht auch der Havlicek mit und sein Tabakladen?

Bahnhofsvorsteher: Auch der Havlicek und sein Tabakladen.

Oma: Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer am See Genezareth sitzt und raucht.

Bahnhofsvorsteher: Da lass sie sich nur mal überraschen!

Oma: Und kein Österreicher bleibt in Österreich?

Bahnhofsvorsteher: Keiner!

Oma: Österreich ohne einen Österreicher, das ist nicht mehr Österreich.

Bahnhofsvorsteher: Dann nennt man das Land halt Österarm.

Oma: Da, sehen Sie doch! Das dort ist der Kardinal Severin aus Wien.

Bahnhofsvorsteher: Der nimmt den Zug, der für den höheren Klerus von Wien bestimmt ist. Weil er aber nicht voll würde, haben wir noch die bekanntesten Musiker dazu einquartiert.

Oma: Die bekanntesten Musiker?

Bahnhofsvorsteher: Jawohl.

Oma: Auch den jungen Mozart?

Bahnhofsvorsteher: Alle. Mozart und Schubert und Beethoven und Bruckner.

8. Szene: Fegen

Bernhard: (steht besinnlich und schaut den Tauben in der Höhe zu) Immerhin ist nur wenig Taubenmist unter dem Menschenmist. Auf die Bahnsteige verirren die sich nicht.

Eichmannjäger: (gibt Bernhard Zeichen)

Bernhard: Was hat er? Soll ich auch hinter den Musikern und dem Kardinal herfegen?

Eichmannjäger: Hinter allen her fegen! Wo immer Dreck fällt! Also los! Oder (Geste: man hängt ihn an den Galgen.)

Bernhard (indem er aufsammelt) Sammeln wir halt auch den Kardinalsmist! Tu ich´s und tröste mich damit, dass die hohen Herrschaften ihr ungeheuerliches Weltschauspiel hier bald nicht mehr zum Besten geben.

9. Szene: Juristen

Ein Jurist: (mit Gepäck) Mein Herr!

Eichmannjäger: Was hat er?

Jurist: Ich bin Jurist.

Eichmannjäger: Die Züge für die Juristen werden noch zusammengestellt.

Jurist: (mit Hinweis auf Bernhard) Ich sah gerade, dass Sie Leute beschäftigen. Könnte ich nicht so einen starken Burschen für mein Gepäck bekommen? Schließlich schlepp ich das halbe österreichische Staatsarchiv aus der NS-Diktatur mit mir. Sämtliche Freisler-Akten.

1. Eichmannjäger: Das ist allerdings sehr interessant. (folgt ihm)

10. Szene: Professorinnen

Zwei Professorinnen: Mein Herr, wo ist der Zug für die Professorinnen?

Bahnhofsvorsteher: Was für ein Fach?

1. Professorin: Hauswirtschaft und textiles Werken.

2. Professorin: (zugleich) Theologin

Bahnhofsvorsteher: Bei den Mathematikern hätte ich Bescheid gewusst, meine Damen. Ein Schwager von mir ist nämlich ein großer Mathematiker. Allerdings sind die Mathematiker schon gestern abgefahren.

1. Professorin: Was interessieren uns die Mathematiker?

2. Professorin: Das lassen wir uns nicht bieten. Wissen Sie sonst nichts?

Bahnhofsvorsteher: Gestern fuhren auch schon die Züge mit den Kanzlern und den Ministern. Auch der Metternich und auch einige Kaiser waren mit dabei, sogar Maria Theresia und Marie Antoinette. Und ab morgen fahren die Züge mit den alten Gymnasiallehrern. Auch wenn sie das ganze Unheil angerichtet haben, so lässt man sie doch ab morgen schon fahren. Sind Sie damit zufrieden?

11. Szene: Historiker

(auf einem anderen Bahngleis)

Bernhard: (während er hinter einem Mann den Dreck in seinen Aschen hineinschippt) Wie schön schmückt doch der Staat seine höchsten Diener. Mit Gewändern und Ehrenzeichen und Titeln über Titeln. Da gibt es Direktoren und Professoren, Präsidenten, Kanzler und Minister, Könige und Kaiser gar, auf dass sie nie vergessen, wie sehr sie der Staat liebt und dass sie ihn wiederlieben. O ja so sehr liebt er einige von ihnen, dass sie gar nicht mehr für möglich halten, dass außer ihnen noch sonst jemand Anrecht oder Anspruch auf die Liebe des Staates hat. Einem solchen muss dann wohl eines Tages der schöne Satz in den Sinn gekommen sein, dass er und der Staat dasselbe sein müsse. L´état c´est moi. - Aber da ist ja unser alter Deutschlehrer! Hat's also auch den noch erwischt! Wenn er einem auch nicht unbedingt feind war, freund war er einem gewiss nie. Fern und unnahbar, wie ein Gott aus dem Wallhall, wandelte er einher und verschanzte sich gern hinter seinen dicken Brillengläsern, stets mit seiner Nazivergangenheit beschäftigt. Er war nämlich kurzsichtig. Wenn ich dem auch noch den Dreck wegputzen soll? Das wär schon stark.

Historiker: Mein Herr!

Bernhard: Meinen Sie mich?

Historiker: Ich bin Historiker, genauer noch, Professor für die neuere Geschichte. Aber was hier geschieht, das geht schon ins Phänomenale.

Bernhard: Ja das grassiert ins Phänomenale.

Historiker: Kennen Sie mich?

Bernhard: (zugleich) Kennen Sie mich?

beide: (zugleich) Mein Herr!

beide: (zugleich) Ich wollte Sie fragen, ob?

beide: (zugleich) Nein, so geht das nicht!

beide: (zugleich) Darf ich?

beide: (zugleich) Ich?

Historiker: (indem er geht) Wenn alle Müllmänner so humorlos sind, so gehen Sie doch zum Teufel!

Bernhard: So etwas ist mir allerdings noch nie vorgekommen. Kann ein Historiker noch nicht einmal ein Gespräch führen. Statt zu warten, bis ich gesprochen habe und das Zeichen gebe, den Gesprächsfaden weiterzuführen, fährt er mir in die Parade und nennt mich humorlos. Aber er wird wissen, dass ich ein Häftling bin für den Galgen; und mit solchen Leuten will man nichts zu tun haben.

12. Szene: Dichter

Bernhard: O, aber wen seh ich denn dort mit der NS-Binde? O grauenvoll selige Hoffnung! Was für eine Nahrung reichst du da meinen Befreiungswünschen! Oder ist das nicht unser Adalbert Stifter im Verein mit Herrn Hermito Doderer? Die Unliebsamsten, die es nur für mich gibt. Und dies nur, um mir die frohe Kunde zu geben, dass der Zug für die Dichter noch nicht davon ist! Der reinste Glücksfall und zugleich der reinste Unglücksfall, da diese beiden Herren zu den von mir verschmähten Autoren gehören. Und doch muss ich meinen Rettungsanker an den beiden festmachen. Wenn die nämlich zum Zug gehen, der die Dichter mitnimmt, so wird mich keiner mehr halten; und wenn ich wie ein blinder Passagier auf den schon fahrenden Zug aufspringe; dann ist meine Heraklesarbeit hier, will sagen meine Dreckeimersaison, zu Ende, mitsamt der Aussicht, entweder am Galgen oder im Bergwerk zu enden. (will hinzu und Dreck aufsammeln)

1. Gendarm: Was tut er da?

Bernhard: Ich denke, ich soll den Dreck auflesen.

1. Gendarm: Als ob wir nicht gesehen hätten, dass er etwas anderes im Schild führt!

Bernhard: Zeigen Sie mir bitte den Dreck, den ich nicht aufgelesen habe!

1. Gendarm: Hier und Hier! Was ist das?

Bernhard: Das ist nicht von mir.

1. Gendarm: Aufheben!

Bernhard: Es läuft der Frühlingswind durch die Alleen. Seltsame Dinge sind in seinem Wehn...

13. Szene: Stifter und Doderer

Doderer: Wir waren die ersten, die man herausgeholt hat. Ich dachte, der jüngste Tag sei gekommen. Und nun geht?s nach Jerusalem. Vielleicht dass dort der Jüngste Tag stattfindet?

Stifter: Alles erinnert mich an meinen Abdias. Nur dass der Weg jetzt nicht mehr in die böhmischen Wäldern hinein, sondern aus ihnen heraus führt.

Doderer: Ja, dein Abdias! Was für ein versöhnliches, was für ein außergewöhnliches, was für ein prophetisches Buch! Immer warst du ein Vertreter für Völkerverständigung und ein Freund der anderen und der Kleinen. Und nun lesen wir dein Buch ganz neu. Ja, da kam mir ganz neu, dass es nicht nur den hermeneutischen Weg in der Literaturbetrachtung gibt, sondern auch den Weg, der den Glockenschlag der Gegenwart mit hinzunimmt.

Stifter: Doch was ist das für einer, der uns so unentwegt nachschaut?

Doderer: Wo?

Stifter: Dort! Der Sträfling!

Doderer: Ach der! Den beachte lieber gar nicht.

Stifter: Erzähl mir nur, wenn du etwas weißt. Wir haben ja noch Zeit, bis unser Zug abfährt.

Doderer: Zuerst waren es ein paar Freudianer, die ein gewisses Geschmäckle an dir herausgerochen haben. Dann kam dieser Mann, der sich abfällig über dich geäußert und dich mit Dreck beworfen hat. Mit deinen Bemühungen um Harmonie, so seine Behauptung, wärst du gescheitert. Und gescheiterte Bemühungen gehörten in den Papierkorb oder ins Feuer. Ja, der hat dich gehasst, als ob du durch deine Kaiser- und Vaterlandstreue unser liebes Österreich in die Hände von Verrätern und Mördern gespielt hättest. Auch die Liebe zur Natur hat er dir übel genommen. Als hättest du weggeschaut und den Verbrechern freie Hand gegeben bei ihrer Gesetzgebung in der Stadt. Ja, er hasst dich.

Stifter: Er brauchte mich nicht zu hassen. Ich habe mich selber am meisten gehasst. Wann immer ich sah, wie schwer es mir fiel, mich einzufügen in das mir bestimmte Schicksal.

Doderer: Eben dies lastete er dir ja auch an. Du hättest schreien und aufbegehren und revoluzzern sollen. Inzwischen aber gilt es schon fast als schick, dich zu bekritteln. Mit ein paar Sätzchen, ja mit einem einzigen Satz schon glaubt man sich über deinen Nachsommer ergehen zu können. Z.B. weil du von einer Bienenfamilie und nicht von einem Bienenvolk gesprochen hast. Man will nichts mehr davon wissen, in der Natur oder aus dem Tierreich etwas zu lernen.

Stifter: Wer so viel Missgeschick erlebt hat von Jugend auf wie ich, wer die glücklichere Hälfte dem Schicksal opfern musste, wie konnte der anders einen Ausgleich erreichen? Freilich versuchte ich, mich mittels der Dichtung ins wahre Leben hinüber zu retten. Die Studien schon waren nichts anderes als solche Experimente. Und doch blieb ich stets misstrauisch mir gegenüber. In der Natur, in den Katastrophen der Natur sah ich die Schrecken, die jederzeit auf mich zukommen und mich zerstören konnten. Deshalb, Freund, ob all der Ahnung des kommenden Unglücks hab ich auch das sanfte Gesetz beschworen, um mit mir über die Runden zu kommen.

Doderer: Das sieht man heute anders.

Stifter: Müssen wir uns nicht einen Roman zusammen dichten, um überhaupt leben zu können?

Doderer: Solche Dichtungen deutet man heute als Verrat an der Wahrheit.

Stifter: Bildung wäre denn nicht mehr die Kunst der Dichtung und der Verdichtung im Dienst der Toleranz?

Doderer: Aufgabe ist nicht mehr das Gute zu suchen, da man nicht mehr an das Gute glaubt. Aufgabe ist, den Lumpenhund aufzuspüren und ihn unschädlich zu machen, ehe er beißt.

Stifter: Aber das heißt doch nur, den Terror ins Innere des Menschen verlegen und den Polizeistaat von innen heraus schaffen!

Doderer: Offenbar merkt man das nicht. Oder man hat keine Alternative mehr. Mit dem Wegfall der Religion, die den Glauben an das Gute wach hielt, die es in Gott dem Vater verkörpert sah, fiel auch die Dichtung als lebensgestaltende Kraft weg. Dichtung wurde zu einer Fiktion und zur Lüge erklärt. Zugleich aber kam das Wissen und das Anerkennen des Bösen. Da es nun aber keine Fluchtburgen des Glaubens mehr gab, sah man nur noch den Ausweg, sich in die Isolation zurück zu ziehen. Ja, die Isolation, in die sich früher nur der Menschenfeind zurückzog, der sich dabei aber am Geist der Gemeinde versündigte, wird nun zur Fluchtburg vieler Intellektueller. - Doch schau nicht mehr hin!

Stifter: Nicht alle läutert das Leben auf gleiche Weise.

Doderer: Als die Nachricht von meinem Tod durch die Presse ging, soll er einen Freudentanz aufgeführt haben, dass ihm auf dem Weg zum Parnass nun niemand mehr im Weg stünde.

Stifter: Lassen wir ihn! Er hat genug mit sich selber zu tun.

Doderer: Wenn er uns nur nicht noch in der letzten Minute mit auf den Zug springt. Doch da hat ihn schon einer von der Polizei am Schlawittich! Gut, dass wir ihn nicht mehr sehen müssen.

14. Szene: Ausnahme

Eichmannjäger mit Gehilfe: Hier geht es nicht für ihn weiter.

Bernhard: (der nun auch Grillparzer erspäht hat) Aber der! Macht der auch eine Ausnahme?

Eichmannjäger: Von wem spricht er?

Bernhard: Von dem Mann dort. Das ist Franz Grillparzer. Der hat sich nur verkleidet.

Eichmannjäger: Was ist mit dem?

Gehilfe: Den lassen wir gehen!

Eichmannjäger: Hier ist der Ort, wo er sich zu qualifizieren hat!

Bernhard: Ich?

Eichmannjäger: Ja, er!

Bernhard: O ja, allmählich beginnt mir zu dämmern! Alle machen eine Ausnahme bis auf mich. Ich allein gehorche der Regel oder ich bin gar die Regel! Die Regel nämlich, entweder am Galgen zu enden oder im Bergwerk!

15. Szene: Nach Israel

Jurist: (mit seinem Koffer eilt auf den Bahnhofsvorsteher zu, nachdem er mit der mangelhaften Auskunft eines Eichmannjägers nicht zufrieden ist) Mein Herr, sind Sie der Bahnhofsvorsteher?

Bahnhofsvorsteher: (Hutler) Der bin ich.

Jurist: Darf ich Sie fragen, ob auch ein Zug für Juristen geplant ist?

Bahnhofsvorsteher: Gewiss ist ein Zug für Juristen geplant, sogar mehrere.

Jurist: Nach Israel?

Bahnhofsvorsteher: Alle Züge fahren nach Israel.

Jurist: Alle?

Bahnhofsvorsteher: Alle!

Jurist: Wie kann man mit dem Zug nach Israel fahren? Schwimmt der über den Bosporus?

Bahnhofsvorsteher: Da sehen Sie doch. Da kommt schon wieder ein Zug, aus Tel Aviv. Machen Sie Platz! (pfeift und leuchtet mit dem Haltelicht) - Meine Damen und Herren! Seien Sie herzlich willkommen im schönen Österreich!

Jurist: Aber da gibt es doch keine Landverbindung.

Bahnhofsvorsteher: Über Nacht ist über den Bosporus eine Brücke gebaut.

Jurist: Das ist erstaunlich. (geht weiter, wieder gefolgt von seinem Eichmannjäger)

Zwei Eichmannjäger: (hinzueilend, leise) In wenigen Augenblicken kommt ein weiterer Zug aus Tel Aviv. Er bringt die gesamte Regierungsmannschaft. Man möchte aber nicht auf Deutsch angeredet werden. Die Sache ist übrigens streng geheim.

Bahnhofsvorsteher: Geht in Ordnung, mein Herr! Übrigens (auf den Juristen weisend). Folgen doch bitte auch Sie diesem Herrn da. Es scheint sich um einen Freislerjuristen zu handeln, der brisantes Material mit sich führt.

Eichmannjäger: Exzellenz kann beruhigt sein. Wir werden uns des Falles annehmen.

16. Szene: Immer Hutler

Bernhard: (für sich) Immer noch ist der Unbekannte zu sehen; der Bahnhofsvorsteher Hutler, wie er sich nennt. O wie er zu mir herguckt! Gewiss, ich habe Angst vor ihm, dass er mich umbringt; aber auch er scheint Angst zu haben vor mir, dass ich ihm die Larve vom Gesicht reiße!

17. Szene: Eichmannjäger

1. Eichmannjäger: (zum Jurist, der jetzt in der Nähe von Bernhard ist) Kommen Sie mit, mein Herr!

Jurist: Wohin? Was soll das bedeuten?

1. Eichmannjäger: Das werden Sie sehen.

Jurist: Das geht zu weit.

2. und 3. Eichmannjäger: Wir werden dafür sorgen, dass es für ihn nicht zu weit geht. (führen ihn ab)

Bernhard: Das alles sieht nicht gut aus. Dem Spiel geht der Esprit verloren. Höchste Zeit, dass ich verschwinde.

18. Szene: Endstation

Bahnhofsvorsteher: (alles auf Englisch) Ladies and Gentlemen. Wien. Endstation! Seien Sie herzlich willkommen in Ihrer Neuen Heimat. Kein Palästinenser wird Sie hier jemals mehr bedrohen. Und auch kein Mullah aus Teheran. Glückliche mit Almkühen besetzte Wiesen werden Sie um sich herum sehen und Berge, die emporsteigen bis in den schönsten blauen Himmel.

einer: (auf Englisch zu einem Gendarm) Geht es hier zu den Toiletten?

Gendarm: (auf Französisch zu einem Eichmannjäger) Der Herr bittet um Auskunft.

einer: (auf Englisch zum Eichmannjäger) Geht es hier zu den Toiletten?

Eichmannjäger: (auf Englisch) Ja mein Herr. Hier geht es zu den Toiletten. Hier die Unterführungen hindurch, dann gleich die Türen rechts.

19. Szene: Hutler und Schomer-Jisrael

Bernhard: (während die Eichmannjäger und die Gendarme sich um die Ankömmlinge bemühen, etwas allein für sich) Wenn ich nur den Zug für die Minister und die Direktoren sähe. Ich gäbe was drum, in Erfahrung zu bringen, wann und wo der abfährt. Ja fast möcht ich mich ausschelten, dass ich mich im Stübchen für Eisenbahnaushilfskräfte so wenig kooperativ gezeigt habe. Oder gibt es einen größeren Genuss, als allen diesen Herrschaften und Oberherren grünes Licht zu geben zur Abfahrt und Ausfahrt? Dass nämlich alle Direktoren und Präsidenten schon weg sein sollen, glaube ich nicht. Ich sah doch vorhin noch den Bundespräsidenten. Also kann er gestern nicht abgefahren sein. Selbst, wenn ich ihm mit meinem Aschen nachfolgen müsste, könnte der Spaß kaum zu überbieten sein. Gegen die Schmach, den Dreck hinter ihm aufzusammeln, wäre die Schande, außer Landes zu müssen, tausendmal größer. - Doch träum ich!? Was man der Dame dort für einen Bahnhof bereitet!

Bahnhofsvorsteher: (auf Englisch, indem er ihr einen Blumenstrauß überreicht) Gnädige Frau! Es ist uns eine ganz besondere Ehre, Sie hier begrüßen zu dürfen.

Außenministerin Schomer-Jisrael: (auf Englisch) Wir werden sehen.

Bahnhofsvorsteher: (zu zwei Eichmannjäger) Bringen Sie die Dame ins Palais!

Außenministerin Schomer-Jisrael: (auf Englisch) Aber was ist das? (man sieht ein Wiesel mit einer Schwalbe im Maul übers Gelände springen)

Eichmannjäger: (auf Englisch) Ein Wiesel mit einer Schwalbe im Maul. Nichts weiter. Seit hier alles in Aufbruch ist, hat es auch die Tiere angesteckt. Diese kleine Schwalbe hat es leider nicht mehr geschafft, nach Afrika zu fliegen.

Bernhard: (er eilt hinzu und schreit) Meine Mutter!

Außenministerin Schomer-Jisrael: (auf Englisch) Was will der Mensch? Was schaut er mich so an? Ich kenne ihn nicht.

Eichmannjäger (auf Englisch, indem er mit seinem Kollegen Bernhard abzuwehren sucht) Entschuldigen, gnädige Frau; das ist ein Wahnsinniger, dem im Trubel der Geschehnisse eine Flucht aus der Anstalt gelungen ist.

Bernhard: (wirft sich ihr zu Füßen) Meine Mutter! Erbarmen Sie sich Ihres unglücklichen Sohnes!

Außenministerin Schomer-Jisrael: (auf Englisch) Weg mit ihm!

Bernhard: (auf Deutsch) Ich bin kein Wahnsinniger, gnädige Frau, wenn nicht alle zum Tod Verurteilten wahnsinnig sind. Aber ich könnte wahnsinnig werden, weil ich nicht im Stand bin, Ihnen auch nur ein einziges Lächeln zu entlocken.

Schomer-Jisrael: (auf Englisch) Habt ihr Erbarmen gezeigt oder den Juden ein Lächeln entlockt, als ihr sie deportiertet?? Hämisch und feige habt ihr von der Ferne aus zugeschaut. Verfluchtes Geschlecht!

Bernhard: (auf Deutsch) Niemandem hab ich von der Ferne aus zugeschaut. Und umgebracht habe ich schon überhaupt niemanden. Für mich spricht die Gnade der späten Geburt. Wenn Sie meinen Personalausweis sehen wollen?

Schomer-Jisrael: (schlägt mit einem Seilchen um sich) Weg von mir, Verwegener!

Bernhard: (auf Englisch) O ja, schlagen Sie mich!

Schomer-Jisrael: (auf Englisch) Er ist wirklich verrückt!

Bernhard: (auf Deutsch) Schade, dass sie mich nicht weiter schlägt. (auf Englisch das weitere) O meine Mutter. (er klopft sich an den Kopf) Hört sie nicht, wies da drinnen holpert und poltert?

die beiden Gendarme (die hinzugeeilt sind, auf Französisch) Seien Sie still! Die Dame hört nichts weniger gern als die deutsche Sprache!

Bahnhofsvorsteher: (auf Neuhebräisch) Gnädige Frau, es ist mir unendlich peinlich, Sie diesem Schmutzfink aus Österreich ausgesetzt zu sehen. (auf Französisch zu den beiden Gendarmen) Packt ihn und schafft ihn fort. (Bernhard auf Deutsch ins Ohr gezischt) Und pass nur auf, dass es dich nicht noch deinen Kopf kostet!

Bernhard: Seiner Mutter Kind zu sein, kostet jeden seinen Kopf. Besser ist es allemal, nicht geboren zu sein. Das wussten schon die alten Griechen. (laut) Aber das da, meine Damen und Herren, das ist Hutler, jawohl, das ist Adolf Hutler. Und auch Ihnen, gnädige Frau, muss ich es sagen, das ist Adolf Hutler! So wahr mir Gott helfe!

Bahnhofsvorsteher (auf Neuhebräisch) Ist das nicht zum Lachen? Ich soll Adolf Hutler sein? Einer, der Neuhebräisch spricht, soll Adolf Hutler sein?

die zwei Gendarme: (auf Französisch) Das wäre noch schöner. Einer, der Neuhebräisch kann, kann nicht Adolf Hutler sein. (sie führen Bernhard ab)

Schomer-Jisrael: (auf Englisch) Was für Peinsamkeiten bereits bei der Ankunft. O ich dachte mir´s doch.

Bernhard: (auf Englisch) Vater und Mutter, was für eine Welt! (auf Deutsch) Meine Herren, was tun Sie? Wo führen Sie mich hin?

die zwei Gendarme: (auf Französisch) Weiß er es nicht?

Bernhard: Könnten Sie es mir auf Deutsch sagen? Immerhin ist es sehr wichtig für mich. Mea res agitur. Da sollte ich wohl verstehen, wenn meine Angelegenheiten verhandelt werden.

1. Gendarm: (gebrochen deutsch) Wenn ihm etwas sicher ist, so ist es der Tod.

2. Gendarm: (gebrochen deutsch) Der Tod ist ein Meister aus Deutschland!

Bernhard: (auf Deutsch) Noch nie hat sich einer so uneigennützig eingesetzt wie ich. Doch wie dankt mir´s das Schicksal? Ist das nicht verrückt? Der Hutler herrscht noch immer. Ja seine schlimmsten Feinde verkehren mit ihm, ohne einen Anstoß daran zu nehmen. Und ich, sein vom Schicksal bestimmter schärfster Ankläger, ich werde abgeführt und, wenn ich nicht aufpasse, aufgehängt! Wenn das nicht den Weltlauf auf den Kopf stellt!

9. Akt: Auf dem Friedhof von Braunau

(Der Eingang zum Friedhof ist von zwei Galgen flankiert. An dem einen hängt Eichmann (als Strohpuppe), der andere ist noch leer. Der Friedhof zeigt Spuren der Verwüstung durch Panzer etc. Einige bereits ausgeschachtete, leere Gräber. Im Innern befindet sich ein Tisch mit Weinflaschen etc., wie zum Gelage. Drum herum sitzen die Schomer Jisrael, Nounier, de Gaulle und Hutler als Landpfleger. Einige Eichmänner an einem Nebentisch, die ebenfalls eine Stärkung zu sich nehmen. Neben den Tischen befindet sich das Grabmal des unbekannten Soldaten. Es ist halb umgestürzt. Hier wird ausgegraben. In der Nähe steht der Afrikakoffer, in den Knochen bei Gelegenheit geworden werden. Im Hintergrund, dem Gebirge zu, ein Ausgang. Davor eine Herde sich suhlender Schweine.)

Schomer-Jisrael: Ist das Grab des unbekannten Soldaten bald ausgegraben?

Totengräber: Wir sind bereits auf der Sohle angelangt und auf den unbekannten Soldaten gestoßen. Es kann nicht mehr lange dauern; dann werden wir ihn den Herrschaften vorstellen.

Landpfleger: Bei der Hefe ist man nun also angelangt, dem sogenannten Pöbel.

Schomer-Jisrael: Hier werden wir ein monumentales Denkmal errichten: ?Dem ewigen Frieden!? Mit einer großen Friedenstaube. Die Einzelheiten sowohl des Denkmals wie auch der Einweihung und der weiteren Gestaltung werden wir uns aber noch gut durch den Kopf gehen lassen. Ich bin aber entschieden dagegen, selbst für das Amt des geringsten Dieners der Wache einen dieser Leute aus Deutschland oder Österreich zu bestellen.

Totengräber: Hier, gnädige Frau, bringen wir den unbekannten Soldaten

Nullo: Heil Hutler! - Hauptmann Hutler! Heil Hutler!

Landpfleger Hutler: Wie lustig! Er meint, ich wäre Hauptmann Hutler!

Nounier: Für diese Leute ist alles Hutler. Sonst sehen sie nichts.

De Gaulle: Wie es früher Pantheisten gegeben hat, so gibt es nun leider immer noch Panhutleristen.

Nullo: Hauptmann Hutler! Ich bitte Sie um Erlaubnis, bei Ihnen nachzufragen, wo die Karte ist.

Nounier: Er muss geträumt haben bei der Exhumierung.

Schomer-Jisrael: Antworten Sie ihm, Landrat! Spielen Sie die Rolle, in der er Sie denkt. So erhalten wir einen erwünschten Aufschluss über den kleinen Mann, den Mitläufer, das kleine Rädchen im Riesenapparat der Diktatur.

Landpfleger Hutler: Ich will es versuche, Frau Schomer-Jisrael! ? Was meinten Sie, Gefreiter Nullo?

Nullo: Ich frage den Hauptmann Hutler in aller respektvollen Form und Untertänigkeit, ob er die Feldpostkarte weitergeleitet hat.

Landpfleger Hutler: Welche Feldpostkarte? Ich versuche mich zu erinnern.

Nounier: Helfen Sie uns, Gefreiter Nullo!

Nullo: Es war kurz vor Weihnachten, der Himmel war mit einer dicken Wolkenschicht verriegelt, der Abend viel zu früh hereingebrochen. Schneidend kalt ging die Luft über die öde, nur mit etwas Gras bedeckte russische Steppe, als sich die Truppe vom Gefecht zurückzog. Unter ihnen befand sich auch Karl, mein Freund, der heute das erste Mal mit ins Feld gerückt war. Plötzlich blieb er stehen, denn er glaubte, bei einem frisch aufgeschütteten Grab einen offenen Spalt zu sehen. Und weil er so etwas noch nie gesehen hatte, trat er hinzu und leuchtete mit der Stablampe hinein. Da war ihm, als sehe er in der Tiefe meinen braunen Holzsarg. Und wie er so dastand und drüber nachgrübelte, weil er sich nicht erklären konnte, wie es zu diesem Spalt gekommen war, trat Hauptmann Hutler von hinten auf ihn zu und sagte zu ihm: Kamerad, das ist doch nichts Besonderes. Ich höre es noch immer, als spräche er es eben jetzt: Kamerad, das ist doch nichts Besonderes. Jedem, der hier liegenden Kameraden haben wir den zum Atmen angemessenen Luftraum gelassen. Dann sah ich, wie sie weitergingen. Als sie das Lager erreichten, fing es an zu schneien; erst langsam, in vereinzelten Flocken, dann immer heftiger und dichter, so dass die Erde alsbald mit einem weißen Tuch überdeckt war. Bei den Baracken, wo auch die Feldküche untergebracht war, wurden sie von den Frauen begrüßt. Während die älteren Soldaten auf die Frauen zugingen und sich mit ihnen unterhielten, begab sich Karl zu seinem Feldbett, um noch vor dem Abendbrot, wie es seine Gewohnheit war, ein paar Zeilen nach Hause zu schreiben. Mit seinen 16 Jahren wusste er noch nichts von den Frauen und begehrte kein solches Vergnügen. Als er nun auf seinem Bett saß und nachdachte, fiel sein Blick auf das benachbarte Bett, wo ich schon den dritten Tag regungslos dalag, so dass er nicht fähig war, mit seinem Stift auch nur eine einzige Zeile in die Karte zu ritzen. Da trat der Hauptmann abermals auf Karl zu und sagte: Was schaust du so betrübt, Karl? Wach auf und freu dich! Was deinen Freund Nullo angeht, so kommt er ins Buch der Rekorde. Noch nie ist einer so schnell wieder zurück ins Lager gekommen wie er. Schneller noch als wir ist er gegangen. Dann aber nahm er mich bei der Hand und sagte: Nun ist aber genug geschlafen, Kamerad! Steh auf. Da ging ein Ruck durch meine Muskeln; die Augen taten sich auf und während sich die Wangen röteten begann das Blut wieder durch alle meine Adern zu fließen. Siehst du, sagte jetzt der Hauptmann zu Karl. Hätte ich ihn nicht geweckt, er schliefe noch immer. Es gibt ja nichts Bequemeres, als sich im Schlaf zu räkeln, während die anderen im Feld die Schwerarbeit besorgen. Und dann wandte er sich wieder an mich und sagte: Wünsch wohl geruht zu haben, Gefreiter Nullo. Beeil er sich. Gleich gibt es Abendbrot. Das ist doch was Schönes. Da will er wohl nicht fehlen! Und während der Hauptmann Acht gab, dass ich mich nur rasch wieder ankleidete, nahm Karl die Postkarte zur Hand und schrieb eilends: Ihr Lieben zu Hause. Macht euch nur keine Sorgen um uns. Alles geht gut. Meine Kameraden und ich sind alle wohl auf, was sich alleine schon daraus ergibt, dass ich euch regelmäßig schreibe. Sorgen braucht ihr euch keine zu machen. Und wenn einmal keine Karte bei euch ankommen sollte, so haben wir nur ein wenig verschlafen. Der Hauptmann Hutler aber weckt uns alle wieder auf.

Landpfleger Hutler: Se non e vero, e bene trovato.

Schomer-Jisrael: Ich finde das widerlich!

Nullo: Wie?

Schomer-Jisrael: Abführen, so schnell wie möglich. Zum Bahnhof.

Nounier: Wir alle haben an den Folgen dieses braunen Terrors zu leiden. Sehen Sie nur!

10. Akt: Wie Bernhard auf dem Friedhof von Braunau ankommt

1. Szene: Wider die Kollaborateure

Zwei Gendarme als Friseure sind dabei, einer jungen Frau, die zuvor in einem anderen ausgeschachteten Grab gelegen, die nachgewachsenen Haare bis auf die Kopfhaut abzuschneiden. Man sieht noch die Erschießungswunde, die ihr nach dem Krieg beigebracht wurde.

Nounier: (auf Französisch) So geht es allen, die mit dem Feind gegen das Vaterland kollaborieren. Hier, mein Fräulein, sehen Sie ihren Vichy-Freund, Monsieur Eichmann, wie er am Galgen hängt. Hätten Sie nur rechtzeitig erkannt, dass auf ihn kein Verlass ist! Jetzt hat er Sie im Stich gelassen und mit des Seilers Tochter Hochzeit gehalten.

De Gaulle: (auf Französisch) Monsieur Nounier, das ist entschieden zu hart. Wenn die Dame auch schreckliche Verbrechen auf sich geladen hat, so bleibt sie doch ein Teil unseres französischen Volkes.

Nounier: (auf Französisch) Was wünschen General de Gaulle?

De Gaulle: (auf Französisch) Ich erlaube keinem Deutschen, also auch nicht Ihnen, Herr Nounier, trotz all Ihrer unbestreitbaren Verdienste für die französische Nation, einen Franzosen zu verurteilen. - Gnädige Frau, dort ist der Ausgang. Gehen Sie! Aber lassen Sie sich nie mehr sehen. (die junge Frau geht ab, indem sie ihre Hand auf die Wunde legt)

Schomer-Jisrael: (auf Englisch) Leider haben wir vom Führer Adolf Hutler noch immer nichts aufgefunden. Dabei wette ich, dass er hier ist.

De Gaulle: (auf Französisch zu Leuten, die Gräber ausschachten) Meine Herren, beeilen Sie sich! Wir wünschen Erfolge, Resultate, damit wir endlich unter dieses Kapitel allerschlimmster Weltgeschichte einen Strich ziehen können!

Ein Eichmannjäger (der Sträflinge, die graben, beaufsichtigt, auf Deutsch) Der General wünscht, dass Sie sich beeilen. Er wünscht sichtbare Erfolge. Resultate. "Damit wir endlich unter dieses Kapitel allerschlimmster Weltgeschichte einen Strich ziehen!"

1. Sträfling: Hier, das ist alles!

Ein Eichmannjäger: Ein Kopf? Was fangen wir mit diesem Kopf an? (er wirft ihn in den Afrikakoffer)

2. Szene: Bernhard wird von den beiden Gendarmen gebracht.

1. Gendarm: (auf Französisch) Weiter! Weiter!

Bernhard: Dies also ist der Ort des Totengerichts? Hier ist der Ort, wo es um Sein oder Nicht-Sein geht, um Bergwerksarbeit oder um den Galgen? Einleuchtender als vor dem Tor zum Friedhof kann man es wohl niemandem klar machen, was auf einen wartet. Und doch beginn ich jetzt allmählich zu begreifen. Weil ich mich einmal in einem meiner ganz großen und atemberaubenden Romane der Weltliteratur dazu verurteilt habe, mich in Friedhofsangelegenheiten einzulassen, oder besser gesagt, weil mich das Leben dazu verurteilt hatte, ähnlich wie den Josef K., statt mich als ehrenwerter Professor der neueren deutschen Literatur zu einem Gespräch über Kultur und Literatur zu erheben und mich zu befreien, wartet man mir jetzt mit dieser Strafe auf. O das rächt sich, wenn man, und sei es auch nur einmal, sich die Freiheit herausnimmt, außerhalb und jenseits der ausgetretenen und ausgetrampelten und erlaubten Pfade des Denkens sich zu ergehen. Legen wir uns denn für unsere Apologie ein paar Sachen zurecht. Denn dass mir ein Pfingstgeist zur rechten Zeit das rechte Wort eingibt, das glaube ich nicht; darauf verlass ich mich nicht. Nicht weil ich nicht an einen solchen Geist glaubte, sondern weil ich davon überzeugt bin, dass kein Mensch mich verstünde. Selbst wenn ich, was meine Verdienste angeht, nicht zimperlich und schüchtern bin, selbst wenn ich die Posaune meines Ruhms blase, wird man lieber Kratais rufen als mir zuhören. Und hängt man erst einmal am Galgen, so braucht man keine Posaune mehr.

1. Gendarm: (auf Französisch) Hier herein!

Bernhard: (für sich) Was das wohl für eine Dame ist, die dort den Friedhof verlässt? Glücklich alle, die den großen Friedhof Österreich verlassen können! Ah, und dort am Tisch find ich neben ein paar neuen Gesichtern alle wieder, denen zu begegnen ich bereits die Ehre hatte. Vor allem Mutter und Vater! Aber ich mag diesen Vater nicht; und diese Mutter mag ich auch nicht; vor allem aber mag sie mich nicht. Unter diesem Fluch bin ich zur Welt gekommen; unter ihm werde ich wohl auch enden. - Ah und da ist ja auch schon der Afrikakoffer wieder. (Ein Eichmannjäger wirft eben Reste von einem Totengerippe in die Truhe) Wie mich doch eine Müdigkeit überkommt, wenn ich sehe, wie man den Abfall da hinein schmeißt! Als wären es meine Knochen! Am liebsten würd ich mich selber in den Koffer legen, um ungestört weiter zu schlummern alle die Tage. Aber hier in diesem verfluchten Österreich da sind ja selbst die Gräber noch verflucht. Da werden die Gräber geöffnet, als müssten die Toten geweckt werden zum jüngsten Gericht.

1. Gendarm: (auf Französisch) Hier bringen wir einen Gefangenen der Extraklasse. Ob sich die Arbeit wohl lohnt? Ihn aufzuhängen oder zu erschießen, dann ins Grab zu legen, das Grab zuzuschütten, und ihn dann wieder zu exhumieren für die Deportation?

de Gaulle: Votre nom?

Bernhard: (mit französischem Akzent) Bernhard!

de Gaulle: (alles auf Französisch) Bernard?! O oui. Mais das war eine Frau und eine wackere Patriotin, was wir von ihm nicht sagen können.

2. Gendarm: (auf Französisch) Leider mussten wir ihn als einen Mann der Verstellung kennen lernen!

Schomer-Jisrael: (auf Englisch) Lassen Sie ihn nicht an mich heran. Bis hierher (sie zeigt etwa 5 m von sich) und keinen Millimeter weiter! Er macht mich unrein.

1. Gendarm: (auf Französisch) Wir haben ihn einigen Tests unterzogen. Seine Befähigungen auf sämtlichen, uns wichtigen Gebieten, sind äußerst dürftig.

2. Gendarm: (auf Französisch) Dabei könnte er, wenn er nur wollte.

1. Gendarm: (auf Französisch) Wir haben ihn gewarnt. Wenn General de Gaulle zustimmt, mag er ins Bergwerk gehen.

2. Gendarm: (auf Französisch) Oder aber er baumelt dort oben am Galgen.

De Gaulle: (auf Französisch bis auf das Zitat) Wir hoffen, er hat sich den Herrn da droben gut angesehen? Wenn er ein deutscher Dichter sein will, kennt er gewiss auch das Zitat von Lessing: "Hier ruht er, wenn der Wind nicht weht!"

Bernhard: Wenn ich mir eine Gnade erbitten darf, so die, dass mir der Galgen erspart bleibt.

de Gaulle: (auf Französisch) Dann beeil er sich! Nehm er den Spaten zur Hand und beginn er rasch mit der Arbeit.

Bernhard: Ich dachte, ich müsste in ein Bergwerk.

de Gaulle: (auf Französisch) Das ist das Bergwerk. Hier gräbt er alle Gräber auf und holt die Dichter heraus.

Schomer-Jisrael: (auf Englisch) Und wenn er irgendwas findet und sei es auch nur ein Haar, ja auch nur ein Atom, das an Hutler erinnert, so bringt er es herbei. Ehe wir diesen Kerl nicht vor Gericht gestellt und aufgehängt haben, gibt es auf der Welt keinen Frieden. (deutsch, gebrochen) Er hat verstanden?

Hutler als Landpfleger: (auf Englisch) Gnädige Frau, geben wir dem jungen Mann noch diese letzte Chance! Er wird uns nicht enttäuschen.

Schomer-Jisrael: (auf Englisch) Wir wollen es hoffen.

Hutler: (auf Deutsch) Aber dass er nur ja nicht unser Vertrauen missbraucht. Sobald er auf den Hutler stößt oder was von ihm noch übrig ist, pack er es und bring es her!

De Gaulle: (auf Französisch) Also ran, ans Ausschachten der Gräber! Das ist das Bergwerk!

(Die beiden Gendarme führen Bernhard zum Ausgraben ab)

3. Szene: Eine halbjüdische Verwandte von Hutler

Eichmannjäger: (eine junge Frau bringend) Meine Damen und Herren, sehen Sie her, was für einen Fund wir gemacht haben! Eine Ururgroßmutter oder so was aus dem Stammbaum des braunen Führers! Alle Spuren mit Panzern und Raupenschleppern vernichtet, wie sich versteht. Aber eben da haben wir uns ja eigens umgesehen, wo der Boden besonders hart eingestampft ist.

Hutler: Meine Dame, Sie heißen Hutler?

Verwandte: Ja

Hutler: Und Sie haben jüdisches Blut in den Adern?

Verwandte: Ja

Hutler: Das ist ungeheuerlich.

Schomer-Jisrael: (auf Englisch) Was sagen Sie?

Hutler: Das kostbare Blut des Heilandes mit gemeinem germanischem Blut zu vermengen, sagte ich, Frau Schomer-Jisrael.

Schomer-Jisrael: (auf Englisch) Haben Sie keine Angst. Wir tun Ihnen nichts, auch wenn ich nicht weiß, ob ich sie hassen soll oder lieben.

Verwandte: Die Mutter meiner Mutter war Jüdin, aus Galizien eingewandert. Mein Vater aber gehörte zu den alteingesessenen Familien im Ort. Auch ich heiratete dann wieder in eine alteingesessene Familie im Ort, eine Familie namens Hutler, falls Sie den Namen schon einmal gehört haben. Ich starb im Kindbett beim ersten Kind.

Schomer-Jisrael: (auf Englisch) Wär nur auch Ihr Vater Jude gewesen, dann wär alles leicht zu handhaben. Doch was tun wir jetzt?

De Gaulle: (auf Französisch) Mischlinge haben immer das schwerste Schicksal.

Schomer-Jisrael: (auf Englisch) Unmöglich die Dame hier zu lassen. Aber sie auszuweisen fehlt mir der Mut.

De Gaulle: (auf Französisch) Mein Kind! Weißt du, dass ein ferner Nachkomme von dir... Doch nein, wie kannst du davon wissen. Und du sollst davon auch nichts wissen. Keiner von uns kann es verhindern, dass ein Nachkomme Schande über uns bringt.

Hutler als Landpfleger: Was zögern wir? Hängen wir sie auf! Und wer es nicht ertragen kann, der schaue weg.

De Gaulle: (auf Französisch) Nein, das erlaube ich nicht. Mag sie vorerst im sterbensleeren Dorf abwarten, bis wir uns geeinigt haben, was ferner geschieht!

4. Szene: Grab-Ausschaufeln

Bernhard: (indem er ein Grab aushebt; über ihm steht ein Eichmannjäger mit Gewehrkolben) Dahin also ist es mit dir gekommen, Meister Hamlet! Bist jetzt ein Grabausheber, ein Ausschachter von Leichen und Bergwerker geworden. Nur der Galgenmacher baut fester als du. Freilich soll hier überhaupt niemand beigesetzt werden. Heraussetzen und aus seinem Haus jagen soll ich einen, der inzwischen wohl auch schon zu Lehm geworden ist, es sei denn, dass er da drüben mit zu Tisch sitzt.

Der große Cäsar, tot und Lehm geworden,

verstopft ein Loch wohl vor dem rauen Norden.

O dass die Erde, der die Welt gebebt,

vor Wind und Wetter eine Wand verklebt!

Ein Gendarm (auf Französisch) und ein Eichmannjäger (auf Deutsch): Hopp, hopp, hopp! Was schläft und träumt er da herum?

Bernhard: Schlaf und träum ich denn? Arbeit ich nicht wie das Tier? Nur keine Angst. Als Schriftsteller grab ich lieber alles träumerische Schweigen aus, als dass ich mich darauf beschränke, zu schlafen und zu träumen. Wollen doch sehen, ob wir nicht fündig werden! Wenn schon die Steine zum Sprechen gebracht werden können, dann doch wohl auch die Knochen. Aufgewacht, meine Herren. Aufgewacht Österreich! Ich grab dir deine Knochen aus.

Ein Gendarm: (auf Deutsch) Dass er uns nur ja nicht den Hutler auszubuddeln vergisst!

Bernhard: Ich habe verstanden, auch wenn er da drüben am Tisch sitzt.

Ein Gendarm (auf Französisch) und ein Eichmannjäger (auf Deutsch): Wo?

Bernhard: Wenn ich Sie frage, ob ich ihn hier drunten finden kann, wenn er da drüben zu Tisch sitzt, müssen Sie mir wohl zur Antwort geben, dass das nicht geht.

Ein Gendarm (auf Französisch) und ein Eichmannjäger (auf Englisch): Mein Herr! Ist er wahnsinnig geworden? Das da drüben ist der Landpfleger von Braunau, Herr Hutler!

Bernhard: Der Landpfleger von Braunau?

Ein Gendarm: (auf Französisch) Ein Wörtchen von ihm genügt und du baumelst am Galgen.

Bernhard: Den Herrn Hutler soll ich also hier drunten finden? Vielleicht den Yorick? Ja das wär's doch, wenn mir jetzt der Schädel vom Yorick in die Hand käme! Wär dieses Stück da, das der Satan mit mir zu spielen beliebt, von mir, so ließ ich mich jetzt Yoricks oder Minettis Schädel finden und dann würde er euch sagen, wer der Herr Landpfleger von Braunau in Wirklichkeit ist! O, er sollte es euch in die Ohren blasen, dass euch noch in 1000 Jahren das Trommelfell davon dröhnen sollte!

Bernhards Eichmannjäger: Genug herumgeträumt mein Herr! Oder merkt er nicht, wie mein Gewehrkolben immer mehr Lust bekommt, ihm den Gehirnkasten zu zerdeppern?

Bernhard: Zerdepper ihn doch. Dann hat er endlich Ruhe!

Bernhards Eichmannjäger: An die Arbeit, ohne Wenn und Aber! Die Arbeit wird ihn frei machen.

Bernhard: Auf jeden Fall wird sie mir nicht bekommen!

Der Kopf eines Schriftsteller in dem von Bernhard ausgeschachteten Massengrab: (summt stockend vor sich hin)

Doch sagt er: Lieber Valentin

mach keine Umständ Geh!

Da leg ich meinen Hobel weg

Und sag der Welt ade.

Bernhard: (für sich, indem er Raimunds Kopf sichtbar auf das Grabkreuz stellt) Wenigstens hab ich keine Ophelia auf dem Gewissen, weder eine echte noch eine falsche, wenn ich mich auch vor diesem Laertes über mir in Acht nehmen muss. Könnte mir jetzt wohl gar noch ein Metierlied ausdenken, wie der Kollege da, wenn man mir nur etwas Zeit ließe und man mich nicht wie einen Fellachen ausbeutete und schändete.

5. Szene: Schädel

Bernhard: (er hebt noch einen Schädel empor) Noch ein Schädel. Österreich ist berühmt dafür, dass man nicht weiß, wohin seine großen Söhne gekommen sind. Mit wem hab ich die Ehre? Wolfgang Amadeus?

Schädel eines Unbekannten: Kann ich denn meinen Namen noch wissen, wo ich solang unter der Erde gelegen habe?

Bernhard: Der gesuchte Massenmörder scheinst du nicht zu sein.

Schädel eines Unbekannten: Singen kann ich doch wohl noch. Versuch ich es doch einmal! Pass auf! (singt)

Vergessen ist schön, und es ist gar nicht schwer,

Denn was man vergisst, von dem weiß man nichts mehr!

Bernhard: Mein Gott, das kenn ich doch!

Eichmannjäger: Keine Konspiration, wenn ich bitten darf.

Bernhard: Das ist doch aus dem "Mädchen aus der Feenwelt".

Eichmannjäger: Nichts da. Mit den Mädchen aus der Feenwelt ist es aus.

Bernhard: Ich wollte ja nur sagen, dass das, was dieser Schädel da gesungen hat, aus dem Schlussgesang aus "Das Mädchen aus der Feenwelt" ist.

Eichmannjäger: Her mit dem Schädel, dass ich ihn zerschädel!

Raimunds Schädel auf dem Kreuz:

Zeigt sich der Tod einst mit Verlaub

und zupft mich: Brüderl kumm,

Da stell ich mich am Anfang taub

und schau mich gar nicht um.

Eichmannjäger: (auf Englisch) In die Kiste!

Stimme aus dem Grab: O du unser Vater!

Bernhard: So spricht der Säufer zum ?Bauer als Millionär? beim Säuferbankett. Gib also nur dem Volk tüchtig zu saufen, so wird es dich seinen Vater nennen.

Raimunds Schädel: So hab ich mir das Ade-Sagen nicht vorgestellt. Und doch hab ich´s vorausgesehen. Am Beispiel Massanas in der unheilbringenden Zauberkrone hab ich´s vorausgesehen, was einmal mit Österreich geschehen wird.

Chorgesang in der Ferne:

So leb denn wohl, du stilles Haus,

wir ziehn betrübt aus dir hinaus!

Raimunds Schädel: Das ganze Leben über träumen wir davon, einmal echt zufrieden zu sein, und tragen unseren Aschen, als wär's die Bedingung zum Glück.

Bernhard: Auch ich hab meinen Aschen getragen; doch das war umsonst; glücklich hat mich das nicht gemacht; nur da ein wenig gedemütigt und dort ein wenig gehochmütigt, in summa mich noch gemeiner gemacht, als ich schon war. Alles das sind ja nur Fiktionen, die wir uns zur Überwindung unserer Leiden ausdenken, um sie uns dadurch nur noch zu verschlimmern.

Bernhard: Aber da ist ja noch einer. Vollständig noch vom Kopf bis zum Fuß.

Nestroy: Das bin ich!

Bernhard: Wer ist ich?

Nestroy: (aus dem Grab kletternd)

Meine Herren, was schauen´s, als wär ich schon tot?

Das lässt sich abwarten, damit hat´s keine Not.

Zwar hat mich das Schicksal schon arg derangiert

Doch nur am Rand mich´s ein wenig geniert.

Kann ich dichten auch nicht mehr wie in alter Zeit

Und Komödi spielen vor begeisterten Leut,

wär's doch grundverkehrt wollt ich rebelliern.

Wo´s nix nutzt, nutzts auch nix mit dem Protestiern.

Die Zeiten sind eben jetzt anders geworn

Hab da nix mehr verlorn, hab da nix mehr verlorn.

 

Früher freili war das ein ander Ding,

als wir Komödi gspielt haben am Leopoldsring

mit dem Wenzel Scholz und der ganzen Bagagi,

da hab ich mich gestürzt in die tollste Ragi.

Auf alle Weisen haben wirs getrieben,

haben vom Glück und den Weiberln den Duft abgerieben.

Aufgestiegen bin ich bis in den siebenten Stock

hinter der gnädigen Frau ihrem rauschenden Rock.

Doch war ich kaum droben, hat mich schon wieder gepackt

das Schicksal und kopfüber treppabwärts gejagt.

 

Doch ob rauf oder runter, ob gestern ob heut,

das Leben zu spielen, das war halt mei Freud.

Hinein bin i gesprungen und wieder hinaus,

in allen Rollen war ich zu Haus.

Die schönste Rolle aber Verhängnis wird,

bleibt an einer einzigen Rolle man angeschirrt

Da dreht man sich nur noch durch Last und Verhängnis,

im Kreis herum wie im Mühleselgefängnis.

Tagtäglich nur noch im Kreis herum gehn?

Na da dank ich recht schön. Na, da dank ich recht schön.

 

Jetzt aber ist's Leben nur schwer noch erträglich,

hast du nichts mehr zu tun, du versteinerst unsäglich.

Wenn aber die Damen und Herren nur couragiert

gehn weiter, bergauf und bergab, wo die Straße sie hinführt,

dann kommens schon morgen mit a bissel Glück

von da wo ich herkomm, wieder zurück.

Ja dann kommens endlich wieder dahin,

wo am Donaustrand blüht mein geliebtes Wien,

dann richtens bescheiden einen Gruß von mir aus:

wär halt gern wieder zu Haus, wär halt gern wieder zu Haus.

Bernhard: Er weiß von nichts; wär er auf dem Hauptbahnhof gestanden wie ich, mit der Dreckschaufel in der Hand: er wollte ganz gewiss nicht mehr zurück nach Wien.

Stimme: Den Nestroy, wir bitten euer Gestreng, hätten wir doch gern auch noch weiter bei uns.

Eichmannjäger: (auf Englisch) Auch er muss in die Kiste! (auf Deutsch) Wer in Österreich tot ist oder lebt und deutsch spricht, hat sich disqualifiziert.

6. Szene: Das Opfer

Nounier: Hat er alles gesehen und ist er nun willens, für seine österreichische Heimat das Opfer anzunehmen?

Bernhard: Welches Opfer?

Nounier: Von dem wir gesprochen haben.

Bernhard: Ich weiß von keinem Opfer, von dem wir gesprochen hätten.

Nounier: Das Opfer, welches Frieden schafft in der Welt.

Bernhard: Mein Herr, ein solches Opfer gibt es nicht. Es sei denn als Erfindung, mich dem Hass der NS-Verbrecher auszuliefern. Opfern Sie die, die es verdient haben, wenn Sie unbedingt ein Opfer brauchen.

Nounier: Verbrecher können nicht geopfert werden. Sie können nur der ihnen zustehenden Strafe zugeführt werden. Opfer müssen freiwillig geschehen.

Bernhard: Suchen Sie sich jemand anderen!

Nounier: Wie soll das geschehen, wo, wie er selber gesagt hat, Österreich nur aus Verbrecher besteht? Er allein kommt als Opfer in Frage. Er oder keiner.

Bernhard: Dann also keiner.

Nounier: Überlege er sich das bitte genau! Ob er für sein Vaterland, für sein geliebtes Österreich dieses Opfer der Versöhnung bringen will!

Bernhard: Niemals.

Nounier: Wie gesagt, wir geben ihm noch eine kleine Frist.

Bernhard: (für sich) Mein geliebtes Österreich! Mit dem hab ich so viel zu tun wie der Sancho eins mit der geliebten Dulcinea, als man von ihm verlangte, er solle sie mit dreitausend Peitschenhieben entzaubern. Mag dieses geliebte Österreich entzaubern, wer will, ich nicht.

7. Szene: Der Vater

Unbekannter: (Hutler, taucht hinter der Mauer auf, man sieht nur den Kopf, der Platz am Tisch ist leer) Thomas, mein Sohn!?

Bernhard: Ah, mein Vater! Da ist er schon wieder! Hat seinen Platz am Stammtisch verlassen und taucht jetzt hinter der Mauer auf.

Unbekannter: Komm zu mir, mein Sohn! Komm her zu mir!

Bernhard: Wegzukommen von hier wär schon gut, wenn auch nicht gerade unter seiner Patronage!

Unbekannter: Komm!

Bernhard: Mein Herr! Sehen Sie dort bei der Mauer den Mann?

Eichmannjäger: Das ist der Landpfleger von Braunau. Was hat er?

Bernhard: Das ist der von Ihnen so sehr gesuchte Führer Adolf Hutler!

Eichmannjäger: Was nicht gar!

Bernhard: Ich denke, Sie suchen nach ihm! - Meine Herren! Meine Lebenslust lässt allmählich nach. Ich schufte und rackere und opfere mich für Sie auf, werde zum Judas und denunziere wohl gar noch meinen lieben Hutler und Heiland? - Es fehlt nicht mehr viel, dann gebe ich auf!

Eichmannjäger: Er glaubt wohl, sich vor der Arbeit drücken zu sollen!

Nounier: (auf Französisch) Wenn er nicht weiterschaufelt, hängen wir ihn auf! Nicht wahr, Frau Schomer-Jisrael. Da könnte jeder kommen und auf der Mutter Schoß faulenzen.

Schomer-Jisrael: (hebräisch) Der unterste Kreis der Hölle könnte für mich keine schlimmere Strafe bereit halten, als dass ich einen aus der Mörderbrut auf meinem Schoß zu halten hätte.

Bernhard: (hebräisch) O dann hängt mich doch auf, zusammen mit eurer Wahrheit! Ich bin es leid. Seit ich am Leben bin, bin ich tot! Und nun weiß ich auch, dass ich tot bin! Wer nämlich noch nie auf dem Schoß einer Mutter gesessen ist, der ist tot. Aber selbst wenn sie mir jetzt noch den Schoß anböte, verschmähte ich ihn. Legt auf mich an und knallt mich ab, wenn ihr Lust dazu habt!

(er klettert aus dem Grab und eilt durch den hinteren Ausgang ins Freie der Berge, ohne dass ihm jemand folgt oder auf ihn schießt.)

Eichmannjäger: Er entflieht! Lassen wir uns das gefallen? Oder verfolgen wir ihn, fangen ihn ein und hängen ihn auf?

Nounier: (auf Französisch) Ja, verfolgt ihn und schafft ihn herbei!

Schomer-Jisrael: (auf Englisch) Aufhängen! (deutsch) Eichmannbrut zu Eichmannbrut!

de Gaulle: (deutsch) Nicht doch, meine Dame! Nicht so, mein Herr! Kommen wir zu einem Ende, das uns besser ansteht!

Eichmannjäger: O mein Herr, auf uns ist Verlass. (sie stellen sich am Ausgang des Friedhofs auf mit Gewehren im Anschlag)

11. Akt: Wie Bernhard in die Berge hinauf flieht und zum Jagdhaus der Heimat kommt.

1. Szene: Wie Bernhard in die Berge hinauf flieht

(Man sieht den Ausgang des Friedhofs, sich suhlende Schweine davor, die Schützen dort, dann das Gebirge, fern oben ein Haus, und die Gipfel mit Eis und Schnee. Alles praktikabel.)

Bernhard: Fort, fort! Nur fort von hier! Macht Platz, ihr Schweine, dass ich nicht mehr alleine bin unter den vielen; dass ich wieder aus mir heraus wachsen und mich mit mir unterhalten kann, ohne Angst haben zu müssen, ein Wort zu viel zu sagen und in eine Falle zu tappen, wenn sie mich reden lassen, reden und immer weiter reden, bis ich nicht mehr merke, was für Wörter und Sätze mir aus dem Mund heraus springen und ich nicht mehr weiß, was ich sage. Immer Platz gemacht für einen, der in dieser Flucht das letzte Fünkchen Hoffnung sieht, falls man ihm nicht nachschießt und ihn trifft! Aus mir ein Opfer machen, das ist ja das Allerabsurdeste, was man sich hat ausdenken können. Mich aufzuhängen wie eine geschlachtete Sau? Nein danke. Doch warum saust mir noch immer keine Kugel um die Ohren? Warum erlöst mich noch immer keine Kugel von all dem Übel? Wartet man, bis ich mich möglichst weit entfernt habe, um dann mit dem Preisschießen zu beginnen? Wie? Oder geschieht noch nichts, weil ich mich als Opfer verweigere? O dann warte, du Höllenbrut. Dann warte, bis du schwarzverschimmelt bist! Oder sollte an alledem nichts sein und man lässt mich laufen, weil doch alles nur ein Scherz war? Zwar ein böser, einem Alptraum ähnlicher Scherz, aber eben doch nur ein Scherz? Fast gelüstet es mich, des Überblicks halber einen kurzen Blick zurückzuwerfen. Doch ich tu es lieber nicht. Wer weiß, ob sie das als Termin vereinbart haben, auf mich zu ballern? Am besten freilich wär, ich hätte mir alles nur eingebildet und könnte es jetzt als Mumpitz abtun und vergessen. Wenn ich darüber nachdenke, scheint mir indessen wahrscheinlicher, dass es nicht ganz so leicht geht, als dass ich mich an den Haaren ziehe, erwache und sage: endlich wäre das vorbei. Eher scheint mir, dass ich erst noch die Suppe mit dem Teufel auszulöffeln hab. Ja, da bin ich mir ganz sicher, dass von tausend kein einziger da wäre, der mir hilfreich die Hand entgegenstreckte, und wenn es ihm ein Leichtes wäre. Eine hilfreiche Freundeshand ist das Allerabsurdeste, was einem entgegenkommt. Sind es nicht Unwissenheit und Unfähigkeit, die eine gute Hand verhindern, so sind es Gemeinheit, Hass und Neid. Ergibt sich da nicht von selbst, dass es mir unmöglich ist, stehen zu bleiben und zurückzuschauen? Wenn keiner hinter einem herkommt, der es gut mit einem meint, bleibt einem nur übrig, vorwärts zu stürmen, allen Hinterhalt hinter sich zulassend. Hinauf denn, hinauf! Über die Koppel, wo Pferde und Esel weiden und dann an jenem Bauernhaus vorbei, bis sich auch mir die Wolken entgegen neigen. Auch wenn ich nichts mehr höre, kein Wort, keinen Schritt, keinen Schnaufer, keinen Pfiff und auch keinen Schuss aus der Ferne, so möcht ich doch erst dann meine Flucht einstellen, wenn ich die Kämme der Alpengipfel hinter mir habe. Solang ich noch nicht die friedlichen Lüfte Italiens um mich herum spüre, eile ich weiter. Nicht groß genug kann der Abstand sein, der mich von Österreich trennt. Dorthin eil ich, wo man kein Wort Deutsch mehr spricht. Und schon gar nicht dieses abscheuliche, widerliche Wort Opfer, bei dem einen abgestochene Schweine vor Augen treten. Lieber keinen Satz Deutsch mehr schreiben oder auch nur sprechen, als diesem Satan noch einmal begegnen. Wenn mir einer ein Land sagen kann, wo man nur darauf wartet, die Nationalsprache durch einen Dichter verherrlicht zu bekommen, so will ich dorthin und es als das gelobte Land preisen. Das Zweitbeste aber wäre, wenn man genau wüsste, wo sich der Satan aufhält, so dass man sich jeweils in weitest möglichem Abstand zu ihm aufhielte. Schau ich indessen auf zum Himmel, so scheint mir jedes Wölkchen zu sagen: "Ich seh ihn!" Und schau ich zur Erde, so scheint ihn jeder Baum und jeder Felsblock vor mir zu verstecken. Hinter jedem Wegvorsprung fürchte ich, ihn hervortreten zu sehen. Ja jeder Abhang voller Almgras genügt schon, und meine Einbildung sieht ihn, sich dicht am Boden wälzen wie eine Eidechse. Alles scheint mir schon mit dem leisesten Windhauch zuzuflüstern: hier ist er!

(Er schaut zurück, hinab) Ah, wie sie noch immer dastehen, ihre Gewehre auf mich gerichtet. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie mich treffen, ist aber nicht mehr allzu groß. Viel mehr scheinen sie auch nur noch dazustehen, als ob sie darauf warteten, von einem Liebhaber von Wachsfiguren eingesammelt zu werden. Gut so. Kann man sie sich wenigstens in aller Ruhe beschauen. O ja, das ist ja doch eben das Problem, dass uns ansonsten leider stets die ruhige gelassene Beschäftigung mit dem Terror unmöglich gemacht wird. Aber diese Leute, diese Jäger und Soldaten, diese ihre großspurige, selbstherrliche und überhebliche Art habe ich schon als Kind nicht leiden mögen. Wie rötlich glimmendes Feuer leuchteten ihre Augen auf, wenn sie ein Wild schnaufen hörten, um dann die Verfolgung aufzunehmen und endlich glückselig zur Waidmannsflasche zu greifen, wenn das Schnaufen vorbei war. Aber ich bin kein Wild, meine Herren, ich bin kein Wild, auch wenn ich gejagt werde. (er geht weiter)

2. Szene: Wie Bernhard zum Jagdhaus der Heimat kommt

Bernhard: Doch still. Hat da nicht jemand etwas gesagt? Sollte das von jenem Haus dort hergekommen sein? Wenn das nur nicht wieder wie vor dem Burgtheater losgeht oder wie in jenem Zimmer mit der Truhe. Diesmal werde ich schweigen, nichts fragen. Da! Schon wieder! Bleib mir nur vom Hals, Geist meines Vaters! ? Jetzt wieder herrscht eine tiefe Stille, als ob ein Esel geboren würde! Er hat mich also verstanden, wenn ich auch nichts gesagt habe. - Gewiss wäre es schön, wenn man sich als Sohn eines echten, die Nachahmung oder Nachfolge herausfordernden Vaters zu erkennen vermöchte. Doch wie kann mans, wenn der Vater sich selbst nicht erkannt hat? Eine ganze Generation, die einem Verbrecher Beifall geklatscht und ihm als Vater zugejubelt hat! Ihm, diesem Mörder, nahe zu sein und ins Gesicht schauen zu dürfen oder gar von ihm einen Blick aufzufangen, war das Größte, was man sich ausdenken konnte. Und keiner erkannte, dass dieser von allen geliebte Vater nichts weiter war als ein gemeiner Verbrecher, ein feiger Meuchelmörder und Hurensohn, der nur das eine Handwerk beherrschte, Aufträge zu verteilen, andere abschlachten zu lassen aus niederträchtigen Instinkten. Wen wundert es also, dass uns verwehrt war, uns als Sohn eines hochgearteten Vaters zu erkennen? Entwurzelt und ausgerissen sind wir über die Erde gegangen, eingezwängt in den Terror, mit dem heimlichen Wunsch, Reiß-aus zu nehmen. Mag mir der Geist meines Vaters gestohlen bleiben mitsamt dem Konterfei meiner Mutter oder wer sonst noch Anspruch auf mich erheben mag.

(Bernhard hört jetzt vom Haus her Hundegebell.)

Hunde bellen. Sie haben mich bemerkt. Oder andere haben mich bemerkt und haben ihre Hunde darauf aufmerksam gemacht. Was für ein genialer Einfall! Hundegebell als Abschiedskonzert für mich, einen der größten Analytiker und Dichter deutscher Zunge! Fehlt nur noch, dass sie ihre Hunde auf mich loslassen, weil sie Angst haben, dass ich ihnen ihre Speckseiten klaue. Doch nur keine Angst. Ich klau euch nichts. Damit mir aber auch eure Köter nichts klauen, will ich mich für den Ernstfall rüsten. (er besorgt sich einen Stock). Und nun herbei ihr Tyrannen, die ihr euch als die Väter der Menschheit habt vergotten lassen! Herbei mit euren Sklaven und Hunden! Herbei, ihr Schinder, ihr Galgenstricke, herbei ihr Henker und Helden der Genickschusspistolen! Kommt und nehmt Rache an mir, weil ich euch geschmäht habe, wenn ihr den Mut dazu habt! Heraus mit dir, du Höllenbrut, heraus, wenn du die Courage dazu hast! - Doch kaum hat man sich bewaffnet, versinkt der Feind in Kleinmut und Ängstlichkeit. Niemand ist mehr zu sehen oder doch? Nur noch die Hunde sind am Jaulen. Sie scheinen andere Probleme zu haben, als dass sie darum bettelten, hinausstürzen und mich zerreißen zu dürfen. Vielleicht, dass man nun diese Hunde erschießt, wenn man keine Menschen mehr erschießen darf? Ich selber habe doch einige Zeit in der Nähe eines Tierasyls gewohnt, mit einem komfortablen Hundevernichtungskeller. Wie oft bin ich nicht dort gestanden; und wenn ich auch nicht in den Keller sehen konnte, so schien mir doch, sobald ich nur dieses Gejaul hörte, als ob ich alles sähe.

Dort oben auf dem Dach, das Täubchen freilich, das das gurrt und nach mir ausschaut, stört sich wenig am Los der Hundebrüder. Doch nein, es ist ja ein Kätzchen, das jetzt auch noch verschwindet!

Ja, wenn ich dieses Stück zu schreiben hätte, durch das ich jetzt schreite, und ich wäre nicht ich, d.h. ich könnte mir gefahrlos zuschauen, so würde ich jetzt den Unbekannten auf die Bühne bringen. Als Bauer! Das passte gut zu diesem letzten Haus in der Gemarkung Braunau. Und dann würde ich mir hier, wo die Siedlungsfläche endgültig dem ewigen Eis und Schnee weicht, noch einmal das Frl. Büstner zu Gesicht bringen, sagen wir, als junge Bäuerin, wie sie aus dem geraniengeschmückten Fenster herausschaut, mich mit einem versonnenen Stifterblick noch einmal, ein letztes Mal, in mein allerletztes Verhängnis hinein zu ködern. - Mag sein, dass die kleine Köder-Büstner zu mir gepasst hätte, wenn ich ihr etwas früher begegnet wäre, damals als sie mich fragte, ob ich es für unmöglich hielte, in der Ferne eine neue Existenz aufzubauen. Vielleicht hätte ich ihr da sagen sollen "Komm mit!" Und wir hätten uns irgendwo in der Welt eine gemeinsame Hütte erbaut. Andererseits aber bin ich auch froh, nicht angebissen zu haben. Was weiß ich, was mich ängstigt vor ihr. Es genügt schon, dass ich mir diese Köder-Büstner zusammen mit diesem Hausmeister-Onkel vorstelle, so nimmt sie Züge an, die mich an die Listen Delilahs erinnern. Wie, wenn diese Köder-Büstner gar keine Frau wäre? Wenn es sich um einen Transvestiten handelte oder um einen Mann, der sich vorübergehend einen Frauenkörper zulegt, um meine ohnedies nur sehr schwachen Gefühle zu verhöhnen? Selbst aber, wenn die Köder-Büstner meinen Argwohn nicht verdient haben sollte, trauern werde ich nicht um sie!

Immerhin liegt das Bauernhaus jetzt hinter mir! Oder etwa nicht? (er wendet sich um und schaut noch einmal auf das Haus) Es ist noch immer dort, wo ich es verlassen habe. Und doch ist mir, als hätte ich nur flüchtig hingeschaut und die eine Hälfte falsch, die andere aber gar nicht gesehen. Jawohl, da sehe ich doch jetzt erst den Eingang, sehe, dass er von oben her erreicht wird. Als ob er nicht für Menschen, sondern für Götter bestimmt wäre, die vom Himmel herab kommen. Götter oder Halbgötter. Und dann das Schild mit der Aufschrift ?Zum Jagdhaus der Heimat? . In großen schwarzen Buchstaben in der Sütterlinschrift. Heimat! Ah, dass mir bei dem Wort immer die Leute von der Gestapo einfallen,. Das Wort Heimat haben sie jedenfalls gepachtet, ja darüber hinaus auch verunstaltet, dass ich nicht anders kann, als mir Leute von der Gestapo vorzustellen, die in dem Haus da drin wohnen, von denen niemand etwas weiß, vielleicht als Jäger getarnt, die nur auf die Wiederkunft Hutlers warten. Doch still, still. Weg mit diesen abscheulichen Gedanken, weg mit diesen Anfechtungen. Dass wir erleben, was wir uns einbilden, davon kann jeder ein Liedlein singen. Aber dass wir auch wahrnehmen, was wir uns einbilden, das wissen nur wenige. Und die etwas darum wissen, meinen, dies bleibe auf die Kleinkinder beschränkt. Ich sehe dieses Haus da und denke an nichts, will an nichts denken, schon gar nicht an etwas Arges. Aber längst hat es in mir zu denken begonnen; ob ich mir auch ein Idyll dazu einfallen lasse, ob ich mich auch in Glücksgefühlen ergehe, lauert schon der Satan hinter den Fensterscheiben. Geh ich rasch weiter! Geh ich den Weg zu Ende, auf dass es ruhiger wird um mich und stiller in mir und Ruhe und Ordnung wieder einziehen in meine Brust und ich den Weg finde, der mich weiter führt. Leben, das heißt ja doch letztendlich, alles, aber auch alles, bis auf die letzte Katastrophe ruhig und gelassen hinter sich zu bringen, jeden Tag, jede Stunde, jeden Augenblick. Die Kindheit mit den kaum je verstandenen Eltern, die Schule mit all den Vermittlern von Wesenlosem, den Staat und die Gesellschaft mit ihren trüben aufgeblasenen Trauergestalten; endlich aber auch, sofern man sich zu einer eigenen Familie aufgerafft hat, das Weib und die Kinder, um dann ganz am Schluss auch noch sich selber hinter sich zu lassen. Oder lässt sich eine liebe lange Ewigkeit ausdenken, die man mit sich, geschweige denn, auch noch mit anderen zusammen wäre? Immerfort sich mitteilen müssen und Mitteilungen empfangen, damit es einem nicht langweilig wird; und dann immer müder werden und noch müder, tödlich müde, wie der Tithonos? Mag mir einer Lust auf den Himmel machen, wenn er es schafft! Besser ist allemal, gar nicht an so etwas zu denken.

(er eilt wie besessen und blind bergauf)

12. Akt: Wie Bernhard in die Fänge der Leute vom Jagdhaus der Heimat gerät

1. Szene: Vor dem Kontrollhäuschen

(Ohne es zu ahnen, steht er plötzlich vor einem Kontrollhäuschen, wie im Bahnhof. Ein Grenzposten eilt heraus)

Grenzposten: Mein Herr! Wohin so eilig? Hat er das Schild nicht gelesen?

Bernhard: Was für ein Schild?

Grenzposten: Dass man sich der Grenze Österreichs nähert und dass man anhalten muss?

Bernhard: Man kann sich kaum mehr um die eigene Achse drehen, schon stößt man an die Grenze.

Grenzposten: Wenn da steht: Stehen bleiben, dann hat er stehen zu bleiben. - Hat er etwas zu verzollen bei sich? Schnaps, Zigaretten, Schokolade?

Bernhard: Ich sagte mir gerade, dass ich außer meinem Leben nicht mehr viel zu verlieren habe. Folglich bring ich außer meinem Leben nichts mit. Darf ich nun weiter?

Grenzposten: So ist ihm sein Leben nichts wert?

Bernhard: Für das bisschen Leben, das wir zu verleben haben, zahlen wir alle mit dem Tod. An diesem Gesetz wird keiner rütteln. (will weiter)

Grenzposten: Bleib er stehen! Ich warne ihn! Ich sage es ihm jetzt nicht mehr im Guten.

Bernhard: Aber ich bin doch gar nicht weiter gegangen, wiewohl ich es für eine Schikane ansehe, dass ich noch länger aufgehalten werde. Zwar sitzen Sie hier im Dienst und warten auf das Dienstende; doch muss ich dazu herhalten?

Grenzposten: Lass er das blöde Witzeln.

Bernhard: Der Herr trägt noch immer die N.S.-binde? Aus Jux? Das ist gefährlich. Oder etwa zur höheren Legitimation?

Grenzposten: Wie heißt er? Wo kommt er her? Wo hat er den Tag begonnen?

Bernhard: Gewinnt meine Identität dadurch, dass ich darauf heute schon zum 20ten Mal antworte?

Grenzposten: Mein Herr!

Bernhard: Wären wir nicht noch in den Österreicher Alpen, so wollte ich mir einreden, ich wär auf der Insel der Dichter gelandet und der Totenrichter befragte mich..

Grenzposten: Nun, wird?s bald?

Bernhard: Aber bitte, mein Herr. Was wollen Sie nun also wissen, was ich Ihnen mit wenigen Worten sagen kann? Mein Name ist Thomas Bernhard. Ohne zu übertreiben und mich ins Reich von Dichtung und Wahrheit zu verirren, darf ich sagen, dass ich ein weltweit anerkannter Schriftsteller bin, wenn ich mich auch viel zu lange in der unfruchtbaren Gebirgs- und Geisteswelt Österreichs herumgetrieben habe.

Grenzposten: Wo kommt er her?

Bernhard: Darauf hätten wir viele Antworten zu geben. Zum ersten komme ich aus dem Schoß meiner Mutter, wenn ich nicht noch weiter in die Vergangenheit zurück soll. Ich weiß, das scheint Ihnen trivial; ist es aber gar nicht, auch wenn jeder so zu beginnen hat. Ich will nicht behaupten, dass ich mich daran erinnere, wie sie mich aus sich herausstieß, und doch dünkt mich, dass ich mich weigerte, das Licht der Welt zu erblicken.

Grenzposten: (steckt sich eine Pfeife an) Aha!

Bernhard: Man könnte durchaus behaupten, dass die Vergangenheit neben unseren eigenen winzigen Anstrengungen das aus uns gemacht hat, was wir sind, wozu freilich neben unserer biologischen Ausstattung auch das kulturelle Erbe gehört, dann auch die gesellschaftspolitische Geschichte Europas, die Geschichte der Donaumonarchie. Je tiefer wir in der Vergangenheit suchen, umso unerbittlicher und unausrottbarer wird unser Anteil, unser Erbe und unsere Belastung, so dass unsere eignen Bemühungen, ein guter Mensch zu werden, sich fast schon lächerlich dagegen ausnehmen.

Grenzposten: Er hört sich gerne reden?

Bernhard: Eigentlich wär ich lieber schweigsam an Ihrem Grenzhäuschen vorbeigegangen. Doch Sie hielten mich auf und verlangten von mir Antworten auf Ihre Fragen. Nun aber wollen Sie offenbar nur hören, was man sich als Grenzposten zu hören wünscht und was man dienstlich verwenden kann. Nun denn, so sag ich ihm: ich bin missraten. Und der Grund dafür ist die Welt. Weil ich nämlich in einer total missratenen Welt zur Welt kam. Alle sind wir missraten. Auch Sie, mein Herr, auch wenn Sie das leugnen und als eine Amtsbeleidigung auffassen. Oder wann je hätte man mit einem Amtsinhaber reden können? Heißt es nicht irgendwo: Und kommt der Hund im Amt heran, gehorcht ihm jeder Untertan? Ja, je weniger wir uns missraten vorkommen, umso schlimmer ist es um uns bestellt. Dies gilt insbesondere für alle, die im Staat und in der Gesellschaft eine gewisse Vorbildfunktion für sich beanspruchen wie Lehrer und Ärzte und Geistliche und Politiker und Richter.

Grenzposten: Er kommt allein des Weges?

Bernhard: Das sehen Sie doch.

Grenzposten: Einsame Subjekte sind gefährlich. Sie haben zu viel Zeit, sich etwas Abscheuliches auszudenken.

Bernhard: Es ist ein sehr weites Feld, das sich hier auftut. Die Einsamkeit ist unser Schicksal. Und wenn man es verabsäumt, mit dem Kind zu sprechen und ihm zuzuhören, oder wenn gar das Zeitalter in seiner Ratlosigkeit nichts mehr mit dem Kind anzufangen weiß: was bleibt ihm dann anderes übrig, als mit sich selber Gespräche anzufangen? Der monomane Monolog ist die Folge. Er hat nichts mehr zu tun mit jenem Kreisen um den alten Turm bei Rilke. Allenfalls noch etwas mit dem Turm bei Kafka, sofern man von dessen höherer Metaphysik absieht, wie er sie im Hungerkünstler und in der Strafkolonie mitschleppt oder wie sie sich Kierkegaard im Begriff der Wiederholung erträumt. Ich sage das nur, falls Sie etwas von der neueren Philosophie und Literatur verstehen sollten. Hier könnte man auch Camus nennen, mit der Neuentdeckung und Neueroberung des Sisyphus.

Grenzposten: Und wo zieht es ihn nun hin?

Bernhard: Wie soll ich das beantworten?

Grenzposten: Sie haben doch ein Ziel.

Bernhard: Weg aus Österreich. Nach Italien zuerst einmal. Vielleicht auch nach Israel.

Grenzposten: (indem er von nun an zum Haus hin immer wieder Zeichen mit der Hand gibt, bis man Franz und Willem sieht, die herbeikommen) Das ?Vielleicht? war das beste aller von ihm bislang vorgebrachten Worte. Da erkennt man den Denker. Den Mann, der weiß, dass die Zukunft von vielen Faktoren abhängt.

Bernhard: Kann es sein, dass Sie mit dem Haus dort und den Leuten drunten beim Friedhof in Verbindung stehen?

Grenzposten: (er winkt auf das Haus zu) War er nicht derjenige, der die Lächerlichkeiten des Menschen und des menschlichen Lebens abkonterfeit hat, dass man ihn beinahe den Klassiker des Lächerlichen nennen könnte?

Bernhard: Soll das eine Schmeichelei sein?

Grenzposten: O nicht doch. Ich bereit ihn nur auf unschmeichelhafte Ereignisse vor.

Bernhard: Worauf bereitet er mich vor? ? Aber er hat keine Zeit; er ist im Amt, im Dienst. "Dem Hund im Amt" heißt es irgendwo bei Shakespeare. In der Tat. Wenn man im Dienst ist, hat man ein Dienstgesicht. Eine Haltung wie im Dienst. Eine Verantwortung wie im Dienst. Kalt und unmissverständlich, sicher und unanfechtbar, endgültig und unwiderruflich, als wäre alles schon in Erz eingemeißelt. Dienst ist nichts anderes als die ungeheuerliche und gefährliche Besorgung von Notwendigkeiten. Dabei weiß ich gar nicht, warum mir dieses Arme schwenken so lustig vorkommt. Vielleicht um die Opfergeister herbeizulocken? Oder um die Opfergeier zu verscheuchen? Was für eine lustige Sprache ist doch die deutsche Sprache. Opfergeier reimt sich auf Ostereier. Sag mir nur niemand, das habe keinen tieferen deutschen Sinn. Das kann nicht zufällig sein. Im Chinesischen wär das zufällig. Aber im Deutschen nicht. Ja, meine Herren Deutschland darf stolz sein, dass ihm in seiner Sprache das Welträtsel eingeritzt ist. Was, so heißt dieses Rätsel, wird aus den Ostereiern, wenn sie die Opfergeier ausgebrütet haben? Oder, wenn Sie das Rätsel lieber in modernem Gongorismus hören wollen: Was wird aus den Ostereiern, wenn sie die Opfergeier ausbrüten? Etwa die Auferstehung der Toten und das ewige Leben?

2. Szene: Bei der Grenze

(Der Posten ruft Verstärkung herbei. Franz und Willem kommen herbei. Bernhard eskortiert von Franz und Willem nähert sich der Grenze.)

Grenzposten: Hier ist er! Wie die Mücke in den Sonnentau ist er mir auf den Leim geflogen.

Bernhard: O, die Herren Jäger oder vom Militär oder aus dem Kaiserhaus, die kenne ich doch schon! Aber ich habe die Jäger noch nie gemocht. Ebenso wenig wie die Metzger aus dem Schlachthaus.

Grenzposten: Respekt, mein Herr! - Majestäten, seien Sie mir gegrüßt.

Franz: Ist er das?

Grenzposten: Jawohl, Majestät!

Franz: Mitkommen!

Bernhard: Wohin?

Grenzposten: Respekt, mein Herr!

Bernhard: Ich habe die Jäger noch nie gemocht. Das hab ich doch schon gesagt. Ich misstraue ihnen.

Grenzposten: Man kann nicht alles lieben, wohl aber respektieren.

Willem: Ja wird?s nun bald?

Bernhard: Darf ich sagen, was mir dazu einfällt?

Franz: Mitkommen, haben wir gesagt!

Bernhard: Ich eile ja schon. Sehen Sie doch! Festino, propero, appropinquo. Und dennoch muss es heraus. Dass mich der Auftritt der beiden Herren an einen Leitfaden erinnert, der da lautet: vom blitzeschleudernden Zeus bis zum säbelrasselnden Kaiser.

Grenzposten: Kommt der Führer Adolf Hutler auch?

Willem: Er wird gleich da sein. Wir sollen den Verräter nur eben noch hinauf führen bis zum Galgenfels.

Franz: Er muss nur noch ein paar Hunde erschießen.

Grenzposten: Dann kann sich der Herr ja schon mal auf sein Schlussgebet vorbereiten. Ihr Engelsscharen eilet mir zur Hilfe. Aber da kommt er ja schon!

Franz und Willem: Mein Führer!

Franz: Sind die Hunde erledigt? Dürfen wir Ihnen gratulieren?

Hutler: Erledigt für immer. Die nächsten häng ich aber wieder auf, und zwar zu zweien, damit ich mich dran weiden kann, sooft ich mir abends vor dem Zubettgehen den Film anschaue.

Franz: Variatio delectat, nicht wahr, mein Führer!

Willem: Und ein wenig stolz auf sich darf man ja wohl auch sein, wenn man gute Arbeit geleistet hat.

Hutler: Ein Exempel für alle, die sich warnen lassen. Und der Landesverräter da? Wohl auf der Flucht ins Ausland ertappt?

Franz und Willem: Immer haben wir es gesagt, unserem Führer entgeht nichts.

Hutler: Wenn Sie den Mann noch rasch zur Landesgrenze führen. Den Rest erledige dann ich.

Willem und Franz: Sehr wohl, mein Führer!

Franz: Haben wir dann gut gearbeitet?

Willem: Und werden wir dann wieder in unsere Ämter eingesetzt?

Hutler: Das wird sich zeigen. Gehen Sie mit dem Landesverräter voraus! Sie wissen ja.

Franz: (zu Willem) Hast du gehört. Wie ich gesagt habe; mehr ist im Augenblick noch nicht drin. Man kriegt halt nichts umsonst.

Willem: Strengen wir uns an! Das Ziel ist der Mühe wert. ? Also komm! Oder hat er nicht gehört, was unser Führer gesagt hat?

Franz: (zu Bernhard) Und dass er ja nicht glaubt, uns entfliehen zu können!

Willem: Wenn er glaubt, uns entfliehen zu können, so täuscht er sich gewaltig.

Bernhard: Wo mir die Majestäten doch den rechten Weg weisen. Vergnügt verlasse ich das Land der Barbaren.

Franz: Dabei ist er doch ein Schriftsteller, ein Dichter!

Bernhard: Ich verabscheue Dichtung als Anpassung und als Anbiederung ans Establishment. Nil admirari beachte ich vor allem den Würdenträgern gegenüber, die immerfort meinen, jedermann müsse den Atem anhalten, wenn sie kommen.

Willem: Hier geht es weiter. Oder sieht er nicht den Berggrat? Man kann ihn ja fast schon mit Händen fassen!

Bernhard: Besten Dank. Aber das schaff ich schon noch allein.

Franz: Wenn er da herunter nach Jugoslawien kommt, mag sein, dass er das Glück hat, auf ein paar Ustaschas zu treffen, und dass die ihn mit sich nehmen und ihm Geleit geben durch das Paradies des Herrn Tito! Zu lange aber sollte er kein Wasser in die Drau tragen! Auch über Brücken sollte er sich stets nur im Eiltempo und unbemerkt bewegen. Nicht dass es wieder zu einem Massaker kommt und der Fluss rot anschwillt vor Blut.

Willem: Wenn er flott weitermarschiert und alles gut geht, gelangt er in einem halben Jahr ins heilige Land, wie mein Urahn, der Kaiser Barbarossa.

Franz: So, da wären wir! Den Hackstock hätten wir erreicht.

Willem: Von dem Hackstock haben wir ihm nur nichts gesagt, um ihm den letzten Aufstieg zu erleichtern.

Franz: Aber dass er nur nicht meint, hier würde man Hühnern den Kopf abhacken.

13. Akt: Wie Hutler das Ende besorgt

Hutler: (der hintennach gegangen ist, zu Bernhard) Nun, mein Herr? Ist er zum Opfer bereit?

Bernhard: So geht es jetzt mit mir zu Ende?

Hutler: So ist es.

Franz: Doch mach er sich nur keine Hoffnung.

Willem: Die meisten Leute sind nämlich gespannt auf das Ende; aber das Ende gehört zumeist mit zum Banalsten, was man sich vorstellen kann.

Bernhard: Lächerlichkeiten gehen nur selten seriös zu Ende.

Hutler: Hat er sonst noch etwas zu sagen?

Bernhard: Dass man keine Metaphysik braucht, um das Opferwesen zu begreifen. Es lässt sich leicht empirisch soziologisch verstehen. Der Außenseiter wird zertrampelt. Nicht dass ich das nicht gewusst hätte. Aber ich habe mich getäuscht. Ich hoffte auf eine Allianz mit der Israelitischen Kultusgemeinde.

Hutler: Und sonst noch was?

Bernhard: Das Beste ist das Gespräch. Da wir aber nicht fähig dazu sind, ein Gespräch zu führen, so bleibt uns nichts übrig bleibt, als Monologe zu halten, bis wir verschwinden. Mehr habe ich nicht zu sagen.

Franz: Dann geb er sich Mühe, für die nächsten drei Sekunden den Atem anzuhalten. Das erleichtert ihm die Sache. Den Rest der Ewigkeit muss er sich dann keine Mühe mehr geben.

Willem: Unser Führer! Walten Sie Ihres Amtes!

Franz: Löschen Sie ihn aus!

Willem: Ja, gib ihm endlich den Fang!

Hutler: (gibt Bernhard einen Stoß.)

Franz und Willem: Ein erbärmliches Ende.