{ Grüezi mitenand }

Literatur von Martin Ganter

Personen

Präsident Werner Vätterli

Hasenjäger, Sekretär von Vätterli

Frank Fränkli, Präsident der Schweizer Banken und Finanzminister

Hänsli, Fränklis Neffe und Fac-totum

Fritz Prüfli, Verteidigungsminister der Schweiz

Anführer der Leute (sein Adjutant)

Frau Tschudi vom Schweizer Kulturverein

Journalistin aus den USA

Professor Mahlzahn, Mitbegründer einer patriotischen Front

Gerhard Streber, Student

Jakob van Gunten, Student

Robert Tanner, Student

Else Kleinfrick, Studentin

Rösselmann, Student

Eine Bischöfin

Ein Imam mit Mädchen und Frauen

Pilat, Finanzminister von Deutschland

Kiefer

Kaiser

Mäntele

Kinski

Ruch

4 Steuerflüchtlinge

Weitere Steuerflüchtlinge (Bankier Raab, Installateur Spitzer, Dr. med Scheer, Krankenkassenboss Wintermann)

ein Irrer

ein Leierkastenmann

Polizisten

Polizeianführer Krapf

Sein Vice

Leute des Volks

Inhalt

1. Kapitel: Auf dem Rütli

1. Abschnitt: Frau Tschudi vom Schweizer Kulturverein mit einer Journalistin J. aus den USA im Gespräch.

2. Abschnitt: Wie Prof. Mahlzahn mit seinen Studenten heraufkommt.

3. Abschnitt: Ein Zeppelin bringt den Präsident Vätterli

2. Kapitel: Ein Lager mit Wachtturm im Wald

1. Abschnitt: Pilat kommt vom Wachtturm herab.

2. Abschnitt: Wie Steuerflüchtlinge herbeikommen.

3. Kapitel: Am Vierwaldstätter See.

1. Abschnitt: Frau Tschudi vom Schweizer Kulturverein kommt mit der Journalistin aus den USA zum See herab.

2. Abschnitt: van Gunten und Tanner kommen dazu

3. Abschnitt: Professor Mahlzahn kommt mit den restlichen Studenten.

4. Abschnitt: Aus dem Wald kommt der Kleinunternehmer

5. Abschnitt: Wie Frau Tschudi und die Journalistin aus den USA den Mississippidampfer entdecken.

4. Kapitel: Offener Platz oben im Wald mit Ausblick auf den Vierwaldstätter See.

1. Abschnitt: Fac-totum kommt auf einem Motorrad an und übt sich mit Pfeil und Bogen als Tell

2. Abschnitt: Wie der Schweizer Verteidigungsminister versucht, den Dampfer zu entfernen.

3. Abschnitt: Wie Prüfli dem Fac-totum begegnet.

5. Kapitel: Des Pilat Lager bei der Zwing-Uri-Ruine

1. Abschnitt: Pilat kommt zurück und informiert seine Leute über das Kommen Prüflis.

2. Abschnitt: Wie Prüfli ins Lager kommt und weitere Steuersünder ins Netz gehen.

3. Abschnitt: Wie Pilat und Prüfli aufeinander treffen.

6. Kapitel: Im Präsidentenpalais neben der Bank. Davor der Tell-Platz

7. Kapitel: Vor dem Einbruch der Nacht. Der Tellplatz vor dem Regierungsgebäude und den Banken

1. Abschnitt: Wie der Imam erscheint.

2. Abschnitt: Wie Pilat von den Steuersündern denunziert wird.

3. Abschnitt: Krisenbewältigung

1. Kapitel: Auf dem Rütli

1. Abschnitt: Frau Tschudi vom Schweizer Kulturverein mit einer Journalistin J. aus den USA im Gespräch.

J.: Und das dort sind die Rütliwiesen?

T.: Jawohl, das ist das Rütli mit seinen Rütliwiesen.

J.: Und da hat der berühmte Rütlischwur stattgefunden?

T.: So ist es.

J.: Schrecklich jene Zeiten, wo ein Geßler gehaust hat.

T.: Es waren allerdings schreckliche Zeiten.

J.: Immerhin ist seit dieser Zeit die Schweiz ein freies Land.

T.: So kann man sagen.

J.: Und das dort drüben! Das ist der Pilatus? Wie der Berg zu diesem seinem Namen kam? Die Eidgenossen haben ihn wohl so benannt.

T.: Genaueres wissen auch wir nicht. Doch ist klar, dass er erst mit der Siedelung der ersten Christen zu dem Namen gekommen sein kann.

J.: Was für ein Ort hier im Kreis der Alpengiganten! Zittern und Schaudern überkommen mich, wenn ich bedenke, wo ich stehe, als müßte der Himmel noch einmal seine Tore öffnen und Gottes Stimme zu uns sprechen.

T.: Vielen, die zu uns kommen, ergeht es so.

J.: Und auf dieser geheiligten Fläche findet das nächste Tellfest statt?

T.: Am 1. August, unserem Nationalfeiertag. Dabei schmeichle ich mir, ganz wesentlich mit dazu beigetragen zu haben. Bis dato noch durfte hier nämlich überhaupt kein öffentliches Schauspiel stattfinden, gleichsam um die alten Geister jenes Schwurs nicht zu stören.

J.: Dann geh ich gewiß nicht fehl, dass Sie gewichtige Gründe ins Feld geführt haben.

T.: Das kann man wohl sagen. Darf ich Sie fragen, auch wenn Sie für gewöhnlich als Journalistin die Fragen stellen: darf ich Sie fragen, was der liebe Gott am dritten Tag erschaffen hat?

J.: Etwa die Schweiz?

T.: Das wäre wohl vermessen.

J.: Die Vereinigten Staaten von Amerika?

T.: Dafür bin ich nicht zuständig.

J.: Dann sagen Sie es mir!

T.: Am dritten Tag erschuf Gott die Grenzen.

J.: Die Grenzen?

T.: Jawohl, die Grenzen.

J.: Und was hat das zu bedeuten?

T.: Ohne Grenzen keine Sehnsucht nach Freiheit. Früher mag das einmal gewesen sein, als man sich auf die splendid isolation verließ, dass man die Grenzen kaum wahrnahm. Damals als noch jedes Land für sich und bei sich zuhause war. Es ist noch gar nicht so lange her, da soll ein Philosoph von uns gesagt haben, Grenzen seien dazu da, übertreten zu werden. Sobald Sie in einem Märchen von einem Verbot hören, dürfen Sie immerhin sicher sein, dass es auch bald schon übertreten wird. Es könnte also durchaus des Menschen Schicksal sein, immer wieder Gebote und Verbote in sich zu vernehmen, um an ihnen zum Verbrecher zu werden.

J.: Das klingt ziemlich kühn.

T.: Den Schweizer zieht es immer wieder zu seines Landes Grenzen, und wenn er sie auch übertritt, sei es in unerlaubten Gedanken oder als Reisender in ferne Länder, so kehrt er doch immer wieder zurück, um in seinem Vaterland die Freiheit auszuhalten.

J.: Das werd ich mir wohl noch etwas durch den Kopf gehen lassen müssen.

T.: Nebenbei bemerkt hat die Schweiz im Verhältnis zur Landesfläche eine der längsten Grenzen auf der Erde. Das hieße dann, dass wir uns als eines der freiheitsliebendsten Völker der Erde zu bewähren haben. Ob wir uns dieses Umstandes bewußt sind, steht freilich auf einem anderen Blatt. Zumal in der letzten Zeit hab ich den Eindruck, dass der Kampf um unsere Freiheit besonders anstrengend geworden ist. Immer wieder gehen unsere Gedanken über die Grenzen, um nachzusehen, was die anderen über uns denken. Mitunter mein ich sogar, dass man im Gegenzug dazu über unsere Grenzen zu uns herein schaut wie über einen Gartenzaun. Und dass ichs nur sag: auch Geldanleger und zwielichtige Gestalten dringen bei uns ein. Man hält sie allgemein bei uns für Freunde; was sie für uns aber in Wahrheit sind, ist nur schwer zu sagen. Jedenfalls ist die Zeit der uns so teueren Unbefangenheit dahin! Dahin die Zeit, wo wir Schweizer für uns allein in unserer lieben Schweiz waren.

J.: Sie ängstigen sich, weil die Freiheit der Schweiz wieder auf dem Prüfstand steht, fast wie damals bei der Gründung der Eidgenossenschaft?

T.: Nur dass man den Gessler noch nicht so recht erkennen kann. Wir wissen nur, dass es ihn gibt, nicht aber, wo er sich auffinden läßt.

J.: Auch bei uns in Amerika steht die Freiheit schon längere Zeit auf dem Prüfstand. Oder kann ein Land stolz sein auf seine Freiheit, wo man abends nicht unbewaffnet auf die Strasse hinaus kann und wo kein Tag vergeht, an dem nicht in jeder der Großstädte ein Mord geschieht? Oh und dann habe ich die brennenden World-Trade-Center gesehen. Es war schrecklich. Mir genügt schon das Wort, um Angstzustände wachzurufen.

T.: So schlimm ist es hier zum Glück noch nicht. Was uns indessen fehlt, das sind Regeln und Gewissheiten, wie wir uns diesen Gessler vom Leib zu halten haben. Nun sagt man zwar gewiß nichts Falsches, wenn man sagt, wir hätten nur immer zu tun, was der Schweiz nicht schadet. Doch damit sagen wir eben auch nicht viel. Denn was schadet der Schweiz und was schadet ihr nicht? Und was für eine Freiheit brauchen wir? Wenns was kostet, schadet es dann? Und wenn es was einbringt, ist es dann nutz? Brauchen wir eine billige oder eine teuere Freiheit? Wenn uns aber die Freiheit teuer zu stehen kommt, woher nehmen wir dann das Geld?

J.: Wenn nur der Staat nie vom Geld abhinge! Ganz ausschließen läßt sich das aber leider nicht. Aber dunklen Geschäften sollte der Gesetzgeber möglichst einen Riegel vorschieben!

T.: Auch wenn wir in die Armut gerieten und unfrei würden?

J.: Alles Risiko freilich läßt sich nicht vermeiden, man müßte denn jeden Profit verbieten.

2. Abschnitt: Wie Prof. Mahlzahn mit seinen Studenten heraufkommt.

Streber: Das ist aber ein schöner Platz. Hier also werden wir im nächsten Sommer spielen? Das wird schön werden, wenn wir beim Sonnenaufgang den Aufgang der Freiheit feiern. Ich kann es kaum mehr erwarten!

Baumgartner: Du hast es auch gut. Du darfst den Tell spielen. Hätte Prof. Mahlzahn die Rollen nach dem Können verteilt, so hättest du sicher nicht die Tell-rolle bekommen.

Streber: Da bin ich mir aber nicht so sicher.

Baumgartner: Aber ich!

Streber: Immerhin bist du als Baumgartner auch nicht schlecht weggekommen. Kannst dich ins Boot des frommen Manns stecken und wirst bewahrt vor dem Schlag des Bösen.

Anderer Student (der den Gessler spielt): Und was soll ich sagen, als ausgemachter Bösewicht? Mag sich doch der Gessler selber spielen! Wenn ich dran denke, wie jedermann voll Wut und Hass auf mich schaut! Zumal, wenn ich dem Tell befehle, den Apfel vom Kopf des eigenen Knaben zu schießen, muss ich mich da gar noch vor mir selber in acht nehmen, dass ich nicht den Hass auf mich krieg.

wieder ein Student: Gessler sein deprimiert allerdings.

Tanner: Du bist ja nicht der Gessler, du stellst ihn nur vor. Stets darfst du dir sagen: seht so ist der Böse!

T.: Das ist Herr Prof. Mahlzahn mit seinen Studenten. Wiewohl er es nur schlecht versteht, aus sich heraus und auf die Jugend zuzugehen, hat man ihm die ehrenvolle Aufgabe der Festspielleitung übertragen.

Streber: Herr Mahlzahn! Darf ich mal eine Probe geben, wie ich dem Gessler trotz?

Mahlzahn: Damit hats noch Zeit.

Streber: Und kämen Nattern und Ottern, Löwen und Drachen: ich schlüg sie tot, das könntet ihr sehen!

Mahlzahn: Ich muss euch jetzt etwas sagen. Großer Besuch ist nämlich im Anflug.

van Gunten: Das klingt ja wie zum Angst-bekommen!

Mahlzahn: Der Präsident der Eidgenossenschaft, Präsident Vätterli, hat sich angesagt! Er will sich ein Bild davon machen, ob das Rütli als Spielwiese taugt. Dabei wird er selbstverständlich auch uns in Augenschein nehmen. Ihr alle habt doch eure Rollen gut studiert und wißt, was die einzelnen Sätze bedeuten.

viele: Aber gewiß!

Mahlzahn: Er muss jeden Augenblick hier sein.

T.: Grüß Sie Gott, Herr Mahlzahn. Sind das Ihre Studenten?

Mahlzahn: Das sind meine Studenten. Die wollen endlich zeigen, was sie gelernt haben. Unser Präsident, Herr Vätterli, hat sich nämlich angesagt und nun bin ich etwas unruhig, ob auch alles gut geht.

T.: Unser Präsident hat sich angesagt?

Mahlzahn: Wenn auch gewiß nicht nur, um meine Klasse zu inspizieren...

T.: Das trifft sich gut. Hier hab ich nämlich eine junge Dame bei mir, eine Journalistin aus den Vereinigten Staaten, so dass es mir eine Ehre sein wird, sie an dieser Stelle mit unserem Präsidenten bekannt zu machen. - Prof. Mahlzahn, einer der Mitbegründer der patriotischen Front!

J.: Sehr erfreut.

T.: Sie war damals am 11. September in New York mit dabei, als das Unglück geschah.

Mahlzahn: Und hat am Schluß noch gar ein Opfer zu beklagen?

T.: Das zum Glück nicht. Aber sie hat Angst vor dem nächsten 11. September und mißtraut den Regierenden, den Gefahren vorzubeugen.

Mahlzahn: Man müßte die Grenzen ganz dicht machen, wie die Chinesen. - Doch da kommt ja schon der Zeppelin!

Studenten: Bravo Zeppelin! - Freiheit für Tell!

J.: Ist das dort der Präsident, der sich so kühn über die Reling beugt?

T.: Ja, das ist der Präsident der Schweiz. Wie herrlich er doch in der Sonne erscheint! Und die Fahne mit der Aufschrift: Freiheit für Tell. Diese Idee stammt von Prof. Mahlzahn!

3. Abschnitt: Ein Zeppelin bringt den Präsident Vätterli

(Ein Zeppelin bringt den Präsident Vätterli, seinen Sekretär Hasenjäger, den Präsident der Schweizer Banken Fränkli und den Verteidigungsminister Prüfli. Ohne zu landen, bleibt der Zeppelin etwas über Baumhöhe in der Luft.)

Mahlzahn (winkend): Heil dir, Präsident Vätterli! Heil dir, Vater der Eidgenossen. Schön, dass du kommst, dir ein Bild zu machen, ob das Rütli als Spielwiese taugt.

Streber: (memoriert aus III.1) Es ist nicht lange her,

da ging ich jagen durch die wilden Gründe

des Schächentals auf menschenleerer Spur,

und da ich einsam einen Felsensteig

verfolgte, wo nicht auszuweichen war,

denn über mir hing schroff die Felswand her,

und unten rauschte fürchterlich die Schächen,

da kam der Landvogt gegen mich daher,

er ganz allein mit mir, der auch allein war,

bloß Mensch zu Mensch, und neben uns der Abgrund.

Vätterli: Meine Damen und Herren, seien Sie mir an diesem uns allen so teueren Platz herzlich willkommen. Doch muss ich Ihnen gleich sagen, dass Sie es nur diesen meinen Begleitern zu verdanken haben, dass wir uns zu diesem Abstecher über das Rütli entschlossen haben. Leider nämlich habe ich im Moment so gut wie keine Zeit. Wichtige Aufgaben sind es, die auf mich einstürmen. Und wenn die Sache auch längst durch die Medien gegangen ist, statt streng geheim zu bleiben, so wissen Sie auch, dass es mir um nichts Geringeres geht als um die Sicherheit der von uns allen so geliebten Schweiz. Wahrscheinlich haben Sie auch schon vom Rückgang unseres Nationalguthabens gehört. Das aber ist nur die Spitze vom Eisberg. Von allen Seiten hagelt es auf uns Bedrohungen und Erpressungen, dass man kaum mehr weiß, wo einem der Kopf steht. Weil wir aber nichts Genaueres wissen und weil sich auch sonst nichts gezeigt hat, wogegen wir uns momentan zur Wehr setzen könnten, haben wir uns mit diesem Zeppelin auf die Fahrt begeben, alles, was immer Verdacht in unserem Land erregt, aufs genaueste zu registrieren. Dazu habe ich neben meinen Luftingenieuren noch zwei Gäste mit hinzugenommen, die mir behilflich sein sollen, die Schweiz kritisch zu durchmustern: den Chef der Schweizer Banken und Prüfer unserer Bilanzen, den Sie ja alle kennen, meinen lieben Freund Frank Fränkli, sowie den Chef der Schweizer Landesverteidigung, Herrn Prüfli. Und ist uns Herr Fränkli über viele Jahre hin schon bekannt als der beste Geldbeschaffer weit und breit und als Kontokorrentfachmann, der in der Lage ist, gleichsam schon heute die Geldströme von morgen zu erkennen, so dass ihm auch in Sachen Geldanlage keiner auch nur den kleinsten Handgriff voraus hat, so hat mein lieber Fritz Prüfli zwar noch nicht so viele Dienstjahre aufzuweisen; immerhin aber ist er ein Nachwuchstalent, der unsere liebe Schweiz, wie ich ziemlich sicher bin, auf dem rechten Weg in die Zukunft führt. Und hier, das ist mein Adjutant, Herr Hasenjäger, den ich erst jetzt nenne, weil er gleichsam ein Teil von mir ist.

Hasenjäger: Ita est.

van Gunten: Im Ausland wirft man uns aber Nationalegoismus vor.

Mahlzahn: Hören Sie nicht auf ihn, Herr Vätterli. Der junge Mann ist auch bei mir immer so vorlaut.

Fränkli: O junger Freund! Nichts ist leichter, als einen anderen zu beschuldigen. Motive dafür gibt es leider wie Sand am Meer. Überleg es dir aber einmal so, junger Freund: könnte die Schweiz einem anderen Land helfen, wenn sie selber der Hilfe bedürftig wäre? Muss sie also nicht selber prosperieren, um auch den anderen zum Wohlstand zu verhelfen? O, meine Damen und Herren, die Sie sich hier am Nabel der Schweizer Freiheit befinden: Vergessen wir nicht, dass mit dem Rückgang der wirtschaftlichen Möglichkeiten eines jeden einzelnen von uns auch unser aller Freiheit sich einschränkt. Wenn der Mehrheit der Bürger eines Landes nicht mehr das wirtschaftliche Existenzminimum zur Verfügung steht, befindet sich das Land im gesellschaftlichen Notstand. Dann aber wächst die Gefahr, dass der einzelne zum Faustrecht greift und eine Diktatur sich anbahnt.

van Gunten: Aber auch wenn alle Millionäre wären, wären Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit längst noch nicht an der Tagesordnung.

Mahlzahn: Aber so schweig doch, Gunten, wenn du sonst nichts weißt.

Kleinfrick: Ich finde den Einwand diskutabel.

van Gunten: Überhaupt ist mir das Bild einer Gesellschaft von armen Millionären widerlich!

Mahlzahn: Das ist doch unerhört, Gunten!

Kleinfrick: Aber er hat doch recht.

Fränkli: Nehmen Sie nur das Bankgeheimnis. Das ist wie bei den Spielern, die sich nicht in die Karten schauen dürfen.

Kleinfrick: Man kann auch mit gezinkten Karten spielen.

Vätterli: Es ist Zeit. Wir müssen wieder gehen.

Mahlzahn: So wär ich mit meiner Schar umsonst gekommen? Ein Probe, Herr Präsident!

Vätterli: Ich bin müde.

Hasenjäger: Ein Probe, Herr Präsident, sollten Sie den Zöglingen schon gewähren, zumal denen, die sich angestrengt und ihr Bestes gegeben haben. (leiser) Auch ist Herr Mahlzahn ein bedeutsamer Streiter der Regierungspartei. Schließlich darf man auch schon ein wenig an die nächste Wahl denken.

Vätterli: Nun denn!

Hasenjäger: So geben Sie uns ein Pröbchen, Herr Mahlzahn, doch seien Sie bitte bescheiden! Ein ganz kleines Pröbchen bitte nur!

Streber: Keine Figur von Schillers Tell ist so reich an Pröbchen wie der Tell selber. Der Tell hat jede Menge kurzer Stellen auf Lager, die selbst einem Mutlosen Mut machen: Was Hände bauten, können Hände stürzen! Das Haus der Freiheit hat uns Gott gegründet. Oder...

Mahlzahn: Sei still, Streber, oder auch du bist durchgeflogen! Ich lass mich von niemandem täuschen und wenn er der Tell wäre.

Streber: Ich kann auch eine Gesslerstelle zum besten geben.

van Gunten: Das wissen wir alle, Gerhard Streber.

Streber: Manchmal erbaut uns ein scharfer Kontrast.

Mahlzahn: Der Rösselmann soll beginnen. Und zwar bei der Stelle: "Bei diesem Licht, das uns zuerst begrüßt..."

van Gunten: Siehst du, Streber, das hast du jetzt wegen deines vorlauten Verhaltens.

Mahlzahn: Rösselmann!

Rösselmann: Bei diesem Licht, das uns zuerst begrüßt

von allen Völkern, die tief unter uns

schweratmend wohnen in dem Qualm der Städte,

lasst uns den Eid des neuen Bundes schwören.

Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,

in keiner Not uns trennen und Gefahr.

(alle sprechen es nach mit erhobenen drei Fingern)

Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,

eher den Tod als in der Knechtschaft leben. (wie oben)

Wir wollen trauen auf den höchsten Gott

und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.

Streber: Was ein rechter Schweizer ist, der fürchtet sich vor niemand in der weiten Welt. Vor keiner Meinung, keinem Urteil, keiner Schmähung, wenn er nur tut, was der Schweiz dient.

Mahlzahn: Da hast du allerdings recht, Streber!

Vätterli: Was sehen Sie, Fritz Prüfli?

Prüfli (am Fernrohr): Auch wenn wir schweren Zeiten entgegensehen, so denk ich, müssen wir den Ausnahmezustand noch nicht ausrufen.

Vätterli: Brav so! Macht nur so weiter! (sie fliegen weiter)

einer: Da sind sie schon wieder in der Luft!

wieder einer: In unserer lieben Schweizer Luft.

Mahlzahn: Ich bin zutiefst beschämt.

J.: Warum denn? Wegen der Einwände? Man hat doch nur versucht, seine Meinung in die Diskussion einzubringen.

Mahlzahn: Dazu ist genug Zeit, wenn der Präsident weg ist.

Tanner (schon beim Abwärtsgehen): Ist es nicht komisch, dass mir beim Gedanken an den Tellhut ein Hut in den Sinn kommt, in den man Geld tun soll?

van Gunten: Und ich hab immer dran denken müssen, als der Rösselmann seine Rolle zitiert hat, wie lustig das wäre, wenn eine Ladung Schrot in den Zeppelin führe, weil dann nämlich der Herr Präsident mit allen seinen Mannen eine Notlandung verrichten müßte.

Kleinfrick: Manchmal überkommen einen die absurdesten Einfälle.

J.: (die das mitangehört hat und mit T. im Abstieg begriffen ist) Es ist schon schrecklich, wenn man bedenkt, dass wir in einer Zeit leben, in der die Demokratie längst überholt ist. Oder wer trifft denn heute noch die Entscheidungen? Das Volk? Und dann die Kanzler und Minister? Oder die Berater der Kanzler und Minister? Kann denn das Volk überhaupt noch Kanzler und Ministerpräsidenten wählen, wenn diese sich blind und blauäugig auf die Expertisen von Kommissionen zu verlassen haben, um dann, wenn die Gutachten fehl geschlagen haben, die Hände in Unschuld zu waschen? Früher bedurfte es des Mutes der Verantwortung, heute bedürfte es zusätzlich noch einiger anderer Qualifikationen. Doch wie sehen sie aus und wer erbringt sie?

2. Kapitel: Ein Lager mit Wachtturm im Wald

1. Abschnitt: Pilat kommt vom Wachtturm herab.

Pilat:

Wer nur mit Mut und Kraft beginnt,

gar manchen prächtgen Sieg gewinnt.

So war das früher, als zum Streit

ein Feldherr zu sich rief die Leut

"Mit Gott und mit Sankt Michael!",

da waren alle gleich zur Stell.

Und war er siegreich mit dem Heer,

so bracht ihm das viel Ruhm und Ehr.

Doch leider ist der Weg heut weit

zu Recht und zu Gerechtigkeit.

 

Ziehst heut du aus zu Strauss und Streit,

kämpft nirgends dir ein Gott zur Seit.

Was du auch treibst, was du getrieben,

du hast zu tun, was vorgeschrieben.

Und fallen tausend neben dir,

kein Gott ist mehr dein Schutzpanier,

auch wenn du gleich der nächste bist,

es doch nicht zu beklagen ist.

Ja, wer den Buchstaben mißachtet,

der Buchstab nach dem Leben trachtet.

und hättst du auch den Feind vernichtet,

es nützt dir nichts, du wirst gerichtet.

Was einer wünscht, verlangt und fordert:

es nützt ihm nichts, er ist beordert

vom Kanzler oder Präsident:

Verfassung heißt sein Sakrament.

Ja, leider ist der Weg heut weit

zu Recht und zu Gerechtigkeit.

 

Drum, tief verstohlen in der Nacht,

hab ich mich auf den Weg gemacht

Kein Hund bemerkts, keine Menschenseele,

wenn morgen ich nicht da bin, fehle

bei unserer alten Kanzlerin

wie auch am Stammtisch in Berlin.

Ein Mordskerl aber bin ich doch,

und käm ich auch ins Kerkerloch:

denn dieses darf und soll nicht sein,

dass ich für etwas wär zu fein,

wärs schmutzig auch, es ist zu tun,

nicht lass ich meine Hände ruhn,

liegt es an mir, was vorzunehmen,

mag Lieschen Müller sich auch schämen.

Und schlief ich duldend überm Unrecht ein,

würd Unrecht Recht und jedermann gemein

Doch leider ist der Weg noch weit

zu Recht und zu Gerechtigkeit.

Meine Damen und Herren, dass ich etwas ungeheuer Geniales an mir habe, erübrigt sich nach meinem Gesang wohl eigens noch hinzuzufügen. Und gewiß haben Sie auch schon erraten, wer ich bin und wie ich heiße. Mein prosaischer Name in Deutschland ist Peer Pilat. Doch nennen mich meine Leute auch gern liebevoll ihren Tell. Das wäre hier in der Schweiz nun weiter auch noch nichts besonderes, heißt hier doch fast jeder Tell. Mein Name indessen, das haben Sie wohl schon gehört, steht nicht für die Erfüllung von Kommissionen, die mit einer simplen Arbeitsplatzbeschreibung konform sind. Und so sage ich Ihnen denn auch, dass ich meinem Daimonion, einer inneren Stimme, Folge leiste, die mir sagt, dass ich zur Vollbringung von Taten vorgesehen bin, die zur Zeit ausser mir keiner zu vollbringen vermag. - Hier nun werden Sie vielleicht einwenden, dass wir aber doch in einer Zeit leben, wo die Beschreibung eines jeden Arbeitsplatzes so genau und pedantisch und unabhängig von jedem einzelnen definiert ist, dass es auf den einzelnen und seine überragenden Talente überhaupt nicht mehr ankommt. Ja, dass große Talente in unserem so trostlos nivellierten Zeitalter sogar höchst schädlich sind. Dazu möchte ich nur antworten, dass das schon immer so war. Ja, ich füge noch hinzu, dass einer, je höher er im Staat steht, aufgrund dieser Beschreibung um so leichter ersetzt werden kann. Oder hat es dies jemals geben, dass man keinen Kandidaten mehr gefunden hätte für das Amt eines Kaisers oder eines Papstes oder eines Bundespräsidenten? Gleich drei oder vier haben sich das letzte Mal in den Vordergund gedrängt, alles ungeheuer begabte Burschen. Jawohl, jede dieser höchtsdotierten Stellen ließe sich jederzeit zehnfach besetzen. Und doch.. Jawohl, und doch füge ich hinzu, und doch gibt es eben die berühmte Ausnahme, die die innere Wahrheit eines jeden Gesetzes bestätigt. Lassen Sie mich Ihnen hier nur so viel sagen, dass nicht alle Tage herrliche Tage sind und dass es Ausnahmezeiten gibt, Ausnahmezeiten, die beinahe von heute auf morgen sich einstellen, so schnell, dass der schwerfällig-bürokratische Apparat des Staates nicht zu folgen vermag. Versteht sich, dass eine solche Zeit nach Männern verlangt, die, wenn es Not tut, bereit sind zu einem aussergewöhnlichen Schritt. Versteht sich, dass ein solcher Mann vor nichts zurückschrecken darf, auch wenn ihm die vielen äusseren Vorschriften und Gesetze so gut wie keinen Spielraum lassen. Wenn die Umstände einem Helden ein heldenhaftes Handeln gebieten, so kann er nicht umhin, auch einmal Grenzen zu überschreiten und Gelände zu betreten, die sonst von den Sterblichen nicht betreten werden. Oder wär ich sonst so kühn und geradlinig und in die Schweiz gekommen? Oder meint einer, ein Kuckuck hätte mich im Ei in einem Schweizer Nest abgelegt? Oder ich wär in die Schweiz gekommen, um mir eine Senfmühle zu kaufen? Jawohl, bereits meine Einreise in die Schweiz war ein perfektes Meisterstück listenreicher Grenzüberschreitung. Kein Cäsar hätte das jemals besser fertig gebracht, sich so unbemerkt und ungestört seine Brücke über den Rheinstrom zu bauen und ins Land der Schweizer zu gelangen. Und als ich dann hier durch die Schweiz zog, im Schatten der nächtlichen Dunkelheit und der helvetischen Wälder, als ich kreuz und quer meine Lager aufschlug, da hätten Sie mich sehen sollen! Vollends aber vorhin, als der Zeppelin mit dem Schweizer Präsident in nächster Nähe über meinem Haupt vorübersegelte! O es wäre mir ein Leichtes gewesen, einen Schlitz in die Haut des Luftschiffs zu ritzen. Doch wärs nicht gemein gewesen, einen wehrlosen Feind anzugreifen? In summa freilich wärs auch mehr als unklug gewesen, wenn ich mich auf einen Kampf mit der Schweizer Staatsmacht eingelassen hätte. Und Hand aufs Herz: ist denn der Präsident Werner Vätterli mein Feind? Sinds nicht die deutschen Steuersünder? Dass ich für kurze Zeit die Gesetze der diplomatischen Schicklichkeit ausser acht lassen muss, wurmt mich ja selbst. Doch was bleibt mir übrig, damit endlich wieder gleiches Recht für alle besteht? Deshalb sag ich bereits im Vorfeld meiner Mission mit allem Nachdruck, dass es mir leid tut, dem Schweizer Präsident Ungemach zu bereiten, und dass ich mich schon auf den Tag freu, wo ich das bei einem Tässchen Mocca mit einem Täfeli Schokolade wieder gut machen kann. Doch so weit sind wir noch nicht. Für jetzt gilt es, die eigenen Truppen zu visitieren und um mich zu scharen.

Seine Leute: Salve Cäsar, morituri te salutant.

Pilat: Schon gut, schon gut, meine Kameraden! Kommen wir zu den Tagesgeschäften!

einer: Befiehl uns Herr! Wir dürsten danach, Taten zu vollbringen und dir und uns einen Namen zu machen, wie ihn sich noch keiner gemacht hat!

Pilat: (für sich) Die Leute sind in Ordnung, auch wenn sie nicht wissen, dass die Zeiten der großen Namen vorbei sind.

wieder einer: Und dass wir bereits gut im Geschäft sind, das kann jedermann sehen, wenn er will. Hier ist das Geld, das wir bereits für die alte Kanzlerin gesammelt haben! Sie wird sich freuen. (er zeigt ihm die Gelder) Alles von gemeinen Halunken, die noch immer glauben, ihre Millionen am Fiskus vorbeischieben zu sollen. Ein Geldbote wird die eingesammelten Gelder noch heute über den Rhein bringen.

noch einer: Und was die Holzwege betrifft, die wir angelegt haben, so treiben sie uns die Leute in solchen Massen in die Arme, dass zu befürchten steht, dass wir mit der Eintreibung der Kollekte kaum mehr nachkommen. Der neuesten Hochrechnung gemäß werden wir in den nächsten Tagen bequem hundert Millionen einkassieren.

Pilat: Schade ist nur, dass wir hier nicht mehr lang bleiben. Denn, wie gut auch unsere Sache läuft, wir müssen uns beeilen. Was uns jetzt not tut, das sind drei Trupps. Ihr werdet sie unter euch ausmachen. Ein erster Trupp wird in der Gestalt seriöser Geschäftsleute ins Innere der Banken eindringen, um auszukundschaften, wo die Safes sind, in denen die Listen der Spitzbuben schlummern, auf die wir es abgesehen haben. Ich denke, dass dazu zwei oder drei Leute vollauf genug sind. Versteht sich, dass sie sich dort selber als Spitzbuben introduzieren, weshalb sie einiges von dem erbeuteten Geld mitzunehmen haben, gleichsam als wollten sie es optimal anlegen. Stellt man sich dabei nur recht ratlos und ängstlich an, so ergibt sich schon die Gelegenheit, auszuspähen, wo und unter welchen Kontonummern die Steuerganoven geführt werden. Ein zweiter Trupp aber soll einen Ring bilden um unser hiesiges Lager und Ausschau halten, dass kein ungebetener Feind zu uns dringt. Immerhin befinden wir uns, wie wir nicht vergessen dürfen, im Ausland. Ein dritter Trupp, die Brückenbauer, bewegt sich zum Hochrhein, damit wir in der kommenden Nacht unbemerkt wieder nach Deutschland übersetzen. - Wenn nun auch alle drei Trupps sehr wichtige Arbeit zu verrichten haben, so versteht sich doch, dass der erste Trupp der wichtigste ist. Gelingt es diesem, sich die Unterlagen über sämtliche Sünder zu verschaffen, so ist unser Unternehmen mit einem einzigen Schlag gewonnen. Gelingt dies aber nicht, so muss doch alles so auskundschaftet werden, dass wir nach Bankenschluß ungestört in die Bank eindringen können und den rechten Weg in die Chefetagen nehmen. - Habt ihr verstanden?

alle: Jawohl, Chef!

Pilat: Selbstverständlich sind Gewaltanwendungen in jedem Fall untersagt. Habt ihr verstanden?

alle: Jawohl, Chef!

Pilat: Was hab ich gesagt, Kaiser?

Kaiser: dass Gewaltanwendungen untersagt sind.

Pilat: Das gilt auch für dich.

Kaiser: Doch darf ich noch etwas fragen?

Pilat: Frag!

Kaiser: Wer wird hier, wenn wir so aufgeteilt sind, abkassieren? Oder soll das von nun an unterbleiben?

Pilat: Gut aufgepasst, mein Kaiser. Wähl dir einen Mann aus und bleib hier! -

Kaiser: Jawohl, Chef!

Pilat: Ans Werk also, ihr werten Herrn!

alle: Jawohl, Chef!

Pilat: Und die Losung?!

alle: Den Freund hab gern, den Feind halt fern!

Pilat: (geht weg)

2b Pilats Leute beim Lager

Kaiser: Kämen wir nun also zur Aufgabenverteilung. Was mich betrifft, so bleib ich da. Und mit mir bleibt hier... nun wer denn schon? Unser Kiefer! Die anderen Ämter müßt ihr selber unter euch ausmachen.

Ruch: Warten wir noch, bis Freund Kinski da ist. Er wollte sich nur ein wenig in der Umgebung ergehen.

Mäntele: Vielleicht, dass er etwas ausfindig gemacht hat.

Ruch: Doch was soll das sein?

Kaiser: Du hast doch keine Angst!?

Mäntele: Vielleicht, wenn man auf etwas wartet und noch nichts geschieht. Wenn alles ruhig und still um einen ist, als hielte es den Atem an.

Kaiser: Das ist die Schweizer Freiheit! Wenn man nichts mehr um sich hat als nur noch die grenzenlose Schweizer Freiheit, das kann schon manchen einengen. Doch warten wir ab. Es wird schon bald einer mit seiner Goldkarrosse kommen, den es nach Gefangenschaft lüstet. Doch still. Da kommt wer!

Mäntele: Wer

Kaiser: (lachend) Der Gschwender Bär.

Ruch: Der tät jetzt gerade noch fehlen.

Kaiser: Oder das Schweizer Militär!

Kiefer: Vielleicht ists auch nur der Schweizer Erdwiblima.

Mäntele: Den kennen wir nicht.

Kiefer: Selber do, selber gha, seit der Erdwiblima.

Kinski (der hinzukommt): Meine Herren! Dass ichs nur gleich sage und dass ihr Bescheid wißt! Ein Hauptspass ist unterwegs zu uns.

Ruch: Bonzen in einer Edelkarrosse?

Kinski: Zu Fuß. 4 Mann hoch. Deutsche Steuersünder von guter Betuchtheit, denen es gleich wie Schuppen von den Augen fallen wird, dass sie sich verirrt haben. Passt auf! Sie werden gleich da sein.

2. Abschnitt: Wie Steuerflüchtlinge herbeikommen.

1. Steuerflüchtling: Hab ichs nicht schon die ganze Zeit befürchtet? Und jetzt haben wir die Bescherung. Wir haben uns verirrt. Und das nur, um an der alten Zwing-Uri vorbeizukommen. Und wo sind wir jetzt? Bei der Zwing-Uri!

2. Steuerflüchtling: Wo siehst du sie?

1. Steuerflüchtling: Da, sieh doch. Mit den kleinen Schießschanzen. Verwittert und im Verfall wie man uns gesagt hat.

2. Steuerflüchtling: Von Räubern soll es hier wimmeln, die unbescholtene Bürger ausrauben.

Mäntele (versteckt): Frägt sich nur, wer der größere Räuber ist: der den Staat beraubt oder der, der dem Räuber den Raub wieder abnimmt.

2. Steuerflüchtling: Dabei sollen die gar nicht zimperlich zu Werk gehen. Da wird man gezwungen, den Geldkoffer vor sich hinzustellen und dann muss man sich auf den Rücken legen.

1. Steuerflüchtling: Man hat Mühe, das im Zeitalter der Humanität für möglich zu halten.

Ruch (versteckt): Gleich sollt ihrs am eigenen Leib erfahren.

4. Steuerflüchtling: Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr. Der Weg hört hier gleich auf.

3. Steuerflüchtling: Da si ma bös in de Bohne.

2. Steuerflüchtling: Bleibt uns nur noch, unser Glück über einen Trampelpfad zu suchen!

4. Steuerflüchtling: Ob uns der zum gewünschten Ziel führt?

Kaiser (versteckt): darf mit Fug bezweifelt werden.

3. Steuerflüchtling: Das war sicher der Pilat, der diesen Holzweg angelegt hat.

Kinski (versteckt): Wer auch sonst vermag so raffinierte Holzwege anzulegen?

2. Steuerflüchtling: Machen wir, dass wir davonkommen!

4. Steuerflüchtling: Schnell weiter gehen ist sicher das beste.

1. Steuerflüchtling: Wartet. Erst müssen wir wissen, wo sich die Banken befinden! Erst muss ich noch unseren hiesigen Standort eingeben, die Zwing-Uri. (er navigiert)

(Kiefer und Kaiser kommen ihnen entgegen; sie tragen je ein Köfferchen und singen:)

Lustig ist das Zigeunerleben/ faria faria hoh,/ brauchen dem Kaiser kein Steuer zu geben/ faria faria hoh,/ Lustig ists im grünen Wald, wo man hat viel Aufenthalt....

4. Steuerflüchtling: Meine Herren, sind Sie wahnsinnig, so laut im Wald herumzusingen. Haben Sie nichts von der berüchtigten Pilat-bande gehört, die hier allerorten herumstreichen soll?

2. Steuerflüchtling: Einer soll Kaiser heißen. Das ist der Schlimmste.

Kaiser (mehr für sich): Da sei Gott vor, dass ich bin, der ich bin. Und doch bin ich wohl niemand anders!

3. Steuerflüchtling: Einer, dem es gelungen ist, ihren Klauen zu entkommen, hat gesagt, dass dieser Kaiser ein ganz unangenehmer Patron ist, eine Art Giftzwerg.

Kaiser: Das ist mir neu. (für sich) Dabei müßte ich das doch selber am besten wissen.

Kiefer: Und diese Pilat-räuber haben etwas gegen das Singen in der frischen Waldluft? Singen denn die lieben Vöglein nicht auch?

Kaiser: Wie mir scheint, irritieren sie unsere Köfferchen.

Kiefer: Die Vöglein natürlich tragen kein Köfferchen mit sich. Und dennoch. So ein kleiner Unterschied darf schon sein. Oder ist der Mensch nicht ein Wesen einer höheren Kultur?

4. Steuerflüchtling: Wieviel habt ihr da drin?

Kaiser: Wie?

2. Steuerflüchtling: Da, in euren Köfferchen?

Kaiser: Einige Milliönchen, auf ein paar mehr oder weniger kommts da nicht mehr an.

3. Steuerflüchtling: Dürfen wir sie mal sehen? Man hat dann so ein gewisses schicksalhaftes Gefühl der Zusammengehörigkeit.

Kaiser: Mein Freund! Das ist ein Bankgeheimnis.

3. Steuerflüchtling: Nun, nun. Gefahren schweißen zusammen. Und wenn wir Weggefährten sein wollen..

Kaiser: Es ist immer gut, wenn man noch etwas hat, was für andere tabu ist.

1. Steuerflüchtling: Und wohin geht ihr?

Kiefer: Nach Zürich. Das scheint uns der sicherste und profitabelste Ort zu sein für eine Anlage. Erst wenns da zu heiß wird, wollen wir über eine andere Option nachdenken.

3. Steuerflüchtling: Dann seid ihr aber auf der falschen Fährte. Unser Weg führt nämlich auch dorthin. Oder kennt ihr einen besseren Weg?

Kaiser: Der beste Weg ist immer der, um den keiner weiß.

3. Steuerflüchtling: Und der wäre?

Kaiser: Kommt mit und seht, wie unser Weg nach Küßnacht geht.

3. Steuerflüchtling: Weshalb nach Küßnacht? Wollt ihr über Küßnacht?

Kiefer: Das ist aus unserer Geheimsprache. So heißt nämlich die Schweizer Bänkermetropole bei den Rothäuten von Yuwa.

3. Steuerflüchtling: Und das hier soll ein Weg sein?

Kaiser: Nur die sichere Ankunft zählt.

2. Steuerflüchtling: Die beiden Herren scheinen mir verdächtig. Allein schon, dass sie uns nicht ihr Geld zeigen.

4. Steuerflüchtling: Ich finde auch, dass sie zuviel Wesen um sich machen. Gehen wir!

3. Steuerflüchtling: Ja, gehen wir!

Kiefer: Meine Herren, das geht durchaus nicht, dass Sie gehen! Und unsere Gastfreundschaft verschmähen. Machen Sie es sich bequem.

4. Steuerflüchtling: Wir sind in Eile.

Kaiser: Nein bitte, setzen Sie sich zu uns. Genießen Sie für ein paar Minuten unsere Gastfreundschaft!

2. und 3. Steuerflüchtling: Das geht wirklich nicht.

Kaiser: Keine Widerrede mehr, so wahr ich die Stimme Nestors besitze! Oder sind wir etwa im Böhmer Wald, wo uns hinter jeder Ecke ein Schufterle und ein Roller auflauert? Oder im Wald von Verona, wo die Unschuld das Räuberhauptmannsamt ausübt? Oder im Wald von Athen bei Oberon und Titania? Oder im Ardenner Wald, wo die exules filii Hevae noch heute so herzzerreißend singen? Ja, meine Herren, als Gott die Wälder erschuf, hat er sie zum Singen erschaffen. Und das kann ich ihnen sehr leicht auch beweisen. Hat er doch gleich die schönsten Vögel in den Wald gesetzt. S Meisli und den Fink. Wenn ich nur an die vielen Finken denke: den Buchfink, den Schmutzfink und den Leichtfink.

4. Steuerflüchtling: Gehen wir!

Kiefer: Als ausgemachte Freunde des Gesangs, sind wir stolz darauf, nun endlich auch den Wald der Schweiz berühmt zu machen. Und wehe, es käme einer, der uns die Romantik dieses Waldes zusammen mit unserem Ansinnen zu verderben suchte.

Habt ihr nicht auch ein Liedlein parat? Etwas von der Sorte etwa, wie die vom Wilhelm:

Unter des Laubdachs Hut,

wer gerne mit mir ruht

und stimmt der Kehle Klang

zu lustiger Vögel Sang

Komm geschwinde, geschwinde, geschwinde

hier nagt und sticht,

kein Feind uns nicht

als Pilats Räubergesinde.

Kaiser: Und das ist die zweite Strophe

Besteht ein dummer Tropf

auf seinem Eselskopf

und läuft dem Bankhaus zu

als fänd sein Geld dort Ruh

Komm geschwinde, geschwinde, geschwinde

hier nagt und sticht,

kein Feind uns nicht

als Pilats Räubergesinde.

Vermutlich wollen die Herren jetzt wissen, von welchem Wilhelm das Liedlein stammt? Doch das dürfte für einen Goldesel eine zu schwere Frage sein, wenn nicht zufällig ein großer Bänker so heißt. Wenn es aber keinen Bänker dieses Namens gibt, so wars vielleicht Wilhelm der Eroberer oder der kriegstüchtige Preußenkaiser Wilhelm.

1. Steuerflüchtling: Meine Herren, es war uns eine Ehre; wir müssen weiter!

Kaiser: Was? Ohne gesungen zu haben? Und ohne Brot und Salz mit uns zu teilen?

Kiefer: Oder kann ein Geldmensch nicht singen? In der Tat ist es ein urkomisches Gefühl, das mich jedesmal beschleicht, sobald ich mir einen steinreichen Midas vorstelle, der etwas singen soll. Da mein ich immer, ich hör die Chue pfife.

1. Steuerflüchtling: Meine Herren, wenn sie nicht mitgehen, geh ich allein.

Kaiser: Hat er etwas Falsches gesagt? Oder gefällt Ihnen das Singen nicht? Dass man als reicher Mann nicht singen mag wie

die Vögel im Hanfsamen, das ist wohl klar. Da müßte einer ja schön blöd sein, auch noch laut zu singen und damit zu bekunden, dass er Geld hat in Hülle und Fülle.

Kiefer: Manchen freilich fällt unter dem Stichwort "singen" auch das Geständnis der Räuber auf der Folter ein.

1. Steuerflüchtling: Wir gehen!

Kiefer: Freilich. Wir wären ja schön blöd, uns auf die Folter schleppen zu lassen, wo wir eine so gesunde Haut haben.

1. Steuerflüchtling: Adieu!

Kaiser: Das sag ich entschieden Nein! Zuerst muss mit uns gevespert sein.

4. Steuerflüchtling: Sie haben ja nichts.

Kaiser: O, lassen Sie sich überraschen. Oder wittern Sie Widersprüche! Denken Sie etwa so: Entweder sind in den Koffern fette Mäuse, dann aber ist kein Vesper vorhanden. Oder aber in den Koffern sind Käsebrötchen und Weinflaschen; dann aber erübrigt sich ein Weg zu den Bänkern? Wärs nicht auch möglich, ich und mein Kollege hätten eine gemeinsame Kasse, und die trüge der eine, der andere aber die Versperbrötchen und den Wein? Gewiß, das ist bei den Reichen nur selten üblich. Da entzweit man sich tödlich, sogar schon innerhalb der eigenen vier Wände. Doch, meine Herren, lassen Sie sich überraschen!

2. Steuerflüchtling: Nein, danke. Von 100 Überraschungen sind im Durchschnitt über 90 böse.

Kaiser: Diese aber nicht! (er öffnet einen Proviantkoffer und deckt ein Tischchen) Beurteilen Sie nur selbst, ob in dem Köfferchen kein Schlaraffenland steckt! Käse- und Wurstbrötchen und süffiger Wein. Alles, was das Herz begehrt. Dabei können wir dann während des Vespers ausfindig machen, in welcher Richtung wir die Bankenviertel am schnellsten erreichen, sei es nach Zürich, sei es nach Liechtenstein.

1. Steuerflüchtling: Dann prost und gute Mahlzeit. Meine Herren, adieu!

alle Steuerflüchtlinge: Adieu, meine Herren!

Kaiser: Was? Sie verschmähen das Mahl der Freundschaft?

Kiefer: Dann müssen wir sie eben zwingen! Kommen Sie und nehmen Sie Platz!

alle Steuerflüchtlinge: Wir denken nicht daran.

Kiefer: Gut! Dann nehmen Sie eben nicht Platz. Aber Sie bleiben stehen. Stehen geblieben, hab ich gesagt. Stehen geblieben! (er pfeift und zeigt ein Pistole; die anderen Bandenmitglieder kommen herbei)

4. Steuerflüchtling: Dann sind wir also doch in die Hände der Pilatschen Räubern gefallen?

Kiefer: (zu seinen Kollegen) Die Herren verlangen nach einer Leibesvisitation!

Kinski: Meine Herren! Dann stellen Sie Ihren Geldkoffer vor sich hin und legen Sie sich auf den Rücken.

1. Steuerflüchtling: Das kann doch wohl nicht wahr sein. Das lassen wir uns nicht bieten.

Kiefer. Was schert uns Höflichkeit?

4. Steuerflüchtling: Wären wir nur mit dem Gloria-express in die City gefahren! Kein Kontrolleur hätte uns behelligt!

Ruch: Meine Herren, beugen Sie sich der neuen Weltordnung, die nicht länger duldet, dass einer mit einem harmlos schwarz lackierten Köfferchen über die Grenze schlendert.

1. Steuerflüchtling: Das wollen wir doch sehen! (er will telephonieren)

Mäntele (ihm das Handy abnehmend): Wollen Sie die Güte haben, sich neben ihre Kollegen zu legen? Und das Köfferchen stellen Sie hübsch vor sich hin.

1. Steuerflüchtling: Ich denke nicht daran.

Mäntele: Das sollten Sie aber. Schon aus Rücksicht auf ihr leibliches Wohlergehen.

Kinski: Meine Herren! Her mit dem Zeug! Wozu brauchen Sie noch ein Handy, wo Sie längst das Alter einer törichten Jungfrau überschritten haben?

1. Steuerflüchtling: Wie?

2. Steuerflüchtling: Lass ihn. Zuhause wollen wir ihnen dann das Handwerk legen. Mein Trost ist, dass das bald schon ein sehr sehr böses Nachspiel haben wird.

Ruch: (die Köfferchen inspizierend) Ich will ein Schuft sein, wenn ich jemals so viel Geld gesehen habe! Was für nette, prall genährte Mäuse, Frösche und Fische sich da doch überall tummeln! Es geht doch nichts über die Aussicht auf einen gebratenen Ochsen, nicht wahr, Herr Direktor, wenn man in der Kanzlei die Mittagsstunde herannahen spürt! - Und alle die lieben Forellchen wollten Sie nach Zürich schwimmen lassen, mein Herr? Wie heißt das Flüsschen schon wieder? Reuß oder Aar? Wie? - Und da! Ja, was ist denn das? Ei der Tausend! Entzückende Wertpapierchen. Eins nach dem andern. Wie sie sich alle ducken! Die wollen mit dem Köpfchen gar nicht aus dem Körbchen.

Mäntele: Und was, zum Teufel, wollten Sie mit all dem vielen Kapital anfangen? In Zürich anlegen, dass es sich verdoppelt und verdreifacht? Genügt nicht, reich zu sein? Muss man auch noch ein Midasesel werden, der Goldsäcke schleppt, und ein Midas obendrein, der nur noch in Gold wühlt, weil er nichts anderes mehr sehen kann? Dabei sehen die Herren durchaus nicht nach Abkömmlingen schlechter Eltern aus. Alle krawattiert, in schwarze Anzüge bugsiert, mit Gelderchen geschmiert.. kurz aus der besten Gesellschaft. Und alle diese Gelderchen gedachten die Herren am Staatsfiskus vorbeizuführen?

Ruch: (indem er die Koffer leert) Wir bitten Sie, diese Sümmchen als eine Kleinigkeit dem deutschen Staat zu schenken!

1. Steuerflüchtling: Diese Gelder hab ich in meiner Praxis erwirtschaftet, nein erkämpft. Sie haben ja keine Vorstellung, wie man kämpfen muss, vor allem gegen die Krankenkassen, wenn man als Arzt auch nur zum Lebensnotwendigen kommen will. Ich hätte das Geld gestohlen, gäb ich es jetzt weg!

2. Steuerflüchtling: Und ich habe als Rechtsanwalt gekämpft und will es drum behalten.

3. Steuerflüchtling: Und ich als Gewerkschaftsboss für die Armen.

4. Steuerflüchtling: Und ich als mittelständischer Unternehmer, der ich immerhin Brotgeber bin von einem Dutzend Angestellten.

Mäntele: Also was ist? Sind Sie nun willens, diese Sümmchen dem deutschen Staat zu vermachen? Ja oder nein? Mißverstehen Sie uns nicht. Es handelt sich nur um einen Vorschlag, die Sache in aller Stille und ohne Einschaltung der Staatsanwaltschaft zu bereinigen. Wenn Sie aber nicht wollen, dann eben nicht.

3. Steuerflüchtling: Seien wir denn bereit für das Unabwendbare!

Ruch: Meine Herren. Hier ist der Ausgang!

1. Steuerflüchtling: Und mein Geld?

Kinski: Sie haben die Wahl: entweder gehen Sie und das Geld bleibt da! Oder das Geld geht und Sie bleiben da!

(im Weggehen)

4. Steuerflüchtling: Alles echte Banknoten, alles echte Wertpapiere! Als wir hierher kamen, warnte man uns, im Wald seien Räuber. Also beschlossen wir, einen Umweg zu machen. Der Umweg aber führte uns in die Arme der Räuber. Aber wir lassen die Sache nicht auf sich ruhen, als bis wir wieder haben, was uns gehört. Wir werden sie zur Rechenschaft ziehen. Und dass nur keiner meint, das Spielchen gehe gut für sie aus. Gesetzt, dass mich der Staat nicht unterstützt und entschädigt, dann ist es auch mit meiner Kulanz vorbei, dann entlass ich alle meine Mitarbeiter und bau mir ein Haus auf Mallorca.

3. Kapitel: Am Vierwaldstätter See.

1. Abschnitt: Frau Tschudi vom Schweizer Kulturverein kommt mit der Journalistin aus den USA zum See herab.

T.: Ein Land der unbeschränkten Freiheiten gibt es ganz gewiß nicht, auch keine ganz freie Stadt oder auch nur ein ganz freies Haus mit einem ganz freien Hausbewohner. Der Mensch selber schleppt ja immerfort die Bande der Unfreiheit mit sich; andauernd ist er dem Zwang ausgesetzt, achtzugeben, was die anderen tun. Weder willst du besonders auffallen im Guten, dass vor dir als Tugendbold nur so die Hüte fliegen, noch auch wäre dir angenehm, wenn man mit dem Finger auf dich zeigte, weil du dich durch eine Untat hervorgetan hast oder auch nur, weil du im Verdacht stehst, ohne doch etwas Böses getan zu haben. Ungestört möchtest du leben und unbehelligt sein von jedem Fingergimpel und Fenstergucker.

J.: Tun und lassen zu können, was man will, wenn es nur sonst niemanden stört, ist jedenfalls ein schönes Privileg.

T.: Den nenn ich frei, der, bei mäßigen Wünschen, hat, was er unbedingt braucht, und der den anderen alles gönnt, was sie haben, auch wenn sie dreimal so viel haben wie er. Ich bin mir aber darüber im klaren, dass der Arme aufgrund seiner empfindsameren Scham immer ein klein wenig mehr braucht als der Reiche. Der Reiche kann sich ja immer sagen, wenn ich nur will, so besorg ich es mir. Als Staatsbürger sind wir also immer in Verantwortung und mithin immer auch auf der Suche nach dem rechten Mass.

(Sie gelangen zu einem Denkmal, das Schiller und Tell zusammen zeigt. Schiller zeigt hinaus auf den Tellsprung. - Auch allerlei Zeug gegen Sturm und Wetter sind in der Nähe: ein Bootshaus, ein Rettungsboot, ein Schalltrichter, Rettungsringe. Hier stehen auch Bänke zum Platz-nehmen.)

T.: Hier ist nun also die Stelle, wo Tell seine Heldenlaufbahn begonnen hat. Die Statue da stellt Wilhelm Tell vor, wie er von seinem Dichter Friedrich Schiller auf seine Aufgabe vorbereitet wird. Ein Freiheitsheld zu sein ist doch etwas Schönes.

J.: Und doch bezweifel ich, ob man heute noch ein solcher Held sein kann.

T.: (vor der Statue) Was wäre ein Vater des Vaterlandes, wenn er es nicht auch noch heute sein könnte?

J.: Aber jene Verhältnisse gibt es ja nicht mehr.

T.: Was wollen Sie damit sagen?

J.: Denken Sie doch selber, was aus dem Befreiungskrieg geworden wäre, wären dem Geßler damals schon die Kriegsmaschinerien zur Hand gewesen wie sie heute jedem autoritär Regierenden zur Verfügung stehen! Auch Amerika wäre nicht Amerika, hätten nur die Ureinwohner Amerikas starke Waffen besessen.

T.: Sie machen sich zu viele Skrupel! Übrigens hatte auch ich schon als Kind in der Schule mit der Frage zu kämpfen, was für ein Mann der Tell war. Damals freilich war ich noch ratlos, weil ich weder von gesellschaftlichen Problemen etwas verstand, noch von den Möglichkeiten eines Dichters. Die Freiheit ist aber doch immer noch etwas Großes.

J.: Wir lieben das Wort und wissen nicht, was wir damit meinen. Denn die Natur sorgt immer für ein Ungleichgewicht, das der Freiheit eine Fratze schneidet. Aber selbst wenn allen die gleichen äusseren Lebensverhältnisse zukämen, auch dann würde das Leben doch nicht von allen als gleich frei empfunden werden. Für die, die es nicht gelernt haben, etwas mit sich anzufangen, bleibt das Leben immer eine Gefangenschaft.

T.: Wenn nur jeder darauf achtete, den anderen zu respektieren...

J.: Wer befreit unsere Welt von den Ängsten, in die wir sie manövriert haben? Manchmal träumt mir, als ob die Al Kaida die atomaren Langstreckenbomber der USA in ihre Gewalt gebracht hätten und sie nun auf unser Land abfeuerten.

T.: Dazu sind die nie in der Lage.

J.: Und wenn es nur eine der gefürchteten schmutzigen Bomben wäre! Alles, was wir uns an Schreckenswaffen beschafft haben, ist gegen uns gerichtet.

(sie nehmen Platz auf einer der Bänke)

T.: Doch nehmen wir Platz! Der Weg war anstrengend und wir sind nun doch etwas müde.

J.: Dass der Zeppelin noch immer da droben herumfliegt? Man könnte versucht sein, sich beobachtet vorzukommen.

T.: Vielleicht, wenn man am Grund des Sees wohnte. Aber das mag ein Problem der Seebewohner sein.

J.: Alle Not, wenn wir sie recht mitempfinden, ist auch unsere Not.

T.: Immerhin ist das Leben doch etwas Wundervolles. Dieser See mit den ihn umgebenden, ihn beschützenden Bergen. Und die Fischer in ihren Kähnen da draussen auf dem See. Und der Zeppelin, der nun schon seit geraumer Weile so ruhig über dem See weilt- mir kommt er eher vor, als wolle er überhaupt nicht mehr aufhören, sich in der Sonne zu baden.

J.: Schon immer hatte ich Angst vor dem Wasser. Vor allem, wenn es so still daliegt. Wenn ich in solches Wasser schaue, ist mir, als ob die ganze Welt ertrunken wäre vor langer Zeit. Und dass sie wieder heraufsteigen wollte, ich weiß nicht wozu. Aber ein Leviathan wär mit im Wasser und der würde sagen: Jetzt bin ich noch sanft und still. Doch täuscht euch nicht. Ein leichtes Lüftchen, eine kleine Brise genügt mir, und ich komme daher, hochaufgetürmt in Wogen und Wellen, das Unterste zuoberst zu kehren und selbst noch gegen den Himmel aufzubegehren.

T.: Angst sollten wir nie zulassen, weil sie unser Verhalten verunsichert und Katastrophen freie Bahn schafft.

J.: O ja! Wenn man sich und alles nur so in der Gewalt hätte, dass einen nichts ins Unglück stürzen könnte!

(ein Imam mit Turban kommt vorbei und ist rasch schon weit entfernt. Am Wegrand scheint es so, als sähe man Minarette.)

J.: Was will der Mann, der da so auffällig gekleidet dahinwandelt?

T.: Das ist der Imam von Luzern.

J.: Wie eilig er es hat! Kaum war er da, so ist er auch schon wieder fort. Als scheute er das Licht. - Und die Türmchen da? Die Minarette?

T.: Das sind Plakate am Weg. Bei uns findet bald eine Volksbefragung statt wegen der Minarette.

J.: Auch das noch.

T.: Ich wollte, es kämen die Alten, die damals gegen den Gessler gekämpft haben und lehrten uns, wie wir uns zu verhalten haben!

J.: Könnten sie uns weiterhelfen?

T.: Sich zu einem mutigen Sprung zu entschliessen, wie uns die Stelle hier anrät, das wär doch was.

J.: (für sich) Wenn man wüßte, wie so ein Sprung auszusehen hat und alle machten mit!

2. Abschnitt: van Gunten und Tanner kommen dazu

T.: Aber da kommen ja zwei von Prof. Mahlzahns Studenten! - Meine Herren? Sagen Sie, dass Sie uns der Himmel schickt! Oder haben wir Sie nicht oben auf dem Rütli gesehen?

Tanner (ein Heft hervorholend und die Gegend skizzierend): Mag sein, gnädige Frau. Nur dass wir noch ein klein wenig zu tun haben.

van Gunten: Lächerliche Aufgaben, nichts als lächerliche Beschäftigungen freilich, die sich der Mahlzahn ausgedacht hat. Wenn er aber glaubt, dass wir auch noch Exzerpte aus seiner Literaturgeschichte hinzufügen, aus der er seine Weisheiten herausklaubt, so täuscht er sich. Mag er sich an seinem Streber gütlich tun!

T.: Der Anblick so junger Leute tut doch gut.

J.: Vielleicht, dass sie uns etwas zum Sprung sagen könnten...

Tanner: Jakob?

van Gunten: Was ist?

Tanner: Zeichnest du den Zeppelin dazu?

van Gunten: Ich weiß noch nicht. Wenn die Zeit reicht.

Tanner: Dann weiß er aber, dass du die Skizze erst jetzt angefertigt hast.

van Gunten: Die Tell-fahne lass ich auf jeden Fall weg. Die find ich total abgeschmackt.

T.: Ist Prof. Mahlzahn auf dem Weg hierher?

Tanner: Er wird gleich dasein. Wir sind nur vorausgeeilt, um noch die letzten Besorgungen zu treffen.

J.: Sie skizzieren den Tellsprung?

Tanner: Seit alters zeigt man ihn hier. Damals freilich schäumte und brüllte die See.

J.: Heißt es nicht: der See?

van Gunten (der auch skizziert): Wenn ein Sturm herabkommt und ins Wasser fährt und wenn dann das Wasser braust und schäumt, ist der See wie ein großes Meer.

Tanner: Aber wir warten nicht auf den nächsten Sturm. Längst ja glauben wir nicht mehr daran, dass es einen Glauben gibt, der vor dem Untergang rettet.

J.: Ist das nicht traurig?

van Gunten: Traurig, aber wahr, gnädige Frau.

J.: Sie mögen Ihren Lehrer nicht?! - Was haben Sie gegen ihn?

Tanner: Kann man mit einem zufrieden sein, der nichts tut, als uns zu Duckmäusern zu erziehen? Oder meinen Sie, die kann die Schweiz gut brauchen?

J.: Euer Lehrer wird doch wissen, was not tut.

van Gunten: Um ein solches Wissen muss man ringen!

J.: Rang Tell um dieses Wissen?

van Gunten: Was wissen wir von Tell?

J.: Verstehen Sie mich nicht falsch. Die Sache interessiert mich. Ich würde gern Ihre höchsteigene Meinung wissen.

van Gunten: Denken Sie an den Schillerschen Tell, also an eine Bühnenfigur, oder an den historischen Tell?

J.: Woher kommt das Wissen des Schillerschen Tell, wenn er sich durchringt, den Apfel vom Kopf seines Knaben zu schiessen? Woher das Vertrauen, wenn er dem Tyrannen den zweiten Pfeil zeigt? Woher das Recht, wenn er ihm in jener uns allen bekannten Schlucht auflauert und niederstreckt? Ich bin gespannt, was Sie darauf sagen.

van Gunten: Das finde ich schön, dass Sie so fragen. Und mir scheint, dass Sie nicht fragen wie unser Lehrer, der alles im voraus schon weiß, sondern weil Ihnen selber am Weg zu einer Antwort liegt.

J.: Fragen, die eine glatte Antwort haben, waren mir schon immer suspekt. Immer schon ging es mir ums Lernen.

van Gunten: Von Anfang an zeigt sich Tell unerschrocken, furchtlos, aufgeschlossen für Land und Volk, ja er scheut auch nicht vor dem Opfer des eigenen Lebens zurück, was uns gerade auch an der Stelle hier zu denken gibt. In jedem Staat nämlich, auch wenn er sich noch so freiheitlich gibt, hat die Freiheit einen Preis. Und der ist gewiß nicht klein. Den Kohlhaasenpreis, so könnten wir mit Kleist sagen. Selbst in Staaten wie den unseren, wo sich das Recht noch einigermassen unbehelligt aussprechen kann, gibt es unschuldig Verfolgte, fast als wären sie vom Gesetzgeber vorgesehen. Doch es gilt wohl noch mehr. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es ohne einen Geßler keinen Tell gäbe, ohne dessen Tyrannei keinen Freiheitshelden.

J.: So braucht man immer erst einen Tyrannen, der zur Freiheit ruft und die Freiheit weckt?

van Gunten: Beim Schillerschen Tell wohl schon. Ich lebte still und harmlos in den Bergen, sagt er, fast wie ein Naturbursche aus dem Stall des Rousseau. Indessen genügte der Gessler als Unruhestifter keineswegs. Um zum Freiheitshelden zu werden, mussten wohl auch noch die Entschlossenheit und das Vertrauen der Eidgenossen auf ihren Tell hinzukommen. Ohne Vertrauen auf dessen vorzügliches Talent, aber auch ohne dessen äussere Besitzungen, wäre niemals ein Freiheitsheld erstanden.

J.: So läßt sich kein Freiheitsheld denken ohne einen Tyrannen?

van Gunten: Freiheit ist ja doch immer eine Art Selbstbehauptung, mag der Tyrann Gessler neben uns sein oder in uns.

J.: So fallen wir alle, ein jeder mehr oder minder, uns selber wie auch der Gesellschaft zur Last?

van Gunten: Ich behaupte, dass der Bürger Tell selbst in einem freiheitlich gesinnten Staat nicht ohne seinen Bruder Gessler auskommen kann. Bin ich ein Tell, bin ich zugleich ein Gessler. Und wenn ich als Tell Staatsgewalt ausübe und Gesetze der Freiheit erlasse, so laufe ich stets auch Gefahr, andere zu unterdrücken und wecke so in anderen den Tell. Das ist die eine Seite. Indem ich aber als staatstragender Tell auf die Einhaltung der Gesetze und damit auch auf die Ausübung von Macht und Gewalt verzichte, wecke ich die Begehrlichkeit anderer, ihre Allmacht und Herrlichkeit offenbar werden zu lassen.

J.: So wäre einer niemals dagegen gefeit, als ein Gessler zu erscheinen, auch wenn ihn seine Herkunft und seine Talente und die äußeren Verhältnisse befähigt hätten, ein großes Amt im Staat wahrzunehmen?

van Gunten: Nihil humanum a me alienum puto.

T.: Gehört das nicht zur allgemeinen Menschenbetrachtung und zur Selbsterkenntnis?

van Gunten: Gewiß. Wir haben es hier mit dem uns allen überkommenen Erbe zu tun. - Damit bleibt dann aber immer noch die Frage bestehen, woher dieser Schillersche Tell die Sicherheit nimmt, als Freiheitsheld zu erscheinen. Woher nimmt er die Sicherheit, sich als ein Tell und nur als ein Tell zu bewähren? Oder reagiert er auf die Zwänge des Gessler wie ein physikalisches System auf äussere Zwänge reagiert? Wer von uns kann sich noch wie ein Herakles rühmen als Sohn des Zeus durch Not und Zwang zu den höchsten Taten berufen zu sein? Dabei wird uns dieser Schweizer Tell doch auch überliefert als Ausgeburt eines auf Wunder ausgerichteten Volksglaubens, dem der Stückeschreiber etwas naiv folgt, so dass er uns den Tell als einen Mann schildert, der von einer Zuversicht gelenkt wird, als stünden ihm Legionen von Engeln zur Verfügung. Zeichnet diesen Tell, der von Anfang an auf der Woge der allgemeinen Achtung und Anerkennung daherkommt, nicht auch etwas Närrisch-Übernatürliches und Unzeitgemäßes aus? Immerhin wird er gleich zu Beginn von Baumgarten ein Retter und Engel genannt, der den Baumgarten vor des Landvogts Reitern rettet. Indessen sind starkes Selbstvertrauen und starkes Vertrauen auf Gott wohl nur zwei Seiten ein und derselben Medaille. Ich müßte mich sehr täuschen, wenn der Autor des Tell das in seinem eigenen Leben anders gesehen hätte. Doch gestatten Sie mir, es auszusprechen! Mir gruselt, wenn sich Leute bei ihrem Tun auf Gott, den Allmächtigen berufen....

J.: Was haben Sie dagegen?

van Gunten: Tell ist ein Held, der für eine bessere, eine freiheitlich geordnete Welt handelt, an die er glaubt und für die er auch zu leiden gewillt ist. Er ist der Mann, der inmitten einer schrecklichen Notzeit mutig das Haupt erhebt. Insofern ist er ein Abgesandter des Himmels, ein Gottesknecht, eine heilsgeschichtliche Gestalt, der Stifter eines neuen Bundes. Und wenn er nicht wie jene anderen Heilsgestalten untergehen muss, so verdankt er es weniger den Mächten der Geschichte als dem Erzähler seiner Taten, der uns dadurch aufmuntern möchte. Und doch kann und darf die Macht heutzutage nicht mehr nach solcher Legitimation äugen und um Anerkennung heischen. Das bläht auf und macht blind und selbstgerecht. Und wenn auch das Volk den Drang verspürt, die Inhaber der Macht zu bewundern, so muss die Macht sich nur um so mehr im Stillen demütigen. Nie darf sie das Wissen vergessen, dass der Mensch das Wesen ist, das immer wieder fehl geht und falsch handelt, nicht zuletzt auch an oberster Stelle. Aus dieser Einstellung heraus müßte der Macht echte Gelassenheit zuteil werden, und das also nicht, weil sie weiß, dass sie von den bestehenden Gesetzen geschützt wird, sondern weil sie sich in weniger guten Tagen erprobt hat und in sich stark und fest geworden ist.

T.: Wär dieser Herrscherspiegel allgemein bekannt, dann könnte wohl öfters vorkommen, dass für ein hohes Amt im Staat niemand qualifiziert wäre und der Staat verfiele...

van Gunten: Wir haben keine Alternative. Auf uns kommt es an, auf jeden an seinem Platz.

3. Abschnitt: Professor Mahlzahn kommt mit den restlichen Studenten.

Mahlzahn: Nun sind wir also wieder bei unserem Ausgangspunkt, dem berühmten Tellsprung angelangt. Meine Damen und Herren...

Kleinfrick: Der Zeppelin ist noch immer zu sehen, fast als hätte ihn einer angebunden über dem See.

Mahlzahn: Ich hoffe doch sehr, mein Seminar hat gute Früchte bei Ihnen getragen und Sie haben etwas mitbekommen, wovon Sie auch noch in Ihrem späteren Leben zehren können. Doch wo ist der Tanner? Wo ist er?

Tanner: Hier, Herr Mahlzahn!

Mahlzahn: Zeigen Sie her, was Sie gearbeitet haben!

Tanner: Wieso das?

Mahlzahn: Damit ich Ihnen eine Note mache für Ihr Exkursionstagebuch.

Tanner: Und das beginnt mit mir? Obwohl T im Alphabeth erst sehr spät kommt?

Mahlzahn: Lassen Sie das Gequatsche.

Tanner: Hier ist mein Buch!

einer: Und warum ist der Zeppelin noch immer zu sehen? Sagen Sie es uns, wenn Sie es wissen, Herr Professor.

einer: Vielleicht, weil er angebunden ist?!

(einige lachen)

van Gunten: Ich wette, da oben drin ist ein Herz.

einige: Wieso denn das?

van Gunten: Ich las von einem, der war im Ausland gestorben, wünschte aber, dass man sein Herz in seinem Heimatland begrübe.

Kleinfrick: Vermutlich muss man weit entfernt sein von der Heimat, um von Sehnsucht nach ihr überwältigt zu werden.

Mahlzahn: Ist das alles?

Tanner: Ist das nicht genug?

Mahlzahn: Dieses dünne Konvolut? Ein paar flüchtig zusammengeheftete Blätter! Und da, dieses Geschmier! Soll das der Tellsprung sein? Gegen das Bootshaus ist der Zeppelin viel zu groß gezeichnet.

van Gunten: Die Proportionen sind nicht fehlerhaft, Herr Professor. Allenfalls die Zeichnung, wenn man den geometrisch-physischen Maßstab anlegt. Der Mensch aber, zumal ein Künstler vom Rang eines Tanner zeichnet das Bedeutende bedeutsam. Das hat schon Giotto so getan. Und nebenbei bemerkt, tut unser Gehirn, wie uns die moderne Forschung aus Lausanne beweist, auch nichts anderes.

Kleinfrick: Auch bei Henri Rousseau findet man solche Zeppeline.

Mahlzahn: Das ist nichts. Absolut nichts! Nirgends eine Skizze. Nirgends ein Detail. Nirgends eine Abbildung, abgesehen von dem Geschmier da! Nirgends ein Zitat aus dem Tell, nirgends ein lesenswerter Kommentar! Die meisten Begehungen werden noch nicht einmal erwähnt. Wie haben Sie sich das eigentlich gedacht?

Tanner: Anfangs haben Sie noch gesagt, man muss nicht alle Orte behandeln. Hauptsache, die, die man behandelt, sind gut behandelt. Das können die Kommilitonen und Kommilitoninnen bezeugen.

1. Student: Ein einziger genialer Gedanke, haben Sie einmal gesagt, wiegt mehr als 1000 Seiten Abgeschriebenes. Und das ist heute per Internet nur ein Klacks.

van Gunten: Und wenn Ihnen etwas an meinem Testat liegt, so darf ich sagen, dass sich der Robert eine ganze Weile sehr intensiv mit der Ausgestaltung des Bühnenbildes abgegeben hat. Da gibt es noch ganz andere...

Mahlzahn: Das sieht Ihnen ähnlich, Gunten, andere anzuschwärzen.

van Gunten: Warum andere?

Mahlzahn: Seien Sie endlich still, Gunten! - Und Sie, Tanner, seien Sie froh, wenn ich Ihnen dafür eine ausreichend gebe. - Warten Sie, ich hab noch nicht unterschrieben. - Aber eine kleine Sonderleistung denk ich mir noch für Sie aus! Vergessen Sie das nicht! - Jetzt der nächste!

Kleinfrick: Der bin ich.

Mahlzahn: Wo sind Ihre Ausarbeitungen, Else?

Kleinfrick: Wie?

Mahlzahn: Das Wanderheft!

Kleinfrick: Zuerst will ich Ihnen sagen, dass das unmöglich ist, wie Sie sich hier aufführen.

Mahlzahn: Wie war das?

Kleinfrick: Jawohl, wie Sie Ihr Seminar abgehalten haben und wie Sie sich hier aufführen, das ist schlichtweg ein Skandal. Ein Student, das sollten Sie wissen, ist nicht weniger ein Mensch als Sie! Früher, ich weiß, wär ich für ein so freies Wort von der Hochschule geflogen. Heute aber ist das zum Glück anders.

Mahlzahn: Ja, dann gehen Sie nur, Frau Kleinfrick! Ich wünsche Ihnen viel Glück!

Kleinfrick: Die meisten von uns sind es leid, immer dieselben schlechten Noten bescheinigt zu bekommen, einerlei, wie sie sich angestrengt haben. Meinen Sie, das beflügelt? Oder sollen wir auch noch im Kopfstand und mit Bleiketten an den Füßen unsere Essays schreiben?

van Gunten: Soll er uns doch mal zeigen, wie eine sehr gute Arbeit aussieht! Oder hat jemand von euch auch nur einen einzigen Satz von ihm gesehen?

Mahlzahn: Der nächste!

Kleinfrick: Überhaupt, warum reden Sie die Mädchen stets mit dem Vornamen an, die Jungens aber mit dem Nachnamen? Meinen Sie, dass wir Mädchen uns eine väterliche Gestalt als Lehrer wünschen, die Jungens aber einen Zuchtmeister und Prügler?

Mahlzahn: Der nächste, hab ich gesagt!

3. Student: Der bin ich.

Mahlzahn: Und wo sind Ihre Unterlagen, Kirsch?

3. Student: Hier!

Mahlzahn: Ist das alles?

3. Student: Das ist alles, was ich habe. Das genügt doch wohl!

Mahlzahn: Das sind Ihre Wanderstiefel und Wanderklamotten. Haben Sie weiter nichts vorzuweisen?

3. Student: Ist das nicht ausreichend?

Mahlzahn: Nein, das ist nicht ausreichend. Seien Sie froh, wenn ich Ihnen dafür eine Ausreichend mache.

3. Student: Aber meine Mutter war krank, da ging nichts mehr.

Mahlzahn: Lassen Sie Ihr dummes Gesicht zuhause, Kirsch!

ein Student: (den Prof. nachäffend) Lassen Sie Ihr dummes Gesicht zuhause, Kirsch! Und seien Sie froh, wenn Sie für eine nicht ausreichende Arbeit eine Ausreichend bekommen! Sich selber zu widersprechen fällt nämlich auch einem Lehrer nicht immer leicht.

Mahlzahn: Der Nächste!

ein Student: (den Prof. nachäffend) Und wenn Sie es nicht schaffen, Kirsch, sich mit dem Unterkiefer an die flache Stirn zu klopfen und mir den Vogel zu zeigen, bleiben Sie sitzen!

3. Student: Das werden wir ja sehen! O, er wird staunen, wenn sichs Blettli chert het. (er geht)

Mahlzahn: Der nächste!

van Gunten: Es gibt keinen Nächsten mehr und auch keine Nächste.

Mahlzahn: Sie waren auch noch nicht bei mir, Gunten.

van Gunten: Ich komm auch nicht. Ich lass mich doch nicht beschimpfen! Oder hab ich das nötig? Ausserdem können Sie gar nicht anders als mir den Schein zu geben. Denn Erich hat von mir abgeschrieben und dem haben Sie Ausreichend gegeben.

Mahlzahn: O ich warne euch!

2. Student: Uns muss niemand mehr warnen. Wir sind gewarnt.

Mahlzahn: In der Schweiz weiß man zum Glück noch, wer ich bin!

van Gunten: Das ist allerdings ein Glück!

Mahlzahn: Und bis ihr euch Verdienste für das Vaterland angehäuft habt wie ich, dauert es noch eine Weile!

Kleinfrick: Wenn ein Lehrer so mit seinen Studenten umgehen darf, dann weiß ich auch nicht mehr, wie sich eine Kultur von der Barbarei unterscheidet. Kommt, gehen wir!

alle: Ja gehen wir! ( bis auf Streber und van Gunten eilen alle davon, bleiben aber seitwärts im Bild)

Streber: Ich war auch noch nicht dran, Herr Professor.

Mahlzahn: Geh!

Streber: Ich hab mir aber viel Mühe gegeben bei den Protokollen!

Mahlzahn: Du sollst gehen, Gerhard Streber!

Streber: Das find ich nicht fair, Prof. Mahlzahn!

van Gunten: (zurückkommend) Der Streber hat sich aber wirklich viele Mühe gegeben, Herr Professor, von Ihnen ein Lob einzuheimsen! Denken Sie doch, wenn der mal aus der Schule ist und er keinen mehr hat, der zu ihm sagt, Streber, das hast du aber brilliant gemacht, dafür kriegst du die Note sehr gut, wenn der mal seine Brüder und Tanten und Schwager um ein kleines Lob anbetteln muss! Und beim baldigen 500 jährigen Jubiläum der Anstalt, wie soll er dann den Festvortrag halten, wenn er sich nicht der ruhmvollsten Schultage erinnern kann?

Mahlzahn: Zum Teufel mit euch allen!

(während nun auch van Gunten und Streber gehen)

Mahlzahn: Nun werde auch ich nach Haus gehen. - Ich bitte die Damen das flegelhafte Benehmen meiner Studenten zu vergessen.

T.: Herr Prof. Mahlzahn! Darf ich Ihnen als eine Ihrer altbekannten Freundinnen einen Rat geben?

Mahlzahn: Jetzt nicht. Vielleicht ein andermal. Momentan hab ich kein Bedürfnis nach einem Rat.

T.: Mein Rat dauert keine 10 Sekunden. Hören Sie nur! So können Sie nicht weiterwirtschaften! So kommen Sie nicht zu Streich. So ruinieren Sie sich. Das müssen Sie doch einsehen.

Mahlzahn: Was soll ich denn machen?

T.: Sie können nicht alles durchgehen lassen! Nehmen Sie nur Ihren ersten Studenten zum Beispiel! Den Tanner!

Mahlzahn: Den Tanner? - Sie mögen ja recht haben, gnädige Frau. Eigentlich hätte ich ihn nacharbeiten lassen sollen. Doch dann machte ich ihm eine vier. Weg ist weg, dacht ich.

T.: Dabei ist der junge Mann durchaus nicht ohne Talent. Machen Sie doch was, dass die Talente zum Vorschein kommen!

Mahlzahn: Das ist alles leicht gesagt! Tatsache ist, dass es bislang nicht zu meinen Verfahrensweisen gehörte, eine miserable Leistung als ausreichend zu benoten. Bislang sagte ich, dass etwas nichts ist, wenn etwas nichts war. Nun aber, da sich die Zeiten verändert haben und bald gar noch die Mißbilligung der Studenten mir mein Gehalt verkürzt, trage ich Sorge um mein graues Haupt. Mögen sie doch machen, was sie wollen!

T.: Kann nicht sein, dass sich einer das Ziel zu hoch gesteckt hat? Oder vielleicht waren es auch nur seine Eltern, und nun müht er sich, bringt aber nichts zustande? Soll er dann abgeurteilt und ausgeschieden werden? Ja, sucht nicht der Mensch das Höchste zu erreichen? Und da gewähren wir dem Menschen keine Gnade, sondern ziehen ihn aus dem Verkehr, indem wir zu ihm sagen: Freund, du gehörst nicht hierher? Ein anderer aber steckt sich sein Ziel viel zu tief. In ihm waltet noch eine Bequemlichkeit von Natur.

Mahlzahn: Wie soll ich das alles ermessen und erwägen und am Ende noch gar in Ordnung bringen, was andere über viele Jahre hinweg versäumt haben?

T.: Noch hängt es von uns ab, dass wir in keine gnadenlose Gesellschaft geraten.

Mahlzahn: (vor sich hinmurmelnd) Vielleicht sollte ich mir den Prof. Glorreich zum Vorbild nehmen! Jedermann weiß, dass es unter seiner Würde ist, sich politisch zu engagieren. Ruhig und unangefochten, in himmlischer Klarheit lebt er in seiner traumschönen Villa über dem See. Alles hat er, was immer er braucht, vornehmlich aber eine ihn stets umsorgende Gattin, so dass er von keiner Versuchung jemals übermannt wird. So kann man gut frei sein fürs herrlichste Leben.

T.: Versuchen Sie, mehr zu verstehen und zu begnadigen, als ein strenges Regiment walten zu lassen.

Mahlzahn: Wofür soll ich begnadigen, wenn man mich würgt?

T.: Gessler verlangt den Apfelschuß, das ist Ausdruck seiner Tyrannei, worauf ihn die Umstehenden um Gnade bitten. Sie aber verlangen von Ihren Studenten Arbeiten, die für kaum einen bedeutsam sind. Viel besser wäre, wenn Sie von jedem eben das einforderten, was er unter den gegebenen Umständen zu erbringen vermag, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dann gäbe es im Zeugnis nur ein Ja oder ein Nein. Und der Lehrer gäbe sich damit vornehmlich selber seine Note.

Mahlzahn: O gnädige Frau. Das alles haben Sie sich wunderschön ausgedacht. Nur dass ich zuvor drei Viertel aller Schüler zurückweisen müßte.

T.: Wieso? Ist nicht jeder lernfähig? Oder ist ein Lehrer der Richter seiner Schüler? Ist er nicht der Anwalt zur Entwicklung anstehender Talente? Du darfst an dich glauben! Das ist doch die Botschaft, auf die jeder Jugendliche wartet!

Mahlzahn: (für sich) Erst müßte ich an mich selber glauben! Im übrigen schreiben die allgemeinen Lernziele die Aufgaben vor; und sie sind der Maßstab der Benotung.

T.: Die gäbe es dann nicht mehr.

Mahlzahn: In einer idealen Gesellschaft ließe sich manches verwirklichen, was Sie sich da ausgedacht haben, gnädige Frau. Doch wie soll unsereins die freiheitlich gesinnte, ideale Gesellschaft verbreiten helfen, wenn er selber in einer total unidealen Gesellschaft dahinvegetiert? Statt die Zeit mit sinnvollen und anspruchsvollen Tätigkeiten zuzubringen, müssen wir uns abarbeiten im Korrigieren kindischer Aufsätze und im Evaluieren und Prognostizieren und allerlei solchem Kram, gemäß der Maxime, dass wir ansonsten der Faulheit frönten. Das sind Illusionen, die Sie im Land der unbegrenzten Freiheiten ausprobieren mögen. Ganz davon abgesehen, dass ich mit dem Gesetz in Konflikt käme!

T.: Ja dann zum Teufel mit diesen Gesetzen, wenn sie keine Hinführung zur Selbstverantwortung und zur Freiheit erlauben.

Mahlzahn: Genug, gnädige Frau. Ein andermal mehr. Ich bin in schrecklicher Eile! (geht weg, bleibt aber im folgenden abwartend stehen)

4. Abschnitt: Aus dem Wald kommt der Kleinunternehmer

(Aus dem Wald kommt der Kleinunternehmer, und erzählt von einem Überfall. Er trifft zuerst auf die drei Studenten)

4. Sünder: Meine Damen und Herren! Wie gut, dass ich Sie erreiche! Können Sie mir sagen, wo ich mich hier befinde?

Kleinfrick: Wo Sie sich hier befinden? Sehen Sie doch nur selbst. Hier ist der Vierwaldstättersee, die Mitte der Schweiz.

4. Sünder: Die Mitte der Schweiz?

Kleinfrick: Jawohl, sie befinden sich inmitten der freien Schweiz.

Tanner: Der muss schon von weitem herkommen, der sich hier nicht auskennt. Die gesamte Welt wallfahrtet hierher. Doch sag er uns, was er auf dem Herzen hat?

4. Sünder: Was ich auf dem Herzen habe? Nichts, als dass ich nicht mehr habe, was ich noch bis vor kurzem gehabt habe.

Tanner: Er spricht in Rätselworten. Wenn er uns nicht sagen kann, was er verloren hat, können wir ihm nicht helfen.

4. Sünder: Sag ichs nicht schon die ganze Zeit? Hört man es denn nicht? Entwindet es sich denn nicht ständig und schreit aus mir heraus? Man hat mir Gewalt angetan! Man hat mich beraubt!

Kleinfrick: Man hat ihn beraubt?

Tanner: Und das hat er sich gefallen lassen?

4. Sünder: Es ist schrecklich, was ich erlebt habe. Musste ich dafür ins freieste Land der Welt reisen, um zu erfahren, dass auch hier die Gewalt herrscht?

Kleinfrick: Nur Mut! Nehmen Sie Fassung an und erzählen Sie alles, was Sie auf dem Herzen haben! Das wird Sie erleichtern.

4. Sünder: Was ich auf dem Herzen habe, das ist, dass ich nichts mehr in meinem Beutel habe. (er öffnet den Koffer)

Tanner: Man hat Sie ausgeraubt. Das sagten Sie schon.

4. Sünder: Das scheint hier ebenso alltäglich zu sein wie der Sonnenschein hoch über den Bergen?

van Gunten: Immerhin ist er selber noch in gepflegter äusserer Verfassung. Der Anzug, von ein paar Gräslein abgesehen, tadellos. Und selbst die Krawatte kaum zerknittert.

4. Sünder: (er zeigt seinen leeren Koffer)

Tanner: Wenn das Ihre Börse oder Ihr Geldbeutel ist, so sehen wir nicht nur, dass er leer ist, sondern auch, dass Sie zu den großen Leuten gehören. Kleine Leute haben kleine Beutel, große Leute aber haben große Beutel. Das werden Sie wohl nicht bestreiten. Und ganz reiche Leute haben Koffer zu Geldbeuteln. Wir ahnen mithin, wie Ihrem Koffer zumute sein muss, auch wenn wir ihn keine Tränlein mehr weinen sehen, wenn er gewohnt war, stets mit Dollars prall gefüllt zu sein.

van Gunten: Wenn man einen armen Schlucker ausraubt, das geht noch hin. Denn da fängt man ja nichts. Aber einen reichen Mann ausrauben, das ist schon ein anderes Kaliber.

4. Sünder: Wenn Sie nur wüßten, wie sehr Sie die Wahrheit treffen, indem Sie höhnen. Denn in der Tat hat der arme Schlucker immer nur für sich zu sorgen. Ich aber als Unternehmer mit einem Dutzend Angestellten, einer Sekretärin und Lehrbuben, habe für mehr Köpfe zu sorgen, als eine Schlange sich wachsen lassen kann. Oft weiß ein Arbeitgeber wie ich nicht, wie er im nächsten Monat seine Mitarbeiter bezahlt; deshalb ist er genötigt, sich Rücklagen zu verschaffen. Und eben zu diesem Zweck war ich hier unterwegs.

van Gunten: Der Koffer war mithin prall gefüllt, als Sie in die Schweiz kamen?

4. Sünder: Es war das Geld, das meinen Leuten den Arbeitsplatz gerettet hätte für die nächste Rezession.

Tanner: Wie viel war das? Eine Million oder mehrere Milliönchen?

4. Sünder: 3 Millionen Euros waren es ganz genau.

van Gunten: Hart erworbenes Geld.

4. Sünder: Wer das bezweifelt, ist ein Schuft.

Tanner: O saeculum saeculorum. Und doch ist es besser, an seinem Koffer Schaden zu leiden als an seiner Seele.

van Gunten: Doch weshalb, um des lieben Himmels willen, wandelten Sie mit so vielem deutschem Geld in den Schweizer Wald? Hatten ihre Schäfchen die Tuberkulose bekommen und Sie waren mit ihnen unterwegs durch die luftigen Wälder nach Davos?

Kleinfrick: Wenn wir Sie recht verstehen, kamen Sie als Anleger aus Deutschland.

4. Sünder: Ich sehe, meine Damen und Herren, dass Ihnen die Sensibilität fehlt, die Ausmasse des Unglücks zu erfassen. Sie weigern sich anzuerkennen, was das für einen wohlhabenden Mann wie mich bedeutet, wenn man ihn ausraubt. Dabei habe ich mich durchaus nicht gleich ergeben. Das dürfen Sie mir glauben. Aber was kann man machen, wenn einer einem eine geladene Pistole vors Gesicht hält? Und das ist doch in der Schweiz ebenso verboten wie in Deutschland.

Kleinfrick: Mir fällt es schwer zu verstehen, wie es einem Spaß machen kann, einen anderen auszurauben.

Tanner: Manche meinen, dass man auf Erden besser lebt, wenn es kein Geld mehr gibt.

4. Sünder: Das Gegenteil ist der Fall. Schafft man das Geld ab, so schafft man den Unternehmer ab, mit dem Unternehmer zugleich aber die Gesellschaft und damit dann auch den Respekt und das Ansehen und die Würde der Oberen und die Autorität der Vorgesetzten und endlich auch noch Recht und Gerechtigkeit! Jawohl, alles das schafft man dann zugleich ab. Dem Chaos aber öffnet man die Tür; und mit dem Chaos, der Gemeinheit und Niedertracht, der Faulheit und der Verantwortungslosigkeit.

Kleinfrick: Glauben Sie mir, Sie finden das Geld wieder.

4. Sünder: Das Geld wär mir lieber als der Glaube.

Kleinfrick: Haben Sie die Kofferöffner gesehen und können Sie von ihnen eine Beschreibung geben?

4. Sünder: Das ist eine Bande von Verrückten, die sich vorgenommen hat, nicht eher Ruhe zu geben, als bis sie alles Geld und allen Reichtum in ihre Taschen gesteckt haben.

Tanner: Immerhin haben sie eine gewisse Diskretion walten lassen. Sonst hätten Sie Ihnen auch noch den Geldbeutel abgenommen.

4. Sünder: (auf Mahlzahn zueilend, der auf dem Nachhauseweg vorbeikommt) Gnädiger Herr! Helfen Sie mir!

Mahlzahn: Lassen Sie mich in Ruhe! Ich muss nach Haus, ich gehöre ins Bett! Ich habe heute noch ein großes Programm vor mir! (ab)

4. Sünder: Dann ist es also doch so, wie ich befürchtet habe, dass die Schweiz nur die Schweizer schützt und dass man in der Schweiz nur als Schweizer zu seinem Recht kommt?

Tanner: Herr Mahlzahn, so heißt der werte Herr, gehört wirklich ins Bett. Der Unterricht hat ihn arg geschlaucht.

4. Sünder: Dass doch alle Fränkli kleine Atombömbli wären und die würden jetzt alle explodieren und die liebe Schweiz in die Luft jagen, samt ihren Seen und Wäldern und Bergen und dem immer treublauen Himmel, in dem sich keine Bohne an Gerechtigkeit findet! (ab, von der Bank und dem See weg)

T.: (von ferne) Was hat der Mann?

Kleinfrick: Etwas zuviel Sorgen, wegen des Geldes, das er nicht mehr hat.

van Gunten: Es fällt ihm verdammt schwer, sein Geld zu vergessen. - Doch gehen wir!

Tanner und Kleinfrick: Ja, gehen wir!

van Gunten: Meine Damen! (er verneigt sich höflich; die Studenten gehen weg)

5. Abschnitt: Wie Frau Tschudi und die Journalistin aus den USA den Mississippidampfer entdecken.

(Ein Strandläufer kommt dazu.)

T.: Gehen wir?

J.: Warten Sie noch einen Augenblick. Es geht mir da etwas durch den Kopf, was noch heraus möchte. (kleine Pause)

T.: Was haben Sie?

J.: Ich weiß nicht recht. Mir ist, als müßte ich Ausschau halten..

T.: Wonach Ausschau?

J.: Ausschau, bis sich etwas zeigt.

T.: Was soll sich denn zeigen?

J.: Vielleicht bin ich schon ein wenig verrückt.

T.: Als hätten Sie Angst, etwas zu sehen, und halten dennoch danach Ausschau... Versuchen Sie, näher zu bezeichnen, was es ist, worauf Sie warten!

J.: Wenn das so leicht wäre.

T.: Nur was nicht ist, läßt sich nicht bezeigen.

J.: Ich weiß. Und was nicht ist, läßt sich nicht einmal in seiner Nichtexistenz beweisen.

T.: Doch was mag es sein, wenn es nicht nichts ist? Was fällt Ihnen dazu ein?

J.: Ich muss in der Zeitung von einem Dampfer gelesen haben.

T.: Das haben wir alle. Gerüchte, die sich verbreitet haben wegen des Steuerfahnders aus Deutschland. Gerüchte auch von einer siebten Armee. Wenn wir allen kursierenden Gerüchten Glauben schenkten, wo kämen wir da hin!

J.: Es soll immerhin viel Geld in der Schweiz lagern.

T.: Zum Glück dürfen wir noch daran glauben, dass einige Dinge unmöglich sind. Überhaupt, was soll eine siebte Armee von Yuwa hier bei uns in der Schweiz? Die Schweiz besetzen? Die Schweiz hat noch nie einen Machthaber gereizt und wird es auch nie. Sie ist zu klein und machte zu viel Mühe, um bei Weltherrschaftsträumen eine Rolle zu spielen.

J.: Aber dort, was ist das?

T.: Wo? Was sehen Sie?

J.: Der Dampfer....

T.: Ich sehe nichts.

J.: Jetzt hält er an. Mitten auf dem See. Direkt unter dem Zeppelin. Jawohl, er hält an, auch wenn er noch eine Menge weißer Dampfwölkchen ausstößt.

T.: Ich sehe wirklich nichts.

J.: O diese Stille! Wenn nur alles friedlich bleibt.

T.: Meine liebe gnädige Frau! Ich kann nichts sehen, wie sehr ich auch das Auge bemühe. Und von Matrosen oder sonstigen Leuten kann schon überhaupt keine Rede sein. Aber selbst wenn ich etwas zu sehen vermeinte, so würde ich meine Augen Lügen strafen. Was nicht sein kann, kann man ja wohl auch nicht sehen. Folglich kann es sich nur um eine Halluzination handeln.

(ein Strandläufer mit Fernglas kommt vorbei)

T.: Mein Herr! Dürfen wir Sie etwas fragen?

Strandläufer: Ich bin in Eile, meine Damen.

T.: Es ist aber sehr wichtig. Ihr Urteil ist uns sehr wichtig. Da draussen auf der See ist ein Schiff, ein Dampfer...

Strandläufer: Ich bin in Eile, meine Damen! Gestatten Sie, ich bin in Eile. (ab)

T.: (ihm nachrufend) Auch wenn das Vaterland in Gefahr ist? Auch wenn eine feindliche Armee in die Schweiz invadiert? Auch wenn es sich um ein U-boot handelt, das atomare Sprengköpfe an Bord hat? Aber es nützt nichts. Er ist in Eile und er wäre auch in Eile, wenn er Gefahr liefe, seinen Kopf zu verlieren. Würden wir ihn sehen, wie er wirklich ist, so würden wir sehen, wie er seinen Kopf bereits unter dem Arm trägt.

4. Kapitel: Offener Platz oben im Wald mit Ausblick auf den Vierwaldstätter See.

1. Abschnitt: Fac-totum kommt auf einem Motorrad an und übt sich mit Pfeil und Bogen als Tell

Fac-totum:

Mit dem Pfeil, dem Bogen

durch Gebirg und Tal

kommt der Schütz gezogen

früh am Morgenstrahl

Meine Damen, Sie werden sich wundern, wo Sie oben auf dem Rütli schon dem jungen Tell begegnet sind, wenn Sie nun auch mich im Kostüm des Tell sehen. In der Tat. Ich bin nicht jener junge Tell aus der Schar des Professor Mahlzahn. Ich bin der Neffe von Fränkli oder, wenn Sie so wollen, Fränklis rechte Hand, des Chefs der Schweizer Banken, den Sie neben dem Staatspräsidenten im Zeppelin gesehen haben. Als mir nun mein Onkel davon erzählt hatte, wie sie sich die Tell-truppe angeschaut hatten, kam ich auf die geniale Idee, die Hauptrolle doch besser durch einen zuverlässigen und vertrauenswürdigen Mann besetzen zu lassen. Diese jungen Leute sind ja zwar eifrig und willig, was wir hier aber brauchen, das sind doch Persönlichkeiten, Männer, die das Leben bereits herausgearbeitet und profiliert hat und denen es an absoluter Zuverlässigkeit und Integrität nicht mangelt. Mehr muss ich dazu wohl nicht sagen. (er schießt)

Selbstverständlich habe ich Ihnen das nur insgeheim erzählt. Auch dass mich Fränkli darauf hinwies, dass ich in diesem Fach einiges so nebenbei erlernen könne, sage ich Ihnen nur unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit. Wenn ich mich hier nämlich zum großen Apfelschütz ausbilde, und das will ich nun ja auch, dann kann ich auch schon bald unentbehrlich werden für die Sicherung und Verteidigung unserer Banken. Da könnte dann wohl nebenbei auch noch so manch ein Fränkli durch mich eingespart werden.

(er schießt, bemerkt dann aber den Dampfer auf dem See und beginnt wieder mit sich zu reden)

Aber was ist denn das? Ja was ist denn das da? Ja so was. Das gibts doch gar nicht! Lueg doch. Da draussen auf dem See! Um ein Passagierschiff der Linie Luzern Küssnacht und zurück kann es sich nicht handeln und auch nicht um ein Promenadenschiff rund um den See. Die kenn ich alle. Was seh ich also? Gespenster? Dabei war vorhin noch überhaupt nichts da. D.h. dagewesen sein kann schon was, aber ich hab noch nichts davon gesehen. Und jetzt kann man den Dampfer mit bloßem Auge sehen! Wie der sich breit macht und brüstet! Das ist ja mehr als aufreizend! - Willsch weggoh, du Vöz, die Flegel! Mach, dass du fortkommsch, du Löl, du Popanz! Da könnt sich ja jedermann einfallen lassen, sich zu einem Ungetüm aufzuplustern! (er schießt einen Pfeil in die Richtung)

Nein, das war nichts. Mein Pfeil hat ihn nicht getroffen. Und der Pfeil? - Auch nicht. - Versuch ichs denn noch ein drittes Mal. Sind doch aller guten Dinge drei. - Doch nein, auch das hat nichts gebracht. Aber dabei solls nicht bleiben. An mir sollst du deinen Meister finden, Schiff, der dich Mores lehrt! - Das Schiff meint wohl, sich unangreifbar machen zu können, indem es sich verhält, als wäre es kein echtes Schiff, sondern nur ein Gespenst, das sich wie ein Schiff verhält. Es meint, weil es so tut, als wäre es unermeßlich weit entfernt, so hätten wir es auch schon dem Vergessen preisgegeben. Denn wenn es so unermeßlich weit entfernt wäre, müßte es ja, um gesehen zu werden, ein Riesenschiff sein, wie es keines gibt und wie es nie und nimmer in unseren See passte. Doch wir wollen doch sehen, wer zuletzt lacht! So sage ich jetzt nämlich zu meinem Pfeil: wenn du wirklich mein Pfeil bist, wenn du dir also bewußt bist, dass du von der Hand eines Helden auf die Sehne gelegt wird, und wenn du wirklich ein Pfeil bist, der gespannt aufs Ziel ist und wenn du ein Pfeil bist, der nicht eher ruht, als bis er das Ziel erreicht und durchdrungen hat, so kannst du es jetzt diesem Schiff beweisen! Beweise, dass wir mächtiger sind als alles Teufelswerk von Himmel und Hölle! (er schießt nochmals) Doch nein, das war auch wieder nichts. - Ah, wenns nur schiffe tät und ich würd vor lauter Regen nichts mehr sehen von dem blöden Schiff! Immerhin aber gehört es nicht zu meinen Aufgaben, mich mit Phantomen abzugeben. Was mich betrifft, so muss ich mich für die Tellrolle vorbereiten, und wenn die ganze Welt in Brüche ginge!

(er übt weiter mit dem Schießen)

Pilat: ( man sieht ihn aus einem Versteck herausschauen)

Fac-totum: Ein bißchen unruhig bin ich nun aber doch, zumal mir nicht mehr gelingt, ins Schwarze zu treffen. Meine Hand zittert. Ich müßte das dumme Schiff vergessen, um wieder zu meiner ursprünglichen Treffsicherheit zurückzukehren! Doch wie vergessen, wenn die Hand nicht aufhört zu zittern? Gib endlich Ruhe, du dumme Hand, oder ich seh mich genötigt, dich abzukarbatschen. (Er äugt aus und sieht wieder das Schiff) Dabei hab ich gehört, dass Schiffe im Nichts verschwinden, zumal im Bermuda-dreieck. Aber dass Dampfer aus dem Nichts auftauchen, das gabs noch nie. Am Horizont mögen sie auftauchen, aber nicht aus dem Nichts. Wenn dieser Dampfer aber nicht aus dem Nichts aufgetaucht ist, dann muss er schon immer irgendwo gewesen sein. Wo aber soll er gewesen sein? Kann er aus Übersee zu uns hergekommen sein? Nein. Andererseits.. Doch was sollte die USA clam heimlich in die Schweiz eindringen? Um Geld bei uns anzulegen? Am Fiskus vorbei? Als ob alle, die bei uns anlegen, reich würden! Ah, dass uns selbst zu unseren besten Argumenten immer auch noch ein Andererseits einfällt!

(er will weiterüben mit dem Schießen, besinnt sich dann aber anders) Überhaupt, was soll ich weiter üben, wenn kein Schuß mehr trifft? Ich kanns doch, wenn mich nur nichts hindert! Das hab ich doch hinlänglich bewiesen. Wart ich also ab, bis der See wieder klar ist und die Luft rein und dieser dumme, allen Verstand verdampfende Dampfer abgedampfert ist! Bis dahin will ich mich ausstrecken und ein wenig schlafen. Es geht doch nichts über einen gesunden Schlaf.

Pilat: (man sieht ihn wieder aus einem Versteck herausschauen) Ich bin selber nicht wenig erstaunt über die Hartnäckigkeit, mit der der Dampfer seine Existenz behauptet. Dabei würd ich sie noch immer nicht für möglich halten, wenn ich nicht auch die Eindrücke des jungen Mannes vernommen hätte. Denn wenn er auch etwas beschränkt zu sein scheint, so beweist er mir doch, dass jeder diesen Dampfer sehen kann, was immerhin für eine phänomenale Objektivität spricht, auch wenn das freilich noch kein vollständiger Existenzbeweis ist. Was aber den einen Schrecken einjagt, das bereitet den anderen Freude. So ist das eben. Nicht die Dinge an und für sich, die Einbettung der Dinge ist es, die uns berührt und beschäftigt. Sollte nun aber mein Glück vollkommen werden, so wart ich jetzt nur noch darauf, dass man die Beiboote hervorholt und sich die von mir genannte Armee aus Yuwa an Land begibt, auf dass ich ihnen zurufe: Meine Freunde aus Yuwa, ihr großen Kämpfer, kommt zu mir, hier bin ich, ich, Pilat, euer General! - Doch still, da kommt Prüfli, der Verteidigungsminister der Schweizer Eidgenossen. Selbstverständlich hat auch er den Dampfer auf dem Vierwaldstättersee entdeckt. Nur dass es zu seiner Maxime als Minister gehört, sich durch nichts einschrecken zu lassen. Und wenn es ein Orlogschiff wäre! Nichts ist, was nicht lösbar wäre: so heißt sein Wahrspruch. (er taucht wieder unter)

2. Abschnitt: Wie der Schweizer Verteidigungsminister versucht, den Dampfer zu entfernen.

Prüfli: (mit Fernglas Richtung Dampfer, von einem Feldjäger begleitet) Ich bin Prüfli, der Verteidigungsminister der Schweizer Eidgenossen. Selbstverständlich habe auch ich den Dampfer auf dem Vierwaldstättersee entdeckt. Nur dass es zu meiner Maxime als Minister gehört, mich durch nichts einschrecken zu lassen. Und wenn es ein Orlogschiff wäre! Nichts ist, was nicht lösbar wäre: so heißt mein Wahrspruch. Dass Sie mich noch nicht sonderlich kennen, nehm ich Ihnen nicht übel, bin ich doch erst seit kurzem im Amt und mithin noch ein Neuling auf der politischen Bühne. Nun aber hat es dem Himmel gefallen, mich gleich mit diesem mißfälligen Zeug da draussen auf der See zu schikanieren. Wenn ich recht sehe, handelt es sich um einen Zaubertrick, mit dem mich der Steuerminister aus Deutschland heimsucht. Das ist ein gewisser Peer Pilat, der in die Schweiz eingedrungen ist und nun hier bei uns sein Unwesen treibt. Die Frage ist nun nur, was wir von dem Dampfer zu halten haben und was zu tun ist!

Seit der Dampfer in unserem See aufgetaucht ist, hat er sich kein Zollbreit mehr gerührt. Nichts. Keine Regung, keine Bewegung. Selbst die Fliegen, die durch den Anblick eines Marinisten oder auch nur des Schattens eines Kriegers von der Reeling verscheucht worden wären, sitzen da und rühren sich nicht. Nun würde mich so ein Dampfer überhaupt nicht bekümmern - Phantom, würde ich sagen, wenn du bei uns nur ausruhen willst, so mach, was du willst! Du hast dir zwar nicht den geeignetsten Ort ausgesucht, doch du störst nicht die Ruhe unseres Staates. Ja, so würde ich sagen, hätte mir nicht unser Präsident, Herr Vätterli, die Sache anders ans Herz gelegt. Vätterli ist eben schon etwas alt. Als wir den Zeppelin verlassen hatten, wollte er, dass ich den Zeppelin als Zeichen unserer Freiheitsliebe über den See hinaus navigiere. Doch kaum hatte ich ihn in der gewünschten Lage, da war dann auch schon dieser feindliche Dampfer zu sehen. Zuerst dachte ich an ein Schattenbild des Luftschiffs. Als ich aber ein solches ausschließen konnte, machte ich unserem Vätterli Mitteilung. Leider nahm er den Dampfer keineswegs so gelassen hin wie ich. Mich erinnerte er nur, dass Freiheit und Zwang zusammengehören. Er aber, als ob darin feindliche Gesellen versteckt sässen, gab Weisung, erstmal unseren Zeppelin vom See wegzunavigieren. Also steuerte ich ihn wieder weg vom See. Damit aber war keineswegs auch schon wieder dieser Dampfer verschwunden, wie Vätterli meinte. Also sollte ichs nun mit sanfter Gewalt probieren, so sagte er zu mir. Ausräuchern, sagte er zu mir, als ich nachfragte, was damit gemeint sei; sanft ausräuchern müssen Sie ihn, wie man sich Bienen vom Leib hält. Als erstes schickte ich Motorboote aus, mit dem Auftrag, nachzusehen, aber ohne den Dampfer zu entern oder auch nur zu berühren und nur im äussersten Notfall Feuer zu geben. Es kam aber zu keinem Notfall. Keines der Boote wurde angegriffen. Sodann ließ ich den Kapitän wissen, dass er das schweizerische Hoheitsgewässer zu verlassen hätte. In 10 verschiedenen Sprachen machte ich mich ihm kund. Endlich gab ich den Befehl, mit dem Restbestand von Leuchtraketen vom vergangenen Silvester den Dampfer unter Beschuss zu nehmen. Vielleicht, dass ihm dann ein Licht aufginge!

Anführer: (mit seinen Leuten herbeieilend) Wir können machen, was wir wollen. Wir kriegen den Dampfer nicht weg. Wenn wir nicht noch immer beobachten könnten, wie er kleine weiße Rauchwölkchen ausstößt, so wollte ich sagen, dass er aus nichts als Spuk und Schein besteht, ohne ein Kilo schwerer Masse. Mag er sich doch verrauchen und so in nichts auflösen! Oder was sollen wir jetzt noch machen?

Prüfli: Schweres Geschütz auffahren!

Anführer: Wünschen Exzellenz wirklich, dass wir zu einem solchen Schlag ausholen?

Prüfli: Der Präsident will es.

Anführer: Sollen wir nicht noch einen letzten diplomatischen Versuch wagen?

Prüfli: Und wie sollte der aussehen?

Anführer: Auch die Uno pflegt den hartgesottensten Sadamisten, mehrere Einladungen zuzusenden.... Ich denke hier an die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Oder machen wir uns nicht lächerlich, wenn wir mit schwerem Geschütz aufwarten?

Prüfli: Sie, mein Herr, machen sich niemals lächerlich. Nur ich, Ihr Auftraggeber, oder der Präsident.

Anführer: Wenn wir in gemeinsamer Verantwortung tun, was wir zu tun für angemessen und richtig halten, dann mag die Welt lachen, so viel sie will.

Prüfli: Wenn, ja wenn...

Anführer: Wenn wir noch einmal unser Schnellboot an den Dampfer herannavigieren und ihm kund tun, dass jetzt die letzte, aber wirklich die allerletzte Gelegenheit gekommen ist, sich in Sicherheit zu bringen? Unser Flagschiff liegt noch auslaufbereit im Hafen. Das dauert auch nicht lange.

Prüfli: Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Aber tun Sie es so schnell, dass ich nichts davon merke!

(für sich, während der Anführer mit den Leuten sich tummelt) O du schlauer Feind, der du so tust, als gäbe es dich nicht! Auf dass du uns auch noch belauschst in den geheimsten, uns selber unbekannten Kammern unserer Seele! Weismachen willst du uns, als ob du die Arglosigkeit und die Ahnungslosigkeit von der Welt wärst; als ob jemals der Schlendrian und die Ahnungslosigkeit einen Feind durch die Welt getrieben hätte! Doch mag mein Adjutant sein Gemüt beruhigen, auf dass er sich nicht vorwerfen muss, etwas verpasst zu haben, was dem Weltfrieden dient.

Anführer: Wir sind so weit.

Prüfli: Dann auf!

Lautsprecher: (Man hört Lautsprecher aus der Ferne auf deutsch und englisch): Meine Damen und Herren. Sie befinden sich in den Hoheitsgewässern der Schweiz. Wir fordern Sie noch einmal und zwar zum letzten Mal auf, mit ihrem Dampfer beizudrehen und sich hinwegzubegeben. Sollten Sie unserer Aufforderung auch diesmal nicht nachkommen, werden wir Sie mit Gewalt vertreiben. Wir bitten Sie, in Ihrem eigenen Interesse, es nicht so weit kommen zu lassen!

Prüfli: Und nun? Tut sich was?

Anführer: Noch nichts!

Prüfli: Meine Geduld geht der Erschöpfung entgegen.

Anführer: (von hier aus zuerst allein, dann in Begleitung seiner Leute; es ist natürlich sinnlos) Holla Matrosen! Wenn es euch dort auf dem Schiff gibt, dann wundert euch nicht, wenn euch gleich die See verschluckt. Auch wenn euch jetzt noch alles schön und schweizerfreundlich anglänzt, es wird sich ändern...

Prüfli: Bringen Sie das Geschütz in Stellung!

Anführer: Sehr wohl, Exellenz! - Meine Herren! Auf gehts!

Leute: Sie können sich auf uns verlassen! Tun wir, was man uns heißt. Und baden wir es aus, wenns daneben geht. - Was soll denn daneben gehen? - Bei so strahlendem Wetter soll man den Himmel nicht versuchen! - Immerhin wär das der erste Dampfer, der von unserer Marine versenkt würde. (Geschütze werden gerichtet)

einer der Leute: Zum Teufel mit dem Dampfer!

ein anderer: Und wenn es ein paar Unschuldige kostet! Wie auch könnten wir uns wehren, wenn wir noch auf Unschuldige Rücksicht zu nehmen hätten?

wieder einer: Beklage sich nur keiner, dass er lieber vom Berner Bär verspeist worden wäre. Nun ist es ihm vom Schicksal bestimmt, in der rauen See zu versaufen!

Prüfli: Lassen Sie schießen!

Anführer: Ganz scharf?

Prüfli: Das Boot versenken bis auf den Grund!

Anführer: Gewiß: Was sein muss, muss sein!

Leute: Was sein muss, muss sein!

Anführer: Feuer!

(Man hört einen Bombeneinschlag)

Leute: Rauch, nichts als Rauch über dem See. - Immerhin konnte man das Klatschen des Wassers hören! - Warten wir ab, was sich uns zeigt! - Hoffentlich nur eine kleine auslaufende Welle! - Gleich wissen wir mehr. - Ja, glücklich, wenn sich uns nichts weiter zeigt. Doch warten wir ab! - Es scheint nichts zu sein. - Doch, ich sehe etwas! - Ich sehe auch etwas.- Ja dort ist noch etwas zu sehen!

Anführer: Schweigt und wartet ab!

Leute: Jawohl, warten wir ab, bis wir sehen, dass wir von diesem Dampfer nichts mehr sehen. - Ein Vaterlandsverräter, wer mehr sieht!

Prüfli: Nochmals Feuer!

Anführer: Feuer!

Leute: Feuer! - Nun sollen die Leute sehen, wie nichts mehr von ihnen zu sehen ist. Verschwinden sollen sie von der Erde wie die Rotte Abiramas oder wie jene Schurken heißen.

Anführer: Feuer!

(Man hört wieder einen Bombeneinschlag, noch stärker als zuvor)

Leute: Rauch, nichts als Rauch. - Noch nie hab ich so gewartet. Ich könnte zergehen vor zitternder Erregung. - Jetzt wird man nichts mehr sehen als nur noch die Urflut.

Prüfli: (für sich) Wenn das keine Katastrophe ist!

Anführer: Man sieht nichts mehr. Wir jedenfalls sehen nichts mehr. Oder seht ihr etwas, Kameraden?

Leute: Nein, wir sehen nichts mehr. Selbst wenn es noch etwas zu sehen gäbe, sehen wir nichts mehr. - Wir haben uns abgewöhnt, etwas zu sehen. - Ein schlechter Patriot, der uns weismachen will, er sähe noch etwas. (sie gehen weg)

3. Abschnitt: Wie Prüfli dem Fac-totum begegnet.

Fac-totum: (auf Prüfli zueilend) Hab ich ihn endlich? Gestehen Sie nur, dass Sie der Feind sind, der glaubt, unsere liebe Eidgenossenschaft verwüsten zu dürfen. Oder hab ich ihn nicht auf frischer Tat ertappt? Hab ich nicht gehört, wie er mit scharfer Munition um sich geballert hat? Junger Mann, was ist in Sie gefahren, so wüst in meinen sonst so unverwüstlichen Schlaf hinein zu wüten?

Prüfli: Genug jetzt, mein Herr! Als Verteidigungsminister der Schweiz befehle ich Ihnen, von hier wegzugehen.

Fac-totum: Sie der Verteidigungsminster der Schweiz? Das soll wohl ein Witz sein? Wenn ihm an dem Beweis liegt, kein Feind der Schweiz zu sein, ja wenn er sich als Held und Verteidiger der Schweiz erweisen will, so nehm er den Dampfer dort aufs Korn! Schieß er ihn ab! Mach er ihn zunichte, diesen Hans Dampf! Oder sieht er ihn nicht? Dann lass er ihn sich von mir zeigen! Sieht er dort bei den Kastanien die hohe Tanne? Hat er sie? Wenn er von dort die Gerade zieht zur Projektion der Sonne aufs andere Ufer, dann kann er den Dampfer nicht verfehlen.

Prüfli: Nun ists genug! (er pfeift. Sein Adjutant kommt) Führen Sie den jungen Mann ab.

Fac-totum: Was, mich abführen?

Prüfli: Er ist geistig verwirrt.

Fac-totum: Junger Mann, wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf... Lassen Sie von mir Ihre Finger! Sie sollen Ihre Finger von mir lassen, Sie Abführmittel!

Anführer: Keine Widerrede! Kommen Sie!

Fac-totum: Pfoten weg!

Anführer: Das hat keinen Sinn.

Fac-totum: O Sie werden sich noch wundern, wenn Ihnen erst mal die Schuppen von den Augen fallen und Sie erkennen, gegen wen Sie sich vergangen haben! Aber so machen sie es alle. Trifft man den Feind nicht, so vergreift man sich am nächstbesten.

Anführer: Lassen Sie alles über sich ergehen und beschweren Sie sich später!

Fac-totum: (zum Adjutanten) Eigentlich darf ich nichts sagen. Doch jetzt kann ich nicht mehr länger schweigen. Zur Strafe sollen Sie alles wissen, bis auf meinen Namen! Erfahren Sie denn, dass Sie an einen der höchsten Geheimnisträger der Schweiz Hand angelegt haben. Und zum Beweis dafür erfahren Sie, was ich aus zuverlässiger Quelle weiß, dass sich in der Schweiz Räuber und Piraten aufhalten. Ich rede hier nicht von Ganoven, die es überall gibt. Ich rede von ganz speziell Kriminellen, die aus Deutschland über den Rhein gekommen sind. Auf verbotenem Weg, wie sich versteht. Und dass das alles Hand und Fuß hat und mit der Wahrheit übereinstimmt, kann Ihnen mein Onkel, der Schweizer Währungshüter und Chef der Schweizer Banken, Frank Fränkli bestätigen, der sich rühmt, mich als seine rechte Hand zu besitzen.

Anführer: Es wird schon alles wieder gut werden, junger Freund!

Fac-totum: O nicht genug damit. Alles müssen Sie jetzt wissen, zumal da es sich um streng geheim zu haltende Dinge handelt. Hören Sie nur! Aus dem Zeppelin heraus haben wir einen gewissen Peer Pilat gesehen, den deutschen Finanzminister seines Zeichens, der, wie alle Welt weiß, auf Steuersünder Jagd macht. Fränkli sagte mir, sie seien so tief über diesem Herrn hinweggeflogen, dass er, wenn er hätte wollen, dem eins auf den Deez hätte geben können. Dann würde er sich jetzt schon nicht mehr in der freien Schweiz aufhalten, vielmehr die Schweiz von seinem Aufenthalt befreit sein. Noch bevor nun dieser Peer Pilat zu uns gekommen ist, hat er sein Kommen bereits überall so lauthals angekündigt, dass es uns ein Leichtes gewesen wäre, ihn an der Grenze abzupassen. Doch da er so viel Lärm gemacht und uns wohl auch noch so einiges von der 7. Armee von Yuwa vorgeschwafelt hat, die er hier am See als Verstärkung erwarte, so haben wir ihn wie einen Basler Fastnachtsnarren bei uns einziehen lassen.

Anführer: Ist ja alles gut!

Fac-totum: Ich sag jetzt nichts mehr. Ich sag jetzt nur noch, dass ichs meinem Chef sag, dem Bankier Fränkli. Dann können Sie sich mitsamt Ihrem Schweizer Verteidigungsminister auf ein Tänzchen gefasst machen.

5. Kapitel: Des Pilat Lager bei der Zwing-Uri-Ruine

1. Abschnitt: Pilat kommt zurück und informiert seine Leute über das Kommen Prüflis.

(Pilat und ein paar seiner Leute, die ihn empfangen)

Pilat: Ob sich mein Ausflug gelohnt hat? Und ob. Und freilich war der Anblick über den See zum fernen Pilatus hinüber gigantisch. Als ich meinen Namensvetter anschaute und er mich anschaute und ich den Eindruck hatte, dass wir uns erkannten: das war allerdings erhebend. Und dann sah ich den Dampfer, ein seltenes Glück, das ich selber noch nicht zu erfassen vermag. Doch einstweilen genug davon!

Kommt alle her zu mir, auf dass ihr hört, was ich euch zu sagen habe. Und dass ichs euch gleich mit einem Wort sage: Herr Prüfli, der Minister für die Landesverteidigung der Eidgenossen ist unterwegs zu uns. Er wird gleich hier sein. Dann muss sichs zeigen, ob wir unser Ziel erreichen, die Welt ein Stückchen gerechter zu machen. Doch freilich wirds nicht leicht sein, ihn für unsere Sache zu gewinnen, zumal es ihm und seinen Leuten nicht gelungen ist, den Dampfer vom See zu entfernen, während es aussieht, als begünstige der Himmel, dass wir noch immer unser Unwesen treiben in seiner lieben Schweiz. Voll Wut und Groll und Vaterlandsstolz hat er sich auf sein Schweizer Velo geschwungen und radelt uns nun entgegen. Für alles, was aus Deutschland kommt, hat er verständlicherweise nichts anderes mehr als Verachtung übrig. Ich darf Sie also bitten, meine Herren, ihn nicht vom Sattel zu holen, wenn er kommt. Ich darf Sie bitten, ihn unbehelligt zu mir radeln zu lassen. Auch wenn Sie sehen, dass ich auf ihn zueile und ihm entgegenkomme, bitte ich Sie, ihm nicht nahe zu kommen, sondern sich im Hintergrund zu halten. Jede Artikulation einer Machtgebärde ist zu unterlassen und abzuwarten, was geschieht! Bauen Sie darauf, dass die Vernunft nur zu siegen vermag, wenn wir den Takt an den Tag legen, der dieser kritischen Situation angemessen ist. - Doch still! Da kommt er ja schon! - Doch nein, das ist er noch nicht. Das sind noch immer Geldsäcke aus Deutschland. Will denn die Sintflut kein Ende nehmen. Da wischt man und kehrt das Wasser zusammen und es kommt immer noch weiteres angeschwappt! - Nehmt sie in Empfang und fertigt sie ab! (für sich) Ich hab noch ein gewichtiges Wörtchen mit dem Präsidenten auszutauschen, vor meinem Besuch heute Abend. (laut) Ruft mir, wenn der Prüfli kommt! (ab)

Spitzer: Wir haben uns verirrt. Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr. Der Weg hört hier auf. Das war sicher der Pilat, der diesen Holzweg angelegt hat.

Wintermann: Und wenn schon. Was geht das uns an? Soll doch einer kommen und versuchen, Hand an uns zu legen. Das wär so ähnlich, wie wenn einer eines der bedeutendsten Picasso-gemälde stehlen würde. (theatralisch) Dabei hat man uns gewarnt. Banditen und Mordgesellen sollen um ihn herum sein. Da wird man dann gezwungen, seinen Geldkoffer vor sich hin zu stellen und dann muss man sich auf den Rücken legen.

Spitzer: Hauptsache, wir bringen unser Geld in Sicherheit. Ist mein Geld in Sicherheit, dann ist mir egal, was mit mir passiert. Oder ist es kein Skandal, wie der Euro so rasant inflationiert? Dabei heißt es, das deutsche Volk habe sich für den Euro entschieden. Mich hat nie einer danach gefragt.

Wintermann: Mich auch nicht. Glatt über unsere Köpfe weg hat man entschieden und uns dann über den Tisch gezogen...

Spitzer: Vielleicht hätten wir unser Geld sonst nicht in Fränklis angelegt. Aber auch auf den Dollar ist ja schon lang kein Verlass mehr.

Raab: Tja, meine Herren, so ist das eben. Der Dumme, das ist immer der, welcher Geld hat. Denn wer Geld hat, der bezahlt, was immer auch auf Erden angestellt wird. Und wer sonst ist das als die Bank? Eine Bank ohne Geld, das wäre ein Kolonialwarenladen ohne Kolonialwaren. Und nun müssen wir uns auch noch gefallen lassen, dass Neidhämmel von Abgeordneten Gesetze auf den Weg bringen, die uns zu Dieben an unserem Eigentum machen?

Wintermann: Hauptsache, wir bringen das Unsere erst mal in Sicherheit. Freunde, ich sag euch, mir ist gar lustig zumut. Als braute sich ein Unglück zusammen und ich müßte darüber lachen.

Scheer: Komm her, Freund Wintermann, du Oberboss aus dem Krankenkassenverein, und sing mit mir, deinem Freund, dem Oberboss der Ärzteschaft unser Nationallied. Denn wenn wir uns sonst auch spinnefeind sind und keine Zeit haben zum Singen, so tuts uns doch wohl im Herz, auch wenn uns hier im Wald niemand hört als nur die lieben uralten Bäume!

Wintermann und Raab singen:

Sind wir uns auch sonst spinnefeind,

ist alles nicht so schlimm gemeint,

selbst wenn der Teufel an die Türe pocht,

wird nicht so heiß gegessen wie gekocht.

Von uns, zum Glücke, leidet keiner Not,

wir fressen Kuchen auch, fehlts uns an Brot.

Für unser Geld indes in Sicherheit

ist uns kein Trampelpfad zu lang, zu weit.

Kinski: Bravo, meine Herren! Hübsch gesungen. Wie nach Noten.

Spitzer: Mein Herr! Er wird doch keiner der Räuber sein.

Kinski: Was verschafft uns das Vergnügen?

Scheer: Die Frage liegt ganz bei uns! Wir kennen Sie zwar nicht, doch seien Sie uns willkommen, wenn sie uns der Himmel geschickt hat.

Kinski: Das kommt ganz drauf an, was Sie unter einer Schickung des Himmels verstehen.

Ruch: Am besten stellen Sie gleich mal ihre Geldköfferchen vor sich hin.

Raab: Wie bitte?

Kinski: Die Geldköfferchen vor sich hingestellt und da ins Gras gelegt! Und zwar sofort und auf den Rücken.

Raab: Das ist ein Scherz?

Kinski: Das ist ein Befehl.

Raab: Das ist unerhört.

Kinski: Wirds bald! Auf den Rücken. Und zwar plötzlich!

Wintermann: (sich hinlegend) Ist das nicht sonderbar: ich lege mich hin und hab eigentlich überhaupt keine Lust dazu.

Raab: Das Peinsame ist eigentlich nicht, dass ich mich hinlege, sondern dass mir einer zuschauen kann, wenn ich mich hinleg. Ja, wenn ich mir vorstell, es könnte mir einer meiner guten Bankkunden zuschauen! Das ist einfach ungeheuerlich.

Scheer: Ich leg mich nur hin wie ein Patient. Und weil ich weiß, dass ich kein Patient bin, so leg ich mich hin, ohne mich in Wahrheit hinzulegen.

Kinski: Meine Herren, vergessen Sie nicht! Was immer Sie tun, geschieht aus Verehrung und Dankbarkeit des Geldes.

Scheer: Wenn ihr etwas Gutes tun wollt, so legt die Herren hin, die den Euro befürwortet und ihn uns aufgezwungen haben. Und daneben könnt ihr noch alle die legen, die nichts tun, als darüber nachsinnieren, wie sie neue Steuern erfinden!

Ruch: Wir ermahnen die Herren Räuber, schön still zu sein.

Scheer: Wenn einer ein Räuber ist, so ist es doch der, der Geld presst.

Kinski: Kusch hab ich gesagt!

Scheer: Selbst ein Staat kann ein Räuber sein, nicht nur in Afrika, auch in Europa.

Ruch: Nur keine Vorlesungen über Staatsrecht.

Wintermann: So kann man uns nicht kommen. Vergessen Sie nur ja nicht, dass die Schweizer Behörden von uns wissen. Mit dem Präsidenten Vätterli steh ich selber in höchstpersönlicher Verbindung.

Kiefer: Ja dann, alles Gute!

Scheer: Ja glauben Sie mir nicht? Der Beweis ist rasch getan! (er will telephonieren)

Kinski: Dass er sich nur nicht untersteht!

Kaiser: Das Zeug her! Und Sie auch, meine Herren, nur her mit diesen Mobilfunks, alles her!

Spitzer: Fast wünsch ich mir, ich wollte, man erschösse uns. Dann würde die Welt erkennen, was man uns angetan hat.

Ruch: Meine Herren! Haben Sie nichts besseres zu tun, als die Schweizer Wälder unsicher zu machen? Ist es nicht eine Schande, sich wie ein fetter Geldschein auf den Kassentisch der Erde legen lassen zu müssen? Dem größten Dummkopf vergeht da das Lachen!

Raab: Wir sind durchaus in der Lage aufzustehen...

Kinski: Will er liegen bleiben! Kusch! Absolute Stille bitt ich mir aus, wenn jetzt unser Kassenwart zur Obsignation der Geldbeutel schreitet!

Wintermann: Das ist Gewalt!

Kinski: Absolute Stille bitt ich mir aus! Wann je hätte die Macht in solch erhabenen Augenblicken einen Ungehorsam erlaubt? Selbst ein Scherzchen wurde da blutig unterdrückt.

Kiefer: (die Köfferchen inspizierend) Und ich will ein Schuft sein, wenn ich jemals so viel Geld gesehen habe! Was für nette Sümmchen da doch überall schlummern. Nichts als Köfferchen, prall gefüllt mit fettesten Scheinen! Es geht doch nichts über die Aussicht auf ein fettgebratenes Schwein, wenn die Mittagsstunde herannaht! - Und Sie, Herr Doktor, wollten wirklich alle diese Forellchen nach Zürich schwimmen lassen? Wie heißt das Flüsschen schon wieder? Reuß oder Aar? Wie? - Und da! Ja, was ist denn das, Herr Heizungs- und Energie-unternehmer? Ei der Tausend! Entzückende Wertpapierchen! Wie sie alle ihre niedlichen Köpfchen ducken, als trauten sie sich nicht aus dem Körbchen zu lugen! - Was, zum Teufel, wollten Sie nur mit all dem vielen Kapital anfangen? In Zürich anlegen, dass es sich verdoppelt und verdreifacht? Genügt nicht, reich zu sein? Muss man auch noch ein Midas werden, dass man nur noch wie eine Sau im Gold herumwühlt?

Ruch: (während er Namenstafeln der Sünder an die Bäume heftet) Dabei sehen die Herren durchaus nicht nach Abkömmlingen schlechter Eltern aus. Alle krawattiert, in schwarze Anzüge bugsiert, mit einem Wort, aus der besten Gesellschaft. Und alle diese Gelderchen gedachten die Herren am Staatsfiskus vorbeizuführen?

Kiefer: Was machen wir mit den Leuten?

Mäntele: (von Pilat kommend) Lassen wir sie laufen!

Kiefer: Wie? Was? Mit Sack und Pack?

Mäntele: Der Chef hat es mir so aufgetragen.

Kaiser: Dass wir die Geldsäcke laufen lassen mit Sack und Pack? Das kann nicht sein. Das hast du falsch verstanden.

Mäntele: Wenn Prüfli kommt, soll alles in Ordnung sein.

Ruch: Mag doch der Herr Prüfli prüfen, was hier geschieht! Wäre alles in Ordnung, so wären wir ja auch nicht hier.

Mäntele: Er will nicht, dass diese Leute da sind, wenn er kommt! - Geht!

Raab: Was meint der Herr?

Mäntele: Meine Herren! Stehen Sie auf und verschwinden Sie! Sie können gehen, wohin immer Ihnen beliebt!

Wintermann: Hat er hier die Befehlsgewalt als Räuberhauptmann?

Mäntele: Ihr sollt gehen, hab ich gesagt.

Wintermann: Das hat er gesagt! Und jetzt beliebt es ihm, dass wir verschwinden? Das glaubt er doch selber nicht. Lass er sichs gesagt sein! Ohne unser Geld denken wir nicht daran, zu verschwinden!

Scheer: Nein, ohne mein Geld geh ich nicht weg!

Spitzer: Ohne Geld geht niemand von uns weg. Eine Zukunft ohne Geld? Das ist undenkbar. Lieber bleiben wir hier. (für sich) Hoffentlich sieht uns jemand und nimmt das alles auf. Dann kann mich einer noch in tausend Jahren bewundern, wie tapfer ich für die Freiheit gekämpft habe.

Ruch: Fiat voluntas! Mag den Herren geschehen nach ihrem Willen. Kumpels! Ich will euch einen Vorschlag unterbreiten, wie wir der Renitenz dieser Leute begegnen! Lassen wir sie doch liegen! Mag sich doch dieser Prüfli ein naturgetreues Bild machen von dem, was hier vor Ort abgeht!

Kaiser: Wär ich der Kaiser Nero, ich hätte schon längst kurzen Prozeß mit den Gesellen gemacht. Das könnte er jetzt sehen.

Ruch: Schon gut! Schon gut!

Wintermann: Ich steh auf, sag ich!

Kaiser: Er bleibt liegen, sag ich!

Wintermann: Ich habe mich aber entschieden zu gehen, sag ich.

Kaiser: Die Zeit dazu ist vorbei. Liegen geblieben, mein Herr! Und zwar ohne die leiseste Bewegung! Das könnte sonst fatal werden! Hier bleibt er liegen, mucksmäuschenstill, was auch immer geschieht, bis ihm die Lust am Nachdenken vergeht! - (sie verstecken sich in der Nähe, von wo aus sie die Leute in Schach halten)

2. Abschnitt: Wie Prüfli ins Lager kommt und weitere Steuersünder ins Netz gehen.

Prüfli: (hält mit dem Fahrrad an) Bis hierher wär ich nun also gekommen; und das ohne Schutz und Begleitung von meinen Leuten. Heller Wahnsinn, sagten sie, sei das, wenn ich mir vornähme, mit dem Fahrrad ins Lager des Feindes zu radeln. Wenn schon, dann sollte ich das mit einer gepanzerten Daimler-Limousine versuchen. Oder mit einem Leopard der Bundeswehr. Sie haben ja Recht; denn das ist wirklich nichts anderes als heller Wahnsinn, so gegen den Goliath vorzugehen. Bevor ich aber zu einem deutschen Fabrikat meine Zuflucht nehme, lass ich mich lieber erschießen. Oder was ist ein Leben in Schmach und Schande? Und betracht ichs noch etwas genauer, haftet nicht an allem vom Menschen geschaffenen Großen und Bedeutsamen der Kometenschweif des Wahnsinns? Wie ein Wunder mutets mich an, dass Himmel und Erde noch immer bestehen, statt erschlafft in sich zusammen zu stürzen. Sollten aber Himmel und Erde bis heute Abend Bestand haben, so bin ich bis dahin beim Präsidenten und rapportiere, dass ich alles erledigt habe. Und das will ich jetzt in die Wege leiten. Und wenn ich auch nur als einer und ohne Waffengewalt anrücke, wie es einem Heerführer und Verteidigungsminister ziemte, so komm ich doch, als ob eine Legion Engel nur darauf wartete, von mir herbeigerufen zu werden, auch wenn ich an keinen einzigen Engel glaube. - Auf denn, Prüfli! Mach dich ans Werk! Zeig, was du kannst! Wachs über dich hinaus! Vernichte den Feind! Die Stunde der Bewährung ist da! Auf! Nimm deine Fäuste und trommle an die Tür, auf dass jedermann erkennt, wer vor der Türe steht! Stürm das Bollwerk! Renn ihm die Türe ein! Hol den Borstenwurm aus seinem Versteck, dass er sich wundert!

Doch was ist denn das? (er entdeckt in der Ferne die Steuersünder am Boden und bleibt stehen) Was für eine abgeschmackte widernatürliche Entdeckung, so schamlos und ruchlos ausgestellt dem ungeschützten Aug des Tags! Hat man die Zwing-Uri zu einem Leichenhaus umgebaut und die Schandbarkeit wurde als Freibrief gegen die Gesetze mißbraucht? Ist das die Quintessenz all unserer Freiheit, die Quintessenz unserer Gerechtigkeit, das Wohinaus unseres engumgrenzten Lebens? Justiz, auf wen machst du Jagd, dass die Menschheit durch den Wald der Welt hastet und läßt selbst noch die Nacht zum Tag werden, um einmal so dazuliegen, zur Schau gestellt den Tieren des Waldes, auf dass sie sich nicht beklagen, dass ihnen die Gaben des Verstandes und der Vernunft vorenthalten geblieben? Da liegen die Leute, vier an der Zahl, wenn nicht noch weitere dort sind, unbeweglich, einem jedem sein Name zu Häupten, als hätte man sie zur Abschreckung nebeneinander gereiht. Sie sind wohl tot, scheinen aber fast noch am Leben. Ja, frisch und wie noch am Leben sehen sie aus, als warteten sie auf den Seelengeleiter, dass er ihnen den Weg in die Unterwelt weist. Das Verbrechen kann noch nicht lange her sein. Wär ich mit einem Geländewagen angerückt, vielleicht hätt ich das Verbrechen noch verhindert.

(er telephoniert mit seinem Handy) Mein Herr! Hier spricht Prüfli, der Verteidigungsminister der Eidgenossen. Sprech ich mit Dr. Pilat aus Deutschland? (nebenbei) Das ist zwar nicht so freundlich im Ton, wie wenn ich fragen würde, ob ich mit Dr. Pilat, dem Finanzminister aus Deutschland zu sprechen die Ehre habe, doch immer noch viel zu höflich angesichts dieses Haufens von Leichen.

Pilat: Hier spricht in der Tat der Finanzminister aus Deutschland, Dr. Pilat. (nebenbei) Dass ich mich als derzeitiger Finanzminister vorgestellt habe, soll ihm zeigen, dass ich mich ganz meinem Amt unterstelle. Und dass ich ihn jetzt noch nach seinem Aufenthaltsort fragte, mag bei ihm den Eindruck erwecken, als sei ich meilenweit entfernt. (laut) Doch wo sind Sie?

Prüfli: Wo ich bin, mein Herr? Vor der alten Zwing-Uri und fordere Sie auf, unverzüglich heraus zu kommen und sich mir zu stellen!

Pilat: (für sich) Das ist doch etwas zu deftig. Hier muss ich einsprechen! (laut) Ich mich stellen? Seit wann hat sich ein Minister im Amt zu stellen?

Prüfli: Wer ein Verbrechen begeht, hat sich zu stellen, ob er Minister ist oder nicht. – Nach einigen Recherchen haben wir herausgefunden, dass er sich hier aufhält. Nehm er sich nicht zu viel Zeit, sich mitsamt seiner Räuberbrut aus dem Turm heraustrommeln zu lassen, Fass er es als Gnadengeschenk auf, aus dem Räubernest befreit zu werden.

Pilat: Nie haben wir aus unserem Hier-sein ein Geheimnis gemacht.

Prüfli: Und doch musste er sich hier verstecken?!

Pilat: Wie meinen Sie?

Prüfli: Das weiß er doch selber! Komm er heraus und beeil er sich, solange noch Zeit ist! Sonst gibt es keinen Ausgang mehr und die Türe ist für immer vernagelt. Die exakten Koordinaten sind nämlich bereits eingegeben; eine Bombe niedersausen zu lassen, ist nur noch die Kleinigkeit eines Knopfdrucks.

Pilat: (für sich) Wie stolz und anmaßend der Mensch ist! Als ob wir nicht gesehen hätten, wie die Bombe beim Dampfer danebensauste. Doch erlauben wir ihm die Kraftmeierei, zumal er geschwächt zu uns kommt und wir auf Verständigung aus sind. (laut) Dabei sind wir nicht gekommen, um zu vernichten, sondern um uns zu verständigen.

Prüfli: Das zeigt sich mir leider ganz anders.

Pilat: (für sich) Zur Bombe hab ich jedenfalls nichts gesagt. Das hätte mir die Rolle als Bittsteller nur erschwert.

Prüfli: Doch wo bleibt er nur? Komm er endlich, ohne wenn und aber und ohne eine Waffe! Wir verlangen eine bedingungslose Kapitulation.

3. Abschnitt: Wie Pilat und Prüfli aufeinander treffen.

Pilat: (auf Prüfli zuschreitend) Mein Herr!?

Prüfli: Mein Name ist Prüfli. Ich bin der Minister für die Verteidigung der freien Schweiz.

Pilat: Pilat ist mein Name! Und Sie kommen allein?

Prüfli: Deuten Sie nur nichts falsch. Ich bin gekommen im Namen sämtlicher Schweizer Eidgenossenschaften.

Pilat: Lassen Sie mich Ihnen meinen unbedingten Respekt aussprechen. - Und wenn ich gleich eine Bitte vorbringen darf? Wärs möglich, dass wir uns alle Treppen und Fluchtwege voller Nebengedanken versagen und offen und frei miteinander sprechen?

Prüfli: Frei zu denken und frei zu reden sind wir Schweizer gewohnt.

Pilat: Dann darf ich wohl hoffen, dass uns ein gemeinsames Ziel nicht verwehrt bleibt!

Prüfli: Werter Herr! Wie ich bereits gesagt habe, behalten wir uns in der Schweiz das alleinige Recht vor, gegen einen Straftäter vorzugehen.

Pilat: Kein Staat sollte Straftaten durchgehen lassen.

Prüfli: Weder vom kleinen Mann noch auch von den Regierenden. Im Gegenteil. Je höher einer im Staat steht, einen um so strengeren Massstab sollte man an ihn anlegen.

Pilat: Jeder Staatsbürger sollte sich um die Einhaltung der Gesetze bemühen.

Prüfli: Dabei denke ich keineswegs nur an Ihre gesetzeswidrige Invasion in die Schweiz. Ich denke da vielmehr an die Menge aller der Schrecknisse und Untaten, die man neben Ihren Spuren sehen kann, deren letzte wohl diese hier ist!

Pilat: Sie denken, diese Leute seien tot. Das ist aber keineswegs der Fall. (er pfeift. Kinski kommt)

(zu Kinski) Stell die Leute auf die Beine und führ sie dem Herrn Prüfli vor!

Kinski: Denkt der Herr, diese Leute seien tot? Lebendiger wurde noch keine Leiche gefunden, als es diese Leute hier sind. Nachdem ihnen der Teufel über die deutsch-schweizer Grenze vorausgetanzt war, sind sie hier im Wald ins Straucheln geraten. Und jetzt warten sie darauf, sich erheben zu dürfen. Ja wahrlich, als jene Wächter, die der zum Leben Erstandene beinahe zu Tode geschmettert, würden sie sich hervorragend zu einer Auferstehungsgruppe eignen.

Pilat: Beeil dich und weck Sie auf!

Kinski: Wenn es Ihr Wunsch ist, so wollen wir ihnen das Exerzitium des Fegefeuers verkürzen! - Meine Herren. Die Zeit ist gekommen zum Aufstehen! Herr Bankier Raab, Herr Installateur Spitzer, Herr Dr. med Scheer, Herr Krankenkassenboss Wintermann! Aufstehen und fertig machen zum großen Appell!

Raab: (nachdem er und die anderen sich erhoben haben) Das würde ihnen so passen. Aber wir lassen uns doch nicht vorführen. (er läßt sich wieder fallen; die anderen folgen ihm nach)

Kinski: Holla, was ist das?

Prüfli: Sie scheinen nicht recht zu begreifen.

Kinski: O sie begreifen schon. Man muss nur einen Koffer öffnen. (indem er Raabs Koffer öffnet) Sehen Sie, wie er schaut? Wenn er könnte, hätte er mir schon längst den Koffer entrissen.

Prüfli: So steckt Leben in diesen Koffern?

Kinski: Nirgends sonst ist Leben für sie als da drinnen.

Pilat: Meine Herren! Wenn Sie Deutsche sind, so erheben Sie sich und verlassen Sie diesen Ort!

Raab: Mein Herr! Wir gehen nur mit unserem Geld. (er nimmt seinen Koffer zu sich und schaut, ob noch alles Geld drin ist. Die anderen Steuersünder folgen ihm.) Erst wenn wir wissen, dass man uns auch nicht beklaut hat, räumen wir das Feld.

Pilat: Ihr Erzgauner und Lumpenhunde! Jetzt geht aber schnell oder die Koffer bleiben da! - (während die Leute mit ihren Koffern weggehen) Wie doch das Geld den Charakter verdirbt! Man könnte risikolos ein großes Vermögen dafür aussetzen, dass kein Reicher sein Geld im Stich läßt!

Kinski: Diese Leute können selbst im Traum nichts anderes sehen und an nichts anderes denken und von nichts anderem träumen als vom Geld. Auge und Ohr, Herz und Hand: alles hat sich nur noch diesem Einen verschrieben. Ausserhalb dieses Bereichs gibt es für sie keine Welt mehr. Nie überkommt sie die Frage nach einer Rechtfertigung. Nie beschleicht sie der Gedanke, das Eigene, und wärs auch noch so gut erworben und verdient, als Raub und Diebesgut anzusehen. Der Baum, den sie ernten, trägt das Obst für sie; denn es ist ihr Baum. Das Haus, das sie bewohnen, ist für sie; denn sie haben es in Auftrag gegeben. Und das Geld, das sie haben, ist selbstverständlich ihr Geld; denn sie haben es hart erworben. Daran ändert auch nichts, wenn ein Habenichts vorbeikommt und ihnen über den Zaun zuschaut. Der verursacht ihnen kein schlechtes Gewissen. Er hätte ja auch so arbeiten und sich mausern können wie sie selbst, sagen sie. Am liebsten freilich schotten sie sich ab und halten die Habenichtse auf Abstand. Ihre Philosophie ist ebenso einfach wie praktisch. Was nicht verboten ist, das ist erlaubt, und was erlaubt ist, das ist gottwohlgefällig. Erst seit es sich der Gesetzgeber hat einfallen lassen, mit der Steuerschere ein wenig in ihren Geldsack zu schnippeln, sind sie in ihrem Gottvertrauen irre geworden. Plötzlich ist der Staat für sie ein Räuber geworden.

Prüfli: O du Mammon, du Tyrann unserer Zeit, du Begierde der Käuflichkeit, du Despot im Dunkel! Dass doch nie auch nur ein Körnchen von deinem Gold ans Tageslicht gekommen wäre! Frag einen, ob er genügend Geld hat und du wirst bemerken, dass es ihm eben daran am meisten mangelt. Doch schließ nicht aus solch einer Antwort, dass er nur wenig hätte! Nicht genügend Geld zu haben ist eine Behauptung, in der die meisten übereinstimmen, einerlei ob sie reich sind oder arm. Sie müssen ja nur auf den Nachbarn schauen, der etwas mehr hat als sie! Nur wo die Genügsamkeit zuhause ist, ist auch die Einsicht so wie das Urteil möglich, genügend Geld zu besitzen, jedenfalls, sofern es zur Deckung der elementaren Bedürfnisse hinreicht. Genügend Geld und Genügsamkeit aber finden nur selten zusammen.

Pilat: Ja, was der Mammon nicht alles bewirkt! Wenn man etwas Gutes isst und eine Flasche Wein dazu trinkt, dann interessiert man sich nicht über den Werdegang der Dinge und bestaunt nicht die Kunst der Natur und würdigt nicht die Arbeit derer, die sie dazu gemacht haben: dann isst man und trinkt man und schmeckt man nur noch nach dem Preis und freut sich daran, sich etwas leisten zu können, was anderen versagt bleibt. Wie abscheulich ist doch die Köstlichkeit, zu den wenigen zu gehören, die sich eines Genusses erfreuen. Oder da ist die Zimmerwand, an die man gerne ein Bild hängt. Natürlich will man keinen Druck - und wärs auch die technisch perfekte Wiedergabe eines der großartigsten Meisterwerke. Dann doch bitte ein Original, auf das man jedem Besucher mit der Zunge schnalzend leise mitteilen kann, was man im Handel dafür bekommt. Es soll bei uns inzwischen sogar schon Minister geben, die nach vielen Jahren politischen Waltens bei sich entdecken, dass ihr Leben nicht der Politik angehört. Wenn du nämlich in der freien Wirtschaft das Doppelte oder gar das Dreifache verdienst, dann musst du doch ein ausgemachter Schafskopf sein, wenn du nicht deinen Hut nimmst und dich dorthin begibst. Cäsar wär wohl lieber Erster gewesen mit Sekretärsentlöhnung als Ersatzspieler auf der Reservebank mit dem Einkommen eines Bankmanagers. Doch heute verrät man lieber die bessere Hälfte seiner Mannheit um als armseliger Sklave seinen Geldsack zu schleppen. Mag denn glücklich werden, wer sein Glück im Mammon sucht!

Prüfli: Doch nun zu Ihnen, mein Herr! Sie sind sich im Klaren darüber, dass Sie nicht ganz unschuldig sind an alledem!?

Pilat: Es muss ein wenig Übermut mit im Spiel gewesen sein, als ich mich auf den Weg in die Schweiz gemacht habe. Ein schlechtes Mittel zu gutem Zweck. Ich leugne es nicht!

Prüfli: Doch dann entglitten Ihnen die Fäden?

Pilat: Noch sind wir mitten im Spiel.

Prüfli: Aber Sie führen nicht mehr die Regie.

Pilat: Darf ich anmerken, dass ich mit diesem Dampfer nichts zu tun habe, wenn Sie den meinen?

Prüfli: Am liebsten würde ich ausrufen: lassen Sie doch diesen verdammten Dampfer aus dem Spiel. Ob Sie es wollen oder nicht, so spielt er doch mit in Ihrem Spiel! Lernen Sie daraus, mein Herr, dass man zu einer Geschichte zwar einen Anstoß geben kann, dass sie sich aber oftmals nicht restlos im voraus zu Ende denken läßt. Den dahinter liegenden Gedanken kennen wir meist nicht, allenfalls dass uns etwas davon im nachhinein klar wird.

Pilat: Sollen wir die Konsequenz daraus ziehen und auf alle Praxis verzichten?

Prüfli: Auf alle noch nicht erprobte, fragwürdige oder gar schlechte auf jeden Fall.

Pilat: Ich kam jedenfalls nicht als ein Gegner der Schweiz in die Schweiz.

Prüfli: Aber durch Mißachtung der Spielregeln althergebrachter Diplomatie und als ein Verletzer des Völkerrechts haben Sie der Schweiz geschadet und sich ihr gegenüber schuldig gemacht. Wären Sie nicht gekommen, so stünde ohne Zweifel manches besser bei uns.

Pilat: Könnte man nicht auch sagen: Wären nicht unsere Kapitalisten in die Schweiz gekommen oder hätte man sie an der Grenze aufgehalten, so hätte niemand eingreifen müssen und manches stünde jetzt besser?

Prüfli: Hätten Sie sie aufgehalten!

Pilat: Oder kann man nicht auch sagen: gäbs keine so geschäftstüchtigen Schweizer Banken mit ebenso tüchtigen Währungshütern, so wär alles anders gekommen? Dann wären keine Steuerflüchtlinge zu Ihnen in die Schweiz gekommen etc. etc. Im übrigen aber sitzen wir doch alle im selben Boot und haben es mit einem komplexen Zusammenhang zu tun, wo man kaum ein prius und posterius zu unterscheiden vermag.

Prüfli: Steigen wir doch endlich herab vom hohen Roß sophistischer Reitkunst! Fragen wir uns doch lieber, was für eine Aufgabe uns als den höchsten Beamten des Staates obliegt. Sind wir die Handlanger des Staats, die Gesetze erlassen, um dann polizistenmäßig darüber zu wachen, dass keiner stiehlt und keiner mit dem Auto falsch parkt und jeder seine Gebühren entrichtet, von Schlimmerem ganz zu schweigen? Haben wir Gesetzesüberschreitungen zu verfolgen und zu ahnden, zum Schutz der Bürger oder wie man das jeweils auszudrücken beliebt, oder gibt es in Wahrheit nicht andere, wichige Aufgaben? Was ist unser Auftrag, unsere Sendung, unsere Pflicht? Was verlangt von uns unser Amt? Wo ist das Gute, das wir im Auge haben und das uns bei unserem Tun rechtfertigt? Was tun wir, dass unser Tun nicht voller Anmassung ist und Willkür? Oder genügt uns der Sieg bei einer Volkswahl und darauf die Aushändigung einer Ernennungsurkunde mit dem Hinweis auf das, was andere vor uns getan haben oder auch nur ein "So wahr mir Gott helfe", zumal wenn wir überhaupt an keinen Gott mehr glauben?

Pilat: Junger Mann, ihre Idealität in Ehren. Ich wollte, ich könnte ebenso voller Mut und Selbstlosigkeit, ja Selbstverachtung ans Werk gehen.

Prüfli: Leider hat die Schweiz für Ihren Mut und für Ihre Courage, vielleicht aber auch noch für Ihre Selbstverachtung zu zahlen. Denn was geht die Schweiz an, wenn man in Deutschland von Staats wegen Steuern einführt und das Kapital zur Kasse bittet und wenn dann das Kapital zu uns marschiert und um Asyl bittet? Muss die Schweiz von nun an achtgeben, was für Gesetze im Nachbarland erlassen werden, um dann für deren Durchführung mitzusorgen? Das bitte ich Sie zu bedenken.

Pilat: In der Tat bin ich da ganz Ihrer Meinung. Gemäß meinem Grundsatz, dass alles Geheimwesen nur noch als allerletztes Mittel der modernen Politik in Erwägung gezogen werden sollte, hätte das alles einer detaillierten Absprache und breiteren Zustimmung bedurft. Denn wo das Geheimwesen blüht, blühen auch Korruption, Gewalt und Verantwortungslosigkeit...

Prüfli: Mag Sie jemand dafür ehren, dass Sie offen in die Schweiz einmarschiert sind, die Verschandelung unseren lieben Vierwaldstätter-sees durch jenen Dampfer ist nicht zu leugnen.

Pilat: Darf ich nochmals anmerken, dass ich mit diesem Dampfer nichts zu tun habe und dass es sich da um eine Zufälligkeit, eine Kontingenz handelt?!

Prüfli: Immerhin haben Sie von ihm geredet, als er noch nicht da war.

Pilat: Im Altertum hätte ich jetzt vielleicht versucht, Ihnen den Dampfer als einen deus ex machina begreiflich zu machen. Doch selbst, wenn es noch einen Himmel gäbe, wäre ich nicht so eitel, ihn mir als zu meinen Gunsten tätig vorzustellen. Ich wäre indessen glücklich, wenn es in meiner Macht stünde, ihn auf der Stelle verschwinden zu lassen.

Prüfli: Dürfen wir davon ausgehen, uns möglichst bald schon von diesen Ungetüm befreit zu sehen?

Pilat: Vielleicht sollten wir nicht immer auf diesen Dampfer starren! Wir geben ihm so ja nie die Gelegenheit, zu verschwinden. Da er nicht zu den Dingen gehört, die man sucht, weil sie einem höchstbedeutsam sind, sondern zu den Dingen, die unangenehm sind, sollten wir uns für eine Weile das Hinsehen verbieten.

Prüfli: Und dann...?

Pilat: Dann bin ich fest davon überzeugt, dass er verschwindet. Es ist ähnlich wie bei den Pflanzen. Auch ein Same will nicht beim Aufkeimen andauernd gestört werden.

Prüfli: Dass Sie uns nur nicht mystifizieren! Das fehlte ja noch, dass Sie sich eines ins Fäustchen lachen, wenn Sie uns in unserer lieben Schweiz herumtappen sehen.

Pilat: Was soll der Kleinglaube, was die Verzagtheit, was die Angst, verlacht zu werden? Rufen Sie mich an, wann immer Sie den Eindruck haben sollten, zum Narren gehalten zu werden, und ich stelle mich Ihnen.

Prüfli: Und unser Ansehen?

Pilat: Verbieten wir uns doch endlich den Hochmut des Geistes! Versuchen wir, Politik zu machen, ohne Arroganz und ohne Drohgebärde! Versuchen wir, unsere Sachen heiter zu besorgen und, wenns denn einmal sein muss, auch auf ungewöhnliche Weise. Verbieten wir uns, um Mücken zu kämpfen und uns zugrunde zu richten, nur um stets unser Ego im Vordergrund zu sehen! Vergessen wir nie, dass wir die Welt immer nur sehen, wie sie uns zu sein scheint, und dass sie uns leider nur zu oft so zu sein scheint, wie sie uns im Blut rauscht.

Prüfli: Und wenn der Dampfer nicht verschwindet?

Pilat: Wenn der Dampfer nicht binnen Jahresfrist verschwunden ist, stell ich mich einem Schweizer Gericht, es sei denn, dass Ihnen passender scheint, mich schon jetzt festzunehmen.

6. Kapitel: Im Präsidentenpalais neben der Bank. Davor der Tell-Platz

(Großes Zimmer. Darin Vätterli, Hasenjäger, Fränkli, Fac-totum. Riesenbildschirm, auf dem man den See und darin den Mississippidampfer sieht.)

Vätterli: (er liest das Schreiben vom Pilat) Nennen Sie mir einen, der so unfrei ist wie ich. Oder muss ich es nicht sein, wenn nichts so läuft, wie es meinem Herzen gefällt?

Fac-totum: Ein Präsident trägt immerhin die Verantwortung für das Wohl aller. Und wann kann er schon sagen, dass ihm alles gelungen wäre?

Vätterli: Und nun auch noch die erzwungene Einladung heute Abend, wo dieser Pilat darauf besteht, die Liste der Steuersünder auf einer CD ausgehändigt zu bekommen.

Fränkli: Es liegt an Ihnen, sich dazu zur Verfügung zu stellen.

Vätterli: Ich will und will zugleich nicht. Doch muss ich nicht alles versuchen, was der Beilegung dieser Sache dient?

Fac-totum: Wenn ich der Pilat wäre, ich würde mich in Grund und Boden schämen.

Fränkli: Schon gut, Hänsli! Schon gut!

Fac-totum: Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, lieber Vätterli, gleichsam von Freund zu Freund, so lassen Sie sich nur nicht die Freude an Ihrem goldenen Amtsstern rauben. Immerdar soll er Sie an Ihren großen Namen erinnern. Und vergessen Sie nur ja auch nicht, wie viele Sie um Ihr Amt beneiden.

Fränkli: Ist ja gut, Hänsli!

Hasenjäger: Die Forderungen dieses Herrn reichen allerdings bis ins Unerträgliche.

Fränkli: Man darf gespannt sein auf die Folgen für unseren Franken und für unsere Wirtschaft.

(Es schellt)

Vätterli: Wer kommt?

Fränkli: Vielleicht ist es schon dieser selbsternannte Steuereintreiber aus Deutschland?

Vätterli: Eigentlich hat er sich erst auf 18 Uhr angekündigt. Doch sehen Sie nach, Hasenjäger!

(Hasenjäger geht)

Fac-totum: Wenn man den Esel nennt, kommt er gerennt! Aber das eine möchte ich doch festhalten. Wenn es der besagte Herr sein sollte und der Präsident erlaubt es mir, so will ich ihn zum Zweikampf herausfordern. Dann wollen wir sehen, wer von uns am längeren Hebel sitzt!

Fränkli: Aber Hänsli, die Zeiten des Zweikampfs sind vorbei.

Fac-totum: Weil niemand mehr den Mut hat. Hätte dieser Pilat den Mut und würde sich zum Zweikampf stellen und ich trät ihm entgegen, da käm dann der Skandal zu Tage, das könnte er sehen!

Hasenjäger: Verteidigungsminister Prüfli ists. Er wird in wenigen Minuten da sein.

Fac-totum: Wer wird in wenigen Minuten da sein?

Fränkli: Der neue Verteidigungsminister, Herr Fritz Prüfli. Ich wollte dich ohnehin schon seit einiger Zeit mit ihm bekannt machen.

Fac-totum: Herr Prüfli?

Fränkli: Auch wenn ich viele seiner Ansichten nicht teile, ist er doch ein Komet an unserem Himmel.

Fac-totum: Kennst du ihn denn?

Fränkli: Er war ja heute morgen noch mir zur Seite, als wir mit dem Zeppelin ausflogen.

Fac-totum: Ich glaub, mir wird schlecht.

Fränkli: Dir wird schlecht? So plötzlich?

Fac-totum: Kann einem nicht einmal schlecht werden?

Fränkli: Aber doch nicht wegen dem Minister Prüfli?

Fac-totum: Muss einem nicht schlecht werden, wenn sich Leute so abscheulich wichtig nehmen, als könnten sie allein die gesamte Landesverteidigung schultern? Und warum nehmen sie sich so wichtig? Ist es nicht deshalb, weil sie von den anderen überschätzt werden?

Vätterli: Junger Mann...

Fac-totum: Ich glaub, das Weltall stürzt auf mich. (ab)

Fränkli: Entschuldigen Exzellenz bitte, wenn ich mich wegen des Verhaltens meines Neffen schäme...

Hasenjäger: Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, lieber Herr Fränkli, finden wir, dass Ihr Neffe etwas ehrbegieriger ist, als dass es unserem runden Tisch gut tut. Im übrigen aber können Sie nichts dafür, wenn Ihr Neffe da und dort ein aufgeschnapptes Wörtchen zum besten gibt!

Vätterli: Meine Herren! Dass mir ausgerechnet jetzt ein Traum von heute Nacht einfallen muss!

Hasenjäger: Erzählen Sie ihn, wenn Sie ihn loswerden wollen!

Vätterli: Ich sass in meinem Waldhaus und wußte, dass man mir das Dach abgedeckt hatte, wußte aber keineswegs, weshalb. Als ich nun aber hinaufstieg zum Speicher unters Dach, um nähere Auskunft zu erhalten, fand ich einen Korb mit toten Tieren. Wie er da hinauf gekommen war, wußte ich nicht, wohl aber, dass man mich der Tat bezichtigte, wenn man ihn fände, da es sich um Arten handelte, die allesamt unter Tierschutz stehen. Schließlich weiß ja jeder, dass ich viele Jahre lang Vorstand des Schützenvereins war und gut schießen kann. Oh was für eine Angst überkam mich da, dass man mich entdeckte! Was für Qualen hatte ich zu ertragen, dass es gegen mich, den Präsidenten, zu einer Anklage käme! Und ich überlegte mir, wie ich sie unbemerkt wieder loswerden sollte, ohne dass sich mir ein Ausweg zeigte.

Prüfli: Exzellenz! Verehrte Herren!

Vätterli: Mein Gott, Prüfli! Wie hast du mich erschreckt!

Hasenjäger: Dennoch ist gut, dass Sie kommen. Wir haben auf Sie gewartet.

Prüfli: Ich bitte zu entschuldigen, dass es etwas länger gedauert hat.

Hasenjäger: Hauptsache, Sie bringen gute Nachrichten.

Prüfli: Was wir erreichen wollten, steht zwar noch immer aus; doch ich bin zuversichtlich.

Vätterli: Wie Sie wissen, hat uns Pilat einen Besuch für heute Abend angekündigt.

Prüfli: Die ganze Stadt weiß es. Das hat viel Volk hierher gelockt, Schaulustige, aber auch Anhänger der neugegründeten rechtspopulistischen Volkspartei, die sich dabei einen Zulauf für Ihre Sache versprechen.

Hasenjäger: Das ist zwar nicht gut, doch können wir nicht alles verbieten. Aber so ist das nun mal eben: wo Polizei oder Militär in großem Umfang zusammengezogen werden, wittert der Haufen immer ein Spektakel.

Prüfli: Dabei, so meine ich, ließe sich alles ohne größere Umstände lösen.

Vätterli: Wie oft haben wir das in der Geschichte der Menschheit schon geglaubt und wurden eines anderen belehrt!

Prüfli: Wünschen Exzellenz eine Erklärung, was ich damit meine, wenn ich sage, dass sich alles ohne größere Umstände lösen ließe?

Vätterli: Wenn es sich mit wenig Worten sagen läßt.

Prüfli: Nun, damit meine ich, dass wir stets versuchen sollten, alles zuerst einmal von der harmlosen Seite zu nehmen, als sässen wir im Theater und alles wäre nur ein Spiel.

Fränkli: Wenn ein Bankräuber den Inhalt des Tresors will und der Bankangestellte fragt sich, was er tun soll, dann sitzt er sicher auch nicht im Theater.

Prüfli: Ich verteidige die Schweiz, verehrter Bankier Fränkli, und keine Tresore.

Fränkli: Aber Herr Kollege, zur Schweiz gehören auch die Schweizer Tresore und zwar nicht nur die der Banken auch die der Versicherunsggesellschaften und der Unternehmen. Also haben Sie auch die Tresore zu verteidigen.

Vätterli: Meine Herren! Bleiben wir doch ruhig. Keiner von uns will die Schweiz verraten.

Fränkli: Fehlt nur, dass man sich zu der Behauptung versteigert, Geld bringe nichts als Unglück.

Prüfli: Pilat ist kein gewöhnlicher Räuber.

Fränkli: Auch einen ungewöhnlichen Räuber oder einen Räuber mit ungewöhnlichen Anlagen können wir nicht brauchen. Wo immer man hinschaut, hat er uns provoziert und lächerlich gemacht. Aber wir lassen uns nicht erpressen.

Vätterli: Was schlagen Sie vor?

Fränkli: Alles hat seinen Preis.

Vätterli: Und was meinen Sie damit?

Fränkli: Wenn wir durch die Übergabe einer Diskette mit den von Pilat gesuchten Delinquenten eine Milliarde Verlust haben, was ist uns dann die Diskette wert? Nicht etwa eine Milliarde? Was hat sie dann also zu kosten? Mindestens eine Milliarde, die Unkosten zu decken. Eine Milliarde aber wird uns weder vom Pilat noch vom deutschen Staat gezahlt.

Prüfli: Wenn ich von einem Verbrechen weiß und ich bin nur dann bereit, etwas zu verraten, wenn man mich dafür bezahlt? Was ist das?

Fränkli: Beim Geld muss man stets sorgfältig unterscheiden. Geld ist kein Individuum. Geld z.B. kann nicht stinken, wie die römischen Kaiser bereits wussten, wohl aber ein Individuum.

Prüfli: Gäbs kein Geld, so gäbs auch keine Silberlinge. Und dann könnte auch kein Individuum verraten werden. Und dass Geld nicht stinkt, mag auch darin seinen Grund haben, dass die Leute, die Geld haben und mit ihm Umgang treiben, als erstes ihren Geruchssinn ruinieren.

Vätterli: Meine Herren. Gestatten Sie, dass ich mich noch für ein paar Minuten zu einem Mittagsschläfchen hinlege? Die Diskussion ist zwar sehr interessant, doch sie macht mich müde. Es wäre mir sehr angenehm, wenn Sie in der Zwischenzeit einen Plan ausarbeiteten, mit dem wir dem Deutschen begegnen könnten.

Fränkli und Prüfli: Sehr wohl, Exzellenz!

Fränkli: Kommen Sie, Prüfli! Raufen wir uns zusammen! Auch wenn ich nicht glaube, dass wir eine Übereinkunft erzielen.

Prüfli: Ich bin dabei! (beide ab)

Vätterli: (indem er sich auf seinem Sofa ausstreckt) Am besten wär, ich könnte mich niederlegen und schlafen; und wenn ich ausgeschlafen hätte, hätte alles ein gutes Ende gefunden. Finden Sie nicht auch, Hasenjäger?

Hasenjäger: Nur kriegen wir halt nicht immer alles so serviert, wie wir es wünschen.

Vätterli: Ita est. Das Leben bestraft nichts grausamer als Unentschlossenheit und Unmündigkeit, zumal bei den Regierenden. Und doch kann ich nichts dagegen tun. - Decken Sie mich zu, Hasenjäger! - So, ja so! So ist es gut!

7. Kapitel: Vor dem Einbruch der Nacht. Der Tellplatz vor dem Regierungsgebäude und den Banken

1. Abschnitt: Wie der Imam erscheint.

(Vor den Banken und dem Präsidentenpalais stehen Polizisten Wache. Leute auf dem Platz. Darunter Mahlzahn und Tanner und van Gunten. Es ist kurz nach 18 Uhr.)

Polizeianführer Krapf: Auf 18 Uhr hat er sich angekündigt, wenn es stimmt, was man uns gesagt hat. Aber von Pünktlichkeit keine Spur.

Vice: Pünktlichkeit scheint nicht seine Haupttugend zu sein.

Polizeianführer (zu der Wache vor dem Palais): Ich bitte alle Mann acht zu geben und niemanden durchzulassen. Immerhin könnte sein, dass der Mann versucht, sich einen plötzlichen Eintritt zu erzwingen.

Vice: Hallo, Leierkastenmann! Kann er nicht ein wenig zur Seite treten? So sehen wir nichts!

Leierkastenmann (indem er zur Seite tritt):

Wenn i in mei Stübli go,

will mei Süppli esse,

steht e bucklig Männli do,

hätt scho d halbi gfresse.

Einer: Sei still mit deinem Süppli!

ein Zweiter: Jawohl, verzieh er sich und fress er sei Süppli zu Haus, damit wir die Worte des Redners verstehen!

Redner der neuen Partei: Die Natur, meine Damen und Herren, hat für die Kreatur keine Freiheit vorgesehen. Ihr genügt das Glück des Lebensvollzugs, das im Nachwuchs gipfelt. Und hat eine Spezies darüber hinaus besonderes Glück, so setzt sie sich durch und wird so zahlreich wie der Sand am Meer.

ein Dritter: Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute noch.

ein Vierter: Wer nicht versteht, sich anzupassen, stirbt aus.

Redner: Da aber kam der Mensch. Auch er wäre wohl ausgestorben, hätte er sich vornehmlich auf seine Instinkte verlassen. Doch entschloß er sich, sich aufzurichten und sich umzuschauen, um dann stolz und selbstherrlich aus dem Verein der Kreatur auszutreten. Vielleicht wäre daraus noch ein großes Projekt geworden, wenn es dem Einzelnen gelungen wäre, sich als Einzelner zu emanzipieren. Nun aber fand das Ganze im gesellschaftlichen Verband statt, auf den der Mensch auch heute noch nicht verzichten kann und wohl auch nie wird verzichten können.

Mahlzahn (daneben, als eigner Verein): Meine Damen und Herren. Darf ich Sie bitten, dem Verein zur Bewahrung und Förderung der Eidgenossenschaft beizutreten!? - Ich bitte Sie, sich hier in dieses Buch einzutragen. Und wenn Sie es ermöglichen können, legen Sie eine kleine Spende in den Hut!

Leierkastenmann (etwas entfernt von Mahlzahn):

Wenn i in mei Stübli go,

will mei Süppli esse,

steht e bucklig Männli do,

hätt scho d halbi gfresse.

Erster: Hat er sei Süppli noch immer nid gfrässe?

Zweiter: Profitdenken, Dummheit, Gefügigkeit, Erbärmlichkeit sind selbst im freiesten Staatswesen nicht auszurotten.

Dritter: Und doch, sag ich da nur.

Zweiter: Was soll das heißen?

Dritter: Und doch heißt und doch.

Zweiter: Das genügt mir nicht.

Dritter: Müßten wir uns um nichts mehr sorgen,

wir müssten uns ein Sörglein borgen.

Vierter: Der Arme kommt sich reich vor, wenn er die Gelegenheit bekommt, den Reichen als arm zu schmälen.

Fünfter: Die meisten Menschen scheinen sich so zu verhalten, als wären sie aus der ersten Klasse der Primarstufe entlassen und die Lehrerin hätte ihnen gesagt, wie sie sich zu verhalten hätten; und nun zitterten sie, die Norm nur ja in keinem Pünktchen zu verfehlen.

(T. und J. kommen bei Mahlzahn vorbei)

Mahlzahn: (zu J.): Aber bitte schön, gnädige Frau, sagen Sie es uns doch als eine Stimme, die nicht im Verdacht steht, parteilich zu sprechen: Wem gehört die Schweiz? Gehört sie nicht den Schweizern? Und sind es nicht seit alters die Schweizer gewesen, die für das Schweizer Vaterland eingetreten sind mit ihrem Gut und Blut?

T.: Meine Freundin ist etwas müde. Der Tag war sehr lang und wir haben viel erlebt.

Mahlzahn: Dann sagen Sie es uns, gnädige Frau, ob wir Schweizer nur Gastwirte sind, die gehen müssen, sobald Leute von auswärts kommen, sich bei uns anzusiedeln? Haben wir schon unsere Schweiz vergantet? Immerhin läßt man auch in den USA nicht jeden sich ansiedeln.

J.: Da haben Sie durchaus recht.

einer: Ebenso freilich hätten auch die Rothäute dem weißen Mann das Siedeln verwehren können.

Leierkastenmann (etwas entfernt von Mahlzahn): Muss nüd jeder e Narr sin in si Sach?

ein Zweiter: Bisch still!

Leierkastenmann: (er singt wieder)

Wenn i in mei Stübli go,

will mei Süppli esse,

steht e bucklig Männli do,

hätt scho d halbi gfresse.

Erster: Wenn ihm jetzt nicht bald was anderes einfällt, zerschepper ich ihm seinen Kasten!

Leierkastenmann: Ebbes muss i ja wohl tu!

T.: Er hat doch sicher noch andere Sachen im Programm. Schöne Volkslieder. Z.B. "In Mutters Stübeli"? Kennen Sie das?

J.: O nein.

T.: Dann spielen Sie es uns doch bitte vor! (gibt ihm Geld)

Leierkastenmann: Mal sehen, ob ich das Lied finde?!

(er intoniert im folgenden das Lied und wiederholt es)

In Mutters Stübeli,

da goht der hm hm hm,

in Mutters Stübeli,

da goht der Wind

 

Du seisch Vergelt is Gott

und i sag Dank.

(und die weiteren Strophen...)

Redner: Meine Damen und Herren! Es gibt kein Entkommen. Der Kultur entkommt keiner. Sie ist unser Schicksal, unser Glück und zugleich unser Fluch. Alle großen Werke der Kultur sind mit Blut geschrieben worden und wenn es keine großen Werke mehr gibt, so deshalb, weil das Blut als Tinte aus der Mode gekommen ist.

einer: Wir sollten auch kein Blut als Tinte mehr zulassen, auch nicht, wenn wir darüber die Kultur verlieren sollten.

ein anderer: Wir brauchen eine Kultur ohne Barbarei, eine Kultur ohne Krieg.

Redner: In der Schule lehrt man die Kinder die Mitmenschlichkeit, Güte, Geduld, Treue, Vertrauen, Rücksichtnahme, Verlässlichkeit; aber das Leben lehrt dann etwas anderes.

wieder einer: Was lehrt das Leben?

Redner: Was das Leben lehrt? Es lehrt, dass man um jeden Preis Erfolg haben und in der ersten Reihe stehen muss. Selbst wenn man erkannt hätte, dass andere besser sind als man selber, so kommt man nicht umhin, sich noch vor sie vorzuarbeiten. Nur wenn du in der ersten Reihe stehst, kannst du hoffen, dein Bestes zur Entfaltung und zur Geltung zu bringen. Stellt das Genie auf den zweiten Platz und den Dummkopf auf den ersten, und ihr werdet sehen, dass der Dummkopf Bedeutsameres schafft als das Genie.

ein weiterer: Und was folgt daraus?

Redner: Daraus folgt, dass nur der frei sein kann, der sich seiner Konkurrenten entledigt.

Fac-totum: (etwas abseits) O wie freu ich mich auf diesen Prüfli. Der sitzt jetzt im Palais und wartet darauf, dass ihm die Tauben ins Maul geflogen kommen. So aber macht man keine große Politik. Das will ich ihm jetzt zeigen. Da kann er sich auf etwas gefasst machen. Der soll sehen, dass i mir nimmi länger uf d Nas schisse la! Deshalb bin ich jetzt da. Und nicht eher will ich vom Platz gehn, als bis ich alles besorgt hab. Nichts Geringeres erwart ich nämlich hier als den Pilat. Zu meinen Ruhmestaten soll es fortan zählen, diesen Menschenschinder und Rechtsverdreher eingefangen und unschädlich gemacht zu haben. Und kommt er da nicht? Das muss er sein. Das ist er! (er eilt zu den Leuten) Achtung, ihr Leute! Gleich kommt der von uns gesuchte Pilat.

Einer: Wo?

Fac-totum: Dort!

viele: Wo?

Fac-totum: Dort!

Mahlzahn: Das ist doch der Imam von Luzern!

Fac-totum: Ja, dann nehmen wir eben den Imam fest! Wen juckts, ob wir den Imam aus Luzern festnehmen oder den Pilat aus Jerusalem?

Imam: Mein Herr! Ich bin gekommen, Ihrem neugegründeten Verein meine Aufwartung zu machen. (er legt ein Geldstück in den Hut)

Mahlzahn: (das Geldstück herausnehmend) Das wäre ja noch schöner! Von Ihnen können wir keine Spende annehmen! Hier! Nehmen Sie das Geld wieder an sich, sofern Sie es sich redlich verdient haben!

Imam: Wie bitte?

Streber: Mein Herr, es ist vom nervus rerum die Rede!

Mahlzahn: Zeigen Sie uns Ihren Pass! (ruft einen Polizisten) Mein Herr, haben Sie doch die Güte, nachzusehen, ob der Herr eine Aufenthaltserlaubnis für die Schweiz besitzt!

Imam: (er zeigt dem Polizisten seinen Ausweis) Nun lehr ich schon über drei Jahre in der Schweiz und sie kennen mich noch immer nicht?

einer: Die Leute haben gar nicht so unrecht, wenn sie sich zusammenscharen, weil sie genug haben von den Terroristen!

ein anderer: Früher gab es noch das typische Schweizergesicht. Heute umgeistert uns nur noch eine gespensterhafte Anonymität mit grünen und blauen Turbanen und Zauberhüten.

ein Dritter: Und dass uns ein Mullah in seine Moschee führt und uns auffordert, in seinem Gotteshaus nach Bomben und Attentätern zu suchen, beruhigt uns nicht.

Polizist: Da ist alles in Ordnung, Herr Mahlzahn.

Fac-totum: Wenn er der Gessler wäre und ich wär der Tell und hier wär die hohle Gasse, dann müßt ich ihn jetzt erschießen.

Imam: Was will der Narr?

Mahlzahn: Kümmern Sie sich lieber um sich selbst! Oder wohnten ihre Vorfahren schon in der Schweiz? Haben Sie auch nur ein einziges Mal Ihr Leben für unser Vaterland gewagt?

Imam: Hab ich etwas zu tun versäumt?

Mahlzahn: Sie haben immerhin vor, in der Schweiz zu bleiben...

Imam: Ich lebe nicht anders in der Schweiz als Sie, mein Herr.

Mahlzahn: Da bin ich mir aber durchaus nicht so sicher.

Streber: Oder würden auch Sie wie Prof. Mahlzahn für die Schweiz kämpfen?

Imam: Selbstverständlich würde ich kämpfen. Doch gegen wen sollte ich kämpfen?

Streber: Z.B gegen die Taliban.

Imam: Die müßten erst kommen und etwas Verfolgungswürdiges tun.

Mahlzahn: Und weshalb tragen Sie dieses Kostüm und diesen hochlüpfigen Turban? Ist es nicht, um uns zu provozieren?

Imam: Darf ich nicht tragen, was ich will?

Mahlzahn: Wenn Sie als Schweizer ein Kostüm tragen, das nicht in der Schweiz getragen wird, dann setzen Sie sich gegen die Schweiz ab und erbringen den Beweis, dass Sie kein echter Schweizer sein wollen!

Streber: Einen Staat im Staat aber lassen wir nicht zu!

eine Frau: Gehören diese Frauen, dieser Harem da, zu Ihnen?

Imam: (zum Polizisten) Wärs nicht möglich, dass mich die Leute in Ruhe ließen?

Mahlzahn: Müssen wir nicht wissen, was die Frauen tun?

Imam: Da ist nichts, was Verdacht erregt.

Mahlzahn: Alles das erregt Verdacht. Wenn ich nur daran denke, dass bald Türkisch als die 5. Landessprache der Schweiz beantragt wird.

van Gunten: Immerhin sprechen mehr Leute in der Schweiz türkisch als ladinisch.

Streber: Was streuen die Frauen da aus? Sehen Sie sich nur die Hände an, wie sie geschäftig in die Taschen fahren! Als holten sie Samenkörner heraus!

Imam: Das ist der Samen des Korans.

Mahlzahn: Das ist verboten, ebenso wie es verboten ist, seinen Müll auf die Strasse zu kippen.

Bischöfin (die hinzugekommen ist): Herr Mahlzahn, sollten Ihre jungen Leute nicht etwas toleranter sein? Wärs nicht besser, wir würden zu verstehen suchen und gelten lassen?

Mahlzahn: Nur Gottes Wort sollten wir gelten lassen, Frau Bischof!

Bischöfin: Immerhin sollten wir es Gott überlassen, was als sein Wort zu gelten hat.

Streber: Das sind Samen! Wie die keimen und wachsen! Wie Minarette schießt es aus der Erde.

Bischöfin: Das sind nur die Plakate gegen den Minarettenbau.

(Raab, Scheer, Spitzer und Wintermann kommen unterdessen herbei)

Raab: Kommt, meine Herren! Hier sind wir recht am Ort! (zu einem) Mein Herr, könnten Sie uns sagen, wo wir die Behörde finden für Einwanderer?

dieser: Sie scherzen wohl, meine Herren. Sie sind doch keine Asylanten! (geht weiter)

Irrer: (der zurückkommt, nachdem er hingerannt ist und ein klein aufgeschossenes Minarett zertreten hat) Das sind Minarette, die wachsen. Eine Allee voller Minarettenbäume, so weit das Auge reicht! In einer Zeit, in der es keine Wunder mehr gibt, plötzlich doch noch ein Wunder zu erleben, ist das nicht eine wunderbare Zeit?

Mahlzahn: Mein Herr. Sagen Sie etwas? Äussern Sie sich dazu, statt zu schweigen! Glauben Sie nur nicht, sich auf diese Weise der Verantwortung entziehen zu können. Wenn diese Frauen zu Ihnen gehören, so haften Sie uns für das, was aus diesem Samen entsteht.

Imam: Allah ist groß! (er geht zur Seite)

(einige weitere Leute zertreten die im Hintergrund aufwachsenden Minarette.)

J.: Mich schaudert, mir dies mitanzusehen. Als würden die World-Trade-Center durch Riesenminarette ersetzt.

wieder einer, der zurück kommt: Wirklich! Eine Allee voller Moscheenbäume und Minarettentürme.

ein Zweiter: Das ist unglaublich. Das ist unerhört!

Mahlzahn: Mein Herr, das werden Sie uns zu verantworten haben!

ein Dritter: Und sagen Sie ja nicht, Sie hätten nichts mit dem Tun der Frauen am Hut. Das ist doch nur wieder so eine Machart, wie wir sie von den Kopftüchern her kennen. Da drängen sich junge Mosleminnen vor Gericht, um für ihr Kopftuch zu streiten. Als ob wir die Hintermänner nicht längst bemerkt hätten! Oder hat es je eigenverantwortliche und über sich selber entscheidende Frauen unter den Moslems gegeben?

wieder einer: Wenn es nach mir ginge, gäbs in unserem Staat überhaupt keine Bauwerke einer Konfession.

noch ein anderer: Und unsere Kirchen?

der Vorige: Die würd ich abreißen lassen.

Bischöfin: Und das nur, weil jetzt auch die Moslems Moscheen bauen? Wärs nicht schöner, wenn es bald schon zur Gewohnheit würde, dass Bischöfinnen in den Moscheen predigten und Imaminnen in unseren Kirchen?

Mahlzahn: Früher, da gab es noch eine Zeit, wo es eine Freude war, in der Schweiz zu leben! (zum Imam) Vermutlich hat auch das Schiff da draussen etwas mit ihm zu tun! Es würde mich nicht wundern, wenn Talibane drin sitzen, die nur darauf warten, die Schweiz in die Luft zu jagen.

Bischöfin: Seien wir doch gerecht.

van Gunten: Es gibt Leute, die brauchen für alles, was Ihnen nicht ins Bild passt, einen Sündenbock.

Mahlzahn: Hätte er wenigstens etwas zum 11. September gesagt!

Bischöfin: Lassen Sie sich von mir, die von Gott als Bischöfin der evangelischen Landeskirche ausersehen wurde, sagen, dass wir den Imam mitsamt seinen Frauen und Töchtern als Bruder und als Schwestern anzunehmen haben!

Mahlzahn: ( immer leiser werdend) Wenn die Frau Bischof doch lieber erst die Aufgaben im eigenen Haus besorgte! Schließlich weiß jeder, dass sie sich hat scheiden lassen, um in der Kirche Karriere zu machen.

2. Abschnitt: Wie Pilat von den Steuersündern denunziert wird.

Pilat: (ist bereits im vorigen unbemerkt ins Bild gekommen und bleibt in der Nähe von Mahlzahn stehen) Wenn ich nicht wüßte, dass alles, was das gewohnte Mass übersteigt, uns wie ein Traum anmutet, so wollte ich festiglich behaupten, dass mir bis jetzt alles nur geträumt hat. Da redest du einmal so ins Blaue hinein von der 7. Armee von Yuwa und plötzlich erscheint ein Dampfer auf dem Vierwaldstättersee. Dann kommt mir dieser Prüfli ins Gehege und verwirrt mich. Und ich mach mich auf den Weg zum Regierungspalais und gerate dabei in eine Allee voller Moscheenbäume, dass mir ist, als wär ich unterwegs in den Garten der Moslems. Fehlten nur noch die Kioske aus 1001 Nacht und die schönen Huris, die mir einen Schweizer Kaffee mit einem Täfeli Schweizer Edelschokolade angeboten hätten. Endlich, fast schon am Ziel, seh ich mich plötzlich einem Haufen Volk gegenüber, von dem ich nicht weiß, was es im Schild führt. Sollte ich der Grund sein, dass man sich hier versammelt? Ich der Grund, dass eine Eskorte Polizei den Eingang zum Palais schützt? Meine Offenheit der Grund, die man auf diese Weise beantwortet? Doch warum hat mich dann noch niemand gesichtet? Warum ist dann noch niemand auf mich zugeeilt? Warum nimmt niemand von mir Notiz? Wenn wir doch nur in einer Welt lebten, die keinen Grund zum Mißtrauen böte!

Mahlzahn: Wie schön von Ihnen, mein Herr, dass Sie hergekommen sind. Wollen Sie sich nicht auch eintragen in der Liste da?

Pilat: Was ist das für eine Liste? Ich kenne die Liste nicht.

Mahlzahn: Dann wird es höchste Zeit! Sehen Sie her! Es geht um nicht weniger als um den Bund der freien Schweiz. "Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an. Hier sind die wahren Wurzeln deiner Kraft." Sind Ihnen die Verse nicht geläufig?

Pilat: O doch!

Mahlzahn: Wenn ich mich vorstellen darf! Ich bin der Gründungsvater der patriotischen Front; das ist eine Vereinigung aller Schweizer Patrioten. Ich bitte Sie, sich hier einzutragen.

Pilat: Darf ich meine Entscheidung eine Nacht überschlafen?

Mahlzahn: Eine Nacht überschlafen? Bedarf es da einer Bedenkzeit?

Pilat: Eine Bedenkzeit sollte man jedem gestatten.

Mahlzahn: Auch eine Bedenkzeit, ob man ein Patriot sein will? Pilat: Eine Bedenkzeit, was man als Patriot zu tun hat. Dass ein Patriot ein wackerer Mann ist, haben wir schon in der Schule gelernt. Und dass die Demokratie die beste aller Herrschaftsformen ist, das haben wir auch gelernt. Was aber zu einem Patrioten gehört und was für Sorten von Demokratie es gibt, davon war nie die Rede. Ich könnte mir vorstellen, dass ein Patriot unserer Tage, zumal wenn er zugleich auch ein Liebhaber von 1001 Nacht ist, es sehr wohl angenehm fände, zu Füßen eines Minarettes den Erzählungen zu lauschen.

Mahlzahn: Mein Herr!

Pilat: Toleranz genügt da gewiß nicht. Wir müssen Achtung haben vor einander, um zu verstehen. Achtung z.B., weil einer ein Sohn ist eines Kulturkreises, welcher wunderbare Dinge hervorgebracht hat.

Mahlzahn: Lieben Sie den Terrorismus?

Pilat: Ich liebe z.B. den Lebensbaum. Der Terrorismus aber ist gewiß nicht hilfreich, um in Minaretten Lebensbäume zu erblicken.

Mahlzahn: Sie sind kein Schweizer, geben Sie es nur zu!

van Gunten: Was belästigen Sie den Mann? Oder stünde es nicht einem Schweizer wohl an, so zu sprechen? Im übrigen sollte keiner zu etwas gezwungen werden, nicht einmal zur Freiheit.

Mahlzahn: Wenn doch der Herr Gunten still sein wollte! Man sollte sich weigern, solchen Revoluzzern die sittliche Reife zu attestieren.

J.: Hat er denn nicht recht?

Bischöfin: Welche Freiheit ist größer – die der Kinder Gottes oder die der Kinder dieser Welt?

Mahlzahn: Sie bleiben stehen, mein Herr! Ich lasse Sie nicht aus.

Streber: (hält ihn fest)

Pilat: Junger Mann, in Ihrem Interesse, halten Sie sich da heraus!

Raab: (er kommt mit Spitzer, Scheer und Wintermann herzu) Was gibt es da?

Mahlzahn: Dieser Mann hat etwas in seinem Benehmen, das nach der Staatsmacht ruft.

Streber: Sehen Sie nur, wie er sich wehrt!

Spitzer: Das ist ja der Mann, der uns hat umbringen wollen. Um seinetwillen dachten wir schon daran, um politisches Asyl zu ersuchen.

Wintermann: Jawohl, das ist der Herr Pilat. Und hätten wir uns nicht gewehrt wie die Berserker, es gäb uns schon nimmer.

Raab: Zu Hilfe! Zu Hilfe! Wo ist die Polizei?

Scheer: (zu Polizisten) Das ist der Mann, der die Schweiz unterminiert hat, das ist der Mann, der uns alle in den Ruin treibt.

Mahlzahn: Meine Herren! Überprüfen Sie diesen Mann da!

Spitzer: Bei meiner Ehre als Vorsitzender der Handwerkskammer! Das ist der meist gesuchte Verbrecher der Schweiz, der Herr Pilat aus Deutschland.

Polizist: Bist du der Pilat aus Deutschland?

Pilat: Jawohl, ich bin der Minister Pilat aus Deutschland. Und ich bin gekommen, weil ich mit dem Herrn Minister Prüfli einen Termin habe.

Polizist: Und der Ausweis?!

Pilat: Wie?

Polizist: Die Legitimationspapiere?

Pilat: Ich bin ohne Ausweis gekommen.

Polizist: Aber Sie wissen doch, dass das strafbar ist! Jeder Bürger muss sich allezeit ausweisen können.

Scheer: O wir wissen Bescheid. Wir können bestätigen, dass er der gesuchte Mann ist.

Spitzer: Haben wir ihm nicht gesagt, dass der Arm der Vergeltung nicht auf sich warten läßt?

Wintermann: Packt ihn, knebelt ihn, sperrt ihn ein und haltet ihn gefangen bis zum jüngsten Tag.

Kleinfrick: Warum gehen wir immer mit so viel Vorurteilen und Aggressionen aufeinander zu?

Mahlzahn: Das ist kein Vorurteil, verehrte Frau Kleinfrick!

Kleinfrick: Unterstellen wir einem jeden zuerst einmal einen guten Willen!

Mahlzahn: (für sich) O du blauäugiges Wunder von Kanaan! (laut) Wenn er keinen hat....

Pilat: Ich bitte darum, Minister Prüfli vorgestellt zu werden und sei es nur für eine Sekunde!

Polizist: Das kann ich nicht arrangieren.

Wintermann: Macht das nur nicht. Der ist imstand und büchst euch dabei aus.

Pilat: Mich wundert, dass sich Minister Prüfli nicht zeigt!

Prüfli: (ans Fenster tretend) Meine Herren! Was tun Sie da?

Polizist: Wie es scheint, haben wir den meistgesuchten Verbrecher in der Schweiz gefasst, auch wenn wir über seine Identität noch nicht die letzte Gewißheit haben.

Prüfli: Wartet! (er verschwindet ohne weitere Worte vom Fenster)

Mahlzahn: Was sagen Sie jetzt, meine Damen und Herren! Hat nicht ein glückliches Schicksal mich unserem Vaterland zu Hilfe geschickt?

Fac-totum: Und mich erst! Wär ich nicht gewesen, es wär ja nie zu der Festnahme gekommen.

Pilat: (für sich) Dabei hätte ich nie für möglich gehalten, in eine solche Falle zu geraten. Zumal nach dem Zusammentreffen mit Prüfli.

Prüfli: (erscheint draussen mit Hasenjäger)(zu Pilat) Mein Herr, erkennen Sie mich wieder?

Pilat: Ich versuche, mich zu erinnern.

Hasenjäger: Wie Sie sehen, sind Sie in unserer Gewalt.

Polizist: Wenn Sie wollen, bringen wir ihn in U-haft.

Prüfli: Überlassen Sie ihn uns! Wir werden mit ihm fertig.

Polizist: Immerhin hat er keine Ausweispapiere bei sich. Und ich habe die Ordre...

Prüfli: Es ist gut, habe ich gesagt.

Polizist: Auf Ihre höchsteigene Verantwortung!

Mahlzahn: Wenn ich die Herren bitten darf! Begehen Sie keine leichtfertigen Handlungen, die Sie bald schon bereuen müßten.

Fac-totum: Das würde noch fehlen, dass unsere Tapferkeit den Feind besiegt, und dann brächte es der Leichtsinn fertig, dass er am Schluß noch über uns triumphiert!

Prüfli: (zu Pilat) Kommen Sie!

Polizist: Wollen Sie nicht wenigstens eine Wache zum eigenen Schutz?

Prüfli: Nicht nötig!

(Prüfli und Hasenjäger mit Pilat zum Regierungspalais schreitend, wo ihnen Vätterli entgegenkommt)

Vätterli: Hab ich die Ehre, dem gefürchteten Pilat zu begegnen?

Pilat: Zu viel der Ehre!

Vätterli: Kommen Sie mit!

Fac-totum: Und ich? Ich darf doch wohl bitten, miteingelassen zu werden! Oder hab ichs nicht prophezeit, dass ich ihn noch heute einfange und habe mein Wort gehalten?

Polizist: Es tut mir leid. Der Präsident hat Ordre gegeben, niemanden sonst einzulassen.

Fac-totum: Das kann nicht der Fall sein! Mich auszuschließen, das kann nicht sein! Seine Exzellenz kann gar nicht ohne mich auskommen. Papa Vätterli! (er trommelt an die verschlossene Türe) Oder meint jemand, ich wär nicht Manns genug, diese Türe zu öffnen? Ich muss ja nur die Luft einsaugen und zusammenpressen! Wenn ich sie dann herausjage, kommt sie grimmiger heraus als eine Bleikugel, dass das Türlein vor lauter Schreck in sich zusammenfällt.

Polizist: Geh er seines Wegs oder wir nehmen ihn fest!

Fac-totum: Was? Ihr mich festnehmen?

Polizist: (ihn sanft wegziehend) Bitte!

Fac-totum: Ja steht denn die Welt auf dem Kopf? Dass der Feigling siegt? Dann sag ich es eben laut, dann schrei ichs in alle Welt hinaus, was für Schweinereien hier verübt werden. Oder hat das etwas mit Können zu tun, wenn man es insgeheim einrichtet, dass die eigenen Finanzen auch dann noch stimmen, selbst wenn die ganze Welt pleite geht? Jawohl, meine Damen und Herren, hier werden Dinge gedreht, wovon den Politikern und den Juristen, den Finanzfachleuten und den Kriminologen selbst in den kühnsten Träumen ihrer Schulweisheit nichts träumt. (in Richtung auf die Bischöfin) Jawohl Frau Erzbischof. Mag Sie noch so sehr der Glaube interessieren und das Kirchenamt und das gemeinsame Abendmahl! Sie würde sich besser für diese Leute interessieren, die die ganze Welt gewinnen, ohne an ihrer Seele Schaden zu leiden. Denn sie haben keine Seele mehr. Wo früher die Seele war, hängt jetzt nur noch ein lederner Geldsack.

3. Abschnitt: Krisenbewältigung

(Im Zimmer drinnen. Dort ist eine Großbildfläche, auf der der Vierwaldstädtersee mit dem Dampfer zu sehen ist.)

Vätterli: Mein Herr! Was hat Sie bewogen, sich bei uns als Räuber und Bandenführer einzuführen und uns nun gar noch um einen Termin zu ersuchen? Sie sind doch Dr. Peer Pilat, der Steuerminister aus Deutschland?!

Pilat: Ja, der bin ich.

Vätterli: Hätte sich ein Besuch nicht auf altbewährte Diplomatenart arrangieren lassen?

Pilat: Dass ich der Schweiz Verehrung entgegenbringe, darf ich mit Fug behaupten. Wenn aber ein Deutscher der Schweiz noch mehr Verehrung entgegenbringt, wenn er ihr so viel Verehrung entgegenbringt, dass die Schweiz ihn als Bürger bei sich haben möchte, so mag er in die Schweiz ziehen und Schweizer werden! Im übrigen aber soll keiner von unseren Bürgern seinen Geldsack am Fiskus vorbei in die Schweiz tragen. Das werden Sie ja wohl verstehen.

Hasenjäger: Hier hätten wir also den Rubicon Ihrer Verehrung?

Vätterli: Und das alles hätte sich nicht am Verhandlungstisch sagen lassen?

Pilat: Ich habe schon ein wenig dafür gebüßt, indem Sie mich draussen in der Traufe stehen ließen. Im übrigen habe ich Sie schon einige Mal ersucht, mir die Listen mit den deutschen Kapitalanlegern zuzusenden, zwecks Überprüfung der Steuerleistungen, nur leider vergebens.

Vätterli: Mir ist davon nichts zu Ohren gekommen. Gleichwohl aber, das werden Sie verstehen, kann einem solchen Gesuch unmöglich stattgegeben werden. Immerhin haben diese Leute Verträge mit uns abgeschlossen. Und Verträge sind zu halten. Pacta servanda!

Pilat: Wenn sie gut sind, gewiß.

Hasenjäger: Sind sies denn nicht? Oder sind sie es nur so lange, solange euere Gesetzgebung es zuläßt? Und gehört es zu den täglichen Aufgaben der Schweiz, Sorge zu tragen, was für Gesetze in Berlin erlassen werden, auf dass wir unterscheiden können zwischen gut und böse?

Vätterli: Übrigens möchte ich an dieser Stelle unseren Währungshüter Frank Fränkli entschuldigen. Er wünscht unseren Verhandlungen viel Erfolg. Zu den beiden anwesenden Herren hätte ich zu sagen, dass dies Herr Hasenjäger ist, mein Privatsekretär, und dies Herr Prüfli, unser Verteidigungsminster. Letzteren kennen Sie ja schon ein wenig. Schließlich habe ich ihn bei Ihnen vorbeigeschickt und er hat mir auch schon einiges über Sie berichtet. Er ist zwar noch sehr jung, doch hoffe ich sehr, dass er sich Mühe gibt und weiter an sich arbeitet, um in den schwierigen Zeiten, die auch bei uns in der Schweiz angebrochen sind, das Staatsschiff unerschrocken und uneigennützig zu lenken.

Pilat: Er verdient meinen Respekt.

Vätterli: Doch zurück zu unseren Aufgaben! Lassen wir einmal die Frage nach der Berechtigung und nach der Form beiseite, mit der Sie auf Schweizer Boden gedrungen sind und deutsche Steuergelder einkassiert haben! Könnten Sie uns sagen, was der Zweck war dieses Ihres Tuns?

Pilat: Ist er nicht klar und deutlich von jedermann zu sehen? Was bedarfs da noch der Worte? Mögen auch die Mittel schlecht gewählt worden sein...

Vätterli: Geschah es der ewigen Gerechtigkeit zulieb?

Pilat: Was ist Gerechtigkeit? Was sonst als ein pompöses Wort?

Hasenjäger: Athen kannte das immerhin noch, dass die Regierenden Rechenschaft schuldeten. Und nicht selten ging es jenen Herren dann durchaus nicht gut. Das war noch anders als bei uns, wo man sich auf die Expertisen von Gutachtern stützt, denen man dann bei schlechtem Ausgang den schwarzen Peter zuzuschieben pflegt.

Vätterli: Vielleicht gefällt ihnen besser, wenn ich Sie an das apollinische " Erkenne dich selbst!" erinnere?

Pilat: Erkenne dich selbst?! - Wenn ich den Imperativ des Delphischen Gottes recht verstanden habe, so setzt das einen Spiegel voraus, etwa einen Herrscherspiegel, der freilich auch für den einzelnen Geltung hat. Er setzt voraus, dass man weiß, was man zu tun hat und dass man überprüft, ob man fähig ist bzw. war, das, was man zu tun hat, auch in die Tat umzusetzen. Doch wissen wir Politiker und Gesetzgeber überhaupt noch, was wir zu tun haben? Wissen wir, in was für einer Welt wir leben oder suchen wir nicht nur immer wieder von neuem nach Auswegen, nachdem wir gescheitert sind? Was für Handlungsmöglichkeiten haben wir, ausser ein paar Gesetzlein der Geldbeschaffungskunst zu erlassen, die niemals alle, und wenn schon alle, doch nicht alle auf dieselbe Weise erreichen? - Wem kann das gefallen, den Milliarden Armen den letzen Groschen aus der Tasche zu stehlen, um sie zu Milliarden umgemünzt den pleite gewordenen Banken in den Rachen zu schieben? Und dann appellieren wir an das Gewissen der Bürger, den Gesetzen zu genügen, also z.B. die verlangten Steuern ordnungsgemäß an den Staat abzuführen? Wen oder was kann ich erkennen, wenn ich mich dergestalt als handlungsunfähiger Politiker durchschaue? Erkenn ich mehr als einen Gaukler und Jahrmarktstrolch, der den Leuten vor der Wahl das Blaue vom Himmel erzählt, wiewohl er im besten Fall ganz genau weiß, wie eng begrenzt sein Spielraum ist, um es sich dann nach der Wahl auf seinen Bezügen und Diäten so angenehm wie möglich zu machen? Warum sagt kein Politiker den Leuten, dass die Wirtschaft und die Hochfinanz die Politik bestimmt? Und dass die großen Urteile unserer Gerichte sich oft nur nach dem Wind richten, d.h. dass sie sich orientieren am Wohl der Wirtschaft oder an sonstigen unabänderlichen Rücksichtnahmen und Verpflichtungen? Warum sagt keiner, dass das große Geld, das der Staat braucht, um seine vielen Ausgaben zu decken, nur von den unzählig vielen Kleinen zusammengerafft werden kann und dass die ganz Großen allenfalls symbolisch zur Kasse gezogen werden können, dass aber selbst dies nicht möglich ist, weil Geld jederzeit gute Wege kennt, sich aus dem Staub zu machen? Viele unserer Politiker, die diese Orientierungslosigkeit in der Politik aufgrund fehlender Grundsätze bzw. aufgrund der ihr verordneten Ohnmacht verspürt haben, haben sich an die Ausarbeitung solcher Grundsätze gemacht; nur ist leider nie viel mehr dabei herausgekommen als fromme Erklärungen, trotz allem Euphorismus.

Vätterli: Sie aber wollten als Politiker kein solches hilfloses Jammerwesen sein? Sie entschlossen sich, es einmal auf einem anderen Weg zu versuchen?

Pilat: Dass ich nicht alle Probleme lösen würde, wußte ich wohl; desgleichen wußte ich, dass ich nicht der Mann wäre, die ewige Gerechtigkeit zu befriedigen. Immerhin erhoffte ich mir etwas Aufmerksamkeit, hoffte ein Zeichen zu setzen, hoffte ein Nachdenken in Gang zu bringen, in was für einer dubiosen Welt wir inzwischen leben; und wenn ich auch als neuerlicher Ritter von der traurigen Gestalt bekannt würde.

Vätterli: Ein wenig Geld haben Sie eingesammelt. Ob sich das gelohnt hat, kann man bezweifeln. Es erinnert einen an die Kassiererin, der man wegen eines unterschlagenen Euros den Prozeß gemacht hat.

Pilat: Das Geld, das wir in den drei Tagen gesammelt haben, habe ich bereits nach Deutschland auf den Weg gebracht.

Hasenjäger: Aber mein Herr! Ist das Geld des Aufwands wert? Das würde noch nicht einmal ausreichen, eine Profi-Fußballmannschaft für einen Monat zu bezahlen. Um Ihnen zuhause jede lächerliche Szene zu ersparen, haben wir uns erlaubt, die von Ihnen gesammelte Kollekte noch vor der Grenze clam heimlich abzufangen. Hier sind die Säcke!

Vätterli: Doch nun sind Sie gekommen, von uns die Listen zu erhalten, auf dass keiner mehr so listig wäre, den Staat zu betrügen?

Pilat: Mein Anliegen war es in der Tat, Sie um die Auslieferung der Liste der Geldanleger zu bitten, auf dass wir sehen, wer bei Ihnen sein Geld widerrechtlich angelegt hat.

Hasenjäger: Und Sie hatten nie einen Zweifel, die Probleme so zu lösen?

Pilat: Es war wohl ein Experiment, das ich in meiner Not startete...

Hasenjäger: Doch nun wären Sie schon zufrieden, wenn es nur die allgemeine Aufmerksamkeit erregte?

Pilat: Habe ich auch nicht der Wahrheit und der Gerechtigkeit gedient, so hab ichs doch versucht. Immerhin kann mir niemand nachsagen, dass ich nur blumige Reden geschwungen und mich auf meinen Diäten ausgeruht hätte.

Vätterli: Sie sehen aber ein, dass der Gerechtigkeit niemals gedient sein kann, wenn man nur eine Gruppe von Leuten erfasst und zur Rechenschaft zieht, während man genau weiß, dass es noch andere gibt, die nicht minder strafwürdig sind, die man aber niemals erfasst?

Pilat: Nennen Sie mir diese anderen, die man niemals erfasst!

Vätterli: Drunten auf dem Platz sind einige davon. Z.B. die vier Herren, die Sie festgehalten haben. Doch fürcht ich, sie werden arme Schlucker bleiben, reicht doch wohl das Vermögen der Herren nicht aus, um in unsere Oberklasse aufzusteigen. Kollege Fränkli ist da sehr streng bei seinen Auswahlkriterien. Vielleicht dass ein anderer Staat sie dann als neue Mitbürger begrüßt. Dann zahlen Sie in ihrer neuen Heimat vielleicht noch ein Zehntel der früheren Vermögenssteuer. Dabei müssen sie ihren Wohnsitz überhaupt nicht ändern. Sie sind und bleiben Deutsche, die fortan eben nur als Ausländer in Deutschland leben.

Pilat: Auch Sie in der Schweiz nehmen solche Leute auf?

Hasenjäger: Milliardäre allemal! Und keiner muss es uns verdenken, dass sie uns lieber sind als die, von denen wir nur wissen, dass wir sie über Wasser zu halten haben. Schließlich haben wir neben unseren Ausgaben immer auch an unsere Einnahmen zu denken. Oder brauchen Sie nun auch noch eine Liste dieser Leute?

Pilat: So könnten wir denn nichts weiter tun, als was wir schon immer getan haben? Uns an den Armen und Schwachen zu vergreifen, um die Reichen und Starken frei laufen zu lassen?

Vätterli: Es erquickt wahrlich nicht, dem zuzustimmen. Und doch ist es so. Ein gleiches Recht für alle wäre wohl wünschenswert und es ist wohl auch zum Träumen geeignet für eine idealistisch gesinnte Jugend. Da es aber nicht realisiert werden kann, haben wir uns davon zu verabschieden.

Prüfli: Dabei dachte ich immer, Politik verdiene den Namen Praxis.

Vätterli: Politik ist notwendig und zugleich vergeblich und verrückt. Notwendig ist sie, weil die Menschen jemanden brauchen, von dem sie annehmen, dass er für sie sorgt. Vergeblich und verrückt aber ist sie, weil wir zwar immer wieder manches Gute sehen und ihm nachjagen, wir aber zugleich erkennen, dass es sich nie für alle in gleichem Mass erjagen läßt. Wir sind viel zu ohnmächtig, um für alle in gleicher Weise da zu sein, nach innen wie auch nach aussen. Hinzu kommt, dass wir, je kleiner und globaler die Welt wird, nur immer kleinere und noch kleinere Ausschnitte vor uns sehn. Kaum dass wir in der Lage sind, für den nächsten Tag zu planen. Wenn wir etwas genauer voraus sehen, so dies, dass wir dem kommenden Unglück wehrlos preisgegeben sind. In einer Welt, in der von uns selber geschaffene Götzen und Giganten die Welt beherrschen und die auch kein Alexander und kein Cäsar mehr zu besiegen vermöchte, sind wir dabei, in den Zustand zurückzusausen, wo Kain seinen Bruder Abel erschlägt, und keiner nimmt davon Notiz, bis endlich im allgemeinen Aufruhr das Arsenal der von uns erschaffenen Waffen der Menschheit ein Ende setzt. Viele sind längst bereit und warten nur darauf, dass man ihnen diese Waffen in die Hand gibt, um dieses Inferno schon heute auszulösen. Da uns aber unser Amt solch ein Wissen nicht gestattet, denn wie könnten wir ein Vater des Volks werden, wenn wir für unsere Kinder keine Zukunft mehr sehen, so unterdrücken wir solcherlei Gedanken und strafen uns Lügen, wann immer wir daran denken.

Doch genug meiner Predigt! Erheben wir das Glas. Nicht nur auf die gute alte Zeit, in der noch das Gute gedieh, sondern auch auf den Mut zu einer Politik in schier auswegloser Zeit! Lassen wir den Karren nicht sausen! Geben wir diese Welt nicht auf! Möge uns allen das Gute gedeihen, zumal, da wir alle nichts anderes sind als ein mehr oder minder gelungenes Exemplar der Spezies Mensch.

Hasenjäger (den Vorhang schließend): Wie ich zur Ehre komme, ein Exemplar der Spezies Mensch zu sein, entzieht sich allerdings meinen Kenntnissen. Es wird aber schon mit rechten Dingen zugegangen sein, sonst gäb es mich nicht.