Ein schönes Zeichen, dass du glaubst,
wenn dir den Schlaf um Gottes Sohn du raubst,
weil er zu wenig hochgepriesen
und Ehr und Dank man ihm erwiesen.
Vielleicht, dass er dir´s einmal dankt,
wenn er nicht selber in sich krankt,
und nicht liegt, bis du kommst, verschieden
in Gottes dunklem Grabesfrieden.
2. Abschnitt: Der Alte kommt nach Hause
4. Abschnitt: Franz kommt zurück
5. Abschnitt: Wie Franz verflucht und verjagt wird
6. Abschnitt: Wie die Alten eingesperrt werden
7. Abschnitt: Wie der Herr Jesus erscheint und die Alten sich auf den Weg machen
1. Abschnitt: Das Empfangszimmer im Turm einer weitläufigen Herberge.
2. Abschnitt: Ankunft bei der Herberge
4. Kapitel: In der Schlosskanzlei
2. Abschnitt: Franz beim Türhüter
3. Abschnitt: Die Strichreiter
4. Abschnitt: Die Damen kommen
1. Abschnitt: Detonationsopfer
2. Abschnitt: Paulus und Johannes kommen
5. Abschnitt: Jesus und die Frau
7. Abschnitt: Die beiden Jünger, ehe sie dem Zug folgen.
1. Abschnitt: Wie die Alten nach Haus zurückkommen
2. Abschnitt: Die beiden Alten werden vom Laren begrüßt.
3. Abschnitt: Wie Karl kommt und das Haus in die Luft sprengen lässt
4. Abschnitt: Das Lied des Lar
Der Lar
Die beiden Alten (Heinrich und Gertrud)
Franz und Karl, die Söhne
Der Herbergsvater, Herr Martin
Luise
der Lehrer
Jesus
Johannes
Paulus
Schwester Edith
Chefarzt Dr. Sigmund Medici
Assistenzärzte
viele vom Tod Erweckte, Männer und Frauen
der Großvater
1. Chef Annah
2. Chef Kaiphah
geheimer Sekretär, Adjutant Barabbas
Ein Türsteher
Goliath, Narr
Judas als Gehenkter
zwei Damen Mizzi und Lizzi
Der Kommandant am Schlossberg
Vizekommandant Dreizehner
Frau Dreizehner und ihre Tochter Regina
Polizisten
zwei Jäger
ein junger Jägersgehilfe
drei Strichreiter
(Kaltes Aprilwetter. Ein altes, kaltes, einstöckiges Häuschen am Berghang abseits vom Dorf. Es besitzt neben der Haustüre ein einziges Fenster, das fest vergittert ist. Vor dem Häuschen steht ein Lar. Darum herum ein paar blühende Osterglocken. Weiter drunten sind durch den Nebel hindurch der Friedhof und das ehemalige Zentrum des Dorfs mit Kirche und Turm zu sehen. Der Turm erglänzt bei Sonne im Sonnenlicht, aber auch Raupenschlepper und Arbeiter sind zu sehen bzw. zu hören.)
Der Lar: Wie kalt es noch immer ist, wie neblig trüb. Und wenn die Sonne doch einmal hinter den Wolken hervorkommt, so nur für ein paar hastige Augenblicke, als ob es hier drunten nicht mit rechten Dingen zuginge. Dabei war das doch schon immer so, fast immer so. Im übrigen freilich war früher, als man noch nichts anderes kannte, als unter Mühsal und Schweiß den schattigen Äckern das Brot abzugewinnen, manches auch noch etwas anders. Da wusste man noch, dass der Boden den Ertrag nicht von allein preisgibt. Heute lässt man den Boden überhaupt nicht mehr zu Wort kommen. Man zwingt ihn, indem man ihm Massen von Chemie zusetzt. Gestern Nacht, als die Ingenieure vom Schloss herabkamen und den Mond sahen, fragten sie sich, ob er denn so hoch stehen könne, und begannen gleich nachzurechnen. Nur durch Berechnungen können wir nämlich noch herausfinden, was der Fall ist. O ich erinnere mich noch gut, als die ersten Siedler das Tal herauf kamen und mich baten, ihnen einen geeigneten Platz zu zeigen. Da zeigte ich ihnen den Talgrund. Und ich sprach zu ihnen: "Ist es nicht herrlich, dieses Tal, mit seinen grünen Wiesen und Berghängen, von Wasser durchflutet? Kommt und prüft, was die Scholle taugt und ob man hier nicht Häuser bauen kann mit Vorratskammern und Ställen! Kommt und prüft auch die beiden Berge dort hinten, die wie die Zacken einer Hörnerkrone hervorragen. Wenn ihr beim Frühlingsbeginn von hier aus hinaufschaut und die Sonne dort aufgehen seht, dann wisst ihr, dass es Zeit ist, die Felder zu bestellen." So sprach ich zu ihnen. Sie aber taten, wie ich sie geheißen und siedelten sich an.
Freilich waren die ersten Jahre geprägt von schwerer Arbeit. Die Berghänge waren steil und steinig und nur schwer zu bearbeiten und die Erträge reichten kaum aus, das Dorf zu ernähren. Von Jahr zu Jahr aber wurde es besser. Aus den Steinen wurden Häuser und aus den Berghängen Bergäcker. Generationen arbeiteten, säten und ernteten und sangen das Lied der Heimat, und hätte sich nicht eines Tages die Unzufriedenheit ins Tal eingeschlichen, sie würden auch heute noch das Lied der Heimat singen. Plötzlich aber genügte ihnen dieses Leben nicht mehr. Der Ablauf des ewig Gleichen war ihnen zuwider. Nach Abwechslung trugen sie Verlangen. Kaum mehr etwas von dem, was sie bislang fraglos ertragen und erduldet hatten, war ihnen genehm. Das Leben hier wurde ihnen zum Gefängnis. Kaum, dass die Wintersonnwende vorüber war und man allen Grund hatte, dass die Tage länger wurden, begehrten sie auf. "Wie lange", so riefen sie, "wie lange sollen wir hier frieren und hungern und auf den Sommer warten? Nicht länger wollen wir eingesperrt bleiben zwischen diesen Bergen!" Einige von ihnen schmiedeten Pläne, in die Welt hinauszuziehen, um sich in wärmeren Gegenden anzusiedeln. Andere überlegten sich, über die Berge hinweg zu steigen, um die benachbarten Täler zu erobern und die dortigen Leute als Knechte zu dingen. Damals nun geschah es, dass ein Mann zu uns ins Tal kam. Lechem hieß er. Er war klug und beschlagen und verstand es, durch eine Menge von Erfindungen auf sich aufmerksam zu machen. Da er nun sah, dass es viele von uns fror, erdachte er sich einen großen selbstgesteuerten Spiegel. Hoch oben, dem Zionsberg gegenüber, denn so hatte man den Berg genannt, hinter dem die Sonne zur Frühlingszeit emporkommt, wollte er ihn aufstellen, dass er selbst noch in den dunkelsten Wintermonaten Licht ins Tal brächte. Das Projekt lief gut an, zerschlug sich dann aber wieder. Keiner weiß, wie. Am Tag, bevor der Spiegel aufgestellt werden sollte, er war schon den Berg hinaufgebracht, fand man ihn in 1000 Scherben zerschlagen und den Lechem daneben ermordet. Wer ihn ermordet hat, wurde nie bekannt. Doch scheint man ihm aus Angst vor dem undurchschaubaren Fremden das Leben genommen zu haben. Damals nun begannen viele, den Ort zu verlassen. Die aber noch blieben, schickten ihre Söhne hinaus in die Welt, dass sie dort eine bessere Zukunft fänden. Unterdessen aber begann eine der reichsten Gesellschaften der Welt, das Land, das zu immer größeren Teilen brach dalag und das keiner mehr wollte, aufzukaufen. Ohne dass es weiter jemanden beunruhigte, wurden Felder und Wiesen aufgekauft, bis es an den Tag kam, dass fast alles Land weit und breit verkauft war. Jetzt soll hier ein großer Stausee entstehen. Zur Energiegewinnung, wie es heißt. Einige sagen, ein gewisser Baron Lechem, ein Nachkomme des ermordeten Lechem, habe seine Hände mit im Spiel. Doch weiß es keiner genau. Die Einwohner des Talgrunds jedenfalls hat man bereits umquartiert, teils freiwillig und mit angemessener Entschädigung, teils nach gerichtlichem Verfahren, bis auf den Hausbesitzer und seine kranke Frau hier. Was mit den beiden Alten geschehen wird, vermag ich nicht zu sagen. Die Frau ist zu schwach geworden für eine Umsiedelung und die Kräfte des Alten reichen auch nicht mehr zu viel aus. Gleichwohl hofft man hier im Haus noch immer, das Rad der Ereignisse zurück drehen zu können. Um seinem Protest Ausdruck zu geben, ist der Alte heute Morgen aus dem Haus gegangen. Denn heute sollen nun auch noch rasch die Toten ausquartiert werden, ehe die Bulldozer alles glatt planieren, wenn einer das Geld dafür hat. Doch was für eine Hoffnung! Und für wen? Doch wohl nicht für die beiden Söhne, die sie noch haben. Vom Ältesten haben sie schon viele Jahre nichts mehr gehört. Er ist spurlos aus dem Haus und gehört eher zu den Toten, und den Jüngsten, den würde der Vater wohl auch aus dem Haus jagen, wenn er jetzt auf ihn träfe. Immerhin hatte er noch bis heute Morgen auf ihn gehofft. – Doch still, da kommt er ja schon!
Der Alte: Nun? Was gibt es?
Der Lar: Was soll es schon geben?
Der Alte: Wie geht es der Mutter?
Der Lar: Ich weiß nicht.
Der Alte: Ist Dr. Medici dagewesen?
Der Lar: Du wolltest doch nicht, dass er kommt.
Der Alte: Hast du ihn nicht eingelassen?
Der Lar: Wie du mir aufgetragen.
Der Alte: Und Franz?
Der Lar: Was soll mit Franz sein? Er ist gegangen.
Der Alte: Und hat die Mutter im Stich gelassen?
Der Lar: Schon seit einiger Zeit hatte er die Hand an der Türe. Wenn Jugend sich einmal entschlossen hat, das Elternhaus zu verlassen, hält sie nichts mehr.
Der Alte: Immerhin ist seine Mutter schwer krank.
Der Lar: Hier gibt es nichts mehr zu tun, hat er gesagt. Der Ort taugt nur noch zum Sterben.
Der Alte: Ich hab ja geahnt, dass es einmal so weit kommt. Nur, dass es heute sein würde, darauf war ich nicht gefasst. (er geht ins Haus)
Der Lar: Wie er ins Haus schleicht! Wie ein müde gewordenes Zugtier. Dabei hab ich ihn immer davor gewarnt, den Kopf hängen zu lassen. Doch was kann man gegen die Müdigkeit tun, wenn sie sich erst einmal bei einem eingenistet hat? Doch was red ich da nur? Ich bin ja selber kaum mehr etwas anderes als ein müde gewordener Lar.
(Ein Zimmer. Eine Standuhr, die stehen geblieben ist. Eine holzvertäfelte, giebelförmige Decke, hinter der Geräusche wie von einem Marder immer wieder zu hören sind. Die Alte in einem Bett, im Tiefschlaf, schwerkrank.)
Der Alte (ins Zimmer eintretend): Mütterchen, ich bin wieder zurück. – Mütterchen, ich bin wieder zurück. – Kannst du mich hören? – Sie hört mich nicht. Nur der Marder hört mich. (nimmt einen Stock und haut gegen die Decke) – Mütterchen, ich bin wieder zurück. Ich war auf dem Friedhof, wie du es dir gewünscht hast. – (dicht ans Bett tretend) Mütterchen! – Sie schaut, als säh sie mich, und scheint zu horchen, als hörte sie mich. Und sieht mich doch nicht und hört mich doch nicht. So muss sie denn schon nicht all den Misserfolg vernehmen. Dabei war es schon von vornherein eine aussichtslose Sache. – Immerhin, sie atmet! – Ah, jetzt bewegt sie sich sogar. Ein wenig nur, und doch. Wie dankbar ist man schon für ein kleines Wenig, wenn man einmal so weit ist! Man wagt ja schon gar nicht mehr daran zu denken, wie schön es wäre, wenn das Weibchen gesund wäre und wir uns unterhalten könnten wie früher! Aber das ist wohl das Schlimmste, wenn man wartet, dass etwas geschieht, und nichts geschieht. (wieder gegen die Decke klopfend) Doch euch, elendes Gesindel, euch ruf ich zu: Verschwindet! Oder hattet ihr nicht genügend Zeit dazu in meiner Abwesenheit? Und hat euch mein werter Herr Sohn nicht ein schönes Beispiel gegeben? – Aber das alles ist ja falsch. Himmel, wie falsch das doch ist, sich von kleinem und gemeinem und elendem Gesindel reizen zu lassen! Selbst wenn einem die Mäuse auf dem Kopf herum tanzten, müsste man das für wunderbar halten, ohne auch nur von Ferne von einer Ahnung beunruhigt zu werden, man könnte sich etwas vorlügen. "O ihr meine lieben, wertgeschätzten Gäste, wie schön, euch wieder zu hören und zu wissen, dass ihr mir die Treue wahrt! Fühlt euch nur wohl bei uns, in unserer Herberge. Ich euer Hauswirt und Hausmeister bin ja wieder da!" So müsste man reden. Ohne zu wissen, dass man ein Narr ist. Aber ich weiß, dass ich einer bin. Und ich weiß, dass ich keiner sein will. Jetzt zumindest noch nicht. Und deshalb muss ich eben anders reden! "Das würde euch so passen, euch wohlzufühlen, meine Herren. Nicht dass ihr meint, ich schau da noch länger zu! Ich werde euch feinstes Rattengift besorgen. Und wenn das noch immer nicht genügt, so werde ich noch Rasierklingen kaufen gehen und sie in Schinken eingepackt euch als Leckerbissen servieren. Prenez doucement! Votre serviteur!
(Er holt aus Schubladen und Schränken Dokumente heraus, betrachtet die Fotos und Briefe und wirft alles auf einen Haufen.) Und was das Zeug da angeht, diese Fotos und Briefe und Dokumente, so soll nichts mehr von alle dem übrig bleiben, bis auf die paar Sachen da. (Er legt die amtlichen Dokumente und Zeugnissee, den Auszug aus dem Grundbuchamt ins Gänderle des Wohnzimmerschranks und lässt den Schlüssel stecken.) Als hätte es uns nie gegeben, vor allem aber, als hätten wir nie einen Sohn gehabt. Oder kann das ein Sohn sein, der sich weigert, dem Vater in schwerer Stunde beizustehen und die Sorgen mit ihm zu teilen?
Die Alte (Sie): (Desorientiert) Er kommt! Er kommt!
Der Alte (Er): Wer kommt, Mütterchen? Von wem sprichst du? -
Sie: Mir war, als hätt ich den Vater gehört.
Er: Deinen Vater?
Sie: Als ich aber nach dir gerufen habe, warst du nicht da.
Er: Ich war doch auf dem Friedhof.
Sie: (weinend) Jetzt dreht sie sich wieder. Hilf mir! Stell sie ab!
Er: Wovon redest du? Wen soll ich abstellen?
Sie: Ich komm nicht heraus. Ich bin eingesperrt.
Er: Wo bist du eingesperrt?
Sie: In der Waschmaschine. Es ist schrecklich, wie sie mich herumschleudert. Hörst du es nicht?
Er: Du bist nicht in der Waschmaschine, Mütterli. Oder wir sind alle in der Waschmaschine. Du und ich und die ganze Welt. Und wenn ich der Pfarrer wär, würd ich vielleicht noch hinzuflunkern, dass der liebe Gott draußen steht und sie bedient, um uns rein zu waschen für den großen Tag.
Sie: Bin ich jetzt nicht mehr in der Waschmaschine eingesperrt?
Er: Nie warst du in der Waschmaschine eingesperrt.
Sie: Mir braust es noch immer in den Ohren.
Er: Das wird sich gleich legen.
Sie: Hast du was von Franz gesagt?
Er: War er hier?
Sie: Ich kann dich nicht verstehen. Ich seh nur, wenn du etwas sagst.
Er: Ich habe gefragt, ob Franz hier war, ehe er wegging. Vermutlich war er es, der dich in die Waschmaschine gesteckt hat.
Sie: Alles wird wieder gut werden. Mit Franz und auch mit Karl.
Er: Wenn du es sagst, Liebling, will ich es glauben, sofern mir noch etwas Kunst zur Verfügung steht, mich zu betrügen. Ansonsten aber weiß ich es besser. Wir sagen auch noch, alles wird wieder gut, selbst wenn wir wissen, dass nichts mehr gut wird. Wir sagen es noch, solange wir noch die Kraft dazu haben, weil wir es für besser halten, uns etwas vorzumachen, ehe wir unser Haupt dem niedersausenden Beile beugen.
Sie: Wenn ich dich nur verstehen könnte.
Er: Kannst du nichts hören?
Sie: Mir braust es im Kopf.
Er: Du hast ja recht, Mütterchen. Ich kann mich ja auch nicht verstehen. Manchmal wär ich schon froh, wenn ich nur eine einzige kleine Lüge hätte, mir damit aufzuhelfen.
Sie: Versprich mir, zu Franz gut zu sein.
Er: Gern würde ich es dir versprechen! Aber wenn du mich hören und mitdenken kannst, so wirst du mir zustimmen, dass jetzt nicht die Zeit ist, Schwäche zu zeigen.
Sie: Sag, dass du Franz gut bist. Als Eltern sollen wir die Kinder lieben.
Er: Mir ist dieses Gebot abhanden gekommen. In mir wütet der Unglaube.
Sie: Sag ja!
Er: O Liebling, wie schön wär es, wenn du nur ein wenig gesünder wärst und mich hören und mit mir sprechen könntest. Niemanden sonst bräuchte ich mehr auf dieser Welt.
Sie: Versprich mir, ihn nie zu verlassen.
Er: Wir verlassen ihn nicht. Er ist es, der uns verlässt, so wie uns schon Karl verlassen hat.
Franz: (plötzlich hinzutretend) Ich verlasse euch nicht. Ich nicht. Karl hat euch verlassen, ich aber nicht.
Er: Sieh an! Der werte Herr Sohn. Was führt ihn noch einmal hierher?
Franz: Komme ich ungelegen?
Er: Wir dachten, er wär schon gegangen.
Franz: Freut es euch nicht, wenn ich euch sage, dass ich einen Ausweg gefunden habe?
Er: Einen Ausweg?
Franz: Habe ich nicht gesagt, dass das Glück vor der Türe steht?
Er: Das Glück? Wer uns so viel Unglück gebracht hat wie du, kann uns kein Glück mehr bringen.
Franz: Wärs euch lieber, euer Karl stünde hier?
Er: Wenn ich gewusst hätte, was für einer du wirst, hätt ich mich lieber kastriert als mich von der Natur zur Zeugung überlisten zu lassen.
Franz: Erinnere dich nur daran, wie du zu Karl gesagt hast: Hinaus mit dir, Unwürdiger, und lass dich nie mehr hier sehen!
Er: Im Vergleich mit dir, ist er noch Gold. Karl hätte mich nicht so im Stich gelassen wie du heute Morgen.
Franz: Sei froh, dass ich nicht gekommen bin. (für sich) Alter Knollkopf. Unfähig zu begreifen, was für ihn gut ist.
Er: Was hat er gesagt?
Franz: Was für ein Leben könnten wir führen, wenn wir alle zusammenhielten. – Mutter!
Sie: Leider kann ich dich nicht mehr verstehen.
Franz: Sie versteht mich noch immer, auch wenn du mich nicht mehr verstehst.
Er: Er täuscht sich, wenn er meint, Mutter würde ihn verstehen.
Franz: O ja, Mutter versteht mich. Nicht wahr, Mutter?!
Er: Wer aus dem Haus läuft und seine kranke Mutter im Stich lässt, verdient nicht, verstanden zu werden.
Franz: Bist du zu nichts weiter mehr fähig, als süße Hoffnungen zu zerstören?
Er: Selbst der Uhr verschlug es die Sprache.
Franz: Du willst also nicht, dass ich Mutter glücklich mache?
Er: Nein!
Franz: Darf ich mir wenigstens aus dem Haus nehmen, was ich dazu brauche?
Er: Tu er, was er für recht hält. Wir werden ja sehen.
Franz: Nun gut ...
Er: Was ihm gehört, mag er sich nehmen.
Franz: Ich darf es mir holen?
Er: Warum auch nicht?
Franz: Und wenn es mir nicht gehört?
Er: Wie? Was redet er da?
Franz: Was mir gehört, gehört ja auch euch. Und was euch gehört, das gehört ja auch mir.
Er: So ist er ein Dieb, der sich an Sachen vergreift, die ihm nicht gehören?
Franz: Ihr müsst keine Angst haben. Es hängt ganz von euch ab, ob ich ein Dieb bin oder nicht. Ihr müsst nur sagen, wenn ihr mich etwas nehmen seht: "Nimm es nur! Du bist kein Dieb!" Dann bin ich auch kein Dieb. – Geh ich denn und hole es mir. Dann könnt ihr es sehen. Ich bin mir sicher, dass Mutter nichts dagegen hat.
Er: Dass er sich nur nicht am Eigentum seiner Eltern vergreift!
Franz: (für sich) O wie gemein. Ist denn der leibliche Vater zu nichts anderem fähig, als dem Sohn Gemeinheiten zuzutrauen?
Er: Was bruttelt er da?
Franz: (für sich, indem er zaghaft aufs Gänderle losgeht, wohin der Alte die Dokumente gebracht hat) Immerhin wäre es nicht das erste Mal, dass ein Erbe zum Glück aller schon vor dem Tod des Erblassers übergeben worden wäre. Man könnte im Augenblick viel damit anfangen. Gesetzt, du überlässt mir das Haus, dann werdet ihr heute Abend noch in einem der neuen Häuser wohnen, jenseits des Zion. Und dann gibts Champagner, so viel du haben willst!
Er: Hab ichs nicht gesagt, Mutter, dass er gekommen ist, im Trüben zu fischen? – Aber bilde dir nur nicht ein, fündig zu werden.
Franz: Soll das bedeuten, dass ich mich nicht korrekt verhalte?
Er: Das werden wir gleich sehen!
Franz: Du würdest mir wohl noch die Taschen durchsuchen, wenn ich nackt wäre?!
Er: Sollen wir zu ihm sagen: O mein Herr, wie nett von Ihnen, dass Sie gekommen sind, uns um unser Hab und Gut zu bringen? Sollen wir zu ihm sagen: O mein Herr, hier ist der Schlüssel zum Gänderle. Darin finden Sie alles, was sich bei uns zu Geld machen lässt?
Franz: Was soll das Theater? Ich brauch keinen Schlüssel.
Er: Er steckt ja im Schloss. Oder hat der Herr noch immer nicht gefunden, wonach er gesucht?
Franz: Hast du nicht gehört, was die Mutter gesagt hat?
Er: Was hat sie denn gesagt?
Franz: Dass du dich der guten Sache nicht in den Weg stellen sollst.
Er: Der guten Sache? Was ist das? Aber bitte, was du mitnehmen darfst, hol es dir!
Franz: Wenn du es mir schenkst?
Er: Was bedarf es da noch einer Schenkung?
Franz: Du willst also mein Glück?
Er: Die Dokumente gehören mir. Wenn du sie haben willst, versuch es! Oder fehlt es dir an Mut, deinen Vater zu berauben und totzuschlagen?
Franz: Söhne haben Väter, damit ihnen die Erde zur Hölle wird.
Er: Konträr. Väter bekommen Söhne, auf dass sie am ewigen Heil irre werden.
Franz: Du willst nichts als mein Unglück!
Er: Sei verflucht für das Unglück, das du über unser Haus gebracht hast!
Franz: Hast du es gehört, Mutter? Der mich gezeugt hat, verflucht mich.
Er: Lass die Mutter aus dem Spiel.
Franz: Mutter!
Sie: Mein Franz!
Franz: So geh ich denn, Mutter! Wenn es nach dir gegangen wäre, ging ich jetzt meinem Glück entgegen..
Sie: Kind, ich verstehe dich nicht.
Er: Da ist auch nichts zu verstehen!
Franz: Selbst meine Mutter kann nicht meine Mutter sein, wenn du da bist. Aber du hinderst mich nicht auf meinem Weg. Glaub das nur ja nicht. (er lässt die Dokumente auf den Boden fallen und geht)
Sie: Hast du ihn weggejagt?
Er: Gott bewahre ...
Sie: Wenn ich dich nur hören könnte.
Er: Ich habe ihm gesagt, dass ich es nicht mag, wenn er uns anlügt. Doch still! – Was macht er da drunten?
Sie: Was hast du gesagt?
Er: Ich muss nachsehen. Er ist dabei, uns einzuschließen. (ab)
Sie: (allein, sie richtet sich auf und schaut aufmerksam und abwartend hinüber zum Friedhof.)
Die Stimme des Alten: Mach auf, wenn du willst, dass ich dich nicht totschlage.
Die Stimme von Franz: Nur zu! Versuchs doch! Zuerst musst du aber die verschlossene Türe totschlagen. Oder soll ich dir den Weg freifackeln von außen? Doch wart ab. Wie ich gehört habe, ist euer lieber Karl im Kommen. Der kann dich dann befreien.
Die Stimme des Alten: Mörder!
Die Stimme von Franz: Vielleicht bringt er dich auch um. Wer kann es wissen!?
Die Stimme des Laren: Warum bringen es die Menschen nicht fertig, ihre Sachen in Frieden zu besorgen? Warum müssen immer die Väter gegen die Söhne und die Söhne gegen die Väter aufbegehren? Was, um des Himmels Willen, will denn der Mensch, wenn er nicht im Stand ist, sich in Liebe fortzupflanzen? Oder ist das die Aufgabe, dass die Erzeuger ihr Gezeugtes totschlagen?
Sie: Herr Jesus, der du die Toten befreist!
Er: (herbeikommend) Er hat uns eingeschlossen und den Riegel von außen vorgelegt. Kann er deutlicher zeigen, worauf er es abgesehen hat? In der Nacht, wenn wir im Tiefschlaf liegen, will er ins Haus eindringen und uns ermorden. Fehlt nur, dass er auch noch Feuer ans Haus legt!
Sie: O Liebling, ich höre den Herrn Jesus! Hörst du nicht auch seine Stimme? Eben dacht ich noch, wie schön doch der Kirchturm wieder in der Sonne glänzt nach dem langen Winter. Und dann hab ich ihn gesehen ...
Er: (ans Fenster tretend) Wag ers nur! Doch seh er sich vor. Als ob ich nicht Mittel und Wege wüsste, heraus zu gelangen. Ich brauch nur zu wollen, dann fliegen die Türen auf. Die festest verschlossenen Türen öffne ich, wenn ich will, und wenn ich das Dach anheben müsste wie ein kopfstößiger Marder. Oder hat er gedacht, ich würde wegen seiner Kinderei überschnappen und mich wie ein Toller gebärden? Hab ich Tobsucht nötig? O da hat er seine Rechnung mit dem Falschen gemacht. Ich bin keiner, der gegen eine Türe tritt, damit sie aufgeht. Wenn ich gegen eine Türe trete, so geschieht es, um mir Luft zu machen, nichts als Luft. O ich werde ihm helfen. Er soll noch staunen, wie ich ihm helfen werde, der Schuft.
Sie: Sieh nur, wie er über die Friedhofsmauer setzt! Wie ein geübter Hochspringer!
Er: Hätten wir nur keine Kinder produziert ...
Sie: Sieh nur! Wie er dort steht und nach uns Ausschau hält!
Er: Ich sehe nichts außer unserem sauberen Herrn Sohn. Wie er über die Brücke geht, wie eilfertig! Jetzt bleibt er stehen und schaut zurück. Er ballt die Faust und schreit etwas. Hörst du es nicht? Vielleicht meint er, weil er sich in der Zwischenzeit ein Flittchen angelacht hat, hätt er die Anwartschaft auf die Weltherrschaft? Auf nichts hat er die Anwartschaft, auf nichts als aufs Elend, auf nichts als auf die frohe Aussicht, dazu beizutragen, dass Hunger und Not und Gemeinheit nicht aussterben auf dieser Erde. (schreit hinaus) Ja, geh nur, du Verräter, du entkommst mir nicht!
Sie: O Heinrich!
Er: Zuerst hängen sich die Kinder an einen, als könnten sie ohne einen in Ewigkeit nicht leben und dann, kaum dass ein Dutzend Jahre vergehen, gibt es für sie keinen schlimmeren Feind als ihren einstigen Ernährer?
Sie: Doch was ist das?
Er: Was siehst du?
Sie: Einen Riesen, der aus dem See auftaucht und sich den Kirchturm zur Brust nimmt. Dabei weiß ich ganz genau, dass das nicht sein kann, denn vorhin stand er noch nicht im Wasser. Und jetzt steht er da und ringt mit dem Kirchturm! O, wie er ihn hin und her schüttelt! Sieh nur, wie der Turm wankt. Wenn nur die Sonne wiederkäme!
Er: Das ist der alte Lechem. Er ist gekommen, sich an unserem Blut zu rächen.
Sie: Herr Jesus! Hören denn die Verbrechen nie auf?
Er: Wenn uns nur kein Teufel mit seinem Höllenwerk narrt!
Sie: Da! Da kommt er. Er kommt auf uns zu! Sieh doch!
Er: Das ist der alte Lechem.
Sie: Das ist nicht der alte Lechem! Das ist Jesus, der Sohn Gottes!
Er: (schließt das Fenster und zieht den Vorhang zu)
Sie: Jesus kommt, uns zu heilen. Nicht nur mich, auch dich und auch unseren Franz will er heilen.
Er: Ich will nicht geheilt werden.
Sie: Und warum nicht?
Er: Weil ich nicht mehr geheilt werden kann. Und unseren Franz soll er auch nicht heilen, weil er an meinem Unheil schuld ist.
Sie: Heinrich!
Er: Mag dein Jesus nur an uns vorübergehen.
Sie: Hörst du nicht, wie Jesus spricht!
Er: Ich höre nichts.
Sie: Zieh den Vorhang auf.
Er: Ich kann nicht.
Sie: (eilt aus dem Bett und tut es) Jesus, Sohn Davids, erbarme dich unser. – Hast du gehört, was er gesagt hat?
Er: Nicht ein Wort habe ich gehört.
Sie: "Meine Lieben, warum versteckt ihr euch? Kommt mit mir! hat er gesagt." Dass ich das noch erleben durfte.
Er: Hast du gehört, dass er das gesagt hat?
Sie: Jedes Wort hab ich gehört.
Er: Ich habe nichts gehört. Nur gesehen hab ich was. Was ich aber gesehen habe, das hat nicht glücklich ausgeschaut.
Sie: Was du nur sagst!
Er: Als ob sie ihn ans Kreuz geschlagen hätten.
Sie: Das haben sie ja auch. Aber das war vor 2000 Jahren.
Er: Und jetzt?
Sie: Mir ist, als könnte ich fliegen. Ja schau nur, wie mein Herz jubelt und wie mir die Beine tanzen! Mir ist, als höbe es mich empor. Leicht wie der Wind steige ich auf und tanze in den Lüften. O er macht uns stark. Je schwächer wir sind, umso stärker macht er uns.
Er: Ich glaube nicht, dass er mit mir etwas anfangen könnte.
Sie: Komm! Komm! – Komm nur! Ihm nach! (sie geht dem Alten voraus durchs Fenster, ihn an der Hand haltend.)
(Der Herbergsvater sitzt an einem Tisch mit Blick auf ein Fenster nach draußen und ist dabei, einen Brief zu schreiben. Neben dem Fenster eine Türe. Draußen ist Nacht.)
Herbergsvater: Man hat keine Menschenseele, mit der man sich austauschen könnte. Da wartet man und wartet. Endlich kündigt sich ein Besuch an und kommt. Da nun richtet man alles zu Recht, wie es der eigenen Erwartung geziemt. Doch dann, ganz plötzlich, eine winzige Unachtsamkeit genügt bereits, kommt auch schon die große Enttäuschung. – Nein, man sollte auf gar nichts warten. Man setzt sich nur Gefahren aus, die man nicht kennt, man wühlt in Dingen, die man nicht beherrscht; man macht sich abhängig und unfrei. – Wie mühsam ist doch das Leben. Doch was solls? Kitten wir denn zusammen, was wir zerbrochen haben, so gut es geht!
(er schreibt) Lieber Hans, liebe Christine! Ich bitte euch beide, mein unmögliches Verhalten am vergangenen Sonntag zu entschuldigen. – So ist es recht, bitten ohne alle Selbstentschuldigung und ohne Schuldzuweisung an andere! – (er schreibt weiter) Schweig nur still! Denn so hast du es verdient. – (er schreibt wieder weiter) Ja, ja, ihr lieben Kinder, ich bin wahrscheinlich schon etwas jenseits der grünen Wiese des Lebens. Meine Welt ist längst nicht mehr die Eure – das ist freilich zwar wahr, durch die metaphorische Sprache zugleich aber auch ein wenig ironisch gebrochen und zu meinen Gunsten formuliert. (Er überliest nochmals) Ich bin wahrscheinlich schon etwas jenseits der grünen Wiese des Lebens. Meine Welt ist längst nicht mehr die Eure, (und schreibt weiter) so dass es durchaus von einiger Klugheit und Vorsicht zeugt, wenn man um mich einen weiten Bogen macht. Euer alter Herbergsvater. – Euer alter Herbergsvater, das ist nochmals so ein kleiner ironischer Schlusspunkt, wo doch der ganze Sonntagskrach damit begonnen hat, dass ich mich entschieden gewehrt habe, nun auch noch dem Sohn und seiner Braut als Tischbesteller zu dienen. "Ich bin nicht euer Herbergsvater", hab ich geschrien, und zwar ziemlich zornig, nachdem ich als erster in die Küche gekommen war und noch niemand da war, den Frühstückstisch zu richten.
(Draußen, im Dunkel. Zwei Jünger, mit Lichtlein in der Hand kommen vom See auf die Herberge zu, gehen dann aber ins alte Hospiz, das sich völlig unscheinbar an die Herberge anlehnt.)
Johannes: Warum sagst du nichts? Was quält dich? Dass wir den Herrn nicht am See Genezareth angetroffen haben? Am Glauben fehlt es doch nicht?!
Paulus: Am Glauben fehlt es nicht.
Johannes: Aber?
Paulus: Vielleicht am Mut, der aus der Festigkeit des Glaubens heraus erwächst.
Johannes: Bist du nicht mehr stolz darauf, ihm gefolgt zu sein?
Paulus: Früher einmal war ich stolz darauf. Heute aber quält mich mehr, dass wir für ihn fast nichts mehr zu tun im Stande sind. Ja, es macht mich über alle Maßen traurig, wenn ich daran denke, dass wir noch immer nicht genug vorbereitet sind für den großen Tag.
Johannes: Aber wir sind doch erlöst?
Paulus: Gewiss sind wir erlöst. Wo der Herr ist, da ist der Quell aller Erlösung. Daran zu zweifeln würde ich mir nie erlauben. Und doch! Muss ich nicht an mir zweifeln, wenn ich sehe, wie wenig dieser mein Glaube erreicht hat? Ich weiß, dass der Herr gern hätte, dass ich die Aufgaben fertig brächte, die noch ausstehen.
Johannes: Wovon sprichst du? Was sind das für Aufgaben, die dir das Herz so beschweren?
Paulus: Wenn der Herr nach so langer Zeit noch immer nicht das Reich Gottes errichtet hat, so kann es doch nur an uns liegen oder auch nur an mir! Weil ich, der ich mich rühmte, sein Apostel zu sein, ihm so wenig geholfen habe.
Johannes: Das ist schlimm, was du da sagst.
Paulus: Schlimmer noch! Weil ich ihm so wenig geholfen habe, ist es mit der Menschheit so weit gekommen, dass sie glaubt, es gebe für sie keine Erlösung mehr, so dass sie nicht einmal mehr erlöst zu werden begehrt.
Johannes: Der Herr möge uns beistehen!
Paulus: Vieles, was mir einmal klar gewesen zu sein scheint, ist mir zum Rätsel geworden.
Johannes: Ich weiß nicht, ob ich es zu wissen wünschen soll ...
Paulus: Da ist z.B. die Schöpfung, die durch die Sünde des Menschen verderbt worden ist. Das scheint mir immer weniger wahr, je mehr der Mensch an Bedeutung verliert. Darum scheint mir jetzt eher, dass die Schöpfung wohl schon immer so war. Die Katze frisst die Maus. Aber der Marder zerbeißt die Katze, die ihm in den Weg tritt. Und der Mensch tötet den Marder, wenn er sich anschickt, unter sein Dach zu kommen. Und an einen Gott, der durch den Menschen Taten verrichtet, auf die der Mensch stolz sein kann, glaubt ohnedies niemand mehr.
Johannes: Wird nicht der Mensch erst bedeutungslos, wenn er die Würde und die Achtung eines Gottesgeschöpfs verliert?
Paulus: Unsere Liebe zu Christus kann das freilich nicht berühren! Und doch! Gesetzt, er wäre nicht der Sohn Gottes ...
Johannes: O still doch, Bruder! Beginne nie auf diese Weise einen Satz!
Paulus: Es sind ja nicht meine Gedanken. Es sind die Gedanken, die heute die Welt durchziehen. Und wenn wir die Welt noch für den Herrn gewinnen wollen, müssen wir sie verstehen.
Johannes: Wenn Jesus kommt, wird alles offenbar.
Paulus: Und doch kann es nicht schaden, wenn wir die Welt kennen, in die uns der Herr schickt. Sieh nur! Gott, das war einst für die Welt der Name für das Unbegreifliche und Unaussprechbare. Heute interessiert man sich nicht mehr dafür. Heute lässt man nur noch das gelten, was sich als Messbares begreifen lässt. Früher hieß es: Gott ist, deshalb bin ich; und wenn ein Mensch Talente hatte, so hatte er sie für das Reich Gottes. Heute ist das Wort "Gott" nur noch eine Worthülse ohne Wesen. Wort und Wesen, Hoffnung und Verheißung, Erde und Himmel: alles liegt zertrennt vor uns. Und so fürchte ich, dass, wenn der Herr kommt, ihn keiner versteht.
Johannes: Du grübelst zu viel. Du musst weniger darüber nachdenken. Denken weckt Bedenken, die gegen den Glauben streiten.
(sie gehen ins Hospiz)
(Jetzt geht draußen ein Licht an.)
Herbergsvater (mit dem Brief in der Hand): Was ist das? Wer zündet da draußen zu so später Stunde noch das Licht an? (er tritt ans Fenster) Die alte Luise? Warum ist die noch nicht im Bett? Breitet gekochte Nudeln aus, quer über die Tischfläche der Veranda. Wozu denn das? Für wen denn? Wohl gar für mich? Das sieht dir so ähnlich, alter Kerl! Hinausgehen und es dir schmecken lassen, um dann zu sagen, dass dir wenigstens einmal im Leben jemand was zum Essen vorgesetzt hat! – Doch was ist denn das nun schon wieder? Holla! Marder und Füchse kommen herbei und nehmen Platz auf der Bank! Und da ist auch schon eine von den beiden Nachtkrähen auf dem Tisch gelandet! Jede Nacht kommen sie vom Schloss herunter. Die hat schon den Braten gerochen. Und da kommt auch schon die Zweite! Immerhin geht alles ohne Streit und Neid zu. Ganz ungeniert und friedfertig ist man an einem Tisch versammelt. Und die alte Luise schaut zu und freut sich, als ob der himmlische Tag angebrochen wäre!
(Draußen vor dem Turm. Der Herbergsvater geht vorsichtig hinaus.)
Herbergsvater: Luise! – Sie heißen doch noch immer Luise?!
Luise: Aber Herr Martin, wie Sie reden!
Herbergsvater: Vielleicht hat mich dieser Brief da etwas angestrengt. Ich fürchtete, wenn Sie mich fragen, weiß ich weder mehr, was das für ein Ort hier ist, noch wie ich hergekommen bin.
Luise: Machen Sie sich nur keine Sorgen!
Herbergsvater: Dann sagen Sie mir doch bitte, was dieses Bankett soll!
Luise: Das will ich Ihnen gern sagen, Herr Martin, wenn Sie mir nur versprechen wollen, mich ruhig anzuhören.
Herbergsvater: Bin ich Ihnen denn jemals anders begegnet?
Luise: Ich habe das nur wegen der Tiere gesagt. (zu den Tieren) Das ist nämlich unser Herbergsvater. Er tut euch nichts zu Leide. Drum fresst nur weiter und lasst es euch schmecken!
Herbergsvater: Da kommt ja noch einer! (Ein Hase kommt)
Luise: Komm nur, Meister Lampe, für dich hat es auch noch ein Plätzchen. – Sehen Sie, Herr Martin, wenn wir jedem geben, was er braucht, muss er sichs nicht erzwingen. Für alle ist das Gericht da, in der kalten Jahreszeit, ein wahres Manna! Das Marderpärchen und die Füchsin mit ihren drei Welpen fressen zwar lieber rohes Fleisch, aber sie sind auch mit einer Mehlspeise zufrieden. Und was die Nachtkrähen angeht (indem sie die Krähen streichelt), so hacken sie zwar lieber die Augen aus. Doch muss das nicht sein. Wenn sie satt sind, stellen sie keinem Singvogel mehr nach, jedenfalls heute Nacht nicht mehr. Und von meinem lieben Meister Lampe red ich schon gar nicht.
Herbergsvater: Ich dachte immer, man könne den Tieren ihre Natur nicht austreiben.
Luise: Sehen Sie! Schon ist alles aufgefressen. Und ist es nicht possierlich, wie Meister Lampe auch noch den Tisch sauber leckt? Aber auch er ist gleich satt.
Herbergsvater: Dann gehen wir jetzt zu Bett?! (er zieht sie unter die Türe)
Luise: Warten Sie noch einen Augenblick, Herr Martin! Ich glaube, da kommt noch wer!
(Die beiden Alten kommen.)
Herbergsvater: Jetzt, in der Nacht?
Luise: Nach den Tierlein kommen die Menschlein.
Herbergsvater: Kennen Sie die Leutchen?
Luise: Die kommen gewiss vom Dorf, das morgen geflutet werden soll. Ein großer Stausee soll doch dort entstehen.
Herbergsvater: Mein Gott!
Luise: Wie ist Ihnen?
Herbergsvater: Wenn ich nicht wüsste, dass das nicht sein kann, so würde ich behaupten, dass das meine Eltern sind. Doch sie scheinen mich nicht zu kennen. (laut) Was wollen die Leutchen hier? Wollen Sie hier übernachten? Unsere Herberge ist voll! Voll bis auf den letzten Platz!
Sie: Hier muss er sein! Das weiß ich ganz genau!
Er: Es wäre mir angenehm, wenn sich hier eine Bank befände, dass ich mich ein wenig ausruhen könnte.
Sie: Hier ist eine Bank!
Er: Wo sind wir eigentlich?
Sie: Im Zionswald, wohin er uns geschickt hat!
Er: Soll das der Zionswald sein?
Sie: Aber Heinrich, das ist doch der Zionswald.
Herbergsvater: (für sich) Heinrich hat sie gesagt!
Er: Ich hab den Zionswald in anderer Erinnerung.
Sie: Aber du erinnerst dich noch an den Zionswald! Sieh dich nur um! Drüben, hinter den Felsschroffen, liegt der alte Bergsee, der früher der See Genezareth hieß, von wo es hinauf zum Schloss geht. Dort stand früher die Gnadenkapelle. Du selber hast einmal die Osterfahne hinaufgetragen. Und hier ist früher ein Hospiz gewesen. Von ihm ist allerdings nicht mehr viel übrig geblieben.
Luise: Mein Herr, vom Hospiz wissen wir nichts. Dass der Wald aber früher Zionswald geheißen, das ist wohl wahr! Sie befinden sich im Zionswald. Nur dass die Schlossherren diese altertümlichen Namen nicht mehr hören mögen.
Er: Wer sind Sie?
Luise: Ich bin die alte Luise, die Küchengehilfin des Herbergsvaters, den Sie hier neben mir sehen, Herr Martin.
Herbergsvater: Erfreut, Sie kennen zu lernen.
Luise: Wir bewirtschaften die Herberge hier.
Herbergsvater: Leider aber ist unsere Herberge bis auf den letzten Platz gefüllt. Es ist kein Platz mehr da für weitere Gäste. (für sich) Vielleicht dass ihn das dazu bringt, sich genauer umzusehen und aus sich herauszukommen!
Sie: Machen Sie sich nur deswegen keine Sorgen. Wir hatten nicht vor, hier zu übernachten. Wir sind unterwegs zum Schloss, das wir gerne noch vor Morgenanbruch erreichen. Nicht wahr, Heinrich, wir wollen noch zum Schloss.
Er: Wohin du willst, dahin geh auch ich. Das hab ich dir versprochen.
Sie: Erinnere dich nur daran! Hier wollten wir uns mit den Leuten Jesu treffen.
Er: Sind das die Leute Jesu?
Sie: Aber Heinrich! Die Dame sagte doch selber, dass sie die alte Luise ist, die Küchengehilfin. Und das ist der Herbergsvater, Herr Martin. Sie bewirtschaften hier die Herberge.
Herbergsvater: Immerhin hieß auch mein Vater Heinrich.
Sie: Und ihre liebe Mutter? Etwa Gertrud?
Herbergsvater: Gertrud?
Sie: Unsere Söhne heißen Franz und Karl. Aber Sie heißen Martin.
Herbergsvater: Als ob das was zu sagen hätte.
Er: Seien Sie froh, mein Herr, dass Sie nicht mein Sohn sind!
(ein Schuss fällt in der Nähe)
Sie: Was war das?
Er: Ein Schuss!
Sie: Wer hat geschossen?
Er: Mein Sohn Franz, um seinen Vater zu treffen.
Sie: Das darfst du nicht sagen, Heinrich.
Er: Beim zweiten Schuss hat er vielleicht mehr Glück.
Sie: Wird hier öfters des Nachts geschossen?
Herbergsvater: Bislang noch nicht.
(ein zweiter Schuss)
Sie: Da! Schon wieder! Mein Gott!
Er: Danken Sie Gott, dass Sie nicht mein Sohn Franz sind!
Herbergsvater: Auch ich hatte einen Bruder, der Franz hieß. Als ich das Elternhaus verließ, war er noch ein Kind. Doch das ist schon lange her.
Ein Lehrer (noch jung, kommt den Weg herauf, mit einem toten Hasen)
Sie: Haben Sie eben geschossen?
Der Lehrer: Jawohl!
Sie: Wissen Sie auch, dass Sie uns hätten erschießen können?
Der Lehrer: Aber gnädige Frau. Wir schießen doch nicht auf Menschen.
Sie: Das wär nicht das erste Mal, dass man einen Menschen erschossen hätte.
Der Lehrer: Bin ich denn ein Meuchelmörder?
Herbergsvater: Was wissen wir schon, wer wir sind!?
Der Lehrer: Hier, diesen Hasen hab ich erlegt! Meister Lampe, mach deine Reverenz, falls du die Herrschaften da erschreckt hast.
Herbergsvater: Nicht der Hase, der Schuss auf den Hasen ist es, der uns erschreckt hat.
Luise: Jawohl, Sie haben meinen Liebling erschossen. Kaum dass ich ihn gefüttert habe, kommen Sie und erschießen ihn!
Der Lehrer: Dann war es eben seine Galgenmahlzeit.
Luise: Pfui doch. Schämen Sie sich!
Der Lehrer: Jeder hat einmal seine Galgenmahlzeit. Und bei dem Herrn da war sie überfällig. Schauen Sie doch! Der Ausschlag da, falls Sie wissen, was das bedeutet!
Herbergsvater: Und dafür ist tagsüber keine Zeit? Dazu müssen Sie die nächtliche Ruhe stören?
Der Lehrer: Seien Sie nur nicht überempfindlich!
Luise: Hier ist noch immer eine Herberge, ein Nachtasyl.
Der Lehrer: Der Wald gehört den Herren vom Schloss, in deren Auftrag Sie mich vor sich sehen. Was ihnen gefällt, kann wohl nicht als Ruhestörung bezeichnet werden!?
Er: Sind Sie nicht der Lehrer vom Talgrund?
Der Lehrer: Der war ich einmal, als die Leute noch drunten im Dorf wohnten.
Er: Gibt es denn da droben eine Schule?
Der Lehrer: Seit es das Schloss gibt, gibt es da droben eine Schule.
Er: Davon hab ich noch nie was gehört.
Lehrer: Neben der Kunst, die Kinder zeitgemäß zu unterrichten, verlangt man vom Lehrer, dass er etwas von Natur versteht, von der Erhaltung der Arten und vom Umweltschutz. Ein Glücksfall allerdings, dass mir da der Hase über den Weg gelaufen ist. Nicht wahr, alter Freund? Da kann mir wenigstens niemand vorwerfen, ich hätte mich faul aufs Ohr gelegt.
Luise: Armer Meister Lampe!
Lehrer: Bitte! Jetzt nur keine weiteren Sentimentalitäten! Sehen Sie sich doch das Tier an! Nein, kommen Sie näher und sehen Sie sich das Tier ganz genau an. Sehen Sie sich diesen Leib an! Überall von Flecken übersät, selbst hier am männlichen Geschlecht. Alles übersät von Zeichen der Pest! Das sind Pestbeulen, meine Herrschaften! Pestbeulen! Dazu passt auch das Verhalten des Tiers. Statt nämlich vor mir zu fliehen, richtet es sich auf und bleibt stehen. Hoch aufgerichtet stand es da und wartete ab und schaute mich an mit seinen glutrot hervorquellenden Augen, dass ich tatsächlich zuerst im Zweifel war, ob nicht eine menschliche Gestalt auf mich wartete. Aber ich ließ mich nicht narren. Für den Fall des Falles schritt ich auf das Wesen zu, das Gewehr im Anschlag, bis ich mich vergewissert hatte, dass es ein Hase war. Längst hatte ich die Mindestdistanz unterschritten, wo sich dann diese Herrschaften auf die Hinterläufe heben und davonspringen. Da erhob sich ein Grimm in mir, dass ich mir schwor, das Tier auf keinen Fall entkommen zu lassen. Endlich, ich war eben noch einen Schritt von ihm entfernt, dass ich es schon fast mit der Hand hätte fassen können, sagte ich zu ihm: "Freund, entweder bist du krank oder du stellst dich nur krank. Bist du krank, so hat das Leben für dich ohnehin keinen Sinn mehr. Stellst du dich aber nur krank, dann bist du gleichfalls krank, dann bist du nämlich in deiner Seele verloren." Und dann brannte ich ihm zweimal eine Ladung ins Fell, wie Sie ja wohl gehört haben. (er legt das Tier der Länge nach auf den Tisch, dass es wie ein Mensch ausschaut.)
Luise: Es dachte sich, Sie wären mein Bruder. Und das nutzten Sie schamlos aus und brannten ihm zweimal eine Ladung ins Fell!? Mir ist, als hätte man mir in die Seele geschossen.
Lehrer: Er kann froh sein, dass er dieses elende Leben herum hat. Hier sehen Sie sich ihn doch bitte an. Diese schlafenden Hasenaugen. Aber jetzt überlistet er uns nicht mehr damit. Jetzt schläft er für immer. Diese beiden Einschusswunden sind der schönste Beweis. Schöner kann man sichs überhaupt nicht wünschen, erschossen zu werden. Die bluten nicht mehr.
Herbergsvater: Da wär ich mir nicht ganz so sicher.
Lehrer: Wie?
Luise: Jawohl, beim Blut Christi! Oft schon ist es vorgekommen, dass eine Wunde wieder zu bluten begann, als sich ihr der Mörder näherte.
Lehrer: Wovon reden Sie eigentlich, meine Gnädige? Mörder? Ich? Bei Licht besehen ist das alles so gekommen, weil einige Bauern ihre Hasen ins Freie haben springen lassen, ehe sie ihre alten Behausungen verließen. Und jetzt ist das Gelände so verseucht, dass uns nur noch eine Radikalkur weiterhilft. Diese Bauern!
Er: Wir vom Alttalerhof haben nichts damit zu tun.
Sie: Uns nämlich hilft der Herr Jesus.
Lehrer: Wer hilft Ihnen? Was haben Sie gesagt? Ich habs nicht recht gehört. Sagten Sie etwas vom Herrn Jesus?
Sie: Uns hilft der Herr Jesus.
Lehrer: Und Sie meinen damit den Mann, der vor 2000 Jahren gelebt haben soll.
Sie: So ist es.
Lehrer: Nicht dass ich bezweifle, dass ein gewisser Jesus gelebt hat. Ich habe nur gewisse Zweifel, wenn sie behaupten, auf seinen Wunsch hier herauf gekommen zu sein.
Er: Mit Ihren Zweifeln werden Sie meine Frau kaum überreden.
Sie: Er hat seinen Jüngern versprochen, von den Toten aufzuerstehen und zu ihnen wieder zurück zu kommen.
Lehrer: Seine Jünger sind leider schon lange tot.
Er: Meine Frau ist sich sicher, dass dieser Jesus drunten auf dem Friedhof unsere Toten erweckt hat und dass er sie jetzt in die ewige Glückseligkeit mit sich nimmt.
Sie: Aber du bist doch auch sicher, Heinrich!? Keiner unserer Toten liegt mehr da drunten auf dem alten Friedhof, weil sie sonst im Stausee ein zweites Mal sterben müssten.
Der Lehrer: Soll das ein Beweis sein?
Sie: Außerdem hat er an unser Fenster geklopft. Und dann hat er auch uns gesagt, dass er uns von hier zum ewigen Leben führt.
Lehrer: Von hier aus, hier von dieser Stelle aus?
Sie: Hier, vom Hospiz.
Er: Mir hat er das nicht gesagt.
Sie: Aber mir.
Lehrer: Gnädige Frau! Hier ist kein Hospiz. Hier ist allenfalls noch der Rest einer Herberge, deren Tage gezählt sind.
Herbergsvater: Jawohl, hier ist eine Herberge. Und wenn jemals hier ein Hospiz gestanden hat, so muss das schon sehr lange her sein.
Lehrer: Wenn das Hospiz mehr wäre als nur ein Objekt der Einbildung, so müsste man darauf zeigen und es nachweisen können.
Der Lehrer: Gesetzt, der Herr Jesus käme und sagte zu Ihnen: Ich bin der Herr Jesus, der Sohn Gottes! Dann müssten Sie zu ihm sagen: Herr Jesus, bist du denn so dumm, dass du immer noch nicht weißt, dass es dich schon längst nicht mehr gibt?
Sie: Pfui! Wie gotteslästerlich Sie sprechen!
Der Lehrer: Wo ist ein Mensch, der sagen dürfte: ich bin der Herr Jesus?
Sie: Wo ist der Mensch, der Gott vorschreiben dürfte, was er zu sagen hat?
Der Lehrer: Die Gesetze der Natur erlauben keinen Gott. Zumindest keinen, der uns etwas zu sagen hat.
Sie: Gott ist der Herr über diese Gesetze. Kein Gesetz kann ihm etwas verbieten. Aber das ist der Fluch, den wir uns für unsere Wissbegierde eingehandelt haben, dass wir nicht nur zu nichts Bedeutendem mehr taugen, sondern dass wir auch noch den Beweis dafür zu liefern versuchen.
Der Lehrer: Dann zeigen Sie uns doch bitte ein kleines Stück des alten Hospizes!
Sie: Versucher!
Der Lehrer: Dieser Wahnsinn an katastrophalen Erwartungen! Nimmt er denn noch immer kein Ende?
Sie: Versucher!
Der Lehrer: Sie irren!
Sie: Im Übrigen seh ich das Hospiz.
Der Lehrer: Wo ist es?
Sie: Da! Da ist es doch!
Der Lehrer: (näher tretend und das Gebäude betastend)
Sie: Das ist es!
Der Lehrer: (immer noch prüfend) Zweifellos ist da etwas. Doch was es ist, das müssten wir erst noch erkunden!
Herbergsvater: Ja, da ist etwas. Doch was es ist, ist auch mir nicht klar. Nur so viel weiß ich, dass ich hier schon 100 Mal vorbeigekommen bin und noch nie etwas davon bemerkt habe.
Sie: Glauben Sie immer noch, dass ich träume?
Der Lehrer: Man kann sich vieles vorstellen, ohne dass es existiert. Und man kann es sich immer wieder vor Augen rufen, bis man es zu sehen vermeint. Ja man kann es sich vielleicht so sehr vorstellen, dass es auch noch die anderen zu sehen vermeinen. Das nennen wir dann einen verhexen.
Herbergsvater: Immerhin sieht man dem Gebäude an, dass es uralt ist. Die Laibung der Pforte aus weißem Marmor wie auch die wettergeschwärzte Fassade so wie die Türe mit den vergitterten Fensterchen verraten, dass zur Erhaltung des Baus schon lange nichts mehr getan worden. Vielleicht hat man früher hier einmal Lawinenopfer bestattet.
Sie: O Heinrich, schau auch du her! Hier sind ja die Grabsteine unseres alten Friedhofs. Und hier ist der Grabstein unseres Großvaters. Sehen Sie! Hier steht: "Jesus, Erlöser, erbarme dich meiner."
Luise: Das ist allerdings sehr erstaunlich. Man traut ja seinen Augen nicht.
Sie: Und da, neben dem Großvater, ist ja noch der alte Bernhard!
Der Lehrer: Wer ist da noch?
Sie: Der alte Bernhard.
Er: So nannte man bei uns die Kreuzblume, die den Steinmetzen beim Bau unseres Münsters auseinander gebrochen sein soll und die sie dann neben der Bauhütte vergraben haben.
Sie: Schauen Sie doch nur her! Hier ist die Bruchlinie zu sehen.
Der Lehrer: Das sind doch nichts als fromme Legenden!
Luise: (zum Herbergsvater) Herr Martin, was haben Sie?
Herbergsvater: Ich weiß nicht ...
Sie: Wie einem nur die alten Geschichten wieder lebendig werden! Meine Mutter wünschte sich nämlich für ihren Vater, unseren Großvater, einen solchen Grabstein. Ich sollte den Großvater für ihren Plan gewinnen. Zuerst hatte ich große Angst und verweigerte den Auftrag. Weil die Mutter aber nicht aufhörte, mir in den Ohren zu liegen, hab ich mich bereden lassen. Und ich bin zum Großvater gegangen und hab zu ihm gesagt: Väterchen Frost – denn so bezeichnete er sich gern selber, wenn er guter Laune war –, Väterchen Frost, wenn wir einmal im Grab liegen, kann es uns doch einerlei sein, was uns zu Häupten steht. Oder nicht? Zuerst wehrte er ab. Der Gedanke an einen Stein schien ihn nur noch tiefer ins Grab zu drücken. Dann gab ich ihm ein paar Küsschen und dann gab er nach. Und jetzt ist sein Stein mit der Kreuzblume hier droben. Wenn das kein gutes Omen ist!
Der Lehrer: Ich wollte, ich könnte auch so Herrliches zusammenphantasieren!
Luise: Was ist das? Da singt ja jemand! Eine weibliche Stimme!
Der Lehrer: Wenn ich nicht bald zu träumen beginne, verliere ich noch den Verstand. (er eilt zur Pforte und beginnt an der Glocke zu ziehen)
Sie: Was tun Sie da?
Der Lehrer: Wollen doch sehen, ob Ihr Herr Jesus sich da drinnen aufhält!
Sie: Lassen Sie das.
Der Lehrer: Warum soll ich das lassen?
Sie: Es ziemt sich nicht, den Herrn Jesus bei der Arbeit zu stören.
Der Lehrer: Kein Herr Jesus lässt sich stören, wenn er nicht will!
Sie: Komm, Heinrich! Damit uns der Herr Jesus nicht zürnt!
(sie tritt mit ihm etwas seitwärts)
Der Lehrer: (ruft) Herr Jesus!
Luise: Mein Gott. Wo das noch hinauslaufen soll.
Der Lehrer: (ruft) Herr Jesus!
Herbergsvater: Hören Sie auf!
Sie: (für sich) O ich sündiger Mensch.
Der Lehrer: Sie tun ja gerade, als ob ich nicht rufen dürfte! (ruft) Herr Jesus! (lauscht) Herr Jesus! – Ah, wie einem das im Ohr dröhnt, wenn man nach jemandem ruft, den es nicht gibt!
Sie: Das ist Blasphemie!
Der Lehrer: Blasphemie kann es nicht sein, wenn es ihn nicht gibt. Herbergsvater: Fast wünsche ich mir, dass es ihn gibt.– Hier ist nichts, nichts außer Totenstille.
Sie: Herr Jesus! Verzeih ihm seine Sünde!
Der Lehrer: (sich umschauend) Wie war das?
Sie: Möge er Ihnen nie erscheinen!
Der Lehrer: Ich dachte schon, Sie hätten ihn herausschauen sehen. Aber seien Sie getrost. Ich tu Ihrem Herrn Jesus nichts zu Leid! Denn ich geh jetzt. Komm, alter Freund! Es wird höchste Zeit. Die Herren im Schloss warten auf uns.
Er packt den toten Hasen und eilt davon. – Man hört nun Schwester Edith im Innern des Hospizes singen:
Edith: Sei unser Heil o Herr, derweil wir wachen
und unsere Wacht, derweil wir schlafen,
auf dass wir wachen in Christus, unserem Herrn,
und schlummern all in seinem Frieden.
(Jesus mit zwei Fischen, nur von der Alten beobachtet, kehrt ins Hospiz ein)
Sie: Was für ein wunderbarer ruhiger Gesang!
Als wie von Geistern oder Engelstimmen.
Jetzt schwillt er an, kaum dass wir uns besinnen,
und singt und klingt und will uns ganz erfüllen,
geheimnisvoll das Leben uns enthüllen.
Ihr Engel, lehrt auch uns die hohen Weisen,
dass unseren Herrn wir wahrhaft würdig preisen!
Er: Was hast du?
Sie: Herr vergib uns unsere Sünden! – Hast du ihn nicht gesehen?
Er: Wen denn?
Sie: Den Herrn Jesus! – Als der Lehrer so abscheulich nach unserem Herrn Jesus schrie, und ich entgegnete: "O Jesus! Verzeih ihm seine Sünde!", da kam er herbei. Und die Türe tat sich vor ihm auf und er verschwand im Innern dieses Felsens.
Er: Das hast du geträumt. Sonst hätte ich auch was sehen müssen.
Sie: Und die beiden Fische, die er bei sich hatte? Hab ich die auch nur geträumt?
Er: Hat er Fische bei sich gehabt?
Sie: Einen roten und einen weißen.
Er: Ich habe keine Fische gesehen!
Edith (man hört sie wieder singen):
Du, Jesus, steig zu uns hernieder,
du lehre uns das Lied der Lieder,
das Lied, das uns vom Tod befreit
Dass wir es singen, Schwestern, Brüder,
und uns im Geist erkennen wieder,
in deinem Geist voll Herrlichkeit.
(Die Wände fallen weg und ein Raum ist zu sehen voller Bänke und Stühle, wo die vom Tod Erweckten sich aufhalten. Die meisten der Erweckten sind noch müde oder todestrunken, über die Tische gebeugt. Seitwärts ein Feuer, das zwei Jünger unterhalten.)
Jesus mit zwei Fischen, rot und weiß, kommt von innen heraus. Anfangs sieht man ihn immer nur, wenn er spricht; dann ist er nicht mehr zu sehen.
Jesus: Kommt herein, Kinder! Kommt!
Sie: Hörst du! Der Herr Jesus ruft uns. Wir sollen zu ihm kommen!
Jesus: Gewiss seid ihr hungrig und durstig. Kommt und setzt euch mit an den Tisch! Es soll euch an nichts fehlen!
Er: Was ist das?
Sie: Der Herr Jesus ruft uns. Oder glaubst du nicht, was du siehst?
Er: Und wenn ich mirs nur einbilde?
Sie: Wo wir beide doch zusammen Jesus gesehen haben!
Er: Aber jetzt seh ich ihn nimmer.
Sie: Wo zwei oder drei in seinem Namen beisammen sind, da ist er wirklich unter ihnen.
Jesus (heraustretend zum Herbergsvater und zu Luise): Kommt auch ihr!
Sie: Hast du ihn nicht gesehen und gehört?
(Man sieht nach drinnen auf ein Ehepaar in der Nähe des Feuers, das die beiden Jünger entzündet haben und unterhalten; daneben eine sehr alte Frau, die Nachbarin.)
Die alte Frau: (aufschreiend) Ah!!!.
Frau: Da ist sie wieder, die Nachbarin!
Mann: Wie hässlich, wenn man sich nicht benehmen kann!
Jesus: Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters!
die alte Frau: Hier sind keine Gesegneten!
(Er, Luise und der Herbergsvater zögern)
Sie: Komm wenigstens du mit mir.
Er: Es sieht mir nicht appetitlich aus.
Sie: Wo mein Jesus ist, da lass uns nur sein! Komm! (sie zieht ihn nach drinnen. Luise und der Herbergsvater bleiben draußen.)
(Im Innern.)
Mann: Schwester kommen Sie! Helfen Sie dieser Frau!
Edith (herbeieilend): Was hast du denn, Mütterchen?
die alte Frau: Was ich habe? Auch du bist keine Gesegnete!
Frau: Nörglerin!
Edith: Lasst Sie doch. Sie hat ja Recht. Auf eine Segnung hab ich kein Anrecht. Und doch ...
die alte Frau: Sie will nicht wahrhaben, dass ich ihre Mutter bin.
Frau: Das ist nicht meine Mutter.
Edith: Wir alle sind doch Kinder unserer Mutter.
die alte Frau: Warum glaubt ihr mir nicht?
Edith: Wir glauben dir ja. Doch sag jetzt auch du uns, was du hast!
die alte Frau: Was ich habe? Fragt mich lieber, was ich nicht habe!
Mann: Sie hat Angst, dass wir sie begraben!
Edith: Von nun an wird niemand mehr begraben. Wir alle sollen mit dem Herrn in die große Herrlichkeit einziehen.
(Weiter hinten. Prof. Medici mit seinen Assistenzärzten im Gespräch. Der erste Jünger ist hinzugekommen.)
Dr. Medici: Ich glaube nicht, dass wir uns mit dem Sohn Gottes unterhalten können. Vielleicht können wir etwas sehen, was dem Bild unserer Seele entspricht. Vielleicht können wir auch etwas hören, was uns zuspricht und uns beschwichtigt. Aber reden mit ihm, uns unterhalten mit ihm, das können wir ganz bestimmt nicht.
Johannes: Gleich wird er da sein. Dann redet nur mit ihm und fragt ihn. Er sagt euch alles.
Ein Toter neben dem Arzt: Ich habe Hunger und Durst.
Dr. Medici: Warte! Du siehst doch, wie wir arbeiten. Gleich wird man dich bedienen.
Toter: Wie lange sollen wir noch warten? Wir wollen nicht länger hingehalten werden.
Dr. Medici: Ich habe dir gesagt, dass man sich auch beherrschen muss! (an die Assistenzärzte) Hier, meine Damen und Herren, sehen Sie, dass ein Leben ohne Disziplin unmöglich ist. Auch das Reich Gottes kann keine Gestalt annehmen, solange man immer nur an sich selber denkt. Einem Lehrer sagte ich einmal, dass die Lehrer am meisten krank feierten von allen Berufsgruppen, während meine Assistenzärzte nie krank sind. Darauf glaubte er, mir mit einem Tobsuchtsanfall erwidern zu müssen. Keine Disziplin, kann ich da nur sagen.
(Ein unzufriedener Alter daneben, auf dem Tisch eine Karaffe Wein.)
Der Alte (wie erwachend): Wo ist meine Brille?
Arzt (leise zu den Assistenzärzten) Machen wir einmal einen Versuch, um zu sehen, wie sehr sich der Mensch unserer Tage einzuschränken vermag!
Der Alte: Können Sie mir helfen?
Dr. Medici: Du brauchst keine Brille.
Der Alte: Immer hab ich eine Brille gehabt.
Dr. Medici: Du siehst alles, was dir nötig ist zu sehen.
Der Alte: Ich seh überhaupt nichts.
Dr. Medici: O, die großen Dichter früherer Tage konnten alles sehen und waren auf beiden Augen stockblind! – Siehst du den Wein hier? Lies, was auf der Flasche steht.
Der Alte: Ich kann nicht lesen. Überhaupt blendet mich dieses Licht hier. Ich brauchte Sonnenlicht zum Lesen. Nicht dieses künstliche Licht.
Ass.arzt: Vor allem musst du tun, was dir der Arzt sagt.
Arzt: Der Wein ist ein hervorragendes Anästhetikum. Hörst du?
Ein anderer daneben, allein am Tisch: Am besten versteht der Menschenfreund einen anderen Menschen. Selbst, wenn einer so in Not ist, dass er nichts mehr versteht, versteht ihn noch Jesus.
Dr. Medici: Was will er damit sagen?
Dieser: Wir haben Jesus gesucht und ihn nicht gefunden.
Dr. Medici: Denk, dass jetzt alles anders wird.
Einer: Ich will aber nicht mehr denken.
Dr. Medici: So willst du in Ewigkeit dumm bleiben?
Einer: Vielleicht will ich in Ewigkeit dumm bleiben.
Arzt (zu den Ärzten im Hintergrund): Meine Damen und Herren! Wie nennen Sie solch ein Verhalten?
(Jesus am Feuer mit den zwei Fischen, die er brät. Er ist jetzt wie die anderen andauernd zu sehen.)
Johannes (ihm mit Paulus entgegeneilend): Mein Meister und Herr! Wie gut, dass du wieder da bist. Ja, wenn du da bist, ist alles wieder gut.
Jesus: Schaut, was ich euch mitgebracht habe.
Johannes: Was für zwei wundervolle Fische!
Jesus: Geht und sorgt dafür, dass wir austeilen können!
Eine Frau dort in der Nähe: Ich mag keine Fische!
Jesus: Töchterchen, was hast du denn?
Frau: Ich bin unglücklich.
Jesus: Eine kleine Weile noch, dann werden wir alle glücklich sein.
Frau: Lasst mich in Ruhe!
Jesus: Sieh doch nur! Das kleine Fischlein hier, dieses weiße, hab ich zuletzt eingefangen. Zuerst wollte es nicht, wie du. Ich sagte zu ihm: Du musst keine Angst haben, alles wird gut.
Frau: (für sich) Ich lass mir den Kopf nicht berücken.
Der Mann daneben: Herr, wir glauben ja, dass alles gut wird. Doch dazu bedarf es vieler Zeit. Der Aufstieg war sehr beschwerlich.
Jesus: Stärkt euch, meine Lieben! Trinkt vom Wein und esst von den Broten und Fischen. Tut es den ganzen Tag.
Jemand: Ist jetzt nicht Nacht?
Johannes: Wo der Herr ist, da ist Tag.
Der Mann: Und wenn wir uns gestärkt haben, was geschieht dann? Sieh nur, die meisten Leute schlafen schon wieder. Dabei haben wir so auf diesen Tag gewartet!
Jesus: O meine Kinder, lasst euch nicht vom Schlaf übermannen! Wachet mit mir!
(Jesus und die Schwester Edith.)
Edith (während sie ein altes Mütterchen speist): Mein Meister und Herr!
Jesus: Sei fröhlich, auf dass sich die anderen an dir aufrichten!
Edith: Gewiss will ich fröhlich sein, auch wenn ich weinen könnte.
Jesus: Du musst nicht weinen.
Edith: Wie auch kann ich zufrieden mit mir sein, wenn ich sehe, wie wenig dein Werk gedeiht?
Altes Mütterchen: Wer ist der Mann da?
Edith: O Mütterchen, es ist der Herr!
Mütterchen: Ich kann das Zeug nicht essen. Es ist viel zu heiß.
Edith: Dann blasen wir es eben ein wenig kalt. Schau! (sie bläst) Willst du nicht auch einmal ein wenig blasen?
Mütterchen: Nein!
Paulus: Warum fällt es uns nur so schwer, Werke der Gottesliebe zu tun?
Jesus: Du, mein liebes Kind!
Edith: Schon viele Male versuch ich jetzt mein Mütterchen zu füttern, ohne dass es mir gelingt. Vielleicht denkt da einer, das Mütterchen sei störrisch. Aber das stimmt nicht. Das Mütterchen ist sehr lieb. Es hat nur arge Beschwerden beim Schlucken. Deshalb meint es, das Essen sei bald zu kalt oder bald zu heiß. Aber es ist sehr lieb. Nicht wahr, Mütterchen!
Mütterchen: Du bist auch lieb!
Edith: Nicht immer, Mütterchen. Aber ich will mich anstrengen, zumal jetzt, wo mir der Herr zuschaut.
Jesus: Immer bist du lieb, mein Kind. Das Mütterchen hat es gesagt.
Edith: Versprich mir, o Herr, dass unsere Bittgesänge nicht um meinetwillen aufhören, zu dir aufzusteigen!
Jesus: Das Himmelreich ist nahe, mein Kind.
Erster: (erwachend) Das Leben war für mich immer ein Krieg. Aber ich mag den Krieg nicht.
Zweiter: Ich mag den Krieg auch nicht.
ein Dritter: Hast du nicht immer Angst gehabt vor dem Einschlafen, von dem es kein Erwachen mehr gibt? Nun bist du wieder erwacht!
Erster: Aber doch nicht, um mich in diesem Lazarett wiederzufinden.
Vierter: Das ist kein Lazarett.
Erster: Was denn sonst? Fehlt nur, dass eine barmherzige Schwester auf uns zukommt, uns eine Bettlersuppe zu reichen.
Edith: (kommt und bringt jetzt Fischsuppe und Brot)
Jesus: Wie geht es deinem Mütterchen?
Edith: Es ist soeben ein wenig eingeschlafen.
Jesus: Hast du dich nicht auch etwas ausruhen wollen?
Edith: Wenn du dich nicht ausruhst, kann mir keine Ruhe schmecken.
Zweiter: (halblaut, giftig) Da kommt sie ja schon, deine barmherzige Schwester!
Dritter: Aber sie kommt nicht zu uns.
Erster: Dabei warten wir hier am längsten.
Schwester (zu den beiden Alten, die inzwischen eingetreten sind): Kommt herbei und nehmt Platz, ihr beiden. Gewiss seid ihr hungrig und durstig vom langen Wandern!
Sie: O Schwester, wie gut, dass Sie sich unser annehmen.
Edith: Alle sind wir noch sehr schwach, wir sind noch nicht so, wie wir sein sollten und wie uns der Herr gern hätte.
Sie: (zum ihm) Hörst du!
Er: Lass mich! Mir ist nicht gut.
Sie: Alle sehen wir immer nur auf uns selber, ohne zu wissen, dass wir uns erst im Nächsten finden. Deshalb haben wir wohl so viel von der Ankunft seines Reiches vergessen. Erst die Oberfläche ist erweckt. Zu viel schläft noch in uns.
(drei Männer an einem Tisch)
Einer: Nun iss schon. Oder schmeckt es dir nicht?
Zweiter: Ich hab keinen Appetit. Wenn wenigstens ein paar Blumen auf dem Tisch stünden. Und wärs nur in einer Blechbüchse. Daran hätten wir erkannt, dass man nicht nur Vagabunden in uns sieht.
Edith: Willst du nichts essen, Bruder?
Zweiter: Sind wir denn im Gefängnis? Bei Wasser und bei Brot?
Erster: Da kamen sie zusammen und litten nimmer Not.
Edith: Was spricht er da nur?
Dritter: Das ist ein notorischer Querulant, Schwester. Für Leute wie ihn ist überall Gefängnis.
Edith: Warum meinst du, in einem Gefängnis zu sein?
Zweiter: Uns so einen Fraß vorzusetzen.
Edith: Wie gern würd ich davon essen!
Zweiter: Zum Teufel! Ja, dann iss doch! Lass es dir schmecken! Prost!
Dritter: So hast auch du Schwester noch nichts gegessen?
Zweiter: Prost, hab ich gesagt! Aber mich verschont mit dem Zeug!
Edith: O Bruder!
Zweiter: Überhaupt, wie kommst du dazu, Bruder zu mir zu sagen? Hättest uns besser ein paar Blumen mitgebracht.
Dritter: Hol sie dir doch selber!
(Gespräch Jesu, der am Feuer die Fische brät, mit den Jüngern.)
Paulus: O Herr, wirst du mir gestatten, dass ich dich etwas frage?
Jesus: Frage nur!
Paulus: Versprich mir, dass dich meine Frage nicht schmerzt.
Jesus: Frage!
Paulus: Nun sind doch schon über 2000 Jahre vergangen, und noch immer warten wir auf die Ankunft deines Reiches!
Johannes: Mein Bruder! Wie du nur zu reden anfängst!
Jesus: Lass ihn doch! Es stimmt ja, dass sich noch nichts bewahrheitet hat von dem, was mir am Herzen liegt und wovon ich euch verkündet habe. Sprich dich aus und sage mir, was dich quält. Noch leben wir ja nicht in jener Wirklichkeit, nach der uns so sehr verlangt. Ist es dies?
Paulus: O mein Meister, vergib mir, wenn ich mich erdreistet habe, dich zur Rede zu stellen.
Johannes: Das ist nur, weil es uns an Geduld fehlt. Weil wir nicht gelernt haben, geduldig zu warten.
Jesus: O ihr Lieben, die ihr glaubt, ich hätte schon alles gefunden: das Reich und den Vater und den Thron zu seiner Rechten. Und es läge nur an mir, zu sagen: kommt und nehmt in Besitz das Reich, das ich euch versprochen habe. Doch das ist nicht so. Noch immer bin ich auf der Suche. Damals, vor vielen Jahren, habe ich noch zu wissen geglaubt, wo ich unseren himmlischen Vater finde – seitdem ich mich aber auf die Suche gemacht habe und erfolglos geblieben bin, bin ich selber voller Zweifel. Nein, sagt nichts, meine Lieben. Ich weiß, dass ihr es gut mit mir meint und dass ihr mich darin bestärkt, der Messias zu sein. Und ich bin ja auch der Messias. Weil ich aber so fest davon überzeugt bin, deshalb sind es auch so schreckliche Bekümmernisse, die ich auszustehen habe, bis alles unangreifbar und für immer feststeht. Zwar bin ich auferstanden von den Toten, bin auch dem Grab entflohen, auch das ist gewiss, und habe mich erhoben hinauf in den Himmel. Dann bin ich aufgefahren in den Himmel, alles das ist gewiss. Als ihr mich aber nicht mehr sehen konntet, da war es nicht der Vater im Himmel, der mir entgegengekommen wäre und mich aufgenommen hätte. Da war es nur der unermessliche, ewig gleichgültige Raum, der mich umfing und der mich zu fragen schien: was willst du Mensch? Wohin ich auch schaute, nirgends war etwas anderes als die Unendlichkeit des Raumes, die jeden zermalmt.
Johannes: Dabei musst du nirgends hinschauen noch auch hingehen. Denn du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Jesus: Wenn wir noch diese Prüfungen bestanden haben, die uns der himmlische Vater auferlegt hat, dann werden wir Ruhe finden für unsere Seelen.
Paulus: Jawohl, immer halten wir daran fest, dass es nur in dir die herrliche Bestimmung der Erlösung für uns gibt. Und vielleicht hat Bruder Johannes ja recht, und wir müssen noch viel mehr an uns arbeiten; müssen so sehr arbeiten, bis wir vor uns selber verschwinden und nichts mehr wissen von uns. Bis dann der Vater kommt, der auch die Steine zum Leben zu erwecken vermag und der dann aus uns eine neue Schöpfung machen wird.
(Dr. Medici kommt hinzu)
Dr. Medici (aufmerkend): Wer ist das?
Johannes: Mein Herr! Das ist der Herr!
Dr. Medici: Er sieht aus wie ein Infarktpatient. – Sind Sie der Mann aus Galiläa?
Jesus: Ich bin der, den der Vater kennt.
Dr. Medici: Nun, nun! Sind wir das nicht alle?
Paulus: Jawohl, mein Herr. Und doch ist er noch etwas, was weit darüber hinaus reicht.
Dr. Medici: Ich jedenfalls bin Prof. Dr. Sigmund von Medici, Professor für Neurologie, Ordinarius an der Universität Trübingen seit der Emeritierung von Prof. Hirschmann, Vorsitzender der deutschen Katholiken und Kämpfer für eine humane und bessere Welt.
Jesus: Iss ein Stückchen vom Fisch mit mir, damit wir uns kennen lernen.
Dr. Medici: O danke. So im Stehen zu essen, das war noch nie meine Sache. Zum Essen brauche ich Ruhe. Ich habe ohnedies genug Unruhe um die Ohren.
Johannes: Willst du nicht tun, was dem Herrn wohlgefällt?
Dr. Medici: Ich brauch keinen Dolmetscher, wenn ich mich mit jemand unterhalte. (sich wieder entfernend) Aber sie sollen staunen. Denn wenn man einmal meine Verdienste so recht erkannt hat, wird man nicht mehr umhin können, mir den Nobelpreis zu überreichen.
Paulus: Wer ist das?
Johannes: Das ist der berühmte Prof. Medici. Er verfügt über weite Beziehungen und hat uns seine Mithilfe versprochen. Auch droben auf dem Schlossberg ist er tätig. Wenn er auch ein klein wenig stolz ist, so muss man das wohl hinnehmen, wo es überall an Arbeitern mangelt.
Wieder einer: Ich bin müde geworden, ohne etwas getan zu haben.
Jesus: Auch du wirst gestärkt werden.
Dieser: Wozu auch? Dass ich wieder nichts tu und müd dabei werde? Wie oft soll das noch geschehen?
Jesus: Du hast schöne Talente, du wirst sie zur Entfaltung bringen.
Dieser: Das redest du doch nur so ins Blaue. Ich könnts dir beweisen. Doch will ich dich jetzt nicht in Versuchung führen. Drum sag ich dir nur, dass von meinen Talenten niemand etwas wissen will. Am wenigsten deine Jünger. Die Liebe zur Wahrheit ist ihnen wichtiger als die Liebe zum Mitmenschen. Aber sie täuschen sich. Denn wenn ich dich recht verstanden habe, ist die Liebe zur Wahrheit nichts anderes als die Liebe zum Bruder.
Jesus: Die Liebe zum Bruder genügt. Wenn diese Liebe aufgeht, wird sie zur Liebe der Wahrheit.
Dieser: Das hättest du deinen Jüngern, ich meine deiner Kirche, sagen sollen. Was die sich alles in deiner Abwesenheit geleistet hat, das geht wirklich auf keine Kuhhaut! Wie sie Kriege geführt und Feinde niedergemetzelt hat! Und wie sie sich das Gericht angemaßt und ihre Gegner verurteilt und verbrannt hat! Da war der Verräter Judas noch ein Waisenknabe dagegen.
Paulus: Was sprichst du da?
Dieser: Nichts als die Wahrheit, die leider nichts mit der Nächstenliebe zu tun hat. Statt Talente zur Entfaltung zu bringen, hat man Scheiterhaufen entzündet und hat die Talente in Rauch aufgehen lassen. Und wenn die Herren der Kirche von etwas geträumt haben, dann von ihrem Richteramt beim Jüngsten Gericht. Umgetrieben von Glaubensschwäche und Herrschaftsgelüst haben sie der Sache Christi geschadet wie keiner sonst! Pfui Teufel!
Jesus: Ich werde zu dir kommen und dich bedienen.
Dieser: Ergebensten Dank, mein Herr!
Jesus: (er lehnt sich müde an einen Tisch.)
Einer: (schaut sich zwei Fotos an) Da sehen Sie!
Nachbar: Was soll das?
Einer: Das war ich, als ich 19 Jahre alt war, noch jung und talentiert und hoffnungsfroh, ehe mich das Leben desillusioniert hat. Damals kam gerade die Fotografie in Mode. Wer sich so abgelichtet sah, glaubte, für die Ewigkeit abgelichtet zu sein. Als ich dann aber älter wurde, begann ich, mich leidenschaftlich für mich zu interessieren. Wer bist du, fragte ich mich! Erkenne dich selbst! Während ich mich aber so in die Pflicht zu nehmen begann, begann ich, mir immer fremder zu werden. Oftmals bekam ich Angst vor mir selber. Ich traute mir nicht mehr über den Weg. Wenn ich mich ermahnte, mich schalt wegen einer Handlung, so wusste ich nicht mehr, wer zu wem sprach.
Nachbar: Und das da? Das bist du auf dem Totenlager?
Einer: Das ist mein Totenbild. Hier lieg ich aufgebahrt, nachdem ich mich erschossen hatte. Zum stillen Erinnern steht vorn drauf. Was für ein Widerspruch! Meine Frau, die noch am Leben war, schaute sich die Bilder oft an. Wenn ich es merkte, kam ich aus dem Totenreich herauf, sie mit mir zu nehmen. Wenn ich sie dann aber sah, von draußen durch die Fensterscheibe, stand ich wieder ab von meinem Plan. Ich wollte sie ja nicht erschrecken. Was auch hätte ich ihr erzählen sollen?
Nachbar: Ich mag das Zeug nicht. Wenn das der Anfang ist von der Ewigkeit, dann Prost! Dann würde ich das Foto zerreißen und es dem Totenhund zu fressen geben.
(Die beiden Alten, der Großvater und der erste Jünger.)
Sie: Geben Sie ihm keinen Wein!
Johannes: Warum nicht?
Sie: Weil er böse wird, wenn er trinkt. Alle bösen Erinnerungen seines Lebens werden dann wach und steigen in ihm auf und erfüllen ihn mit Harm und mit Wut.
Johannes: Aber es ist der süße Wein Jesu! Der Wunderwein. Er nimmt die Erinnerung an alles Böse.
Er: Also, willst du nicht?
Großvater: Nein, das mag ich nicht. Ich lass mich nicht mehr enttäuschen.
(Ein Mörder und der erste Jünger.)
Johannes: Und du? Warum isst du nicht und trinkst du nicht?
Mörder: Ich kann nicht. Jeder Bissen bleibt mir im Hals stecken.
Johannes: Versuch es! Auch für dich ist der Herr gestorben.
Mörder: Hier. Was ist das?
Johannes: Ein Kruzifixus. Doch wie schrecklich. Was für ein von Qualen durchfurchtes und zermartertes und verzweifeltes Gesicht!
Mörder: Dieses Kreuz mit dem Leidensmann habe ich geschnitzt. Und der Leidensmann, das da bin ich selber. Ich sehe mich, wie ich am Kreuz häng und auf den schau, den ich erschlagen habe.
Johannes: Und jetzt hast du Angst, dass er sich noch einmal rührt?
Mörder: (nickt)
Johannes: Hoffe auf den Herrn. Er wird dir verzeihen.
Mörder: Und dann rührt er sich nimmer?
Johannes: Hoffe auf ihn. Er lässt dich nicht im Stich!
(Jesus bedient.)
Jesus: Hier, Mütterchen, hier hast du dein Kätzchen wieder!
Mütterchen: Ist das mein Kätzchen?
Jesus: Sieh es dir nur genau an! Erkennst du es nicht wieder?
Mütterchen: Bist du meine Mietze? Sag mirs! – Hast du meine Mietze zum Leben erweckt?
Jesus lächelt beifällig
einer daneben: Wie widerlich, wenn man mit Katz und Maus glücklich sein kann!
ein anderer: Eines der größten Rätsel der Menschheitsgeschichte ist für mich, wie man darauf kommen kann, sich eine Katze oder einen Hund zu halten.
einer noch weiter daneben: Noch schlimmer wäre nur, selber so ein Vieh zu sein. Schon in der Haut eines Menschen zu stecken, ist oft, um aus der Haut zu fahren.
Wieder einer daneben: Der eine braucht eine Katze, ein anderer einen Hund, ich aber bräuchte eine Frau.
Mütterchen: Dank dir, lieber Jesus.
Jesus (mit Suppe): Was hast du, mein Lieber?
Ein Mann: Niemand kennt mich. Und niemand will etwas von mir wissen. Jeder versucht nur, sich selber im Aug zu behalten.
Jesus: Mein Lieber!
Der Mann: Warum sagst du zu mir "Mein Lieber"? Bin ichs denn? Ich war vielleicht nie etwas anderes als ein schlecht funktionierender Automat, und mein Ich war nie etwas anderes als eine krankhafte Illusion in einem kranken Leibe.
Edith: Wenn du Mühe hast, an dich zu glauben, so glaube an deinen Heiland.
Der Mann: Ist er der Heiland?
Edith: Sieh, was er dir mitgebracht hat.
Der Mann: Was ist das?
Edith: Koste und sieh, wie gütig der Herr.
Der Mann: Eine Fischsuppe?
Edith: Sie wird dir die nötigen Kräfte verleihen.
Der Mann: Gebt mir, was mich mir geben kann. Weiter begehr ich nichts.
Edith: Versuchs.
Der Mann: Nur keine Almosen!
Jesus: Es ist kein Almosen.
Der Mann: Wenn du der Heiland sein willst, dann sag mir, was ich da in meiner Faust hab, damit ich dir glaube!
Jesus: Lass gut sein! Du quälst dich nur.
Der Mann: Warum weichst du mir aus? Wenn du es weißt, so sag es mir! Sag zu mir: mein Lieber, das ist so und so ...
Jesus: Kannst du dir nicht vorstellen, dass ich es weiß?
Der Mann: Und wenn auch.
Jesus: Wenn ich es dir sage, überschüttest du mich mit Flüchen.
Der Mann: Sag es!
Jesus: So sag ich dir denn, dass es etwas ist, was du anders in der Hand halten müsstest!
Der Mann: Das sind Ausflüchte!
Jesus: So wisse denn, dass es das zerrissene Bild von der ist, ohne die du nicht glaubtest leben zu können und die du dann davongejagt hast.
Der Mann: (er öffnet die Hand und ein zerrissenes Foto seiner ehemaligen Frau wird sichtbar) Warum hast du es zugelassen? Gib zu, dass keiner sich für den anderen interessiert, kein Mensch und kein lieber Gott und auch du nicht, der du mich mit "mein Lieber" begrüßt hast. – Doch nein, geh lieber und sag gar nichts mehr!
Jesus: (geht weiter)
Noch einer (während Jesus an ihm vorübergeht): warum hältst du nicht bei mir inne? Wenn du der Messias bist, musst du dich vor allem um die verlorenen Schafe bemühen. Im Übrigen hätte ich gern gewusst, wie du mich anredest. Unsere Pastöre pflegten uns mit "mein Sohn" anzureden, als ob wir ihnen wunder was wert wären. Wenn es dann aber darum ging, einem durch handfeste Werke aufzuhelfen, dann waren sie über allen Bergen.
(Die zwei Jünger, die inzwischen hinzugekommen sind, lassen sich mit dem Mann mit dem zerrissenen Foto ein. Der ist eben dabei, das Foto zu zertrampeln.)
Johannes: O Mensch! Was tust du denn jetzt?
Der Mann: Bemüht euch nur nicht. Mir ist nicht mehr zu helfen!
Johannes: Keiner muss verzweifeln.
einer daneben: Jawohl. Kein Mensch muss müssen, mein Herr!
Der Mann: Was für dumme Sprüche, zumal aus dem Mund derer, denen es gut geht. Überhaupt, warum habt ihr mich nicht schlafen lassen. Endlich hatte ich alles überstanden. Da musstet ihr kommen!?
Johannes: Erzähl dein Leid und du wirst sehen, es zeigt sich ein Weg der Befreiung.
Der Mann: Lasst mich in Ruhe!
Johannes: Sag, was dir und deiner Frau damals widerfahren ist!
Der Mann: Was ihr damals durch den Kopf gefahren ist, weiß ich nicht.
Johannes: Und du hast nichts falsch gemacht?
Der Mann: Was ich falsch gemacht habe, weiß ich auch nicht.
Johannes: Hat es keine Vorwürfe gegeben?
Der Mann: Wohl hab ich sie zur Rede gestellt, doch sie wich mir stets aus. Plötzlich aber wollte sie nicht mehr. Haus und Hof und Ställe ließ sie unbewirtschaftet. Von Mardern halb zerfressen fand ich die Kühe im Stall stehen. Da hatte ich genug. Ich jagte das Weib fort, da es längst keinen Anspruch mehr darauf hatte, als mein Weib zu gelten. Und als ich sie fortgejagt hatte, zündete ich alles an und ging gleichfalls.
Paulus: Sie litt gewiss, sie war krank.
Der Mann: Nachdem sie mich krank gemacht hatte. – Ein paar Tage später erfuhr ich draußen im Wald, wohin ich mich verzogen hatte, dass sie sich in die Kirche begeben und den Leuten etwas vorgeweint habe. Und als sie dann so recht das Mitleid der Leute erlangt und der Pfarrer ihr die Worte der Vergebung vorgesprochen hatte, da soll sie gesagt haben: O Himmel, verzeih ihm, wie auch ich ihm verziehen habe!
Johannes: Es gibt eine Gerechtigkeit und ein Gericht.
Paulus: Ach Bruder!
Johannes: Stimmt es etwa nicht?
Paulus: Ich will den Herrn bitten, nie Gericht zu halten.
Johannes: Ein Gericht muss stattfinden!
Paulus: Dann mag er es über mich kommen lassen.
Johannes: Was wäre das für eine Gerechtigkeit?
Paulus: Auch der Herr hat gelitten und gebüßt. Sieh, wenn wir es schafften, wir alle, ich und du und alle Menschen, in gegenseitiger Achtung und Liebe das Leben zu verbringen; wenn wir es schafften, uns von den Leiden dieser Zeit und der Endlichkeit aufzehren zu lassen, dass nichts anderes mehr an uns und in uns übrig bliebe als die Liebe des auferstandenen Herrn: dann müssten wir nicht mehr harren: dann würde sich zeigen, dass Jesus Christus der Herr ist zu Ehren Gottes des Vaters.
(Ärzte bedienen.)
Dr. Medici: (vorbeigehend) Mein Herr, jetzt komm ich schon das dritte Mal bei Ihnen vorbei. Und immer schlafen Sie, als wollten Sie in Ewigkeit nicht mehr aufwachen.
Großvater: Lass mich!
1. Ass.arzt: Wie er redet mit dem Ordinarius!
2. Ass.arzt: Hier ist der Wein. Trinken Sie! Der wird Ihnen Kraft geben für das neue Leben.
Großvater: Ich hab schon einmal gesagt, ich will keinen Wein.
Dr. Medici: Mein Herr, das hier nennt man ein Stethoskop und das sind Instrumente des Arztes, mit denen er sich zum Wohl der Menschheit aufopfert. Aber das scheint Sie nur wenig zu interessieren.
Großvater: Wo bin ich und wo ist mein Weibchen? Wo habt ihr mein Weibchen hin?
Dr. Medici: Seien Sie ruhig. Sie werden es schon bald wiedersehen.
Großvater: Sie kennen meine Frau?
Dr. Medici: Die meisten Patienten kenn ich auswendig. Denn ich habe ein exzellentes Gedächtnis.
Großvater: Ja gewiss, die Erinnerung kommt mir jetzt auch wieder. Auch ich kenn ihn doch.
Dr. Medici: So geht das nicht, mein Herr. Wenn Sie mit mir reden, nennen Sie mich bitte "Herr Professor" oder "Herr Doktor"! Schließlich muss man wissen, wer heilt und wer geheilt wird.
Großvater: Ich soll ihn "Herr Professor" oder "Herr Doktor" nennen?
1. Ass.arzt: Wenn Sie so gütig sein wollen, mein Herr!
Großvater: Hat man mich dafür von den Toten erweckt, dass ich mich noch immer mit Titeln zu schaffen mache?
2. Ass.arzt: Man hat Sie nicht von den Toten erweckt, dass Sie sich gehen lassen.
Großvater: Es gibt Friedhöfe, wo vorn am Eingang der Satz steht, dass im Tod alle gleich seien. Was im Leben nie erreicht wird, soll im Tod endlich wahr werden. Und doch ist der Satz nicht wahr, oder er ist nur unter einer Bedingung wahr.
1. Ass.arzt: Was wollen Sie damit sagen?
Großvater: Dass die Gleichheit im Tod nur wahr ist, wenn es keine Auferstehung gibt.
(Johannes, der Großvater und Dr. Medici.)
Dr. Medici: Das da, das ist der besagte Nörgler und Eigenbrötler, eine Tortur für jeden Pfleger, eine Geißel der Menschheit.
Johannes: Der Großvater!?
Großvater: Wer bist du? Bist du ein Jünger vom Gottessohn?
Johannes: Ja, das bin ich!
Großvater: Dann befrei mich von diesem Menschenschinder!
Johannes: Denk doch nicht, dass er dir etwas Böses will. Selbst, wenn er dir einmal etwas Böses angetan haben sollte.
Dr. Medici: Mein Herr! Ich habe ihm nichts Böses angetan.
Johannes: Ich habe ja nur den Fall in Erwägung gezogen..
1. Ass.arzt: Das geht nicht.
2. Ass.arzt: Das geht entschieden zu weit.
Dr. Medici: Unsereins tut das nicht, selbst wenn es alle Welt behaupten würde ...
Johannes: Denk, dass er sich Mühe gibt und dass es das Beste ist, was er vermag. Wir sind doch alle Geschöpfe, die hinter unseren guten Vorsätzen zurückbleiben.
1. Ass.arzt: Das geht nicht. So könne Sie nicht reden. Und wenn Sie hundert Mal der Lieblingsjünger sein sollten.
2. Ass.arzt: Oder kann einer, der als Arzt einem anderen hilft, diesem etwas Böses antun? Ist Hilfeleistung etwas Böses?
Dr. Medici: Meine Herren! Gehen wir weiter.
Großvater: Ja, geht nur!
Johannes: Denk, dass du auch bei deinem Bruder das eine und andere übersehen musst.
Dr. Medici: (im Weitergehen) Ich will nicht übersehen werden. Ich verbitte mir das.
Großvater: Soll das mein Bruder sein?
Jünger: Versuch es! (er geht weiter)
(Die vorigen ohne Jesus.)
Er: Ist das nicht mein Vater dort?
Sie: Er ist es! – Aber Großvater!
Großvater: Ist das schon der jüngste Tag? Warum sagt mir niemand, ob das schon der jüngste Tag ist.
Sie: Wir wissen es selber nicht, Großvater.
Großvater: Sagen Sie mir, wenn Sie mich kennen: bin ich schon aus dem Grab gestiegen und hat das Totenglöckchen zum jüngsten Tag schon geschellt?
Sie: Aber Großvater, ich bin es doch, deine Tochter Gertrud. Kennst du mich denn nimmer?
3. Ass.ärztin: Ist das Ihr Vater?
Sie: Mein lieber, zweiter Vater.
1. Ass.arzt: Ein ziemlich schwieriger Patron, das.
Sie: Sie wollen, dass du trinkst.
1. Ass.arzt: Er hat behauptet, Durst zu haben und nun will er nicht trinken.
Sie: Willst du nicht?
(Der Arzt und die beiden Alten.)
Er: Mein Herr, sind Sie Arzt?
Dr. Medici: Sofern Sie nichts dagegen haben.
Er: Dr. Medici?
Dr. Medici: Sofern Sie nichts dagegen haben.
Er: Und das da! Was ist das?
Dr. Medici: Hab ich ihm Rede und Antwort zu stehen?
Er: Bedarf es dieser goldenen Brosche da, um Sie als ärztliche Kapazität auszuweisen?
Dr. Medici: Das ist mein Professorendiplom, sofern Sie nichts dagegen haben.
Er: Erwecken Sie auch Tote?
Dr. Medici: Ich heile Lebende, sofern Sie nichts dagegen haben. Doch gestatten Sie, wenn ich mich noch um die anderen Kranken bemühe. Die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige. (ab)
(die Vorigen ohne den Arzt.)
Großvater: Befreit mich von dem Menschen!
Sie: Was hast du nur, Vater?
Er: Das ist der Arzt, der dem Vater damals das Medikament verweigert hat, das unserer Mutter das Leben hätte retten können. Zu teuer, so hat er damals gesagt, zu teuer für jemand, der ohnedies nichts mehr leistet ... Dem Vater, der schon von der täglichen Krankenpflege fix und fertig war, hat das den Rest gegeben. Seit dem Tag ist er dann nicht mehr zur Kirche gegangen. Nicht einmal mehr an Ostern, am Auferstehungstag. Damals pflegte er zu sagen: Wenn ich den einmal im Himmel seh, dann bitt ich den lieben Gott, in die Hölle zu dürfen.
Sie: Er muss ihm vergeben.
Er: Wenn du es schaffst?
Sie: Ich muss es versuchen.
Er: Doch was willst du tun? Das lange Tot-Sein hat ihm nicht gut getan. Und dann erst die Aufregung wegen des Stausees. Welcher Tote kann da ruhig im Grab liegen bleiben?
Großvater: Mir hätte die Flut nichts ausgemacht. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass einer ersäuft.
(Paulus, der den Dr. Medici zum Großvater führt, um sie zu versöhnen.)
Dr. Medici: Es ist nicht zum Aushalten mit diesen Leuten. Wie im Leben, so nach dem Tod. Ohne alle Disziplin. Quod ignis non sanat, ferrum sanat...
Paulus: Großvater, sag an! Hast du nicht auch gewartet auf den Tag des Herrn?
Großvater: Ich hab die Erfahrung gemacht, dass durchs Warten alles nur noch schlimmer wird.
Dr. Medici: Sagten Sie damals nicht, dass Sie sich wünschten, der Erdball möge in 1000 Teile zerstückeln und ins Weltall hinausfliegen? Und als ich Sie fragte, weshalb, gaben Sie mir dann nicht zur Antwort, weil Ihre Frau eine so entzückende Krankheit hat?
Großvater: Haben Sie etwas dagegen, wenn ich die Wahrheit gesagt habe?
Dr. Medici: Sie sind ein Defätist, ein Zerstörer, ein Satanssohn.
Großvater: Danken Sie Ihrem Gott, wenn Ihnen keine schwerkranke Frau vorherbestimmt ist.
Paulus: Bruder, deine Seele ist voll schrecklicher Stürme. Doch du lebst. Danke Gott, dass du wieder lebst.
Großvater: Seit dem Tod meiner Frau hab ich nur noch darauf gewartet, diesem Schuft die Faust zu zeigen. Den Tag der Auferstehung wollte ich dazu nutzen. Der ganzen Welt wollte ich zeigen, was das für Leute sind, die uns Vorbilder sein sollten auf dem Weg zum Reich Gottes.
Einer der Anwesenden: O, mein Herr, warten Sie es ab! Die fürchterlichsten welthistorischen Gestalten verdämmern mit der Zeit zu possenhaften Figuren.
Paulus: Beten wir zum Vater im Himmel!
Großvater: Wenn ich auch nicht mehr an die Gemeinschaft der Heiligen glauben konnte, so wünschte ich mir doch einen liebenden Vater im Himmel, um ihm mein herzliebstes Weibchen anzuempfehlen.
Paulus: Verwechsle nicht die Gesamtheit derer, die sich Christen nennen, mit der Gemeinschaft der Heiligen.
(Die Vorigen und Jesus.)
Jesus: O Großvater! Willst du dich nicht mit ihm versöhnen?
Großvater: Es wäre besser gewesen, man hätte mich weiter schlafen lassen.
Jesus: Man hat dich verletzt, man hat dir deine Hoffnungen zerrissen. Und nun irrst du umher und weißt nicht, wohin du schauen sollst. Und doch, glaub mir, niemand hat deinem Weibchen etwas Böses antun wollen. Daran musst du fest glauben, ohne um einen Beweis zu bitten.
Johannes: Ja, daran musst du glauben, auf dass das Gute geschehen kann. Du musst glauben, auf dass das Gute geschieht.
Großvater: Tu du es, wenn du es kannst. Vielleicht genügt das dann auch für mich.
Johannes: Der Mensch steht nicht nur dem anderen Menschen im Weg, wenn er den Pfad des Heils aufsucht, oft steht er auch sich selber im Weg.
Großvater: O es ist genug, was ich erfahren habe. Wenn die anderen in Ruhe den Feierabend begannen, da lag ich immer schon im Bett. Erschöpft und halb tot und im Elend über mich selber. Kaum, dass der Tag begann, war er ja auch schon zu Ende. Kaum dass ich aufgestanden war, brach immer auch schon der Abend an. Da saß ich dann da, unfähig, auch nur noch eine winzige Kleinigkeit an Sinnvollem zu verrichten, saß da und wusste nicht, was tun. Eine Arbeit, musst du wissen, die man erfolgreich abschließt, selbst wenn es sich um etwas Nebensächliches handelt, ist etwas Wunderbares. Eine Arbeit aber, wo man den Stein hinaufwälzt, nur um ihn entgleiten zu sehen und ihn dann wieder hinauf zu wälzen, o das zerrüttet.
Jesus: (für sich) So suche ich nach dir, himmlischer Vater!
Großvater: Wenn einer die Schule des Wahnsinns kennt, so bin ich es. Zuerst ist es ja schön, einem Kranken die ihn belästigende Mücke aus dem Gesicht zu verjagen. Der Gedanke, ihm zu helfen, erbaut zuerst mächtig. Auch die nächsten hundert Male tust du es noch geduldig. Einmal aber geschieht es, dass deine Geduld aufgebraucht ist. Plötzlich verwirrt sich dir alles. Die Mücke, die dir ins Gesicht sticht, könnte ja nicht stechen, wenn sie nicht da wäre, denkst du. Warum also ist sie da? Wer hat sie geheißen, wer ihr erlaubt, da zu sein?
Jesus: Komm! Iss mit mir ein paar Löffelchen von der Fischsuppe. Dann zeig ich dir dein Weibchen.
Großvater: O, wenn du der Messias bist und wenn ich dich etwas bitten darf: So verwandle mir erst jene elende Krankheit in einen Menschen, dass ich endlich einmal hingehen und sie ohrfeigen kann für alles, womit mich dieses gemeine Biest gemartert und gepiesackt hat.
Jesus: Lass doch dieses Wühlen. Es besänftigt dich nicht. Komm zu mir uns iss!
Großvater: Und dann seh ich mein Weibchen wieder?
Jesus: Wahrlich, ich sage dir, dann siehst du dein Weibchen wieder. Versuch gut zu dir zu sein; dann bist du es auch zu den anderen.
Großvater: Bring mir mein Weibchen, dann will ich dir zeigen, wie gut ich sein kann.
Jesus: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Noch heute werde ich es dir bringen!
Großvater: Ich weiß, ich war nicht immer gut zu meiner schwerkranken Frau. Aber die Krankheit hat mich gebrochen. Damals begann ich, den Glauben an den Himmel aufzugeben. Wenn es dich gibt, sagte ich und ballte die Faust gegen die Wolken, wenn es dich gibt, so gib Acht, dass du mir nicht in den Weg kommst, Herr des Himmels. Ich könnte in Laune sein, dir wie einem Schlachthuhn den Hals umzudrehen. Wär meine Frau gesund und munter geblieben und ich hätt machen können, was die anderen Leute auch so machen, dann wär aus mir vielleicht auch ein Himmelskandidat geworden. Dank dieser Krankheit aber hab ich mich dann qualifiziert für eine Fahrkarte in die Hölle. Und als dann noch dieser Schuft kam und mir meine Frau sterben ließ, da war dann alles aus. Da begann es folgendermaßen aus mir herauszuschreien:
Wenn einst ein jüngst Gericht mir sollte tönen,
wie wünscht ich dies, wie lacht ich der Posaunen,
dem neuen Lebensgeist recht zum Erstaunen
wüsst rasch ich mich der Ruhe zu entwöhnen.
Kein Mittel suchte ich mir zum Versöhnen.
Der meine liebe Frau zu Tode haute
und mit ihr mich und alles mir Vertraute:
er sollte mich nicht abermals verhöhnen.
Ihn spürt ich auf, ihn packt ich an den Haaren,
aus seinem Dämmerschlaf halb erst beendet
entriss ich ihn des Grabes sanftem Himmel,
Und alle Welt sollte es dann erfahren,
wie er der Liebe Eigentum geschändet,
im Ohr der Totenglöckchen schön Gebimmel.
Dr. Medici: Dann kann ich jetzt ja wohl gehen. Überhaupt, hab ich jemals auf einen jüngsten Tag gewartet? Weiß ich nicht schon lange, dass es nie zu einem solchen Tag kommen wird und dass alle die Erzählungen nichts sind als Träume der Kinderzeit? Die Erde ist nicht der Mittelpunkt des Alls und der Mensch nicht die Vollendung aller Lebensschöpfung. Die Erde ist nichts als ein Hinterhaus im Sonnensystem, welche selber nur ein G5-stern ist im Reigen der Milchstraße, die sich dann ihrerseits in den Myriaden der Milchstraßen verliert. Und erst der Mensch! Was ist der Mensch? Was anderes als eine ruchlose Kreatur, die ihr Dasein einer Reihe von Zufälligkeiten und Katastrophen verdankt. Denken Sie nur an jenen Meteoriten, der vor einigen Millionen Jahren im Golf von Mexiko auf die Erde einschlug. Erst seit dieser Zeit, das wissen wir doch, konnten, in Symbiose mit den blütentragenden Pflanzen, die Säugetiere die Erde erobern. Wer aber mag glauben, dass nicht der nächste Meteorit im Anflug ist, und dass die Population der Menschen ebenso ausgelöscht wird wie die der Riesensaurier? Doch nicht genug. Wir wissen auch, dass diese unsere Erde niemals den Boden abgeben kann für eine neue messianische Welt. Fatal wäre es, ein neues Jerusalem auf ihr erbauen zu wollen. Denn es kocht und brodelt unter ihrer Oberfläche, und während sich die Platten verschieben, türmen sich Gebirge und öffnen sich Schlünde. Und einmal, in ein paar Milliarden Jahren wird die Sonne als roter Riese kommen und die Erde verschlingen. Mögen wir auch noch so schön berauschende Lieder singen: was wir wissen und kennen sind nur die messbaren Fakten und Manifestationen des Lebens. Und wenn unser Herz einmal nicht mehr schlägt, dann ist auch das allerletzte Liedlein gesungen. Auch Sie, meine Herren, sollten wissen, dass alles Lirum-larum von einem Gott und von der Ankunft eines göttlichen Reichs auf Erden auf nichts beruht als auf kindlich süßer Unwissenheit. Seit wir uns entschlossen haben, uns den modernen Naturwissenschaften hinzugeben, wissen wir, dass das Sein des Seienden nichts ist als die in jeweils anderen Formen in Erscheinung tretende und Raum und Zeit generierende Energie. – Und wenn ich hier noch etwas zu sagen habe, so dies, dass ich mich schäme, wenn ich daran denke, dass ich einmal der Vorsitzende der deutschen Katholiken und des christlich vereinigten Europa war, und zwar nicht, weil ich meine Sache schlecht gemacht hätte, sondern weil ich einer irrsinnigen Sache gedient habe! (ab)
Jesus: Wie schwer fällt es uns doch, das Böse aus unseren Herzen zu verbannen! O meine Brüder, verachten wir doch das Böse, indem wir es für nichts erachten! Rüsten wir uns nicht auf, um es zu bekämpfen, sondern bekämpfen wir es, indem wir uns nur noch dem Guten hingeben. Ja, meine Brüder, lasst uns nur die Ankunft des Guten, die Ankunft des Reichs Gottes erwarten!
Die Großmutter: (sie fällt vor Jesus nieder) O mein Meister!
Jesus: Mutter! Steh auf!
Die Großmutter: Danken will ich dem Herrn, denn er ist gut. Und seine Barmherzigkeit währet in Ewigkeit.
Großvater: Mein Weibchen! Du!
Jesus: Kommt alle, die ihr mühselig seid und beladen! Kommt und lasst uns zum Vater im Himmel gehen, dass er uns das Leben schenke! Er wird sich unserer Bitte nicht versagen! Du aber, Töchterchen, harre noch ein Weilchen hier aus, bis auch die anderen mitkommen!
(er geht)
Edith (schaut ihm nach, dann singt sie):
Im Weinhaus saßen wir
und haben nicht gesungen;
davon ist mir mein Herz
wie schweres Glas zersprungen ...
(Ein herrschaftlicher Raum mit einem großen Fenster nach Westen, mit Blick bergabwärts in die Ebene. Zwei Schreibtische, mächtig und prächtig wie für römische Konsuln, davor ein weiterer großer Tisch; sodann eingebaute Schränke, ein Kleiderständer bei der Türe, daneben eine Sprossenwand, ein Türhüter steht bereits an der Türe.)
(Die beiden Chefs, Annah und Kaiphah, treten ein. Sie begeben sich ans Fenster und schauen nach der Seilbahn, die das in der Höhe gelegene Schloss mit der Ebene verbindet.)
1. Chef: Bruder Kaiphah!?
2. Chef: Bruder Annah!?
1. Chef: Halten Sie für wahrscheinlich, dass wir heute noch Besuch bekommen?
2. Chef: Was für einen Besuch?
1. Chef: Herren von der großen Inspektion.
2. Chef: Ich weiß nicht.
1. Chef: Halten Sie es immerhin für möglich?
2. Chef: Was ist schon unmöglich? Doch warum sollte ausgerechnet heute ein solcher Besuch stattfinden? Wegen der Inbetriebnahme der Kraftwerkanlagen nach der Flutung des Tals? Gewiss ist das für uns ein stolzer Tag, doch für die Lechem-Company kaum weiter von Bedeutung.
1. Chef: Gesetzt, sie kämen hier herauf mit der Bahn? Und wir würden sie sehen? Und nun wüssten wir auch, dass sie kämen, uns abzusetzen. Und wir, aus Notwehr, würden sie abschießen, noch bevor sie hier oben Fuß gefasst hätten? Gesetzt selbst, dass eine solche Maßnahme die neuen Anlagen in Mitleidenschaft ziehen würden, was meinst du, Bruder Kaiphah? Wofür würden wir uns entscheiden?
2. Chef: Was ist das für ein Zeug, das wir da reden? Hast du schlecht geschlafen?
1. Chef: Ich fürchte es fast auch. – (für sich) Leider gibt es Leute, die nicht den Mut haben, sich zu entscheiden! – (laut) Überhaupt, wo ist unser geheimer Sekretär, Adjutant Barabbas? Ich sehe ihn nicht, was mich verwundert, wo er es sonst nie an Pünktlichkeit fehlen lässt!
2. Chef: Er wird schon noch kommen.
1. Chef: Und wenn er getürmt wäre? Was meinen Exzellenz Kaiphah?
2. Chef: Er ist nicht mein Bruder und ich bin nicht sein Hüter.
1. Chef: Immerhin ist der Mann Mitwisser aller unserer Beschlüsse, kennt jede Notiz und hat Zugang zu allen Dokumenten, den öffentlichen wie auch den geheimen. Die kleinste Kleinigkeit, wenn sie ans Tageslicht kommt, kann uns den Hals kosten.
2. Chef: Gestatten, Exzellenz Annah, dass ich mich wiederhole! Ich bin Exzellenz Kaiphah und habe weiter nichts mit dem geheimen Sekretär zu tun.
1. Chef: Mancher hat sich schon eingeredet, nichts mit einer Sache zu tun zu haben, und hat es auch geschafft, sich davon restlos zu überzeugen. Umso größer war dann die Verwunderung, als er feststellen musste, dass es andere ganz anders sahen. (zum Türsteher): Rufen Sie beim geheimen Sekretär, Adjutant Barabbas, zu Haus an und erkundigen Sie sich, wo er steckt!
Türsteher: Sehr wohl, Exzellenz.
1. Chef (brüllt zum Türsteher): Und zwar plötzlich. Das geht nicht an, dass Adjutant Barabbas uns auf sich warten lässt.
Türsteher: Sehr wohl, Exzellenz
(Sie begeben sich zu einem Vorhang, vor dem sie Haltung beziehen, ehe sie ihn öffnen. Hinter dem Vorhang ist ein lebensgroßes Bild des Stifters der Lechem-Company verborgen, das lebendig zu sein scheint. Es zeigt einen den Buschmännern ähnelnden Alten, der verborgen hinter einem bemalten Schild mit einem Speer nach dem Betrachter zu zielen scheint. Sie machen Kotau und sprechen gemeinsam.)
Die beiden Chefs: Großer Lechem! Vater und Führer, sei uns gegrüßt. Lass deine Gnade über uns walten und gewähre uns Frieden. Lass uns unseren Dienst vor dir tun, wie immer er dir wohlgefällt, auf dass uns alle unsere Geschäfte gelingen und wir die Feinde besiegen, die dir nach dem Leben trachten. Sollten wir aber einmal im Begriff stehen, etwas falsch zu machen, so leite uns in aller Behutsamkeit zurück auf den rechten Weg. Du allein weißt, was gut für uns ist und was uns ziemt.
(Nachdem sie den Vorhang wieder zugezogen haben, begeben sie sich zu ihren Schreibtischen, wo sie nachsehen, ob die wichtigsten Dokumente noch da sind und nehmen dann ihre Arbeit auf. Derweilen kommt der Narr durch eine schmale Pforte in den Raum. Er hat Brosamen bei sich, mit denen er Vögel und Kleintiere füttert, die durch die Löcher und Ritzen der freien Wände schauen.)
Narr: Putt, putt, putt. Ihr kleinen, nimmersatten Vöglein. Kommt herbei! Goliath bringt euch euer Brot. Putt, putt. Auch du, gewiss, auch du darfst kommen. Alle Vöglein dürfen kommen, nur keine Schaben und Wanzen. – Für alle haben wir Brot. Hast du noch immer nicht gehört? Das ist unerträglich, wie du dich aufführst! Nein, das gehört sich nicht. Zank und Streit und Brotneid! Auch du solltest dich etwas besser benehmen. Meinst du, weil du dich gestern fortgepflanzt hast, du hättest alles getan und alles läge hinter dir und du könntest den Kasper spielen, wie es dir gut dünkt?
1. Chef: Das ist unerträglich. Da kann man nicht arbeiten. Sieht er nicht, dass wir am Arbeiten sind?
Narr (leise zu einem Tier): Sieht er nicht, dass wir am Arbeiten sind?
2. Chef: Von den Dokumenten ist bei mir nichts abhanden gekommen.
1. Chef: Bei mir, wie es scheint, auch nichts. (zum Türsteher) Noch immer keine Nachricht vom Barabbas?
Türsteher: Alle 12 Sekretäre und alle 12 Sekretärinnen sind mit dem Fall beschäftigt; bislang noch ohne Erfolg. Zuhaus scheint er nicht zu sein. Jedenfalls nimmt da niemand ab.
1. Chef: Dann schalten Sie die Überwachungsanlage ein!
Türsteher: Exzellenz Annah haben seinerzeit ausdrücklich beim geheimen Sekretär Barabbas eine Ausnahme gemacht. Bei ihm haben wir keine Wanzen installiert. Damit sich nicht ein Unbefugter unbemerkt Zugang verschaffen könne.
1. Chef: Muss er mir immer widersprechen?
Türsteher: Es ist die Wahrheit!
1. Chef: Auch die Wahrheit mag ich nicht, wenn sie mir widerspricht.
Narr: (zu einem weiteren Tier) Hat er nicht gehört? Wir hassen das, wenn man uns widerspricht! Ich, mein Herr, habe zusammen mit Kanzlern und Ministern die Schulbank gedrückt und habe es immerhin bis zum staatlich bestätigten Narrenexamen gebracht. Du aber, was hast du vorzuweisen ausser deinem Unwert? Ja, mein Herr, Sie sollten etwas bescheidener werden! Sonst führt das zu einem bösen Ende.
Türsteher: Exzellenz!
1. Chef: Was ist? Ist der Barabbas gefasst?
Türsteher: Noch nicht!
Narr: Mon dieu! Schon wieder dieser Widerspruch.
Türsteher: Nirgends in der Stadt scheint er zu sein.
Narr: Das auch noch!
Türsteher: Ich wollte Ihnen ...
1. Chef: Er hat mir nichts zu wollen.
Türsteher: Ich wollte ja auch nicht ...
1. Chef: Dann halt er das Maul!
Türsteher: Ich meine ja nur, wenn wir ...
1. Chef: Halt er das Maul!
Türsteher: Wenn wir zwei drei Leute abordneten ...
1. Chef: Will er nicht still sein!?
Türsteher: um eine Hausdurchsuchung ...
1. Chef: Warum sagt er das nicht gleich? Ordne er zwei Männer ab in seine Wohnung!
Türsteher: Mit dem üblichen Auftrag?
1. Chef: (nickt zustimmend) Alles streng geheim.
Türsteher: Sehr wohl Exzellenz!
Narr: Eine nette Kommunikation das! Wer von euch Biestern meint, er könne mit mir Katz und Maus spielen, dem soll es von nun an ebenso erfahren. – Was stört er mich? – Wollte er mir etwa? – Er hat mir aber nichts zu wollen. – Was? Er wollte ja auch nicht ... – Dann halt er doch das Maul! Und dass er mir nicht anfängt, nur zu meinen ... Halt er das Maul!
2. Chef: Was macht der Narr da? Verschweigt man so die Geheimnisse?
Narr: Meint er mich?
2. Chef: Gibt es noch einen Narren im Raum?
Narr: Man müsste sich umsehen! Wenn er aber mich meint, so entgegne ich ihm, dass einem ein verordnetes Nicht-Tun oft schwerer fällt als ein diffiziles Tun.
2. Chef: Beschränk er sich nur auf das, was er zu tun hat.
Narr: Das tu ich ja, indem ich für die Undurchdringlichkeit der Wände sorge.
(Das Telefon klingelt.)
1. Chef: (hebt ab) Exzellenz Annah. Wer dort?
Stimme: Der Kommandant am Schlossberg
1. Chef: Sind die Rädelsführer festgenommen?
Stimme: Wir haben leider noch niemanden aufgegriffen.
1. Chef: Schon wieder "leider"? Wie oft soll ich mir dieses Wörtchen noch anhören?
Stimme: Entschuldigen Exzellenz. Ich wollte nur sagen, dass wir noch niemanden aufgegriffen haben.
1. Chef: Warum drückt er sich nicht gleich so aus?
Stimme: Vizekommandant Dreizehner scheint einige der Rädelsführer zu kennen.
1. Chef: Vizekommandant Dreizehner? Das ist allerdings interessant. Hat er Beweise?
Stimme: Sie essen geheime Speisen und trinken geheimen Wein ...
1. Chef: (das Gespräch abrupt beendend, zum Türhüter) Sofort eine Eliteeinheit zum unteren Ende des Schlosssteigs und eine zum oberen Ende! – Und eine hinüber auf den Schlossberg. – Und eine zum Waldsee, zum alten Hospiz!
Türhüter: Sehr wohl, Exzellenz! (gibt von der Tür aus die Weisungen weiter)
1. Chef: Ist das nicht unfassbar? – Ich frage Sie, Herr Kollege, ob das nicht unfassbar ist?
2. Chef: Völlig unfassbar.
Narr: (nebenbei) Und ich soll Ihnen das nun unfassbar Gewordene wieder fassbar machen? Was für eine unfassbare Aufgabe.
1. Chef: Wofür haben wir die Kommandanturen mitsamt den Vizekommandanturen, wofür unsere Frühwarnsysteme, wofür unsere Eliteeinheiten? Hab ich´s nicht gesagt, dass das davon herrührt, dass nicht strikt auf Disziplin geachtet wird? Wer nicht tut, was wir anordnen, hat hier nichts zu suchen. Mein Herr!
2. Chef: Was ist Ihnen?
1. Chef: Schreiben Sie an alle Geheimdienste und Polizeipräsidenten auf dem weiten Erdenrund, dass die Lechem-Company die Auslieferung des geheimen Kanzleisekretärs, des Adjutanten Barabbas verlangt, wo immer man ihn antrifft.
2. Chef: (für sich) Ich? Warum soll ich das schreiben? Weil der geheime Sekretär fehlt? Schreib ers doch selber!
Narr: Ah, da strecken sie wieder ihre Ohren durch die Wand. Habt ihr nicht gehört, dass ihr nicht zuhören sollt? Weg da, hab ich gesagt! Ihr sollt euch verduften! – Aber es ist immer dasselbe. Da drängen sie sich vor und hören sich Sachen an, die sie nichts angehen, um dann von unserem geheimen Kanzleisekretär zu berichten, dass er darum bittet, wer immer ihn auffindet, ihn an sich auszuliefern. Doch das erlauben wir nicht. – Nein, das erlauben wir nicht! (Zu einem solchen Kopf jetzt) Mein Herr, hat er nicht gehört, dass er verschwinden soll oder will er hören, wie es gleich rauscht? – (zu einem anderen Kopf, ihn in den Bart greifend) Und Sie, mein Herr, verlassen Sie sich darauf, wenn Sie ihre Erledigungen nicht hinter sich bringen, sind Sie schon bald erledigt. – Was, da feixt er noch? Es nützt ihm nichts, wie sehr er sich auch wehrt. Erledigt ist erledigt. – Meine Herren, auch Sie bleiben gefälligst, wo Sie waren und stören uns nicht bei der Arbeit! Was drängen sie sich herbei, als gäb´s was zu sehen? Wer sind Sie, ein Kopf ohne Leib!? Sie sehen doch, dass hier streng geheim gearbeitet wird! – Da! Schon wieder so ein Gockelgesicht. Hinaus mit dir. Er täuscht uns nicht. Wir haben ihn längst ausgemacht! Dieser Herr wird von Tag zu Tag frecher. Jetzt macht er auch noch Anstalten, zu gackern zu beginnen? Mein Herr, hier ist nichts mehr für ihn zu holen.
(Franz kommt, wird aber vom Türhüter fürs erste davon abgehalten, ins Zimmer einzudringen.)
Türhüter: (zu einem seiner Untergebenen) Ah, dieser Barabbas! Noch immer also wissen wir nichts von ihm? – Und kein Mensch bedauert mich. Denn ich bin doch schließlich der Leidtragende, weil ich jetzt auch noch alle Arbeiten von dem zu übernehmen habe. Aber er soll es mir büßen. Oh, er soll es mir büßen! – (zu einem jungen Mann, der atemlos angestürmt kommt) Mein Herr, wer sind Sie und wie kommen Sie hierher?
Franz: Mühsal ist mein Name. Ich komme auf Empfehlung von Kommandant Dreizehner. Und muss ganz dringend Ihre Exzellenzen sprechen.
Türhüter: Mühsal ist sein Name? Und er muss ganz dringend Ihre Exzellenzen sprechen? Und hat eine Empfehlung? Mein Herr, was Ihre Mühsal angeht, so haben wir momentan hier schon genug davon. Und was seine Empfehlung angeht, so empfiehlt ihn momentan überhaupt nichts. Vielmehr ist sie dergestalt, dass es ratsam sein dürfte, Ihre Exzellenzen nicht zu sprechen. Kein Mensch muss müssen, sagte schon einer unserer genialsten Denker.
Franz: Was ratsam ist und was ich muss, weiß ich schon selber.
Türhüter: So so! Ungelehrig ist er auch noch? Ganz abgesehen davon, dass es hier immer nur einen Vizekommandanten Dreizehner gegeben hat.
Franz: Dann komme ich eben auf Empfehlung vom Vizekommandanten Dreizehner.
Türhüter: Aber so sind die Leute. Immer hoch hinaus. Als wär man schon, was man sein möchte.
Narr: Sie essen geheime Speisen und trinken geheimen Wein ...
Franz: Jedenfalls hab ich den beiden Exzellenzen etwas Schönes zu sagen.
Türhüter: Dass der Herr Vizekommandant ein Töchterlein hat, um dessen Hand sich Herr Mühsal bemüht? Ich glaube nicht, dass das für Ihre Exzellenzen ebenso schön klingt wie für ihn.
Franz: Lassen Sie mich nur machen!
Türhüter: Wo denken Sie hin?
Franz: Ich bin gekommen wegen des elterlichen Hauses, das ich als künftiger Erbe der Lechem-Company zu übermachen gedenke.
Türhüter: Das ist nicht mehr nötig; das haben wir längst geregelt.
Franz: Noch immer sind wir im Grundbuchamt als Besitzer eingetragen.
Türhüter: Im Grundbuchamt, im Meeresgrund.
Franz: Meine letzte Hoffnung ruht in diesem Zimmer!
Narr: Manch einer hat schon versucht, mit Eiern nach Hühnern zu werfen und hat nur Spatzen getroffen.
1. Chef: Wenns nicht gleich ruhig wird, passiert etwas.
Türhüter (schon draußen): Haben Sie´s gehört? Junger Mann, geh er jetzt, und zwar möglichst geräuschlos!
Franz (schon draußen): Lassen Sie mich! – Ich lass mich von Ihnen nicht bei Seite schieben. – Zu Hilfe!
Narr: Meine letzte Hoffnung ruht in diesem Zimmer! Eine originelle Idee. – Als ich noch jung war, dachte ich immer an meine letzte Hoffnung. Der Himmel wird mich doch nicht abberufen, bevor ich nicht an mein Werk die letzte Hand angelegt habe, sagte ich mir immer wieder. Ich pflegte damals himmelstürmende Werke unter der Hand zu haben, ohne dessen Fertigstellung ich mir die Welt nicht mehr schön und vollkommen vorstellen konnte. Inzwischen aber habe ich längst einsehen gelernt, dass uns genügt, bei allem ein Lächeln im Gesicht zu behalten. -
(während er bis unter die Decke klettert) Lumpengesindel und Eindringlinge! Ich habs euch gesagt. Weg da. Glaubt ihr, ihr dürft euch freuen, wenn Exzellenzen leiden? Wer es an Respekt vor der Autorität fehlen lässt, gleicht einem Fahrgast, der aus einem fahrenden Zug springt. Respekt muss man haben, zumal vor den Männern der Macht. Autorität verlangt nach Respekt. Und Respekt erzeugt und trägt Autorität. Hierbei darf auch etwas Angst mit im Spiel sein. Es ist dieselbe Angst, die denjenigen überkommt, der aus der Schwebebahn springen will, weil er Angst hat, dass die Bahn abstürzt. Wenn der Mensch die Autorität nicht mehr respektiert, wenn der Untergebene keine Angst mehr hat und keine Sorge mehr trägt, dass der Herr plötzlich vor seiner Türe steht und anklopft und Rechenschaft verlangt, kann man die Herrschaft den Weibern übermachen. Selbst ich als Narr muss vor mir Respekt haben, wenn es mir gelingen soll, mit diesen Eindringlingen fertig zu werden. Ich schulde mir einen solchen Respekt, dass ich, selbst wenn die ganze Welt gegen mich aufstünde, noch immer nichts anderes wüsste, als dass ich mir in Treue ergeben bin. Wenn ich mich verhalte, wie ich es mir schuldig bin, dann wird sich auch mein Stellvertreter verhalten wie er es schuldig ist. Und dann wird auch der Stellvertreter des Stellvertreters sich richtig verhalten. Und niemand vom größten bis hinab zum kleinsten Narr wird Respekt schuldig bleiben. Darum weg mit aller Kumpanei. Immer muss klar sein, wer das Sagen hat. Und wenn er auch hundertmal keine Kompetenz hätte! Wer das Sagen hat, hat die Kompetenz. Doch was ist das? Wagt es da noch einer, mit seiner Nase zuzuhören? Ziehen Sie Ihre Nase ein, mein Herr. Oder wundern Sie sich nicht, wenn Sie mit einem Deckel auf der Nase erwachen! -
Sie essen geheime Speisen und trinken geheimen Wein ... (er berührt jetzt zufällig die Decke, worauf, wie an einem Galgen, ein aufgehängter Judas aus der Wand fährt.) Holla, mein Herr! Haben wir Sie geheißen, bei uns zu erscheinen?
1. Chef: (er meint, es wär der flüchtige Barabbas) Der Barabbas! Da also steckt der saubere Patron!
Narr: Das ist nicht der Barabbas. Das ist der Judas! Der Judas Iskariot. Exzellenz Kaiphah können es bestätigen.
1. Chef: Ich brauch keine Bestätigung für das, was ich mit eigenen Augen sehe. Und schon gar nicht von einem Narren oder von einem, der bei einem Narren in die Schule gegangen. Deshalb sag ich es ihm, und er nehm es als einen Befehl, es ist der Barabbas.
2. Chef: Seit die Jesusleute im Dorf aufgetaucht sind, das heißt, seit das Dorf zur Flutung evakuiert wurde, ist auch der Judas da. Das ist leider eine Tatsache.
1. Chef: Schon wieder dieses "leider"!
2. Chef: (zum Judas) Mein Herr, sag er uns, wer er ist!
Narr: Er schweigt.
2. Chef: Ja meint er, ich höre nicht auch, wie er schweigt? Aber wir werden schon ein Geständnis aus ihm herausprügeln. Auch die Toten bringen wir zum Reden! Bring die Peitsche Narr!
Narr: Wenn Herrscher närrisch werden, was bleibt da einem Narren noch übrig ...
2. Chef: Und nun gib ihm Prügel.
Narr: (prügelt)
Judas: Herr Jesus, erbarm dich meiner!
2. Chef: Ja, mein Herr, so geht das, wenn man sich als Verräter betätigt! Am Schluss bleibt einem nichts anderes übrig, als sich aufzuhängen.
Judas: Herr Jesus, erbarm dich meiner!
Narr: Jesus hat er gesagt.
2. Chef: Jawohl. Herr Jesus hat er gesagt.
1. Chef: Als ob nur ein Judas "Herr Jesus" sagen könnte.
Judas: Herr Jesus ...
1. Chef: Halt er das Maul! Als ob wir den Barabbas nicht durchschaut hätten! Wenn ein Anschlag scheitert, dann bereut man, ihn ausgeführt zu haben und wünscht, nicht mehr der zu sein, der man einmal war. Aber dann ist es zu spät. Und merk er sich: nicht das mindeste Mitleid haben wir mit ihm. Wenn er nicht mehr unser ehemaliger geheimer Kanzleisekretär sein will, hat er ja Recht. Er ist es auch nicht mehr.
Narr: Judas, der Verräter.
1. Chef: Sag das noch einmal; dann hängst du neben ihm.
Narr: Ich wollte ja nur sagen, dass dieser Mensch Judas, der Verräter, nicht ist. Und dass sich kein anderer sehen lässt als der Verräter Barabbas. Wenn Exzellenz Annah es wünschen, dann bleu ich´s ihm so ein, dass er es für immer weiß.
2. Chef: Und doch wärs gefährlich, wenn wir glaubten, mit diesem Kerl das Problem des Barabbas erledigt zu haben.
1. Chef: Was geht mich an, was er glaubt? Mit seinen Altlasten hab ich nichts zu tun.
2. Chef: Das geht zu weit!
1. Chef: Wären Sie nicht da, so gäb´s hier keinen Judas.
2. Chef: Als ob Sie nicht auch das Dorf verlassen und hier herauf gezogen wären!
1. Chef: Wenn an diesem Kerl da auch nur ein Atom Judas kleben sollte, so sind Sie daran schuld. Sie allein.
2. Chef: Als noch jenes Drunten zählte, waren wir drunten die Herren. Seit aber dieses Hier-Droben zählt, sind wir es hier.
1. Chef: Was geht mich das an? Das müssen Sie mit sich selber ausmachen. Ich war nie Seelenhirt. Und nie hab ich mich dem Ehrgeiz hingegeben, die Leute selig zu machen. Dafür kannte ich die Menschen zu gut. (zum Narr) Und du kommst jetzt von da oben herunter! Und zwar sofort!
Narr: Ich komm ja schon! ( er steigt herunter und begibt sich in der Nähe des 2. Chefs)
1. Chef: Und jetzt weg mit dem Gespenst! Bevor ich auf drei gezählt hab, ist es weg!
Narr: Kommen Sie mit mir, mein Herr. Auf die Stiege hinauf, zum Nachtmahl! (zieht den gehängten Judas aus dem Raum, der 2. Chef hilft ihm dabei)
Judas (dabei): Herr Jesus, erbarm dich meiner wie auch aller, die keinen mehr haben, der für sie betet!
1. Chef: Halts Maul, du Idiot! (zum Narren) Und ihm sag ich: wenn er auch nur einmal noch so eine Missgeburt aus der Decke herauszaubert, dann reiß ich ihm die Rübe ab! Hat er verstanden?
Narr: Sehr wohl, Exzellenz!
Türsteher: Exzellenzen! Soeben vernehme ich, dass der geheime Sekretär Barabbas nicht zuhause ist.
Narr: Dummkopf. Wo wir ihn eben versorgt haben!
Türsteher: Er hat´s gerade nötig, mich einen Dummkopf zu schelten.
Narr: Besser, als wenn ihm seine Exzellenz sagt, was er von sich zu halten hat!
Türsteher: Gewiss, Exzellenz.
Narr: Und wenn sich der Barabbas verdoppelt, so soll, wo immer noch ein Exemplar von ihm aufgefunden wird, dasselbe sofort unschädlich gemacht werden.
Türsteher: Sehr wohl, Exzellenz. (nach draußen) Meine Herren!
(Drei Strichreiter treten ein. Der Narr nimmt ihnen die Mäntel ab und hängt sie auf.)
1. Chef: Was haben Sie uns zu berichten?
Narr: Berichten Sie ruhig. Die Regenmäntel hängen schon am Galgen.
1. Strichreiter: Wir haben getan, was wir vermochten. Es war ein Stück ungeheuerlicher Arbeit. Doch was kann man tun, wenn es mit höheren Dingen zugeht?
1. Chef: Sagt, was ihr zu sagen habt, aber mit Tempo!
1. Strichreiter: Nachdem wir den Befehl erhalten hatten, versammelten wir die Leute, die wir für die erprobtesten hielten, und zogen mit ihnen den Berg herab. Mit uns war der Lehrer, den Sie uns mitgegeben hatten. Er war es denn auch, der uns auf ein altes Hospiz aufmerksam machte, wo, wie er meinte, dieser Barabbas stecken musste.
1. Chef: Und? War er dort?
1. Strichreiter: Es war noch vor Sonnenaufgang, als wir dort ankamen. Da versuchten wir, uns Eintritt zu verschaffen, schafften es aber nicht. Wie sehr wir uns auch versuchten, wir schafften es nicht, uns einen Weg in den alten Felsen zu bahnen.
1. Chef: Was interessieren uns alte Felsen? Ob der Barabbas dort war, wollen wir wissen?
3. Strichreiter: Selbst der Herbergsvater nebenan sagte, er habe noch nie etwas von diesem Hospiz vernommen, außer einem nackten Felsen sei da nichts.
1. Strichreiter: Der Lehrer war aber entschlossen, sich mit Gewalt einen Zugang zu erzwingen.
2. Strichreiter: Erst stritten sie zwar noch, wobei der Lehrer den Herbergsvater ...
1. Chef: Zum Teufel mit eurem Gewäsch! Der Herbergsvater und der Lehrer und der Lehrer und der Herbergsvater.
1. Strichreiter: Sollten wir nicht den gesamten Bericht widergeben!?
2. Strichreiter: Sag, was der Fall war.
1. Strichreiter: Nachdem wir uns den Ort angesehen hatten, dachten wir daran, ein paar Leute oberhalb des Orts als Beobachter und Fernmelder zurückzulassen. Zu diesem Zweck stiegen wir eine kleine Anhöhe empor, wo sich der See befindet, den die Leute den See Genezareth nennen.
1. Chef: Zu was für einem See stiegen die Herren empor?
1. Strichreiter: Natürlich nicht zum See Genezareth.
1. Chef: Aber tief soll er sein, hab ich gehört. So tief, dass keiner jemals bis auf den Grund sieht, selbst wenn der See so still liegt wie der Tod und auch kein Stäubchen Schmutz ihn trübt.
1. Strichreiter: Überhaupt hab ich noch nie erzählen können.
1. Chef: Jetzt keine Faxen mehr!
1. Strichreiter: Nun gut, ich erzähl ja schon weiter! Wir hatten uns kaum ins Gebüsch geschlagen, da tat sich eine Türe auf.
2. Strichreiter: Er meint, dass sich in der Felswand eine Türe auftat. Aber das kann man kaum ausdrücken, weil es so etwas überhaupt nicht gibt!
1. Strichreiter: Und dann kam er heraus ...
1. Chef: Wer kam heraus?
1. Strichreiter: (er weint) Ich bin unschuldig. Dieser Mann ...
1. Chef: Ist es der Mann, der den Weg kennt vom Grund des Sees zur Unterwelt?
1. Strichreiter: Ich hab seinen Namen vergessen. Sag du es.
2. Strichreiter: Wir dürfen ihn nicht nennen.
3. Strichreiter: Wen wir gesehen haben, wissen wir nicht. Schließlich ist jener unbekannte Mann schon 2000 Jahre tot. Und einen Toten kann man ja wohl nicht gesehen haben.
1. Chef: Und als der Mann auf euch zukam, was tatet ihr da?
1. Strichreiter: Als der Mann auf uns zukam, riefen wir "Halt!"
3. Strichreiter: Ich nicht.
1. Chef: Das wäre aber seine Aufgabe gewesen.
3. Strichreiter: Ich wollte ja, aber etwas drückte mir den Mund zu.
1. Chef: Und wohin ging dieser Mensch dann?
1. Strichreiter: Aufs Wasser ...
1. Chef: Aufs Wasser? – Er stieg in ein Boot ein?
2. Strichreiter: Er ging aufs Wasser wie aufs Eis. Und zwei Begleiter gingen mit ihm.
1. Chef: Das Eis muss dick sein, wenn der See so tief ist! Oder nicht?
3. Strichreiter: Sie wandelten über das Wasser wie Schlittschuhläufer über das Eis. Exzellenzen müssen aber wissen, dass Morgennebel aufkam, der die Leute unseren Blicken entzog. Doch sprich du jetzt weiter!
1. Strichreiter: Soll ich?
3. Strichreiter: Du musst. Exzellenzen haben es so befohlen.
1. Strichreiter: Nun gut. Dann gab ich eben das Zeichen zum Feuern. Es traf aber keiner von unseren Leuten. Nachdem ich sah, dass keiner getroffen hatte, sagte ich: Auf! Lasst uns den See umkreisen, damit sie uns nicht den Schlosssteig hinauf gehen. Doch erzähl nur du jetzt zu Ende. Es war dein Vorschlag, den wir ausgeführt haben.
2. Strichreiter: Exzellenzen müssen wissen, dass wir, als sich der Nebel lichtete, niemanden mehr gesehen haben. Wir hörten Stimmen ganz in unserer Nähe, ohne jemand zu sehen. Sie sprachen davon, auf den Zion zu gehen. Das ist nicht mein Wort, sondern so drückten sie sich aus. Ich aber schrie dagegen, dass es da droben keinen Zion mehr gibt. Das war´s. Mehr gibt es nicht zu erzählen.
Narr: Das Ende vom Lied wäre also, dass sie es versäumt haben, dem Feind einen strohernen Bart zu flechten.
1. Chef: Deshalb beliebt uns, sie einzusperren. Dann haben sie die Zeit, zu bedenken, wie sie es das nächste Mal besser machen, wenn sie ihren Todesschlaf ausgeschlafen haben. (gibt einen Wink dem Türsteher. Der pfeift. Zweimal zwei Soldaten kommen)
2. Strichreiter: Aber ich bin unschuldig. Ich habe mit der Sache nichts zu tun.
1. Strichreiter: Auch ich bin unschuldig.
3. Strichreiter: Falls ich mich schuldig gemacht haben sollte, so habe ich nichts davon gemerkt. Deshalb bitte ich um eine milde Strafe.
Narr: O man kann auch milde aufgehängt werden.
(die drei Strichreiter werden abgeführt.)
Von draußen bei der Hundeklappe, durch die der Narr zuerst gekommen, rufen zwei Damen herein:
Damen: Hallo, Meister Goliath, mach die Türe auf!
Narr: (er legt die Leiter an und steigt zu einem Oberlicht, durch welches er hinaus schaut) Wer ist dort?
Damen: Mach die Türe auf, Narr!
Narr: (ruft) Das geht nicht so ohne weiteres!
Damen: "Mach die Türe auf!" haben wir gesagt.
Narr: Exzellenz Annah und Exzellenz Kaiphah haben heute weder Zeit noch Sprechstunde! Ein ander Mal!
Lizzi: Das ist unerhört.
Mizzi: Wir lassen uns von ihm nicht abspeisen.
Narr: Merkts euch für das nächste Mal. Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert.
Mizzi: Dann ziehen wir eben jetzt andere Saiten auf! Mach die Türe auf oder es soll ihm schlecht ergehen!
Narr: Und wenn ihr in die Posaune von Jericho blast, so passiert doch nichts.
Mizzi: Das werden wir ja sehen.
1. Chef: Was gibt es?
Narr: Die Damen. Immer halten sie dafür, das Wichtigste von der Welt zu sein. Und wenn sie es auch einmal gewesen sein mögen, das haben sie längst verspielt.
Damen: Aufmachen!
1. Chef: Lass sie herein!
Mizzi: Da siehst du! Aber der Pfennigtrottel muss immer alles besser wissen.
Lizzi: Wohin kämen wir auch, wenn die Narren über uns bestimmten!
(sie versuchen vergebens den Schoß der Exzellenzen zu besteigen)
1. Chef: Und nun geht wieder!
Mizzi: Wie?
Lizzi: Dem Schätzchen sein Plätzchen!
Narr: Ihr sollt wieder gehen! Habt ihrs nicht gehört? Ja, Ihre Exzellenzen kann man durchaus als Erzieher von höchstem Range bewundern. Indem sie euch zu sich bestellt und euch ihren Willen kundgetan haben, haben sie euch nicht nur den Bescheid erteilt, den ihr längst verdient habt, sie haben dadurch auch exemplarisch gezeigt, wie euresgleichen fürderhin erzogen werden sollte.
Mizzi: Und das müssen wir uns gefallen lassen?
Narr: Daran ist nicht zu ändern.
Mizzi: Wenn wir schon gehen müssen, dann gib uns wenigstens diesen Lümmel mit auf den Weg, auf dass wir unseren Mut an ihm kühlen.
Narr: Das würde euch so passen.
Mizzi: Wir kriegen ihn doch.
1. Chef: Nehmt ihn mit.
Narr: Was? Mich kriegen sie? Mich, dessen Immunität ebenso weit reicht wie die eines Abgeordneten??
2. Chef: Es gibt sonst keinen Narren, den sie mitnehmen könnten.
Mizzi: Verlass er sich drauf. Er wird uns den Abgang versüßen.
Lizzi: Ja, Ihre Exzellenzen kann man durchaus als Erzieher von höchstem Range bewundern.
Narr: Jerusalem, Jerusalem, ich fürchte, dass diese Schandtat nicht ohne Konsequenzen bleiben wird.
Türsteher: Nur keine Sorge
Narr: Auch dich, Hekataios wird es noch treffen.
Türhüter: Wie hübsch, dieser Abgang. Und wie er noch über mich seinen Unmut ausgegossen hat! Hekataios hat er mich genannt. Unzweifelhaft ein Gran Wahrheit. Auf gefährlichem Posten steh ich hier. Als oberster Türhüter mit scheinbar unerschöpflicher Macht und doch zugleich stets nur als Hüter dieser Türe. Ein wenig wohler wär mirs schon, ich hätte herausgefunden, wo dieser Barabbas steckt!
(Jetzt geschehen mehrere Detonationen. Das Schloss wackelt und der Vorhang zerreißt, so dass Lechem ein wenig ins Zimmer schauen kann.)
2. Chef: Mein Gott! Was war das? – Und jetzt schon wieder!
(Beide Chefs kriechen unter den Tisch.)
1. Chef: Hab ichs nicht gesagt? Der Lehrer und dieser junge Mann. Kaum dass sie sich in Sicherheit gebracht haben, gehen die Bomben hoch.
2. Chef: Oh, schon wieder!
1. Chef: Schon seit langem habe ich so etwas befürchtet. Aber dass das ausgerechnet heute auf uns niedergehen musste!
Türsteher: Jetzt freilich wird´s brisant. Mein Konto gerät in Bewegung. Nicht nur, dass ich Ihnen den Barabbas nicht hab herbeizaubern können. Dass ich jetzt auch noch Zeuge bin, wie die Herrschaften unter dem Tisch sitzen, das ist noch weniger gut. Noch nie hab ich mirs herausgenommen, Exzellenzen unter der Froschperspektive zu betrachten. Doch was will man machen, wenn sie sich jetzt mir ebenso aufdrängen? Wie kann ichs anstellen, dass sie meinen, ich sähe sie anders? Nehm ich am besten meine Zuflucht zum Gebet. Das kann mir ja keiner verübeln. (er schiebt jetzt den Vorhang vollends beiseite, so dass der Lechem die Chefs sehen soll. Dann betet er:)
Großer Lechem! Der du in deiner unerschütterlichen Weisheit die Welt regierst, ist es dein Wille, dass dieses hier zu unserer Prüfung geschieht, so lass es uns ruhig ertragen. Sollte sich aber eine feindliche Macht herausgenommen haben, sich wider dich zu erheben, so gib uns Mut und Kraft, uns auszuzeichnen in deinem Dienst!
1. Chef: Fehlen jetzt nur noch die Inspektoren, dass sie uns in dieser Lage sehen, Exzellenz Kaiphah!
2. Chef: Ich hab mir nichts vorzuwerfen.
1. Chef: So sagen sie alle, die ein Stückchen Macht haben. Aber wenn wir aus dem Inferno mit heiler Haut heraus kommen und es sich herausstellt, dass der Lehrer die Detonation ausgelöst hat, so soll er es mir büßen. Schon dass er sich erdreistet hat, einen toten Hasen uns auf den Tisch zu legen, war ungeheuerlich. – So geht das nicht weiter! So nicht! (zum Türhüter) Und er! Seh er nach, ob die Seilbahn noch in den Seilen hängt.
Türsteher: Zu Befehl, Exzellenz! (mit Fernglas ans Fenster tretend, dabei für sich) Wie gescheit! Wenn´s mich trifft, denkt er, trifft´s ja nicht ihn. Und doch gilt es jetzt, mit der nötigen Delikatesse zu Werke zu gehen. (laut) An der Seilbahn scheint mir noch alles in Ordnung. Die Gondel ist zwar mitten auf dem Weg stehen geblieben, indessen ist sie nicht in die Tiefe hinabgestürzt. Dass sie stehen geblieben ist, kann von einem Stromausfall herrühren.
1. Chef: Ist jemand drinnen?
Türsteher: Nebel flutet überall durchs Gelände. Kaum hat man etwas erblickt, ists auch schon wieder vorbei. Doch jetzt seh ich genauer. Exzellenzen mögen ganz ruhig sein; es ist nur eine fahrplanmäßige Routinebahn.
1. Chef: Hinauf oder hinab?
Türsteher: Hinauf.
1. Chef: Und niemand ist in der Bahn?
Türsteher: Niemand außer dem Personal.
1. Chef: Und sonst? Was sieht er noch?
Türsteher: Ansonsten wogt nur Nebel um den Schlossturm. Er formiert sich wie ein gegen den Himmel sich entfaltender Pilz, und Krähen seh ich, die schwarz in ihn hinein fliegen und weiß aus ihm auftauchen. Exzellenzen können sie hören.
1. Chef: (unter dem Tisch hervorkommend) Genug der Komödie!
Türhüter: Was soll das heißen?
1. Chef: Hinaus mit ihm.
Türhüter: Mit mir hinaus?
1. Chef: Hinaus!
Türhüter: Ist das der Lohn dafür, dass ich rücksichtslos gegen mich gewütet und mein Leben nicht in Sicherheit gebracht habe? Großer Lechem, kannst du dir das mitansehen und stumm bleiben?
1. Chef: Noch ganz andere Sachen wird er sich mitansehen! – Hinaus!
Türhüter: Aber bitte! Ich geh ja schon.
1. Chef: Er kennt den Ort, den man nur als ein Toter wieder verlässt. Dort geht er hin und tut, was er zu tun hat! – Und Sie mein Herr? Was machen wir mit Ihnen?
2. Chef: Was soll das heißen? Was für ein Ton? Was für ein Benehmen? Was für eine Sprache! Noch immer bin ich Exzellenz. So geht das nicht, mein Herr!
1. Chef: Die Zeit der römischen Republik ist zu Ende. Zwei Konsuln tun nicht länger mehr gut. Einer muss weg.
2. Chef: So geh er. Ich halte ihn nicht.
1. Chef: Da eilt er wie ein Verrückter unter den Tisch und ich, ich mach gute Miene zum lächerlichen Spiel? Und das vor einem Subjekt wie dem Türhüter. So kann man nicht herrschen, mein Herr! Sie haben mein Amt besudelt!
2. Chef: Ich hätte sein Amt besudelt? Wer hat denn heute Morgen damit begonnen, auf unwürdige Weise mir seine Ängste auszuplaudern? Wer hatte denn nötig, mich hinzuzunehmen, um an sich zu glauben? Dabei gilt doch, dass einer, der anfängt, nötig zu haben, an sich zu glauben, längst nicht mehr an sich glaubt.
1. Chef: (eine Pistole zückend) Los jetzt! Wirds gleich!
2. Chef: O, was ist das?
1. Chef: Ab mit ihm! Wirds gleich!
2. Chef: Verräter! (während er geht, gibt der 1. Chef Weisung, ihn kalt zu stellen.) Er braucht auch schon bald nicht mehr an sich zu glauben.
(Technische Kraftwerke etc. Davor stromführende Masten etc., von denen einige kaputt sind. Bei einem Masten, der ihm zum Verhängnis geworden, liegt Vizekommandant Dreizehner tot auf einer Bahre, von der er in einen Sarg befördert wird. Daneben seine Frau und ihre Tochter Regina. (Regina wartet im Stillen auf Franz, der aber nicht kommt.) Opfer der Detonation, die in Särgen, gefolgt von Angehörigen, auf dem Kammweg, Richtung Schloss, weggetragen werden. Dann auch Verwundete, die vom Chefarzt und seinen Assistenzärzten betreut werden. Auf der anderen Seite geht es ins Ötztal, wo man die Leute vom Dorf neu angesiedelt hat. Von Polizisten ist das Gelände abgeriegelt. Im Hintergrund instruiert der Kommandant Ingenieure. Dort könnte man allenfalls auch die beiden Alten vom ersten Akt sehen, wie sie schweigsam zusehen. Das Gelände aber überragt ein zerfallenes Kreuz auf einem Felsen, über welchem ein nebelgrau verhangener, nasser Himmel herabhängt.)
1. Ein Leiermann (etwas abseits, singt):
In seinem hohen Wolkenkahn
ein Himmelsschiffer stand,
vor sich den Himmelsozean
und unter sich das Land
Einer: Aufhören!
Leiermann:
Und unter sich das weite Land,
vor sich den Ozean,
einsam ein Himmelsschiffer stand
in seinem Wolkenkahn...
Einer: Aufhören, endlich!
Frau Dreizehner: Herr Doktor? Warum sagen Sie nichts?
Dr. Medici: (wie er den toten Vizekommandant Dreizehner in einen Sarg legen lässt) Was soll ich sagen, wenn nichts mehr zu sagen ist? Ich mag das Volk nicht, das sich an meine Lippen hängt, als wär ich ein Gott.
Frau: Hat denn mein Mann keine Chance mehr? Kann er es nimmer schaffen?
Dr. Medici: Sie sehen es doch selber, dass sich nichts mehr machen lässt! Kein Arm bewegt sich mehr, kein Fuß, kein Augenlid, kein Herzschlag. Nichts.
Frau: Aber es gibt Fälle, wo man gemeint hat, einer sei tot und dann kam er doch wieder ins Leben. – (zur Tochter) Sag du es ihm auch! Vielleicht hört er auf dich!
Tochter: Was soll ich sagen?
Frau: Dass er uns den Mann und Vater wiedergibt!
Tochter: Auch mein Franz ist nicht da.
Frau: Gegen deinen Vater ist dein Franz doch wohl nichts.
Tochter: Empfändest du wie ich ... Doch still! Still! (immer mehr für sich) Jetzt nicht an den schrecklichen Roman denken. Jetzt nicht daran denken, wozu man auf die Welt kommt! Jetzt nur ja nicht die Leidensgeschichten von neuem erleben. Genug, dass wir Leiden aufgetischt bekommen, bis wir satt sind.
Dr. Medici: (indem er sich Verwundeten zuwendet) Einfältiges Volk, das nicht gelernt hat, anzuerkennen, was wir nun einmal anerkennen müssen.
Frau: Und mein Mann hatte solche Angst, einmal tot zu sein, weil man ja doch nicht wissen kann, ob man wirklich tot ist.
Dr. Medici: Der hat jetzt keine Angst mehr. Das versichere ich Sie! Und wenn Ihnen das nicht reicht, so nehmen Sie sich in Gottes Namen ein Beispiel an den anderen Toten, die auch nicht mehr herummaulen. Einmal muss Schluss sein.
Tochter: (für sich) Dass nur nicht noch die Toten das Vorbild für die Lebenden werden!
Kommandant: (zu den Ingenieuren) Meine Herren! Beseitigen Sie alle technischen Schäden! Um den ehrenvollen Abtransport unseres Kollegen aber, des Vizekommandanten Dreizehner, werde ich mich jetzt selber bekümmern.
Frau: Versuchen Sie noch einmal alles, was in ihrer Macht steht!
Dr. Medici: Was versucht werden kann, hab ich versucht.
Kommandant: Da ist nichts mehr zu machen?
Dr. Medici: Wenn es nach Frau Dreizehner ginge, dann schon. Aber es geht nicht nach ihr. (zur Frau Dreizehner) Hätten Sie schon so viele Tote gesehen wie ich, so wüssten Sie, dass das Tot-Sein nichts ist als eine schlichte Tatsache. (zum Kommandanten) Aber diese Leute schaffen es nicht, mit ihrer Kleinheit und Feigheit zurecht zu kommen. Doch genug damit. Noch sind einige Leute da, die auf meine Hilfe warten.
Johannes: Es war einmal ein Mann; der wusste schöne Lieder zu schreiben; ja sogar die Melodien wusste er dazu so fein zu erfinden, dass sich nichts Schöneres hätte ausfinden lassen. Nur fehlte ihm das Talent, für seine Lieder auf den Märkten und Plätzen der Menschen zu werben. Er dachte bei sich: die Menschen werden sie schon hören; und dann, wenn sie ihnen durchs Ohr ins Herz gedrungen sind, werden auch die Lippen nicht verfehlen, sie zu singen. Leider aber täuschte er sich. Denn da er selber keine ganz volle und kräftige Stimme hatte und da er auch sonst eher unscheinbar und ärmlich daherkam, so winkte man ab, wann immer man ihn sah. Keiner wollte ihn hören. Wir haben unsere eigenen Lieder, sagten sie.
Paulus: O, Bruder. Ob das die Menschen waren, die unser Herr einmal erlösen wollte?
Johannes: Sie werden sich wundern, wenn der Tag des Gerichts anbricht.
Paulus: Ach, Bruder! Wir hätten die Lieder vom Reich Gottes singen sollen. Nachdem uns Jesus Christus seine Lieder vorgesungen und uns erzählt hatte von der wundervollen Botschaft, die sie enthalten, kannten wir doch den nur so schwer auffindbaren Anfang. Aber wir haben die Gelegenheit versäumt, sie so überzeugend zu singen, dass keiner hätte widerstehen können. Ich erinnere mich immerhin an ein Mütterchen im Hospiz. Es war alt und krank und war kaum mehr in der Lage, die Augen zu öffnen. Aber ihr Mann, auch ein alt gewordenes Männchen, lispelte und sang fast ohne Unterlass: Lieb Mütterchen, mein feines, Kyrie eleis, wobei er ihr das Haar streichelte.
Johannes: Dann gibt es doch wenigstens noch einen Menschen, der nach der Rettung durch unseren Herrn ausschaut.
Paulus: Und doch schmerzt mich zutiefst, wenn ich hören muss, der Herr Jesus hätte Leid in die Welt gebracht. Oder bringt einer, der kommt, das Leid der Welt wegzunehmen, dadurch ein zusätzliches Leid in die Welt?
Polizist: Meine Herren, kehren Sie um!
Paulus: (ohne auf den Polizisten zu achten) Wir glauben an die Gemeinschaft der Heiligen. Doch gibt es sie nicht, weil wir die Kraft hätten, uns zu verbinden, sondern weil uns die Kraft unseres Herrn so fest verbindet. Obgleich wir wissen, dass wir uns selber nicht trauen können, weil wir als Einzelne unzuverlässig sind und untreu, so sind wir doch vertrauenswürdig im Herrn. Er ist es, der in uns Zuverlässigkeit und Treue bewirkt, so dass wir brauchbar werden für seinen Tag!
Ein zweiter Polizist: Haben die Herren nicht gehört? Reizen Sie uns nicht. Unsere Finger sitzen am Abzug. Wir haben Weisung auf jeden zu schießen, der sich unseren Weisungen widersetzt.
Kommandant (in der Nähe des toten Dreizehner): Was für eine Erleichterung, dass der Dreizehner nicht mehr lebt. O ihr Herren in der Kanzlei, wie falsch schätztet ihr mich ein, als ihr glaubtet, ich hätte den Vizekommandanten gehätschelt wie einen Schoßhund. Als hätt ich nicht selber daran Interesse gehabt, diesen alten Kläffer loszuwerden! Immer diesen Vize im Nacken! Andauernd fühlst du dich überwacht und kontrolliert und angebellt. Zumal diese Augen, die von morgens bis abends voller Vorwurf und Neid auf dich gerichtet waren, was waren sie anderes als ein ewiges Gekläff? Auf nichts schien er mehr zu warten als auf eine Blöße, dass er an mir vorbei zöge und sich mein Amt aneignete. Doch das ist jetzt vorbei. Bis auf eine Minute vor dem Termin wollte ich warten. Wenn dann noch immer nichts passiert wäre, wollte ich ihn abknipsen und sagen, es sei eine Krähe gewesen, die ich hätte abschießen wollen. Nun aber geschah das Unvorhersehbare auf wunderbare Weise ganz von allein. Eine schwere Erschütterung durchzog das Gelände und riss den Vizekommandanten mit in den Tod.
Frau: (vom offenen Sarg aufschauend) Meine Herren, ist der Herr Jesus gekommen? Lassen Sie den Herrn Jesus zu mir.
Polizist: Da ist kein Herr Jesus. – Keinen Schritt weiter, mein Herr!
Johannes: (weiterschreitend) Der Herr hat uns gesandt, den Armen zu verkündigen die Botschaft vom Reich, den Gefangenen Befreiung, den Toten Auferstehung, und wohl dem, der keinen Anstoß an ihm nimmt.
Polizisten: (feuern auf Johannes, doch es entsteht nur etwas Rauch und Radau) Was ist das? Als könnten wir nicht schießen. (sie laden wieder) Dummes Gerede! Wir können schießen. Ausgezeichnet sogar können wir schießen. Sie werden es spüren, wenn wir ihnen ein Loch ins Fell brennen. Meine Damen und Herren, gehen Sie beiseite; diese beiden Herren sind zu exekutieren! (wieder nur Lärm und Rauch)
Frau: (auf Johannes zugehend, ohne den Lärm zu hören) Sohn, du, der Jungfrau Maria, erbarme dich meiner!
Dr. Medici: Wie oft muss man ihr sagen, das ist nicht der Herr Jesus? Seh Sie ihn nur an! Hat er nicht das Galgengesicht eines Inquisitors? – Aber so ist das Volk. Es würde auch einem Rattenfänger nachlaufen, wenn der sich für Ihren Herrn Jesus ausgäbe.
Polizist: Wenn ihr schon nicht schießen könnt, so holt die Leute heraus und macht sie nieder!
Kommandant: Seid ihr wahnsinnig? Untersucht die Leute auf Waffen und lasst sie lebendig. Lebendig werden wir sie den Exzellenzen überantworten, auf dass der Komplott möglichst rasch aufgeklärt wird.
Dr. Medici: Jawohl. Lasst sie. Wir haben schon genug Tote.
Frau: So ist keiner von euch der Herr Jesus?
Paulus: Gräme dich deswegen nicht, Frau. Auch in uns ist der Herr nahe.
Frau: Ihr Jünger meines Herrn. Wenn es in eurer Kraft steht, zu heilen, so seht da meinen Mann!
Dr. Medici: Keiner heilt, wenn nicht wir!
Frau: Diese Leute sind an seinem Tod schuld; sie haben ihn niedergemacht.
Paulus: Frau, vergib ihnen. Sie wissen nicht, was sie tun.
Frau: O, sie haben sehr wohl gewusst, was sie tun. Jawohl, das haben sie gekonnt. Sie sind an seinem Tod schuld.
Dr. Medici (zu Paulus): Nichts als Irrsinn und Lüge, in die sich diese Leute verrennen! Diese Herren (auf Ingenieure zeigend) können bezeugen, dass das nicht wahr ist.
Ingenieure: Jawohl, das können wir bezeugen. Vizekommandant Dreizehner ist selber schuld. An seiner Stelle muss man wissen, was man zu tun hat!
Frau: Das sagen sie nur, um sich die Stelle meines Mannes zu sichern. Wahrheit aber ist, dass man meinen Mann zur Reparatur gezwungen hat. Ich sagte noch zu ihm: Geh nicht, du hast Leute genug, deren Aufgabe das ist. Und wenn keiner gehen will, so zwingst du eben einen dazu. Weil aber keiner gehen und er keinen zwingen wollte, so ging er endlich selber. Und dann stieg er die Leiter empor und dann ist es zu dem tödlichen Zwischenfall gekommen, wobei ich den bösen Verdacht habe, dass man einen Stromschalter eingeschaltet hat.
Dr. Medici: Seien Sie vorsichtig, gnädige Frau, dass Sie niemand hört. Das ist böse Verleumdung, die jedes Gericht hart ahndet, sofern Sie dafür keine Zeugen herbeibringen.
Frau: Auch Sie waren dabei, mein Herr!
Dr. Medici: Als ob ich Experte wäre im Stromflicken.
Johannes: Frau, beruhige dich! Jesus wird kommen und dir deinen Mann wiedererwecken.
Frau: Gewiss, ich weiß, am jüngsten Tag!
Dr. Medici: So wahr ich lebe, kein Jesus wird ihn mehr erwecken. Auch nicht am jüngsten Tag.
Paulus: Wenn der Herr uns die Kraft dazu gibt, lebt ihr Mann wieder auf.
Dr. Medici: Wenn ich gesagt habe, Herr Dreizehner ist tot, dann ist Herr Dreizehner tot. Und zwar für immer!
Frau: Weil Sie nicht an die Kraft des Herrn glauben.
Dr. Medici: Konträr! Weil ich Wissenschaftler bin, gnädige Frau. Als solcher weiß ich, was der Fall ist!
Paulus: Sie werden dem Herrn kaum vorschreiben, was ihm zu tun möglich ist.
Dr. Medici: O, mein Herr. Kann es für Sie noch einen Zweifel geben, was sich hier zugetragen hat?
Polizist: Was im Dienst verendet, macht kein Gott mehr lebendig.
Dr. Medici: Hättet ihr euren Herrn Jesus nicht, ihr wärt längst in der tiefsten Melancholie ertrunken.
Paulus: Wir schämen uns nicht, das zuzugeben.
Dr. Medici: Ich aber versuche, wenn ich mich auch nicht deshalb rühme, ohne den Herrn Jesus zu leben.
Paulus: Mein Herr, wissen Sie, dass mich Ihre Ansichten tief berühren?
Dr. Medici: Dann berühren Sie doch den Mann! Fassen Sie ihn an! – Hier, nehmen Sie ihn bei der Hand! Schauen Sie ihm fest ins Angesicht und sprechen Sie zu ihm: "Steh auf!" Wenn Sie das geschafft haben, haben Sie auch mich berührt.
Frau: Warum berühren Sie ihn nicht? Sind Sie ratlos?
Paulus: Ich spüre eine Kraft in meinen Händen. Doch ich weiß nicht, ob ich von ihr Gebrauch machen soll.
Johannes: Ja Bruder, mir geht es ebenso. Vermutlich dienen wir dem Herrn mehr, wenn wir auf ihn warten. Wenn er das Wunder vollbringen will, wird er es vollbringen. Er muss gleich da sein.
Dr. Medici: Faule Ausrede, nichts als faule Ausrede!
Polizist: (mit seinem Gewehr fuchtelnd) Ich halt es nicht länger aus. Der nächste, der mir vors Gewehr kommt, ist des Todes! Und wenn ich ihn mit dem Kolben erschlage.
Paulus: Ist das alles, was Sie können?
Polizist: Er solls gleich sehen.
Dr. Medici: Nein, lassen Sie das! Auf meine Verantwortung! Wir brauchen nicht noch mehr Tote.
Frau: Wenn alle gläubig wären, würden wir das Kreuz in den Wolken des Himmels sehen und die Wolken vom Blut des Erlösers getränkt und den Erlöser zur Rechten des Vaters.
Dr. Medici: Das Weib ist wahnsinnig.
Paulus: Müsste ich wahnsinnig sein, um gerettet zu werden, ich bäte den Herrn um den Wahnsinn.
Dr. Medici: Mein Herr! Wir alle sind nur Tiere, unerlösbare Tiere. Wer uns erlösen will, hat sich getäuscht. Unsere Natur erlaubt keine Erlösung. Auch Sie, mein Herr, sind nichts weiter als ein Tier, wenngleich ich gut begreife, dass Sie gern mehr wären. Auch ich wär gern der höchste Himmelsherr. Weils aber unmöglich ist, begnüg ich mich damit, als Professor der Medizin meinen Stolz in Schranken zu halten. Doch bitte, wenn sich die Herren als wundertätige Magier versuchen wollen? Hier, zeigen Sie Ihre Kunst. Warum lassen Sie die Frau zappeln? Haben die Herren Angst vor der eigenen Courage?
Paulus: O, mein Herr! Weder haben wir Angst vor der eigenen Courage, noch davor, dass Sie uns verlachen.
Dr. Medici: Meine Herren, wissen Sie, woran Sie mich erinnern? An schlechte Schüler, denen man eine leichte Aufgabe gibt. Weil sie aber wissen, dass sie die nicht schaffen, bitten sie um eine ganz schwere Aufgabe. Denn scheitert man an einer ganz schweren Aufgabe, so darf man sagen, man sei am Schwersten gescheitert. Unsereins dagegen wählt sich seine Aufgabe im Bereich des Machbaren und lässt sich dabei erproben. Und wenn ich noch den einen und anderen dieser Schwerverwundeten rette, so will ich damit zufrieden sein.
Paulus: O ja, wenn der Herr nicht durch uns hindurch wirkt und uns hilft, sind wir nur nutzlose Knechte.
Dr. Medici: Mein Herr, die Vorstellung, in einer Welt zu leben, die ein Narrenhaus ist, ist mir unerträglich.
Paulus: Wer in der Hoffnung auf den Herrn lebt, weiß, dass er schon Anteil hat an dem, was er erhofft.
Frau: Warum helfen Sie mir dann nicht?
Paulus: Frau, wer in der Hoffnung lebt, muss auch in der Hoffnung leiden; denn die Hoffnung dient zu unserer Bewährung, damit unser Lob erprobt sei für Tag des Herrn.
Dr. Medici: Hoffnung auf Glück macht unglücklich. Hoffnung auf Reichtum arm. Hoffnung auf ewiges Leben todkrank. Jawohl, mein Herr, Hoffnung bringt zur Verzweiflung. Drum sagen Sie ihr lieber, dass ein Mensch tot bleiben muss, wenn er tot ist! Das wäre zu verstehen. Das könnte sie lernen.
Paulus: Vor der Macht Gottes sind wir alle tot, wie sehr wir auch glauben, im Leben zu stehen. Nur indem er uns hält, stehen wir, bewegen wir uns und sind wir.
Ein Fremder: (der den Paulus kennt und von ihm erkannt wird, taucht plötzlich auf und verschwindet dann wieder) O der Herr Völkerapostel! Er predigt immer noch? Erinnert er sich nicht mehr an damals, als ich auf ihn traf und er mich missionieren wollte? Um einen Einzigen zu gewinnen, sagte er, ist mir kein Opfer zu groß. Da schaute ich ihn an mit einem tiefen prüfenden Blick und dann fragte ich ihn, ob er es ernst meinte. Ja, ganz ernst, sagte er zu mir. Dann sagte ich zu ihm, indem ich ihm einen intimen Blick gewährte, würdest du dir ein Leid antun, um mich zu retten? O ja, das würde ich tun, Bruder, sagte er. Und sah mich schon für sein Himmelreich gewonnen. Und dann tat er sich ein Leid an und glaubte, nun werde ich ihm treu zur Seite treten. Ich aber lachte ihn nur aus und eilte davon. Ich lachte ihn aus und die Geschichte ist aus! (er verschwindet wieder mit Gelächter)
Paulus: Verzeih ihm, Vater im Himmel!
Dr. Medici: O Arroganz der Ignoranz! Aber das ist ja typisch. Je unwissender und ungebildeter einer ist, umso stärker regt sich sein Glaube.
Frau: Vater unser im Himmel ...
Dr. Medici: Genug jetzt! Den Deckel darüber und ab mit dem Sarg!
Zwei Jäger und ein junger Jägergehilfe bringen Jesus als Gefangenen. Die beiden Jünger stehen vorerst etwas abseits.
Johannes: Sieh dort! Der Herr!
Paulus schaut sprachlos.
Einer der Jäger zum Kommandanten: Der Auftrag ist erfüllt. Hier bringen wir den Fang. Und leichter war´s, als wirs uns vorgestellt. Als wir das Gelände rings umstellt hatten, wo wir ihn ahnten, verkürzten wir den Kreis und unvermutet, plötzlich, stand er da. Ohne sich zu regen, zwischen Busch und hohem Gras, stand er da und schaute uns mit so stieren Augen an, dass mir war, als ob ein sterbendes Tier auf uns wartete. Wir aber ließen uns nicht narren. Langsam schritten wir auf ihn zu, das Gewehr im Anschlag, bis wir uns vergewissert hatten, dass er es war. Endlich, ich war eben nur noch einen Schritt von ihm entfernt, sagte ich zu ihm: "Freund, entweder bist du krank oder du stellst dich nur krank. Bist du krank, so hat das Leben für dich ohnehin keinen Sinn mehr. Stellst du dich aber nur krank, dann bist du gleichfalls krank, dann bist du nämlich in deiner Seele verloren."
Kommandant: Mein Herr! Sind Sie der neue Gott?
Jesus: Ich bin Jesus von Nazareth.
Der Jäger: Wie uns scheint war noch ein Zweiter bei ihm. Als wir aber hinkamen, war der aber weg.
Kommandant: Kann uns der Herr Jesus sagen, mit wem er konspiriert hat?
Jesus schweigt.
Kommandant: Mein Herr! Ich rede deutsch! Ich möchte wissen, wer der Verräter war!
Jäger: Wird´s bald!
Kommandant: Nun, dann wird man es eben im Schloss aus ihm herausangeln. Dort verfügt man über genügend Methoden.
der junge Jäger: Wenn ich sagen darf, was ich gehört habe, so war das ein gewisser Judas Iskariot. Der Herr da suchte ihn zu überreden, mit ihm zu gehen. Auf den Berg der Erlösung, wie er zu ihm sagte.
Kommandant: So so. Auf den Berg der Erlösung?
der junge Jäger: Das waren seine Worte. Judas aber weigerte sich.
Kommandant: Ein wackerer Judas
Frau: (will auf Jesus zueilen, wird aber daran gehindert; sie versucht zu rufen) Herr Jesus! Erbarme dich meiner!
Kommandant: Bindet ihn fest, dann kann er sichs überlegen, ob er nicht lieber verschwinden will, als sich zu erbarmen!
5. Am Schandpfahl
Jesus wird an einen Schandpfahl gebunden.
Paulus: Ich bin dieser Judas, ich bin der Verräter, weil ich das Gotteslob nur so unvollkommen verkündet habe.
Johannes: O Bruder Paulus, auch ich schäme mich, dem Herrn entgegen zu gehen! Noch hoffte ich insgeheim, er werde die Seinen mitbringen, auf dass sie mit ihm riefen: Vater unser im Himmel! –
Paulus: Wie kann er offenbar werden, wenn wir so versagen? O, ich kann nicht hinsehen, wie sie ihn binden.
Johannes: In der Einsamkeit wärs wohl leichter für uns geworden, fromm und gottwohlgefällig zu leben. – Doch komm, damit sie auch uns festbinden! (sie eilen auf Jesus zu) Herr Jesus. Wir sind nicht zum Sauerteig geworden. Erbarme dich unser.
Jesus: Steht auf, meine Brüder!
Paulus: Nicht eher, als bis man uns gewürdigt hat, dir zur Seite zu stehen.
Johannes: Meine Herren, was zaudern Sie? Nehmen Sie auch uns fest.
Jäger: Sollen wir die beiden Männer auch festbinden?
Kommandant: Lasst sie! (zum festgebundenen Jesus) Doch Sie, mein Herr, wie fühlen Sie sich? Drängt es Sie noch immer, sich an dieser Leiche zu versuchen? Oder erkennen Sie endlich, was man aus Ihnen gemacht hat? Erkennen Sie endlich, wie sehr Sie sich den Raum eingeschränkt haben zugunsten der Armen und Hungernden, aber auch der machtlos Machthungrigen? Reden Sie Ihrem Herzen gut zu, dass es Ihnen nicht länger einreden soll, Sie seien der Messias. Geben Sie der Menschheit Brot unter der Bedingung, dass sie die Macht anerkennt, ohne die sie nichts ist als ein Haufen kleiner, gemeiner Tiere!
der junge Jäger: Und das Fräulein Tochter steht da, als ob schon der Teufel unterwegs wär, sie abzuholen. Hat sie auf den Herrn Bräutigam gewartet und hat nun die Sprache verloren, weil er nicht mehr kommt? Aber das schickt sich doch nicht, auf den Bräutigam zu warten, wenn der Herr Vater tot daliegt.
Kommandant: Zum Teufel, was ist das? Warum kann ich auf einmal meinen Fuß nicht mehr bewegen?
Medici: Auch ich kann auf einmal meinen Fuß nicht mehr bewegen. Warum kann ich auf einmal meinen Fuß nicht mehr bewegen? Warum wollen die Füße nicht mehr vom Fleck?
Kommandant: Dabei bilden wir uns nur ein, sie nicht mehr bewegen zu können und blockieren uns dadurch selbst. Oder wir haben Angst, den Fuß zu heben, als ob wir kein festgefügtes Stück Erde mehr fänden.
der junge Jäger: Auch mir ist, als läg ich diesem Fräulein gebunden zu Füßen.
Medici: Meine Herren, der Wille ist es, der uns frei macht. Drum will ich. Ich will! Meine Herren! Ich will! (zu den Jägern und den Polizisten, als er keinen Erfolg hat) Hallo Leute, hört ihr mich nicht?
der junge Jäger: Um es ganz ehrlich zu gestehen: ich weiß nicht recht, was ich will.
Jäger und Polizisten: Auch wir können nicht mehr fort.
Ingenieure: ( auf Masten, Leitern etc.) Auch uns ist, als wären wir festgebunden.
Frau: (sie ist jetzt zu Jesus geeilt) Herr Jesus! Ich bin nicht würdig, dass du einkehrst unter mein Dach. Aber sprich nur ein Wort, so wird mein Mann wieder gesund.
Jesus: O Frau, ich wünschte, dein Mann wäre beim himmlischen Vater.
Frau: Man hat ihn ermordet! O ja, man hat ihn ermordet. Alle, die dir anhängen, werden ermordet! (sie verharrt im Folgenden beim Sarg)
Dr. Medici: Mein Herr! Falls Sie ein Gelüst überkommt, sich als der Heiland der Welt auszugeben, so haben Sie nur keine Angst! Tun Sie, was Sie nicht lassen können!
Kommandant: Lieber krepieren wir, als dass wir zu Kreuze kriechen!
Dr. Medici: Eines aber will ich Ihnen noch sagen, was ich ohnedies längst einmal gesagt haben wollte! Seit Anbruch der Neuzeit wissen wir, dass sich kein Mensch mehr einreden kann, ein von Gott gesandter Messias zu sein. Keiner vermag mehr seine Existenz mit einem übernatürlichen Auftrag in Verbindung zu bringen, weil sich nichts feststellen lässt, was über die Gesetze der Natur hinauswiese. Und noch ein Zweites wäre hier zu sagen. Dass nämlich, wer einmal gestorben ist, in keinen Himmel reist. Ein Ammenmärchen, wer da glaubt, es gäbe eine Offenbarung aus einer jenseitigen Welt. Und würden auch die Steine um Erbarmen schreien, niemals wird etwas anderes stattfinden als die Zusammensetzung und die Zerlegung materieller Bausteine. Drum weg mit all den ungesunden Halluzinationen! Wir brauchen keinen Heiland und Erlöser. Was wir brauchen sind Männer, die es verstehen, mit Apparaten nüchtern objektive Messungen durchzuführen und uns in den modernen Wissenschaften voran zu bringen.
Frau: Was stören Sie den Herrn Jesus bei seinem Wirken? Er wird mir meinen Mann erwecken.
Jesus: O Frau, es ist besser, dein Mann wird jetzt noch nicht erweckt.
Frau: Nur wegen dieser Leute da? – Jesus, Meister, wenn du es vermagst, so vernichte diese Leute da, ehe sie die Deinen vernichten.
Dr. Medici: Mein Herr! Gestatten Sie, Ihnen mitzuteilen, dass meine Achtung in dem Maß vor ihnen wächst, wie Sie sich der Vernunft überlassen! Jawohl, meine Herren! Man muss sich zufrieden geben mit dem, was uns determiniert, auch wenn man weiß, dass nach diesem Leben nichts mehr kommt.
Frau: Herr Jesus, rette mir meinen Mann!
Jesus: Wie heißt er, liebe Frau?
Frau: Thomas!
Jesus: So nimm ihn bei der Hand! – Ja so. – Und nun sage ich dir, Thomas, steh auf!
(der Mann richtet sich auf.)
Dreizehner: O Herr!
Jesus: Frau, nimm deinen Mann! Mann, empfange deine Frau!
Dr. Medici: Was ist das? Soll das ein Wunder sein? (er lacht gezwungen und wischt sich dann die Augen) O ihr Schwarzröcke! Habt ihr mir deshalb Blei in die Beine gegossen und mich betäubt, um mir ein Wunder weis zu machen?! Das würde euch so passen! Aber ich sehe kein Wunder. Ich sehe nur etwas, was ich jetzt noch nicht genau verstehe, was wir aber schon morgen entlarvt haben. Denn wer ein Wunder sieht, der ist verrückt.
Jäger und Polizisten: Leute, wir können wieder gehen!
Ingenieure: Wir auch!
Jäger und Polizisten: Als dieser Thomas da sich erhob, da hob es auch uns!
Kommandant: Auch ich kann wieder gehen!
Dr. Medici: (für sich) Ohne dass es jemand merkt, will ich erproben, ob ich auch wieder gehen kann. Doch bleib ich zum Trotz noch ein Weilchen stehen. Das würde ihm so passen, dass ich mich erhöbe, um mich vor Dank niederzuwerfen und die Welt mich verlachte!
Dreizehner: Herr, sag mir, was ich tun kann!
Dr. Medici: Sie, mein Herr, können überhaupt nichts mehr tun. Denn Sie sind tot!
Dreizehner: Ich bin nicht tot. Ich lebe!
Dr. Medici: Du bist tot!
Dreizehner: Jesus, mein Herr, sag, dass ich lebe.
Jesus: Thomas, du lebst.
Dr. Medici: Für mich ist er tot.
Frau: Schäm er sich, dem Herrn zu widersprechen!
Dr. Medici: Mein ganzes Können werd ich daran setzen, dass sich keiner lustig macht über die medizinische Forschung. Wir sind eine ebenso exakte Wissenschaft wie die Mathematik oder die Physik. Oder meinen Sie, ich lass mich zum Lügner abstempeln? Deinem Mann aber werden die Raben fressen und die Schar der Geier wird ihre Jungen damit aufziehen.
Die Frau: Der Herr erlaubt nicht, dass du seiner spottest!
Kommandant: (sich die Ohren zuhaltend) Genug des Geredes! Auf jetzt! Legt den Toten auf die Bahre und schnallt ihn fest!
Dreizehner: Ich bin nicht tot.
Dr. Medici: Jawohl. Schnallt ihn so fest, dass er auch keine Zehen mehr bewegen kann! Und überdeckt ihn mit dem schwarzen Laken!
Kommandant: Dann mögen Annah und Kaiphah bestimmen, was weiter zu tun ist!
Ein Jäger (auf die beiden Jünger weisend): Und diese Herren da?
Kommandant: Auf die müssen wir nicht achten! Die kommen von allein.
junger Jäger: Und Sie, mein schönes Fräulein! Darf ich Ihnen meinen Arm antragen? – Sie wollen nicht? – Als ob ich nicht wüsste, dass sie noch immer auf ihren Franz wartet! Aber ihr Franz kommt nicht mehr. Von ihm ist ihr als Andenken nur noch diese wundersam schöne Trauer geblieben. Ah, wie ich doch diese lieben Geschöpfe mag, wenn sie eine so feine Trauer umzittert!
Dr. Medici: (für sich) Ich aber will mir gründlich durch den Kopf gehen lassen, wie ich Bericht erstatte, dass ich mich nicht schämen muss ob dessen, was ich erlebt habe!
Paulus: Warte noch. Jetzt hab ichs.
Johannes: Was denn?
Paulus: Dass Gott sei alles in allem. Das war es, was ich mit Sicherheit über jenen Tag glaubte, sagen zu können.
Johannes: Das wird er auch immer sein.
Paulus: Doch damit war unverträglich, ja gänzlich unvereinbar, dass es noch eine Hölle gäbe und einen Menschen, sei es auch nur den Verräter Iskariot, der zur Strafe dort wäre. Wenn Gott alles in allem ist und wenn es eine Gerechtigkeit gibt, und wenn der Sohn Gottes nicht bereits dieses Werk vollständig geleistet hat: dann folgt daraus, dass es einer von uns sein muss, einer aus dem engsten Kreis seiner Jünger, einer seiner Lieblingsjünger, die sich dafür hergeben. O ich meine nicht dich, der du sein Herz erfreust. Ich meine mich, denn sieh, du warst bei ihm und hast dir nie etwas zuschulden kommen lassen; du hast ihm von Jugend auf das Herz erfreut. Ich aber habe ihn ja verfolgt ... Darum will ich mich für ihn hingeben. Und öffnete man auch alle Tore, so will ich doch dort bleiben. Ja käme Gott und fragte mich, so wollt ich ihn preisen, dass er mich gewürdigt hat, so zu leiden für den Tag der Herrlichkeit seines Sohnes.
(Das Wasser des Stausees steht bis zum Rand des Hauses. Kein Kirchturm ist mehr zusehen.)
(In der Ferne das Haus, auf das sie zugehen. Der Lar davor.)
Sie: Väterchen, bist du noch da?
Er: Wo sollte ich sonst verweilen? Ich halte dich doch an der Hand.
Sie: Und das da drunten ist noch unser Haus?
Er: Aber Liebling!
Sie: So gibt es uns noch, so wie wir da sind?
Er: Wie du nur daherredest! Weshalb sollte es uns nicht mehr geben.
Sie: Wie schrecklich mich diese stille Wasserfläche anschaut! Als wär alles Wirklichkeit, was wir erlebt haben!
Er: An den Stausee werden wir uns schon noch gewöhnen und an unser Haus, so dicht am See, und alles das andere.
Sie: Wie ich von oben geschaut hab, hab ich immerhin noch die Turmspitze aus dem Wasser herausschauen sehen.
Er: Du würdest wohl gar noch auf den Himmel verzichten, wenn wir nur unseren Kirchturm noch einmal sehen könnten?
Sie: Schöner wärs allemal gewesen, wir hätten unsere alten Körper im Wald zurückgelassen und flögen jetzt wie ein Vogelpaar in den Himmel.
Er: Wie traurig du daherredest! Aber du hast ja recht; auch wenn wir nur wie zwei zerzauste und zerrupfte Vögel dort ankämen.
Sie: Wie mich das alles niederdrückt! Am liebsten ging ich ins Wasser.
Er: Aber Liebling!
Sie: War dir nicht auch, als wir droben auf dem Zion standen und der Herr erweckte den Vizekommandanten Dreizehner, als stünden wir auf seinen Schultern, und es bedürfte nur noch eines Hauchs aus seinem Mund; und sein Vater erschiene, und er höbe uns auf zum Himmel? Aber das Wort blieb aus. Warum sprach er das Wort nicht? Meinst du, es wäre ihm kein Leichtes gewesen, das zu tun?
Er: Man darf über diese Dinge nicht nachgrübeln, Liebling.
Sie: Auch die beiden Jünger schienen auf das große Ereignis zu warten. Immer wieder schauten sie auf zum Himmel und wenn sie auch nichts sagten, so schienen sie den Herrn doch unablässig zu fragen: wann o Herr, zeigst du endlich deine Macht? Doch der Himmel öffnete sich nicht und es tat sich nichts. Und auch wir blieben still und schauten zu.
Er: Was hätten wir tun sollen? Selbst für den Vizekommandant Dreizehner scheint der Herr Jesus nur noch eine düstere Prognose übrig gehabt zu haben. Mich würde es nicht wundern, wenn sie ihn wieder getötet haben. Der Arzt in seiner Wut war jedenfalls dazu in der Lage.
Sie: Wären wir doch in jenem Augenblick auf ihn zugeeilt und hätten ihn gebeten, jetzt endlich den Himmel aufzureißen!
Er: Vielleicht hätten auch wir unsere Füße nicht mehr bewegen können.
Sie: O doch. Ich habs ja ausprobiert. Ich konnte sie noch bewegen, ebenso gut wie Dreizehners Frau und die beiden Jünger. Nur die Schergen ...
Er: O Liebling, seien wir dennoch froh, dass alles so gekommen ist! Bedenk, was alles hätte geschehen können, wenn du zu ihm geeilt wärst? Wenn du ihn flehentlich unter Seufzern und Tränen bestürmt hättest, und er hätte dich gefragt, was wir für Franz getan haben?
Sie: O Väterchen!
Er: Gewiss, du hast nichts zu befürchten. Aber ich. Oder hab ich nicht unseren Franz verflucht? Und hätte er uns nicht auch deinen Vater vorhalten können, weil er ihm den Arzt aus dem Auferstehungshospiz vertrieben?
Sie: Er hätte es uns gewiss nie zum Vorwurf gemacht.
Er: Weil er nicht so taktlos und so gemein ist wie wir. Nein, nein. Da bin ich mir ganz sicher. Er hätte uns geschont und uns nicht weh getan.
Sie: Wär er doch nur gekommen und hätte mir weh getan. Dann wüsste ich jetzt wenigstens Bescheid und trüge für ihn alle Schande.
(Die zwei Jäger und der junge Jäger als Wache vor der Haustüre.)
Er: Aber da stehen ja drei Männer vor unserer Tür. Meine Herren?
Jäger: (schweigen und stehen still)
Er: (zum Lar) Was geht hier vor?
Lar: Karl ist gekommen.
Er: Wer ist gekommen? Unser Sohn Karl?
Lar: Wie ich gehört habe, hat er sich zum ersten Mann der Lechem-Company emporgearbeitet!
Sie: Wer ist gekommen, Liebling?
Er: Dein Sohn Karl, so sagt er wenigstens.
Sie: Unser Sohn Karl?
Er: Und zwar soll er inzwischen der erste Mann der Lechem-Company sein! Nicht wahr, das hast du doch gesagt?
Lar: So hab ich´s gehört.
Er: Haben dir das diese Männer gesagt?
Lar: Ihn selber habe ich so reden hören.
Sie: Ist es so? Und du hast uns die Wahrheit gesagt?
Lar: (nickt)
Sie: O ja, jetzt erinnere ich mich wieder, wie wir mit Jesus zum Schloss herüber gingen; ich hatte Angst und fürchtete, dass sie wieder die Todesstrafe über ihn verhängten, als alles plötzlich ganz still wurde im Schloss. So still wurde es, dass plötzlich sogar das leise Summen des Triebwerks der Seilbahn zu hören war. Ich sah noch wie ihre Exzellenzen Annah und Kaiphah sich mit einem langen Blick anschauten. Doch da kam auch schon ein nobler junger Herr aus der Kabine geschritten. Zuerst wollt ich es nicht glauben, aber dann merkte ich, dass der junge Herr unser Karl war. O eine Mutter erkennt ihre Kinder wieder. Ich rief noch: Karl, du unser Karl. Er aber schaute nicht auf uns. Er schien mich nicht einmal zu hören, während er auf Annah und Kaiphah zuging. Wiederum beugten sich alle vor ihm. Doch dann war auch das plötzlich vorbei. Ich schaute nach dem Herrn Jesus aus, sah ihn aber nicht mehr. Dreizehner aber lag wieder tot auf der Bahre. Mir war, als wäre etwas Unfassbares geschehen, was wir hätten aufhalten sollen und hatten es verpasst.
Er: Mag sein, dass man alledem eine Bedeutung beilegen kann; doch das mit Karl, dass er zum ersten Mann der Lechem-Company avanciert ist, glaube ich nicht.
Sie: O mehr noch, Papi! Hast du nicht bemerkt, dass Annah niemand anderer ist als unser alter Bürgermeister? Und Kaiphah der alte Pfarrer?
Er: Meinst du wirklich?
Sie: Natürlich haben sie mich so hässlich ausgelacht und es abgestritten, als ich es ihnen auf den Kopf gesagt habe, dass mir ihr Lachen noch jetzt in den Ohren steckt. Und dennoch wird jetzt alle Wahrheit kund. – Deshalb, meine Herren, beschwöre ich Sie, uns zu sagen, ob unser Sohn Karl zum ersten Mann der Lechem-Company avanciert ist.
Er: Wie sollen sie das wissen, wo sie uns nicht kennen.
Sie: Dann mag es uns der Lar sagen. Der Lar kennt uns und er kennt auch unseren Karl.
Er: Auch der Lar kann das nicht wissen.
Sie: Er kann uns aber sagen, ob er Karl hat nach Haus kommen sehen.
Lar: (nickt)
Sie: Warum sollte der Herr nicht unseren Karl zu seinem Werkzeug auserwählt haben? Auf dass endlich die Gerechtigkeit gedeiht überall auf der weiten Welt.
Er: Wenn nur die Jäger nicht wären!
Sie: Stehen nicht überall vor den Palästen Jäger als gutausgerüstete Wachen?
Er: Es sind immerhin die Jäger, die deinen Herrn Jesus verhaftet und abgeführt haben. Ich hab sie längst wiedererkannt.
Sie: Karl wird wissen, warum er sie ausgewählt hat. Es war doch Karl?
Lar: Gewiss, Karl hat sie hierher bestellt.
Sie: Siehst du! Oder hältst du es mit der Gerechtigkeit nicht vereinbar, dass ein Verfolger des Herrn zu seinem Diener wird? Talentiert war Karl schon immer. Er wusste stets, was zu tun war. Und strebsam war er und zielstrebig und ehrgeizig und freilich auch eminent fleißig, schonungslos fleißig bis zur Selbstvergessenheit. Aber dass er der erste Mann geworden ist, das kann er nicht aus sich heraus fertig gebracht haben; das kann nur auf Grund einer göttlichen Fügung geschehen sein. (zum Mann) O Tiefe des Reichtums, o Fülle an Weisheit und an Erkenntnis Gottes! Plötzlich fällt es einem wie Schuppen von den Augen und man versteht die Heilsgeschichte Gottes! Warum freust du dich nicht? Geht es dir nicht ebenso wie mir? Bedenk doch nur: dass die, die zuvor noch unseren Herrn und Heiland nachgestellt und ihn zu sich zitiert haben, dass eben diese Herren Annah und Kaiphah sich zu verantworten haben und in Verwahr genommen werden.
Er: Woher willst du denn das wissen?
Sie: (zum Lar) Nicht wahr, er hat sie in Verwahr genommen?
Lar: So hörte ich Karl sagen.
Sie: Von daher bin ich fest davon überzeugt, dass wir auch bald schon selber dem Herrn wieder begegnen. Selbst wenn Annah und Kaiphah versucht hätten, ihn noch einmal totzuschlagen: Jesus, einmal totgeschlagen, lässt sich nicht mehr totschlagen. Und wer weiß, ob wir dann nicht auch unseren Franz sehen zusammen mit Karl.
Er: Wenn nur Karl ihn nicht totgeschlagen hat.
Sie: O, mein Liebling, was sagst du? So wahr der Herr sich freut, wenn wir uns seiner Wohltaten erfreuen, so wahr werden uns auch unserer beiden Söhne erfreuen. (zum Lar) Beglücke uns mit deiner Freudenbotschaft, Lar!
Lar: Was Franz und Karl betrifft, so weiß ich nicht, was ich sagen soll.
Sie: Weil du nichts von den Plänen des lebendigen Gottes verstehst. Doch sage nur, was du gesehen und gehört hast.
Lar: Franz befindet sich im Haus.
Sie: Hier, in unserem Haus?
Lar: Diese Leute da stehen als Wache davor.
Er: So wäre Franz in unserem Haus gefangen und die Leute stünden davor als Gefangenenwärter?
Lar: Sie bewachen ihn als einen Verräter.
Sie: O so schweig er doch nur! Was soll denn das heißen? Er hat noch von Annah und Kaiphah den Schandnamen eines Verräters. Aber das ist vorbei. (zu den Jägern) Meine Herren, machen Sie die Türe auf! – Meine Herren, ich spreche zu Ihnen: machen Sie die Türe auf! Ich bin die Mutter dieses Gefangenen, den Sie bewachen.
Sie: Meine Herren! Warum sagen Sie nichts?
Lar: Es wundert mich nicht, dass sie nichts sagen. Karl hat sie zur Wache bestellt und hat Ihnen eingeschärft, niemanden aus und niemanden einzulassen.
Sie: Und Franz? Was hat Franz gesagt, als sie ihn gebracht haben?
Lar: Nichts hat er gesagt. Ich weiß noch nicht einmal, ob Franz noch am Leben war, als sie ihn gebracht haben. Karl aber hatte es eilig. Mit einigen seiner Leute machte er sich auf den Weg, den Stausee mitsamt den Turbinenanlagen zu überprüfen.
Sie: Und Franz wäre solange eingesperrt?
Lar: Brüder treiben solche Geschäfte, seit es Brüder gibt. So ist das.
Sie: Dann muss er mich hören, wenn ich ihm rufe. (sie ruft) Franz!
Lar: Sofern er noch am Leben ist und man ihm keinen Knebel in den Mund gesteckt hat, mag er es hören und mächtig genug sein, eine Antwort drauf zu geben.
Sie: Ich habe nichts gehört. Und du?
Er: Ich habe auch nichts gehört.
Sie: Still, lass mich noch einmal rufen! (sie ruft) Franz!
Er: Es ist wirklich nichts zu hören.
Sie: Ich muss lauter rufen. (ruft) Franz! Immer noch nichts. Ruf du. Du rufst lauter.
Er: Ich mag nicht rufen.
Sie: Warum nicht?
Er: Ich kann nicht.
Sie: Nimm es als eine Buße. Du hast ja selber gesagt, dass du an Franz einiges wieder gut zu machen hast.
Lar: (für sich) Wie beneidenswert schön sie gelebt haben! Ohne zu bemerken, dass sie in einer Welt gelebt haben, in der man Ärger kriegt, wenn man unfähig ist, einem mit einer Rasierklinge gegen die Kehle zu gehen.
Er: Vielleicht ist er schon tot.
Sie: Sag nur das nicht! Nicht einmal denken darf man daran!
Er: Gewiss hab ich einiges wieder gut zu machen. Aber auch er hat das nötig. Ruf ich ihm, dann vergisst er das wohl noch. Und bildet sich ein, nur sein Vater wär an allem schuld.
Sie: Vergib ihm, Väterchen!
Er: Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass du lange lebest auf Erden. Hat er das getan? Hat er dich nicht liegen lassen in all deinem Elend?
Sie: Vergib ihm, was er getan hat. Dann musst du nicht mehr daran denken.
Er: Was er mir getan hat, das will ich vergessen. Aber was er dir getan hat, das ...
Sie: Er hat mir nichts Böses getan.
Er: Hat dich nicht liegen lassen und ist davongerannt?
Sie: Noch immer sehe ich, wie er mir geholfen hat.
Er: Das bildest du dir ein, weil du ihm eine liebe Mutter sein willst.
Sie: (ruft) Franz! Ich beschwöre dich beim lebendigen Gott: Sag uns, dass du da bist und dass du stets unser lieber Sohn hast sein wollen!
Er: Er antwortet aber nicht.
Sie: Geduld, nur Geduld. Ich weiß, warum er schweigt. Weil wir ein klein wenig zu früh eingetroffen sind.
Er: Das versteh ich nicht.
Sie: Weil er uns zusammen mit seinem Bruder Karl überraschen will. Aber Karl ist noch nicht da.
(Zwei Bodygards neben Karl.)
Er: Da kommt er.
Sie: O ja. Da kommt er. Da ist er. Ja, nun soll sich alles aufklären. – Mein Karl! Mein guter Karl! Sei uns gegrüßt!
Karl: Was will das Weib?
Sie: O Karl. Du mein Karl. Du unser Karl. Ja, auch wenn du es noch nicht wissen solltest: er, der Himmel und Erde geschaffen, er hat auch dich geschaffen zu seinem Knecht. Ja, alles soll nun doch noch ein gutes Ende finden. Geh hinauf zum Zion und hilf dem Herrn Jesus. Dann wird er die Decke wegziehen, die schon so lange und so schwer auf uns allen lastet und wir werden den Menschensohn sehen zur Rechten Gottes.
Karl: Das Weib ist verrückt!
Sie: Kennst du mich nicht mehr? Ich bin deine Mutter.
Karl: (zu den Bodygards) Das Weib spinnt zwar, doch lasst sie. (zur Mutter) Wenn es jemals Zeiten gegeben, wo man glaubte, ein goldenes Zeitalter zur Auferstehung erwecken zu können, so sind sie vorbei! (zu den Jägern) Hat er die Schenkungsurkunde gebracht?
Jäger: (schütteln mit dem Kopf)
Karl: Geht hinein und seht nach!
Sie: Karl, mein Karl! Du musst ja nur den Anfang machen, musst ja nur glauben! Glaub deiner Mutter. Am Schluss, wenn du alles glücklich in die Tat umgesetzt hast, wirst du ausrufen: o wie leicht war das doch alles. – Nicht wahr, da drinnen ist dein Bruder Franz.
Karl: Ich muss es Ihnen noch einmal sagen: ich kenne Sie nicht!
Sie: Heißt du nicht Karl?
Karl: Was geht das Sie an? Es ist nichts als ein Zeichen, das man mit Höhe und Weite und Breite zu erfüllen und dem man Leben zu geben hat.
Sie: Denk daran, wer dir deinen Namen gegeben!
Karl: Viele heißen Karl.
Sie: Und dieses Haus hier? Ist es nicht der Alttalerhof?
Karl: Er ist der Lechem-Company schon lang ein Dorn im Auge. Deshalb haben wir ihr den Alttalerhof zum Geschenk gemacht.
Er: Das hast du getan?
Sie: Wohntest du nicht in diesem Haus?
Karl: Umso schlimmer für mich.
Sie: Und wenn ich dir sage, in welchem Zimmer du gewohnt hast? Wenn ich dir sage, wo das Schlafzimmer deiner Eltern gewesen und wo ich dich hingetragen habe, wenn du einmal krank warst: musst du mich dann nicht wiedererkennen?
Karl: Erzähl das, wem du willst.
Sie: O Liebster! Was soll ich dir noch sagen, damit du zu deiner Mutter zurückkehrst? Weißt du noch, wie du an mich herangetreten bist, den Vater zu bitten, dass er dir den alten Speer überließe, der uns noch aus der Väterzeit erhalten geblieben, dass du ihn in dein Zimmer stelltest?
Karl: Ich weiß von nichts und ich will auch von nichts etwas wissen.
Er: Lass gut sein, Mutter!
Sie: Der Himmel hat unser Wiedersehen gefügt, Karl. Und wie ich gehört habe, hast du auch deinen Bruder Franz mitgebracht.
Er: Hast du nicht gehört, dass er von uns nichts mehr wissen will?
Sie: Mein Liebling, er hat mit uns doch nur geschäkert und gescherzt. Das hat er auch früher schon so getan. Doch nun ist genug, Karl! Drum lass dich jetzt von deinen Eltern umarmen. Und dann sag deinem Vater, wie sich alles verhält, damit er nicht länger leidet.
Die Jäger (die zurückkommen): Er hat vom Gift Gebrauch gemacht.
Karl: Dann haben wir freie Hand.
Er: Hast du gehört, Mutter? Franz ist tot.
Jäger: Hinterlassen hat er nichts, keine Urkunde und keinen Abschiedsbrief.
Sie: Ist Franz tot?
Karl: Gnädige Frau, mischen Sie sich nicht in Dinge ein, die sie keine Bohne angehen.
Sie: Franz ist mein Sohn!
Karl: Wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist, so bringen Sie sich in Sicherheit, denn wir sprengen jetzt gleich das Haus! (zu den Jägern) Ans Werk, meine Herren!
Sie: Wären wir nur oben geblieben.
Er: Und dann hätte Jesus zu uns gesagt: Seid ihr nicht die Eltern meines Mörders?
Sie: Haben wir nicht gekämpft und sind gelaufen und wollten doch nur das beste?
Er: Ein Leben lang glaubte ich das Leben zu verstehen, bis ich zu verstehen begann, dass es unser Los ist, es immer weniger zu verstehen. Abgründe, nichts als Abgründe trennen uns jetzt schon von ihm. Nein, wir können uns das Leben nicht aussuchen. Wir müssen es erdulden!
(Während Karl mit seinen Leuten noch nachdenklich dasteht und zuschaut, erscheinen Mizzi und Lizzi am oberen Bildrand in ihren neuen Ballkleidern, mit Peitschchen und dem Narr an einer Hundeleine.)
Narr: (er singt etwas verhalten)
Dem Schöpfer aller guten Gaben
musst du das Schiefohr schon verzeihn,
und willst du einen Bruder haben,
musst du dein eigner Bruder sein!
Mizzi: Will er gleich kuschen?
Narr: Was bleibt mir anderes übrig?
Lizzi: Kommen die Herren endlich?
Karl: Marsch ab jetzt! (sie eilen zu den Damen)
(nur noch die beiden Alten sind jetzt zu sehen)
Er: (hat unter der Schwelle eine Luke geöffnet, die zu einem Grabraum führt) Komm! Mütterchen! Betten wir uns zur Ruhe! (sie zum Grab führend) Hier ist alle Sicherheit, die wir noch brauchen.
(wenn die beiden Alten in ihr Grab gestiegen sind, erfolgt die Detonation)
(man sieht vom Haus nichts mehr, nur noch das Postament mit dem Laren.)
O du, mein Heimatland,
wo meine Wiege stand,
sooft ich an dich denk,
zu dir mein Sinnen lenk,
erwacht mir in der Brust
des Lebens Lust.
Im Frühjahr üppig grün
voll Gras und Blumenblühn,
getränkt vom Himmelstau
hoch bis zur höchsten Au,
wo noch die Berge schön
im Schnee verwehn.
Indess' im Ackergrund
bis hin zur Abendstund
den Pflug der Vater zog,
eh er nach Haus einbog
beim letzten Vogellied
hungrig und müd.
Voll Halmen blinkend schön,
von Ferne schon zu sehn
im goldenen Sommerkleid,
bis dann zur Erntezeit
kraftvoll der Männer Hand
die Garben band!
Heil euch, der Väter Schar,
die hier versammelt war!
Die ihr am Abendherd,
geliebter Weibchen wert,
die Arbeit war vollbracht,
gescherzt, gelacht.
O Heimat, namenlos!
Tal, du, unsagbar groß!
Ob dich die Zung auch preist,
niemand weiß, wie du heißt.
Das Herz nur pocht dir zu
o Heimat, du!