{ Breisacher Geschichten }

Literatur von Martin Ganter

Personen

Bürgermeister Hüner

Oberkommissar Kriegbach

Fünf Jungpolizisten

Landrat Dr. Schröder

Pfarrer Fromm

Proteus, angeblich Vorsitzender Europas

Drei Begleiter von Proteus

Christl Ryne

Herr, Frau und Christl Ryne

Friedrich Tapfer

Oma Anastasia Diebus (gesprochen Di-e-bus)

Tante Emma

Psychiater Dr. Heilmann

Frau Zeiser

Frau Gustl

Lehrer Lang, pensioniert

Inhalt

1. Kapitel: Rynes Brautschau.

1. Abschnitt: Frau Zeiser kommt wegen eines Hochzeitskleides.

2. Abschnitt: Ein Hochzeitskleid

3. Abschnitt: Die Ganoven

4. Abschnitt: Weiter mit dem Hochzeitskleid

2. Kapitel: Polizeistation.

1. Abschnitt: Lied vom braven Polizisten.

2. Abschnitt: Bei den jungen Polizisten.

3. Abschnitt: Kriegbach kommt hinzu.

4. Abschnitt: Ganovenüberfall wird gemeldet

3. Kapitel: Wie Friedrich beim Psychiater auf eine Karriere bei der Polizei vorbereitet werden soll.

1. Abschnitt: Anamnese

2. Abschnitt: Spiel im Spiel

4. Kapitel: Wie Friedrich nach Haus kommt.

1. Abschnitt: Die Oma und Emma stehen vor dem Haus auf der Straße und schauen nach Friedrich aus.

2. Abschnitt: Friedrich kommt dazu,

3. Abschnitt: Ein paar der Jungpolizisten kommen hinzu.

4. Abschnitt: Zu Haus. Oma, Emma und Friedrich.

5. Abschnitt: Beim Briefschreiben.

5. Kapitel: Auf dem Münsterberg.

1. Abschnitt: Wie der Pfarrer, der Bürgermeister, der Landrat Dr. Schröder und Oberkommissar Kriegbach auf dem Münsterplatz zusammenkommen.

2. Abschnitt: Christl kommt auf den Platz.

3. Abschnitt: Wie der Lehrer Anton Lang mit dem Chor kommt.

4. Abschnitt: Proteus kommt hinzu.

6. Kapitel: Die Villa Diebus

1. Abschnitt: Proteus in eigener Sache.

2. Abschnitt: Proteus instruiert seine drei Leute.

3. Abschnitt: Wie die Ganoven ins Haus eindringen.

4. Abschnitt: Wie die Ganoven mit Friedrich und mit der Oma verfahren.

7. Kapitel: Nachts unterwegs.

1. Abschnitt: Kriegbach und Polizisten in einiger Entfernung vor dem Haus der Anastasia Diebus.

2. Abschnitt: Die Ganoven singen das Lied vom braven Ganoven.

3. Abschnitt: Friedrich und Proteus.

4. Abschnitt: Zusammentreffen mit Kriegbach und seinen Leuten.

5. Abschnitt: Proteus und Friedrich, auf dem Weg zum Briefkasten.

6. Abschnitt: Vor dem Briefkasten. Tiefdunkle Nacht.

7. Abschnitt: Das Mädchen im Koffer.

8. Kapitel: Späte Nacht im Festzelt

1. Abschnitt: Jugendliche und Proteus. Christl dabei mit Dr. Schröder.

2. Abschnitt: Wie Friedrich hinzukommt.

3. Abschnitt: Mitternacht.

9. Kapitel: Münsterberg. Im Morgengrauen.

1. Abschnitt: Pfarrer und Bürgermeister und Kriegbach vor der Kirche.

2. Abschnitt: Dr. Schröder und der Vorsitzende von Europa kommen hinzu.

3. Abschnitt: Wie der rote Audi noch einmal auftaucht und für Aufregung sorgt.

4. Abschnitt: Wie Kriegbach noch übrig bleibt und wie er das Schlusslied singt.

1. Kapitel: Rynes Brautschau.

(Es ist Samstag Morgen. Glockengeläute vom Stephansmünster herab. Kurz nach Beginn der Szene betritt Frau Zeiser, sehr alt und dünn bekleidet, den Laden; in einer billigen Tasche hat sie ihr altes Hochzeitskleid bei sich. Ein Glockenzeichen ertönt beim Öffnen der Ladentüre, worauf dann auch Frau Ryne von hinten in den Laden kommt. Einige Stühle. In einem Stuhl sitzt bereits eine Frau, Frau Gustl, und liest die Zeitung.)

1. Abschnitt: Frau Zeiser kommt wegen eines Hochzeitskleides.

Frau Gustl (eher für sich): Was ich da gelesen habe, das übersteigt alle Fassungskraft. So etwas! Oder kann man sich das vorstellen? Die Einbruchserie in Breisach will noch immer nicht enden! (sie liest vor) Gestern wurde schon wieder ein Einbruch verübt. Diesmal beim Chefarzt für Geburtshilfe und Gynäkologie, Herrn Dr. Bär. Auf seine Goldbarren sollen sie es abgesehen haben. Momentan ist noch nicht bekannt, wie viel sie mitgenommen haben. Hiesigem Kripochef Polizeioberkommissar Kriegbach gelang es noch, durch beherztes Eingreifen das Schlimmste zu verhüten. - Was sagen Sie dazu? Die Ganoven vermummt unter schwarzen Strümpfen! - Wenn Herr Kriegbach die Täter auch nicht mehr hat stellen können, so darf man doch hoffen, dass nun die Serie zu Ende geht. - Wie es scheint, bedienen sich die Gangster jedes Mal schwarzer Strümpfe und eines roten Audis.

Frau Ryne: Aber Frau Zeiser, was verschafft uns die Ehre. (ihr einen Stuhl anbietend) Nehmen Sie Platz! Und schlagen Sie die Decke um sich, damit Sie nicht frieren! - Und nun sagen Sie, was Sie zu uns führt?

Frau Zeiser: Was mich zu Ihnen führt? Hier!

Frau Ryne: (mit Blick auf die Tasche) Darf ich mal sehen?

Frau Zeiser: Das hab ich nur dabei, weil es weg muss.

Frau Gustl: Gestern noch hatten wir es von Ihnen, Frau Zeiser. Da hat Frau Ryne behauptet, Sie seien schon 30 Jahre tot. Ist das nicht verrückt? Und nun sind Sie da! Wohnen Sie noch immer draußen beim Glacis?

Frau Zeiser: Schon lange nicht mehr.

Frau Gustl: Morgen ist Patrozinium! Haben Sie davon schon gehört?

Frau Ryne: Deshalb ist Frau Zeiser ja zu uns gekommen.

Frau Gustl: Da ist was los. Breisach bekennt sich nämlich als erste Stadt zu einem Vereinten Europa. Das steht auf der Gedenkplatte auf dem Münsterberg, die dann feierlich enthüllt werden soll.

Frau Ryne: Wie ich gehört habe soll Ihr Schwiegersohn, der Herr Oberlehrer Lang, mit dem Münsterchor einen Gesang darbieten. Das ist doch Ihr Schwiegersohn?

Frau Zeiser: Mein ältester Schwiegersohn.

Frau Ryne: Und nun fragen Sie sich wahrscheinlich, was Sie dazu anziehen sollen?

Frau Zeiser: -

Frau Ryne: Nun, es muss ja kein Brautkleid sein.

Frau Zeiser: Ich komme aber wegen meines Brautkleides.

Frau Ryne: Nicht dass Sie meinen, ich hätte etwas an Ihrem Brautkleid auszusetzen. Ich hab nur ein Späßchen gemacht. Ich hab ja nur gesagt, dass man morgen am Patrozinium kein Brautkleid tragen muss. Man muss stets gut gekleidet einherkommen, aber zu viel ist zu viel.

Frau Zeiser: Man muss es ausbessern. Es hat die Flecken bekommen. Sie glauben gar nicht, wie schrecklich das war, als ich das bemerkt habe! Zuerst glaubte ich, es seien nur ein paar harmlose Stockflecken. Aber es sind Moderflecken, Frau Ryne, unwiderrufliche Moderflecken.

Frau Ryne: Dabei waren Sie mit ihrem Mann stets gut verheiratet.

Frau Zeiser: Es ist ja nicht nur mein Mann. Drei Töchter, Frau Ryne, das will etwas heißen.

Frau Ryne: Natürlich. Dazu kommen dann noch drei Schwiegersöhne; und dann drei Familien; und die haben wiederum Söhne und Töchter; und so geht das weiter, immer weiter, von einer Generation zur nächsten. Nur Eltern und Großeltern und Urgroßeltern stehen fest; aber die Enkel und Urenkel und Ururenkel, von denen weiß nur der liebe Gott.

Frau Zeiser: Wenn nur die Kinder und deren Familien keinen Anlass zur Sorge geben. Der ferneren Nachkommenschaft mag sich dann der liebe Gott erbarmen.

Frau Ryne: Vor den Flecken fürchten wir uns nicht, Frau Zeiser. Im Gegenteil. Da können wir zeigen, dass wir auch etwas von der Pflege der Kleider verstehen.

Frau Zeiser: Ich hab das Kleid nur mitgebracht, dass Sie es mir unbemerkt vernichten.

Frau Ryne: Und Sie wollen ein neues Hochzeitskleid?

Frau Zeiser: Ich brauche ein neues.

Frau Ryne: Selbstverständlich verkaufen wir Ihnen auch ein neues Kleid. Dazu sind wir ja da! Vor wenigen Tagen ist bei uns die neue Kollektion angekommen. - Da, schauen Sie! (zeigt ihr im Katalog Abbildungen) Ob da nicht etwas für Sie mit dabei ist? Heutzutage gibt es keine alten Frauen mehr. Ein jede Frau hat Sorge dafür zu tragen, dass sie adrett und jung und begehrenswert bleibt.

Frau Gustl: Aber Frau Zeiser. Sie machen ja ein Gesicht, als ginge die Welt unter.

Frau Zeiser: Ich bin unglücklich! O, wie bin ich unglücklich!

Frau Gustl: Weil Sie nicht mehr begehrenswert sind? Jeder hat seine Träume. Deren muss man sich nicht schämen.

Frau Ryne: Dazu hat Frau Zeiser auch gar keinen Grund.

Frau Zeiser: Wenn mich die Erinnerungen überkommen, weiß ich nicht mehr, wo ich bin.

Frau Ryne: Sie dürfen sich nicht der Angst ausliefern, Frau Zeiser. Wir alle tragen das gleiche Schicksal. Wer sich der Angst ausliefert, ist geliefert.

Frau Zeiser: Ich weiß, Frau Ryne, dass wir nicht der Angst nachgeben sollen. Aber es hilft mir nichts.

Frau Ryne: Früher einmal war das anders. Ich erinnere mich noch gut, wie Sie damals zu uns gekommen sind. Sie wollten ein Kleid für ihre jüngste Tochter. Hieß sie nicht Gretel? Und der Bräutigam, hieß er nicht Eugen? - Den Namen habe ich nicht vergessen, weil ich gemeint habe, der Bräutigam müsse Hänsel heißen. Ich war nämlich damals gerade in die Schule gekommen und träumte viel über Märchen.

Frau Zeiser: Ich wollte ihn eigentlich nicht zum Schwiegersohn; er hatte damals nämlich noch keinen festen Beruf. Und schließlich muss eine Familie von etwas leben.

Frau Gustl: Wars nicht, dass seine Eltern einen scharfen Hund hatten?

Frau Zeiser: Damals hatten wir in der Wohnstube Platz genommen, uns zu beratschlagen. Und damit niemand auf uns aufmerksam würde, hatten wir uns im Dunkeln zusammengesetzt. Zu sechst saßen wir um den Tisch. Meine drei Töchter und die beiden bereits vorhandenen Schwiegersöhne und ich. Keiner sprach etwas. Jeder hatte Angst, mit dem ersten Wort etwas Falsches in Gang zu bringen. So still war es, dass man jedes Mücklein hätte hören können, wenn es hinter unserem Rücken herangeschwirrt wäre. Ich aber spürte, wie das Zimmer immer voller und voller wurde. Immer mehr waren es, die sich hinter uns drängten und hereinkamen, dass mir war, als fasste das Zimmer schon nicht mehr die vielen. Meine Mutter und mein Vater waren mit dabei und Georg, mein Mann, den ich damals schon fast 20 Jahre verloren hatte. An der Wand aber hing noch immer das Bild mit dem Klatschmohn, das wir zu unserer Hochzeit geschenkt bekommen hatten. Einige von den roten Blüten und sämtliche grüne Blütenknospen waren durchlöchert. Das war geschehen, als nach dem Krieg Franzosen im Haus einquartiert waren. Gretel hatte ich mit dem Rücken zum Bild gesetzt. Sie sollte sich möglichst an nichts erinnern.

Frau Ryne: Eugen, ihr Schwiegersohn, ist dann aber doch noch ganz hoch aufgestiegen und hat sogar noch das Bundesverdienstkreuz erhalten, eh er dann freilich plötzlich von uns ging. Und nach der Entbindung des ersten Kindes folgte ihm seine Frau. Das Kind aber, das ist doch der Friedrich, der noch immer bei der anderen Oma wohnt!?

Frau Gustl: Machen Sie sich um den Sorgen?

Frau Zeiser: Da ist dann ja auch noch meine älteste Tochter Erika, die nach ihrem Schlaganfall todkrank zuhause liegt, nur von Anton, ihrem Mann, gepflegt. Und dann ist da noch meine liebe Trudel, die es bei ihrem Heinrich auch nicht so gut hat, wie ich es gern hätte. Und nun musste sie auch noch nach St. Blasien zu einer Nachbehandlung wegen Tuberkulose.

Frau Gustl: Der Junge von ihnen taugt wohl auch nicht viel.

Frau Zeiser: Der mit seinen zwölf Jahren, den lasst nur mal! Um den mach ich mir die wenigsten Sorgen. Aus dem wird schon noch was werden.

Frau Ryne: Aber über die Anastasia Di-e-bus, lassen wir nichts kommen, nicht wahr, Frau Zeiser. Es ist erstaunlich, was diese Frau in Ihrem hohen Alter noch leistet.

Frau Gustl: Auch wenn der Junge nicht recht gescheit ist im Kopf, wie die Leute sagen. Manche meinen, die Oma sei zu streng mit ihm.

Frau Ryne: Dabei ist der Junge jetzt auch schon über die Dreißig.

Frau Gustl: Das kann einem allerdings zu schaffen machen.

Frau Ryne: Wo die Christl nur bleibt? - Christl! Komm bitte in den Laden herunter!

2. Abschnitt: Ein Hochzeitskleid

Christl: Da bin ich doch, Mutter.

Frau Ryne: Wenn du so lieb sein willst, Frau Zeiser zu bedienen! Sie ist eine Kundin, die schon bei deinem Urgroßvater eingekauft hat und wünscht sich ein Hochzeitskleid. Hast du verstanden? Ein Hochzeitskleid!

Christl: Selbstverständlich, Mutter.

Frau Ryne: Dann kann ich solange die Kleinwarenkollektion auspacken gehen. (geht)

Christl: Ein Hochzeitskleid, sagte meine Mutter, soll es sein, Frau Zeiser?

Frau Zeiser: Ein Hochzeitskleid.

Frau Gustl: Fragen Sie aber bitte nicht nach, wer der Glückliche ist. Das will uns Frau Zeiser nämlich nicht verraten.

Christl: Schon als ganz kleines Kind hab ich mir gern die Brautpaare angeschaut, wenn sie nach der feierlichen Trauung aus der Kirche kamen.

Frau Gustl: Damals hab ich schon begonnen, von einer blühenden Hochzeit zu träumen. Schön gekleidet von den Schuhen bis hinauf zum Kränzchen im Haar. Das Hochzeitskleid dachte ich mir immer als das Prunkstück, als etwas Duftig-leichtes, Schwebendes, Lichtdurchflutetes, von himmlischer Liebe erfüllt.

Frau Gustl: (für sich) Das wird sich nun ja bald alles erfüllen. Einen promovierten Landrat findet man nicht alle Tage auf der Straße.

Frau Zeiser: Auf gar keinen Fall darf das Kleid Flecken bekommen.

Christl: Haben Sie schon einen Favoriten?

Frau Zeiser: Wie?

Frau Gustl: (für sich) Eine komische Frage!

Christl: Ich meine, haben Sie mit meiner Mutter schon ein Kleid in Aussicht genommen? - Nein? - Dann bring ich Ihnen einmal ein paar Kleider zur Ansicht. Z.B. dieses, oder ist es nicht entzückend mit den Wollängchen am Hals und mit den blauen Seidenschleifchen am Ärmel? - Aber zuerst müssen wir noch Maß nehmen. Darf ich? - Sie haben aber gewaltig abgenommen, Frau Zeiser. Schmeckt es Ihnen nicht mehr?

(Jugendliche, die Christl von außen sehen, klopfen ans Fenster.)

Stimmen: Hallo, Christl!

Frau Gustl: Was soll das? Lasst das gefälligst, ihr Räuber!

Stimmen: Hallo, Christl! Kommst du mit, heute Abend?

Christl: Ich weiß noch nicht.

Frau Gustl: Aufdringliches Volk, das einen bei der Arbeit stört!

Stimmen: Du musst unbedingt mit.

Christl: Geht nur wieder. Ich lass es euch noch wissen.

Frau Gustl: Außerdem hat Fräulein Christl schon längst Ihren Verehrer. Seine Exzellenz, den Landrat Dr. Schröder. Und ob der hingehen will, nicht wahr, Frl. Christl, davon hängt alles ab. Wohin des Königs Wille geht, dahin wird alles Volk gedreht!

Christl: Noch bin ich nicht seine Braut.

Frau Gustl: Nun, nun! Als junge Dame muss man sich halt entscheiden: entweder man nimmt einen älteren, gepflegten Herrn mit gemachtem Nest oder einen Habenichts und Grünschnabel, der dann im Alter zu einem passt.

Christl: Ich hol jetzt die Kleider, Frau Zeiser.

3. Abschnitt: Die Ganoven

Frau Zeiser: (für sich murmelnd) Er ist mein Verehrer am Tag des Herrn...

Frau Gustl: Was meinen Sie da? Sagten Sie etwas zum Landrat?

Frau Zeiser: Nichts zum Landrat.

Frau Gustl: Nach einem solchen Verehrer könnt ich mir fast jetzt noch die Finger lecken. Ein Landrat ist ein hohes Tier. Da geht man abends zu Diners, wird auf Bälle geführt und als gnädige Frau begrüßt; und an Sonntagen trifft man sich mal in dieser, mal in jener Hauptstadt Europas.

Christl (eilig zurückkommend): Ich hab mirs anders überlegt, Frau Zeiser! Ich hab meinen Vater gebeten, wenns Ihnen recht ist, die Kleider vorzuführen. Dann bring ich schon nichts durcheinander. Er hat fast dieselbe Figur wie Sie. Dann müssen Sie sich auch nicht mit dem An- und Ausziehen abquälen. Er ist noch in der Registratur, wird aber gleich da sein.

Stimmen der Jugendlichen draußen: Muss das sein? - Gehts nicht noch etwas stürmischer? - Überhaupt ist das hier ein Gehweg und kein Parkplatz.

Frau Gustl: Was gibts denn schon wieder? - Ein roter Audi und drei Männer, die aussteigen? Was wollen die hier? Die scheinen ins Geschäft zu kommen, Frl. Christl.

(die drei Männer treten ein. Türklingel)

1. Ganove: Wir brauchen schwarze Nylonstrümpfe. Die größten Nummern, die Sie haben.

2. Ganove: Hallo! Ist hier keine Bedienung?

Frau Gustl: Was brauchen Sie? Schwarze Strümpfe?

Christl: Meine Herren, ich bin eben dabei, diese Dame zu bedienen. Wenn Sie in Eile sind, ich kann meine Mutter rufen!

1. Ganove: Nichts da, Mutter rufen. Nichts da! Schwarze Strümpfe her und zwar plötzlich!

2. Ganove: Und dass sie sich nicht untersteht, den Raum zu verlassen.

Christl: Schwarze Damenstrümpfe? Wie viel Paare sollen es sein?

Frau Gustl (die Abbildung aus der Zeitung sich anschauend, für sich): Das sind sie!

1. Ganove: Bringen Sie alles, was Sie hier im Laden haben! Und zwar plötzlich!

3. Ganove: Wir gehören zur arbeitenden Bevölkerung. Und Zeit ist Geld, mein Fräulein.

Christl: Eigentlich führen wir nur Brautkleider, freilich mit den nötigen Accessoires.

1. Ganove: Bring sie endlich, was wir brauchen!

3. Ganove: Nylonstrümpfe für eine Trauerhochzeit. Und zwar plötzlich!

Frau Gustl: Sie machen Spaß, meine Herren? Nicht wahr!

1. Ganove: Nix da, Spaß! Wir meinen es todernst.

Christl: Meine Herren! Niemand wünscht sich ein unnötiges Unglück.

2. Ganove: Dann her mit die Strümpf!

Christl: Hier. Das ist alles, was wir im Geschäftsraum haben.

1. Ganove: Her damit!

Christl: Sie kosten 4 Euro das Paar. Und es sind eins zwei drei Paare.

1. Ganove: Hier!

(die drei Männer gehen wieder)

Christl: Warten Sie. Das Rausgeld. Ich habs gleich!

1. Ganove: Behalt Sie den Rest.

Frau Gustl: Meiner Seel, was war das? Wenn das kein Überfall war! Aber wir leben ja noch, Frl. Christl. Wir drei hier sind gleichsam die Überlebenden bei diesem Überfall. Und selbst die Ladenkasse lebt noch.

4. Abschnitt: Weiter mit dem Hochzeitskleid

Herr Ryne: (ein älterer Herr; er kommt in einem Brautkleid) Da wär ich nun also, Frau Zeiser. Wie gefall ich Ihnen? D.h. wie gefällt Ihnen das Kleid? Wäre das so etwa nach Ihrem Geschmack? Oder soll ich noch ein anderes holen?

Frau Gustl: Wir sollten die Polizei holen.

Herr Ryne: Wie? Warum?

Frau Ryne (herbeistürzend): Was gibt es denn?

Frau Gustl: Das war ein Überfall! Erst jetzt beginne ich das ganze Ausmaß der Katastrophe zu erahnen.

Herr Ryne: Was? Da war ein Überfall?

Frau Gustl: Schauen Sie doch aus dem Fenster! Wenn Sie Glück haben, sehen Sie die Ganoven noch in einem roten Audi!

Frau Ryne (am Fenster): Immerhin leben Sie noch, Frau Gustl!

Herr Ryne (beim Ladentisch): Und die Kassa ist auch noch da! Wie es scheint, fehlt nichts.

Frau Gustl: Hätt ich gewusst, was mir hier blüht, ich wär gewiss nicht gekommen.

Frau Ryne: Und du, Christl! Warum sagst du nichts?

Christl: Soll ich der Polizei anrufen?

Herr Ryne: Nur das nicht!

Frau Gustl: Aber Herr Ryne! Alles ist doch sonnenklar: die Räuber, der rote Audi und dann das Bild in der Zeitung. Oder will er mirs aus den Augen schwören? Das ist dieselbe Bande, die auch heute Nacht am Werk war.

Herr Ryne: Dann nehmen doch Sie sich der Sache an!

Frau Gustl: Dass man mir einen Kolben aufs Gehirn haut? Da dank ich ergebenst.

Herr Ryne: Oder Sie fordern die Jugendlichen auf, zur Polizei zu gehen. Auch die haben die Männer gesehen! Aber besser doch nicht. Besser ist besser.

Frau Gustl: Dass Sie, in Ihrem Aufzug, nicht gehen können, versteht sich allerdings!

Frau Ryne: (zu Herrn Ryne) Mach, dass du das Kleid ausziehst! Rasch, zieh es aus!

Herr Ryne: Ich wollte ja nur der Christl eine kleine Gefälligkeit erweisen. Aber macht, was ihr wollt. Lang bin ich so wie so nicht mehr hier. Dann zieh ich aus nach Spanien. (ab)

Frau Ryne: Ist das nicht schrecklich, Frau Zeiser? Und darüber haben wir nun ganz Ihr Hochzeitskleid vergessen.

Frau Zeiser: Ich wollte mir ja nur ein neues Kleid besorgen für den Tag des Herrn. Und jetzt musste auch noch das dazu kommen.

2. Kapitel: Polizeistation.

(6 Polizeianwärter. Sie holen die Zeitungen und singen das Lied vom braven Polizisten, ehe sie die Station betreten.)

1. Abschnitt: Lied vom braven Polizisten.

Des Morgens noch in aller Früh,

noch eh der Hahn sein Kikeriki

zum hohen Himmel kräht hinauf,

dass ihm das Hühnervolk steht auf,

wenn noch der Mensch schläft fest im Bett,

als ob mans ihm befohlen hätt,

sieht man den braven Polizist,

der lang schon bei der Arbeit ist.

 

Ja, eh die Sonne steigt empor,

mit offenem Aug, gespitztem Ohr

treibt durch die Straßen kreuz und quer

der brave Polizist umher,

dass er voll Spürsinn und Verstand

den letzten Gauner übermannt,

dem jetzt, nach durchrumorter Nacht

ersehnt der Feiermorgen lacht.

 

Er kennt sich aus, nicht eine List

entgeht dem braven Polizist.

Ob einer flieht und fährt verrückt

im Auto, die Verfolgung glückt,

und wirft sich einer vor die Bahn,

als wär des Lebens Werk getan,

auf bösen Wegen da und dort,

der Polizist holt ihn schon fort.

 

Selbst Abends, kommt man müd nach Haus,

zieht sich gemach die Stiefel aus,

sitzt da im Schlafrock wohlig müd,

ganz unbekümmert, was geschieht:

der Polizist hält draußen Wacht;

auf jeden Windhauch gibt er Acht,

schaut um sich und steht schussbereit,

gerüstet stets zu Kampf und Streit.

 

Geschaffen als Halb-Wolf, Halb-Schaf,

aus Herzens Grund lammfromm und brav.

Halb Edelmann und halb Kujon

erstickt im Keim er jede Unruh schon.

Dem Bürger aber, weit und breit

sieht mit dem Hund ihn, sprungbereit,

zum Schutz des Alls, im Leibe lacht

das Herz, so dastehn auf der Wacht.

2. Abschnitt: Bei den jungen Polizisten.

A. (=Bill): (als erster auf der Wache, indem er der Revierkatze die Türe öffnet)

B. (von außen): Wie gehts, wie stehts?

A.: Gut.

C. (von außen): Der Alte ist noch nicht da?

A. (mit der Stimme des Chefs): Mein Herr, wie reden Sie von mir?

C. (von außen): Jetzt hast du mich aber schön erschreckt!

D. (= Robert, eintretend): Meine Herren, schützen wir das All.

E.: Jawohl. Schützen wir das All, vornehmlich vor Schüttelfrost.

A.: Da nun das Totschlagen unsere Aufgabe ist, augenblicklich aber niemand zum Totschlagen da ist, so schlag ich vor, dass wir erst mal die Zeit totschlagen. Wie wärs? Machen wir wieder ein Weltmeisterschaftsskat in zwei Gruppen?

E.: Muss das sein? Ich hab heute keinen Bock.

D: Ich hab auch keinen Bock.

F.: Ich finde auch, dass wir vorsichtig sein sollten.

A.: Was habt ihr denn? Nur wegen dem dummen Europafest?

F.: Überhaupt heute, wo ihn die Titelseite der Zeitung bringt.

C.: Was für eine Titelseite?

F.: (die Zeitung hervorholend): Wie? Weißt du das nicht? Hier! Hat sich hervorgetan beim Dr. Bär, seines Zeichens Gynäkologe und Geburtshelfer. Da schau her! Da ist er abgebildet.

B.: Das muss eine Verwechslung sein.

A.: Das ist er. Da ist kein Zweifel.

C.: Wenn der Kriegbaum eine Heldentat begeht, muss er sie im Schlaf fertig bringen.

E.: Mancher schon zog nach Wolle aus und kam geschoren nach Haus.

F.: Immerhin soll er öffentlich ausgezeichnet werden.

A.: (mit Kriegbaums Stimme) Die Jugend braucht nämlich Vorbilder, meine Herren!

B.: Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie der Kriegbach einen Räuber in die Flucht schlagen mag.

A.: O, da sind schon ganz andere Sachen vorgekommen. - Bleibt es dabei?

D.: Es bleibt dabei!

A.: Nun gut. Dann spielen wir eben zu dritt. Und ihr übernehmt das Telefon und das Frühwarnsystem! (mischt die Karten und teilt aus) Dabei hätt ich heut so recht das Zeug gehabt zum Skatweltmeister. Doch los jetzt! Reiz schon!

B.: Du mit deinen ungewaschenen Händen! Ich sag „pass!“.

C.: Dann hast du aber eine gewaltige Oma.

A.: Der mauert doch.

C.: Sollen wir ein Ramsch spielen? Wollen wir?

A.: Nein, ich reiz! 20, 30, 40. Geht keiner mit? Dann übernehme eben ich das Spiel.

C.: Also doch eine Oma. Ein Grand? Was?

A.: Jawohl ein Grand.

B.: Schenken wirs ihm?

C.: Warum denn?

A.: Also los! - Und nun ziehen wir erst mal den Buben.

D.: (Wache): Wie ich vom Kriegbach gehört habe, soll heut noch ein Neuer bei uns vorbeischauen.

E.: (Wache) Wär nicht der erste. Doch wer ists? Wie heißt er?

D.: Friedrich Tapfer!

E.: Noch nie gehört. Hört sich aber ulkig an.

D.: Wohnt drunten am Fuß des Münsterbergs.

E.: Ein Haudegen?

D.: Ganz so martialisch wie sein Name. Ein Einzelkind. Waise, von seiner Oma aufgezogen. Wahrscheinlich wird ihn seine Oma auch noch zu uns bringen.

A.: Woher weißt du das alles?

D.: Ein Cousin von mir war mit dem in der Klasse. Muss schrecklich gewesen sein. Wenn dem einer etwas befohlen hat, so hat ers getan. Wenn man ihn hieß, den Mund auftun, dann tat ers und dann spuckte ihm einer in den Mund.

F.: Das muss aber eine große Flasche sein!

D.: Auch der jetzige Landrat Schröder muss in der Klasse gewesen sein. Aber wenn die beiden zufällig einmal einander begegnen, ist von der alten Klassenkameradschaft nichts mehr zu bemerken. Schließlich war der Landrat der Klassenprimus, während der Tapfer sich am unteren Ende der Tabelle herumschlug. Übrigens soll es sich im vorletzten Winter einmal zugetragen haben, als der große Doktor Schröder eben seinen neuen heißen Schwarm aus Skandinavien ins Theater führte, dass er dort auf unseren Friedrich Tapfer stieß. Das muss sehenswert gewesen sein, als es zur Begrüßung kam! Eine größere Irritation hätte kaum jemand ausrichten können als der Herr Tapfer allein schon durch seine schlichte Gegenwart.

E.: Dann dürfen wir uns ja wohl auf etwas gefasst machen!

D.: Wenn der unserm Kriegbach Liegestützen vormachen muss, da bekommen wir was zum Lachen. Da wett ich, dass der spätestens nach der dritten Stütze platterdings auf dem Bauch liegt

F.: Wahrscheinlich schon nach der ersten.

B.: Überhaupt wie kommts, dass der Kriegbach den einbestellt hat?

D.: Das ist doch das Grundstück mit den Uranvorkommnissen unter dem Berg. Doch still! Dass ich dem Kriegbach nicht vorgreife; der will uns ganz sicher alles Nähere dazu sagen.

F.: Wenn man nicht beleidigt werden kann, das hat schon auch seine Vorteile.

D.: Dann fordert man aber auch den Terror heraus!

A.: Spielen wir weiter! Trumpf! - Hallo, wo ist er mit seinen Gedanken? Trumpf! – Hat er keinen Trumpf?

B.: O scusi

A.: Und nochmals Trumpf! - Und das Liedchen ist aus! – (aufnotierend) Ohne 1, gespielt zwei, mal 20 sind 40. 4 Pünktchen. Da muss man sich ja fast schämen.

D.: Kommt ein älterer Herr zu einer Dame des leichten Gewerbes und zückt vor ihr die Brieftasche. Wie die Dame sieht, dass sie voller Banknoten ist, ruft sie aus: Sie sind ja ein Bankräuber.- Nein, ein Bankdirektor, erwidert der Herr.

B.: Bankdirektor und Herzensräuber vielleicht.

A.: Los, spielen wir weiter!

B.: Das ist jetzt aber auch das letzte Spiel.

A.: Weil du noch keine guten Karten gekriegt hast?

B.: Der Alte kann jeden Augenblick kommen.

A.: Spielverderber. - Los mach schon!

B.: Still, da kommt wer!

A.: Das wird unser Neuer sein!

D.: Das ist unser Alter! Karten weg!

A.: Ist ja gut, ist ja gut! Meine 12 plus Guthaben wollen wir aber nicht vergessen. Das gibt heute Abend im Festzelt ein Freibier.

3. Abschnitt: Kriegbach kommt hinzu.

(Unter dem Arm trägt er die Tageszeitung mit sich. Ist der Neue noch nicht gekommen; das wäre aber gut; weil wir beim Abtransport des Urans helfen sollen.)

Kriegbach: Nun, ihr Jungs, seid ihr alle da?

A.: Jawohl, Herr Oberkommissar Kriegbach. Wir sind alle da. Oder fehlt einer? Der soll sich melden!

Kriegbach: Vorkommnisse bislang also noch keine!?

D.: Nichts. Absolute Stille.

Kriegbach: Ihr wisst aber, was für einen Tag wir heute haben?

F.: Den Vortag der hl. Gervasius und Protasius, der Patrone von Breisach.

B.: Und morgen ist der große Festakt für Europa.

A.: Doch was nützt uns dies Wissen, wenn wir wissen, dass wir zum Vorabendfest nicht gehen können, wenn wir Dienst haben?

Kriegbach: Wir werden ja sehen.

B.: Kann man sich darauf verlassen?

A.: Es müsste denn mit dem Teufel zugehen. Hab ich nicht Recht?

Kriegbach: Jungens, wartet nur ab.

A.: Jungens, auf euren Oberkommissar Kriegbach könnt ihr euch verlassen.

Kriegbach: Übrigens haben wir bald etwas ganz Besonderes zu feiern.

D.: Da sind wir aber gespannt.

Kriegbach: Meine Beförderung zum Amtsrat steht nämlich kurz bevor. Ihr habt ja sicher schon davon gehört.

E.: Haben schon gehört, dass Sie sich ganz famos ausgezeichnet haben.

A.: Ein Hundekerl und Heidenkind, wer davon noch nichts gehört hat.

Kriegbach: (Das Zeitungsbild ausbreitend) Hier, schaut euch das nur an!

Alle: Wir gratulieren Ihnen, Herr Oberkommissar.

C.: Endlich wissen wir, wie ein Held aussieht.

E.: Da kann sich Robert, unser begnadeter Barde, ja schon mal etwas ausdenken. Wissen Sie, wie bei der Feier zum Oberkommissar im letzten Jahr.

Kriegbach: Dabei weiß ich selber nicht, wie das alles passiert ist. Und wär da nicht dieses Bild in der Zeitung, so wollt ich glauben, mir hätte alles nur geträumt.

F: Das Leben ist ein Traum, Herr Oberkommissar.

Kriegbach: Bei Licht betrachtet hab ich nur einen abendlichen Verdauungsspaziergang gemacht.

A.: Doch dann kamen Sie mit diesen Kerlen ins Gedränge? Und dann kam das Große „Kam, Sah und Siegte!“

Kriegbach: Mag sein, dass ich nicht ganz untätig dabei war.

B.: Ein Polizist bleibt Polizist, auch wenn er nicht im Amte ist.

Kriegbach: Meine Herren, noch nie war die Gelegenheit so günstig, etwas für eine große Laufbahn zu tun. Jawohl, auch auf Sie wartet die Gelegenheit sich auszuzeichnen. Wer sich heute auszeichnet, ist morgen schon der Mann der Stunde. Sie wären nicht der erste, der es gleichsam aus dem Nichts zu etwas gebracht hat. Alles können Sie jetzt erreichen, wenn Sie es nur nicht versäumen, sich auszuzeichnen!

E.: Dann sagen Sie, was wir zu tun haben! Wo immer ein Ministersessel frei ist, zeige man ihn mir. Dann will ich mich drauf stürzen, dass mir keiner zuvorkommt.

Kriegbach: Gleich will ichs euch sagen. Doch gehn wir alles hübsch ordentlich der Reihe nach! War der junge Mann schon da?

A.: Der Herr Tapfer?

B.: Das tapfere Schneiderlein, das war noch nicht da. Hatte wohl Angst vor uns.

Kriegbach: Das ist nicht gut. Aber es wird sich eine Lösung zeigen.

B.: Für alles gibt es eine Lösung, Herr Oberkommissar, nur nicht für den Tod.

Kriegbach: Spaß beiseite. Ich muss euch jetzt etwas Wichtiges mitteilen.

F.: Wo wir uns auszeichnen können?

Kriegbach: Mehr noch! Wo ihr euch auszeichnen müsst! - Jedermann weiß doch, dass es unter dem Münsterberg Uran gibt.

A.: Das ist ein öffentliches Geheimnis.

Kriegbach: Bis jetzt hab ich Ihnen davon noch nichts verraten. Heute aber ist der Tag, wo Sie den Beweis antreten sollen, dass Sie zum Beruf des Polizisten taugen. Um Sie auf Ihren Einsatz für das Europafest vorzubereiten, hab ich Ihnen ein Stück Uran mitgebracht. Man fragt uns, ob Uran gefährlich sei und ob man erblindet, wenn man es sich anschaut. Wie Sie sehen, meine Herren, haben Sie das Stück Uran gesehen und können immer noch sehen, woraus folgt, dass man nicht blind wird, wenn man es sich anschaut. Das wäre sonst so, wie wenn Sie probierten, ob Sie eine laufende Kreissäge schneidet, indem sie ihr den Finger hineinhalten. Gleichwohl ist auch dieses Uran alles andere als ungefährlich. Dazu habe ich Ihnen ein Messgerät mitgebracht, einen Geiger-Müller-zähler. Er misst die ausgesandte radioaktive Strahlung. Sehen Sie? - Nein, Sie sehen nichts.

D.: Das wollte ich auch sagen.

A.: Sonst müsste uns schließlich auch noch das Ticken einer Uhr ängstigen.

Kriegbach: Jedenfalls hört man nur ein Knattern und sieht immer größere Zahlen, was ein Maß ist für die registrierte Strahlung. Von der Strahlung aber sehen Sie nichts. Und wenn Sie einer fragt, ob man in einem Koffer eine Atombombe mit sich tragen kann?

A.: Der mags nur selber versuchen.

Kriegbach: So können Sie getrost antworten, dass das unmöglich ist. Und ohne hochkomplexe teuere Anreicherungsanlagen kann der gewöhnliche Privatmann nichts mit dem Erz anfangen.

F.: Wenn sich das Uran selbst entzünden könnte, wär das gewiss schon lange passiert. Dann aber würde vom Münsterberg nichts mehr stehen.

Kriegbach: Im Übrigen aber ist es nicht schlecht, wenn die Leute etwas Angst haben.

A.: Das sag ich auch. Lieber etwas zu viel Angst als zu wenig.

Kriegbach: Wenn der Mensch etwas Angst hat, ist er leitsamer. Ohne etwas Angst, keine Disziplin, sagte schon unser alter Chef, der Oberkommissar Knoblauch.

B.: Gott hab ihn selig!

A.: Wie gescheit Sie doch zu reden wissen, Herr Oberkommissar Kriegbach!

Kriegbach: Das kann man alles lernen, mein lieber Bill!

4. Abschnitt: Ganovenüberfall wird gemeldet

(es klingelt aus einem Telephon)

Kriegbach: Polizeirevier 8. Hier Oberkommissar Kriegbach. Wer ist dort? - Frau Gustl? Das sagt mir nicht viel. - Ach so, Sie sind nicht der Besitzer. Sie befinden sich nur im Geschäft? - Bei Brautschau Ryne. – Gut, Sie waren dort. Und nun, was wollen Sie mir sagen? – Wie war nochmals Ihr Name? – Gustl. – Sie wohnen in Breisach? Seit wann? – Sie wollen aber doch eine Anzeige erstatten? – Dann geben Sie uns jetzt eine Übersicht über den Tatbestand. Personenschäden, Sachschäden. Beschreibung der Täter. – Sie wollen nicht genannt werden, ich weiß. – Und auch das Geschäft Ryne soll einstweilen geheim bleiben. – Alles das wird sich zeigen, sobald wir wissen, worum es sich handelt. Doch nun zur Sache! – Drei Männer kommen ins Geschäft. Weiter! – Sie verlangen schwarze Strümpfe. Und plündern dann die Kasse? – Nicht? Ja was denn dann? Wird jemand verletzt? – Auch nicht? – Keine Person und auch nicht die Kasse kommt zu Schaden. – Gnädige Frau, könnte es nicht sein, dass Sie uns einen Scherz berichten? Und das heißt mit uns Ihren Scherz treiben? Ja meinen Sie, wir hätten Zeit, alle Müßiggänger des Orts schon morgens zu unterhalten? – Sie meinen, weil Sie anrufen, kann es sich um keinen Scherz handeln? Seien Sie froh, wenn wir davon absehen, Sie wegen Respektlosigkeit anzuzeigen. – Basta! (er legt auf)

Kriegbach: Angeblich ein Überfall auf Rynes Brautgeschäft. Vermutlich aber nichts als ein Scherz, weil sich die Kleine mit dem Heiraten so viel Zeit lässt!

A.: Wahrscheinlich haben die Leute vom Überfall heute Nacht gelesen. Und nun geschieht an jeder Straßenecke ein Überfall.

Kriegbach: Was immer der Fall sein mag! Meine Herren! Wenn man uns ruft, muss etwas getan werden.

alle Polizisten: Jawohl, wenn man uns ruft, muss etwas getan werden.

D.: Aber nicht vorher!

Kriegbach: Wir müssen Präsenz zeigen.

alle Polizisten: Wir sind bereit!

3. Kapitel: Wie Friedrich beim Psychiater auf eine Karriere bei der Polizei vorbereitet werden soll.

1. Abschnitt: Anamnese

(Friedrich kommt etwas verspätet, vom Psychiater ungeduldig erwartet)

Psychiater: Beeilung, mein Herr, Beeilung! Auch wenn er von der Polizei kommt!

Friedrich: Ich komme nicht von der Polizei.

Psychiater: War er noch nicht dort?

Friedrich: Nein.

Psychiater: Dann ist es umso schlimmer, wenn er zu spät kommt.

Friedrich: Ich bin auf Samstag- Morgen 10 Uhr bestellt. Das haben wir jetzt doch.

Psychiater: Meine Uhr zeigt 5 Minuten nach 10 Uhr. Das sind 5 Minuten zu spät.

Friedrich: Ist das nicht noch immer innerhalb der Toleranzbreite? Man hört ja noch die Zehn-Uhr-glocken?

Psychiater: Meine Zeit ist kostbar. - Und wenn er nur eine Minute zu spät gekommen wäre, wäre es schon unerträglich. - Er war also noch nicht bei der Polizei?

Friedrich: Ich wollte, es hat mir aber nicht mehr gereicht.

Psychiater: Aber er will doch ein strammer Polizist werden.

Friedrich: Die Oma will es.

Psychiater: Da geht die Pünktlichkeit über alles.

Friedrich: Man wird ja sehen.

Psychiater: Kann er schon lesen?

Friedrich: Gewiss!

Psychiater: Was liest er hier?

Friedrich: Wartezimmer.

Psychiater: Und wer wartet hier?

Friedrich: Wer hier drin wartet? Soll ich nachschauen?

Psychiater: Dummkopf! - Meint er, der Arzt baut sich ein Wartezimmer, um auf die Patienten zu warten? Vielleicht der Pfarrer in der Kirche im Beichtstuhl. Aber nicht wir. Nicht ich. Doch genug. (sie gehen ins Ordinationszimmer.) Ihn schickt also seine Oma zu mir.

Friedrich: Ich weiß nicht, ob das geschickt war, mich zu schicken.

Psychiater: Das wird sich zeigen.

Friedrich: Wär ich pünktlich gekommen, wär ich vielleicht schon fertig.

Psychiater: Jedenfalls geschah es nicht im wechselseitigen Einvernehmen?

Friedrich: Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen.

Psychiater: Hier! Nehmen Sie Platz! - Die Befehle seiner Oma hat er auszuführen, pünktlich und bedingungslos?

Friedrich: Allein wär ich gewiss nicht gekommen.

Psychiater: Hat ihn seine Oma gebracht?

Friedrich: Warum auch?

Psychiater: Und nun soll ich einen tüchtigen Menschen aus ihm machen?

Friedrich: Was mich angeht, bin ich eigentlich zufrieden mit mir. Ich finde, dass ich durchaus schon ein tüchtiger Mensch bin. Vielleicht, dass mir noch was zum Polizist fehlt.

Psychiater: Zufrieden mit sich scheint er ja zu sein. Aber wenn man sich nicht ums Futter kümmern muss, fällt einem auch nicht schwer, mit sich zufrieden zu sein. Aber auch die Welt muss mit uns zufrieden sein, mein Herr. Was nun ist er gewillt zu tun, um die Welt zufrieden zu stellen?

Friedrich: Was weiß ich. Vielleicht gehe ich zur Polizei.

Psychiater: Weiß er, dass er mir etwas dümmlich vorkommt mit seiner Zufriedenheit?

Friedrich: Ich suche ja auch keine Zufriedenheit als Lohn für irgendein Wohlverhalten anderen gegenüber, sondern als Bedingung, mich ruhig zu entfalten. Und so bin ich zufrieden, wenn man mit mir zufrieden ist, und versuch auch zufrieden zu sein, wenn einmal jemand nicht mit mir zufrieden sein sollte.

Psychiater: Notieren wir uns erst mal seinen Namen. Wie heißt er?

Friedrich: Friedrich Tapfer!

Psychiater: Nomen est omen. Aber da fehlt noch viel, bis wir so weit sind, wie sein Name verspricht. - Buchstabieren.

Friedrich: Buchstabieren? Wie mans spricht.

Psychiater: Hat er gefehlt, als man in der Schule das Buchstabieren durchnahm?

Friedrich: Friedrich schreibt sich wie Friedrich der Große und Tapfer wie das tapfere Schneiderlein.

Psychiater: Man hat Schwierigkeiten, aus ihm schlau zu werden.

Friedrich: Ich weiß nicht, was Sie meinen.

Psychiater: Hauptsache, ich weiß es. - Sein Alter?

Friedrich: Wie alt ich bin? - 32 Jahre.

Psychiater: Warum wiederholt er eigentlich immer meine Fragen?

Friedrich: Warum ich meine Fragen wiederhole?

Psychiater: Meine Fragen!

Friedrich: Ach so. Sie meinen, warum ich Ihre Fragen wiederhole.

Psychiater: Auch solche Floskeln wie „ah so!“ sollte er sich schleunigst abgewöhnen. - Kann ich mal den Personalausweis sehen?

Friedrich: Den Personalausweis? Den hab ich zu Haus.

Psychiater: Weiß er nicht, dass er sich strafbar macht ohne Identitätskarte?

Friedrich: Oma sagt, so kann ich ihn schon nicht verlieren.

Psychiater: Nicht einmal sich selber kann einer verlieren, wenn es ihn nicht gibt! - Kennt er das Märchen vom tapferen Schneiderlein?

Friedrich: Na klar, sonst hätte ich es ja wohl nicht erwähnt.

Psychiater: Wollten sie auch so ein Schneiderlein sein?

Friedrich: Wenn wir im Märchenland lebten, vielleicht.

Psychiater: Das tapfere Schneiderlein war zugleich tapfer und selbstzufrieden.

Friedrich: Finden Sie das schlecht?

Psychiater: Sieht man vom Märchen ab, so nistet neben der Selbstzufriedenheit selten die Tapferkeit. Meist nur die Feigheit. Tapferkeit aber braucht man bei den Polizisten. - Was ist besser: sich durch Feigheit den Namen eines tapferen Mannes zu verdienen oder tapfer sein und ein Feigling genannt werden?

Friedrich: Da soll ich jetzt sagen, dass ich lieber tapfer wäre und ein Feigling genannt würde?

Psychiater: Geb er mir eine Antwort ohne alles Hin und Her!

Friedrich: Meine Oma sagt, man soll von jedem stets das beste denken. Insofern ist es wohl am besten, wenn wir dafür sorgen, dass wir in einer Welt leben, wo man möglichst nicht zwischen Sein und Schein zu trennen braucht.

Psychiater: Hat er sich noch nie um eine Stelle beworben?

Friedrich: Noch nie.

Psychiater: Glücklich, wer das nicht nötig hat! Aber das will er jetzt.

Friedrich: Die Oma will es.

Psychiater: Seine Oma, seine Oma! Schon wieder die Oma! Vor lauter Omas verliert man selbst noch als Therapeut den roten Faden.

Friedrich: Ich weiß nicht, woran Sie jetzt denken wollten oder sollten.

Psychiater: O mein Herr, das Leben ist ein unausgesetzter Kampf. Fressen oder gefressen werden. Ausstechen oder ausgestochen werden. Hat er davon noch nie was gehört?

Friedrich: Ich hab nichts übrig fürs Blutvergießen..

Psychiater: Wer auch nur ein bisschen vorwärts kommen will in dieser Welt, der darf nicht zaudern, die Ruhmesgagen der Tapferkeit einzukassieren, einerlei ob er tapfer ist oder nicht.

Friedrich: Mag ja sein, aber ich will nicht vorwärts kommen.

Psychiater: Wer vorwärts kommen will in dieser Welt, der darf kein langes Federlesen machen, wenn es gilt, einen Mitbewerber zur Seite zu schieben und auszustechen.

Friedrich: Nie würde mir´s einfallen, einen auszustechen oder abzustechen.

Psychiater: Selbst wenn man heutzutage auch nur ein Bischof oder eine Bischöfin werden will, muss man das können.

Friedrich: Noch nie hat michs danach verlangt, ein Bischof oder eine Bischöfin zu werden, nicht einmal ein Weihbischof.

Psychiater: Lieber verhungern als einen guten Job haben? Das kann nur sagen, wer von seiner lieben Oma täglich sein Müsli vorgesetzt bekommt. Dabei ist vom Beiseiteschieben zum Beseitigen nur ein kleiner Sprung. Und vom Ausstechen zum Durchstechen der Kehle auch nicht sehr weit. Was zittert er denn so?

Friedrich: Das wollen Sie bestimmt nicht hören.

Psychiater: Heraus damit, wenn ich ihn frage.

Friedrich: Sind Sie dann auch nicht böse auf mich?

Psychiater: Heraus damit, hab ich gesagt!

Friedrich: Ich hab mir halt gedacht, als Sie mich gefragt haben, ob ich einen Job hätte, dass bei Ihnen die Kammer gewiss auch nicht leer ist.

Psychiater: Was für eine Kammer?

Friedrich: Nun, Sie haben doch einen schönen lukrativen Job.

Psychiater: Geht Sie das was an?

Friedrich: Ich hätte ja nichts gesagt; Sie wollten es doch wissen. Und da dacht ich eben an die Kammer mit den abgestochenen Rivalen.

Psychiater: Da dacht ich, da dacht ich! Mein Herr. Was nehmen Sie sich eigentlich heraus?

Friedrich: Beruhigen Sie sich doch! Ich will sie ja nicht sehen. Wirklich nicht.

Psychiater: So geht das nicht weiter. - Was hat er bislang getrieben? Was studiert? Wo gearbeitet?

Friedrich: Ich habe studiert.

Psychiater: Was?

Friedrich: Dieses und das.

Psychiater: Ohne Abschluss, ohne Examen?

Friedrich: Oma wollte, dass ich ein Universalgelehrter werde.

Psychiater: Da hat er vermutlich immer bis zum Vorexamen studiert? - Und nun ist er ein Universalgelehrter geworden? Oder er dünkt sich ein solcher zu sein?

Friedrich: Ein paar Sachen, des ´darf ich mich rühmen, weiß ich schon. Ein paar Aphorismen könnte ich Ihnen zum besten geben, aus denen Sie ersehen könnten…

Psychiater: Stell er sich da drauf!

Friedrich: Wie Sie wünschen.

Psychiater: Wie nennen wir das?

Friedrich: Eine Waage, wenn Sie das meinen.

Psychiater: Und nun die Arme weit hinauf in die Höhe! Noch weiter hinauf.

Friedrich: Bis zur Decke komm ich aber nicht.

Psychiater: 80 kg. Dacht ichs doch.

Friedrich: Ist das zu viel mit den Kleidern?

Psychiater: Lass er die Arme in der Höhe! - Er hat nur wenig Kontakt mit anderen? Hat keine Geschwister? Keine Freunde, keine Kameraden?

Friedrich: Nur meine Oma.

Psychiater: Er lebt in einem goldenen Käfig wie ein Paradiesvogel, weiß er das?

Friedrich: Muss ich immer noch da stehen bleiben mit den Armen nach oben?

Psychiater: Bis ich ihm etwas anderes sage. – (für sich, notierend) Was haben wir da alles zur Abrechnung? Wollen doch gleich mal sehen unter Zwangsneurosen. - Endogene Depression? Nein das eigentlich nicht. - Und jetzt komm er wieder herunter von der Waage!

Friedrich: Aber Ihr Job ist wirklich nicht übel.

Psychiater: Die Arme nach unten!

Friedrich: So viel Macht wie ein General und sicher ein dazu passendes Einkommen.

Psychiater: Mein Herr!

Friedrich: Nein, nein. Um Himmels willen. Ich will sie ja wirklich nicht sehen.

Psychiater: Er hat ein freches Maul, hat ungehobelte Manieren.

Friedrich: Merkt man mir das so schnell an?

Psychiater: Ich merke da noch ganz andere Dinge, die mir Anlass zu höchster Besorgnis geben.

Friedrich: Einmal hab ich auch eine Vorlesung über Psychiatrie besucht. Aber der Professor hat immer nur mit einem Kinder-Töpfchen herumgespielt.

Psychiater: Im Übrigen aber hat er gar nicht so Unrecht. Es würde ihn kalt erwischen, wenn er ahnte, wie nah er der Wahrheit gekommen.

Friedrich: Bezieht sich das auf die Macht?

Psychiater: In der Tat. Auf meine Macht. Ich habe nämlich viel Macht, sehr viel Macht, erschreckend viel Macht.

Friedrich: Er hätte keine Macht, wenn sie ihm nicht von oben gegeben wäre, heißt es in der Bibel.

Psychiater: Wart er ab, bis seine Oma nicht mehr da ist! Wie schnell er dann erwacht! Da ist dann keine Welt mehr um ihn herum mit grünen Sommerauen und Brunnen und Bächen und Apfelbäumen. Da ist dann nur noch Dornen- und Distelgestrüpp.

Friedrich: Woher wissen Sie das?

Psychiater: Das steht schon in der Bibel. Weiß er, wo? Natürlich nicht. Kann er mir überhaupt folgen?

Friedrich: O ja doch! Und ich weiß auch, wo über solche Sachen geschrieben steht. Das ist dort, wo von Adam und Eva die Rede ist. Fragt sich nur, ob das auf mich zutrifft.

Psychiater: Hat er schon einmal an eine Freundin gedacht? Natürlich nicht. Außer an seine Oma. Das sieht man ihm an. Doch die kann er nicht heiraten. Das weiß er doch. Oder etwa nicht?

Friedrich: Sie machen mich gespannt.

Psychiater: Was die Freundin angeht, die ihm einmal über den Weg läuft, so wird er, bei seiner Gemütlichkeit und Zufriedenheit nie um sie werben. Und Eifersucht wird ihm schon ewig ein Fremdwort bleiben.

Friedrich: Eifersucht und Neid und alle diese Sachen sind ja auch keine Tugenden.

Psychiater: Jedenfalls wird er in Besitz genommen, wenn es denn einmal so weit kommen sollte. Und dann Gnade ihm, dann wird er so recht zu einem Siemandl verwandelt. Doch das alles können wir nicht in einer einzigen Sitzung abhandeln. Dazu brauchen wir Zeit.

2. Abschnitt: Spiel im Spiel

Psychiater: (schreibt bereits an der Rechnung) Und jetzt geh er vor die Türe!

Friedrich: Und dann?

Psychiater: Dort bleibt er stehen und wartet, bis ich ihn rufe.

Friedrich: Und dann?

Psychiater: Dann klopft er an und sobald ich ihm Antwort gegeben habe, tritt herein.

Friedrich: Und dann?

Psychiater: Kann er nicht mitdenken? Dann denkt er sich, er wäre auf dem Polizeirevier und würde sich vorstellen. Da geht er ja nachher noch hin.

Friedrich: Und Sie wären der Oberkommissar Kriegbach? Ich fürchte, dass ich lachen muss, wenn Sie mir den Kommissar vorstellen. Ich muss ja nur zum Zimmer hereinkommen; dann habe ich Sie auch schon völlig durchschaut und weiß, dass Sie der Dr. Heilmann sind und nicht der Kommissar Kriegbach.

Psychiater: Wenn ich will, wird ihm das Lachen schnell vergehen. Da möchte ich ihm raten, es auf keine Probe ankommen zu lassen. (schreibt) Mangelnde Selbstbeherrschung und Konzentrationsstörungen, dazu übertriebene Selbsteinschätzung. (laut) Überhaupt sollte er niemals vergessen, dass es gefährlich ist, sich mit einem Arzt anzulegen, weil ein Arzt viel Macht hat. (für sich) Und natürlich eine ausgesprochene Tendenz zu Obsessionen. (laut) Also marsch, hinaus!

Friedrich: (im Hinausgehen) Das geht aber doch etwas zu weit. Das ist doch Drohung. Das sag ich der Oma. Dann bin ich das letzte Mal dagewesen. Und wenn er auch hundert Mal meint, ich sei sein Patient. Aber ich bin nicht gekommen, mir drohen zu lassen. (er ist jetzt draußen)

Psychiater: Haben wir jetzt alles oder haben wir noch etwas vergessen? Prüfen wir nochmals alle die Adgo-punkte, auf die es ankommt und ohne die dieser Fall einfach nicht ad acta zu legen ist! Behandlung schizoider Züge, jawohl. Prophylaxe autistischer Anwandlungen, jawohl. Erhellung infantiler Regresse im Gespräch, auch das hätten wir. Aber auch das da, zum Aufbau der Persönlichkeit, können wir auch als erbrachte Leistung ansehen. Oder haben wir es nicht in Gedanken anvisiert? Und das getrost auch, warum auch nicht. Und dann natürlich dürfen wir die ausführliche Beratung des Patienten nicht vergessen. Da ist der Faktor 2,3 geradezu lächerlich. So eine Praxis finanziert sich schließlich nicht von allein. Der horrende Mietzins für die Praxisräume, dann die Personalkosten, die Praxishelferin, die Putzfrauen, etc. etc. Nun aber wollen wir noch nachsehen, wie lange wir uns noch mit dem Knaben abzuquälen haben, bis die Doppelstunde herum ist. (er legt sich hin) Noch eine geschlagene halbe Stunde! Es sei denn wir definieren die Zeitdauer einer Stunde auf 45 Minuten. Dann sind es nur noch 15 Minuten. Wenn man bedenkt, wie erschöpft der junge Mann schon jetzt ist und dass er noch aufs Polizeirevier muss.

Friedrich: Darf ich hereinkommen?

Psychiater: Hab ich gepfiffen?

Friedrich: Ich wusste nicht, dass Sie pfeifen. Haben Sie mir das gesagt?

Psychiater: Das ist immer so bei mir.

Friedrich: Ich dachte, Sie hätten mich vergessen. Zumal Sie doch gesagt haben, dass wir uns etwas beeilen müssen; ich soll ja doch noch zum Herr Oberkommissar Kriegbach.

Psychiater: Denk er weniger. Immer nur, wenn er aufgefordert wird von einer über ihm stehenden, weisungsberechtigten Person. Nur so lässt sich ein Gemeinwesen am Leben erhalten.

Friedrich: Muss die Bewegung nicht in beide Richtungen gehen? Ein ewiger Kreislauf. Hinauf und Hinab? Wie Systole und Diastole?

Psychiater: Marsch, hinaus! Und wart er, bis ich das Zeichen gebe.

(für sich) Dass man auch immer bei der Arbeit gestört wird. Ein Therapeut ist schließlich auch nur ein Mensch. Aber da hilft alles nichts. (auf die Uhr schauend) Immer noch 13 Minuten, es sei denn, wir entschließen uns zu einer drastischen Reduktion. Soll ich den Kerl nun hereinpfeifen oder noch nicht pfeifen? Das ist die Frage. Immerhin geb ich dann zu, dass man weiterkommt auf dieser Welt, wenn man sich keck vordrängt und benachteilige damit alle, die geduldig warten. Und doch. Mit der kleinen Entspannung ists jetzt ohnedies dahin. In Gottes und drei Teufels Namen! (er pfeift; es klopft) Herein denn!

Friedrich: Haben Sie „herein!“ gerufen? Ich habe es nicht recht gehört. Dann bin ich also hier bei Herrn Kriegbach oder bei Herrn Heilmann?

Psychiater: Wenn schon bei Herrn Dr. Heilmann. Aber er ist jetzt nicht bei Dr. Heilmann, sondern in der Praxis Dr Heilmann bei Oberkommissar Kriegbach.

Friedrich: Das alles ist schön kompliziert.

Psychiater: Lass er jetzt endlich seine Bewerbung los! Hat er nicht längst Gelegenheit gehabt, zu bemerken, dass ich mich nur hingelegt habe, um mir als Oberkommissar seine Bewerbung anzuhören?

Friedrich: Nun gut, so komme ich eben jetzt, d.h. bin ich jetzt gekommen, mich um eine Stelle zu bewerben, Herr Oberkommissar.

Psychiater: Überhaupt, da fällt mir ein: Ist er privatversichert?

Friedrich: Gehört das in unser Spiel oder sind Sie jetzt aus Ihrer Rolle gefallen, Herr Doktor?

Psychiater: Das geht ihn überhaupt nichts an.

(eine Sirene draußen in der Ferne heult auf)

Friedrich: Was ist das? Ein Atomalarm? - Da kann man ja die Angst bekommen.

Psychiater: Dann bekomm er nur mal tüchtig die Angst. Das gehört zur Katharsis.

Friedrich: Das hört ja nimmer auf.

Psychiater: Das ist deswegen, weil er sich noch nicht versteckt hat. Versteck er sich nur rasch unter dem Tisch, dass man ihn nicht findet, wenn man nach ihm fahndet.

( Friedrich versteckt sich unter dem Tisch)

Psychiater: Und nun mag die Sirene von Gizeh heulen, so lange sie will. „Komm herbei, Odysseus, du Ruhm der Achäer!“

Friedrich: Ist die Welt wirklich so bedrohlich?

Psychiater: Wer nicht gut angekettet ist auf dem großen Schiff Erde, wenn es durch die Gewässer des Alls laviert, ist unrettbar verloren.

( es klingelt das Telefon)

Psychiater: Und nun auch noch das!

Friedrich: Gehört das auch zu den Sirenen?

Psychiater: Wahrscheinlich wieder so ein verschrecktes Huhn, das Angst hat, dass nichts als Knochen von ihm übrig bleiben, wenn es der Tod aufgefressen hat.

Friedrich: Wollen Sie sich nicht zuerst in Sicherheit bringen, Herr Doktor. Auch ein Doktor ist ja doch nur ein Mensch. Hier hat es noch Platz.

Psychiater: Praxis Dr. Heilmann. – Ach Sie sinds, gnädige Frau. - Ja, der ist noch bei mir.

Friedrich (unter dem Tisch): Das ist sicher die Oma.

Psychiater: (für sich) Rabenaas.

Friedrich: Die macht sich schon wieder Sorgen um mich. Eigentlich kann mir schon deshalb nichts passieren, weil sie sonst ja keine Sorgen mehr hätte. Und Sorgen braucht doch wohl jeder Mensch.

Psychiater: Nein das geht nicht; wir werden uns zwar beeilen, aber zuerst muss er noch bei Oberkommisar Kriegbach vorbei. Einen Brief abgeben. - Jawohl, gnädige Frau! (er legt auf) Nun komm er endlich wieder hervor!

Friedrich: Ist das wegen der Oma?

Psychiater: Das Spiel ist aus. Und jetzt hab ich als Therapeut gesprochen, dass er sichs merkt! Und das Folgende sag ich ihm auch noch als Therapeut, und zwar als sein Therapeut. Drum pass er gut auf! Das Spiel ist jetzt aus und die Stunde ist jetzt auch aus. Und in der nächsten Woche kommt er um dieselbe Zeit wieder. Das heißt, in der nächsten Woche kommt er exakt und pünktlich, nicht wie dieses Mal. Und dieses Schreiben da bringt er noch beim Oberkommissar Kriegbach vorbei. Verstanden!

Friedrich: Alles hab ich verstanden.

Psychiater: In einer Woche also um dieselbe Zeit. Und dann diesen Brief zum Oberkommissar Kriegbach. Und zwar gleich. Hopp, hopp, hopp!

Friedrich: Sehr wohl, Herr Doktor. (für sich dann draußen) Ob es aber ein nächstes Mal gibt, das wird sich zeigen. Das hängt ja wohl erst noch von meiner Oma ab und freilich auch noch ein wenig davon, was ich ihr von dem Herrn Doktor erzähle. Und wenn ich mich recht verstehe, wird meine Erzählung nicht nur zu Gunsten des Herrn Doktors ausfallen. Eile ich also erst einmal nach Hause! Und dann wollen wir sehen, ob es mir nicht gelingt, die Oma dahingehend zu bewegen, dass ich das nächste Mal nicht mehr zu diesem Heilmann muss. So ein Terrorist. Da dacht ich mir, da wird man bequem gebettet und mit Rosen überschüttet. Und dann zieht dieser Sündenmensch alle Register, einem Angst zu machen. Nein, da darf es kein nächstes Mal mehr geben.

4. Kapitel: Wie Friedrich nach Haus kommt.

1. Abschnitt: Die Oma und Emma stehen vor dem Haus auf der Straße und schauen nach Friedrich aus.

Oma: Das mach ich nicht länger mehr mit. Das war ein entscheidender Fehler, dass ich Friedrich zum Psychiater geschickt habe. Was auch hat er beim Psychiater zu suchen, wenn er zur Polizei soll? Ja, wo noch nicht einmal feststeht, dass er zur Polizei geht. Und jetzt wird er gar noch als Postbote missbraucht. O ich ahne da Böses, sehr Böses. Das sind Sündenmenschen, Seilschaften von Sündenmenschen, wo einer dem anderen zuarbeitet. Die stecken unter einer Decke. Da fehlt nur noch, dass wir so dumm sind, uns als Opfer missbrauchen zu lassen. Doch wehe, wenn Friedrich so dumm ist, sichs einfallen zu lassen, sich missbrauchen zu lassen! Dann soll er hören, was sich gehört. Jawohl, dann soll ihm Hören und Sehen vergehen. Dann schlag ich ihn windelweich, bis mir der Arm davon schmerzt.

Emma: Aber der Friedrich kann doch nichts dafür.

Oma: Sei still und nimm ihn nicht noch in Schutz! Schlimm genug, dass er nicht hören kann.

Emma: Bis jetzt hat er aber noch nichts Verbotenes getan.

Oma: Weil ich ihn davor bewahrt habe!

Emma: Haben wir Geduld, Anastasia! Wenn er erst bei der Polizei ist, wird alles besser.

Oma: Ob er zur Polizei will, will ich mir noch reiflich überlegen. – Aber das sag ich dir: wenn das Projekt scheitert, dann haben sie ihr Uran gesehen. Kein Milligramm erhalten sie dann von mir!

Emma: Aber da kommt er ja.

Oma: Wo?

Emma: Da!

2. Abschnitt: Friedrich kommt dazu,

Oma: Warum kommst du so spät?

Friedrich: Komm ich so spät!

Oma: Zu spät, viel zu spät! Und hätt ich nicht angerufen, so wärst du wohl noch immer bei diesem Halsabschneider.

Friedrich: Das glaub ich nicht.

Oma: Sei still! Warst du noch auf der Polizeistation?

Friedrich: Beim Oberkommissar Kriegbach? Nein, da war ich nicht.

Oma: Dann her mit dem Urias-Brief!

Friedrich: Hier ist der Brief, wenn du den meinst, den mir der Doktor gegeben hat.

Oma: Her damit! Hab ich gesagt!

Friedrich: Aber den soll ich doch dem Oberkommissar Kriegbach bringen!

Oma: Papalapapp! Den les zuerst ich. Und wenn er die Zensur besteht, dann sehen wir weiter. (sie steckt den Brief ein und geht Richtung Haustüre)

Da steht man auf heißen Kohlen und wartet, derweilen Monsieur Tapfer sich einen faulen Tag macht.

Friedrich: Aber ich hab ja nur getan, was du gewollt hast! Oder warst nicht du es, die mich zum Psychiater geschickt hat? Ich hab wirklich nicht hin wollen. Tante Emma kann es bestätigen.

Oma: Ich will nichts hören. Ich bin jetzt böse auf dich!

3. Abschnitt: Ein paar der Jungpolizisten kommen hinzu.

Oma: Meine Herren, was suchen Sie hier?

A.: Das hier ist doch das Tapfersche Haus?

Oma: Hätten Sie die Güte, sich mir erst einmal vorzustellen?

B.: Eigentlich sind wir gekommen, um mit Herrn Friedrich Tapfer zu sprechen. So heißt er doch.

Friedrich: Das bin ich.

Oma: Sei still!

B.: Aber wenn er doch der Herr Tapfer ist

Oma: Sie kennen ihn nicht und wollten ihn sprechen?

C.: Was ist daran so sonderbar? Schließlich soll er unser Kollege werden.

Oma: Wer sagt denn das?

C.: Unser Chef, der Oberkommissar Kriegbach.

Oma: Und worum geht es?

A.: Es handelt sich um eine streng geheime Mission, die nur Herr Tapfer wissen darf.

Oma: Das ist ja noch schöner.

C.: Befehl von höchstem Ort

Oma: Und wenn er vom heiligen Stuhl käme! Aber das glaubt ihr ja selber nicht.

C.: Das können wir beschwören. So wahr es einen Gott gibt, der im Himmel lebt.

Oma: Hörst du den Atheisten, Emma? – Herr Kriegbach ist nämlich der Mann, mit dem ich selber in Unterhandlung bin. Er ist mein Freund. Der hätte michs wissen lassen, wenn etwas meinen Friedrich beträfe. Woraus sich ergibt, dass ihr lügt.

A.: Aber gnädige Frau.

Oma: Papalapapp! Kriegbach wäre selber gekommen, wenn es etwas Wichtiges zu besprechen gegeben hätte.

B.: Verraten wir Ihnen denn so viel, dass es sich um die Uranvorkommen auf Ihrem Gebiet handelt.

Oma: Was soll denn nun das schon wieder? Um sich glaubwürdig zu machen, outet er sich als Verräter?

B.: Sie kennt doch das Uran unter dem Münsterberg.

Oma: Euch rappelts wohl im Schrank. Noch nie hab ich von so etwas gehört.

A.: Es geht um das Uran, das morgen als Stiftungsfond von der Stadt Breisach dem Vereinten Europa geschenkt werden soll. Es lagert bei Ihnen im Keller.

Oma: Das ist ja zum Lachen.

A.: Lachen Sie, gnädige Frau, das ändert nichts an der Wahrheit.

Oma: Und warum kommt der Chef nicht?

B.: Das müssen Sie ihn selber fragen.

Oma: Meint ihr, es würde ihm genügen, mir dazu seine Grünschnäbel zu schicken?

C.: Sagen Sie Ihrer Oma, dass sie Gefahr läuft, verstrahlt zu werden.

Oma: Nichts als plumpe Angstmacherei, und das noch von Leuten, die noch nie was von Uran gehört haben.

C.: O gnädige Frau!

Oma: Dann nennen Sie mir doch die Uranoxide, die hier lagern, und sagen Sie mir, woran Sie sie erkennen und wie man sie löst! - Sehen Sie, so leicht weise ich nach, dass Sie von nichts eine Ahnung haben. (zu Friedrich) Und nun komm!

Friedrich: Sie hören, ich muss mit ins Haus.

Oma: Und ihr sollt gehen. Und zwar so schnell wie möglich oder ich lasse den Hund auf euch los!

A.: Gut. Dann gehen wir eben wieder! Das hat keinen Wert! Soll der Kriegbach bei der Alten anbeißen!

4. Abschnitt: Zu Haus. Oma, Emma und Friedrich.

Friedrich: Aber du hast doch gar keinen Hund!

Oma: Still sollst du sein! (liest den Brief) Doch nun zu dem Brief. Wollen doch sehen, was da drin steht. Ich möchte wetten, es ist nichts Gutes.

Emma: Denk doch lieber an etwas Gutes!

Oma: Ja zum Teufel! Ändert sich dann etwa der Inhalt? - Sehr geehrter Herr Oberkommissar Kriegbach! „Hier schicke ich Ihnen den jungen Mann, der, wie er sagte, heute Morgen seinen Termin bei Ihnen hat verstreichen lassen… Solche Leute fühlen sich zum Höchsten berufen, weil sie wissen, dass sie bei den niederen Arbeiten versagen... Dabei sind sie ohne jedes Verantwortungsvermögen…“ Das ist doch ungeheuerlich!

Friedrich: Soll etwa ich der junge Mann sein?

Emma: Wer sonst?

Friedrich: Wenn es nichts Gutes ist, was er von mir schreibt, dann kommt es zur Unzeit.

Emma: Was soll denn das sein?

Friedrich: Das hat einmal der Euripides gesagt. - Aber einen Hund haben wir doch nicht.

Oma: Sei still.

Friedrich: Ich sag das ja nur, weil du zu den Leuten gesagt hast, du würdest den Hund auf sie loslassen.

Emma: Das hat die Oma doch nur gesagt, um die Männer einzuschüchtern. Doch lass sie jetzt lesen.

Oma: (liest) Nun sind Sie ja zum Glück ein Profi im Taktieren. Wenn ich Ihnen also einen Rat geben darf, so lassen Sie die Finger von dem jungen Mann. Nehmen Sie ihn nur auf Probe an und halten Sie ihn dann solange hin, bis wir das Uran unter Dach und Fach haben. Auf diese Weise kommen wir beide, Sie und ich, den uns vom Gesetzgeber vorgesehenen Aufgaben aufs beste nach. Hochachtungsvoll Ihr Dr. Heilmann. - O du Hurenkerl! Dir will ich eine Lektion geben, die sich gewaschen hat. Dann sollst du schon sehen, wohin du mit deiner Hinhalte-taktik kommst! - Und du schämst dich nicht?

Friedrich: Was kann ich dafür, wenn die Menschheit gemein ist?

Oma: Beabsichtigte Schandtaten schreien so laut, dass man sie nicht überhören kann. Deshalb hättest du in der Praxis Heilmann Mordio schreien sollen! Doch nun sag mir, was er dich gefragt hat! Nein, sag nichts! Ich seh es dir an.

Friedrich: Er hat mich nicht über dich ausgefragt.

Oma: Auch nicht, dass ich dich noch in der Sexta aufs Töpfchen habe sitzen lassen?

Friedrich: Wirklich nicht. Nur über mich. Und übers Töpfchen hätte ich auch kein Sterbenswörtchen gesagt.

Oma: Wenn du wenigstens noch geschickt lügen könntest. Aber aus deinem Gesicht schreit es heraus: ich lüge, ich lüge!

Friedrich: Ich habe wirklich nichts dazu gesagt. Emma sags ihr!

Emma: Anastasia, er hat wirklich nichts gesagt.

Oma: Als ob du mit dabei gewesen wärst! Doch seid still und hört zu! Ich habe mir die Sache anders überlegt. Und ich weiß jetzt auch, was zu tun ist. Fürs erste muss ich dir sagen, dass du jetzt groß genug bist, auf eigenen Füßen zu stehen. Und wenn ich nun bald tot bin, machst du allein deinen Weg. Hast du mich verstanden?

Friedrich: Du bist nicht bald tot, liebe Oma!

Oma: Das Projekt mit den Betonköpfen ist jedenfalls nichts für dich. Drum werden wir es auch vermeiden, den Weg dorthin zu nehmen. Und darum brauchen wir auch keine weiteren Sitzungen beim Psychiater.

Friedrich: Das hab ich auch gesagt.

Oma: Was ich mir nun ausgedacht habe, das ist, dass ich aus dir einen Mann mit feinen Manieren mache!

Friedrich: Wenn ich auch nicht weiß, worauf du hinaus willst, so sag ich doch: jawohl, liebe Oma.

Oma: Was? Das weißt du nicht? So ein großer Bub weiß nicht, worauf seine liebe Oma hinaus will? - So pass auf! Du kennst doch das Fräulein Christl Ryne?

Friedrich: Meinst du die Tochter vom gleichnamigen Modegeschäft?

Oma: Eben die.

Friedrich: Und was ist mit der?

Oma: Zuerst werden wir einen Brief an Frl. Christl Ryne schreiben. Und zwar jetzt gleich!

Friedrich: Ich kenne das Mädchen überhaupt nicht. Ich habe noch nie auch nur ein Wort mit ihr gewechselt.

Oma: Dann kommt das eben jetzt!

Friedrich: Auch hab ja noch nichts gegessen.

Oma: Erst kommt die Arbeit, dann das Vergnügen.

Friedrich: Heute gibt es doch Apfelküchle. Ich riech sie schon. Auf die hab ich mich schon so gefreut.

Oma: Wie gesagt, du gehst jetzt ins Schreibzimmer und schreibst deinen Brief an Frl. Christl Ryne.

Friedrich: Und was, wenn ich bitten darf, soll ich der Dame schreiben?

Oma: Ja was wohl? Dass du um ihre Hand anhältst

Friedrich: Tu ich das?

Oma: Frag nicht so dumm. Bis heut Abend ist der Brief im Kasten.

Friedrich: Ich soll schreiben

Oma: Dass du um ihre Hand anhältst.

Friedrich: Dann sag mir, wie das geht!

Oma: Das tät dir so passen.

Friedrich: Diktierst du mir nicht wenigstens die ersten Wörtlein?

Oma: Sei still und hör zu! - Frl. Christl Ryne ist das einzige Kind und mithin auch der Erbe, bzw. die Erbin des Geschäfts für Hochzeitssachen. Ich kenne die Leute und weiß, dass sie arbeitsam sind und fromm, was man auch von ihrem Töchterchen sagen kann. Wenn sie nun auch das Kind erst in hohem Alter bekommen haben, so dass es etwa 10 Jahre jünger ist als du...

Friedrich: Aber ihre Hand ist doch schon vergeben.

Oma: Bist du still!

Friedrich: Soll ich den Landrat ausspannen?

Oma: Das ist doch einfach lächerlich.

Friedrich: Das weiß ich nun zufällig. Überall in der Stadt spricht man von nichts anderem als davon. Hinter vorgehaltener Hand, versteht sich, und unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit.

Oma: Und wenn der Erzdiakon von China um ihre Hand anhielte: willst du Wasser schlucke und Batzelaible verdrucke, wenn ich tot bin? - Bist du jetzt endlich still!

Friedrich: Ich hab ja nichts gesagt.

Oma: Von etwas muss man leben. Und da du es sonst zu nichts bringst, so versuchen wir uns nun eben mit einem Heiratsprojekt.

Friedrich: Und wie stell ich das an?

Oma: Auf jeden Fall stellst du es so an, dass du dich nicht anstellst! Und nun kein Wort mehr! Geh und schreib! Wenn ich dich auch als ungelecktes Bärenkind übernommen habe, damit ist jetzt Schluss! Und wenn du den Brief geschrieben hast, nicht zu viel und nicht zu wenig, denn zu viel wird nicht gelesen und zu wenig wird als Mangel an Geistesschmalz missverstanden, dann bringst du mir den Brief, dass ich ihn durchsehe, ehe wir ihn ins Reine schreiben! (sie geht aus dem Zimmer und schließt das Zimmer von außen mit dem Schlüssel zu, dann ruft sie noch von außen) Ich denke an etwa zwei Seiten mit je 42 Zeilen, Und den Entwurf stellen wir dann in den Brockhaus, und das machen wir dann jeden Tag so, damit uns keiner verloren geht! (mit der Emma, die herbeikommt, Richtung Küche gehend) Geh in die Küche und schipp ihm ein paar Apfelküchle auf den Teller. Ich hab ihn zwar zum Briefschreiben verdonnert, aber mit ansehen, wie der Bub verhungert, will ich auch nicht.

5. Abschnitt: Beim Briefschreiben.

Friedrich: (er tigert durchs Zimmer auf und ab und bleibt dann beim Brockhaus stehen) So weit hab ichs nun wieder einmal gebracht! Zum Briefschreiben verdonnert. Und das noch an ein Fräulein. Wenn es wenigstens noch ein Mann wäre. Aber nicht genug damit. Nun handelt es sich doch nicht um eine beliebige Frau, sondern gleichsam um die Firstlady von Breisach, die momentane Auserkorene unseres Landrats Dr. Schröder. Dass das die Oma nicht weiß? Oder meint sie, ich nehm es mit jedem auf? Oder ist ihr das alles egal? Landrat Dr. Schröder kennt jeder als einen gnadenlosen Streber. Und ich erst! Selbst als wir noch Klassenkameraden waren, kam es nur ganz selten vor, dass sich der Herr Klassenprimus zu mir herabgelassen hat. Und was ich jüngst im Theater erlebt habe, als er mit seiner schicken Neuen an mir vorbei wandelte: sollte mir das nicht genug Warnung sein? Den soll ich jetzt abstechen? Will das die Oma? Soll ich ihm in dem Brief den Kampf ansagen, um ihm dann mit einem Küchenmesser auflauern? Ungeheuerlich allein schon, so etwas zu denken, geschweige denn, ein Messer in die Hand zu nehmen. Ich muss ja nur daran denken, dann ist mir, als hätt ich das Messer schon in der Hand und hätte den blutigen Unterricht schon erteilt.

Doch was schreib ich nun? Fang ich jetzt endlich an! Ich würde ja auch ein leeres Blatt wegschicken. Warum auch nicht? Ich wollte mirs schon zutrauen, es jedermann weiß zu machen, dass die Sätze aus dem Brief herausgeklettert sind. Doch ich muss ja den Brief der Oma zeigen. Ohne ihr Imprimatur geht hier nichts ab. Was also tun? Ich fürchte, dass mir vorher mein Gehirn aushungert, eh ich nur einen einzigen gescheiten Satz zu Papier gebracht habe. Was auch kann man Gescheites zum Ausdruck bringen, wenn einen nichts als Ausgeburten der Unvernunft umschwirren? Aber selbst wenn mir jetzt ein Brieflein gelänge! Wärs nicht fast noch schlimmer, als wenn mir nichts gelingt? Hat Oma nicht gesagt, jeden Tag von nun an einen Brief, bis ich dem Frl. Ryne gehöre? Das ist doch ungeheuerlich, das ist entsetzlich, sich abzuarbeiten, bis man ein Sklave ist. Als ob einem so eine Aussicht Mut machen und einen beflügeln könnte! Das schmettert nieder, als wär man schon nicht mehr unter den Lebenden. (er versucht die Türe zu öffnen) Und nun hat sie mich tatsächlich auch noch eingesperrt, als wollte sie mir zu verstehen geben, dass ich schon jetzt nicht mehr unter den Lebenden weile! (beim Brockhaus) Und hier, in diesem Leichenbehälter, sollen meine Briefe landen? Findest du das gut und hast du das nötig, du altes Lexikon, mir zum Sarkophag zu dienen? Wohin man schaut, nichts als Gefängnisse und Gräber auf der Welt! Fehlt jetzt nur noch, dass das Fräulein durch die verschlossene Türe ins Zimmer kommt und mir einen Ring durch die Nase zieht, um mich bequemer mit sich zu schleppen! (er tigert wieder durchs Zimmer und bleibt dann beim Fenster stehen und blickt hinaus) Stürz ich mich… Doch nein, so komm ich nicht aus der Bredouille. Was hätt ich davon, wenn ich den Sturz nicht überlebte? Und überlebe ich ihn, so komm ich um den Brief nicht herum. Versuch ich denn, ob es mir gelingt, etwas zu Papier zu bringen!

(er schreibt) Verehrtes Fräulein... Wie heißt sie schon wieder? Hab ich doch glatt den Namen vergessen. Dabei erinnere ich mich, dass der Name ganz einfach war. Verehrtes Fräulein.. Jetzt käme der Name. Ein zweisilbiges Wort war es doch. Rie-men? Nein, so heißt er nicht. Aber so ähnlich. Rie-se. So auch nicht. Aber zum Teufel auch. Muss ich das denn wissen? Da behaupte ich lieber, den Namen darf ich überhaupt nicht wissen. Zumindest nicht schreiben. Das wär ja doch schon ein unerlaubter Übergriff, eine Aneignung fremden Besitzes, jawohl, ein zu strenger Bestrafung geeigneter Raub. Verehrtes Fräulein! Mehr dürfen wir hier nicht schreiben. Das genügt; und das hätten wir doch immerhin schon mal. Doch nein, auch das ist nicht ganz richtig. Weder verehrt ist korrekt ausgedrückt, noch auch Fräulein. Zwei Wörter, drei Fehler. Wie kann jemand für mich verehrt sein, der mir wie eine Sirene erscheint? Soll sie doch der Landrat verehren, wenn er Lust hat. Aber seine Lust ist offenbar auch nur sehr begrenzt, limitiert wahrscheinlich auf eine Saison. Oder ist das eine Verehrung, wenn er die auserwählte Dame jeweils warten lässt, bis er die nächste auserwählt? An der Suppe lecken und die Suppe schmecken? Doch was geht mich das an? Wenn nur ich sie nicht auslöffeln muss?

(Emma kommt mit Apfelküchle)

Friedrich: Liebste Emma. (sie umarmend) Dank Dir, dass du mich in meinem Kerker besuchst. Dank dir, dass du mir etwas zu essen bringst.

Emma: Nit ploge!

Friedrich: Sag, dass du keine Angst vor mir hast.

Emma: Aber geh!

Friedrich: Nein sag, dass du keine Angst hast.

Emma: Wer soll schon vor dir Angst haben?

Friedrich: Wirklich nicht?

Emma: Ganz bestimmt nicht!

Friedrich: Du bist ja so lieb. O du weißt ja gar nicht, wie lieb du bist. Ich hab doch gewusst, dass du mir verzeihst.

Emma: Was schwätzest du da. Iss! Und dann schreibst du den Brief in einem Zug.

Friedrich (essend): Wüsstest du nicht nur, wie lieb du mir bist, dann wüsstest du auch Bescheid um meine abgrundtiefe, ohnmächtige Seele.

Emma: Stärk dich, dann geht alles wie von allein.

Friedrich: Ich komm mir vor, wie jener Prophet, den ein Rabe mit Brot und Wasser versorgt hat. Nur dass der keinen Brief schreiben musste. Unter Ginstergesträuch auf den Tod warten war gewiss leichter.

Emma: Soll ich dir helfen?

Friedrich: Das tust du ja doch nicht.

Emma: Da musst du aber ganz schnell machen. Denn wenn die Oma uns entdeckt, ist es mit der Freundschaft aus.

Friedrich: Ich bin so weit.

Emma: So schreib also! - Wie glücklich bin ich, verehrte Frau Ryne…

Friedrich: Die Oma hat aber gesagt, die Dame heiße Fräulein Ryne.

Emma: Fräulein sagt heute niemand mehr. Das ist veraltet.

Friedrich Aber du sagst doch auch zu unserer Putzfrau Fräulein Ehe.

Emma: Glaub mir! Oder du schreibst deinen Brief allein.

Friedrich: Also dann diktier mir!

Emma: Liebe Frau Christl Ryne

Friedrich: Frau Christl Ryne.. Wie mich das anficht!

Emma: Wenn du nicht willst

Friedrich: Nein, nein. Diktier nur weiter! Ich mein halt, dass „Frau“ sich so alt und gefährlich anhört. Diktier bitte weiter!

Emma: Heute endlich finde ich die Gelegenheit, worauf ich schon so lange gewartet habe, nämlich Ihnen mein Herz offenlegen zu dürfen.

Friedrich: (schreibend) offenlegen zu dürfen. - Zu dürfen?

Emma: Zu dürfen.

Friedrich: Aber ich will doch gar nicht. Ich verstehe. Ich muss lügen wie gedruckt. Nicht wahr?

Emma: Bei solchen Briefen muss man immer ein wenig dazu dichten. Das hat nichts mit Lügen zu tun. Das ist Dichtung und Wahrheit. Das, was sein muss im Gewand der Dichtung. Aber ich muss wieder gehen. Damit uns die Oma nicht erwischt.

Friedrich: Und wie war nochmals der Name der jungen Dame?

Emma: Du hast ihn doch aufgeschrieben.

Friedrich: Doch nein. Ich will ihn ja gar nicht mehr wissen.

Emma: Ich muss dich wieder einschließen. (Emma ab)

Friedrich: Wie kann man nur so unglücklich sein wie ich! Und dabei bin ich doch schon 32 Jahre alt. Da hat das Glück doch lange genug Zeit gehabt, einen Weg zu mir zu finden.

5. Kapitel: Auf dem Münsterberg.

1. Abschnitt: Wie der Pfarrer, der Bürgermeister, der Landrat Dr. Schröder und Oberkommissar Kriegbach auf dem Münsterplatz zusammenkommen.

Pfarrer (unter der Türe zum Pfarrhaus, er hat gut zu Mittag gegessen): Ich hab´s! Ich weiß jetzt, wie ich morgen meine Festansprache beginne! - Ein Rabbi fragt seinen Schüler: wie erkennt man, dass die Nacht zu Ende geht und der Tag beginnt. Der Schüler fragt darauf: ist es dann, wenn man einen Hund von einem Kalb zu unterscheiden vermag? Doch der Rabbi schüttelt den Kopf. Das ist es nicht. Ist es dann, wenn man einen Feigenbaum von einem Mandelbaum zu unterscheiden vermag? Das ist es auch nicht, sagte der Rabbi. - Aber Sie hören mir ja gar nicht zu, Frau Obmann!

Haushälterin Obmann: Entschuldigen Sie, Herr Dekan. Mir fiel gerade etwas anderes ein.

Pfarrer: Da geb ich mir so viel Mühe, eine Spannung aufzubauen und Sie stehen daneben und lassen sich etwas anderes einfallen!

Haushälterin Obmann: An Mariae Geburt sind es jetzt genau 10 Jahre, dass ich hier in Breisach bin.

Pfarrer: Na und? Bei mir sind es nun schon bald 20 Jahre, dass ich das Pfarrhaus hier oben neben dem Münster bewohne. Dabei hab ich nie in so einem Kaff wie Breisach sein wollen. Da willst du den Menschen etwas sagen; doch keiner will etwas wissen. (jemand kommt vorbei und grüßt) „Guten Tag!“ das genügt schon.

Obmann: Aber dass man ausgerechnet zu meinem Jubiläum das Fernrohr vom Münsterplatz wegstiehlt, das lässt mir keine Ruhe. Am frühen Morgen herzukommen und es zu klauen, das ist dreist. So etwas ist mir noch nie begegnet. Vollends der Gedanke, dass die Diebe noch immer auf freiem Fuß herumspringen, und es ist jetzt bald 13 Uhr! Das müssen Sie verstehen, Herr Dekan, dass mich das rasend macht.

Pfarrer: Mag doch das Fernrohr zum Kuckuck gehen, wenn es meine Predigt stört!

Obmann: Gewiss, Herr Dekan. Mag aber so ein Fernrohr auch nicht viel wert sein, so etwas sich einfallen zu lassen!

Pfarrer: Jedenfalls lass ich mir jetzt nicht länger einfallen, Ihren Einfällen zuzuhören! Ich muss nämlich gehen. Man wartet auf mich.

(Von verschiedenen Seiten kommen Kriegbach und der Pfarrer auf den Bürgermeister zu, der mit Dr. Schröder schon dort ist. Sie gehen dann zur Stelle, wo die Fernrohre sich befunden haben und inspizieren den Ort.)

Bürgermeister: Meine Herren, seien Sie mir willkommen, wenn es auch schöner wäre, diverse Scherereien wären uns erspart geblieben.

Kriegbach: Was gibt es denn?

Bürgermeister: Da! Sehen Sie nicht, dass Sie nicht mehr sehen, was noch zu sehen wäre, wenn es nicht gestohlen wäre?

Kriegbach: Ach, das Fernrohr ist weg. Wohl bei der Reparatur.

Bürgermeister: Heute morgen wurde es von drei dreisten Ganoven abmontiert.

Pfarrer: Frau Obmann, meine Haushälterin sah es. Sie stand am Fenster und schaute zu und dachte sich, es müsse für den Festtag überholt werden.

Kriegbach: Warum hat man mich nicht benachrichtigt?

Bürgermeister: Das haben wir zwar versucht, es war aber niemand auf Wache.

Kriegbach: Das kann nicht sein. Meine Jungens waren da.

Bürgermeister: Dann haben wir eine Nachricht hinterlassen. Aber die wartet wohl auch noch auf ihre Entzifferung.

Kriegbach: Und das an dem Tag, wo ich so ehrenvoll in der Zeitung stehe!

Bürgermeister: Das ist es ja eben. Dass man ausgezeichnet wird, ist kein Grund, den täglichen Dienst zu übersehen. Ich finde überhaupt, dass man in Ihrer Wachstube etwas nachlässig ist, Herr Oberkommissar Kriegbach! Und wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: etwas mehr Zucht und Ordnung würden den jungen Spunden durchaus nicht schaden.

Kriegbach: Ich weiß wirklich nicht, was ich zu all dem sagen soll. So jedenfalls hab ich mir den Tag nicht vorgestellt.

Bürgermeister: Kommen wir zur Sache! Die Rednerliste haben wir bereits geklärt. Zuerst komm ich, dann kommt der Herr Pfarrer und sofern der Herr Kriegbach auch noch ein paar Sätze anfügen möchte, wäre nach dem großen Gottesdienst dazu Gelegenheit. Was nun aber meine Festansprache angeht, so möchte ich auf die Verdienste unserer Stadt zu sprechen kommen, vornehmlich aber auf die denkwürdige Stunde aus dem Jahr 1950, wo wir uns als erste Stadt zu einem vereinigten Europa bekannt haben, weshalb das europäische Parlament von Rechts wegen nicht nach Straßburg, sondern hierher zu uns nach Breisach gehörte. Doch sei dem, wie es sei. Dann werde ich als Bürgermeister der Stadt Breisach die jüngst entdeckten nuklearen Bodenschätze der europäischen Völkerfamilie zum Geschenk machen.

Pfarrer (für sich): Völkerfamilie ist ein sehr schönes Wort.

Bürgermeister: Auch hat der Herr Landrat Dr. Schröder mir dabei seine Mithilfe versprochen. Nicht wahr!?

Landrat: So ist es.

Bürgermeister: Gibt es dazu noch irgendwelche Fragen?

Kriegbach: Von einigen Damen und Herren hab ich gehört, dass sie das Geschenk der nuklearen Bodenschätze nicht gut finden.

Landrat: Dabei sind wir froh, wenn wir das Zeug endlich los sind. Immerhin haben wir eine radioaktive Belastung, die weit über das zulässige Maß hinausgeht.

Bürgermeister: Leider aber stellt sich die alte Dame, auf deren Grundstück die Erze gefunden wurden, unserem Vorhaben sehr bockig entgegen.

Kriegbach: Sie scheint den Kaufpreis für dieses Isotop zu kennen und spekuliert auf eine Entschädigung, weil sie meint, das Zeug gehöre ihr.

Bürgermeister: So ist das heute: da verlangt jeder Geld für Sachen, die ihm nicht gehören wie auch für Arbeiten, die er überhaupt nicht ausgeführt hat.

Landrat: Wo die rechtlichen Grundlagen eindeutig sind, mag sich die Dame weigern, so viel sie will.

Bürgermeister: Immerhin sollte jeder Bürger begreifen, dass es Breisach zum Ruhm gereicht, wenn wir den europäischen Gedanken vertreten. - Wenn Sie noch ein wenig Zeit haben, so lassen Sie mich hier noch ein wenig skizzieren, wie ich in meiner Festrede fortfahren will!

Pfarrer: (für sich) Wenn man das Wort Gottes nicht hören will, dann mag ich auch keinen Sermon zum europäischen Gedanken hören!

Kriegbach: (für sich) Erst beschimpft er einen und dann soll man ihm zuhören?

Bürgermeister: Hier möchte ich auf die Geschichte unserer Stadt zu sprechen kommen, anfangend mit den Römern, die hier einen der ersten Brückenköpfe errichtet haben zwischen der romanisch und der germanisch geprägten Welt.

Landrat: Und Sie, Herr Pfarrer?

Pfarrer: Ich werde auf geistliche Weise bestätigen und vertiefen, was der Herr Bürgermeister gesagt hat. Denken Sie nur an die heiligen Gervasius und Protasius, wie sie durch göttliche Vorsehung von Oberitalien zu uns gekommen sind. Doch lassen Sie sich überraschen!

Bürgermeister: Vor allem unser ewiges Misstrauen voreinander sollten wir abbauen. Meine Frau sagt immer wieder zu mir: sei doch nicht so misstrauisch. So alt bist du nun doch auch noch nicht. Man kennt dich ja nicht mehr wieder. In der Tat: wenn Misstrauen ein Zeichen des Alters ist, so ist es in Europa fehl am Platz. Denn Europa ist jung.

(Arbeiter bringen ein Fernrohr als Ersatz)

Bürgermeister: (zu den Arbeitern) Meine Herren, hier, sehen Sie, hier fehlt das Rohr. (zur Prominenz) Das ist natürlich kein Ersatz, nur eine Attrappe. Sie müssen nämlich wissen, meine Herren, dass es sich bei dem entwendeten Rohr um eine Spezialanfertigung handelt. Mit dem Rohr, das gestern noch hier droben auf dem Münsterberg gestanden hat und das nun weg ist, konnten wir nämlich Uran in nächster Umgebung einwandfrei identifizieren.

Kriegbach (für sich): Und von diesem Rohr habe ich nichts gewusst?

Landrat: Ich bin mir da ganz sicher, dass die Fernrohrräuber in dieser Hinsicht keinen Gewinn haben. Möchte aber hinzufügen, dass ich gerade auch um dieses Umstandes willen doppelt froh bin, wenn wir das Uran los sind.

2. Abschnitt: Christl kommt auf den Platz.

(Während man weiter redet und die Herren den Aufbau verfolgen, kommt Christl beim Pfarrhaus vorbei, wo sie von der Frau Obmann abgefangen wird.)

Obmann: Was tut Sie denn da, Frl. Christl?

Christl: Ich habe einen Termin beim Landrat Dr. Schröder. Er hat mich einbestellt.

Obmann: Hat sie etwas ausgefressen oder gar angestellt? Sie sieht aus wie ein Leichentuch.

Christl: Eigentlich wollte ich nicht herkommen, aber die Mutter hat darauf bestanden.

Obmann: Jetzt sag Sie mir aber, worum es geht. Die Anspannung, in die sie mich versetzt, ist ja unerträglich.

Christl: Das ist schnell gesagt. Landrat Dr. Schröder wünscht sich mit mir eine Verlobung.

Obmann: Ja so was. Und das erfahr ich erst jetzt? Weiß die Welt, wissen die Freundinnen schon davon?

Christl: Ich hab es noch niemand gesagt. Ich selber glaub ja noch nicht recht daran.

Obmann: Wenn es dein Glück ist! An sein Glück darf jeder glauben, Frl. Christl.

Christl: Ich hab mir das alles einmal ganz anders vorgestellt. Als einen schönen Weg zu zweit, bis es so weit ist. Nicht so Knall auf Fall.

Obmann: In der Kindheit ist es erlaubt, romantisch zu schwärmen, Frl. Christl. Wenn man aber erwachsen ist, ziemt einem, das Wichtige praktisch realistisch zu erwägen.

Christl: Mir wär auch ein Mann recht gewesen, mit dem ich das Geschäft der Eltern hätte weiterführen können, gesetzt nur, er wär ordentlich und brav gewesen.

Obmann: Zugegeben, Dr. Schröder ist etwas älter als Sie. Vielleicht 10 Jahre?

Christl: Ganz genau gesagt: 12 Jahre. Er ist im letzten Monat 32 geworden.

Obmann: 12 Jahre, das ist doch nichts. Oder was macht das aus, wenn man einmal Landrätin ist?

Christl: Auch fühl ich mich fast so wie in der Schule. Aber das ist ja längst noch nicht alles. Jetzt nämlich wollen die Eltern das Geschäft verkaufen und auswandern; wohin aber wissen sie noch nicht.

Obmann: Das alles sind allerdings viele Neuigkeiten auf einmal. Und doch, Frl. Christl. Denk Sie lieber an heute Abend. Was es da gibt, wenn alle Welt sieht, wie Sie die Seite des Landrats schmücken. Da gehen Sie doch gewiss zusammen hin.

Christl: Man wird sehen.

Obmann: Übrigens, da drüben steht er.

Christl: Ich weiß. Ich hab ihn schon gesehen.

Obmann: Gehen Sie doch hin!

Christl: Mir ists lieber, ich lass die Herren allein und warte da drinnen. So haben wir es ausgemacht.

(ab ins Bürgermeisteramt)

3. Abschnitt: Wie der Lehrer Anton Lang mit dem Chor kommt.

Einige vom Chor: Sollen wir hier singen?

Lehrer: Ja hier. So wird es gut sein. Ja doch. (für sich) Angenehmer wär mirs allerdings, wenn ich den Pfarrer und den Bürgermeister nicht sehen müsste. Immer erinnern sie mich daran, wie sie mir die Stelle des Konrektors verwehrt haben! Mit der scheinheiligen Begründung, dass in meinem Alter niemand mehr befördert würde. Wenn das nun auch schon 10 Jahre her ist, so nagt es doch noch immer an mir. Hätt ichs meiner Frau nicht versprochen, mich an der Feierlichkeit zu beteiligen, es hätte mich wahrlich keiner aus dem Haus gebracht. Ihr zu lieb hab ich mich aufgerafft. Gebs Gott, dass es ihr zum Heil ausschlägt! Aber das ist das allerletzte Mal, dass ich mich in der Öffentlichkeit einbringe. Schließlich hab ich bereits die 70 überschritten und es gibt viele jüngere, viel talentiertere Leute. -

Sind wir alle soweit? – Gut, dann machen wir uns ans Werk! (er stimmt mit der Stimmgabel an, verteilt die Töne und singt leise den Anfang vor: ein Berg ragt auf)

Chor:

Ein Berg ragt auf, weit übers Land,

der nicht gebaut von Menschenhand.

Der ihn gebauet sich zur Ehr,

es ist der Erd- und Himmelsherr.

Bürgermeister: Nun, Herr Landrat, was sagen Sie zu unserem Stadtdichter? Für ein Eigengewächs, ich meine einen Autodidakten, doch gar nicht schlecht.

Landrat: Nur leider versteh ich nicht viel von den Feinheiten der Dichtkunst. Alle Welt dichtet heute.

Bürgermeister: Wie machen Sie das nur, Meister Lang? Ich meine Ihre Lieder? Die Herren zeigen immerhin einiges Erstaunen.

Lehrer: Wenn wir das wüssten, wie wir alles machen!

Pfarrer: Aber was Sie damit aussagen wollen, das wissen Sie doch!?

Lehrer: Ich denke schon.

Bürgermeister: Sie dichten auch in Mundarten?

Lehrer: Ich liebe den Dialekt.

Bürgermeister: Ich gäb was drum, ich hätte auch Zeit, den Dialekt zu lieben.

Kriegbach: Ich schätze auch die Dialekte, wo jeder nochmals auf besondere Weise zu Hause ist.

Lehrer: Mittags, wenn die Sonne über den Rhein tritt und mir ist, als schaute sie noch einmal herüber zu unserem Münsterberg, eh sie das Elsass betritt, überkommt es mich hochallemannisch. Und wenn sie dann abends zu den Vogesen herabkommt, klingt mirs wie aus dem Elsis.

Kriegbach: Sie waren seinerzeit als Junglehrer im Elsass tätig?

Lehrer: Das ist schon lange her.

Bürgermeister: Aber das haben die Franzosen nicht gern, wenn man im Elsass elsässisch redet. Überall sonst auf der Welt, aber nicht en Alsace.

Lehrer: Bin ich hier im Elsass?

Landrat: Gleichwohl hat der Bürgermeister Recht. Zumal wir Deutsche haben Rücksicht zu nehmen auf unsere Nachbarn.

Lehrer: Lassen Sie mich jetzt bitte mit dem Chor weiterproben. Ich habe nur wenig Zeit. Zuhause wartet eine schwerkranke Frau auf mich. – Singen wir die zweite Strophe!

Chor:

Du gibst uns allen Mut und Kraft,

wo deine Rechte Wunder schafft,

und was du einmal ausgeführt,

darob kein Feind mehr triumphiert.

Kriegbach (auf die Uhr schauend): Eigentlich müsste Herr Proteus längst da sein. Er war gestern bei mir und versprach mir sein Kommen für diese Stunde..

Pfarrer: Bei mir war er auch. Er wollte auch noch bei Ihnen vorbeischauen, Herr Hüner.

Bürgermeister: Hat er aber nicht.

Pfarrer: Nun ja. Er ist ein bedeutender Mann, der mit seiner Zeit haushalten muss.

Bürgermeister: Da kann ich Ihnen nicht recht geben, werter Herr Dekan. So etwas ist nicht gut. Für solche Antrittsbesuche gibt es Protokolle.

Landrat: Und außerdem sind wir nicht minder bedeutsam.

Pfarrer: Dass wir uns jetzt nur nicht auch noch hier Schwierigkeiten einhandeln.

Kriegbach: Wichtig ist auf jeden Fall, dass wir den Urantransport so unauffällig wie möglich gestalten.

Bürgermeister: Sie meinen wegen der Kernkraftgegner?

Kriegbach: Meine Herren, die ganze Zeit über rumort und kocht es in mir. Hols der Teufel!

Pfarrer: Mit Verlaub, Herr Kriegbach. Mag sich der Mensch mitunter auch zum Teufel wünschen, so bekundet er damit doch nur, dass er in großer Not ist.

Kriegbach: Dann schaffen Sie uns das Fernrohr zurück, Herr Dekan, und ich will mir Ihre Erbauungspredigten anhören bis ans Ende der Tage!

Landrat: Meine Herren, gestatten Sie, dass ich gehe! (er geht)

Pfarrer: Aber da kommt ja doch der Monsieur!

Landrat: Ich muss jetzt gehen. Meine Braut wartet auf mich. (ab)

4. Abschnitt: Proteus kommt hinzu.

Bürgermeister: Entschuldigen Sie! Sind Sie Herr Proteus, der Vorsitzende des europäischen Städtebunds?

Proteus: O oui! Je m appelle Monsieur Proteus.

Bürgermeister: Mein Name ist Hüner mit einem H. Ich bin der Bürgermeister des Ortes.

Proteus: Je suis ravi, monsieur Hüner.

Kriegbach: Grüß Sie Gott, werter Herr Proteus.

Proteus: Das Vergnügen liegt ganz auf meiner Seite, großer Held von Breisach.

Bürgermeister: Großer Held von Breisach?

Proteus: Immerhin hat er einem angesehenen Bürger das Leben gerettet. Lebt der Geburtshelfer, so leben auch die Babys! Oder haben Sie nicht gelesen les journaux?

Kriegbach: Ist das nicht schon Schnee von gestern?

Proteus: Monsieur, wenn schon die Welt vergesslich ist, so wollen doch wir uns stets an das Gute erinnern. Und das Foto auf dem Titelblatt, das ist einfach Extraklasse! Das könnte ja fast ich geschossen haben!

Kriegbach: Nun, nun!

Pfarrer: Und wie geht es mit Europa?

Proteus: Sagen wir, es geht gut; das ist nie schlecht.

Pfarrer: So geht es nicht gut?

Proteus: Doch, doch. Mais.. Sehen Sie. Die Frage ist entweder recht trivial oder recht schwierig. Immerhin ist die Welt hier in Breisach noch in Ordnung. Hier chez l´ombilic d Europe. Comment dit-on? Le Nable? Non. Der Nabel Europas.

Bürgermeister: Wie Sie wissen, haben wir Breisacher Bürger uns entschlossen, unserer gemeinsamen Mutter Europa zum Geburtstag ein Geschenk zu machen.

Proteus: Das haben Sie sehr schön ausgedrückt, Herr Hüner mit einem H.

Bürgermeister: Sie wissen, um was für ein Geschenk es sich handelt.

Proteus: Mais oui. Dazu bin ich ja da.

Bürgermeister: Und Sie wissen auch, dass es drunten am Fuß des Münsterbergs lagert...

Proteus: O natürlich.

Bürgermeister: Bei einer alten Frau. Sie heißt Frau Anastasia Di-e-bus und legt Wert darauf, dass man ihren Namen korrekt ausspricht.

Proteus: O ja.

Bürgermeister: Woher wissen Sie das schon? Davon haben wir Ihnen doch noch nichts verraten.

Proteus: Aber ich habe alles erfahren durch meine geheimen Dienste. Und ich weiß auch, dass es sich bei Ihrem hochherzigen Geschenk um hochwertiges Uran handelt. Natürlich kann man sich fragen, was Europa mit Uran anfangen soll. Und böse Zungen fragen sich auch schon, ob nun auch Europa noch eine Atombombe braucht, nachdem England und Frankreich Atombomben haben. Und doch ist Uran für Europa eine gute Idee. Das müssen Ihnen selbst Ihre Gegner zugestehen. So stellt schon Breisach nichts Böses damit an. Und auch kein Bin Laden kann es dann mehr klauen. Lassen Sie mich nur der Sache annehmen.

Pfarrer: Ein Stein wird uns vom Herzen fallen, wenn wir das Zeug los sind.

Proteus: O ich verstehe. Früher hatte man Angst vor dem Schwert des Scharfrichters: weil es sich zu bewegen und zu klappern begann, sobald ein späteres Opfer in seine Nähe kam. Heute bewegt und klappert da nichts mehr. Und wenn einer auch mal den Weg zu den bösen Häusern gehen muss, so sind die Mahlzeiten dort inzwischen besser geworden und auch die Aussicht aus den Fenstern ist längst nicht mehr so trostlos wie damals. Bei meinem Leben, heute sind aus den bösen Häusern komfortable Ferienappartements geworden. Dafür aber haben wir die Atombomben. Keiner weiß genau, wo sie sich befinden und noch weniger, wie man sie unschädlich macht. Wir wissen nur, dass sie in ungeheuer großer Zahl über die Erde verteilt sind. O Herr Pfarrer! Da müht man sich ab bis ins heilige Grab und weiß nicht, was dabei herauskommt. Ist es nicht so? Dabei heißt es: Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind.

Pfarrer: Dass nur der Mensch nicht von der Vorsehung dazu bestimmt ist, sich selber auszurotten.

Proteus: O, meine Herren! Den Menschen im Verbrecher haben wir schon zu einem Gutteil zu verstehen gelernt. Z.B. indem wir uns bemühen, ihn zu resozialisieren. Aber den Verbrecher im Menschen kennen wir noch so gut wie gar nicht. Je höher wir auf der Leiter der Ämter emporsteigen, umso entschiedener leugnen wir ihn in uns ab. Und doch kann einem Angst werden, wenn man bedenkt, was für dunkle Abgründe selbst die sichersten Stützen des Staats mit sich tragen.

Bürgermeister: Beschmutzen wir nicht das Nest!

Proteus: Sie glauben mir nicht? Sie denken, ich scherze? Keineswegs. Nehmen Sie es doch einmal so! Beantworten Sie im Stillen meine beiden Fragen. Erstens: wie verlässlich ist einer, der sagt, auf mich könnt ihr euch verlassen? Und zweitens: Wie viel an Vertrauenswürdigkeit fehlt einem, der sich ernsthaft fragt, wie vertrauenswürdig er ist? La machinerie des hommes est terrible. Oui. Und ohne den Glauben an eine Gemeinschaft der Heiligen, das wusste man früher noch sehr wohl und das kann mir der Herr Pfarrer bestätigen, gibt es keine Rettung der Menschheit.

Lehrer: Und nun singen wir noch die letzte Strophe!

Chor:

So bleib auch weiter unser Hort

dann blühe liebe Heimat fort,

und wenn der Zeiten Schifflein sinkt,

uns eine ewige Heimat winkt.

Proteus: Haben Sie das selber gedichtet, verehrter Herr?

Lehrer: (nickt)

Proteus: Mon compliment! Das ist ja phänomenal. Ich bin überwältigt.

Lehrer: Als ich es gedichtet habe, das war vor 10 Jahren, da habe ich noch daran geglaubt. Aber jetzt...

Proteus: Silence, monsieur! Silence! Sie können noch immer daran glauben. Sie müssen nur an sich selber glauben. Mais oui! Lassen Sie sich nicht beirren und machen Sie nur so weiter. Glauben Sie mir: solange wir Männer haben wie Sie, werden wir schon alles in Ordnung bringen. Auch ich, meine Herren, werde meinen Beitrag dazu leisten. Spätestens mit dem Einbruch der Nacht bin ich so weit. Dann geb ich Ihnen Bescheid.

6. Kapitel: Die Villa Diebus

(späte Dämmerung)

1. Abschnitt: Proteus in eigener Sache.

Oma: (erregt ums Haus eilend, dann ins Haus tretend) Da ist doch jemand. Wir werden verfolgt.

Emma: (ihr nacheilend) Da ist niemand.

Oma: Was weißt du denn schon? – (ruft) Ist jemand da?

Emma: Immerhin ist Friedrich zuhause.

(sie verschwinden wieder im Haus)

Proteus (tritt mit einem Huhn in der Hand vor der Villa auf): Dich hätten wir nun schon mal, mein liebes Hühnchen! Doch nur keine Angst, dich wollen wir heute noch nicht rupfen! Für heute haben wir uns eine etwas größere Aufgabe vorgenommen. Meine Damen und Herren! Verlachen Sie mich bitte nicht, wenn Sie mich dieses gackernde Hühnchen in der Hand tragen sehen. Sie mögen zwar denken, dass ein solches Bild nicht zum großen Vorsitzenden von ganz Europa passt, wie Sie mich bereits kennen zu lernen die Ehre hatten. Indes, wie leicht irrt man sich doch. Wie oft hat es nicht der um seine Völker besorgte Politiker mit verängstigten und aufgescheuchten Hühnchen zu tun? Und das nicht nur, wenn er auf Stimmenfang ausgeht und die Stimmung des Volkes erkundigt, gerade auch wenn es um Befürchtungen und Verängstigungen der breiten Bevölkerung geht. Freilich, keinen Ministerpräsident und keine Kanzlerin werden Sie jemals so zu Gesicht bekommen wie mich jetzt. Für einen in der Öffentlichkeit ernst zu nehmenden Mann, für ein erhabenes und erlauchtes Beispiel, für einen hohen Würdenträger scheint es sich einfach nicht zu schicken, mit einem so kleinen Gackerhühnchen im Arm herumzulaufen. Und doch will ich ein Schurke sein, wenn mir nicht jeder dieser kleinen verängstigten Zeitgenossen ebenso lieb ist wie der königliche Aar oder der Jagdfalke. Wenn ich zum Glück auch nur wenig Talent zum Menschenverächter verspüre, so weiß ich doch nur zu genau, dass sich in mir neben dem ehrfurchteinflößenden Staatsmann stets auch manch eine andere Gestalt regt: der räudige Wolf und das stets flüchtende Schaf. Wolf und Wolfshund, absolutistischer Monarch und vom Volk gewählter und bestellter Staatsdiener, Schurke und Gerechter: alle diese Typen hausen in mir. Ja, wenn ich mal meine Minuten bekomme, dann stell ich mich an wie dieses Hühnchen eben jetzt, das nicht recht weiß, ob es sich fromm stellen oder auf mich loshacken soll. Sehen Sie, wie es forschend die Äugchen bewegt? Ja, wenn man da wüsste, was erlaubt ist. Wenn da doch nur auch im Hühnerstall einmal ein Solon oder ein Lykurg groß geworden wäre. Bemühen wir uns denn, dem lieben Tierchen mit gutem Beispiel vorauszugehen! Bemühen wir uns, die guten Seiten in uns zu stärken. Wenn Sie mich nun aber auch ein wenig auf schlüpfrigen Pfaden wandeln sehen, so halten Sie mir zumindest dies zugute, dass ich dabei, wiewohl Europas mächtigster Sohn, doch nie vergesse, dass ich, wo immer ich bin, stets nur ein klein wenig Theater spiele. Nun trifft es sich immerhin ausgezeichnet, dass just in diesem Haus, wo ich heute Nacht eine delikate Mission zu verrichten habe, ein junger Mann wohnt, der geeignet ist, mir dabei zu helfen. Tapfer heißt er, wenn gleich er vorerst noch kaum mehr als die alleruntersten Weihen der Tapferkeit erworben hat. Wie Sie bereits wissen, hat er es im Leben bislang noch nicht allzu weit gebracht. Die ersten zwei, drei Stufen von den schier unzählbaren Stufen auf dem Weg zum Universalgelehrten hat er absolviert, von wo aus er wie von einem Feldherrnhügel auf die tief unter ihm liegende Welt herabsieht. Eigentlich wäre er damit zufrieden, gehört er doch zu den Menschen, die zufrieden sind mit sich und mit dem, was sie erreicht haben, wenn es ihnen nur nicht am Nötigsten fehlt. Und doch komme nun noch ich. Dommage, mais oui, aber so ist das eben im Leben; mitunter muss einer auch noch etwas dazulernen, wenn er auch nicht will. Doch genug davon. Wenden wir Auge und Ohr dem Kommenden zu.

2. Abschnitt: Proteus instruiert seine drei Leute.

Proteus: Meine Herren?

Ganoven: Wir sind da!

Proteus: Und Sie sind bereit?

Ganoven: Zu allem bereit!

Proteus: Was die Bedingungen angeht, unter denen wir zu arbeiten haben, so könnten sie nicht besser sein, stehen wir doch unter der allerhöchsten Protektion der hohen Herren des Ortes. Und wenn michs gelüstet hätte, so hätt ich gewiss auch noch den Segen der Kirche erhalten. Ich denke aber, dass wir auch ohne diesen Segen auskommen. Und nun, meine Herren, ans Werk! (er schellt)

3. Abschnitt: Wie die Ganoven ins Haus eindringen.

Oma: (zuerst nur die Nase aus der Türspalte heraus streckend) Wer ist da?

Proteus: Ich. Ich möchte Sie nur fragen, Frau Di-e-bus: Gehört Ihnen dieses Huhn? Gewiss haben Sie es schon vermisst!

Oma: Gehen Sie oder ich lasse meinen Hund auf Sie los.

Proteus: Das glauben Sie doch selber nicht. Sie haben keinen Hund. Sonst hörten wir schon lang ein riesiges Gebell. Und auch das Hühnchen hätte sich kaum bis ans Gartentor verirrt.

Oma: Wo haben Sie das Huhn? (die Türe einen Spalt breit öffnend) Geben Sie es her! (sie nimmt das Huhn entgegen)

Proteus: Sie kennen uns gewiss, gnädige Frau. Auf jeden Fall dürfte Sie der Herr Bürgermeister Hüner auf unser Kommen vorbereitet haben.

Oma: Da könnte jeder kommen! (will die Türe zuschlagen)

Proteus (mit einem Fuß in der Türspalte): Aber, aber! Frau Di-e-bus.

Oma: Will er gleich seinen dreckigen Stiefel wegziehen!

Proteus: Madame! Ich komme zu Ihnen weder von einem Hühnerzüchterverein noch auch geschickt von der Propagandaabteilung einer politischen Partei, sondern ganz schlicht in der Eigenschaft eines Vorsitzenden von Europa.

Oma: Erzähl er das meinen Hühnern, dass sie was zu lachen haben!

Ganove: Er könnte sich Kaiser von Europa nennen.

Oma: Mag er sich nennen, wie er will. Und wenn er der Gott von Europa wäre! Ein Vorsitzender stemmt keinen Fuß in meine Tür. Im Übrigen pfeife ich auf alle Vorsitzenden der Welt. - Will er nicht endlich seinen Fuß wegnehmen? Was soll ich denn sonst noch sagen?

Ganove: Es tut uns leid. Was sein muss, muss sein!

(sie dringen ins Haus ein)

Oma: Aber das ist Hausfriedensbruch! Wenn die Herren nicht augenblicklich gehen, ruf ich die Polizei.

Proteus: Das wär nicht schlecht. Die Polizei ist es ja gerade, die uns schickt.

Ganove: Herr Kriegbach persönlich sagte noch zu uns: aber geben Sie gut acht! Die alte Dame ist sehr empfindsam.

Oma: (halb für sich) Wenn ich nur unbemerkt zum Telefon käm!

Proteus: Warum wollen Sie unbemerkt zum Telefon? Bitte, fragen Sie doch Herrn Kriegbach! Hier ist mein Handy. Und das ist die Nummer. Bitte! Wir warten so lange.

Oma: Das ist Hausfriedensbruch.

Proteus: Telefonieren Sie und überzeugen Sie sich, dass wir uns ordnungsgemäß in Ihrem Haus eingefunden haben! Dann werden Sie erfahren, dass wir von höchstem Ort aus geschickt sind.

Oma: Ich denke nicht dran. (für sich) Mit meinem Telefon würd ich schon telefonieren. Und das soll mir auch gelingen.

Ganove: Ist nicht schon genug passiert? Die Goldbarren des Chefarztes sind fort, und das Fernrohr auf dem Münsterberg ist fort. Und die Familie Ryne hat einen schrecklichen Überfall durchstehen müssen. Sollen jetzt auch noch die Uranvorräte verschwinden? Gewiss, Sie können uns den Zutritt verweigern, aber nur auf eigene Verantwortung. Das wäre nicht nur nicht schön, das könnte auch sehr teuer für Sie werden.

Oma: Glauben Sie nur ja nicht, dass ich keine Mittel habe, Ihnen das Handwerk zu legen!

Ganove: Gnädige Frau, bedenken Sie, was Sie da sagen! Dem Vorsitzenden des Europaparlaments, dem Präsidenten von Europa das Handwerk legen? Das ist die Unmöglichkeit schlechthin. Selbst die Kaiser von Preußen und Österreich zusammen waren nicht so mächtig wie er.

Oma: Dann passen Sie jetzt mal auf!

4. Abschnitt: Wie die Ganoven mit Friedrich und mit der Oma verfahren.

Oma: (sie ruft) Friedrich!

Friedrich: Was ist? Das Zimmer ist abgeschlossen.

Oma: Warte, ich mach dir auf! - Und dann, meine Herren, können Sie was erleben!

Proteus: Meine Herren, walten Sie Ihres Amtes! Sie wissen, was Sie zu tun haben! Beweisen Sie, dass Sie mit einem so einfachen Fall spielend fertig werden! Tun Sie alles, wie es sich für einen Gentleman gehört! Ich will mir unterdessen einmal die Schätze im Berg anschauen! (er geht)

Oma (indem sie die Tür aufschließt): Wo bist du?

Stimme von Friedrich: Hier! Kann ich jetzt aufhören mit dem Briefschreiben?

Oma: Komm heraus!

Friedrich: Hier ist der Brief! Er ist aber noch nicht fertig.

Oma: Weg mit dem Brief!

Friedrich: So hast du es dir anders überlegt?

Oma: Sieh dich doch um.

Friedrich: Die drei Männekens?! Hast du Besuch?

Oma: Dummkopf! (leise) Das Telefon.

Stimme von Friedrich: Wie?

Oma: Mein Telefon sollst du mir bringen, du Rindvieh, wenn du schon keinen Alarm schlagen kannst. Siehst du es denn nicht? Wir werden überfallen!

Stimme von Friedrich: Vom wem?

Oma: Hast du keine Augen im Kopf?

Friedrich: Die Herren da? Das sind doch keine Räuber. - Meine Herren, wären sie so gut, meiner Oma zu sagen, dass sie keine Räuber sind?

ein Ganove: Was nicht gar!

Friedrich: Vielleicht sind das drei Polizisten vom Oberkommissar Kriegbach.

ein anderer Ganove: Schau er uns nur genau an! Können ehrenwerte Männer wie wir Räuber sein?

Ein dritter Ganove: Keinem Richter und keinem Anwalt und keinem Chefarzt sitzt die Fliege so akkurat am Hals wie uns. Und an einen Revolver ist schon überhaupt nicht zu denken!

Friedrich: Und was tun Sie, was wollen Sie hier?

Ganove: Wir sind gekommen im Auftrag der Stadt Breisach, das in Ihrem Keller gelagerte hochradioaktive Material sicherzustellen.

Friedrich: Und wozu das?

Ganove: Dass er und seine Oma auch morgen hier noch leben können.

Friedrich: Und wie wird das von Ihnen sichergestellt? Hat das der Herr Oberkommissar Kriegbach so angeordnet?

Ganove: Immer ist es der Boss, der die Anordnungen trifft.

Oma: Nichts da.

Friedrich: Warum nicht, Oma?

Oma: Weil nur ich hier im Haus bestimme und weil du sie herauswerfen sollst!

Friedrich: Ich?

Oma: Frag nicht lang. Nichts als Räuber und Verbrecher sind das! - Jawohl, meine Herren, wenn Sie meinen, ich hielte Sie für Herren, dann täuschen Sie sich. Nichts als Räuber sind Sie, die wir für Herren halten sollen. Doch wir wissen Bescheid. Sie sind Herren, die wir für Räuber halten müssen, ob Sie sich auch die schönsten Fliegen an den Hals gesetzt haben. Aber glaubt nur nicht, ich würd mit euch nicht fertig. – Los, wirf sie heraus und zeig deiner Oma, was du kannst!

Friedrich: (für sich) Das wär jetzt wohl so eine Gelegenheit, mit der Unerbittlichkeit meiner nie versiegenden Muskelkraft zu zeigen, dass noch hinter meinem Rücken ein Herkules waltet. Doch warum sollen wir es nicht zuerst mal auf diplomatischem Weg versuchen? Warum immer gleich den Kraftprotz hervorholen? Warum Gewalt üben? - Meine Herren, wenn ich auch nicht weiß, was ich für Sie tun kann, Sie wissen, was Sie tun sollen. Drum tun Sie es bitte!

Ganove: Wie er weiß, lagert unter dem Münsterberg hochradioaktives Material, geeignet für den Bau von Atombomben. Wir als die Gesandten Europas sind nun aber geschickt, dieses Material sicher zu stellen. Wenn Sie das Leben Ihrer Oma lieben, müssen Sie uns dabei helfen.

Friedrich: Hörst du, Oma?

Oma: Nichts hör ich und noch weniger seh ich.

Ganoven: Es wäre schade, wenn es zu einem Konflikt käme.

Friedrich: Bringen Sie sie sonst um?

Ganove: Das Uran bringt sie sonst um!

Friedrich: Hörst du, Oma?

Oma: Nichts habe ich gehört.

Ganove: Alles hat sie gehört! Nur will sie Ihren Ohren nicht trauen.

zweiter Ganove: Wir aber haben ihr versprochen, sie vor allem Unheil zu bewahren, ob sie nun will oder nicht.

dritter Ganove: Manche müssen eben auch zu ihrem Glück gezwungen werden. Doch das geht nur, wenn sie die Maske aufhat, die die radioaktive Strahlung abhält. (zeigt Friedrich einen Strumpf)

Friedrich: Den Strumpf da soll sie sich aufsetzen?

Ganove: Nichts da, Strumpf! Ein hochwertiger, hochempfindlicher Ausrüstungsgegenstand ist das. - Wenn sie sich aber nicht selber schützen will, so empfehlen wir ihm, ihr den Schutz angedeihen zu lassen. (überreicht ihm einen Strumpf)

Friedrich: Was soll ich damit tun?

Ganove: Ihr den Helm aufsetzen!

Friedrich: Hast du gehört, Oma? (er macht Anstalten dazu)

Oma: Komm du nur her!

Friedrich: Ha, wie mich das ängstigt!

Oma: Wenn keiner es auch wahrhaben will, wie gemein man mit mir umgeht, obwohl man es doch mit eigenen Augen sieht: du, mein Hühnchen, du siehst es. Und du wirst es auch bezeugen am jüngsten Tag.

Ganove: Genug jetzt palavert! Augenblicklich wird der Strumpf angezogen! Und dann bringst du sie in das Zimmer, in dem du vorhin warst! Und sperrst sie darin ein! Nur für dieses Zimmer verbürgen wir eine radioaktiv freie Zone.

Friedrich: Warum soll ich das Zimmer abschließen?

anderer Ganove: Auf dass die Alte keine unüberlegten Handlungen begeht.

Friedrich: Passiert dann meiner Oma nichts?

Ganove: Kein Teufel krümmt ihr dann ein Haar!

Friedrich: Hörst du, Oma?

Oma: Dummkopf! Statt die Welt zu alarmieren, dass bei uns das Ende der Welt begonnen hat! Und das will ein Mann sein! Aber komm her und rühr mich an!

Friedrich: Die Herren wollen ja nur dein bestes.

Oma: Ich will von niemand mein bestes, und schon gar nicht von denen.

Friedrich: Meine Herren, Sie sehen, ich kann nichts ausrichten. Ich bin außer Stand, selbst wenn es mich das Leben kostet.

Ganove:- (drohend) Wirds bald?

Friedrich: Soll ich mich umbringen?

Ganove: Die Alte soll er einsperren.

Friedrich: Eigentlich ist das gar nicht so schlimm, Oma. Schau! Auch ich war ja vorhin da drinnen eingesperrt. Und wenn du meinst, du würdest mich nimmer sehen und ich wär ein Bösewicht, so musst du dir ja nur sagen, dass das alles überhaupt nicht stimmt!

Oma: Jetzt zeigst du mir endlich dein wahres Gesicht! Scheusal du, Verräter, unnatürlicher, blutgieriger Nero! Deine eigene Oma zu vergewaltigen, das würd dir so passen!? Aber du wirst es noch bitter bereuen, mit diesen Kerlen zusammen gebadet zu haben! O, dass ich das noch erleben musste! Ist das der Dank für die mühevolle Erziehung, um die ich mich über so viele Jahre bemüht habe! Aber wenn du einmal tot bist und im Grab liegst, dann wundere dich nur nicht, wenn dir die Hand aus dem Grab heraus wächst.

Ganove: Dann werden wir eben selber die Sache besorgen. - Komm her, Alte!

Oma: Pfoten weg! Freiwillig gehe ich ins Exil. Komm mit mir mein Hühnchen!

Ganove: Den Strumpf über die Rübe!

Oma: Weg, hab ich gesagt. Gib das Zeug her! (sie nimmt den Strumpf) Gerechtigkeit hab ich geliebt, Unrecht gehasst; darum sterben wir jetzt in der Verbannung! (sie geht ins Zimmer, das man dann abschließt)

Friedrich: Und das alles geschieht zu meiner Oma Glück?

Ganove: Was denn sonst! Stell dich daher!

Friedrich: Und was soll ich da?

Ganove: Aufpassen, dass die Alte nicht durch die verschlossene Türe entweicht.

Friedrich: Meine Oma soll ich bewachen?

Ganove: Nehm er Haltung an!

Friedrich: (streckt die Arme in die Höhe wie beim Psychiater)

Ganove: Haltung! Weiß er nicht, was das ist? So!

Ganove: Wie der Wächter vor dem heiligen Grab.

Friedrich: Aber die Oma ist doch noch nicht tot.

Proteus (der zurückgekommen ist): Was gibt es? Ist alles in Ordnung?

Ganove: Alles in Ordnung!

Proteus: Drüben auch. Es ist alles bereit, ans Werk zu gehen.

Friedrich: Es ist nicht alles bereit, wenn ich es sagen darf…

Proteus: (zu Friedrich) Mein Freund, was ist mit dir?

Ganove: Wir haben ihn hier als Wächter postiert.

Friedrich: Ich kann nicht meine Oma bewachen.

Ganove: Das wird er schnell lernen.

Friedrich: Lieber will ich tot sein.

Proteus: Das tut nicht gut. Es ist besser, der junge Mann geht mit mir.

Friedrich: Mein Gott. Wohin muss ich gehen?

Proteus: Das wird er sehen.

Friedrich: Es ist Nacht draußen.

Proteus: Wo hat er seinen Brief? Hol er ihn her!

Friedrich: Aber der ist doch noch gar nicht fertig.

Proteus: Dann schicken wir ihn eben unfertig davon. Daran ist die Nachtpost gewöhnt.

Friedrich: Hier ist er. (zittert)

Proteus: Er tut ja, als hielte er eine Gorgo in Händen. Gib her! (überliest ihn kurz und reicht ihn ihm wieder) Und jetzt steckt er ihn in den Umschlag!

Friedrich: Es ist schrecklich, wenn man machen muss, was man nicht machen will.

Proteus: Was hat er denn? Angst vor dem Brief, den er selber geschrieben hat?

Friedrich: Wenn ich etwas Schönes und Beruhigendes geschrieben hätte. Aber das alles ist beunruhigend und schrecklich. Schon den Brief zu berühen, kostet mich eine ungeheuerliche Anstrengung.

Proteus: Dann pack er den Brief ein! Da, nehm er den Koffer.

Friedrich: Was soll ich tun?

Proteus: Sperr er den Brief in den Koffer. Und den Koffer verschließt er jetzt gut. Und nun nimmt er den Koffer zur Hand und kommt mit.

Friedrich: Und nun?

Proteus: Nun gehen wir.

Friedrich: Ohne die Oma?

Proteus: Sag er ihr noch auf Wieder-sehen?

Friedrich: Seh ich sie wieder?

Proteus: Warum auch nicht?

Friedrich: Oma (er bricht in Tränen aus).

Proteus: Was hat er denn?

Friedrich: Bin ich nicht ein Verräter?

Proteus: Los, komm. Nur keine Faxen! (an der Türe zur Oma) Und dass sie sich ja nicht muckst! (zu den Ganoven) Ihr aber wisst, was ihr zu tun habt.

Ganoven: Wir wissen es!

Proteus: Also los! Gehen wir!

7. Kapitel: Nachts unterwegs.

1. Abschnitt: Kriegbach und Polizisten in einiger Entfernung vor dem Haus der Anastasia Diebus.

A.: Solls nun doch nichts werden mit dem versprochenen Vorabendfest? Das wäre aber sehr traurig.

Kriegbach: Wenn es nach mir gegangen wäre, gäbs jetzt keine Nachtschicht. Wenn Sie nun aber schon Dienst hier tun, so tun Sie ihn bitte sorgfältig und gewissenhaft.

B.: Robert hat immerhin seine Freundin eingeladen.

C.: Jawohl, wir sind enttäuscht. Aber dann singen wir eben auch nichts. Dann müssen sie ohne uns auskommen.

Kriegbach: Doch still, da kommen ja Leute, vermutlich vom Kollegen Proteus.

C.: Vielleicht, dass die eine gute Nachricht bringen?

2. Abschnitt: Die Ganoven singen das Lied vom braven Ganoven.

Wo ist der Mensch, der stets hat, was er braucht,

der stets zufrieden sein Pfeiflein raucht,

der niemals gesagt hätt: das hätt ich noch gern,

wenn was Schönes er sah in der Näh, in der Fern?

Den sättigt der würzig betäubende Duft

überm Blumenbeet in des Frühling Luft,

den Mangel und Not erreichten nie,

ein genügsames Selbstversorgungsgenie.

Mag ein Weiser auch Einfalt und Armut erstreben:

der Mensch braucht gar manches in seinem Leben!

 

Braucht zum Werktag den Sonntag, zur Arbeit die Ruh,

die Erquickung des Schlafs zum Tagwerk dazu;

braucht Sommer und Winter, braucht kalt und braucht warm,

den Bader, den Pfarrer, das Gericht, den Gendarm;

Doch freilich von Drangsal und Kummer nicht viel,

noch von Gerichten und bösem Spiel;

lieber von Gütern und Geld etwas mehr

als vom schönsten Mangel, von Haft und Entbehr.

Wenns sein muss, dass ihn was drückt oder quält,

genügt ihm, wenn am Fasttag der Braten ihm fehlt.

 

Uns nun, mit mancher Salbe geschmiert,

für Wechselfälle stets präpariert,

wir brüllen nicht: Geld her oder das Leben,

lassen, was gebraucht wird, anständig uns geben.

Wir sagen, mein Herr, wollen bitte sich gedulden,

überfällig längst sind ja schon ihre Schulden.

Wir ziehen nur ein die Körnlein, vergessen,

Und geben sie darbenden Mäuslein zum Fressen.

Zum Leben gehört der Tod, zum Tod das Leben,

wer gibt, darf auch nehmen; wer nimmt, muss auch geben.

3. Abschnitt: Friedrich und Proteus.

Proteus (mit Friedrich aus dem Haus kommend): Ist er noch immer so verstört wegen seiner Oma? In Abrahams Schoß könnte sie nicht sicherer sein.

Friedrich (schwer am Koffer tragend): Der Einbruch in unser Haus aber war nicht in Ordnung. Das war Hausfriedensbruch.

Proteus: So nennt das der kleine Mann.

Friedrich: Und die Oma zuhause ins Zimmer einsperren, das heißt ja doch: aus dem eigenen Heim ein Gefängnis machen!

Proteus: Betrachtet man die Dinge aber aus etwas größerer Distanz, so nehmen sie sich durchaus ganz anders aus.

Friedrich: Ich müsste lügen, wollte ich sagen, ich könnte da jemals etwas anderes sehen.

Proteus: Weil er noch nicht weit genug weg ist und ihm der Überblick fehlt.

Friedrich: O mein Herr! Ich würde mich jetzt lieber in meinem Bett einschläfern, als Gefahr laufen, eingeschläfert zu werden. Ja, am liebsten wär ich schon tot!

Proteus: Das gibt sich alles. Gedulde er sich nur!

4. Abschnitt: Zusammentreffen mit Kriegbach und seinen Leuten.

Proteus: O, aber was ist denn das? Wen seh ich denn da? Meine Herren! Gehören Sie nicht zu den Mannen von Monsieur Kriegbach?

Polizist: So ist es.

Proteus: Gibt es etwas Besonderes, dass Sie sich hier so zahlreich eingefunden haben?

B.: Monsieur Hüner schickt uns.

Proteus: Der Bürgermeister? - Ah, voila, da ist er ja selber, monsieur Kriegbach! Schön, dass ich Sie antreffe, und das gleich mit dem ganzen Heer Ihrer Gesellen! Wenn wir Gefahr gelaufen wären, in der Schlacht besiegt zu werden, wären Sie uns gewiss zu Hilfe geeilt.

Kriegbach: Naturellement. Aber sind Sie allein?

Proteus: Wie könnte ich allein sein bei den vielen Aufgaben? Meine Leute sind noch an der Arbeit.

Kriegbach: Immerhin haben sie noch Zeit gefunden, bei ihrer Arbeit zu singen.

Proteus: Wie meinen Sie?

Kriegbach: Da war doch etwas zu hören.

Proteus: Ja gewiss. Der Übermut des jungen Völkchens! - Übrigens, darf ich Ihnen vorstellen: das ist mein junger Freund Friedrich Tapfer!

Kriegbach: Das ist doch der junge Mann, der uns heute Morgen versetzt hat?

Proteus: Das tut ihm leid.

Friedrich: (für sich) Wenn man mich nur nicht entführt!

Proteus: Er hat Angst, wie die Hühnchen .Aber sonst ist er gar nicht übel.

Friedrich: Retten Sie mich, Herr Oberkommissar!

Proteus: Hören Sie? Angst! Angoisse!

Kriegbach: Aber sonst ist alles in Ordnung?

Proteus: Alles in Ordnung! Hier ist der Geiger-Müller-zähler, den ich für Sie dabei habe. Und hier hab ich noch ein Gerät, das wir installiert haben, für den Fall, dass ein Unbefugter das Grundstück betritt. Das ist ein ganz simpler Infrarotsender, den wir mit einer Klingel gekoppelt haben. Ich wollte Ihnen die Sachen auf den Münsterberg mitbringen und dort austesten. Sollen wir noch rasch eine Probe machen?

Kriegbach: Das wird nicht nötig sein.

Proteus: Aber Sie wollen doch nicht die Nacht mit Ihren Jungens hier verbringen?

Kriegbach: So ist es.

Proteus: Lassen Sie das meine Angelegenheit sein. Wir haben ja sämtliche Spezialgeräte dabei. Das schaffen meine Mannen spielend allein.

Kriegbach: Ist das ein Wort, Herr Proteus, auf das ich mich verlassen kann?

Proteus: Beim Blute Christi. Und Ihre Jungens schicken Sie zum Fest!

Kriegbach: Ja dann.

A.: Hab ichs nicht gesagt, dass alles noch gut wird? Monsieur, wir sind Ihnen sehr verbunden.

Proteus: Geht zum Fest und vergnügt euch schön!

Kriegbach: Ich aber geh nach Hause und lege mich schlafen. Denn ich bin hundemüde. Wenn etwas los ist, wissen Sie ja, monsieur Proteus, wo Sie mich finden.

Proteus: Aber sicher. Cher ami!

Kriegbach: Bonne nuit!

Proteus: Bonne nuit!

5. Abschnitt: Proteus und Friedrich, auf dem Weg zum Briefkasten.

Friedrich: Und wohin geht es jetzt?

Proteus: Das wird er gleich sehen. Zuerst müssen wir noch ein paar dunkle Wege beschreiten.

Friedrich: Mein Gott! Auf krummen Wegen wollen Sie gehen?

Proteus: Mein Freund, die Welt ist eine Bühne, für die man sich präpariert haben muss. Wenn man ein Held sein will, muss man sich durch Beweise der Tapferkeit ausgezeichnet haben. Das ist ihm doch klar. Da darf man sich nie zur Ruhe setzen; da muss man der Verlockung widerstehen, es sich bequem zu machen; das wäre das Schlimmste. Und was er mir da eben abgeliefert hat, das war schon ein wenig beschämend.

Friedrich: Und nun soll ich für die Bühne präpariert werden?

Proteus: Jedermann hat sich für die Bühne zu präparieren, immerfort. Wir alle haben uns am Schlawittich zu nehmen und uns weiter fort zu bilden. Bei unsereinem, der für das Staatsganze da zu sein hat, ist das sogar eine sehr haarige Prozedur. Da genügt keineswegs, sich in alle Tugend einweihen und einweisen zu lassen. Unsereins muss weitaus mehr Begabungen aufweisen und inneren Gestalten genügen. Wir müssen etwas von einem Gentleman in uns und von einem Gauner an uns haben, etwas von einem frommen Staatsmann und einem Revoluzzer, von einem Bankdirektor und einem Bankräuber, einem Kirchenvater und einem Kirchenräuber, kurz, in uns kämpft immerwährend der edle und gute Bestand mit einer abgrundtiefen Bestandslosigkeit. Ja, mein Freund, die Aufgaben sind so ungeheuerlich groß, dass unsereins sich verwandeln muss wie nie noch zuvor; aus einer Rolle müssen wir in eine andere schlüpfen, oftmals schneller, als man die Hand umdreht. Jawohl, Wurzeln zu schlagen und heimisch zu werden, das ist für uns die schlimmste Versuchung. Hat unsereins erst einmal Wurzeln geschlagen in dieser Welt, dann ist es mit unserer Beweglichkeit aus.

Friedrich (er trägt immer schwerer an seinem Koffer, der unterwegs an Größe gewinnen mag, hält aber immer wieder an): Um es ganz ehrlich zu gestehen, mir genügt, mich an diesem Koffer da abzuschleppen.

Proteus: Selig, so sag ich, wer vollauf damit genug hat, sein Köfferchen zu schleppen. Selig, wer mit den vielen selig sein kann, ohne jemals Wege zu erkunden, die zuvor noch von keinem erkundet worden! Ja, selig, wer nie etwas von einer Ausnahmegestalt in sich verspürt, vor der der Normalbürger, wüsste es darum, zurückschrecken würde wie vor einem Anarchisten und Terroristen!

Friedrich: Immerhin find ich es gut, dass Sie der Oma einmal die Leviten gelesen haben. Mich einzusperren und mich dann einen Brief schreiben zu lassen, als wär ich ein Schulanfänger, das ist ja wohl auch schon fast Terrorismus.

Proteus: Er findet das nicht gut, zu heiraten?

Friedrich: Nichts hasse ich so sehr wie die Liebe.

Proteus: Gewiss, heiraten und dann morgens aufwachen und sich als Hahnrei vorfinden: das wäre nicht besser, als wenn ein Huhn weiß, dass es am folgenden Abend gebraten auf den Tisch kommt. Aber das muss ja nicht sein.

Friedrich: Dabei kenn ich die Dame überhaupt nicht.

Proteus: Das Gute muss man nicht kennen; man muss es kennen lernen.

Friedrich: Am liebsten wanderte ich aus in ein Land, wo es jedem Mann aufs strengste untersagt wäre, Frauen kennen zu lernen!

Proteus: Aber monsieur Friedrich! Will er kein Mann sein?

Friedrich: Für mich wär das die allernotwendigste Bedingung zur Entfaltung meiner Freiheit. Proteus: Nur Mut. Ich werde dafür sorgen, dass er noch unter Männer kommt.

Friedrich: Das geht nicht.

Proteus: Warum geht das nicht?

Friedrich: Weil mir das die Oma nicht erlaubt.

Proteus: Und wenn ich sie dazu zwinge?

Friedrich: Das können Sie nicht.

Proteus: O, was ich nicht alles tun kann, Freund! Wenn etwas getan werden muss, das wird er wohl zugeben, so muss man es tun. Oder meint er, aus ihm wird jemals noch ein Mann, wenn er nur auf den Schlachtruf seiner Oma hört? Und ohne einen Härtetest kommen wir nun einmal nicht aus. (er legt einen Stab quer über den Weg) Hier, was ist das?

Friedrich: Ein Stab.

Proteus: Mann, reiß die Augen auf!

Friedrich: Sie erschrecken mich.

Proteus: Was das ist, will ich wissen!

Friedrich: Das kann ich nicht sehen.

Proteus: Denk er, er steht hier am Rubicon!

Friedrich: Muss ich schon wieder Theater spielen?

Proteus: Wir spielen kein Theater, monsieur Friedrich. Wenn jemand Theater spielt, so ist es die Wirklichkeit, die unergründliche Wirklichkeit, die mit uns Theater spielt.

Friedrich: Und das soll der Rubicon sein?

Proteus: Wenn er ein Cäsar werden will, muss er hinüber.

Friedrich: Ich will aber doch gar nicht..

Proteus: Freund, sag er mir das nur ja nie wieder!

Friedrich: Ist das nicht eine verwerfliche Tat?

Proteus: Hat er das nicht im Geschichtsunterricht gelernt?

Friedrich: Das haben wir nicht in der Schule durchgenommen.

Proteus: Dann überschreit er ihn jetzt und er wird merken, ob sich sein Gewissen regt.

Friedrich: Das macht Angst, wenn man erst im Nachhinein merkt, was dabei herauskommt.

Proteus: Auf jetzt! Sonst künd ich ihm meine Freundschaft. Und merk er sich: was er in der Schule nicht gelernt hat, das lehrt ihn das Leben!

Friedrich: Wenn ich das schaffen soll, so allenfalls ohne diesen Koffer da. (stellt den Koffer beiseite)

Proteus: Was soll das? Junger Mann! Ruf dir zu, wer du bist und welche Aufgabe deiner wartet! Nur der kleine Mann gewöhnt sich an seine kleine Verantwortung! Dem Großen erwächst sie von Tag zu Tag.

Friedrich: Überhaupt ist in dem Koffer nur ein Brief, zu dem man mich gezwungen hat, der also niemals etwas mit mir zu tun hat. Und dazu noch ein angefangener, unvollständiger und fehlerhafter Brief. Ein Fragment!

Proteus: Was ist unser Leben anderes als ein Fragment? Held-sein aber heißt, ja sagen zu diesem fragmentarischen Leben. Nur der Feigling erwägt, es beiseite zu stellen oder gar wegzuwerfen! Doch genug debattiert. Los jetzt! Über den Rubicon jetzt! Ich habs jetzt das letzte Mal gesagt. Und zwar mit dem Koffer und mit dem Brief!

Friedrich: (zum Koffer) Also, los, komm mit! Versuchen wir es denn! (er schleppt sich über den Stock) Und nun? Was geschieht jetzt?

Proteus: Jetzt schickt bringt er den Brief zum Briefkasten! – Dort ist er! (mit einer Stablampe den Briefkasten beleuchtend) Und wenn er ihn besorgt hat, kommt er mir nach. Man wartet auf mich! (ab)

6. Abschnitt: Vor dem Briefkasten. Tiefdunkle Nacht.

Friedrich: Fort ist er, wie verschluckt von der Dunkelheit. Und ich bin frei. Oder etwa nicht? (zum Koffer) Du siehst das anders? - Schöner wär es freilich, ich wär ganz allein, d.h. auch der Koffer wär von der Dunkelheit verschluckt. (zum Koffer) Wie wärs, wenn ich jetzt anklopfte und du entließest aus deinem Innern eine Legion tapferer Soldaten? Und die Soldaten, an meine Seite tretend, fragten mich: „Feldherr, sag an, was sollen wir tun?“ Und dann würde ich Ihnen den Befehl erteilen, den Brief hinter den Mond zu bringen und ihn dort an einen Baum zu nageln. Weil aber dieser Wunsch nicht erfüllt werden mag... Oder etwa doch? Zur Probe könnte ich horchen, ob sich im Innern was regt?!

(er horcht) Doch was hätt ich davon, wenn mir plötzlich an Stelle der Legion das Fräulein Christl Antwort gäbe und wenn sie dann aus dem Koffer herausstiege und mich in Botmäßigkeit nähme? Hörs denn, du Viper, wenn du da drinnen sitzest und auf deinen Ausstieg lauerst: aus alledem soll nichts werden. Denn ich werde das Schloss nicht öffnen. Allen Wünschen werde ich entsagen und nur noch auf die Stimme meiner Mannbarkeit und Tapferkeit hören!

(er setzt sich auf den Koffer) Doch was befiehlt mir die Tapferkeit? Den Brief in den Kasten zu werfen? Wäre das ein Zeichen meiner Tapferkeit? Gewiss, dort scheint ein Briefkasten zu sein. Doch warte ab, Friedrich, dass du nicht unvorsichtig deine Schritte setzest und in eine Falle gerätst. Schon manch einer ist gestrauchelt, weil er übereilt und unvorsichtig zu Werke gegangen. Zwar ist es schön, den Brief los zu werden. Doch bin ich ihn los, wenn ich ihn in den Kasten geschmissen habe? Ist erst einmal der Brief im Kasten, dann ist er drin und du holst ihn nimmer heraus. Und dann, ob du willst oder nicht, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Ehe du also den Brief aus der Hand gibst, solltest du dir im Klaren sein, was du tust und was da seinen Lauf nimmt. Ja, da kannst du noch so sehr dein Löwengesicht verziehen, goldgelber Briefkasten, damit täuschst du mich nicht drüber weg. Im Gegenteil. Je mehr du grinsest und je mehr du mir dein Maul zeigst und deine Zähne, hässliche Bestie, umso mehr erkenn ich, dass ich Acht geben muss. Was einmal durch dein Maul hindurch gegangen ist, das muss auch durch den Schlund hinab, und weiter hinab in den Magen, hinab zur Verdauung, hinab zur Zersetzung, hinab zum Verderben.

(man hört das Martinshorn eines Krankenwagens aus der Ferne herbeifahren)

Friedrich: Aber was ist denn das? Schon wieder Sirenen! Den ganzen Tag und noch die Nacht über nichts als Sirenen? Soll ich den Koffer hier alleine lassen und im Dunkel verschwinden und abwarten, was geschieht? Ob sie den Koffer mitnehmen und ich wäre ihn los? Doch nein. Nur wenn ich wüsste, dass der Koffer leer wäre, wäre das eine Lösung. Eine überflüssige Lösung. Das aber weiß ich ja, dass er nicht leer ist; sonst wär er nicht so schwer. Und mich belastendes Material aus der Hand zu geben, das kann nicht zu einer für mich befriedigenden Lösung beitragen. (Der Krankenwagen fährt mit Blaulicht weiter) Doch ich habe mich getäuscht. Immer meint man, man wäre der Grund allen Dazwischenkommens. Dabei fährt man wieder davon, ohne von mir und dem Koffer Notiz genommen zu haben.

7. Abschnitt: Das Mädchen im Koffer.

Friedrich: (indem er aufsteht und mit dem Koffer ins Dunkel abgeht) Doch jetzt hab ichs. Jetzt leuchtet mir ein Licht. Jawohl, mein Fräulein, jetzt dürfen Sie sich beim leibhaftigen Schicksal beklagen, dass ich Schluss mache mit unserer Bekanntschaft. Hätte sich das Schicksal ihrer angenommen, so hätte es darauf verzichtet, Sie an meine Fersen zu heften. Doch soll jetzt der Wille des Himmels geschehen. Koffer und Brief hätten ja nimmermehr in den Kasten gepasst. Da hätte ich großen Ärger mit der Post bekommen. Doch warum hätte ich Sie auch zur Post bringen sollen? Die hätte Sie dann zur Bahn gebracht. Und das besorg ich jetzt selber. Auf dem Bahngelände kenn ich mich nämlich aus. Dort hab ich als Kind schon gespielt. Dort gibt es eine Lücke in der Schlehdornhecke. Durch die schieb ich Sie dann mitsamt dem Koffer aufs Geleis. Und wenn dann der nächste Zug kommt.... Da kommt er ja schon! (man hört einen Zug einfahren) Doch nur keine Aufregung, mein Fräulein. Noch ist nichts verpasst. Jetzt fährt er nämlich erst ein und entlässt die letzten Fahrgäste für den heutigen Tag. Dann aber rangiert er und fährt ins Depot zurück. In einigen Minuten wird er so weit sein. Mein Fräulein, nutzen Sie die Zeit für ein letztes Testament, denn dann wird es auch mit Ihnen so weit sein. (er beeilt sich)

Jetzt Welt, jetzt magst du erkennen, wer nicht nur Tapfer heißt, sondern wer es auch ist! Wenn du gleich siehst, wie ich diese Lernäische Schlange vernichte, magst du in mir einen zweiten Herkules erkennen. Ja wimmere du nur, winsle um Gnade. Das alles nützt dir nichts. Gnadenlos und hartnäckig bleib ich bei meinem Vorsatz, bis alles vollbracht ist und der Sieg errungen. Hinaus denn mir dir, aufs Bahngleis, du überflüssiges Gepäck. Ich muss nicht mit dabei sein, nicht wahr, gnädiges Fräulein, wenn der Scharfrichter, der Zug kommt? Gute Nacht denn, gnädiges Fräulein! (er schiebt den Koffer durch die Hecke, dann schleicht er leise davon)

8. Kapitel: Späte Nacht im Festzelt

1. Abschnitt: Jugendliche und Proteus. Christl dabei mit Dr. Schröder.

Bedienung (während eine Musikkapelle ein kurzes Stück spielt): Was begehren die Herrschaften?

einer: Mir ein Gemischtes

Bedienung: Und Sie?

ein anderer: Haben Sie auch Weißwürste? Die hab ich nicht gefunden auf der Liste.

Bedienung: Na klar. Hier bekommt jeder seine Extrawurst.

derselbe: Dann bittschön ein paar Weißwürscht und ein Maß Bier dazu.

Bedienung: Und Sie?

ein Dritter: Mir bringen Sie ein Fischlein aus dem lieben Rhein. Hübsch frisch in Olivenöl von allen Seiten knusprig gebacken, und mit Petersilie garniert.

einer: Wenn es ansonsten auch das Schicksal der meisten Männer sein mag, am Köder einer Damenangel hängen zu bleiben, so kann bei mir davon nicht die Rede sein.

der Dritte: Dann ist er also noch eine männliche Jungfrau?

Ein Vierter: Ah, mein Fräulein. Mir bitte noch ein Glas Kaiserstühler. Vom besten. Poisson sans boisson c ´est poison.

ein Ansager: Und nun, meine Damen und Herren, lassen wir Europa hochleben, dessen Fest wir morgen begehen.

alle: Europa lebe hoch!

Ansager: Und unser liebes Breisach, das sich als erste Stadt der Welt zu einem vereinigten Europa bekannt hat.

alle: Breisach lebe hoch!

Ansager: Und die hl. Gervasius und Protasius!

alle: sie leben hoch!

Ansager: Hochleben soll auch unser Bürgermeister August Hüner!

alle: Er lebe hoch!

Ansager: Hochleben soll auch seine Ehrwürden, der Dekan und Stadtpfarrer Fromm mit seiner Pfarrhaushälterin und Vertrauensfrau im Apostolat, Frau Obmann!

alle: Sie leben hoch!

Ansager: Hochlebe auch der Oberkommissar Kriegbach, der Besieger aller subversiven Elemente!

alle: Er lebe hoch!

Ansager: Und der Vorsitzende der europäischen Union, Monsieur Proteus!

alle: Er lebe hoch!

Elfter: Lassen wir endlich auch noch den Bacheles hochleben!

alle: Er soll hochleben, dreimal hoch!

Proteus: Meine Damen und Herren! Sie beschämen mich durch Ihre Güte! Dabei haben Sie mich noch nicht einmal gewählt! Wenn ich ehrlich sein soll, so finde ich es nämlich sehr betrüblich, dass man hier nicht das Volk entscheiden lässt. Was für ein Misstrauen dem Volk gegenüber! Europas Politiker kennt man nicht, sieht man nicht, und von dem, was sie entscheiden, weiß man nichts.

ein Spaßmacher: Was solls? Hauptsache, wir haben das liebe europäische Parlament und den Europapräsidenten, der dafür sorgt, dass es uns weiterhin so gut geht!

Proteus: Dass das Volk als unmündig behandelt wird, das ist nicht gut.

der Spaßmacher: Was solls? Losse ma doch de Hamel brunse!

Proteus: Aber Sie haben ja recht. Für heut zumindest wollen wir auf unsere gute Laune bedacht sein. (während ihm der Landrat die Glocke mit dem Aufschneidmesser zum Aufhängen reicht) Jetzt nämlich, meine Damen und Herren, kommt der Augenblick, wo wir die Aufschneidglocke aufhängen nebst dem Aufschneidmesser! Und wer Lust und Talent dazu hat, der trete hervor, etwas zum besten zu geben! Doch lassen Sie mich zuerst noch ein kleines Anekdötchen erzählen! Wie Sie wissen, heiße ich Proteus und ich bin als Vorsitzender des europäischen Parlaments da. Dass mich hierzulande noch nicht jeder kennt, hängt vornehmlich damit zusammen, dass in Brüssel sehr rasch Politik gemacht wird, zumal in Personalfragen. Nicht dass Sie aber meinen, ich wäre der Ableger von irgend einem hohen Tier dort. Auch habe ich dort noch keine Vetterchen protegiert, weder weiblichen noch männlichen Geschlechtes. - Nun also komm ich zu den hohen Herren von Breisach, unter anderen auch zum hochehrwürdigen Herr Dekan. Ich stell mich vor als Protesius. Dachte, das klingt besser und das versteht der hochwürdige Herr besser, als das Monsieur Proteus. In der Tat ist der Herr Dekan hochentzückt über meinen Namen. „Was für ein Zufall!“ rufen seine Ehrwürden aus. Und korrigiert sich stehenden Fußes, indem er hinzufügt: „Nein, was für eine schicksalhafte Fügung! Sie müssen nämlich wissen, verehrter Präsident, dass unser Namenspatron kein anderer ist als der hl. Protasius aus Mailand. Und dann sah er mich an und ein Licht huschte über sein Gesicht, als ob ich selber der hl. Protasius wäre.

Landrat: Strengen Sie sich nur an Monsieur Protesius, dass Sie es noch schaffen, ein hl. Protasius zu werden! Zu spät ist es noch nicht.

Proteus: Aber bitte ohne Martyrium. Sonst müssten Sie mir, verehrter Landrat Dr. Schröder, als hl. Gervasius assistieren.

einer: Immerhin hätten Sie als Christpolitiker protestieren sollen, dass in der Präambel der europäischen Verfassung mit keinem Sterbenswörtchen vom christlich europäischen Abendland die Rede ist!

Proteus: Lasst uns darüber nicht streiten! Was den Bischöfen recht ist, soll auch uns recht sein.

B.: Da ist einer, der hat eine Ballade gedichtet. Die passt dazu wie die Faust aufs Auge! Komm schon, Robert, und zier dich nicht! Sing uns deine Ballade vor! Die Ballade, die du vorgetragen hast, als der Kriegbach letztes Jahr zum Oberkommissar ernannt wurde. (zu Proteus) Die Kunst der Barden und Balladensänger hat er nämlich bei seinem verehrten Lehrer Lang gelernt.

Robert: Wenn ihr sie hören wollt? Sie passt aber besser in eine Posse.

B.: Was ist das Leben anderes als ein fortgesetztes Schauspiel in Possen? Jede Ernennung, jede Beförderung, jede demokratische Wahl, jedes Fest, Geburt und Tod: alles das ist für sich genommen kaum mehr als eine kleine Posse.

Robert: Gut denn. Hier ist meine Ballade. Sie heißt „Die Ballade vom abgestorbenen Münster“!

Das Münster auf dem Münsterplatz,

das altehrwürdige Münster,

schwand gestern Nacht von seinem Platz

es war sehr kalt und finster.

 

Der gute alte Erzbischof,

den Boten wollt nicht trauen,

begab sich rasch zum Fenster hin,

das Münster anzuschauen.

 

Er riss die beiden Flügel auf

und beugt sich aus dem Fenster

er suchte nach, doch fand er nichts

als Wind und Nachtgespenster.

 

Die Leute aber haufenweis

aus allen Herrgottsgauen

mit Mäulern wie ein Scheunentor

kamen, sich´s anzuschauen

 

Mancher sah schon des Heilands Grab,

und tausend Fernsehlaffen

kamen mit ihren Kameras,

s Spektakel zu begaffen.

 

Den ganzen Tag dem Erzbischof

bei Tisch wollte nichts schmecken,

beim Nachtisch schickt er Boten aus,

das Münster zu entdecken.

 

Ob es entschlafen in der Nacht,

dass man es müsst beklagen,

bis dass er es beerdigt hätt

in einem Riesenschragen

 

Oder ob man es hätt zerstört,

das sollten sie erkunden,

des Abends kamen sie zurück

und sagten unumwunden:

 

Kein Zeugnis wär im tiefsten Schnee

gewesen zu entdecken

und sei es auch ein Steinchen nur

aus Mauern, Säulen, Decken.

 

So sagten alle. Ihm zum Glück,

wollt jetzt der Bischof meinen,

weil, was unsichtbar worden wär,

als Wunder müsst erscheinen.

 

Ein Schlingel nur ganz nebenbei

meinte, aus tiefem Schnee

könn sich erheben in der Nacht

wohl noch eine Moschee.

B.: Ich bitte um Applaus für unseren Sänger!

Alle: Bravo, bravo!

B.: Unser Kriegbach hätte nämlich spielend auch Erzbischof werden können. Er tat aber sehr klug daran, wie das Lied lehrt, sich für die Polizei zu entscheiden.

einer: Bislang steht ja zum Glück noch der Stephansdom!

ein anderer: Wenn aber eine Moschee daraus werden soll, dann verhindert das auch die Frau Obmann nicht.

noch einer: Man wird nicht umhin können, den Dingen ihren Lauf zu lassen.

wieder einer: Nirgends was gesehen haben und schon gar nirgends mit dabei gewesen sein, wo es anschließend Prügelsuppe gibt: das ist allemal am besten.

Proteus: Bedienung!

Bedienung: Was begehrt der Herr?

Proteus: Bringen Sie unserem Sänger da was zu trinken. Und zwar was vom Allerfeinsten.

Einer: Robert versteht nämlich was vom Wein. Seine Vorfahren stammen allesamt aus Achkarren und waren alle Winzer.

Proteus: Dann bringen Sie ihm ein Glas vom besten Achkarrer.

D.: Versteht sich, auf Kosten Europas.

Proteus: Dann wollen wir seiner Weinzunge den Puls fühlen. Er soll uns dann die Sorte und den Jahrgang und den Weinberg dazu angeben!

Einer: Bis der Wein da ist, kann er uns aber noch ein weiteres Lied zum besten geben. Nun, wie wärs, du altes Haus? Lass dich nur nicht lange bitten!

Robert: Wenn ihr unbedingt wollt! - Was solls denn sein?

Einer: Etwas fürs Gemüt!

Jawohl, etwas Urgemütliches, als wärs von einem unbekannten Dichter.

Wieder einer: Sing uns das Lied vom Muttersöhnchen!

Robert: Wenn mein Mäuschen nichts dagegen hat.

F.: Was auch sollte sie dagegen haben, wo alles in Ehren geschieht?

A.: Nicht wahr, Mäuschen, du hast nichts dagegen? – Also, leg schon los!

Robert: (singt)

Der Sohn ist immer noch auf Reisen,

er sucht noch immer eine Braut,

er möchte gerne fündig werden,

eh dass der Schnee vorm Fenster taut.

 

Im Augenblick, im hohen Norden

sucht er, ein Lämpchen in der Hand,

nachdem viel Länder er durchwandert,

fernab von seiner Mutter Land.

 

Silvester wollt er fündig werden,

doch hat der Ball ihm nichts gebracht,

Raketen und Polarlichtfeuer,

sie brannten nutzlos durch die Nacht.

 

Die Schokofreundin schrieb ihm neulich,

doch die ist ja vergeben schon,

die Mutter aber macht sich Sorgen

um ihren lieben Muttersohn.

 

Sie traut nicht recht den Auslandsmädchen.

Ein Mädchen aus dem Schwarzwaldtal

oder auch aus dem Schwabenländchen,

das wär so recht nach ihrer Wahl.

 

„Von wackerschönen Jungfraun wimmelts

bei uns im lieben Mutterland“

schrieb sie auf eine Frühlingskarte

und trug zur Post sie unverwandt.

 

Sie weiß auch schon, wenn das nichts fruchtet

und allen Suchens wär sie satt,

will schließlich sie noch inserieren

in Breisachs frommen Konradsblatt,

 

wo manches Söhnchen schon gefunden

ein Liebchen, das ihm anvertraut,

und alles Suchen hätt ein Ende

und Mutters Söhnchen seine Braut.

Bravo, bravissimo.

D.: Ein blitzsauberes Liedchen, das sicher allen im Saal gefallen hat!

Mögen sich alle erheben, die auf dem Weg des Konradsblatts zu einem Bräutigam oder einer Braut gekommen sind oder noch kommen wollen!

D.: Sie verweigern sich der Antwort, werter Herr Landrat?

Dann bitte noch schnell eine Zugabe! Du hast sicher noch was auf Lager.

Zum Muttersöhnchen würde ein Muttertöchterchen sehr gut passen. Vielleicht haben wir da mehr Erfolg.

O ja, wenn du noch so was auf Lager hast! Dann das Muttertöchterchen! Wir bitten gar sehr.

Robert: Mal sehen. Vielleicht gefällt euch das. Es ist aber etwas kürzer.

E.: Nur zu. In der Kürze liegt die Würze!

Robert: (der zweite Strophenteil kann jeweils als Refrain wiederholt werden)

Hast nicht ein herzig Töchterlein,

Frau Wirtin, schön und schlank?

Was sperrst das liebe Kind du ein

in deinen Kleiderschrank?

 

Lass schnell das Kind zu uns heraus

und lass es uns besehn,

sonst wird’s am Ende euch noch krank,

und das wär gar nicht schön.

 

Ein gut gewachsen Mägdelein

mit Äuglein braun gepaart,

soll allzeit uns willkommen sein,

kommt es nur ohne Bart.

Muss Schönheit nicht bewundert werden, monsieur Proteus?

Proteus: Oui, oui. Je suis ravi! Überhaupt ist est miraculeux, was doch für schöne Dichtertalente in einer so kleinen Stadt wie in Brisak schlummern, die nur geweckt werden wollen. Finden Sie nicht auch, Monsieur Dr. Schröder?

Landrat: Mag sein.

Proteus: Und dabei hat der Herr Robert die ersten Schritte ins Heiligtum der Kunst bei seinem Lehrer gelernt, den ich heute Morgen noch kennen zu lernen das Vergnügen hatte. Das kommt auch nicht alle Tage vor!

2. Abschnitt: Wie Friedrich hinzukommt.

(Friedrich betritt verschüchtert das Zelt)

Proteus: Doch was ist denn das? Meine Damen und Herren! (mit dem Aufschneidmesser an die Glocke schlagend) Darf ich für einen Augenblick um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit bitten! Eben ist nämlich noch mein Freund zu uns gekommen; mein Freund, auf den ich schon den ganzen Abend gewartet habe, ist aufgetaucht aus dem Meer des Nichtseins und ist da!.

Wenn es nur kein Fräulein mit Bart ist!

Vraiment, das ist mein Freund Friedrich Tapfer. Mon bon ami! N est ce pas?

Friedrich: Eigentlich bin ich selber erstaunt, wie es mich den Weg hierher geführt hat.

Proteus: Hatten wir nicht verabredet, dass er herauf kommen solle? Oder hat er seinen Brief nicht eingeworfen? Was schweigt er, monsieur Tapfer? War er nicht tapfer, dass er den Weg verfehlte?

Friedrich: Ich war entschlossen, den Brief einzuwerfen. Weil ich mich nun aber nicht getraute, den Koffer zu öffnen und den Brief herauszuholen, gedachte ich, ihn zusammen mit dem Koffer einzuwerfen. Wann immer ich aber auch die Klappe öffnete, merkte ich, wie mir der Koffer an der Hand klebte, als wollte er sagen: „Tu mir doch bitte das nicht an! Oder hab ich etwas getan, dass du mich dem wilden Tier zum Fraß hinwerfen darfst?“ So entschloss ich mich, den Koffer unter dem Briefkasten stehen zu lassen. Die Post, so dachte ich mir, wird ihn schon finden und weiterbefördern. Ja, ich glaubte sogar, die bessere Lösung gefunden zu haben auf dem Weg in die Freiheit. Keine Entscheidung hatte ich ja getroffen, die endgültig gewesen wäre und mich belastet hätte. Wenn ich wollte, konnte ich noch immer zurück. Doch freilich war ich weit entfernt davon, noch einmal zu wollen. Wenn ich etwas wollte, so war es, alles das zu vergessen. Doch dann kam das geradezu Unmögliche.

Einer: Der Koffer kam wieder?

Friedrich: In der Tat! Wie ein Hündchen kam er hinter mir her. Es dauerte freilich eine Weile, bis ich hinter die Sache kam. Und doch war er es! Zuerst war mir nur, als wäre jemand hinter mir her! Solange ich ging und mich nicht umschaute, war ich mir absolut sicher, dass mir jemand oder etwas folgte. Sobald ich aber stehen blieb und mich umschaute, war es, als hätte es sich versteckt; so still war es und ich sah niemanden hinter mir, noch nicht einmal den Koffer.

Proteus: Erzähl er uns weiter, monsieur Tapfer, erzähl er uns tapfer weiter, was vorgefallen ist.

D.: Erzähl er uns weiter, was er gemacht hat. Die Wahrheit wird ihn frei machen!

Friedrich: Wiewohl ich den Koffer nicht hinter mir sah, so sah ich ihn dennoch. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er zum Vorschein käme. Und da ich nicht warten wollte, da mir war wie einem Kind beim Spiel, wenn es davonrennt, dass es dem Augenblick entgegenzittert, wo man es gefangen nimmt, so gedachte ich, ihn in die Enge zu treiben und zum Vorschein zu kommen zu nötigen. Zu diesem Zweck lief ich in Richtung auf den Bahnhof, in der Absicht, durch eine mir bekannte enge Stelle aufs Bahngelände zu schlüpfen, um ihn dort dann auf die Bahngleise zu legen. Als Kind hatte ich hier in der Gegend schon gespielt. Ich kannte also die Stelle zwischen den Schlehdornhecken, die die Straße vom Bahnkörper trennen. Dort also schlüpfte ich durch und wartete, um mein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Dort war es dann in der Tat, dass mir der Koffer fast wie ein neugieriges und ahnungslose Hündchen zu Gesicht kam. Um die Täuschung perfekt zu machen, tat ich ihm schön, streichelte ihm und kraulte ihm den Rücken, bis ich ihn kurz entschlossen, in der Nähe lag ein Stück Schnur, am Geleis festband. Und hätte er auch geweint oder geheult und um Hilfe geschrien, ich hätte dagegen gebrüllt, wo hatte ich es mir vorgenommen und die Arbeit eiskalt und erbarmungslos zu Ende geführt.

Und dann?

Ich war bereits auf dem Rheindamm, auf dem Weg zur Rheinbrücke, Wolken jagten über mir hinweg, als hätte man sie aus ihrem Zuhause vertrieben und sie suchten ihr Heil in der Flucht, als ich den Eindruck hatte, es würde mich jemand verfolgen. Ich blieb stehen und sah mich um, sah aber nichts. Als ich aber weiterging, hörte ich wieder diese Laute hinter mir, die mir wie Schritte klangen. Wann immer ich aber auch stehen blieb und mich umsah, sah ich nichts. Ob ich aus vollem Lauf Halt machte und mich umwandte oder ob ich ganz ruhig die Erforschung vornahm: nie wollte mir gelingen, der Sache auf den Grund zu kommen. Fast schon hatte war ich dabei, die Geräusche zu vergessen, als plötzlich ein Baum zum Vorschein kam, der merkwürdig aus dem Dunkel hervor schimmerte. Zuerst dachte ich an Blätter, wie sie es etwa auf der Rückseite der Pappelblätter der Fall ist, bis ich erkannte, dass es Messer waren. Die einen sahen aus wie gegen den Stamm geworfen, die anderen hingen an den Ästen und Zweigen, alle aber schillerten silberhell in dem diffusen Nachtlicht. Natürlich hatte ich Angst, schreckliche Angst, da ich ahnte, dass es mit diesen Messern eine besondere Bewandtnis haben müsse. Nun aber kam etwas über mich, was ich selber nicht begreife und wovon ich nur ungern weiter berichte.

Muss ich alles zu Ende erzählen?

D.: Wer einmal mit dem Erzählen begonnen hat, muss weitermachen, bis ans Ende.

Etwas zwang mich, ganz wider meinen Willen, mir ein Messer zu nehmen. Wie ich mir nun aber eines von den Messern nehmen will, merk ich, dass ich es nicht schaff. Viel zu fest stecken die Messer im Stamm. Während ich nun hinaufspähe, mir dafür eines aus dem Geäst zu langen, hör ich, wie ein Auto den Weg zu mir herauf gefahren kommt. Das erste, was ich, selber noch im Dunkel stehend, im Licht des Scheinwerfers zu erkennen vermag, ist der Koffer. Zuvor schon war mir der Gedanke gekommen, die Messer möchten etwas mit Räubern und Mördern zu tun haben, wie man sie früher an Galgenbäumen aufzuknüpfen pflegte. Und wie nun den Koffer so im Scheinwerferlicht sehe, denk ich, dass das Mädchen darin sein könnte, mit abgeschnittenem Kopf und Rumpf und Gliedmaßen, und dass man nun käme, mich als den Mörder festzunehmen. Sofort ist mir klar, dass ich mich schleunigst in Sicherheit zu bringen hätte. Noch aber hab ich mich kaum zwei Schritte weiter ins Dunkel entfernt, da hör ich auch schon, wie jemand hinter mir hergeeilt kommt. Nun haben sie dich, denk ich. Wie ich mich aber umdrehe und hinschaue, sehe ich einen Mann. der auf den Baum zugeeilt kommt. Statt sich um mich zu kümmern, bringt er ein Tischchen herbei, das er vor dem Baum aufstellt. Endlich aber ruft er ein Mädchen, das aus dem Auto kommt. Zaghaft nähert es sich dem Mann, doch der, ganz ungeduldig, reißt es zu sich und stellt es gegen den Baum, um dann gleich mit Messern gegen den Baum zu werfen. Todbleich und ohne mit der Wimper zu zucken, wie festgebunden steht das Mädchen da, während ein Messer ums andere scharf an ihr vorbeifliegt.

D.: Und dann?

B.: Das Mädchen war doch wohl seine Auserkorene.

C.: War das das Mädchen aus dem Koffer? Und ist er ihr dann als Retter erschienen?

Friedrich: Ich weiß nicht. Mag sein, dass ich das Mädchen schon einige Male gesehen hatte. Doch ich rannte davon.

3. Abschnitt: Mitternacht.

Wenn wir den Koffer hätten, könnten wir nachsehen, was darin ist.

Proteus: Ein Brief, ein angefangener, nicht zu Ende gebrachter Brief.

Vielleicht auch die Leiche eines Mädchens.

Und zu welchem Zweck? Etwa zum Zweck späterer Heirat?

(es schlägt Mitternacht)

Proteus: Leute, es schlägt Mitternacht. Wir sollten daran denken, dass wir Morgen noch ein großes Programm zu absolvieren haben.

B.: Was soll das heißen, monsieur Proteus? Verkraften wir das nicht, eine Nacht auf den Kopf zu stellen? Wer müde ist, mag ins Bett gehen! Wir hindern ihn nicht.

A: Zumal jetzt wo die Chose spannend zu werden verspricht.

Väterchen Kriegbach schläft für uns. Tapfer aber lebe hoch!

Er lebe hoch.

Und auch seine Braut lebe auch hoch

Sie lebe auch hoch

Auch wenn sie mit Messern traktiert und massakriert sein sollte.

Doch wer ist es und wie heißt sie? Warum hat er uns noch immer nicht ihren Namen genannt?

Wenigstens eine kurze Beschreibung dieser süßen Maid hätte er uns liefern können.

Kamerad, zier dich nicht! Sag uns endlich, womit sie dir deine Sinne berückt und dich um den Verstand gebracht hat!

Ich kann sie nicht beschreiben. Und mit ihr gesprochen hab ich schon gleich überhaupt nie.

Und das sollen wir glauben?

Hab ichs nicht gesagt, dass hinter allem meine Oma steckt?

O faule Fische. Faule Ausrede.

Fehlen nur noch die bösen Zauberer.

Bill: Es sollte mich nicht wundern, wenn jetzt die Türe aufginge und der Koffer käme herein. Noch hätten wir uns nicht von unserem Staunen erholt, da sähen wir bereits, dass es gar kein reisefertiger Koffer wäre, sondern ein wandernder, wandelnder Sarg, über und über mit Messern bespickt, deren er sich wie ein Tausendfüßler bediente. Und nun spränge der Deckel auf, gleichsam als wollte er sagen: „Nur hereinspaziert, meine Damen und Herren, ihr müsst fort, eure Zeit ist abgelaufen!“ Kaum aber, dass einer von uns hinzu liefe, sich nach dem Inhalt des Koffers zu erkundigen, käme seine Freundin zum Vorschein. Kopflos und aufgerichtet aus dem Sarg schaute sie sich um, als suchte sie nach ihrem Mörder.

Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass die Dame, die aus dem Koffer zum Vorschein kommt, noch ihren Kopf auf dem Rumpf trägt und dass sie ihrem Auserwählten ein Messer zugesteckt hat. Ich habe schon einmal von solch einer Geschichte gehört. Dann bedeutet das Messer, dass der junge Mann seine Liebespflicht versäumt hat und dass ihm der Tod bevorsteht, wenn er die nächste Nacht abermals verschläft.

O monsieur Tapfer, das wäre schon peinsam, wenn das schöne Fräulein Sie entdeckte, einerlei ob mit Kopf oder ohne Kopf.

Selbst wenn alles so geschehen sollte, so habe ich damit doch nichts zu tun.

Solange wir noch kein Messer gefunden haben, mag das wahr sein. Doch können wir sagen, dass er keines bei sich trägt?

(die Arme in die Höhe streckend) Ja durchsucht mich doch!

O mein Herr. So paradox ist die Welt, dass man den Beweis kaum je zu erbringen vermag. Vielmehr müssen wir davon ausgehen, dass so gut wie jeder Mensch ein Messer mit sich trägt.

Friedrich: Das alles ist ja überaus schrecklich.

Hätte er zum lieben Gott gesagt: Schick mich bitte nicht zu diesen Messerstechern auf die Erde herab. Doch das hätte er sich früher überlegen müssen, ehe sich seine Eltern zur Zeugung entschlossen.

(die Arme abermals in die Höhe streckend) Untersucht mich, ob ich ein Messer bei mir habe.

Seh er sich um, ob er jemand abzustechen wünscht oder ob er befürchtet, von jemandem abgestochen zu werden.

Mein Gott! Monsieur, hab ich Ihnen nicht gesagt, dass ich nicht herkommen wollte.

Auf, nur Mut!

Der Herr Pfarrer ist nicht da. Und der Kriegbach schläft auch schon. Die kann er also nicht abstechen.

Aber vielleicht den Herr Proteus? Oder den Landrat, Herrn Dr. Schröder?

Landrat: Meine Herren! Wer bin ich, dass man mit mir Späße anstellen dürfte? Nie habe ich mit dem jungen Mann zusammen Schweine gehütet.

War Herr Dr. Schröder nicht mit Herrn Tapfer in derselben Klasse?

Landrat: Meine Damen und Herren, das geht entschieden zu weit. (zu Christl) Komm, gehen wir!

A.: Aber mein Herr, bei der Suche nach der Wahrheit darf man vor keiner Möglichkeit zurückschrecken, sei sie auch noch so paradox.

Friedrich (erbleicht, wie er neben dem Landrat die Christl sich erheben sieht)

Weh dem, der sich in mein Gehege begibt! Der ist mein Feind, den bekämpfe ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln.

Um die Hand meiner Braut hat niemand anzuhalten als nur ich. Ja, was meint er denn? Unsereins arbeitet und schuftet und rackert sich ab und klettert hinauf auf der Stufenleiter des öffentlichen Ansehens und da kommt dieser Taugenichts und Strauchdieb und wagt es, mit meiner Braut anzubändeln?

Ich wollte ja gar nichts von Ihrer Braut, nur meine Oma wollte, dass ich den Brief schreiben sollte

Landrat: Merken Sie sich, mein Herr! Ich bin nicht der Mann, sich von jedem hergelaufenen Pinscher ans Bein pinkeln zu lassen.

Aber Monsieur Dr. Schröder!

Ich sage nur, was ich sagen muss, ob es einem passt oder nicht. Im Übrigen stehe ich einem jeden, dem etwas an mir missfällt, zur Satisfaktion zur Verfügung.

Proteus: Er hat ja nur gesagt, dass er meint, Ihre Braut beim Messerbaum gesehen zu haben.

Landrat: (ein Messer hervorholend) Das ist mir egal, was er gesehen zu haben meint. Satt hab ichs, dass mir dieser Mensch, wo immer ich bin, mir ins Gehege kommt. Fehlt nur noch, dass er mir auch noch ein Messer entwendet! Schau er weg, wenn ich an ihm vorbeikomme, damit ihn mein Messer nicht sieht! Ich verbiete ihm, meine Braut anzuschauen!

Proteus: Aber Dr. Schröder!

Noch weiter weg soll er schauen!

Friedrich: So kann ich das nicht mehr aushalten!

Proteus: Mon ami!

Friedrich: Ich will seine Braut ja gar nicht sehen. Noch nie wollte ich sie sehen. Ich wäre froh, ich hätte sie nie sehen müssen. Ich wollte ja niemals ein Held werden und niemals tapfer sein! ( er stürzt hinaus in die Nacht)

Proteus: (zu Bill und Co) Messieurs! Eilen Sie ihm nach und bringen Sie den jungen Mann nach Hause! Denn dass er sich ein Leid antut, steht zwar nicht zu erwarten; wohl aber, dass er in einen Straßengraben stürzt und sich ein Bein bricht oder sonst was.

(zum Landrat) C´est dommage, monsieur Dr. Schröder. Rechnen Sie aber bitte meinem Freund zu Gute, dass ihn seine Oma geschickt hat und dass er total unzurechnungsfähig ist. Als eines solchen hilfebedürftigen Klienten hab ich mich seiner angenommen, nachdem die Schulmedizin an ihm versagt hat. Jawohl, was Sie auch sagen mögen, meine Damen und Herren! Ich bürge für Herrn Tapfer. Er ist einer der zahmsten Erdenbürger, die je das Angesicht der Erde betreten haben. Er könnte noch nicht einmal einer Fliege etwas zu Leide tun, geschweige denn einer Dame.

Landrat: Früher als man noch etwas von der heiteren Komödie verstand, lachte man, wenn einer die Regeln des feinsten Anstandes nicht kannte. Heute, wo die Masse und der Haufen das Benehmen lehrt, laufen einem die Rotzbubenbengel, die die einfachsten Regeln der Schicklichkeit verlernt haben, bündelweise über den Weg.

9. Kapitel: Münsterberg. Im Morgengrauen.

1. Abschnitt: Pfarrer und Bürgermeister und Kriegbach vor der Kirche.

Pfarrer: Was schauen Sie so bedenklich, Herr Hüner? Gleich werden die Glocken zusammenläuten; dann beginnen wir das Hochamt, ob nun Herr Proteus und der Landrat da sind oder nicht.

Bürgermeister: Ich fühle mich nicht wohl, solange wir ohne Nachricht sind. Und von den Leuten fehlt jede Spur.

Kriegbach: Es ist mir peinsam; aber ich muss gestehen, dass ich meinen Leuten frei gegeben habe, nachdem mir Monsieur Proteus versprochen hatte, die Sache zu übernehmen.

Pfarrer: Wie ich hörte, hat Monsieur Proteus die Nacht über mit den Jugendlichen im Festzelt verbracht. Es soll ziemlich ausgelassen zugegangen sein. Das finde ich nicht gut.

Kriegbach: Auch Dr. Schröder soll dabei gewesen sein.

Pfarrer: Zu viel Volksnähe ist nie gut: weder bei einem Politiker noch bei einem Geistlichen.

Bürgermeister: All das würde ja noch hingehen, wenn nur Monsieur Proteus drunten bei seinen Leuten geblieben wäre. Und wenn wir jetzt wüssten, dass alles zur Zufriedenheit erledigt ist. - Aber dass es die Herren nur wissen: ich trau ihm nicht.

Pfarrer: Wem trauen Sie nicht, Herr Hüner?

Bürgermeister: Herrn Proteus.

Pfarrer: Dem Vorsitzenden von Europa? Nun, nun! Herr Bürgermeister Hüner!

Bürgermeister: Das bleibt selbstverständlich unter uns.

Kriegbach: Haben Sie Verdachtsmomente, Indizien, Beweise?

Bürgermeister: Nichts hab ich, außer einem eigentümlich dumpfen Gefühl, das mich noch selten getäuscht hat.

Pfarrer: Dabei ist doch bis jetzt noch alles gut und glatt verlaufen.

Bürgermeister: So gut und glatt, dass wir noch immer daran festhalten können, das Hochamt für unser liebes und teures Europa zu feiern. Ob als Dank- oder Bittgottesdienst wird sich noch herausstellen.

Pfarrer: Begonnen hat die Feier noch nicht. Sie beginnt erst mit dem Hochamt.

Bürgermeister: Ich fürchte, dass wir die Rechnung noch präsentiert bekommen.

Pfarrer: Sie meinen wegen des Fernrohrs? Das Fernrohr war doch nur ein Scherz. Und wenn das neue nun auch kein radioaktives Material mehr diskriminiert, so brauchen wir es ja auch bald nicht mehr.

(Die Glocken läuten zum Festtagsgottesdienst)

Bürgermeister: Ihr Wort in Gottes Ohr.

Pfarrer: Meine Herren. Die Glocken läuten. Hören Sie?

2. Abschnitt: Dr. Schröder und der Vorsitzende von Europa kommen hinzu.

Landrat: Passen Sie auf, Monsieur Proteus, dass man Ihnen Ihre Worte nicht krumm nimmt. Uran ist zwar eine Gefahr für die Menschheit, dass man es deshalb aber jedermann wegnehmen sollte, ist doch eine etwas zu kühne Forderung. Mag ein solcher Raub für die Menschheit auch eine Befreiung sein, für die Jurisprudenz ist er eine Straftat.

Proteus: Schön wärs freilich, wenn wir uns freiwillig zur Natur, bis ins goldene Zeitalter zurück begäben. Doch fehlt mir dazu die Aussicht.

Kriegbach: Aber da kommen ja die beiden Herren! Nun wird sich ja alles geben.

Proteus: Meine Herren, schade, dass Sie gestern Nacht nicht bei uns im Festzelt waren. Da hätten Sie sich einen Helden ansehen können. Herrn Tapfer. Nichts Geringeres hatte er sich ausgedacht, als den Weltenbaum zu zersägen.

Pfarrer: (während jetzt die Glocken läuten und die Leute vorbeiströmen, den Pfarrer grüßend) Der hätte besser daran getan, die Nacht im Bett zu verbringen; dann könnten wir ihn jetzt zur Kirche gehen sehen.

Bürgermeister: Mir ist nicht zum Lachen und Scherzen zu Mut.

Proteus: Was haben Sie, monsieur Hüner? Es gibt doch wohl nichts, was Ihnen die Festtagslaune verderben müsste? Oder?

Bürgermeister: Noch haben wir keinen Grund, uns in Sicherheit zu wiegen.

Proteus: Wenn man auf das Unglück wartet, ruft man es herbei. Doch was gibt es Besorgnis Erregendes?

Bürgermeister: Klären Sie uns auf!

Kriegbach: Sie hatten uns doch versprochen, sich der Sache anzunehmen.

Proteus: Welcher Sache? Meinen Sie wegen des Urans? Hab ichs denn nicht getan?

Bürgermeister: Das würden wir gern von Ihnen wissen.

Proteus: Sie erschrecken mich. Meine Herren, Sie erschrecken mich. Ist etwas Ordnungswidriges geschehen? Wohl gar noch durch meine Mannen?

Bürgermeister: Sagen Sie uns, wo sich Ihre „Mannen“ befinden. Dann kommen wir der Antwort ein Stück näher.

Proteus: Eine gute Frage, wenn man sie nicht sieht. Doch wir werden sie finden. Daran besteht nicht der geringste Zweifel. Auf die ist Verlass! Das wäre mir das Neueste, dass es Anlass gäbe zu einer Beschwerde.

Bürgermeister (während sein Handy piepst): Hallo? - Frau Di-e-bus? - Jawohl, hier ist der Bürgermeister Hüner.

Pfarrer: Wer hat denn die Dreistigkeit, jetzt noch hier, so kurz vor dem Gottesdienst, anzurufen?

Kriegbach: Das ist die Oma vom Urankeller. Vielleicht, dass sich nun doch noch alles wunschgemäß ergibt.

Pfarrer: Wie oft kommt es nicht zu einem kleinen Missverständnis! Dann sehen wir anstelle einer Mücke einen Elefanten.

Proteus: Ist aber das Missverständnis wieder vom Tisch, dann sehen wir anstelle des Elefanten wieder eine winzig kleine Mücke, nicht wahr, Herr Pfarrer.

Bürgermeister: Seien Sie doch still! - Es ist etwas Schreckliches passiert, sagen Sie? - Etwas, was alle angeht?

Pfarrer: Ich muss gehen. Die Glocken rufen. Da ziemt sich nicht, noch länger hier draußen herumzuschwatzen. - Darf ich den beiden Herren noch sagen, dass für Sie im Münster ein Ehrenplatz bereit steht?!

Bürgermeister: Sind Sie sich da ganz sicher? - Das ist ja unerträglich.

Pfarrer: Im Übrigen geht mich das alles jetzt nichts mehr an, und wenn am Münsterberg der jüngste Tag ausbrechen sollte! (ab)

Bürgermeister: Nun wissen wir mit Sicherheit, dass wir nicht wissen, wo sich das Uran befindet; denn es befindet sich nicht mehr bei der Villa Diebus.

Kriegbach: Das ist schrecklich.

Bürgermeister: (am Handy) Vom Uran noch immer keine Spur. Ja, das wissen wir nun leider. Das ist sehr schade. – Wie, Ihr Friedrich? Sie machen sich Sorgen, weil er diese Nacht nicht nach Haus gekommen ist? - Gnädige Frau, wenn ein Bürgermeister alle überwachen müsste, die nachts nicht nach Hause kommen, wo kämen wir denn da hin?

Proteus: Der Friedrich ist nicht nach Haus gekommen? Das ist doch der junge Mann, der kurz nach Mitternacht voller Verzweiflung das Festzelt verlassen hat.

Landrat: (zu Proteus) Dabei haben Sie mir vorhin noch erzählt, Sie hätten den jungen Mann gut nach Haus gebracht.

Proteus: Ich meinte damit, dass ich ihn den jungen Leuten um Monsieur Bill übergeben habe.

Kriegbach: (für sich) Das fehlt jetzt noch, dass meine Leute da drunten auch noch so einen Bock gebaut haben.

Bürgermeister: Haben Sie mich verstanden, gnädige Frau? Sie brauchen sich um Ihren Friedrich keine Sorgen zu machen. Der wird sich schon wieder finden. Glauben Sie mir: Unkraut verdirbt nicht.- Ja, so ist es. Lassen wir es damit bewenden. Sie sehen doch, dass ich nicht weiß, wie ich mit der vielen Arbeit fertig werde. (er legt auf)

(Familie Ryne mit Christl kommt vorbei)

Frau Ryne: Grüß Gott, Herr Bürgermeister Hüner!

Bürgermeister: Seien Sie uns willkommen.

Herr Ryne: (zu Dr. Schröder mit Blick auf Christl) Kommen Sie mit uns ins Münster?

Landrat: Im Moment hab ich noch zu tun.

Herr Ryne: Sollen wir einen Platz freihalten?

Landrat: Das wird nicht nötig sein. Ich muss wohl auf die Ehrentribüne.

(Familie Ryne mit Christl geht weiter)

Bürgermeister: Fakt ist nun also, dass das Uran weg ist.

Proteus: Das Geschenk an Europa, das ich mitnehmen sollte?

Bürgermeister: Vielleicht von Ihren eigenen Leuten geklaut.

Proteus: Wie abscheulich, was Sie da sagen.

Bürgermeister: Abscheulich und hoffentlich nicht wahr.

Kriegbach: Das ist mir alles ganz unbegreiflich. Wir hätten doch merken müssen, wenn da auch nur ein Gramm Uran aus dem Grundstück herausgeschleust worden wäre.

(einer von Kriegbachs Polizisten kommt auf einem Fahrrad eilends herbei.)

F.: Man hat das Uran geklaut.

Kriegbach: Was hat man?

F.: Man hat es gestohlen.

Proteus: Junger Mann, er träumt wohl.

Kriegbach: Schön wärs, er würde alles nur träumen .

Proteus: Da haben wir es, Herr Landrat Dr. Schröder. Hätten Sie nicht die bösen Triebe geweckt, so stünde jetzt alles ganz anders.

Kriegbach: Und ihr habt nichts dagegen getan?

F.: Was konnten wir tun, wo es bereits geschehen war, als wir hinkamen?

Kriegbach: Was für eine Blamage!

F.: Wenn es nach mir gegangen wäre und wir hätten die Räuber noch gesichtet, wir hätten von der Schusswaffe Gebrauch gemacht....

Kriegbach: Genug, hab ich gesagt! (für sich) Dazu bin ich also in den Zeitungen so groß herausgekommen, um jetzt in einem so blamablen Licht zu erscheinen!?

3. Abschnitt: Wie der rote Audi noch einmal auftaucht und für Aufregung sorgt.

(Streit, weil man doch von dem Auto schon gehört hat, es aber nicht ernst genommen hat. Schuldzuweisung)

Bürgermeister (sieht den roten Audi unten auf der Landstraße): Da! Da drunten sind sie! Das ist der rote Audi.

Proteus: Geduld, messieurs! Oder gibt es nur einen einzigen roten Audi auf der weiten Erde? Das ist bestenfalls die Erfüllung der notwenigen Bedingung, noch lange aber nicht hinreichend.

Bürgermeister: O du Hurenstreich, du Einfall des Satans! Aber wir werden die Leutchen festnehmen. (er beginnt zu will telefonieren wegen Straßensperren. „Alles dicht machen. Wir fahnden nach einem roten Audi.)

Proteus: Nur kein Blutvergießen, Herr Bürgermeister! Wer wird auch schon über ein Hälmchen fallen? Wir sollten die Dinge nach ihrer Verhältnismäßigkeit bewerten.

Bürgermeister: Wenn es sein muss, schreck ich den gesamten Breisgau aus dem Schlaf. Unsere Sirenen funktionieren immerhin noch gut.

Proteus: Als ob sich die Leute durch die Sirenen ihren Schlaf stören ließen! Die wach sind, sind in der Kirche und beten, dass Gott sich erbarm. Und die anderen schlafen. Jetzt gilt es zuerst einmal, einen ruhigen und kühlen Kopf zu bewahren.

Das hätte ich nicht von Ihnen gedacht.

Landrat: Mein Herr, haben Sie mir etwas zu gestehen?

Proteus: Ma foi! Wovon reden Sie, messieurs?

Landrat: Zeigen Sie uns Ihre Leute, dass wir sie zur Rede stellen.

Bürgermeister: Das habe ich ihm auch schon gesagt.

Proteus: Meine Mannen werden schon in der Kirche sitzen. Nach dem Gottesdienst aber wird sich alles geben. Solange sollten Sie noch etwas Geduld mit sich haben. Auch Dr. Schröder war gestern Nacht sehr erregt und hat inzwischen schon fast seine alte Ruhe wiedergefunden. Was aber mich angeht, so will ich nicht eher Ruhe geben, als bis ich meine Mannen wiedergefunden habe. Wie der gute Hirte. Und dann werde ich die kostbare Fracht mit nach Strasbourg nehmen.

Landrat: Ich trau Ihnen nicht.

Proteus: Mon compliment! Wer traut schon wem? Von wem dürften wir sagen, dass wir ihn immerfort und unwandelbar in guter Erinnerung behalten? Homo homini lupus. Deshalb ist ja auch der kleinste Mann bei den Gerichten der wichtigste Mann. Ob nämlich der Herr Sekretär auch von nichts eine Ahnung hat, so beglaubigt er doch alles, was nur immer ein Richter niedergeschrieben hat, vom allerkleinsten Richterlein bis zum großmächtigsten Richter. Aber verlassen auch Sie sich darauf: wir werden den Fall aufklären.

Bürgermeister: Auch ich, monsieur Proteus, muss sagen, dass ich Sie mir anders vorgestellt habe. Das begann schon damit, dass Sie es für unnötig gefunden haben, mir Ihre Aufwartung zu machen.

Proteus: Aber Monsieur Hüner! Wollen doch bitte nicht in alle Ewigkeit eine Lappalie nachtragen. Manchmal ist ein faux pas dazu da, alles nur doppelt so gut zu machen! Oder soll es noch in tausend Jahren heißen: Breisach brachte als erste Stadt Zwist über Europa?

Landrat: Und doch hat Herr Hüner Recht.

Kriegbach: Springen wir über unseren Schatten, messieurs! Denn mehr kann gewiss nicht daneben gehen. Wird aber alles wieder gut, so trage ich Sorge, dass Ihre Tapferkeit in der Zeitung gewürdigt wird, Herr Hüner.

Bürgermeister: Verbindlichen Dank! Aber aus dem Fest wird nichts. Und wenn ich ein Dutzend mannbare Töchter hätte, die sich schon alle monatelang darauf gefreut hätten.

Landrat: So denke auch ich und trage die Verantwortung mit, wiewohl sich meine Braut kaum darüber freuen wird.

Frau Obmann: (auf dem Weg zur Kirche) Jetzt müssen sich die Herren aber beeilen, dass sie noch rechtzeitig zur Predigt kommen! Mehr verrat ich nicht, als dass der Herr Dekan eine ganz wundervolle Predigt halten wird.

Bürgermeister: (für sich) Dass dich der Kuckuck mit deiner Predigt! Kommen Sie, Dr. Schröder, damit wir beraten, was weiter zu tun ist! (er geht mit dem Landrat auf das Bürgermeisteramt zu)

Frau Obmann: Meine Herren, wo gehen sie hin? Der Weg zur Kirche ist das nicht; der geht hier! (sie geht kopfschüttelnd weiter in die Kirche)

Proteus: Ob ich etwas zu gestehen hätte, fragte mich der Herr Landrat. Was für eine Frage? Als ob ein Vorsitzender von Europa nicht immer etwas auf dem Herzen hätte und sich Sorgen machte! Ich fürchte, dass es Dinge gibt, die selbst die beste Demokratie mit all ihren Wahlen und Volksentscheiden weit überfordern. Dazu aber gehört auch dieses Uran und die Geschäfte mit dem Uran! Wie man die radioaktive Strahlung nicht sieht, auch wenn sie tödlich ist, so sieht man es auch dem Geld nicht an, dass es stinkt, nein, mehr noch, dass es tödlich ist. Meine Damen und Herren, wenn Sie es genauer durchdenken, werden Sie feststellen, dass alles Geld tödlich ist, viel tödlicher noch als das Rauchen. Auf jedem Geldschein müsste stehen: Geld ist tödlich. Nur maßvoller Umgang mit dem Geld, beim Einzelnen wie bei den Staaten, kann uns noch retten. Die Menschheit hat keine Zeit mehr, um lange noch zu lernen, genügsam zu werden. Doch ich muss gehen. Au revoir, madames, au revoir messieurs!

4. Abschnitt: Wie Kriegbach noch übrig bleibt und wie er das Schlusslied singt.

Kriegbach: Und ich, was mach ich? Stehe da, als wär ich erwacht aus einem Alptraum. Und warum das? Nur weil ich Gefahr laufe, eine kleine Dummheit begangen zu haben! Eigentlich bin ich doch ein gutmütiger und verträglicher Zeitgenosse, suche jeden zufrieden zu stellen und habe, wenn ich mich nicht täusche, noch nie jemandem Anlass gegeben, über mich ärgerlich zu werden. Und das will etwas heißen als Chef der Verbrecherbekämpfung? Fast will mir scheinen, als hätt ich selbst das Heer der Gauner und Verbrecher durch mein friedliches Verhalten wie auch durch die Kunst meiner Argumentation eingeschüchtert.

Aber was sich hier bei uns in den letzten beiden Tagen abgespielt hat, das übersteigt nun doch meine Fassungskraft. Noch gestern schien alles in wunderbarem Einklang. Da wusste ich mich nicht zu fassen vor lauter Glück über das Bundesverdienstkreuz erster Klasse. Und nun lauf ich Gefahr, dass man es mir clam heimlich wieder abnimmt. Dass ich mit dem Vorsitzenden von Europa gemeinsame Sache gemacht habe, das Geschenk der Stadt Breisach, das Uran, für unser liebes Europa bereit zu stellen, das kann mir ja wohl niemand zur Last legen. Dass du dich aber mit einem Gauner eingelassen und arrangiert hast, das passt freilich nur schlecht zum Gewand eines Oberkommissars. Da glaubst du, in deinem Element zu sein, glaubst deinen Platz auf der Welt ganz genau zu kennen und plötzlich merkst du, dass alles um dich herum ganz anders ist. Wie auf einen Schlag, wie beim Erwachen nach einem heiteren Traum ist dir plötzlich, als zeigten alle mit bösen Fingern auf dich. O heilige Einfalt! Wenn sich jetzt herausstellt, dass dieser Proteus und seine Mitarbeiter Erzgauner sind und dass sie uns das Uran gestohlen haben: dann wird sich zugleich herausstellen, dass es die größte Dummheit war seit Adam und Eva, die ich begangen habe, als ich meine Leuten mit denen kooperieren ließ. Dann kann ich mir im besten Fall neben mein Verdienstkreuz noch den Narrenorden auf die Brust heften. Und die, denen zufällig morgen noch die Zeitung von gestern in die Finger geraten sollte, die werden sich das Bild ansehen und werden mit dem Kopf schütteln, weil sie nun nicht mehr den unsterblichen Helden von Breisach vor sich sehen, sondern den unübertreffbaren Dummkopf von Breisach. Was für ein Erwachen! Aber wenn ich nun schon mal wach bin, so will ich mirs nicht nehmen lassen, zum Schluss wenigstens noch ein Liedchen zum besten zu geben. Und wenn damit wohl auch nicht alles vom Tisch gefegt oder ungeschehen gemacht werden kann, so wollen wir dann doch wenigstens den Vorhang drüber fallen lassen. Wie man eben sagt: Schwamm drüber, wenn einem kurios geträumt hat.

Lied:

Da heißt´s in der Zeitung: in Breisach gäbs ein Fest

mit lustigen Leuten, willkommenen Gäst.

Wenn du kannst, musst du kommen. Im Festzelt ein Platz,

der kostet nicht viel für dich und deinen Schatz.

Da fragst du nicht lang, was sonst wo geschieht,

weils nach Breisach zum Fest dich mächtig zieht,

nach Breisach im Breisgau, zur Europastadt:

und das Fest findt nicht statt, und das Fest findt nicht statt.

 

Von ganz Europa mit all ihrer Bagage

die Schausteller gekommen sind. Was für eine Courage

und haben keinen Aufwand gescheut,

das hat man ihnen vermasselt heut.

auf dem Festplatz stehen sie Zelt an Zelt,

als stünden sie rund um den Nabel der Welt.

Den Pachtzins man selbstverständlich entrichtet hat:

und das Fest findt nicht statt, und das Fest findt nicht statt.

 

Wenn im Staatshaushalt mal so manches nicht stimmt,

man sich Geld aus gebänkertem Nichts hernimmt,

selbst beim allerärgsten Milliardenverlust

bleibt man ruhig und lächelt. Das macht keinen Frust.

Bringt der Bauer das Korn, mahlt der Müller das Mehl,

backt der Bäcker das Brot: Was geht da noch fehl?

Heil dem Volk, das sich tummelt und schuftet sich matt:

findt das Fest auch nicht statt, find das Fest auch nicht statt.

 

Nicht jedem freilich steht frei auf Erden,

ob Bauer oder Bader oder Bischof er kann werden.

Nicht jedem legt das Schicksal den Ball in die Hand,

auf Erden zu werden berühmt und bekannt.

Und mag der Teufel uns auch beraten,

am Ende müssen wirs selber ausbaden.

Heil dem, der findet den rechten Pfad,

findt das Fest auch nicht statt, find das Fest auch nicht statt.

 

Meine Damen und Herren, was auf Erden geschieht,

davon erzählt uns manch Heldenlied.

Einmal aber geht jedes Lichtlein aus,

dann regt sich nirgends mehr eine Maus.

Bleibt drum nicht sitzen auf euren Händen,

gebraucht sie, ein tüchtiges Vivat zu spenden,

auf uns und auf Breisach, Europas Stadt,

findt das Fest auch nicht statt, findt das Fest auch nicht statt!

Wenn es einen Wettbewerb gäbe zum Preis Europas, so würde mein Lied ganz gewiss den ersten Preis erhalten!